Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung: Zur Thematik und zur Quellenlage
2. Einführendes zu Kenyatta und den Kikuyu
2.1 Die Biographie des Autors
2.2 Die Kikuyu
3. Facing Mt. Kenya
3.1 Allgemeines zum Buch
3.2 Textbeispiel „Land“
a) Die Bedeutung des Landes für die Kikuyu
b) Das System des Landbesitzes bei den Kikuyu
4. Vergleich mit anderen Monographien über die Kikuyu
4.1 G. Muriuki: A History of the Kikuyu 1500 - 1900
4.2 C.W. Hobley: Ethnology of A-Kamba and other East African Tribes
4.3 J. Middleton & G. Kershaw: The Kikuyu and Kamba of Kenya
4.4 L. S. B. Leakey: The Southern Kikuyu before 1903
5. Schlusskapitel: Bewertung als ethnologische Quelle
6. Glossar
7. Literaturverzeichnis
8. Abbildungsverzeichnis
1.Einleitung: Zur Thematik und Quellenlage
„To Moigoi and Wamboi and all the dispossessed youth of Africa: for perpetuation of communion with the ancestral spirits through the fight for African Freedom, and in the firm faith that the dead, the living, and the unborn will unite to rebuild the destroyed shrines“ (Kenyatta 1965).
Mit dieser Widmung eröffnet Jomo Kenyatta sein Buch Facing Mt. Kenya 1. Das Werk zeichnet ein umfangreiches Bild über die Kultur und die Tradition der Kikuyu, zu denen der Autor selber gehört. Es erhebt den Anspruch einer wissenschaftlichen Arbeit. Unterstützt wird die Monographie von dem berühmten Ethnologen Bronsilaw Kasper Malinowski, der in einem Vorwort dessen Bedeutung huldigt (Kenyatta 1965: VII ff.). Jedoch, wie ich durch Erwähnung der Widmung verdeutlichen wollte, steht der Autor unter dem Einfluss des afrikanischen Freiheitskampfes. Als aktives Mitglied einer antikolonialen Bewegung nimmt er im Buch eine subjektive Haltung ein, so dass seine Ausführungen von der reinen Deskription abweichen.
Aus diesem Grund möchte ich im Folgenden analysieren, inwieweit Facing Mt. Kenya als wertvolle ethnologische Quelle zu betrachten ist. Nach einer kurzen Beleuchtung von Kenyattas Leben und den Kikuyu werde ich eine kurze Übersicht über das Buch geben. Danach werde ich die Qualität der Monographie an Hand des Themas „Land“ untersuchen, indem ich erst die Fakten nach Kenyattas Angaben darstelle und später deren Authentizität im Vergleich mit anderen Monographie überprüfe. Am Ende meiner Arbeit werde ich die Ergebnisse diskutieren.
Neben Facing Mt. Kenya habe ich weitere Monographien über die Kikuyu verwendet, in denen die Autoren die Erkenntnisse ihrer Feldforschung beschreiben.2 Angaben über Jomo Kenyatta habe ich ausschließlich Lexika und dem Internet entnommen, da ich leider keine Biographie über ihn ausfindig mache n konnte. Trotz intensiver Suche habe ich keine Rezension seines Buches in einer der verschiedenen Fachzeitschriften entdeckt.
2.Einführendes zu Kenyatta und den Kikuyu
2.1 Biographie Jomo Kenyattas
Bevor ich einen Abriss über das Leben Kenyattas gebe, will ich kurz auf den geschichtlichen Hintergrund Kenias eingehen. Im Jahre 1890 wurde Kenia als britische Protektorat eingerichtet (Britisch-Ostafrika) und 1920 als Kronkolonie annektiert (Microsoft® Encarta® 98 Enzyklopädie 1993 - 1997: „Kenia“). Die Kolo nialregierung praktizierte die sogenannte „white highland“-Politik: Sie vertrieb die afrikanische Siedler von ihrem Land, um weißen Emigranten Platz zu schaffen (Watts 1962: 3). Die Kikuyu waren von den Landraub von allen ethnischen Gruppen am gravierendsten betroffen (Baumann 1979: 13).
Geboren wurde Jomo Kenyatta (siehe Abb. 1) nach offiziellen Angaben am 20. Oktober 1891 in Ichaweri, Kiambu. An seinem Todestag hieß es jedoch er sei um 1899 auf die Welt gekommen. Ursprünglich hieß er Kamau wa Ngengi. Sein politisches Pseudonym „Jomo Kenyatta“ - was brennender Speer bedeutet - legte er sich entweder in den 20ern oder 1938 zu (Brockhaus Enzyklopädie 1990: „Kenyatta“). Im Zeitraum von 1909 bis 1912 besuchte er die Missionsschule der Kirche von Schottland. Trotzdem ließ er sich 1913 nach Tradition der Kikuyu beschneiden. Ein Jahr später wurde er christlich auf den Namen John Peter Kamau getauft, ändert diesen aber in Johnstone Kamau um (Browen in http://www.rcbowen.com/kenya/government/kenyatta.html). Er erlernt den Beruf eines Zimmermannes und arbeitete im Zeitraum von 1921 - 26, nach anderen Angaben von 22 - 28, als Lagerangestellter und Kontrolleur in der Stadtverwaltung von Nairobi (MunzigerArchiv o.J.: „Kenyatta, Jomo“).
Mit dem Eintritt in die Young Kikuyu Association (YKA) in 1921, eine von Harry Thuku gegründete militante Organisation, begann Kenyatta seine politische Karriere. Als die YKA 1924 verboten wurde, reorganisierte sie sich als Kikuyu Central Organisation (KCA). Diese wurde in 1940 ebenfalls verboten (Muriuki, James 1974 : 250). 1926 wurde Kenyatta Generalsekretär der KCA und veröffentlichte monatlich die erste kikuyusprachige Zeitung namens Mwigithania. Außerdem gründete er vo m Missionswesen unabhängige Schulverbände und ein Lehrerseminar (Mc Natt in http://www.calverton.pvt.k12.md.us/socialstudies/10th%20grade/cameron.htm). 1929 schickte ihn die KCA nach England, um dort vor dem britischen Parlament die Landproblematik der Kikuyu vorzutragen. Dort blieb er mit kurzen Unterbrechungen bis 1946. In diesem Zeitraum besuchte er eine Quäker-Schule3, die College University in London und studierte später an der London School of Economics bei Bronislaw Kasper Malinowski Anthropologie. Außerdem bereiste er Europa und studierte ein Jahr lang in Moskau. Er schrieb 1938 Facing Mt. Kenya, 1942 My People of Kikuyu and The Life of Chief Wang’ombe sowie 1944 Kenya Land of Conflic t mit Malinowski zusammen. Während des zweiten Weltkrieges arbeitete er mit Kwame Nkrumah und George Padmore für die Panafrikanische Bewegung (Munziger-Archiv o.J.: „Kenyatta, Jomo“).
