Diese Arbeit analysiert die Rede "Wissenschaft als Beruf" von Max Weber (1917) und beschäftigt sich mit den zentralen Aufgaben und der Rolle des Wissenschaftlers. Zudem werden die Dynamik der Entwicklung der Wissenschaft, die Spezialisierung sowie das Veralten wissenschaftlicher Erkenntnisse untersucht.
Dabei wird auch auf gemeinsame Elemente von Wissenschaft und Unternehmertum, Leistungen der Wissenschaft wie Kenntnisse, Methoden, Werte und die Data Science als neue Wissenschaft eingegangen.
1 Zentrale Aufgaben eines Wissenschaftlers: „Doppelgesicht“ in zwei Rollen, Übertragung in die Praxis abseits der Wissenschaft, direkte Anwendbarkeit
Weber beschreibt den typischen Wissenschaftler1 seiner Zeit in der Rolle des an einer deutschen „althistorischen“ Fakultät habilitierten Privatdozenten zunächst auf Basis der „äußeren Verhältnisse“. Diese bedingen sein Wirken in einem vom Wohlwollen des Ordinarius bestimmten strikten Abhängigkeitsverhältnis, welches ihm zwar im Rahmen seiner fachbezogenen Lehrbefugnis eine unbefristete Anstellung mit großer wissenschaftlicher Freiheit bietet, jedoch wird er anfangs „entgolten nur durch das Kolleggeld seiner Studenten“. Dieser finanziell riskanten Situation kann er, so er nicht vermögend ist, nur auf zweierlei Weise entkommen: zum einen durch eine Vielzahl zahlender studentischer Hörer, basierend insbesondere auf starker rhetorischer Begabung und auch Äußerlichkeiten wie Temperament oder Stimmfall, und zum anderen durch Berufung auf eine Professorenstelle, oftmals beruhend auf nachhaltigem Protegieren durch seinen Ordinarius2.
Weber verlangt nun, dass ein derart berufener Wissenschaftler zwei sehr unterschiedliche Aufgaben erfüllt, also ein „Doppelgesicht“ als qualifizierter Gelehrter und als Lehrer zeigt3.
Den Gelehrten charakterisiert er als Forschenden, der unter strengster Spezialisierung etwas Vollkommenes leisten will, was für immer Bestand haben soll und ihm damit das „Vollgefühl“ endgültiger fachlicher und emotionaler Befriedigung verschafft. Für diese „spezialistische“ Leistung sind Eingebung verbunden mit Leidenschaft sowie „ganz harte Arbeit“ notwendig. Einfälle mit großer wissenschaftlicher Tragweite können durchaus auch „Dilettanten“ haben, die sich vom Fachmann nur unterscheiden durch die fehlende „Sicherheit der Arbeitsmethode“ und das mangelnde Erkennen eben dieser Tragweite4.
Vom Lehrer fordert Weber, wissenschaftliche Schulung als „geistesaristokratische“ Angelegenheit zu betreiben, deren „Kunst“ also spezifisch begabten Privilegierten obliegt. Ihre didaktische Kernaufgabe ist es, ungeschulten, aber aufnahmefähigen Köpfen wissenschaftliche Grundlagen und Probleme verständlich dazulegen und zum selbständigen Denken hinzuführen5.
Aus Webers Sicht fällt die geforderte Doppelrolle von Gelehrtem und Lehrer oft leider ganz und gar nicht zusammen, ja diese Kombination essentieller Begabungen ist sogar „absoluter Zufall“. Beispiele zeigen, dass hervorragende Gelehrte gar nicht so selten „entsetzlich schlechte“ Lehrer sind6.
Für Weber spielt die beschriebene Dualität komplementärer Eigenschaften auch außerhalb des universitären Bereichs eine entscheidende Rolle. Denn auch Unternehmer und Künstler müssen ihre fachlichen Fertigkeiten und ihre Beharrlichkeit ergänzen durch „geniale Einfälle“, ohne die sie keine geschäftlichen Innovationen oder Kunstwerke entwickeln können7.
