Entwicklungspolitik
Brasilien: „nachholende Industrialisierung“ = Aufholstrategie
Lieferant von Rohstoffen/ Importeur von Fertigwaren
→ (mit Kapital aus dem Export) Aufbau einer Industrie für einfache Konsumgüter (vor ausländischer Konkurrenz geschützt)
→ Industrie Importe durch eigene Produkte ersetzen
→ 50er bisherige Binnenmarktorientierung aufgegeben
→ Arbeitsplätze schaffen: mit Hilfe ausländischen Kapitals langlebige Güter produzieren (Autos...)
→ 1964 Militärputsch: noch schnellere Gangart → moderner Industriestaat (exportierende Industrie gefördert = Wachstumsmotoren)
→ Vorleistung für Industrialisierung: Infrastruktur (Auslandskredite = Verschuldungspolitik) durch Export von agrarischen, mineralischen + Industriegütern sollen Schulden zurückgezahlt werden
→ erst mal Aufschwung, brasilianisches Wirtschaftswunder
→ 70er/80er: Ölpreisexplosion, Phase hoher Zinsen, fallende Rohstoffpreise, rückläufige Auslandsnachfrage → erhebliche Devisenprobleme
→ Aufnahme kurzfristiger + teuerer Auslandskredite
→ 1982 Zahlungsunfähigkeit Brasiliens
→ Ende der „nachholenden Industrialisierung“ mit hohen Auslandsverschuldungen + Rückkehr zur Demokratie
→ erst 1994: Umschuldungsabkommen mit den 750 privaten ausländischen Gläubigerbanken
→ Schulden sinken von 11 auf 7 Milliarden US-Dollar → Lockerung der Importbeschränkungen, Inflation gestoppt
Erblasten des Entwicklungsexperiments:
- extrem ungleiche Einkommensverteilung → Unterernährung
- Vernachlässigung der ländlichen Entwicklung (einseitige Förderung der exportorientierten Plantagenwirtschaft) → Leute wandern in Stadt ab, Slums
- Verzicht auf Förderung von Industrie mit einfacher Technologie (zugunsten kapitalistischer Hochtechnologien) → Arbeitsplätze rar
- Vernachlässigung des Umweltschutzes
→ Konzept der nachholenden Industrialisierung hat nicht geklappt (Armut nahm überall zu, Vorteile des Aufschwungs nur für kleinen Bevölkerungsteil) → entwicklunspolit. Neubesinnung
→ entwicklungspolitische Priorität: Befriedigung der Grundbedürfnisse (Nahrung, Kleidung, Wohnung, Bildung, Gesundheit, Abwesenheit von Zwang und Folter, Bewahrung der kulturellen Identität, Beteiligung der Bevölkerung an gesellschaftlichen Entscheidungen) → Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum.
Tansania: „Afrikanischer Sozialismus“ = Grundbedürfnisstrategie
deutsche/britische Kolonie → 1961 unabhängig
- reiner Agrarstaat, hauptsächlich Subsistenzwirtschaft, kaum Anbau für den Export
→ schon in der Kolonialzeit leistungsfähiges Genossenschaftswesen
→ fördert zuerst einseitig die exportierenden Zweige der Landwirtschaft (wie die meisten af. Länder)
→ mit Exporterlösen soll eine importsubstituierende Industrie aufgebaut werden (mit Industrie selber versorgen, nicht mehr sooo abhängig vom Export
→ nach Reise in die Volksrepublik China: entwicklungspolitischer Kurswechsel (Staatspräsident Nyerere fürchtet der kapitalistische Entwicklungsweg führt zu einer weiteren regionalen + sozialen Differenzierung)
→ Afrikanischer Sozialismus:
- self-reliance = Vertrauen auf die eigene Kraft + ujamaa = Großfamilie, Familiensinn (wenn alle mithelfen klappts auch)
- staatlich geleitete Betriebe, staatlich unterstützte bäuerliche Gemeinschaften → nicht mehr ökonomisch oder politisch abhängig zu sein
- Vorrang der Befriedigung der Grundbedürfnisse und der ländlichen Entwicklung
- Ausbau des Erziehungs- und Gesundheitswesens + Infrastruktur, Wasserversorgung
Grundbedürfnisstrategie: Ende 70er: Strategie der Vereinten Nationen, der Weltbank + anderen Institutionen, nach den Enttäuschungen der Aufholstrategie
→ Krise: Ende der 80er: Abhängigkeit von ausländischem Geld (→ Einflussnahme ausländischer Kreditgeber)
→ Scheitern des Entwicklungsmodells
Faktoren:
Interne Faktoren:
- verstaatlichte Industrie wenig effizient
- Bauern gaben oft die Marktproduktion auf und arbeiteten nur noch für den eigenen Bedarf
- Regierung muss Nahrungsmittel importieren
- bürokratische Bevormundung (Zerschlagung des etablierten Genossenschaftswesens → staatliche Einrichtungen) → sinkende Motivation und Eigeninitiative
Externe Faktoren:
- kostspieliger Krieg gegen Ugandas Diktator Aki Amin
- viel Geld für Infrastrukturmaßnahmen (Hafen, Eisenbahn, Flughafen...)