Ende 1946 kehrte Kenyatta nach Kenia zurück und löste im folgenden Jahr James Gichuru als Präsident der Kenya Africa Union (KAU) ab. Diese Partei wurde auf Anlass der Kolonialregierung gegründet, um das politische Vakuum nach dem Verbot der KCA zu füllen und die Kikuyu manipulieren zu können. Durch Infiltration der immer noch im Untergrund agierenden KCA wurden die reaktionären Elemente in der KAU verdrängt, und es entstand eine militante Revolutionspartei (Muriuki, James 1974: 254 ff.). Während des Mau-Mau- Aufstandes (52 - 56) verdächtigte die Kolonialregierung Kenyatta als Führer der Untergrundbewegung. Obwohl er beteuerte: „We (KAU, Anmerk. d. Verf.) do not know this thing Mau Mau “ (Modern History Sourcebook in http://www.fordham.edu/halsall/mod/1952kenyatta-kau1.html), wurde er zu sieben Jahren Gefängnis und zwei Jahren Exil verurteilt.
In 1960 wurde die Kenya African National Union (KANU) gegründet und Kenyatta in Abwesenheit zum Präsidenten ernannt. 1963 gewann die KANU die Wahlen und Kenyatta wurde Premierminister. Als Kenia am 12. Dezember 1964 in die Unabhängigkeit entlassen wurde, wurde Kenyatta zum Präsidenten gewählt. 1968 erschien sein Buch Suffering Without Bitterness. Kenyatta weigerte sich, ein Mehrparteiensystem einzurichten, da dies seiner Meinung nach zu einer Politik der ethnischen Trennung führen würde, wie sie die ehemalige Kolonialregierung verfolgt hatte: Er verbot 1969 alle Oppositionsparteien. Nach zwei Herzinfarkten starb Jomo Kenyatta am 22. August 1978. In seinem Todesjahr erhielt er den Ehrentitel Mzee (Swahili: „weiser alter Mann“) von seinem Volk und vielen Staatsmännern aus aller Welt (Microsoft® Encarta® 98 Enzyklopädie 1993 - 1997: „Kenyatta, Jomo“).
2.2 Die Kikuyu
Die Kikuyu, die größte Gruppe der Nordost-Bantu, siedeln an den östlichen und südlichen Hängen des Mt. Kenya in der Zentralprovinz Kenia (siehe Abb. 2). Das Gebiet wurde von der britischen Kolonialregierung in fünf Verwaltungsdistrikte geteilt: Kiambu, Fort Hall, Nyeri, Embu und Meru (siehe Abb. 3) (Middleton & Kershaw 1965: 11). Der Entstehungslegende nach wurde der zentrale Teil des Siedlungsgebietes dem Vorfahren Gikuyu von Ngai, dem Schöpfergott der Kikuyu gegeben (Berg-Schlosser 1984: 47).4 Godfrey Muriuki hingegen stellt fest, dass erst durch Einwanderung und Durchmischung mit anderen ethnischen Gruppen die Kikuyu als einheitliche ethnische Gruppe entstanden sind (Muriuki, Godfrey 1974: 37ff.).
Traditionell betreiben die Kikuyu Landwirtschaft und ergänzend Viehzucht. Der Boden wird mit dem Grabstock oder dem Pflanzenscheit der Hacke bearbeitet. Neben der Verehrung von Ngai lässt sich bei den Kikuyu ein Ahnenkult feststellen, d.h. Kommunion mit den Ahnen und Anrufung derer bei individuellen Notlagen. (Baumann; Thurnwald & Westermann 1940: 208 ff.). Das System der Verwandtschaft und Vererbung ist patriarchal. Wenn die wirtschaftliche Situtation es erlaubt, heiraten die Männer polygyn. Die Beschneidung von Jungen und Mädchen wird als Eingang in das Erwachsenenleben gefeiert (Berg-Schlosser 1984: 47 f. + 53).
Die Kikuyu sind in mehrere Clans unterteilt. „The number of the clans is constantly given as being ‘nine’, however, for some reason or other, that nine is to be taken as the short form of ‘nine with fill’, [...] to mean ‘ten’, erklärt Cavicchi (Cavicchi 1977: 15). Die wichtigste soziale und ökonomische Einheit ist allerdings der mbari, eine Gruppe von Kernfamilien, die ihre Abstammung auf den selben Ahnen zurückführen (Middleton & Kershaw 1965: 25). Eine weitere bedeutende Unterteilung der Gesellschaft ist die riika, eine Unterteilung basierend auf Altersgruppen. Der Begriff riika hat vier verschiedene Bedeutungen: a) Generation, b) Gruppe von Mädchen und Jungen, die in dem selben Jahr initiiert wurden, c) mehrere Gruppen von Initiierten, die zu einem Armeekontingent zusammengefasst worden sind, d) eine Gruppe von initiierten Mädchen5 (Muriuki, Godfrey 1974: 117 f.). Vier Räte, die auf allen regionalen Ebenen existieren, regeln die politischen und sozialen Abläufe: a) Rat der junior Krieger (njama ya anake a mumo), b) Rat der senior Krieger (njama ya anake), c) Rat der junior Ältesten (kiama kia kamatimu), d) Rat der Ältesten (kiama kia athamaki) (Lambert 1965: 76 ff.). Geleitet werden die Räte von athamaki, diese sind aber „[...] neither chiefs nor kings, rather, they were simply the first, or leading, personalities among peers“ (Muriuki, Godfrey 1974: 132).
3.Facing Mt. Kenya
3.1 Allgemeines zum Buch
Wie bereits am Anfang meiner Arbeit erwähnt, zeichnet Jomo Kenyattas Werk Facing Mt. Kenya ein umfassendes Bild von der Kultur und den Traditionen der Kikuyu, dabei setzt er Schwerpunkte im sozialen, politischen, religiösen und ökonomischen Bereich. Detailreich schilderte Kenyatta Zeremonien und Rituale: z.B. Beschneidung von jungen Mädchen, Schwören von Eiden, Fruchtbarkeitsrituale.
