In diesem Sammelband beleuchten die Autor*innen durch Interviews und Gespräche, Reiseberichte, Essays, Vorträge und Aufsätze die kulturreiche Gegend, die zwischen Belluno und Venedig zu finden ist.
Somit entsteht ein facettenreiches Bild der heutigen Auseinandersetzung der Fachleute mit dem Kulturgut der Region. Denn die Beiträge zeigen, wie das kulturelle Erbe auf eine faszinierende Weise zwischen Tradition und Innovation aufbewahrt werden kann.
Das Heft ist sowohl für ein breites Publikum als auch für wissenschaftliche Studien gedacht.
Inhaltsverzeichnis / Indice
Vorwort / Prefazione
I. Menschen, Geschichten und Emotionen zwischen den Alpen und der Lagune / Incontri, sapori e racconti fra vette alpine e laguna
Im Gebirge / In montagna: emozioni, sapere antico ed archeologia
Erlebnisse und Betrachtungen / In collina: vini scelti, palazzi e ville
Venedig und die Kunst – Gespräche / In laguna: discorsi di arte
II. Kunst und Kultur zwischen den Alpen und der Lagune / Dalle vette alpine alla laguna. Conservazione, valorizzazione, creatività culturale
Elena Filippi
Wilhelm Senoner: Leben am Gebirgskamm – Künstlerische Erfahrungen
Giacomo Mazzorana
Das neue Diözesanmuseum von Feltre und Belluno
Michele Vello
Andrea Ferrara, Pietro da Formicano und andere Stichwaffenschmiede. Eine kurze Einführung in die Geschichte der Degen von Belluno
Elena Filippi
Der deutsche Weg zu Palladio im frühen 20. Jahrhundert – Fritz Burger und sein Einfluss auf die Studien zur Architektur- und Kulturgeschichte des Veneto
Giuliana Scotto
Eine Brücke in Form eines Rückgrats – Die Verfassungsbrücke von Venedig
Elena Filippi
Poetry: A Glass Garden – Installation und Ausstellung von Marco Nereo Rotelli, Palazzo Sagredo und Campo Santa Sofia, Venedig Kunstbiennale 2019
Vorwort / Prefazione
Das vorliegende Magazinheft über das Gebiet zwischen den Dolomiten und Venedig ist an der Universität Siegen von italienischen und deutschen Studierenden und Lehrenden in Verbindung mit Fachleuten aus der Region Veneto erstellt worden. Die als Kultur- und Übersetzungsprojekt angelegten Veranstaltungen der Philosophischen Fakultät fanden im Sommersemester 2015, 2018, 2019 und 2020 sowie im Wintersemester 2019/2020 statt. Dieses Heft wurde schließlich in ein Paket von italianistischen Projekten des Sprachenzentrums der Universität Siegen aufgenommen und vom italienischen Ministero degli Affari Esteri gefördert. Aus der bewussten Auseinandersetzung sowohl mit der populären Kultur als auch mit der klassischen Kunst und Kultur des Veneto sind die beiden Teile dieses Heftes entstanden: „ Menschen, Geschichten und Emotionen zwischen den Alpen und der Lagune” / „ Incontri, sapori e racconti fra Alpi e laguna “ sowie „ Kunst und Kultur zwischen den Alpen und der Lagune” / „ Dalle vette alpine alla laguna. Conservazione, valorizzazione e creatività culturale”.
Geografisch hat sich das Projekt auf die Gegend zwischen dem Cadore und Venedig konzentriert. Damit folgen wir in etwa der Route des Renaissance-Malers Tizian, der aus dem Cadore stammte und als jünger Künstler von den Dolomiten nach Venedig auswanderte. Innerhalb des Cadore wurde dann im Laufe von mehreren Aufenthalten der Herausgeberin die von der ladinischen Kultur geprägte Gegend zwischen Colle Santa Lucia und Selva di Cadore eingehender betrachtet. So wie der junge Tizian von den hohen Bergen durch sanftere Hügellandschaften bis nach Venedig gewandert ist, führen unsere Texte über zahlreiche bekannte Weinorte am Ende bis hinein in die Lagunenstadt.
Dr. Richard Brütting, Prof. Elena Filippi, Dr. Ruggero Gianfelici, Museumsdirektor Don Giacomo Mazzorana, Dr. Giuliana Scotto und Dr. Michele Vello revidierten für uns vorhandene Beiträge oder fertigten neue Aufsätze für unsere Veranstaltungen an. Donatella De Mattia, Prof. Dr. Joseph Imorde, Moreno Kerer, Mirko Lorenzini, Piero Lorenzini, Vito Nicolai und Dr. Giuliana Scotto standen dankenswerterweise für Gespräche mit den Studierenden und der Herausgeberin immer wieder zur Verfügung. Viktoria Ehrmann, Fiammetta Niccolai, Tobias Reiser und Stefan Metz übersetzten die Interviews ins Deutsche; Dr. Susanne Gramatzki und Dr. Richard Brütting lektorierten die ersten universitätsinternen Manuskriptfassungen, die Endredaktion der Übersetzungen übernahm Prof. Dr. Christoph Oliver Mayer. Schließlich trugen Dr. Richard Brütting, Prof. Dr. Joseph Imorde, Hasnaa Lahrach, Cesare Masarei, Karl Metz, Dr. Alessandro Nicolai, Vito Nicolai und Dr. Giuliana Scotto zur fotografischen Ausgestaltung bei. Vor Ort fanden sich viele Ratgeber, die bei den Gesprächen und der Materialsuche hilfreich waren, darunter Prof. Don Sergio Sacco, Leiter des Istituto Bellunese di Ricerche Sociali e Culturali, oder das Museo Vittorino Cazzetta in Selva di Cadore und das Istitut Cultural Ladin Cesa de Jan in Colle S. Lucia. An dieser Stelle möchte ich mich bei allen ganz herzlich für ihre Mitarbeit bedanken. Donatella de Mattia vom Centro Turistico Thule in Selva di Cadore und der Holzkünstler Umberto Kerer aus Colle Santa Lucia förderten die erste, interne Druckfassung. Mögen unsere Freunde aus dem Veneto ihre Bilder und Erzählungen in unserem Magazinheft zu ihrer Zufriedenheit wiederfinden sowie unsere erhofften Leser diese Region mit der gebührenden Aufmerksamkeit neu begegnen.
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Concludendo un lavoro che all’università di Siegen ha impegnato studenti, docenti e consulenti esterni, desidero sottolineare quanto l’incredibile ricchezza del territorio veneto abbia potuto colpirci. Così, interagendo con i nostri colleghi ed esperti in loco, è nata la presente scelta di temi e testi specifici in lingua italiana, poi tradotti in tedesco. Le due parti del lavoro ambiscono a dare un’idea, seppur modesta, della varietà di paesaggi, eredità storiche, artistiche, linguistiche, che si intersecano sul territorio veneto da più secoli, dando vita ad un sincretismo particolare di Cultura, di Arte e di Vita.
Nel tempo ristretto di cinque semestri universitari non era possibile condurre a termine una presentazione di tutte le province del Veneto, per questo il perno ideale del lavoro è dato da Tiziano Vecellio, forse il cadorino più famoso, che partito dalle montagne bellunesi e arrivato a Venezia, ne fece il centro del suo operare artistico durante l’alto Rinascimento. La linea che dal Cadore porta a Venezia, con un’escursione nel vicentino, costituisce pertanto la zona circoscritta delle nostre ricerche. Del Cadore è stata poi focalizzata la zona di cultura ladina, sita tra Colle Santa Lucia e Selva di Cadore.
