Inhalt
1. Einleitung
2. Zusammenfassung der einzelnen Abschnitte
3. Die Stellung der Moral in Descartes Denken
4. Einige Bemerkungen zu den Regeln .
4.1 Bemerkungen zur ersten Regel
4.2 Bemerkungen zur zweiten Regel
4.3 Bemerkungen zur dritten Regel
4.4 Bemerkungen zur vierten Regel
5. Die Regeln und ihr Bezug zur antiken Moral
6. Beurteilung der Charakterisierung als „Moral auf Zeit“
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
René Descartes (1596-1650) schrieb den „Discours de la méthode pour bien conduire sa raison, et chercher la verité dans les sciences“ während seines langen Aufenthaltes in Holland, nachdem er im Militär gedient hatte. Er veröffentlichte dieses Werk 1637 zunächst anonym, weil er Angst hatte, dass ihn das gleiche Schicksal, wie Galilei es erleiden musste, ereilen würde.
Der Hauptinhalt des Werkes ist tatsächlich ein Diskurs, keinesfalls eine Abhandlung, in der er sich mit Hilfe der entwickelten Methode einigen grundlegenden Wahrheiten der Philosophie annähern will. Im dritten Teil des Discours kommt Descartes auf einige moralische Regeln zu sprechen. Zunächst soll eine kurze Zusammenfassung einen Überblick verschaffen.
2. Zusammenfassung der einzelnen Abschnitte
Der dritte Teil ist wiederum in sieben Abschnitte unterteilt, von denen die moralischen Regeln selbst und einige Erläuterungen dazu weite Teile ausmachen. Die Numerierung der Zusammenfassung folgt den Nummern der Abschnitte im Original.
1. Im ersten Abschnitt schildert Descartes kurz die Gründe, die ihn zu der Aufstellung der moralischen Regeln bewogen haben. Er bedient sich dabei eines sehr bildhaften Vergleiches: Nachdem man sein Haus abgerissen hat, muß man sich eine vorübergehende aber bequeme Unterkunft suchen, um dann den Bau des neuen Hauses sorgfältig planen und durchführen zu können. Für die Zeit, in der Descartes aufgrund seines Zweifels sich in seinen Urteilen nicht sicher sein kann, entwickelt er eine „Moral auf Zeit“, um in seinem „Tun nicht unentschlossen zu bleiben“.
2. Die erste Regel legt nahe, „den Gesetzen und Sitten meines Vaterlandes zu gehorchen, an der Religion beharrlich festzuhalten, in der ich durch Gottes Gnade seit meiner Kindheit unterrichtet worden bin, und mich in allem anderen nach den maßvollsten, jeder Übertreibung fernsten Überzeugungen zu richten, die von den besonnensten unter denen, mit denen ich leben würde, gemeinhin in die Tat umgesetzt werden“. Letzteres begründet er damit, daß er seine eigenen Überzeugungen aufgeben werde, und es dann wohl das beste sei, sich nach denen zu richten, die er für die Besonnensten hält, bis er seine eigenen Grundsätze ausreichend geprüft hat. Dabei will er „vielmehr auf ihre Taten achten als auf ihre Worte“. Die maßvollsten Überzeugungen wählt er als Vorbild, da „alles Übermaß [...] ist für gewöhnlich schlecht“ ist. Weiterhin will er all das vermeiden, mit dem „man etwas von seiner Freiheit aufgibt“, um zu verhindern, sich zu stark ein eine Sache zu binden, die er später vielleicht nicht mehr für gut befinden kann.
3. Die zweite Regel lautet: „In meinen Handlungen so fest und entschlossen zu sein wie möglich und den zweifelhaftesten Ansichten, wenn ich mich einmal für sie entschieden hätte, nicht weniger zu folgen, als wären sie ganz gewiß“. Wieder verdeutlicht er seine Ausführung mit einem Vergleich: Wanderer, die sich im Wald verirrt haben, sollten beharrlich in eine Richtung gehen und nicht von ihr abweichen, auch wenn es „im Anfang bloß der Zufall gewesen ist, der ihre Wahl bestimmt hat“. Da es nun im Leben Handlungen gibt, die keinen Aufschub dulden, muß man die wahrscheinlichsten Ansichten als wahr ansehen, wenn es nicht möglich ist, die wirklich wahren zu erkennen. Den praktische Nutzen dieser Regel bezeichnet Descartes als Befreiung von „Reue“ und Gewissensbissen“.