Facing Mt. Kenya ist wie eine wissenschaftliche Arbeit aufgebaut: Es besteht aus einer Einleitung, dem Hauptteil und einer Zusammenfassung. Am Ende hat Kenyatta ein Glossar und einen Index eingefügt. Des weiteren verwendet er auch Quellen - allerdings nur sporadisch und ein Literaturverzeichnis fehlt. Wie ich schon in der Einleitung angesprochen habe, hat Malinowski Kenyatta bei dieser Arbeit sowohl als Freund als auch als Lehrer unterstützt (Kenyatta 1965: XVII). Darüber hinaus dankt Kenyatta in seinem Vorwort Raymond Firth: „I am indebted to Dr. Raymond Firth for his careful reading of the manuscripts and his technical advice on anthropological points“ (Kenyatta 1965: XVII). Auch Kenyattas Schreibstil entspricht weitestgehend dem einer wissenschaftlichen Arbeit. Er beschränkt sich auf eine deskriptive und objektive Darstellung der Kikuyu Traditionen. Ergänzend verwendet er Redewendungen, Parabeln, Geschichten und Legenden, um so den Hintergrund der Traditionen analysieren zu können. Auffällig ist jedoch, dass Kenyatta an einigen Stellen von der neutralen Deskription abweicht. Neben subjektiven Wertungen merkt man hinter seinen Worten deutlich die Emotionen, die für ihn mit diesem Thema verbunden sind.
Bevor ich nun zu einem Textbeispiel übergehe, werde ich noch auf Kenyattas ethnologische Qualifikationen eingehen, die Malinowski in seiner Einleitung anführt und die Kenyatta in seinem Vorwort ausführlich erläutert. Mit der Aussage „Anthropology begins at home“ verdeutlicht Malinowski, dass Kenyatta als Zugehöriger zu den Kikuyu eine besondere Qualifikation besitzt (Kenyatta 1965 VII). Kenyatta jedoch: „Merely to have been born and bred in the Gikuyu country may seem to him (der Leser, Anm. d. Verf.) a vague qualification [...]“ (Kenyatta 1965: XVIII). Neben seiner Erziehung nach Kikuyu Tradition, die viel Wert auf das Wissen von Verwandtschaftsbeziehungen und der Kikuyu-Legenden legt, kann Jomo Kenyatta die politischen Strukturen als Führer seiner Altersgruppe und Mitglied des Rat der Ältesten mit eigenen Erfahrungen erläutern. Mit Hilfe seines Großvaters, der Medizinmann gewesen ist, und seiner Tante, die Mädchen beschnitten hat, wurden ihm Einblicke in Bereiche gewährt, die sonst nicht jedem Kikuyu bekannt sind. Als Redakteur der ersten kikuyusprachigen Zeitung hatte er die Möglichkeit die verschiedenen Gebiete der Kikuyu zu besuchen und dort mit den Leuten über regionale Eigenheiten zu sprechen (Kenyatta 1965: XIX). Mit dem Thema „Landbesitz“ kennt er sich nach eigenen Angaben besonders gut aus, da er an vielen Diskussionen und Verhandlungen zwischen der Kolonialregierung und den Kikuyu über die Landfrage teilnehmen konnte (Kenyatta 1965: 21). Außerdem qualifiziert ihn seine westliche Bildung und besonders das Studium an der London School of Economics. „I can therefore speak as a representative of my people, with personal experience of many different aspects of their life“ (Kenyatta 1965: XX).
3.2 Textbeispiel Land
Im Folgendem präsentiere ich ein Textbeispiel aus Facing Mt. Kenya. Ich habe mich für das Kapitel über Landbesitz entschieden, da, wie ich weiter oben schon dargestellt habe, die Landfrage eine entscheidende Rolle unter der britischen Kolonialherrschaft und während der Mau-Mau-Unruhen gespielt hat. Kenyatta schreibt in seinem Vorwort: „[...] to anyone who wants to unterstand Gikuyu problems, nothing is more important than a correct grasp of the question of land tenure“ (Kenyatta 1965: XXI). Erst werde ich auf die Bedeutung des Landes für die Kikuyu nach Kenyatta eingehen und danach das System des Landbesitzes erläutern.
a) Die Bedeutung des Landes für die Kikuyu
Der Landbesitz ist laut Kenyatta der wichtigste Faktor in sozialen, religiösen und ökonomischen Belangen der Kikuyu. Die Kikuyu sichern ihren Lebensunterhalt hauptsächlich durch Landwirtschaft: Sie bauen Mais, Bohnen, Kartoffeln, Erbsen, Hirse, Zuckerrohr und Gemüse an (Kenyatta 1965: 57). Daneben halten sie noch Rinder, Schafe und Ziegen. Folglich ist das Überleben der Familie eines Mannes vollkommen von seinem Landbesitz abhängig: „[...] there is a great desire in the heart of every Gikuyu man to own a piece of land [...]“ (Kenyatta 1965: 54). Neben der ökonomischen hat das Land auch eine soziale Bedeutung für den Besitzer, denn „A man or a woman who cannot say to his friends, come and eat, drink and enjoy the fruit of my labour, is not considered as a worthy member of the tribe (Kenyatta 1965: 54).
Neben der Versorgung mit Nahrungsmitteln ermöglicht das Land den Kikuyu auch die Kommunion mit den Ahne n. Dies geschieht durch den Kontakt mit der Erde, in der die Ahnen beerdigt sind (Kenyatta 1965: 22). Die Ahnen werden nicht wie eine Gottheit verehrt, sondern wegen ihres Alters und ihrer Weisheit geschätzt (Kenyatta 1965: 255). Wie die Widmung des Buches zeigt, glauben die Kikuyu an die Macht des Dreigestirns Ungeborene, Lebende und Toten, deren Vereinigung in der Kikuyu- Religion eine bedeutende Rolle spielt. Die Erde ist die „Mutter der Kikuyu“, denn „[...] the soil feeds the child through lifetime; and again after the death it is the soil that nurses the spirits of the dead for eternity“ (Kenyatta 1965: 22). Aus diesem Grund ist sie heilig und wird als Ngais Geschenk verehrt (Kenyatta 1965: 5).