In der heutigen Praxis außerhalb der Wissenschaft, zum Beispiel in Wirtschaftsunternehmen, finden sich beide Rollen wieder, der Gelehrte als Experte und der Lehrer als Wissensmanager, allerdings selten in einer Rolle vereint. Experten in der Wirtschaft zeichnen sich durch sehr tiefes Wissen und spezielle Forschungsaktivitäten aus, sind aber im Rahmen ihrer Expertenkarriere oft von weiteren Managementaufgaben befreit. Es obliegt in der Regel den leitenden Führungskräften, für ihren Verantwortungsbereich sicherzustellen, dass sowohl relevantes Wissen über den Stand der Technik als auch neue Forschungsergebnisse bekannt und praktiziert sind. Dafür werden vielfältige interne und externe Qualifizierungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten genutzt, oft in enger Kooperation mit Universitäten, die ihre Etats zunehmend mit Drittmitteln finanzieren.
Aufgaben von Wissenschaftlern und Managern sind ähnlicher geworden, so erfüllt beispielsweise ein Institutsleiter Anforderungen als Forscher, Lehrer und Manager. Längst ist wissenschaftliche Stringenz auch außerhalb von Universitäten unabdingbar für Innovationen sowie ökonomischen und gesellschaftlichen Fortschritt. Wechsel von Wissenschaftlern zwischen Wirtschaft und Hochschule erfolgen in beiden Richtungen. In bestimmten Fächern sind sie sogar die Regel, wie in den Ingenieurwissenschaften, wo nicht habilitierte Kandidaten auf die Lehrstühle berufen und mehrjährige Praxiserfahrung sowie exzellente Fähigkeiten in Didaktik und Kommunikation verlangt werden.
Vermehrt, insbesondere in den USA, finden sich aber auch außerhalb der etablierten Firmenlandschaft neue Unternehmen und Startups, die oft unter Beteiligung von Universitätsangehörigen gegründet werden. Zur akademischen Rolle des Wissenschaftlers kommt damit noch die Chance und durchaus die Erwartung hinzu, dass dieser seine Kenntnisse in Forschung und Lehre auch in unternehmerische Förderung und geschäftliche Nutzung von Innovationen einbringt.
2 Wissenschaftler als Universalgelehrte - Max Webers Urteil
Weber lehnt die Auffassung vom Wissenschaftler als „Universalgelehrtem“ ab. Er rät jedem potentiellen Wissenschaftler dediziert davon ab, diesen Beruf zu ergreifen, wenn er dieser beruflichen Vision nachgeht.
Weber hat erkannt, dass die Wissenschaft in ein Stadium der Spezialisierung eingetreten und dieser Trend irreversibel ist. Dies liegt begründet im ungeheuren und stetig beschleunigten Zuwachs wissenschaftlicher Erkenntnisse, wobei der einzelne Forscher nur noch auf einem immer enger werdenden Gebiet etwas Perfektes erreichen und innere Zufriedenheit über eine finale und kompetente Leistung erfahren wird. Für benachbarte Forschungsgebiete kann der Wissenschaftler lediglich noch Fragestellungen formulieren, diese jedoch nicht mehr selbst umfassend beantworten8.
Dem Streben nach wissenschaftlicher Endgültigkeit erteilt Weber in seinen weiteren Ausführungen darüber hinaus eine Absage. Der kontinuierliche Fortschritt der Wissenschaft bedingt, dass jetziges Wissen laufend veraltet und - spätestens - in einigen Jahrzehnten überholt sein wird. Dies ist der Zweck der Wissenschaft und soll für den Wissenschaftler Hoffnung und nicht Problem sein9.
3 Elemente wissenschaftlicher Erkenntnis und die Bedeutung für den Unternehmer
Harte, oft routinemäßige Arbeit und themenbezogene Leidenschaft allein sind für Weber notwendige, aber nicht hinreichende Vorbedingungen wissenschaftlicher Erkenntnis. Hinzukommen muss in jedem Fall der auf Eingebung und Begabung beruhende Einfall, die zündende Idee, als entscheidender Impuls. Dieser ist weder planbar noch erzwingbar, er passiert nicht zwangsläufig, vielmehr ereignet er sich unter Umständen bei trivialem Tun abseits des Arbeitsplatzes. Diese Zufälligkeit trägt entscheidend zur ökonomisch riskanten beruflichen Situation des Wissenschaftlers bei, solange dieser nicht in eine unbefristete Stellung berufen ist.