Senza la grande disponibilità di colleghi, consulenti e amici veneti questo lavoro non sarebbe mai stato possibile, vanno qui pertanto calorosamente ringraziati gli autori che ci hanno fornito gli articoli (Herr Dr. Richard Brütting, la Prof. Elena Filippi, il Dott. Ruggero Gianfelici, il Direttore di Museo Prof. don Giacomo Mazzorana, la Dott.ssa Giuliana Scotto e il Dott. Michele Vello), nonché tutti coloro che hanno accettato di essere intervistati (Donatella De Mattia, Prof. Dr. Joseph Imorde, Moreno Kerer, Mirko Lorenzini, Piero Lorenzini, Vito Nicolai). Frau Dr. Susanne Gramatzki e Herr Dr. Richard Brütting rilessero diverse volte le bozze in tedesco, il secondo impartendo anche due workshop di traduzione all’università, la redazione finale delle traduzioni è stata curata dal Prof. Dr. Christoph Oliver Mayer. Gli studenti Viktoria Ehrmann, Fiammetta Niccolai, Tobias Reiser, Stefan Metz tradussero i testi italiani qui presentati in tedesco. La raccolta fotografica si deve al Dr. Richard Brütting, a Hasnaa Lahrach, Karl Metz, Dr. Alessandro Nicolai, Vito Nicolai, Dott.ssa Giuliana Scotto e alla sottoscritta. Diverse persone ed enti locali hanno infine coordinato le interviste o aiutato a reperire materiali (il Prof. Don Sergio Sacco dell’Istituto Bellunese di Ricerche Sociali e Culturali, il Museo Vittorino Cazzetta di Selva di Cadore, l’ Istitut Cultural Ladin Cesa de Jan di Colle S. Lucia). Donatella De Mattia del Centro Turistico Thule di Selva di Cadore e l’artista ladino Umberto Kerer di Colle Santa Lucia, aiutarono la produzione della prima fase di lavoro. A tutti va il nostro più sentito ringraziamento. Speriamo infine che gli autori si ritengano ben tradotti e che questo modesto progetto possa indurre lettori e viaggiatori a rifocalizzare l’incredibile varietà culturale di questo territorio.
Grazia Dolores Folliero-Metz
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Belluno: Prof. don Sergio Sacco mit der Herausgeberin (Karl Metz)
I. Menschen, Geschichten und Emotionen zwischen den Alpen und der Lagune / Incontri, sapori e racconti tra vette alpine e laguna
Im Gebirge / In montagna: emozioni, sapere antico ed archeologia
Die Region „Bellunese” bzw. die Provinz Belluno verfügt über eine reiche landschaftliche, kulturelle und nicht zuletzt archäologische Vielfalt. Die folgenden Gespräche führen uns zunächst ein in die Schönheiten der Natur und die lokalen kulturellen Bräuche; dann wird uns vom sensationellen Fund der 1980er Jahre berichtet, der des mumifizierten paläolitischen Jägers, des sogenannten ‚Mannes von Mondeval‘ (ca. 7.000 v. Chr.).
Ein Gespräch mit zwei Unternehmern aus der Tourismusbranche / Un colloquio con Mirko e Donatella, due operatori turistici
Seit wann sind Sie 1 im Tourismusgewerbe der Gegend, d.h. in Selva und Umgebung, mit dem Skigebiet Civetta tätig?
Der Tourismus fand bis die 1960er/70er Jahre nur im Sommer statt und war sehr nebensächlich. Man engagierte sich in der Landwirtschaft und nutzte den Wald, um Holz zu verkaufen. Von daher wanderten viele junge Leute nach Amerika und Australien aus. Die 80er Jahre bedeuteten eine Wende für das Tal: Die Auswanderer kehrten zurück und fingen an, in den Tourismus zu investieren. Beispielsweise wurden das Tourismuszentrum Thule (mit Wohnungen und Hotel) und die ersten Bergbahnen des Skigebiets Civetta gebaut. Mit den Jahren ist es, mit seinen 80 Pistenkilometern, zum größten Skigebiet Venetiens geworden und gehört zum berühmten Skiverbund Dolomiti SuperSki.
Was für ein touristisches Angebot zeichnet Sie aus, in einem an Angeboten so reichen Gebiet?
Das Tal, im Herzen der Dolomiten, stellt ein breites touristisches Angebot zur Verfügung. Die mehr als 7.000 Jahre alte Mumie des Mannes von Mondeval und die am Fuße des Monte Pelmo aufgefundenen Fußabdrücke von Dinosauriern unterscheiden zweifellos Selva di Cadore von den nahen Fremdenverkehrsorten.
Das Skelett des Mannes von Mondeval und die Abdrücke der Dinosaurierspuren werden im Museum Vittorino Cazzetta ausgestellt. Ferner kann man die Ausgrabungsstätte, an der diese wichtigen Funde entdeckt wurden, auf Ausflügen besuchen.
Im Ortsteil Colle Santa Lucia können die alten Bergwerke von Fursil, im Naturpark von Serrai di Sottoguda ein Canyon, in Lagazuoi – Col di Lana – 5 Torri die Stätten des Ersten Weltkriegs besichtigt werden. Außerdem kann man das Museum Marmolada Grande Guerra 2 besuchen.
Welche Touristen empfangen Sie am meisten? Italiener oder Ausländer? Jüngere oder ältere Leute? Familien, Singles oder Gruppen?
Die Besucher des Tals kommen aus Italien – vor allem aus Norditalien – oder aus anderen Ländern Europas. Da das Tal ein sehr ruhiges Reiseziel ist, wird es insbesondere von Familien mit Kindern, Älteren und Paaren gewählt, die auf der Suche nach Entspannung sind.
Was für sportliche Aktivitäten bieten Sie an?
Im Winter treibt man am meisten Alpinski, aber es gibt auch eine Langlaufloipe, Wanderwege durch die Ciaspole, Möglichkeiten zum Eisklettern und eine Trasse für Skiwanderungen.
Im Sommer gibt es ein Wanderprogramm, das für Wanderer aller Niveaus geeignet ist. Zur Verfügung stehen Ausflüge über den Marmolada -Gletscher oder die Klettersteige auf den Monte Civetta, Monte Pelmo, Monte Averau usw. Außerdem können Sie Fels klettern mit Bergführern oder Radtouren mit dem Mountainbike unternehmen. Eine Alternative dazu ist es, den Dolomitenpass auf dem Sattel eines Fahrrads zu überqueren, genau wie beim Giro d’Italia.
Welche Naturschönheit würden Sie empfehlen, die wir in der Nähe sehen müssen?
Das Berggebiet vom Monte Pelmo bis Croda da Lago gehört zum ersten Dolomiten-System, das die UNESCO als Welterbe anerkannt hat. Wir empfehlen ein Trekking auf der von diesen zwei Dolomitengipfeln eingefassten Hochebene von Mondeval.
All diejenigen, die nicht so gern wandern, können nach Passo Giau mit dem Auto fahren und einen 360-Grad-Rundblick über die Dolomiten genießen.
Die Gola dei Serrai di Sottoguda kann man auch besuchen! Sie liegt am Fuße der Marmolada, nur wenige Kilometer von Selva di Cadore entfernt. Dieser ein paar Kilometer lange Naturpark zeichnet sich durch zahlreiche Wasserfälle aus, die von den hohen Wänden der Schlucht hinabstürzen. Im Winter gefrieren sie, und man spürt eine märchenhafte Atmosphäre.
Welcher historische Schatz ist in Ihren Breiten besonders relevant?
In der Nähe von Selva di Cadore, im Gebiet von 5 Torri – Lagazuoi – Marmolada, wurde vor 100 Jahren der Erste Weltkrieg geführt. Heute gibt es viele Museen, Schützengräben und die damaligen Geschützstellungen zu besichtigen.
Ein weiterer historischer Ort ist das Dorf L’Andria. Hier kann man die Architektur der alten Heuschober und der ehemaligen Häuser bewundern. In diesem Dorf kann man Trockenräume für die Feldfrüchte, typische Kirchen des Alpengebiets, eine Mühle und viele Einzelheiten des bäuerlichen Lebens, wie sie typisch für die Bevölkerung von Selva bis in die frühen 1960er Jahre hinein waren, anschauen.
In Colle Santa Lucia können Sie die Fursils -Bergwerke besichtigen, aus denen seit langem Eisenerz gewonnen wurde.
Welche typische Spezialität würden Sie empfehlen?
