Zusammenfassung: Pieper, A., Gibt es eine feministische Ethik?
München 1998, cap 5
A. Pieper beschäftigt sich im 5. Kapitel ihres Buches mit der Frage der zwei Moralen: Moral der Gerechtigkeit und Moral der Fürsorglichkeit. Im ersten Teil geht sie der Frage Fürsorglichkeit versus Gerechtigkeit nach. Sie schließt sich der Meinung Carol Gilligans an, und referiert im folgenden Gilligans Ausführungen zur Moral. Auch sie plädiert, wie diese, daß die weibliche Fürsorgemoral und die männliche Gerechtigkeitsmoral als einander ergänzende Formen angenommen werden sollen. (S. 90)
(Ich möchte hier nicht auf weitere Ausführungen von Pieper über Gilligan eingehen, da jene das Werk in Kurzform darbringt, was wir im Reader auch tun.) Als Kritik äußert Pieper an Gilligan, daß sie keinen Weg bietet, wie im Konfliktfall ein Konsens zwischen den beiden unterschiedlichen Standpunkten erzielt werden kann, wenn jeder gemäß seiner Binnenlogik moralisch gerechtfertigt werden kann (S. 99). Was also macht die Einheit der Moralen aus und wie ist sie herstellbar? Gilligan kommt es darauf an, die Grenzen der eigenen Perspektive zu erkennen und damit zu einer unzuverlässigen Verengung und Einseitigkeit bei moralischen Urteilen entgegenzuwirken.
Als Fazit aus der Diskussion mit Gilligan zieht Pieper: „Es gilt somit zu lernen, den Blick auf die jeweils andere Moralperspektive zu fokussieren, um einerseits das (männliche) Vorurteil auszuräumen, zwischenmenschliche Beziehungen seien ein Hindernis für Autonomie und Unabhängigkeit, und andererseits dem (weiblichen) Vorurteil zu begegnen, das Streben nach Autonomie führe automatisch zu Isolation und Brutalität.“ (S. 100).
Im zweiten Teil widmet sie sich dem Pro und Contra in der Gilligan - Kontroverse. Uns ist es wichtig, sowohl positive als auch negative Aspekte der Gilligan - Analyse aufzuzeigen.
Seyla Benhabib hat in der Kontroverse Stellung für Gilligan bezogen. Für sie sind in der Moderne die männliche und weibliche Kompetenz streng getrennt: auf der einen Seite der der Gerechtigkeit verpflichtete autonome Mann, auf der anderen Seite die zum Zweck der Fürsorge in den Haushalt abkommandierte Frau. Benhabib ergänzt Gilligan, indem sie die historischen Wurzeln der in der Gegenwart vernehmbaren „anderen Stimme“ als das Echo jenes Befehls hörbar macht, den die Frauen unter dem Druck der Verhältnisse als ihr Über-Ich internalisiert haben.
Gudrun Nummer-Winkler versucht den Nachweis zu erbringen, daß die Zuordnung
von Moralorientierungen und Geschlecht nicht haltbar ist. Sie beruft sich darauf, daß Kinder sehr früh begreifen, daß in einer Gesellschaft bestimmte Regeln gelten, die allgemein und unabhängig von Autoritäten Gültigkeit haben. Diese Regeln, die überall Bedeutung haben, sind moralische Regeln. In ihren Tests urteilten sowohl Jungen als auch Mädchen aus beiden Moralperspektiven. Hierzu sagt Pieper, daß die Testergebnisse Nummer-Winklers nicht verwunderlich seien, da sie den männlichen Mythos von der einen Moral bestätigen, denn alle traditionelle Moral ist in der Wurzel männlich. Die weibliche Moral ist nur eine Erfindung von Männern, die Autonomie für sich zu reklamieren und den Frauen jene Tätigkeiten auftrugen, die eines Mannes nicht als würdig erachtet wurden.