Einfall und Arbeit sind wechselweise voneinander abhängig, das eine ersetzt nicht das andere. Nur beide Elemente gemeinsam bewirken den Rausch der Neuentdeckung, wissenschaftlichen Erfolg und die letztendliche berufliche Befriedigung10.
Erfolgreiches Unternehmertum beruht nach Weber auf den gleichen Grundlagen. Unternehmen bedürfen Individuen mit kreativen, innovativen, „genialen“ Einfällen, damals wie heute. Dazu gehören die Nutzung neuer Technologien, neue Geschäftsideen, die Erschließung zusätzlicher Märkte und Kundensegmente sowie Ideen zur Beschaffung der erforderlichen finanziellen Mittel. Auch hier ist die Ideenfindung oft zufällig, jedoch wird zunehmend versucht, diesen Faktor durch Methoden des Innovationsmanagements zu systematisieren und planbarer zu machen. Ein weiterer wichtiger Unterschied ist das Wettbewerbsumfeld, in dem sich jedes Unternehmen immer wieder behaupten und neu erfinden muss um zu überleben, welches in dieser Form und Konsequenz im akademischen Bereich nicht existiert.
4 Eigenheiten wissenschaftlicher Erkenntnis - Dauerhaftigkeit, Vollendung und Abschluss eines Themas
Weber würde der Einschätzung nicht zustimmen, dass große Entdeckungen wissenschaftliche Themen zum Abschluß bringen. Er sieht vielmehr wissenschaftliche Arbeit und ihre großen Erkenntnisse als Elemente des ständigen Fortschritts. Die zugrunde liegenden Sachfragen werden daher nicht abschließend gelöst, sondern die vertiefte Spezialisierung der Wissenschaftler liefert stetig zunehmende breitere und tiefere Erkenntnisse. Weber beschreibt und begründet dies als das Resultat des über tausende Jahre verlaufenden Prozesses der Wissenschaftsentwicklung, von der griechischen Antike mit der Kernfrage nach richtigem Handeln als Staatsbürger über die Renaissance mit beginnender Empirie in rationalen kontrollierten Experimenten bis zur Neuzeit, in der die Sinnfrage mit dem Streben nach immer exakterer Beschreibung und Berechnung aller weltlichen Phänomene beantwortet wird. Weber prognostiziert darüber hinaus, dass dieser Prozess der immer detaillierteren rationalen und empirischen Wissensvermehrung nie enden wird11.
Einhundert Jahre nach Webers Rede muss man konstatieren, dass er die Entwicklung der Wissenschaft weitestgehend richtig vorausgesehen hat. Insbesondere in den Naturwissenschaften und der Medizin hat sich zum einen das wissenschaftliche Fundament, zum Beispiel in der Molekularbiologie und der Teilchenphysik, stark verbreitert und gefestigt. Zum anderen wurden auf dieser Basis zahlreiche experimentell höchst aufwändige und von Data Science angetriebene Untersuchungen forciert wie beispielsweise die Sequenzierung des menschlichen Genoms, die Visualisierung eines Schwarzen Lochs oder die langfristige Modellierung der Klimaentwicklung.
Die Sinnfrage der Wissenschaft hat sich seit Weber hingegen weiterentwickelt, denn es steht nicht mehr allein die Generierung vermehrten Wissens im Mittelpunkt, sondern vermehrt fach- und länderübergreifend zu erforschende dringende Zukunftsfragen der Menschheit wie der Klimawandel, regenerative medizinische Verfahren wie Zell- & Gentherapien und ganz aktuell die Corona-Pandemiebekämpfung. Vom Wissenschaftler als Spezialisten wird dabei künftig zusätzlich eine globale und fächerübergreifende Vernetzung erwartet.
[...]
1 Zum Zweck der besseren Lesbarkeit wird auf die geschlechtsdifferenzierende Schreibweise verzichtet.
2 Weber (1995), S. 3-7.
3 ebd., S. 9.
4 ebd., S. 11-13.
5 ebd., S. 10.
6 ebd., S. 9.
7 ebd., S. 14.
8 Weber (1995), S. 11-12.
9 ebd., S. 17.
10 Weber (1995), S. 13-15.
11 Weber (1995), S. 16-25.
- Citar trabajo
- Dr. Hans-Walter Höhl (Autor), 2021, Wissenschaft als Beruf nach Max Weber, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1036297
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