Das typische Gericht von Selva di Cadore heißt „ Casunziei “ und besteht aus gefüllten Ravioli, italienischen Teigtaschen mit einer Füllung aus roten Rüben und Kartoffeln. Es wird mit geräuchertem Ricotta und geschmolzener Butter serviert. Einst bereitete man dieses Gericht an Feiertagen zu. Weitere traditionelle Spezialitäten sind Kartoffelklößchen, Knödelsuppe, Gerstensuppe oder Polenta mit Wildbret (Reh- oder Hirschfleisch). Als Dessert gibt es die Fuoierostide, das sind Krapfen aus feinem Blätterteig, die zum Karneval oder bei den Hochzeiten zubereitet werden.
Hat der Tourismus negative Auswirkungen auf die Umwelt, hinsichtlich Flora, Fauna und Klima?
Die große Menge von Touristen, vor allem während der Hochsaison, kann Flora und Fauna schon belasten. Die 2009 vollzogene Aufnahme der Dolomiten in die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO hat aber einen Beitrag zu einem stärkeren Umweltschutz geleistet. Auf diese Weise sind Selva di Cadore und die Umgebung ein umweltschonendes Naturparadies geworden.
Worauf möchten Sie noch einmal hinweisen?
Wenn Sie auf der Suche nach Erholung sind, um vom Chaos der Stadt abzuschalten, ist diese Zone Ihr Ansprechpartner! In unserem Tal werden Sie überall atemberaubende Panoramen sehen. Mit einem Bier in der Hand werden Sie die beeindruckende Aussicht der Berge und ihre rosarote Farbe, „ Enrosadira “, beim Sonnenuntergang genießen… und auch nie wieder vergessen! Wir freuen uns schon auf Ihren Besuch in Selva di Cadore !
Herzlichen Dank, Mirko und Donatella , für das Gespräch!
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Ladinische Kultur und das ladinische Kulturinstitut von Colle S. Lucia / La cultura ladina e il centro culturale ladino “Cesa de Jan”
Das Istitut Cultural3 „Cesa de Jan“, das im Jahr 2004 in Colle Santa Lucia gegründet wurde, zielt darauf ab, das kulturelle und sprachliche Erbe in den Gemeinden Cortina d‘Ampezzo, Livinallongo del Col di Lana, Colle Santa Lucia und im nördlichen Teil der Provinz Belluno, zu schützen und zu fördern. Ihr Hauptzweck besteht in kulturellen Initiativen zur ladinischen Geschichte und Sprache, um die Traditionen zu erhalten und an zukünftige Generationen weiterzugeben. Moreno Kerer und Isabella Marchionne haben uns über das Ladinische sowie über die Kultur, Geschichte und Traditionen der Ladiner berichtet.
In welchen Regionen Italiens ist die ladinische Sprache entstanden?
Ladinisch ist die in der so genannten Ladinia (dt./it.: Ladinien) gesprochene Sprache. Das Sprachgebiet befindet sich in den Dolomiten und umfasst die Gebiete, die bis 1918 zur Österreichisch-Ungarischen Monarchie gehörten und jetzt in den Regionen Trentino-Südtirol und Venetien liegen. Genauer gesagt erstreckt sich diese Zone über fünf Täler, die sternförmig vom Massiccio del Sella ausgehen: Val Badia und Marebbe (Südtirol), Val Gardena (Südtirol), Val di Fassa (Trentino), Livinallongo del Col di Lana zusammen mit Colle Santa Lucia (Venetien) und Cortina d’Ampezzo (Venetien). Folglich sind die ladinischen Täler auf zwei Regionen (Trentino-Südtirol und Venetien) und drei Provinzen (Bozen, Trient und Belluno) verteilt. In geographischer Hinsicht nennt man diese fünf Täler Ladinische Dolomitentäler, um sie von den Gebieten in Friaul-Julisch Venetien – wo man Friaulisch spricht – und vom Kanton Graubünden – wo man Rätoromanisch spricht – zu unterscheiden.
Wie ist die Sprache entstanden?
Im Altertum war Ladinisch die verbreitetste Sprache des Alpenbogens: Man muss sagen, dass die Rätoromanen um das Jahr 1000 herum in den Zentralen Ostalpen ein sehr breites Gebiet besetzt haben, das sich von der Schweiz bis heutigem Westslowenien erstreckte. Die ladinische Sprache stammt aus der Zeit der Römischen Präsenz in den Alpen. Im Jahr 15 v. Chr. eroberte der römische Söldnerführer Druso das Alpengebiet. Daraufhin vermischten sich die von den Römern gesprochenen Sprache und die der ‚Eingeborenen‘ dieser Zone (in der die römischen Provinzen Pannonien, Noricum und Rätien der keltischen Kultur lagen). Die ladinischsprachigen Völker wurden von den deutschsprachigen Völkern als „Welsche“ bezeichnet, während sie sich selbst als „Latiner“ beschrieben; daher kommt das dialektale Wort „ Ladin “.
Ist Ladinisch eine eigene Sprache oder ein italienischer Dialekt?
Die Ladiner stellen eine ethnische und sprachliche Minderheit dar, weil sie eine andere Sprache als die Mehrheit verwenden, welche in diesem Fall das Italienische ist. Ladinisch scheint in gewisser Hinsicht ein italienischer Dialekt zu sein, ist jedoch eine vollgültige Sprache, weil sie einen offiziellen Charakter hat, der den Dialekten fehlt. Diese Gemeinschaft nutzt Ladinisch als Zeichen ihrer ethnischen Identität und als Lern-, Verwaltungs-, Schrift- und Amtssprache. Das verleiht dem Ladinischen einen Wortreichtum, wie ihn Dialekte normalerweise nicht mehr aufweisen. Außerdem kennt das Ladinische eine eigene Grammatik, deren generelle Regeln für das ganze betreffende Gebiet gelten. Da es auch in formellen Situationen gebraucht wird, genießt es ein soziales Ansehen und ein höheres kulturelles Prestige als die Dialekte.
Wie können Sie eine Sprache wie Ladinisch am Leben halten? Wird sie überhaupt in der Schule unterrichtet?
Es handelt sich um eine Minderheitensprache, das heißt sie wird von einer kleineren Volksgruppe – im Vergleich zu den Amtssprachen – gesprochen. Zum Überleben muss sich eine Sprache den jeweiligen sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Veränderungen anpassen. Insofern ist der erste Schritt für die Kinder, die Muttersprache und ihren Wert zu erlernen; der zweite und wesentliche Schritt besteht in der Sprachverwendung und dem Sprachunterricht in der Schule. Schließlich ist es sehr wichtig, sie täglich und in jeder Lebenssituation zu sprechen. Zu den Hilfsmitteln, die nützlich sind, um eine Sprache lebendig zu machen, zählen Fernsehen, Radio und Zeitungen. Zweifellos ist die Verbreitung der eigenen Sprache durch diese Mittel wirkungsvoll, außerdem braucht sie zu ihrem Schutz eine entsprechende Wertschätzung als Sprache und nicht nur als lokaler Dialekt.
Die ladinische Minderheit ist allerdings auf zwei Regionen und drei Provinzen verteilt. Je nach Provinz sind die Normen unterschiedlich. In Trient und Bozen wird Ladinisch seit Jahren in der öffentlichen Verwaltung verwendet und in der Schule unterrichtet. Es wird in jedem Bereich des täglichen Lebens gesprochen und es gibt dafür bestimmte Gesetze, die mit dem Autonomiestatus der Region Trentino-Südtirol verbunden sind. Um für eine Stelle im öffentlichen Dienst zu kandidieren, fordert man die Kenntnis des Ladinischen. Die Menschen legen eine spezifische Prüfung ab und erhalten eine Anerkennung ihres Sprachniveaus.
In der Provinz Belluno ist das nicht so. Hier ist Ladinisch weder Verwaltungs- noch Unterrichtssprache. Das entsprechende Gesetz für diese Provinz ist das staatliche Gesetz Nr. 482 vom 15. Dezember 1999; es sieht vor, dass der Gebrauch des Ladinischen als Verwaltungs- und Unterrichtssprache erlaubt, aber nicht verpflichtend ist. In den Kindergärten, Grund- und Mittelschulen ist die ladinische Sprache als Unterrichtssprache nicht vorgesehen.