4. Die dritte Regel lautet: „Stets bemüht zu sein, eher mich selbst zu besiegen als das Schicksal, eher meine Wünsche zu ändern als die Weltordnung und überhaupt mich an den Gedanken zu gewöhnen, daß nichts völlig in unserer Macht steht außer unseren Gedanken“. So möchte Descartes sich „nichts wünschen lassen, was [er] nicht erreichte, um [sich] auf diese Weise zufrieden zu machen“. Denn alle Wünsche auf Dinge, die vom Verstand als nicht erreichbar dargestellt werden, wie z.B. körperliche Unverwundbarkeit oder die Fähigkeit zu fliegen, sind gleichermaßen unerfüllbar. Descartes räumt ein, „daß es langer Übung und oft wiederholten Nachdenkens bedarf, um sich daran zu gewöhnen“. Doch sieht er hierin die Möglichkeit, „sich der Herrschaft des Schicksals [zu] entziehen“ wie es manche Philosophen bereits vollbracht haben. Aufgrund der Überzeugung, daß „nur ihre Gedanken in ihrer Macht ständen“, konnten diese ihre Leidenschaften für andere Dinge vollkommen beherrschen.
5. Im fünften Abschnitt schildert Descartes, wie er nach Betrachtung der verschiedenen Beschäftigungen der Menschen die beste auswählen will und formuliert unter der Hand die vierte Regel. Er hält seine Beschäftigung für die Beste und kommt zu dem Schluß: „Mein ganzes Leben darauf verwenden, meinen Verstand zu kultivieren und, soweit ich könnte, nach der Methode, die ich mir vorgeschrieben, in der Erkenntnis fortzuschreiten“. Denn Descartes hält seine Methode für außerordentlich effektiv. „Außerdem gründen sich die drei vorhergehenden Regeln allein auf meinem Plan, mich zu unterrichten“. Aufgrund der - bei jedem Menschen gleichermaßen vorhandenen - Vernunft hält Descartes den Vorsatz, sein „eigenes Urteil zu ihrer [der Regeln] Prüfung zu benutzen“, für seine Pflicht, „sobald die Zeit reif sein würde“. Durch die Gewißheit für die Richtigkeit seiner Methode kann er in aller Zufriedenheit auf seinem Weg vorangehen. Was der Verstand als gut oder schlecht darstellt, das wird befolgt oder vermieden, „und deshalb genügt es, recht zu urteilen, um recht zu tun.
6. Im sechsten Teil macht er persönliche Mitteilungen über den Verlauf der inzwischen vergangenen Jahre, in denen er auf Reisen war und alles zweifelhafte aus seinem Geist „mit der Wurzel“ entfernt hat. Er distanziert sich dabei von den Skeptikern, „die nur zweifeln um zu zweifeln“, er hingegen sucht unumstößliche Wahrheiten, möchte „lose Erde und Sand beiseite werfen, um Fels oder Ton zu finden“. Im Voranschreiten in seiner Methode konnte er tatsächlich bei den verworfenen Überzeugungen verschiedene Beobachtungen und Erfahrungen machen , die er zu neuen sicheren Überzeugungen machte. Weiterhin übte er sich in seiner Methode und wendete sie auch auf mathematische oder aus anderen Wissenschaften stammende Probleme an. Dann beschreibt er seine damalige Lebensart: Nach außen hin führte er ein anständiges und harmloses Leben, aber dennoch fuhr er in der Wahrheitsfindung nach seiner Methode fort.
7. Im siebten Abschnitt schließlich schildert Descartes seine Gründe, die ihn dazu bewogen haben, nach Holland zu gehen. Noch bevor er sich in der Lage fühlte, „bezüglich der Probleme, über die die Gelehrten zu streiten pflegen, Partei [zu ergreifen] oder die Grundlagen einer gewisseren Philosophie“ zu suchen, verbreiteten sich Gerüchte, daß Descartes damit bereits am Ziel sei. Um sich seines Rufes würdig zu machen, zog er sich dorthin zurück, wo die Menschen mehr mit sich selbst beschäftigt sind, und wo er leben einsam und zurückgezogen leben kann.