b) Das System des Landbesitzes bei den Kikuyu
Die Kikuyu unterscheiden nach Jomo Kenyattas Angaben zwischen verschieden Formen des Landbesitzes. Die wichtigste Unterscheidung ist die zwischen individuellen Landbesitz und dem einer Familie6. Privater Landbesitz kann durch die Kultivierung von Wildnis, durch Kauf oder durch Erben erworben werden. Der individuelle Besitzer von Land sowie Landbesitz im allgemeinen werden bei den Kikuyu mit dem Begriff githaka bezeichnet (Kenyatta 1965: 23). Nachdem ein Mann geheiratet hat, geht sein privater Landbesitz über in gemeinsamen Besitz des Ehepaares. Für den Garten seiner Frau bzw. Frauen rodet der Mann eine Fläche des Landes, welche nach Bedarf mit der Zeit auch vergrößert wird. Die Frau betrachtet diesen Garten als ihr alleiniges Eigentum: „[...] she would refer to this part as ‘my garden’ (mogonda wakwa), and the rest as ‘our land’ (githaka giito)“ (Kenyatta 1965: 29). Auch die Söhne erhalten einen Teil von dem Land, von dem sie wiederum Gärten für ihre Frauen zur Verfügung stellen. Da das Heiratssystem virilokal ist, erhalten die Töchter keinen Anteil von dem Land. Auf diese Weise entsteht auf dem privaten Landbesitz bald eine Siedlung verschiedener Generationen einer Familie, in der „the other uncultivated land or fallow land would be regarded by all collectively as ‘our land’, while Mr. A (der Vater, Anm. d. Verf.) still called the whole of the land ‘my land’“ (Kenyatta 1965: 30).
Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem das Land nicht mehr alle Mitglieder der Familie ernähren kann. Reichere Mitglieder kaufen dann meist ihr eigenes Stück Land. Das Land kaufen die Kikuyu, vor allem im Süden, von den Ndorobo (Kenyatta 1965: 27). Diejenigen, die sich den Kauf von eigenem Land jedoch nicht leisten können, werden zu ahoi oder athami (Kenyatta 1965: 31). Diese erwerben die Erlaubnis ein Teil des Landes eines anderen Mannes für Landwirtschaft zu nutzen. Ein mohoi bekommt nur Bebauungsrechte, wohingegen ein mothami auch Siedlungsrechte hat. Als Zeichen für die Beibehaltung dieser Vereinbarung gibt der mothami dem Landbesitzer immer eine Kalebasse Bier, wenn er welches braut. Der mohoi hingegen nur nachdem er Bier aus Zuckerrohr gebraut hat (Kenyatta 1965: 34). Darüber hinaus wird von dem mothami erwartet, dass er mithilft Häuser und Viehgatter zu bauen. Aber „apart from the beer which was given as a token of friendship and respect, there was no paymenr of rent of any kind for the use of the land“ (Kenyatta 1965: 35). Denn Bebauungs- und Siedlungsrechte wurden als Zeichen von Freundschaft und nicht aus geschäftlichen Gründen vergeben.
Nach dem Tod eines githaka, wird das Land an seinen ältesten Sohn oder bei Polygynie an den ältesten Sohn seiner ersten Frau weitergegeben. Dieser erhält den Titel moramati, d.h. er ist der Treuhänder des Landes. „At this juncture the system of land tenure changed a little, there was no one who could regard the land as ‘mine’, all would call it ‘our land’ (Kenyatta 1965: 32). Als Treuhänder hat der moramati nicht mehr Rechte als seine Brüder: Er darf Land nicht ohne die Zustimmung seiner Brüder verkaufen oder Bebauungsrechte an mohoi oder mothami ohne Beratung mit seinen Brüder vergeben. Das Land ist nun nicht länger Privatbesitz, sondern Land des mbari, benannt nach seinem Originalbesitzer: „[...] if the original owner was Kamau, [...] the land [would be known] as ng’ondo or githaka kia mbari ya Kamau “ (Kenyatta 1965: 33). Hat der verstorbenen Landbesitzer allerdings nur einen Sohn, geht das Land vollkommen in dessen Privatbesitz über (Kenyatta 1965: 32).
Nach der Darstellung des System des Landbesitzes bei den Kikuyu betont Kenyatta, dass es sich folglich nicht um Land im Besitz der gesamten ethnischen Gruppe handelt. „While the whole tribe defended collectively the boundary of their territory, every inch of land within it had its owner“ (Kenyatta 1965: 22).
4.Vergleich mit anderen Monographien über die Kikuyu
4.1 G. Muriuki: A History of the Kikuyu 1500 - 1900
Muriuki versucht in seinem Buch eine vollständige Untersuchung der historischen Traditionen der Kikuyu zu erstellen. Hierfür beruft er sich auf seine über einjährige Feldforschung bei den Kikuyu, dem Studium von oralen Quellen und der Nutzung von Sekundärliteratur (Muriuki, Godfrey 1974: 4 f.). Unter dieser Sekundärliteratur befindet sich auch Facing Mt. Kenya von Jomo Kenyatta. So ist es nicht erstaunlich, dass er in vielen Fakten mit Kenyatta übereinstimmt.
Als Bauern sind die Kikuyu nach Muriukis Angaben eng mit dem Land verbunden. Auf Grund von Migration und der Topographie des Landes konnte sich weder individueller Landbesitz noch welcher auf Ebene der ethnischen Gruppe entwickeln. Das Land ist ausschließlich im Besitz des mbari und wird vom moramathi verwaltet (Muriuki, Godfrey 1974: 34) . Jedes Mitglied des mbari kann ein Teil des Landes für eigene Zwecke nutzen, solange kein anders Mitglied Anspruch erhebt und der moramathi informiert ist. Das mbari -Land kann nur mit Zustimmung von allen Mitgliedern verkauft werden (Muriuki, Godfrey: 1974: 75). Allgemeine kommunale Solidarität ist wichtig für das Überleben: Wer kein Land besitzt, wird mohoi auf dem Land eines anderen. Ahoi sind überall willkommen, aber vor allem in den Grenzgebieten als Verstärkung der Gruppe (Muriuki, Godfrey 1974: 35).
Wie dieser Exzerpt zeigt, stimmt Muriuki bis auf wenige Ausnahmen mit Kenyatta überein. Im Gegensatz zu Kenyatta verneint er die Existenz von individuellen Landbesitz. Allerdings lässt sich die Form des individuellen Landbesitz bei Kenyatta relativieren, denn nach der Hochzeit gehört der Besitz eines Mannes dem Ehepaar. Darüber hinaus nimmt der alleinige Landbesitzer eine Pionierstellung ein, da der Besitz nach seinem Tod zu mbari -Land wird. Auffällig ist dennoch, dass Muriuki nur den mohoi als Pächter von Land erwähnt und den mothami außer Acht lässt. Trotz dieser starken Übereinstimmung möchte ich hier nicht den Eindruck erwecken, Muriuki hätte nur Kenyatta als Quelle verwendet. Neben ihn beruft er sich auf eine Vielzahl von anderen Wissenschaftlern, die über den Landbesitz bei den Kikuyu geforscht haben.