Wie werden die Sprachminderheiten in Italien geschützt?
Im Wesentlichen gibt es legislative Maßnahmen zum Minderheitenschutz. Durch die Gesetze können die nötigen Verwaltungs- und Finanzmaßnahmen zum Minderheitenschutz geschaffen werden. In Italien werden Minderheitensprachen durch das Gesetz Nr. 482 vom 15. Dezember 1999 geschützt (Rahmenkonvention zum Schutz historischer Minderheitensprachen). Es schützt die Sprache und die Kultur der albanischen, katalanischen, deutschsprachigen, griechischen, slowenischen, kroatischen, französischen, frankoprovenzalischen, friulanischen, okzitanischen, sardischen und, natürlich, ladinischen Bevölkerungsgruppen.
Außerdem gibt es Regionalgesetze. Die Situation der ladinischen Minderheit ist schwierig, weil die Bevölkerung auf zwei italienische Regionen – Venetien und Trentino-Südtirol – und drei Provinzen verteilt ist: Belluno, Trient und Bozen. Die Gesetze zum Minderheitenschutz sind in den Regionen Venetien und Trentino-Südtirol unterschiedlich. Die Ladiner aus Belluno werden nicht so geschützt wie die Nachbarn aus Trient und Bozen.
Sehen sich die Ladiner als eigenes Volk oder als Italiener?
Es ist nicht leicht, auf diese einfach so gestellte Frage zu antworten. Viele kulturelle, historische und sprachliche Gründe sprechen dafür, dass die ladinische Minderheit eine Eigenständigkeit benötigt. Dieses ‚Anderssein’ kann auf eine spezifische Identität, die die Ladiner im Vergleich zu den anderen umliegenden Bevölkerungen fühlen, zurückgeführt werden.
Die historischen und traditionellen Wurzeln der ladinischen Kultur greifen weit in die Vergangenheit zurück. Bis zum Ersten Weltkrieg gehörten die ladinischen Täler noch zur Österreichisch-Ungarischen Monarchie, weshalb man dort Deutsch sprach. Es gab eine tirolische Verwaltung, ein österreichisches Schulsystem, ebenso wie eine österreichische Legislative. Ebenfalls genossen die Gemeinden eine breite Autonomie. Später, als nach dem Ersten Weltkrieg die Annexion an Italien stattfand, sahen die Ladiner sich mit politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Aspekten konfrontiert, die nichts mit ihren Bräuchen zu tun hatten. Genau ab diesem Zeitpunkt ist in ihnen ein Gefühl erwacht, Teil eines kulturell und sprachlich eigenständigen Volkes zu sein. In diesem Bewusstsein hat die ladinische Bevölkerung angefangen, ihre Rechte und die Anerkennung als ethnische Volksgruppe zu verlangen. Im Laufe der Geschichte haben Ladiner sich immer dafür eingesetzt, ihre Traditionen am Leben zu halten. Da es seit jeher ein sehr umstrittenes Volk gewesen ist, haben diese Menschen ein Gefühl entwickelt, das sie von anderen Italienern unterscheidet. Trotzdem hat die im letzten Jahrhundert stattgefundene forcierte Italianisierung das Zugehörigkeitsgefühl vieler Ladiner geschwächt, vor allem in Venetien, wo die Menschen keine besondere Autonomie und Schutz genießen.
Was sind typische Speisen der Region?
Die ladinischen Täler haben eine kulinarische Kultur, die sich auf lokale Produkte stützt, und es gibt typische Speisen, die man im ganzen ladinischen Kerngebiet genießen kann. Als sehr bekannt gelten auf jeden Fall Gerichte wie die ursprünglich aus Deutschland und Österreich kommenden Knödel (auf Ladinisch: Balote), die sowohl salzig als auch süß serviert werden können; die Spinat-Ricotta-Klößchen mit Zieger, einem Nebenprodukt der Käseherstellung; die Gerstensuppe (auf Ladinisch: Panicia); Jüfa und Scartè sind eine Art Brei aus Milch und Mehl. Man muss unterstreichen, dass die ladinische Küche mit ihrer Tradition eng verbunden ist. Manche Spezialitäten wurden und werden heutzutage nur noch zu besonderen Anlässen gegessen, wie z.B. bei Hochzeiten. Dazu gehören die Tirtlan (auf Ladinisch: Tutres), ausgebackene Blätterteigtaschen, gefüllt mit Spinat und Ricotta, Sauerkraut oder Mohnsamen; außerdem die Schlutzkrapfen (gefüllte Tiroler Ravioli), Furtaies (frittierter aufgegangener Hefeteig), Crafuns und Foie (in Öl gebackene Mehlspeisen).
Typische Fleisch-Gerichte sind Gulasch, Speck und Grästl (Kartoffeln mit gebratenem Fleisch). Als Nachspeisen bietet man Kaiserschmarrn und Strudel an.
Eine ladinische Spezialität sind auch jene Gerichte, die mit Lat vërt (Biestmilch; die erste Milch, nachdem die Kuh gekälbert hat), zubereitet werden. Wenn ein Schwein geschlachtet wurde, war es üblich, Bales da sanch (Blutknödel) oder Kuchen zu verspeisen, die mit frischem Schweineblut zubereitet wurden. Zum perfekten Abschluss gab es – und gibt es noch heute – eine große Auswahl an Marmeladen: aus Johannisbeeren, Himbeeren und anderen Waldbeeren.
Welche sind die traditionellen Feste der ladinischen Kultur?
Die ladinische Kultur enthält viele Bräuche und Traditionen, die noch heute mit großer Inbrunst gefeiert werden. Der Großteil der ladinischen Bräuche ist mit christlichen Feiertagen verbunden, da die Ladiner immer sehr religiös gewesen sind. Weihnachten und Ostern sind die Feste, die mit viel Emotionen gefeiert werden, und deshalb stellen sie die wichtigsten Feiertage des Jahres dar. Während der Adventszeit, am 5. Dezember abends, feiert man nach tirolischem Brauch Sankt Nikolaus. Er geht von Haus zu Haus und stellt den Kindern Fragen. Mit Geschenken und Süßigkeiten belohnt er die braven, während er die bösen Kinder mit Kohlestückchen tadelt. Sankt Nikolaus kommt immer mit seinen Krampussen, teufelartig verkleideten Menschen, die gruselig sind, um die Kinder zu erschrecken. In der Weihnachtszeit ist es auch üblich, Adventskranz und Krippe vorzubereiten. Zu Ostern sind die typischen Symbole der Ölzweig, die bunten Eier und der Weihekorb.