3. Die Stellung der Moral in Descartes´ Denken
Descartes ist nicht für seine Moralphilosophie bekannt. Obwohl sich in seinen Schriften und vor allem im Briefwechsel zahlreiche Bemerkungen zur Moral finden, hat er nie eine komplette Abhandlung über dieses Thema zu Papier gebracht.1 Dennoch scheint Moral für Descartes aüßertst wichtig zu sein. Im französischen Vorwort zu den „Prinzipien der Philosophie“ von 1647 nennt er die Ausbildung eines perfekten Moralsystems das höchste Ziel seiner Philosophie und höchste Stufe der Weisheit. Dafür sei allerdings eine genaue Kenntnis der übrigen Wissenschaften die Voraussetzung. Es ist nicht auszuschließen, daß Descartes die Ausbildung eines solchen Moralsystems vorhatte, aber durch seinen frühen Tod davon abgehalten wurde. Fast ein Jahrzehnt früher hat er jedoch in dem oben zusammengefaßten Kapitel des Discours einen provisorischen moralischen Code entwickelt, der nur für die Zeit, in der er seiner Methode folgend nach unumstößlichen Wahrheiten der Metaphysik sucht, gelten soll. Trotz seiner Stilisierung des moralischen Codes als „Moral auf Zeit“ (39)2 zeigt sich der dritte Teil des Discours bei genauerer Betrachtung als ein komplexes Moralsystem, das sich in erstaunlicher Weise in weiten Teilen mit der antiken und insbesondere der stoischen Moral deckt.3
„Man kennt Descartes nicht, wenn man seine Briefe nicht kennt“ (Klemmt 1971, 33). Auch die Ausführungen über die moralischen Regeln des Discours in Descartes Briefen an Elisabeth und an anonyme und namentliche Kritiker tragen zum besseren Verständnis bei. Eine besondere Rolle spielt der Brief an Elisabeth vom 4. August 1645, also einige Jahre nach Erscheinen des Discours, in dem er die vier Regeln teils noch einmal neu formuliert, teils ergänzt und erläutert.
4. Einige Bemerkungen zu den moralischen Regeln
4.1 Bemerkungen zur ersten Regel
Die erste Regel besteht aus zwei ungleichen Teilen. Der erste zielt ab auf die Folgsamkeit gegenüber Vaterland und Religion. Er geht einher „mit der Absicht, in allen Komödien, die sich dort [in der Welt] abspielen, lieber Zuschauer als Mitspieler zu sein“ (47), und ist offenbar „in echt kartesischer Manier [...] zum Zweck äußerer Abschirmung gesagt“ (Klemmt 1971, 18). Im eben genannten Brief an Elisabeth aus dem Jahre 1645 fällt dieser Teil völlig weg, der zweite wird durch die Bemerkung ersetzt, daß er „immer versuche, so gut es ihm nur möglich sei, sich seines Geistes zu bedienen, um das zu erkennen, was er in allen Fällen des Lebens machen oder nicht machen muß“4. So rückt nunmehr die vierte moralische Regel des Discours an die Stelle der ersten, die ihn ihrer ursprünglichen Form völlig wegfällt.
Besonders wichtig ist die in den Erläuterungen zur ersten Regel enthaltene Bemerkung „alles Übermaß ist für gewöhnlich schlecht“ (39), was den Sinn dieser Regel deutlich werden läßt. „Es handelt sich um die antike Kardinaltugend sophrosyne“ (Klemmt 1971, 19), d.h. Besonnenheit, Maß und Vermeidung von Extremen. Dies zeigt, daß die erste Regel durchaus klar formuliert ist und in Bezug auf Moral viel Inhalt bietet, obwohl sie im Brief an Elisabeth durch die vierte Regel ersetzt wird.
4.2 Bemerkungen zur zweiten Regel
Die zweite Regel zielt ab auf die Beständigkeit in praktischen Dingen des Lebens im Gegensatz zu den theoretischen Dingen, in denen alles, was den geringsten Anlaß zum zweifeln bietet, verworfen werden muß. Ein universeller Zweifel in praktischen Dingen führt zu einem moralischen Chaos, schreibt Descartes in einem Brief im April 1638. Das Leben wirft die Dringlichkeit zu handeln auf, die es nicht zuläßt, daß man auch hier nur Unbezweifelbares gelten läßt, so daß man mitunter das lediglich Wahrscheinliche für das Wahre halten muß. Im Brief an die Prinzessin Elisabeth vom 4. August 1645 macht Descartes folgende Ergänzung: „ [...] alles das auszuführen, was die Vernunft ihm raten wird, ohne daß seine Leidenschaften und Begierden ihn davon abwenden“. Somit empfiehlt diese Regel die römische Tugend der constantia, die sich im Deutschen mit Beständigkeit, Folgerichtigkeit im Denken und Handeln und Standhaftigkeit umschreiben läßt. Im selben Brief heißt es: Die Festigkeit dieses Entschlusses muß [...] für die Tugend gehalten werden, obwohl niemand, soviel ich weiß, sie jemals so erklärt hat“. Hier wird deutlich, daß Descartes sogar noch 1645 nur eine begrenzte Kenntnis von der stoischen Lehre hatte, sonst hätte ihm dieser Gedanke vertraut sein müssen.
