Paul Boldt Auf den Spuren eines vergessenen Expressionisten
Zur Quellenlage
„ Expressionisten sind längst als Klassiker verbucht. Hoch thronen sie, die Olympier: Benn, Heym, Trakl, Werfel. Auch die Becher, Goll und Hasenclever sind schon zu Halbgöttern aufgerückt. Doch es drängelt sich immer noch eine erklekliche Schar in den Wartezimmern. Einer der Antichambristen heisst Paul Boldt. Er ist zu einer Fussnote der Literaturgeschcihte geworden. “
Es ist sehr schwer, etwas über Paul Boldt in Erfahrung zu bringen. Es existiert noch nicht einmal ein Foto von ihm. Es scheint sich auch niemand so recht für ihn zu interessieren, wenn er dennn mal erwähnt wird, nur mit ein oder zwei Sätzen, er ist nicht Grosses, kein Gott im Expressionistenhimmel, so die allgemeine Meinung. Das mag zum Teil daran liegen, dass man nicht viel über Boldt weiss, auch nicht viel über ihn in Erfahrung bringen kann, weil sein Nachlass (es ist von einem mysteriösen Koffer die Rede), bis auf zwei oder drei Postkarten als verschwunden gilt, er Zeit seines Lebens Kontaktängste hatte, er Einzelgänger war, und schliesslich noch nicht einmal sein Grab in Freiburg mehr existiert, da es 1974 eingeebnet wurde. Es wird in absehbarer Zeit keine Neuauflage seiner Werke geben. Die einzigen Quellen, die Aufschluss über sein Leben geben sind Unterlagen über arztliche Untersuchungen, Immatrikulationsunterlagen von Universitäten und Lazarettunterlagen der Armee. Paul Boldt ist so gut wie vergessen. Nur einige Werke über die Liteatur des Expressionismus handeln ihn noch ab, aber das beschränkt sich meistens auf ein, zwei Gedichte und ein paar Zeilen.
Sein Leben:
Paul Boldt wurde am 31.12. 1885 als Sohn eines kleinen Gutsbesitzers in Christfelde bei Kulen a.d. Weichsel in Westpreussen geboren. 1906 machte er sein Abitur ind Schwetz reiste nach München, um Philologie zu studieren. Nach 2 Semestern ist er dann nach Marburg a.d. Lahn gegangen, und schliesslich nach Berlin, wo er das Studium abbrach. Das offizielle Berufsziel seines Studium lautete Gymnasiallehrer, und war sehr breit gefächert: Neben Philologie besuchte er zahlreiche andere Veranstaltungen wie Psychologie, Kunstgeschichte, Ethnologie, Astronomie nud Parapsychologie. Doch in Berlin nahmen die Semesterstunden rapide ab, biss er schliesslich das Studium abbrach. Zu diesem Zeitpunkt wurde er finanziell schon lange nicht mehr von seinen Eltern unterstützt, sondern von seiner Halbschwester, die Geld von ihrem leiblichen Vater geerbt hatte. Was er nach Abbruch seines Studium getan hat, ausser Gedichte zu schreiben, bleibt im Dunkeln. Ob er einen Nebenjob hatte, oder vielleicht soziale Kontakte ist unklar.
Fest steht nur eins: Er fasste relativ schnell in der Berliner Literatenszene fuss, auch wenn er sich privat mit ihren Mitgliedern nicht abgab.
Im Sommer 1912, fast zeitgleich mit dem Studinabbruch, wurde sein erstes Gedicht in der „Aktion“ veröffentlicht, einer Zeitung, die 1911 folgendes Selbstverständnis formulierte: „Die Aktion tritt, ohne sich auf den Boden einer bestimmten Partei zu stellen, fûr die Idee der Grossen Linken ein“
Spätestens im Oktober 1912, als Boldt sein Gedicht Junge Pferde! Junge Pferde! Ind der „Aktion“ veröffentlichchte, war er im Gespräch. In dieser Zeit, wohl Boldts produktivster, nahm er an zahlreichen Autorenabenden teil bei denen er an der Seite von Gottfried Benn und Alfred Wolfenstein Gedichte rezitierte. Es gelang Boldt, im Laufe einiger Monate, aufzusteigen vom Niemand zu dem Mann, der Junge Pferde! Junge Pferde! geschrieben hatte. Anders kannten ihn seine Expressionistenkiollegen nicht, er wollte oder konnte sich mit niemandem anfreunden.
1913 dann wurde er Mitglied in den literarischen Cabarets „Gnu“ und „Die feindlichen Brüder“ und machte mit seinen Gedichtlesungen weiter.
1914 wurden einige seiner Werke als Band 11 einer 86 bändigen Reihe namens „Der Jüngste Tag“ veröffentlicht , in der u.a. auch Kafka, Benn, Werfel und Trakl veröffetnlicht hatten. Die Reaktionen auf die Gedichte in diesem Band waren offenbar so gut, dass Boldt einen eigenen Gedichtband, ebenfalls Junge Pferde! Junge Pferde! betitelt, veröffentlichen konnte. Er enthielt nebn einem „Best of Boldt“ auch 17 neue Gedichte. Die Reaktionen/Rezensionen auf den Gedichtband waren gut, und doch markeirt die Veröffetnlichung einen negative Wende im literarsichen Leben Boldts: Ab diesem Zeitpunkt liess die Anzahl seiner Veröffetnlicheung merklich nach, bis 1918, wo er schliesslich nicht mehr veröffentlichte. Veröffentliche er.in der ersten Jahreshälfte des Jahres 1911 noch 21 Gedichte, 1912 sogar ganze 25 (+17 neue in Junge Pferde! Junge Pferde!) waren es 1914/15 nur noch jeweils 9, 1916 zwei, 1917/18 sogar nur npch jeweils eins.