Auch der Karneval stellt einen der am meisten beeindruckenden Bräuche der ladinischen Volkskultur dar. Typisch sind die farbigen Holzmasken und die Kleidung. Eine engere Verbindung mit der religiösen Tradition haben hingegen die christlichen Feiertage, die Volksfeste und die Prozessionen. Darunter findet man das Fronleichnamsfest (auf Latein: Corpus Domini oder Corpus Christi), bei dem die Hostie und die Heiligenfiguren jedes Jahr mitgetragen werden. Ein weiterer wichtiger Moment ist der Feiertag Ferragosto (15. August), der als Tag des Dankes in der Sommermitte gilt. An diesem Tag bringen Frauen einen Korb mit Blumen in die Kirche, die der Pfarrer segnet. Zu all diesen Anlässen tragen vor allem die Frauen traditionelle Kleidungsstücke. Eine spezielle Zeremonie ist die Hochzeit. Bei all diesen Festen dürfen Musik, Tanz und typisches Essen natürlich nicht fehlen! Manche Bräuche sind im Laufe der Zeit verloren gegangen, aber einige derartige Traditionen wurden dennoch weitergegeben und sind tief verwurzelt und noch heute lebendig.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der ‘Mann von Mondeval’, Herr Vittorino Cazzetta und das gleichnamige Museum / Legame affettivo con i luoghi e tutela della storia: un colloquio con dei testimoni oculari
Auf dem Colle S. Lucia liegt das Museum Vittorino Cazzetta, dessen Museumsrundgang der lokalen geologischen Entwicklung gewidmet ist und in einem äußerst seltenen Fundstück gipfelt: dem Skelett des sogenannten „Mannes von Mondeval”, einem mesolithischen Cro-Magnon-Jäger. Die Cro-Magnon-Menschen wohnten im Sommer in den Dolomiten und zogen umher, um auf Hirschjagd zu gehen. In 2.000 Meter Höhe brachten die Berggrasländer eine reiche Fauna, vor allem den Hirsch, hervor, und folglich konnten die Jäger hier ideale Lebensbedingungen finden. In diesen Höhen gab es Koniferen, Huftiere (Hirsche, Steinböcke, Gämsböcke, Elche), Braunbären, Murmeltiere usw. In den Alpen der Region Venetien, die Dolomiten inbegriffen, finden sich die Tier- und Pflanzenarten des italienischen Alpenbogens, und in der relativ kurzen Zeit von 10.000 Jahren gab es keine bedeutende Veränderung hinsichtlich der Flora und Fauna. Trotzdem stellt der Elch eine Ausnahme dar, der von den Dolomiten in kältere Zonen gezogen ist. Die Waldgrenze war höher, da das Klima damals wärmer war. 4 Heutzutage residieren die Menschen stattdessen talabwärts, wo es damals zu unwirtlich war.
Es war eine Ironie des Schicksals, dass ein Hobby-Archäologe den Weg geebnet hat und eine so spektakuläre Entdeckung gemacht hat, die sogar an die Weltöffentlichkeit gelangt ist, nämlich den Fund des sogenannten „Mannes von Mondeval“. Tragisch war es dagegen, dass jener selbe Hobby-Archäologe nur wenig später, in zu jungen Jahren während einer alpinen Expedition ähnlich wie der Mann von Mondeval ums Leben gekommen ist. Zwei Zeitzeugen standen uns hierzu Rede und Antwort. Denn Pierino Lorenzini und Vito Nicolai haben Vittorino Cazzetta zu Lebzeiten persönlich gekannt und konnten uns Interessantes berichten.5
Guten Tag Pierino, könntest du uns etwas über Vittorinos Leben erzählen?6
Pierino: Vittorino wurde in Pescul di Selva di Cadore im Jahre 1947 geboren. In Venedig hat er bei einem Onkel den Beruf des Konditors erlernt. Später ging er zur Marine, doch die Liebe zur eigenen Heimat verleitete ihn, wieder nach Pescul zurückzukehren, wo er mehreren Tätigkeiten nachging. Eines Tages, als er nach Fossilien suchte, ist er in eine Felsenschlucht gefallen, wo er einen Tag lang bewusstlos lag. Zehn Jahre nach dem Vorfall wollte er als Zeichen der Dankbarkeit für die glückliche Fügung des Schicksals ein Marienbildnis dort anbringen. Jedoch sollte er von dort nie zurückkehren. Sein Leichnam wurde ein Jahr später gefunden. Der Ort des Geschehens heißt im Dialekt Ciampaniei di Spizacorf, es war der August des Jahres 1996, Vittorino war 49 Jahre alt.
Vito, wie war Vittorinos Charakter?
Vito: Vittorino war ein Einzelgänger, er liebte es jeden Tag die Felsenlandschaft und die Wälder zu erkunden. An dem Tag, wo er nicht mehr zurückkam, fand der Suchtrupp sein Auto am Anfang der Straße von Mondeval am Ausgang des Dorfes Andria in Richtung Pian de Vacia. Die Suche nach seiner Person blieb ohne Erfolg. Vittorino schien verschwunden zu sein.
Er war einem tragischen Schicksal zum Opfer gefallen: Die Nacht, bevor er losfuhr und nicht mehr zurückkam, hatte er nicht schlafen können. Um 4 Uhr in der Frühe ist er schließlich aufgestanden, um das Feld zu mähen, dann begann er damit, das Bildnis der heiligen Mutter Gottes an den Ort zu bringen, an den er sich zehn Jahre zuvor hatte retten können. Er war sehr sportlich. Im Sommer nahm er immer zehn Kilogramm ab, weil die Arbeit mit den Förstern so kräftezehrend war. Des Weiteren bereitete er das Heu für die Kühe und das Holz vor, das er für sein Haus mit den vier Etagen zum Heizen brauchte.
Wann wurde der Leichnam von Vittorino gefunden?
Vito: Ein Sammler von fossilen Überresten aus Vicenza hatte nach einem Jahr den Leichnam von Vittorino entdeckt, als er sich in der Gegend der gefährlichen Zone des Berges Piz del Corvo in der Nähe des Gipfels Viel del Sas befand. Da der Weg an einer Stelle abgebrochen war, schien es für ihn sicherer zu sein, abseits des Weges, etwas höher gelegen, zu gehen. Dort vor einem Felsspalt ist der Sammler auf den Rucksack und später auf den Leichnam von Vittorino gestoßen.
Vito, wann hast du Vittorino kennengelernt?
Vito: Vittorino habe ich, nachdem ich 25 Jahre nicht in Selva di Cadore war – ich war wegen der Arbeit im Piemont, in Turin –, kennengelernt. Der Bürgermeister, Ingegner Romanelli, bat mich im Jahr 1986, die Gebeine des mysteriösen Menschen aus der prähistorischen Zeit, der von Vittorino entdeckt wurde, zusammen mit Technikern zu filmen. Ich bin mit meiner KTM dorthin gefahren und habe im Moment des Fundes den zugeschütteten, von wenig Steinen und Erde bedeckten Leichnam aus der prähistorischen Zeit gefilmt. Den Mann von Mondeval fand man mit offenem Mund und weißen, hervorstehenden Zähnen vor. Vittorino hielt ein Sieb für die Kontrolle der Qualität der Felsen in den Händen. Ohne überschwänglich zu reagieren, war er in sich gefasst und ließ sich seine Freude nicht anmerken. Man könnte sagen, dass er kein Mann vieler Worte war.
Pierino und Vito, welche Entdeckungen hat Vittorino gemacht? Und wie ist das Museum mit seinem Namen entstanden?
Vito: Da Vittorino eine immense Leidenschaft für Geologie hegte und sogar eine private Sammlung von Fossilien besaß, fragte er den damaligen Bürgermeister Romanelli, ob man ihm eine Vitrine zur Verfügung stellen könnte, um die Funde für die Schülerschaft der Umgebung auszustellen. Der Bürgermeister teilte etwas später mit, dass die Region Veneto Beiträge für Museen leisten wolle, und er organisierte eine Arbeitsgruppe für das zukünftige Museum.
Pierino: Vittorino wusste, dass in den Dolomiten Überreste von mesolithischen Kulturen gefunden worden waren, weshalb er anfing, auch in dieser Gegend nach Überresten zu suchen. Er stieß an einem Ort auf mehrere Spuren. Daraufhin kontaktierte er einen Professor der Universität von Ferrara, der einen Spezialisten schickte, um Vittorino behilflich zu sein. Der Spezialist veranlasste angesichts der Menge von Funden ein Jahr später eine Ausgrabung mit Hilfe ehrenamtlicher Bürger. Und ein Jahr darauf verkündete das Ausgrabungsteam einen bahnbrechenden Erfolg. Was für ein Fund! Man fand das Skelett des Mannes von Mondeval. In dieser Zeit wurde Vittorino sichtlich von einer Glückssträhne verfolgt, denn er hatte noch weitere Funde aus der Jungsteinzeit und der Epoche des Änolithikum zu verkünden. Vittorino hatte unter dem Pelmetto eine Serie von gut erhaltenen Spuren von Dinosauriern entdeckt.