Marilyn Friedmanns These nach werden die Geschlechter auf unterschiedliche Weise moralisiert. Sie ist der Meinung, daß die Übereinstimmung der meisten Frauen mit Gilligans Buch, ein Indiz dafür sei, daß sie „die symbolische moralische Stimme der Frau wahrgenommen und sie von der symbolisch männlichen losgelöst hat.“ (S. 104). Sie will damit zum Ausdruck bringen, daß Männer und Frauen mit unterschiedlichen moralischen Werten und Normen in Verbindung gebracht werden. Sie stimmt den Ergebnissen Gilligans also zu.
Nel Noddings versucht der traditionellen Prinzipienethik eine Ethik entgegen zu setzten, die auf dem weiblichen Prinzip der Eros basiert. Sie stellt die Idee der Beziehung in die Mitte ihrer Überlegungen und bezeichnet die beiden Bezugsgrößen als „Sorgenden-Teil“ und „Um sorgten-Teil“. „Eine auf dem Sorgen aufgebaute Ethik ist meines Erachtens dem Charakter nach feminin - was selbstverständlich nicht heißt, daß eine solche Ethik nicht auch von Männern geteilt werden kann.“ (S. 107) Wer aus dem Sorgeprinzip handelt, tut dieses weniger regelgeleitet und prinzipiengeleitet aus einem inneren Engagement für das konkrete, individuelle „ethische Selbst“, dessen jeweilige Situiertheit es zu berücksichtigen gilt. Gegen die Position Noddings argumentiert Sarah Lucia Hoagland. Sie ist der Meinung Noddings würde durch ihre Ausführungen nur das alte Rollenklischee bestätigen. Für Hoagland ist das Weibliche kein Gegenmittel zum Männlichen. Ihrer Meinung nach, muß das Stereotyp der bedingungslosen, opferbereiten und hingebungsvollen Liebe für den Umsorgtenteil in einer patriarchalen Gesellschaft ersetzt werden durch „die Sorge der Amazonen, welche die aus den Werten der Väter resultierenden Ungerechtigkeiten in Frage stellt.“ (S. 109)
Auch Marilyn Friedman stellt sich gegen Noddings. Sie betont, daß Fürsorglichkeit und Gerechtigkeit sich prinzipiell nicht ausschließen, sondern beide Perspektiven miteinander verträglich sind. Die Ausnutzung der Frauen muß in doppelter weise unterbunden werden. 1. Den Frauen ist ebenfalls ein Sinn für Gerechtigkeit zuzugestehen und 2. Die Männer müssen ihre vom Gerechtigkeitsprinzip abgekoppelten Vorstellungen der Sorge für andere revidieren. Andrea Maihofer geht juristisch an die Diskussion heran. Sie stellt fest, daß „aus einer geschlechtlichen Differenz eine menschliche Differenz wird, und aus einer menschlichen Verschiedenheit eine gesellschaftliche und rechtliche Ungleichheit.“ (S. 111) Maihofer untermauert ihre Kritik indem sie den Artikel 3 des Grundgesetzes der BRD anführt. Dieser Artikel wird in der Praxis so ausgelegt, daß die individuelle Verschiedenheit der Menschen für das Recht sekundär ist. Maihofers Pointe liegt nun darin, daß der allgemeine Gleichheitsgrundsatz die Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem verbietet, wohingehend wesentlich Ungleiches sogar ungleich behandelt werden muß. Hier wäre also die Möglichkeit einer legalen Ungleichbehandlung gegeben, vorausgesetzt diese beruht auf der Anerkennung menschlicher Verschiedenheiten. Ihr Fazit ist, daß „alle vor dem Gesetz gleich sind, aber gemessen wird diese Gleichheit am Wesen des Mannes, das unter ethischem Gesichtspunkt in unzulässiger Verallgemeinerung als Menschenwürde bestimmt wird.“ (S. 113) Es bedarf also eines nicht - hierachisierenden geschlechter - differenzierenden Rechts, das es der Frau erlaubt, als eigenständiges Rechtssubjekt ihre Rechte wahrzunehmen.
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- Kirsten Fricke (Autor), 2000, Feministische Theologie - A. Pieper, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/103793