4.2 C.W. Hobley: Ethnology of A-Kamba and other East Afr ican Tribes
Wie der Titel schon sagt, beschäftigt sich Hobleys Monographie hauptsächlich mit den Kamba. Jedoch geht er in einem Kapitel auf die Kikuyu ein. Information über deren Traditionen hat er nach eigen Angaben nicht durch eine systematische Feldforschung, sondern durch die Unterstützung von Kollegen gewonnen (Hobley 1971: 134). Das Kapitel über die Kikuyu geht auch auf deren System des Landbesitzes ein.
Laut Hobley kaufen die Chiefs der Kikuyu Waldfläche von den Okiek, um sie zu kultivieren. Das Land wird dann vom Chief unter den Mitgliedern seines Clans verteilt. Diese schenken ihm dafür Bier und später, wenn die Ernte zur Hälfte gewachsen ist, ein Schaf. Der Chief kann die Landbesitzer jeder Zeit wieder enteignen (Hobley 1971: 136). Die Landbesitzer in der ersten Generation, d.h. die das Land gerodet haben, bekommen allerdings eine Kompensation für ihre Ernte. Individueller Landbesitz betrifft nur Land, das kultiviert vererbt wurde. Beim Tod des Besitzers geht das Land in den Besitz des ältesten Sohnes über, der seinen Brüder Teile der Fläche abgibt (Hobley 1971: 136). Der Chief ist auch Treuhänder für Land im Besitz von Waisen und Minderjährigen. Bis diese das Erwachsenenalter erreicht haben, gilt das Land als sein Eigentum (Hobley 1971: 137).
Vergleicht man dies nun mit Kenyattas Angaben stellt man einige Unterschiede fest. Gemäß Kenyatta kaufen die Kikuyu Waldfläche von den Ndorobo. Die Okiek werden von ihm kein einziges Mal erwähnt. Die Rolle, die der Chief bei Hobley einnimmt, scheint bei Kenyatta der moramati zu übernehmen. Kenyatta schreibt aber ausdrücklich: „[...] nor was there any customary law which gave any particular chief or a group of chiefs any power over lands other than the lands of their own family group“ (Kenyatta 1965: 33). Es handelt sich also um den mbari und nicht um einen Clan. Kenyatta betont weiter, dass ein Chief nur Macht über Land hat, wenn er gleichzeitig auch moramati ist (Kenyatta 1965: 33). Diese Unterschiede können durch den unterschiedlichen Zeitraum, in dem die Bücher entstanden sind, erklärt werden. Kenyattas Buch ist 1938 erschienen, als das System des Landbesitzes der Kikuyu noch nicht in dem Ausmaß durch die britische Kolonialisierung beeinflusst worden ist, wie in 1971. Erst durch die „indirect rule“ der Briten wurden die Chiefs bei den Kikuyu zu einem Machtfaktor (Amershi 1983: 37 f.). Darüber hinaus schreibt Hobley aus der Sicht eines Europäers für Europäer: „These (die Informationen über die Kikuyu, Anm. d. Verf.) are now being published in the hope that the information may be of some value to civil officers working among the tribe [...]“ (Hobley 1971: 134).
4.3 J. Middleton & G. Kershaw: The Kikuyu and Kamba of Kenya
Diese Arbeit entstand im Auftrag des International African Institute, das sich die Vorbereitung und Veröffentlichung von ethnographischen Vermessungen zur Aufgabe gemacht hat. Greet Kershaw steuerte vor allem Details über die soziale Organisation und das politische System der Kikuyu bei, die sie bei ihrer Feldarbeit im Zeitraum von 1955 bis 1956 sammeln konnte. Über die Feldarbeit von John Middleton werden leider keine nähere Informationen gemacht. Die Autoren betonen in ihrer Einführung, dass sich das veröffentlichte Material hauptsächlich auf die südlichen Kikuyu bezieht und dabei moderne Entwicklungen durch den Einfluss der Europäer nicht berücksichtigt worden sind (Middleton & Kershaw 1965: IX). Middleton und Kershaw haben genau wie Muriuki Facing Mt. Kenya als Quelle verwendet: In der Bibliographie steht als Kommentar zu dem Buch: „the best monograph on the Kikuyu, containing the best account of Kikuyu social organization in the literature“ (Middleton & Kershaw 1965: 93). Darüber hinaus beziehen sie sich aber noch auf zahlreiche andere Quellen.
Wie bei Kenyatta sprechen die beiden Autoren in Zusammenhang mit der Bedeutung des Landes für die Kikuyu von einem Dreigestirn:
„The land is Kikuyu past since it is where the ancestors are and thus stands for the ancestors themselves; it is Kikuyu present because living people are these ancestors and it is Kikuyu future because in them the future (their grandchildren) is already there“ (Middleton & Kershaw 1965: 48).
Diese Idee definiert laut Middleton und Kershaw nicht nur die Beziehung zwischen den Kikuyu und ihren Ahnen, sondern auch die Beziehung innerhalb des mbari. Aus diesem Grund kann der mbari auch nicht ohne den Bezug zu seinem Land betrachtet werden. Das Land des mbari ist in viele territoriale githaka geteilt, die von einzelnen aramati kontrolliert werden. „A mbari has only one head, but many have several aramati “ (Middleton & Kershaw 1965: 49).
Vererbt wird Land nur innerhalb der Kern- oder der polygynen Familie. Die Söhne eines Landbesitzers haben Anrecht auf die gesamte Fläche, die von ihrer Mutter/ihren Müttern kultiviert worden ist. Bei ihrer Hochzeit nehmen die Söhne ihren Teil davon in Besitz. Folglich kommt die Übergabe auch schon während der Lebzeiten des Vaters vor. Die Witwen behalten ihren eigenen Anteil von dem Land, geben aber davon ihren Schwiegertöchtern Teile ab (Middleton & Kershaw 1965: 47). Insgesamt beschreiben Middleton und Kershaw das System der Vererbung wie folgt: „[...] individual members of a domestic family [...] acquire their holdings on the basis of descent from the father through the mother, by the use of a portion of her part of the githaka [...]“ (Middleton & Kershaw 1965: 50).