Des Weiteren hatte Vittorino auch einige Eingänge von Silberminen im Monte Crot, von denen früher viel berichtet worden war, gefunden. Sein Cousin Ivo Torre hat mir eine Besonderheit vom Mann von Mondeval erzählt. Nämlich, dass man skurriler Weise auf seine Spur aufgrund eines Kieselsteines gestoßen ist, weil ein Murmeltier ein Loch gegraben hatte und es den Stein, den es in diesem Tal nicht gab, so ins Freie befördert hatte, worauf Vittorino aufmerksam geworden ist.
Vielen Dank Pierino und Vito für das Gespräch und für die interessanten Informationen über Vittorino!
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Auf dem Hügel / In collina: vini scelti, palazzi e ville
Im Anschluss an diese dramatische Erzählung geht es deutlich unbeschwerter in den Bereich zwischen Berg und Tal .
SuperSoave: Weißwein aus schwarzer Erde
Ruggero Gianfelici
Wenn man auf der Serenissima -Autobahn vom Gardasee in Richtung Venedig fährt, gelangt man 10 km nach der Mautstelle Verona zur Ausfahrt „Soave“. Die stolze mittelalterliche Kleinstadt mit mehr als 7.100 Einwohnern (Stand 2019) ist wahrscheinlich schwäbischen Ursprungs und hat einem der berühmtesten italienischen Weißweine den Namen gegeben. Das „Soave-System“ ist das am dichtesten mit Rebstöcken bepflanzte Gebiet Europas. Die Landwirtschaftsfläche von Soave und anderen Orten besteht nämlich zu mehr als 80 % aus Weingärten. Diese „umhüllen“ sozusagen die gesamte Landschaft, sowohl in der Ebene als auf den Anhöhen. Die schwarze Erde vulkanischen Ursprungs ist reich an jenen Elementen, die für eine ausgewogene Entwicklung der Rebstöcke mit den weißen Garganega- und Trebbiano-Trauben so entscheidend sind. Ein mildes und sanftes Klima trägt das Seine dazu bei. Ein ca. 50 km langer Rundweg (Strada del vino del Soave) führt an Sehenswürdigkeiten und Weinkellern vorbei, deren längster 1,5 (!) km misst. Die Stadtmauer von Soave erstreckt sich auf einem leichten Hügel bis hin zur eindrucksvollen Burg, die das gesamte Gebiet beherrscht, das man auf verschiedenen Wegen zu Fuß oder mit dem Fahrrad durchqueren kann.
Ein erster Besuch gilt dem Weingut von „Giuseppe Coffele“. Der Besitzer konnte sich der Ehre rühmen, zu den ‚offiziellen‘ Weinlieferanten von Papst Johannes Paul II. zu gehören. Coffele produziert einen sehr hellfarbigen Soave classico DOC von frischem, intensivem Aroma; dann den „ Ca’ Visco“ Soave classico DOC, der ein ausgeprägtes und differenziertes Bukett und einen kräftigen, herzhaften Geschmack hat; und schließlich die Spitzenleistung des Betriebs, einen Recioto di Soave classico DOC mit der Bezeichnung „Le Sponde“. Er wurde als Dessertwein beim offiziellen Diner verwendet, das anlässlich des Besuchs des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder und des EU-Ratspräsidenten Romano Prodi am 22. August 2003 im Rathaus von Verona stattfand, um die Versöhnung mit dem damaligen italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi (der allerdings erst am nächsten Tag erschien) zu feiern.
Der in ältesten Überlieferungen bezeugte Süßwein Recioto di Soave passt ideal zu Nachspeisen, ist aber auch zur „Meditation“ geeignet. Einige Schriften des 5. Jahrhunderts (so ein Brief von Cassiodor) erwähnten einen Süßwein mit ähnlichen Eigenschaften. Diese Tradition wird vollkommen vom Spumante Recioto di Soave Classico mit dem Namen „Ardens“ verkörpert, den die Cantina del Castello von Soave erzeugt. Er beruht auf Flaschengärung und hat ein leichtes Depot. Um das süße, „antike“ Bukett dieses Weins und seine Identität richtig würdigen zu können sowie sein Aroma langsam entfalten zu lassen, sollte man den „Ardens“ im Weinkeller des Gebäudes aus dem 13. Jahrhundert verkosten, wo sich der Firmensitz befindet; denn dieser Recioto wird kaum exportiert. Dies und die begrenzte Produktion haben zur Folge, dass er außerhalb der Provinz Verona kaum anzutreffen ist.
Der weitere Rundweg führt zur Firma Monte Tondo, die sich vor allem durch ihre strategische Lage auf den sanften Hügeln in der Nähe der Autobahnauffahrt auszeichnet. Der gut eingerichtete Speisesaal kann zahlreiche Reisegruppen empfangen. Diese können auch ein kleines landwirtschaftliches ‚Museum‘ bewundern, wo einige von Bauern seit dem Ende des 19. Jahrhunderts benutzte Arbeitsgeräte und Maschinen gesammelt werden. Abgesehen davon, dass ein sehr guter Soave angeboten wird, hält der Betrieb auch einige Schweine, deren Fleisch zur Herstellung der Soppressa, einer Rohwurst, dient, die nach den Vorschriften und alten Bräuchen dieses Gebiets lediglich mit Knoblauch, Salz und Pfeffer gewürzt wird.
Man gewinnt den Eindruck, eine Landschaft ganz nach dem Geschmack des Menschen zu besuchen. Sie ist fruchtbar und gut entwickelt, hat eine stolze, sehr herzliche und gastfreundliche Bevölkerung, die den eigenen Ursprüngen anhängt. Hier wird das für den Soave-Wein geschaffene Motto „Trinke mehr, freue dich mehr“ wortwörtlich genommen.
Andrea Palladio, der Star-Architekt aus Venetien. Von seinem Talent zeugen die Villen des Veneto sowie die Paläste in Vicenza und Venedig
Richard Brütting
Der „Star-Architekt“ der7 Spät-Renaissance wurde am 30. November 1508 unter dem Namen Andrea di Pietro in Padua geboren. Als junger Steinmetz arbeitete Andrea Palladio in Vicenza, wo er von reichen Adeligen wie Gerolamo Chiericati und Giovanni Alvise Valmarana, vor allem aber von Giangiorgio Trissino entdeckt und gefördert wurde. Die Unterstützung seiner Gönner, die sich von ihm später Villen und Stadtpaläste entwerfen ließen, bewirkte, dass dem weitgehend unbekannten, kaum 38-jährigen Palladio 1546 der Bau der Loggien des zentral gelegenen Palazzo della Ragione, damals Sitz der Gemeindeverwaltung, übertragen wurde. Dieser Auftrag, mit dem Vicenza seine kulturelle Autonomie gegenüber Venedig und dessen repräsentativem Palazzo Ducale betonen wollte, bedeutete den Durchbruch des architektonischen Genies. Gegenüber dem Palazzo della Ragione liegt die Loggia del Capitaniato, die ebenfalls Palladio zwanzig Jahre später aufwändig gestaltete, diesmal aber im Auftrag der Serenissima. Kurz vor seinem Tod am 19. August 1580 begannen die Bauarbeiten an dem von ihm entworfenen Teatro Olimpico, dem grandiosen Stadttheater von Vicenza, das der Utopie einer idealen Renaissance-Stadt gleicht.
Palladio ist es beispielhaft gelungen, die Ansprüche der damaligen begüterten Nobilität an Repräsentation und Eleganz mit den Maßstäben klassisch-antiker Baukunst zu verbinden. Gleichzeitig ging es ihm um eine harmonische Einfügung der Bauwerke in das jeweilige Ambiente, sei es der Natur oder der Stadt, sowie um eine pragmatische Berücksichtigung landwirtschaftlicher Erfordernisse (Eingliederung von Ställen und Getreidespeichern in den Gebäudekomplex). Dass Palladio bestrebt war, auch für weniger wohlhabende Zeitgenossen eine neue Wohnkultur zu schaffen, zeigen seine Baupläne für einfache Wohngebäude.