Aber es muß gesagt werden, daß die Formulierung der Regel im Diskurs recht mißverständlich ist. So ließ ein anonymer Kritiker Descartes im Februar 1638 mitteilen, daß es gefährlich sei, an den falschesten Ansichten festzuhalten, wenn man sie einmal gefaßt habe. Descartes entgegnete, daß es keineswegs ausgeschlossen sei, seine Handlungsmaximen zu ändern, wenn die Vernunft, die stets frei bleibt, bessere gefunden hätte. Es ginge nur darum, keine „Unentschlossenheit und Unregelmäßigkeit der Sitten entstehen zu lassen“. Es müsse statt dessen das Mittelmaß zwischen Unentschlossenheit und Hartnäckigkeit gehalten werden. Letztlich sei auf die Schlußworte der Erläuterungen der ersten Regel hingewiesen. „So hätte ich geglaubt, mich sehr gegen den gesunden Verstand zu vergehen, wenn ich mich damals durch die Anerkennung von irgend etwas gebunden hätte, dies auch nachher noch für gut zu achten, wenn es vielleicht nicht mehr gut ist oder ich es nicht mehr dafür halte“ (41). Oder um in den Worten des Vergleichs mit dem Wanderer zu sprechen: Es wäre Unsinn, wenn der verirrte Wanderer an einem Wegweiser vorbeikäme, aber dennoch seinen Weg beibehielte, den er eingeschlagen hatte, als er den richtigen Weg noch nicht kannte.
4.3 Bemerkungen zur dritten Regel
Die dritte Regel betrifft nun nicht nur den Zeitraum des Zweifelns, sondern das ganze Leben, das erfüllt und wertvoll sein soll. Sie mahnt an, nichts Unerreichbares oder sogar Unmögliches zu wünschen, da daraus nur Unzufriedenheit entsteht. Dies erfordere jedoch „Übung und wiederholtes Nachdenken“ (43). Es folgt ein Lobgesang auf die stoischen Philosophen, die er hier als Idole darstellt. Tatsächlich deckt sich die dritte Regel mit einem zentralen Aspekt der stoischen Philosophie. Nach deren Lehre rührt Unglücklichsein daher, daß sich unsere Wünsche nicht mit den äußeren Umständen vereinbaren lassen. Glück hingegen besteht in der Übereinstimmung mit der Natur, d.h. innere Ausgeglichenheit und Akzeptanz dessen, was man nicht ändern kann. In dem genannten Brief an Elisabeth legt Descartes die seiner Auffassung nach wichtigsten Voraussetzungen für Glück dar. Wichtig dabei ist, daß jeder ohne äußere oder göttliche Einflüsse nur mittels seiner Vernunft glücklich werden kann: Man muß seinen Geist kennenlernen um so wissen zu können, was man tun muß, man muß alles befolgen, was die Vernunft gebietet und man muß akzeptieren, daß alle äußeren Dinge gleichermaßen außerhalb seiner Macht stehen. Ein gutes Leben ist nicht nur durch gleichmütiges Annehmen gekennzeichnet, sondern muß stets durch das Licht der Vernunft geführt sein. Denn Tugend ohne vernünftige Begründung kann falsch und unbeständig sein.
4.4 Bemerkungen zur vierten Regel
Die vierte Regel verdeutlicht noch einmal, was in den vorhergehenden gesagt wurde. Die Befolgung dieser Regel ermöglicht den Erwerb von allem, was zu einem glückerfüllten leben notwendig ist. Bemerkenswert ist noch die Feststellung: „Und deshalb genügt es, recht zu urteilen, um recht zu tun“ (45f.), „womit ein weiterer Grundsatz der antiken Ethik, die Einheit von Theorie und Praxis, von Descartes bekräftigt wird“ (Klemmt 1971, 26).