Da die Grenzen des Landes eines mbari festgelegt sind, müssen seine Mitglieder bei Expansion zusätzliches Land oder Bebauungsrechte auf fremden Land erwerben. Also zieht entweder ein Segment des mbari auf neu erworbenes Land um oder einige Mitglieder erwerben Bebauungsrechte auf dem Land eines anderen mbari (Middleton & Kershaw 1965: 50). Die Ersteren gründen hiermit ihren eigenen mbari, die Letzteren bleiben ihrem mbari zugehörig. Die Autoren führen drei Formen der Landpacht an: 1. muguri: Jemand, der einem Landbesitzer Nutztiere leiht und dafür Bebauungsrecht erhält, 2. muhoi, 3. muthami (Middleton & Kershaw 1965: 50 f.). Im Allgemein stimmen Middleton und Kershaw bei der Beschreibung von der Bedeutung des Landes und der Verknüpfung mit dem mbari mit Kenyatta überein. Jedoch finden wir bei Kenyatta keine Angaben darüber, dass häufig auch mehrere aramati für einen mbari verantwortlich sein können. Das System der Vererbung differiert in der Beschreibung von Middleton und Kershaw ebenfalls zu der von Jomo Kenyatta. Bei Kenyatta erhalten die Söhne bei ihrer Hochzeit von ihrem Vater Land, das sich aber nicht in ihrem Privatbesitz befindet. Bei dessen Tod wird das gesamte Land des Verstorbenen an seinen ältesten Sohn vererbt, der dies als Treuhänder für seine Brüder verwaltet. Darüber hinaus erwähnt Kenyatta auch nicht, dass die Witwen etwas von ihrem Anteil an ihre Schwiegertöchter abgeben. Bei Knappheit des Landes ziehen laut Kenyatta nur die wohlhabenderen Mitglieder eines mbari fort, um auf erworbenen Land ihren eigenen mbari zu gründen. Im Gegensatz zu Middleton und Kershaw ziehen also nur einzelne Mitglieder und eventuell deren Kernfamilie um und nicht ganze Segmente des mbari. In Facing Mt. Kenya beschreibt Kenyatta auch nur zwei Formen der Landpacht: der muguri existiert bei ihm nicht.
4.4 L. S. B. Leakey: The Southern Kikuyu before 1903
Diese Monographie ist von allen, die ich vorgestellt habe, am besten mit Facing Mt. Kenya zu vergleichen. Sie ist zwar erst 1977 erschienen, aber schon 40 Jahre früher vollendet worden. So sind beide Arbeiten vor dem gleichen zeitlichen Hintergrund und Einfluss entstanden. Außerdem ist Leakey genau wie Kenyatta bei den Kikuyu geboren und aufgewachsen. Kikuyu spricht er nach eigenen Angaben eben so gut wie Englisch (Leakey 1977: XI). Der einzige Unterschied zwischen den beiden Autoren ist, dass Kenyatta ein Kikuyu ist und Leakey Brite. Als Konsequenz stellte es für ihn ein Problem dar, detaillierte Informationen über alle Bereiche der Kikuyu- Kultur zu sammeln. Jedoch erklärten sich einige Ältesten bereit ihn in die Geheimnisse einzuweihen, da das Ziel seiner Arbeit die Bewahrung der Kikuyu- Tradition für die nachfolgenden Generation war. „I pointed out that inevitable changes were accompaying European civilisation and education, and a great many of ancient rites and ceremonies had already ceased to be practised“ (Leakey 1977: XI).
Die Kikuyu Bezeichnung für Landbesitz ist gitahka. Das Land kaufen die Kikuyu entweder von den Ndorobo oder von anderen Kikuyu, die Vieh für die Bezahlung von beispielsweise Blutgeld oder des Brautpreises benötigen (Leakey 1977: 105). Der Käufer von Land wird als mwathi, Herrscher über das Land, bezeichnet. Zu seinen Lebzeiten ist dieses Land in seinem alleinigen Besitz. „[...] he alone had the right of disposal of a part, or the whole, of the estate“ (Leakey 1977: 109). Nach dem Tod des Originalbesitzers geht das Land über in den gemeinsamen Besitz seiner Söhne und männlichen Nachkommen, „who, with their families, were now recognised as a sub-clan (mbari), and the land that passed jointly to these male descendants became known from then on as the estate (githaka) of the sub-clans“ (Leakey 1977: 110).
In dem Fall allerdings, dass der Landbesitzer vor seinem Tod eine bestimmte Fläche des Landes einem seiner Söhne zugeteilt hat, ist dieses Land dessen Privatbesitz und nicht Besitz des mbari. In der Praxis ist es aber laut Leakey sehr selten, dass ein Mann seinen Söhnen direkt Land übergibt. Alles Land, das zu dem Zeitpunkt des Todes des Orginialbesitzers von einem Mitglied des mbari kultiviert worden ist, bleibt im Besitz des Nutzers, „though he could not claim anything more than the prior right to cultivate it“ (Leakey 1977: 110). Zeitweise brachliegendes Land (ngamba) wird den Kindern der Frau übertragen, die vorher der Besitzer dieses Feldes (mugunda) gewesen ist. Ein Treuhänder verwaltet alles Land, das nie kultiviert worden ist oder so lange brach gelegen hat, das es nicht mehr vom Busch zu unterscheiden ist. Jedes Mitglied, das unkultiviertes Land bebauen möchte, muss den Verwalter um Erlaubnis fragen. Außerdem kontrolliert der Treuhänder, ob jedes Mitglied des mbari ausreichend Land für seine Bedürfnisse hat (Leakey 1977: 111).
Da die Anza hl von Personen, die ein githaka ernähren kann, begrenzt ist, müssen einige Mitglieder des mbari den githaka verlassen. Meistens ziehen die wohlhabenden Mitglieder freiwillig als erstes fort, „since it was the ambition of every Kikuyu to found a sub-clan of his own“ (Leakey 1977: 113). Weniger wohlhabende Mitglieder verlassen das mbari -Land, um auf fremden Land Pächter, muhoi oder muthami, zu werden. Dies tun sie meist in der Hoffnung bald reich genug zu sein, um eigenes Land zu kaufen (Leakey 1977: 114).