Von Palladio stammen zahlreiche Manuskripte und Druckwerke, die zum großen Teil in britischen Sammlungen aufbewahrt werden. Die in Palladios Schrift Quattro libri dell’Architectura [Vier Bücher von der Baukunst] beschriebene, allerdings nur zum Teil ausgeführte Villa Santa Sofia liegt nordwestlich von Verona im Valpolicella-Gebiet bei Pedemonte.
Das Landhaus beeindruckt durch seine gewaltigen ionischen Säulen, die rustikal bearbeitet sind. Ein herrlicher Wald mit uraltem Baumbestand umschließt die Villa, die in ihrem Inneren eine Kellerei mit edlen Spitzenweinen beherbergt. Die im ursprünglichen Gebiet der Valpolicella erzeugten Sorten (Gioè Amarone della Valpolicella, Amarone della Valpolicella, Montegradella della Valpolicella) sowie die Soave-Weine Recioto di Soave und Costalta Soave tragen den Zusatz „ classico “. Besonders beeindruckend ist ein leicht moussierender, rubinroter Recioto della Valpolicella classico, der am Gaumen ein reiches, samtiges, vollmundiges Aroma entwickelt. Die Trauben (Corvina, Rondinella und Molinara) dieses Dessertweins werden drei bis vier Monate zum Trocknen ausgelegt, bevor er ein Jahr in Eichenfässern aus Slawonien und dem französischen Departement Allier und ein weiteres Jahr in der Flasche reift. Der Amarone wird ebenfalls aus getrockneten Trauben gekeltert. Er ist jedoch durchgegoren und wird mehr als drei Jahre in Eichenfässern und ein Jahr in der Flasche gelagert. Selbstverständlich wurde Palladios 500. Geburtstag auch in Santa Sofia gefeiert: Zu seinen Ehren wurde 2008 eine limitierte Ausgabe von 5.597 Flaschen des Amarone della Valpolicella Classico unter der Bezeichnung „ De Divino Palladio “ kreiert.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Venedig und die Kunst – Gespräche mit Joseph Imorde und Giuliana Scotto / Conversazioni in Laguna
Der erste Teil der Reise endet mit einem längeren Gespräch über die Kunst in der Lagunenstadt und der Begegnung von Antike und Moderne.
Der Renaissance-Maler Tiziano Vecellio di Pieve di Cadore, kurz Tizian, gilt bis heute als einer der herausragendsten Künstler der Weltmalerei tout-court. Joseph Imorde, Professor für Kunstgeschichte an der Universität Siegen, stellte sich für ein Interview den Studierenden zur Verfügung.8
Der venezianische Maler Tizian gilt als eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der Renaissance, nicht nur Venedigs, sondern eigentlich ganz Italiens. Welche Aspekte seiner Kunst waren wichtig für die Kunst seiner Zeit? Finden sich z.B. ikonographische oder sonstige Aspekte heute noch in der Kunst oder der Popkultur?
Imorde: Tizian ist in der Tat einer der bedeutendsten Maler seiner Zeit und das hängt mit verschiedenen Aspekten zusammen. Zunächst ist er für seine Vielseitigkeit bekannt. Er beschäftigte sich in seinen Werken nicht nur mit religiösen Themen, sondern behandelte auch weltliche Stoffe. „ Maria Himmelfahrt “ oder die „ Madonna des Hauses Pesaro “ sind im religiösen Bereich vielleicht seine berühmtesten Bilder. Doch auch die klassische Mythologie wird von Tizian in vielen Bildern verarbeitet. Zudem war Tizian ein international beschäftigter Maler – sehr belesen, ja gelehrt, insgesamt ein überaus versierter Künstler. Eine für die damalige Zeit beeindruckende Tatsache ist zudem, dass er das hohe Alter von (ca.) 86 Jahren erreicht hat. Tizian durchlebte somit 70 Jahre Kunstentwicklung, und auch deshalb umfasst sein Lebenswerk wohl mehr als 500 Bilder. Weiterhin erscheint mir wichtig, dass er gute Kontakte zu den höchsten Kreisen seiner Zeit pflegte. So fertigte er beispielsweise Porträts des Papstes (Paul III.) und des Kaisers (Karl V.) an. Das ist ungefähr so, als würde jemand heute Wladimir Putin portraitieren und kurz danach Barack Obama – unter solchen Umständen nimmt der Künstler auch eine politische Rolle ein. Was den Maler aber besonders auszeichnet und ihn bis heute so aktuell erscheinen lässt, ist seine Fähigkeit, die Kunst in seinen Werken selber zu bedenken. Es gibt so etwas wie Selbstreferenzialität in seinen Arbeiten, was sich zum Beispiel in einem seiner berühmten späten Bilder zeigt, der „ Schindung des Marsyas “. Dort werden Inkarnat und Farbe miteinander parallelisiert und dadurch das eigene künstlerische Tun in mehrfacher Hinsicht reflektiert.
Zur Biennale kommen Künstler aus aller Welt, um Kunst für ihr Land auszustellen. Welche Rolle hat der Import von Kunst in Venedig traditionell gespielt?
Imorde: Venedig war schon immer eine Stadt mit eigener Kunst- und Warenproduktion. In der frühen Neuzeit hat Venedig Luxusgüter wie Seide hergestellt, überhaupt kam dem Kunsthandwerk für eine lange Zeit eine überaus große Bedeutung zu. So war Venedig zur Zeit Tizians unter anderem auch Zentrum der europäischen Zuckerproduktion, Rohstoffe wurden importiert und vor Ort veredelt. Diese wirtschaftlich wichtige Rolle verliert sich dann im Laufe des späten 17. bzw. des 18. Jahrhunderts.
Die Biennale in Venedig ist ein Event, das den kompletten Stadtraum nutzt. Steht die Kunst wirklich noch im Mittelpunkt oder feiern sich Kunstsammler hier eigentlich nur noch selbst?
Imorde: Wie gesagt verliert Venedig im 17. und 18. Jahrhundert die Rolle einer europäischen Großmacht und wird nach und nach marginalisiert, das heißt Venedig wird zu einem Museum seiner eigenen Geschichte. Dieses Museum besteht natürlich bis heute fort. Wenn man in die Stadt reist, ist es schwer, sich nur auf die Biennale zu konzentrieren, denn Venedig setzt sich ja aus unendlich vielen Kunstwerken zusammen, die sich einem vor der einzigartigen Kulisse der Lagune darbieten.
Die Ausstellung des Jahres 2015 fand unter dem Motto ‚ All the world’s future ' statt. An vielen Stellen wurde versucht, Politik in die ausgestellten Werke einfließen zu lassen und somit Aufmerksamkeit zu generieren. Zum Beispiel thematisierte der deutsche Tobias Zielony die deutsche Flüchtlingspolitik. Ist die Biennale aufgrund ihrer Internationalität und der großen medialen Aufmerksamkeit, die ihr zukommt, gut für diese Themen geeignet oder sehen Sie auch Nachteile in dieser Politisierung?
Imorde: Die Ausstellung zum Thema ‚ All the world’s future ’ war eine politische Ausstellung. Ich bin der Meinung, dass diese Politisierung besonders in der jetzigen Zeit von größter Wichtigkeit ist. Themen wie Flucht, Vertreibung, Migration sind so bedeutend, dass sie nicht nur angesprochen, sondern auch ausgestellt werden müssen. Ich würde sagen, dass auch der deutsche Teilnehmer Tobias Zielony mit seinen Fotografien von Migranten und politischen Randgruppen da vollends ins Programm gehörte. Um hier allerdings auch auf die Nachteile zu sprechen zu kommen, sehe ich die Gefahr einer absoluten Kommerzialisierung dieser politischen Kunst wie auch die Gefahr, dass ein kapitalistisches Interesse am Kunstmarkt diese kritischen Positionen gewissermaßen umarmt und gleich zu integrieren versucht, um sie so wieder verkaufen zu können. Das ist eine gegebene Schwierigkeit. Die Biennale hat 1895 als Verkaufsausstellung begonnen. Doch war sie Zeit ihrer Geschichte auch immer politischen Wechselfällen unterworfen, wie beispielsweise dem Faschismus in Italien oder der Studentenrevolte von 1968. Die Biennale ist heute natürlich keine reine Verkaufsausstellung mehr, sondern eine Möglichkeit für Länder, sich ‚künstlerisch‘ der Weltöffentlichkeit darzustellen.