5. Die Regeln und ihr Bezug zur antiken Moral
Es fällt auf, daß Descartes „durch den Gebrauch des natürlichen Lichtes seiner Vernunft zu einer weitgehenden Übereinstimmung mit Hauptmotiven der antiken Moral kommt“ (Klemmt 1971, 28). Tatsächlich finden sich in den Regeln viele stoische Elemente, wie z.B. das Ideal der Übereinstimmung mit der Natur. Auch Autonomie (vernünftige Selbstgesetzgebung) und Autarkie (Unabhängigkeit von äußeren Gütern) sind als grundlegende Elemente für ein erfülltes Leben von Bedeutung, und zwar nicht nur in den moralischen Regeln, sondern in Descartes ganzem Denken. Das mag befremden, wenn man an jene Stelle aus dem ersten Teil des Discours denkt, in denen Descartes von den moralischen Schriften der Antike behauptet, daß sie „nur auf Sand und Staub“ (13) gebaut sind. Diese Diffamierung der antiken Moralvorstellungen, die er doch später bekräftigt und deren Vertreter er später geradezu überschwenglich lobt, hat vermutlich in der Angst vor der Inquisition ihren Ursprung, die ihn auch davon abgehalten hatte, den Discours anonym zu veröffentlichen. Außerdem war Descartes vermutlich durch seine Lehrer in La Flèche, die die Schriften der Antike wohl vom Standpunkt der Kirche aus einseitig beurteilten, stark vorgeprägt. Trotz alledem bezeichnet er in dem besagten Brief an Elisabeth Senecas „De vita beata“ als das beste Werk, das ihm von einem heidnischen Philosophen bekannt ist, da es alle prinzipiellen Wahrheiten über Tugenden und Beherrschung der Leidenschaften enthält.
6. Beurteilung der Charakterisierung „Moral auf Zeit“
Descartes eigene Formulierung, er lege einige Regeln zu einer „Moral auf Zeit“ dar, kann leicht den Eindruck erwecken, daß diese Regeln unvollkommen und mehr auf Empirie, praktischen Bedürfnissen und Beobachtung des allgemeinen öffentlichen Verhaltens als auf vernünftigen Überlegungen gegründet sind. Aber schon in der kurzen Inhaltsangabe zu Beginn des Discours heißt es: „Im dritten [Teil] einige moralische Regeln, die sich für ihn aus dieser Methode ergeben haben“ (3). Dies zeigt, daß die moralischen Regeln im dritten Teil keineswegs nur provisorischen Charakter haben. Außerdem ergeben sich weite Teile des moralischen Codes aus rein vernünftigen Überlegungen, die nicht nur für den Zeitraum des Zweifelns, sondern für ein ganzes Leben gelten können. Die Bezeichnung „Moral auf Zeit“ rührt wohl daher, daß im ganzen Discours keine Wahrheiten gelehrt werden, sondern lediglich von ihnen gesprochen wird. Die Themen des Discours werden so als persönliche Erfahrungen stilisiert, die keine allgemeine Gültigkeit beanspruchen. Doch es fehlt nicht an Sätzen, die nicht mehr als bloße Erfahrungsberichte verstanden werden können, sondern die in aller Deutlichkeit zeigen, daß seine Grundsätze nicht nur für ihn gelten, sondern jedem, der sich seiner Vernunft bedient, zu einem glücklichen Leben verhelfen können. Descartes Formulierung „Moral auf Zeit“ gründet sich vermutlich im äußerlich vorläufigen Charakter des Discours im ganzen. „Die Charakterisierung als ,provisorisch´ wäre dann nichts als eine [...] Vorsichtsmaßnahme“ (Klemmt 1971, 29).
7. Literaturverzeichnis
Blom, John J. 1978, Descartes. His Moral Philosophy and Psychology, Hassocks: The Harvester Press.
Cottingham, John 1993, A Descartes Dictionary, Oxford: Blackwell.
Descartes, René 1997, Von der Methode des richtigen Vernunftgebrauchs und der wissenschaftlichen Forschung: französisch - deutsch. Übers. und hrsg. von Lüder Gäbe. 2., verb. Aufl., Hamburg: Meiner.
Klemmt, Alfred 1971, Descartes und die Moral, Meisenheim am Glan: Verlag Anton Hain.
[...]
1 Auch in der Sekundärliteratur beschränken sich viele Autoren in bezug auf Moral auf Bemerkungen.
2 Seitenzahlenangaben ohne Angabe des Autors beziehen sich auf die zweisprachige Ausgabe des „ Discours de la m è thode “, Descartes 1997
3 Vgl. Klemmt 1971, 14-32 und Cottingham 1993. Die folgenden Bemerkungen zu den einzelnen moralischen Regeln folgen im wesentlichen diesen beiden Autoren.
4 Zitate aus Briefen entnommen aus Klemmt 1971
- Arbeit zitieren
- Simon Meier (Autor:in), 2001, Descartes´ Discours: Moral auf Zeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/103648
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