Wie schon anfänglich vermutet, stimmen Leakeys Ausführung bis auf wenige Ausnahmen mit denen von Kenyatta überein. Insgesamt ist Leakey viel ausführlicher. Seine Arbeit hat einen Umfang von drei Volumen à rund 500 Seiten, wohingegen sich Facing Mt. Kenya auf etwa 300 Seiten beläuft. Schon aus Gründen das Platzes konnte Kenyatta also vergleichsweise weniger detailliert arbeiten. Weiterhin lässt sich der Unterschied auch mit Leakeys Eingrenzung auf die südlichen Kikuyu erklären. Kenyatta ist zwar selber im Süden aufgewachsenen, dennoch schreibt er über die gesamte ethnische Gruppe. Folglich muss er regionale Einzelheiten größtenteils generalisieren oder weglassen. Aus diesem Grund bezeichnet er das Feld mogonda, und nicht mit dem südlichen Ausdruck mugunda wie Leakey. Der Begriff mwathi hat bei Kenyatta ein vollkommen andere Bedeutung: er bezeichnet Jäger und Buschmänner (Kenyatta 1965: 314). Die Bezeichnung ngamba für brachliegendes Land ist hingegen in Facing Mt. Kenya nicht wieder zu finden.
5.Schlusskapitel: Bewertung als ethnologische Quelle
In den vorherigen Kapitel habe ich versucht das Buch Facing Mt. Kenya von Jomo Kenyatta unter besonderer Berücksichtigung des Thema „Landbesitz“ zu analysieren. Leider konnte ich nicht ausführlich auf jedes Detail eingehen, da es sonst den Rahmen meiner Arbeit gesprengt hätte. Bedauerlich ist vor allem, dass ich trotz langer Literaturrecherche keine Rezension über Facing Mt. Kenya finden konnte. So kann ich mich in der folgenden Bewertung nur auf meine eigenen Befunde stützen. Nach intensiver Beschäftigung mit Facing Mt. Kenya und dem Vergleich mit vier Forschungsarbeiten bin ich zu dem Schluss gelangt, dass es sich bei diesem Werk durchaus um eine wertvolle ethnologische Quelle handelt. Der Vergleich bestätigt die Authentizität der Fakten, die Kenyatta in seinem Buch anführt. Unterschiede sind meines Erachtens größtenteils auf unterschiedliche Entstehungszeiten und regionale Variationen zurückzuführen. Auch Kenyattas Ausgangslage wirkt hier mit hinein. Bei den anderen Autoren handelt es sich fast ausschließlich um Europäer, die eine ganze andere Annäherungsweise an das Thema haben. Ob diese objektiver ist, ist meiner Meinung nach fragwürdig. Vor allem Hobleys Arbeit macht klar, das auch Außenstehende eine Kultur subjektiv bewerten, beeinflusst durch ihre Erziehung, Nationalität und dem zeitlichen Hintergrund.
Dasselbe gilt natürlich auch für Kenyattas Monographie. Als Zugehöriger zu der untersuchten ethnischen Gruppe ist es einerseits fraglich, ob er neutral und ohne zu werten über Tradition und Kultur berichten kann. Andererseits hat er im Gegensatz zu fremden Forschern den Vorteil, ein größeres Wissen über Rituale, Zeremonien und Geheimnisse zu besitzen und aus eigener Erfahrung sprechen zu können. Sogar Leakey, der unter den Kikuyu aufgewachsen ist, konnte sich teilweise nur auf Erzählungen der Ältesten stützen.
Wie Jomo Kenyattas Biographie zeigt, war er sehr stark mit dem afrikanischen Freiheitskampf verbunden. Sein Buch entstand zu einem Zeitpunkt, als er sich in England für die Kikuyu in der Landfrage einsetzte. Der Einfluss der Kolonialisierung und die Emotionen der unterdrückten Bewohner von Kenia prägten deutlich Kenyattas Schreibstil und somit auch das gesamte Buch. Um dies zu verdeutlichen, möchte ich ein Beispiel aus dem Kapitel über Landbesitz geben. Nachdem Kenyatta das System des Landbesitzes erklärt hat, beschäftigt er sich mit den Auswirkungen der Kolonialisierung auf das traditionelle System des Landbesitzes.
„In other words, it was a man’s pride to own a property and his enjoyment to allow collective use of such property. This sense of hospitality which facilitated the communal use of almost everything, has been mistaken by the Europeans who misinterpreted it by saying that the land was under communal or tribal ownership, and as such the land must be mali ya serikali, which means Government property. Having coined this new terminology of land tenure, the British Government began to drive away the original owners of land“ (Kenyatta 1965: 27).
Auf diese Weise geht Kenyatta in seiner gesamten Arbeit vor. Erst erläutert er die verschiedenen Aspekte der Kikuyu-Tradition und dann inwiefern diese durch den europäischen Einfluss verändert bzw. zerstört worden sind. Folglich gewinnt man den Eindruck, Kenyatta habe sich dieser wissenschaftlichen Arbeit bedient, um die gebildeten Kikuyu gegen die britische Kolonialherrschaft aufzuwiegeln. Eine Aussage von Godfrey Muriuki verstärkt diesen Verdacht. Am Anfang seines Buches erzählt Kenyatta ausführlich die Abstammungslegende der Kikuyu, mit Gikuyu und seiner Frau Mumbi als Gründereltern. Muriuki jedoch meint:
„The myth of Mbari ya Mumbi was only relevant when it was vital to foster solidarity and unity wihtin the Kikuyu community. This usually occurred in times of deep internal crisis, or when faced by external threats“ (Muriuki, Godfrey 1974: 113).
Auffällig in diesem Zusammenhang finde ich, dass Kenyatta in seiner Arbeit selten über regionale Unterschiede der Kikuyu spricht. Die Heterogenität der Kikuyu wird vor allem bei H.E. Lambert deutlich: er beschreibt das soziale und politische System der Kikuyu mit Berücksichtigung der starken regionalen Variationen7. Die Kikuyu in Embu und Meru unterscheiden sich dabei am deutlichsten von den anderen. Auf der anderen Seite geht Kenyatta ausführlich, teilweise mit Hilfe von Vergleichen mit europäischen Traditionen, auf die Kultur der Kikuyu ein, als würde er sie Außenstehenden erklären. Des weiteren verwendet er geprägt durch seine westliche Bildung europäische Begriffe wie Staat, Souveränität, Legalität, Wirtschaft und Kirche. Dies wird von Malinowski im Vorwort von Facing Mt. Kenya kritisiert: „[...] it might have been better not to introduce a somewhat misleading and quite superflous simile, and to describe the condition in terms of concrete detail (Kenyatta 1965: XII).
So entsteht konträr der Eindruck, das Buch sei für Europäer geschrieben, um sie für die Thematik zu sensibilisieren und ihnen zu verdeutlichen, was für ein Unrecht den Kikuyu getan wird.