Wird auf der Biennale heutzutage gar keine Kunst mehr verkauft?
Imorde: Ich würde sagen, es handelt sich dort um einen verdeckten Markt. Auf der Biennale auszustellen, gehört zu den beruflichen Höhepunkten vieler Gegenwartskünstler, der Marktwert steigert sich dadurch extrem. Doch natürlich besuchen auch Händler die Ausstellungen und es darf angenommen werden, dass auf der Biennale auch Geschäfte abgewickelt werden.
Können Sie uns verraten, wie es mit der Zukunft Venedigs aussieht? Ist der Tourismus, ganz besonders zur Zeit der Biennale, ein Problem, das zum Verfall der Stadt beiträgt?
Imorde: Die Zukunft Venedigs ist natürlich ungewiss, aber ich sehe das relativ gelassen. Venedig ist seit nun etwa 250 Jahren eine Touristenstadt und hat die steigende Entwicklung des Tourismus bisher noch immer überstanden. Auch den neuen modernen Massentourismus wird Venedig auf seine eigene Art und Weise meistern, das Problem ist dialektisch bedingt. Zweifellos hat der Tourismus, auch der Tourismus der großen Schiffe, nicht nur positive Aspekte, aber letztlich bringt genau das auch Geld in die Stadt und sorgt dafür, dass sie sich stetig erneuern kann. Wie etwa durch die groß angelegten Schutzmaßnahmen, die dieses Weltkulturerbe vor einem langsamen Versinken in der Lagune retten sollen. Das Ökosystem der Stadt aufrecht zu erhalten, scheint mir ein komplizierter Balanceakt. Ich war selbst häufig in Venedig und habe miterlebt, wie Tausende von Menschen von diesen riesigen Schiffen runterkamen und sich in der Stadt verteilten, um abends schon wieder weiterzureisen. Es hat schon etwas sehr Unangenehmes, zu sehen, wie Venedig so zur Attraktion und zum Freizeitpark gemacht wird. Der Faktor Luxusyachten stellt hingegen kein allzu großes Problem dar, da es sich dabei doch um einen eher kleinen Besucherkreis handelt. Das eigentliche Problem der Stadt ist ohne Zweifel der Massentourismus.
Gibt es noch andere Aspekte der Biennale, die Ihrer Meinung nach zu wichtig sind, um sie hier nicht wenigstens kurz anzusprechen?
Imorde: Ein sehr wichtiger Aspekt der Biennale scheint mir zu sein, dass es sich dabei um eine hybride Veranstaltung handelt – sowohl globale Leistungsschau der Kunst als auch eine Art Messe oder Weltausstellung. Dazu gibt es noch den kuratierten Bereich, der in den letzten Jahren häufig versuchte, sehr aktuelle, oft auch politische Themen aufzugreifen und auszustellen. Die Biennale zeigt einen Querschnitt durch die Kunstproduktion der Gegenwart – das allein ist schon großartig. Ich bin der Meinung, dass die positiven Punkte gegenüber den Problemen deutlich überwiegen. Ich selbst kann nur empfehlen, nach Venedig zu reisen und diese Ausstellung zu besuchen. Wie sich das Ambiente alter Architektur mit neuester Kunst verbindet, wie hier absolute Gegenwärtigkeit im Rahmen historischer Bausubstanz präsentiert wird, ist schlicht einzigartig.
Die melancholische Geschichte auf einem Kapitell des Dogenpalastes in Venedig, ausgehend von einer Reflexion über die Säulen: Ein Gespräch mit Giuliana Scotto
Sie hatten generell schon immer ein großes Interesse an Säulen. Woher kommt diese Leidenschaft?
Scotto: Die griechische Tempelarchitektur hat mich immer schon begeistert. Beeindruckend, wie schon ganz zu Beginn ihrer Geschichte die Säulen verwendet wurden, die nicht einfach nur als Stützkonstruktionen dienten. Sicherlich tragen die Säulen des griechischen Tempels das Gebälk, aber ihre grundlegende Rolle scheint darin zu bestehen, den so genannten „Periptero“ um die Zelle herum zu bilden. Dieser Säulenring hat mich schon immer fasziniert, er ist die Besonderheit des griechischen Tempels, dessen Bedeutung – wenn er jemals eine Bedeutung hatte, d.h. wenn er jemals dazu gedacht war, ein Zeichen zu setzen, sich auf etwas zu beziehen, auf etwas anzudeuten – bleibt immer noch rätselhaft.
Warum rätselhaft? Letztendlich sind die Säulen nunmehr vertraute Strukturen, sie werden seit Jahrtausenden benutzt ...
Scotto: Das stimmt, aber versuchen wir doch, mal unseren Blick zu verändern... Ich für meinen Teil versuche, die Kolonnaden der griechischen Tempel phänomenologisch zu betrachten, und ich sage mir: Woher kam diese konstruktive Lösung, die nicht von ähnlichen Beispielen in der Antike übernommen wurde? Die einzige Überlegung, die mir in den Sinn kommt, ist, dass die Kolonnade aus einem Festkörper zu bestehen scheint, der sich mit einem leeren Raum abwechselt: eine Säule und der Raum, der sie von der anderen trennt, ein Positiv und ein Negativ, ein Jetzt-sein, das sich mit einem Jetzt-nicht-sein abwechselt. So gesehen stellt die Kolonnade eine Verbindung zu einem bewährten Reflexionsinstrument der antiken Philosophie her: So lesen wir zum Beispiel bei Aristoteles, dass man die seienden Dinge der Welt zwischen denen, die sind, und denen, die nicht sind, aufteilen kann.
[...]
1 Übersetzt von Fiammetta Niccolai.
2 Anm. der Übersetzerin: Die italienischen Ortsnamen wurden, auch wenn deren Verdeutschung bekannt ist, auf Italienisch behalten und kursiviert: z.B. Marmolada anstelle von „Marmolata“.
3 Übersetzt von Fiammetta Niccolai. Studierende stellten die Fragen. Zu diesen Themen vgl. auch die Zeitschrift Dolomiti sowie das monatliche Blatt Ladins. Die erstgenannte Zeitschrift wurde 1978 gegründet und behandelt alle zwei Monate Geschichte, Kunst, Recht, Wissenschaft und Belletristik der Gegend um Belluno. Ladins wurde 1983 gegründet und war ursprünglich das offizielle Organ der Unione Ladins zu Bonora. Seit 1997 hat sie der Istituto Bellunese di Ricerche sociali übernommen und in den weiteren 282 Heften über ausgesuchte Ereignisse der ladinischen Kultur und die Erforschung von Themen der ladinischen Kultur berichtet. (Anm. d. Hg.)
4 Übersetzt von: Fiammetta Niccolai. Zur Geschichte der Dolomiten vgl. die Website der Stiftung Dolomiten UNESCO: http://www.dolomitiunesco.info.
5 Zur Entdeckung vgl. den Bericht von Giacomo Alciati / Elisabetta Gerhardinger / Giacomo Giacobini / Antonio Guerreschi: „MONDEVAL DE SORA. Una grande scoperta preistorica“, in: Archeologia viva, Bimestrale di archeologia, arte, etnologia 7.1 (1988), S. 32-39.
6 Das Gespräch wurde von Stefan Metz übersetzt.
7 Der Text ist einem Artikel, der im November 2008 in der Internet-Zeitschrift www.terra-italia.net erschienen ist, entnommen. Wir danken dem Verfasser für die freundliche Genehmigung des Abdrucks.
8 Text von Joseph Imorde; die Studierenden Marian G., Sophie H. und Sarah R. führten das erste Gespräch.
- Arbeit zitieren
- PD Dr. Grazia Dolores Folliero-Metz (Herausgeber:in), 2021, Zwischen Belluno und Venedig. Ein Magazinheft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1037038
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