Man weiss nicht besonders viel darüber, was Boldt in dieser Zeit getan hat, doch aufgrund der Anzahl der Gedichte und ihres Inhalt lässt sich rüchschliessen, dass es Boldt nicht beonders gut gegangen sein muss. Um Marcel Reich-Ranicki zu zitieren:
„Was immer er schrieb, er war zu Bersten voll mit Empfindungen und Ängsten, mit Bildern und Gesichtern. Dieser Überschwang der Gefühle war es wohl, an dem er schliesslich zerbrach. Davon ist die Rede in Paul Boldts Gedicht In der Welt aus dem Jahre 1913. Welt? Grade dieses Wort wird in dem Gedicht ausgespart. Das hat schon seinen guten, sehr traurigen Grund: Hier spricht einer, dem die Welt abhanden gekommen ist und der an seine Ohnmacht und Ratlosigkeit leidet. Aber so schlecht ist es um diesen velorenen Menschen noch nicht bestellt. Denn es gelingt ihm, die denkbar knappste Formulierung zu finden: ‚Mein ich ist fort‘ „
Das einzige Ventil in dieser Zeit ist die Kunst. Und Boldt leidet an einer Kreativitätsblockade. Es muss schlimm um ihn gestanden haben, als die Armee mit einem Schlag alles verändert: Boldt wurde eingezogen. Im November 1915 fing er als Kanonier in der preussischen Armee an. 1916 wurde er, „obwohl er nicht im Felde gewesen“ ins Lazarett eingewiesen. Die Befunde ergeben einen „Verwirrungszustand“, ein „Nervenleiden“ , auf jeden Fall ist er arbeitsunfähig. Er wird entlassen. Es ist wahrscheinlich, dass Boldt tatsächlich ein Nervenlieden hatte, wenn man davon ausgeht, das die preussische Armee bestimmt nicht jeden zarbesaiteten Soldant gleich entlässt.
Es ist nachvollziehbar, dass Boldt nicht mit der Armee zurechtgekommne ist: Er befindet sich auf emotionaler Achterbahnfahrt, kommt kaum mit sich slebst zurecht und versucht wieder in sein Leben als freier Schrfitsteller (ohne sonstige Tätigkeit) zu finden, ein solcher Mann soll eine gedrilleter Soldat in einem Weltkrieg, dessen Anfangseuphorie längst verpufft war, werden? Das ist eine schwere, für Boldt sogar unmögliche Umstelleung gewesen.
Doch Boldt machte weiter: 1918 fing er, mit finanzieller Hilfe seiner Eltern, ein Medizinstudium an. 1920 verliess er Berlin, um sich von seiner Dichtertätigkeit abzuwenden und setze sein Studium in Freuburg im Breisgau fort. Doch bevor er seinen Studienort wieder wechseln kan, diesmal nach Ostpreussen, wird er mit einem Leistenbruch in die Chirugische Klinik in Freiburg i. Br. eingeliefert Er lässt sich dort mit örtlicher Betäubung operieren und soll dabei „interesiert zugesehen“ haben. Die Operation selbst verlief ohne Komplikationen, doch als Boldt dass erstemal danach aufstand, starb er an einem Blutgerinsel im Herzen. Das war am 16. März 1921.
Zwei seiner Gedichte:
Der Dichter
Die Anlitzlast auf seinen Schädelknochen,
Wie ein Museum, und die Schmerzen hängen,
In grossen Augen, blicklos und gebrochen,
Und in dem Mund, verzerrt von Gesängen.
Es kommt heraus, Dunkles des Blutes, quillt
Er wird wahnsinnig aus Liebhaberei.
Sein Mund geht lüstern Er lächelt wild.
Hinter die Zähne bergend seinen Schrei.
Könnte dies eine Selbstreflektion Paul Boldts sein? Oder eine Abrechnung mit seinen
Kollegen?
Der Frauentod
Der Tod umarmt mich in den warmen Frauen.
Beischlaf erregt, zersetzt die Moleküle.
Ich wandre durch Provinzen der Gefühle
Der Freude ab und komme in das Grauen.
Dich, Dirne, macht die Naktheit anlitzschön.
Heilliges Fleisch steht auf den Knien im Haar.
Ich liege bei dir, lächelnd, am Altar,
Dem Tod entrückt auf deiner Brüste Höhen.
Aber nach Umarmungen, nach allem
Durchscheinen jedes Fleisch die hellen Knochen.
Die Musklen schimmern am Skelett, zerfallen.
Ich sterbe. Niemand hat zu mir gesprochen.
Irrsinnig lasse ich mich sagen, lallen,
Und fühle dich vor Blut und Brüsten kochen.
Dies ist eines der Gedichte, die Boldt den Ruf eines „erotischen“ Dichters eingetragen haben.
Es handelt zwar hauptsächlicn vom Verfall des menschlichen Körpers, doch ist es eines seiner typischen erotitschen Gedichte. Boldt war einer der wenigen, die sich offen dazu bekannten, dass sie zu Prostituierten gingen.
- Citation du texte
- Jan Fischer (Auteur), 2000, Boldt, Paul - Auf den Spuren eines vergessenen Expressionisten #, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/103706