Aus diesem Grund sollte man bei der Verwendung von Facing Mt. Kenya als ethnologische Quelle auf keinen Fall die Motivation Kenyattas, dieses Buch zu schreiben, vergessen. Für einen korrekten Gebrauch empfehle ich unterstützend und vergleichend andere Arbeiten zu benutzen. Wie meine Gegenüberstellung zeigt, kommt man auf diese Weise zu einer umfassenden Übersicht, da sich die verschiedenen Werke gut ergänzen.
Forschungsbedarf sehe ich vor allem in der Haltung Malinowskis zu dem Buch.
Abgesehen von der Kritik über die Verwendung der europäisch geprägten Begriffe lobt er Facing Mt. Kenya als bedeutende Arbeit. Sogar die Kritik an der britischen Kolonialregierung empfindet er als angebracht: „Any African bias contained in them is all to the good“ (Kenyatta 1965: XI). Diesen Standpunkt finde ich erstaunlich, da es sich bei Malinowski um einen Befürworter des Kolonialismus handelt (Spencer 1997: 1 f.).
6.Glossar
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
7.Literaturverzeichnis
- Amershi, Badrudin (1983): State, Ethnicity and Class Formation. The Case of Kenya. Unveröffentlichte Dissertation. Universität Bielefeld.
- Baumann, Hermann (Hrsg.) (1979): Völker Afrikas. Bd. 1. Wiesbaden: Franz Steiner Verlag GmbH.
- Bauman, Hermann; Thurnwald, Richard & Westermann, Dietrich (1940): Völkerkunde von Afrika. Essen: Essener Verlagsanstalt GmbH.
- Berg-Schlosser, Dirk (1984): Tradition and Change in Kenya. Paderborn/München/Wien/Zürich: Ferdinand Schöningh.
- Brockhaus Enzyklopädie (1990): Artikel „Kenyatta“ (19. Auflage). Bd. 11. Mannheim: F.A. Brockhaus GmbH.
- Browen, Rich: Mzee Jomo Kenyatta. In: http://www.rcbowen.com/kenya/government/kenyatta.html. Stand 09.06. 00. Abgerufen am 13.02.01.
- Cavicchi, Edmond (1977): Problems of Change in Kikuyu Tribal Society. Bologna: EMI.
- Hobley, Charles William (1971): Ethnology of A-Kamba and other East African Tribes. London: Frank Cass & Co. Ltd.
- Kenyatta, Jomo (1965): Facing Mt. Kenya. New York: Random House.
- Lambert, H.E. (1965): Kikuyu. Social and Political Institutions. London/New York/Toronto: Oxford University Press.
- Leakey, Louis S.B. (1977): The Southern Kikuyu before 1903. Bd. 1. London/New York/San Francisco: Academic Press.
- Mc Natt, Cameron: Jomo Kenyatta: Father of Kenyan Independence. In: http://www.calverton.pvt.k12.md.us/socialstudies/10th%20grade/cameron.htm Stand 09.06.00. Abgerufen am 13.02.01.
- Microsoft® Encarta® 98 Enzyklopädie (1993 - 1997): Artikel „Kenyatta, Jomo“ und „Kenia“.
- Middleton, John & Kershaw, Greet (1965): The Central Tribes of the North-Eastern Bantu. Bedford: Sidney Press Ltd.
- Modern History Source Book: Jomo Kenyatta: The Kenya Africa Union is Not the Mau Mau. In: http://www.fordham.edu/halsall/mod/1952kenyatta-kau1.html. Stand: Juli 1998 . Abgerufen am 13.02.01.
- Munzinger-Archiv/Internationales Biographisches Archiv - Personen aktuell (o.J.): Artikel „Kenyatta, Jomo“.
- Muriuki, Godfrey (1974): A History of the Kikuyu 1500 - 1900. Nairobi/London/New York: Oxford University Press.
- Muriuki, James (1974): Sozioökonomische und politische Entwicklungstendenzen in Kenia während der britischen Kolonialherrschaft. Bonn - Bad Godesberg: Verlag Neue Gesellschaft GmbH.
- Spencer, Jonathan: Post-colonialism and the political imagination. The Journal Of The Royal Anthopological Institute 1997: 1 - 20.
- Watts, T.A. (1962): Siedlungspläne in Kenya . Afrika Informationsdienst 1962: 3 - 5.
8.Abbildungsverzeichnis
- Abb. 1 Brockhaus Enzyklopädie (1990): Artikel „Kenyatta“ (19. Auflage). Bd. 11. Mannheim: F.A. Brockhaus GmbH, S. 600.
- Abb. 2 Berg-Schlosser, Dirk (1984): Tradition and Change in Kenya. Paderborn/München/Wien/Zürich: Schöningh, S. 271.
- Abb. 3 Kenyatta, Jomo (1965): Facing Mt. Kenya. New York: Random House, S. 2.
[...]
1 Kenyatta, Jomo (1965): Facing Mt. Kenya. New York: Random House.
2 Leider kann ich an dieser Stelle nicht ausführlich auf diese Arbeiten eingehen, da es den Rahmen meiner Arbeit sprengen würde. Unter Punkt 4 werde ich mich mit einigen Werken eingehender beschäftigen.
3 Die Quäker, eigentlich Society of Friends, glauben, dass sich Gott jedem Menschen persönlich und individuell offenbart. Sie bezeichnen das Wirken des Geistes auch als „Inneres Licht“, „Gottes Saat“ oder „Innerer Christus“.
4 Der Mt. Kenya ist für die Kikuyu die weltliche Ruhestätte von Ngai. Alle Gebete werden in Richtung des Berges verrichtet. Dies erklärt auch den Titel von Kenyattas Buch.
5 Die Beschneidung von Mädchen findet jedes Jahr statt, wohingegen es bei den Jungen eine Periode gibt, in der nicht initiiert wird. Folglich entstehen in manchen Jahren mariika, der nur Mädchen angehören.
6 Kenyatta erwähnt, dass in seltenen Fällen auch zwei Familien gemeinsam Land besitzen.
7 Ich bin unter Punkt 4 nicht näher auf Lambert eingegangen, da sich seine Arbeit ausschließlich mit dem sozialen und politischen System der Kikuyu beschäftigt und nicht auf den Landbesitz eingeht.
- Arbeit zitieren
- Irena Güttel (Autor:in), 2001, Werke afrikanischer Poltiker als ethnologische Aussagen. Jomo Kenyatta: Facing Mt. Kenya, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/104060
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