- Zollunion mit Kenia + Uganda
- explodierende Ölpreise → hoher Devisenbedarf
- Verfall der Weltmarktpreise für die von Tansania exportierten Agrarprodukte
→ höhere Auslandsverschuldung
→ Importrestriktionen
→ steigende Inflationsrate, Schwarzmärkte, Zusammenbruch des Transportwesens (Treibstoffmangel), Teile der Ernte verrotten
Staatsbankrott vermeiden: Internationaler Währungsfond (IWF) = Art Zentralbank der Welt → Beistandsabkommen (Voraussetzung für Umschuldungsverhandlungen wenn ein Entwicklungsland in eine Verschulungskrise geraten ist) abschließen
→ strenge wirtschaftliche Auflagen → „neokolonialistische“ Auflagenpolitik: massive Abwertung der Währung, Lockerung der Importbeschränkungen, schrittweise Privatisierung der Staatsbetriebe...Staatsausgaben sollen massiv gekürzt werden
→ erhebliche Abstriche von den früheren Standards
Entwicklungshilfe - Hilfe zur Unterentwicklung oder Hilfe zur Selbsthilfe?
Rahmenbedingungen des internationalen Systems:
- von USA + GB bestimmt
- 3 Teilbereiche regelungsbedürftig:
- Währungsbereich (Internationaler Währungsfond: überprüft Wechselkurspolitik, Hilfe bei Zahlungsproblemen)
- Langfristige Kapitalhilfe (Weltbank: Wiederaufbau nach dem Krieg, Entwicklungsförderung mit Hilfe von Krediten)
- Handelsbereich (Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT): Ausbau des internationalen Handels, Diskriminierungen/Einfuhrbeschränkungen beseitigen, Zölle abbauen
seit den 50ern: mehr als 1 Billion US-Dollar für öffentliche Entwicklungshilfe (D ab 1952) + erhebliche private Entwicklungshilfe
Jedoch Zweifel an der Tauglichkeit der Entwicklungshilfe:
- Entwicklungshilfe stets zu gering, Industrieländern sind UN-Empfehlungen (0,7% des Bruttosozialprodukts) bei weitem nicht nachgekommen
- eher „Hilfe zur Unterentwicklung“ + „tödliche Hilfe“ → Entwicklungshilfe reduziert eigene Anstrengungen
- nicht Entwicklungshilfe selbst, sondern Ziele, Konditionen + Vergabepraxis haben zum Misslingen beigetragen
Deutschland:
- Verpflichtung erkannt → Humanität + internationale Solidarität → gleiche Lebenschancen der Völker
- Entwicklungspolitik = „Entwicklungszusammenarbeit“, „Politik im Geist der Partnerschaft“ → „Hilfe zur Selbsthilfe“
öffentliche Entwicklungshilfe: von Staat zu Staat (einzelne Regierungen + Programme der EU, UNO, Weltbank)
Hilfsmaßnahmen: Kapitalhilfe (zinsgünstige Darlehen mit langer Laufzeit/nichtrückzahlbare Zuschüsse), technische Hilfe, personelle Zusammenarbeit (Ausbildung von Fach- und Führungskräften), Nahrungsmittel + humanitäre Hilfe
private Entwicklungshilfe: kirchliches Hilfswerk, Parteistiftungen, finanziert aus Mitgliedsbeiträgen + Spenden → freie Träger können (anders als der Staat) an den Regierungen, Bürokratie, Machthaber vorbei direkt an der Basis aktiv werden → Experten fordern: Nicht-Regierungsorganisationen mehr unterstützen
Entwicklungshilfe als politisches Instrument:
Entwicklungszusammenarbeit hängt auch besonders von wirtschafts- und deutschlandpolitischen Zielen ab:
- Entwicklungspolitik als Instrument zur Verhinderung der völkerrechtlichen Anerkennung der DDR
- wachstumsorientierte Aufholstrategie: gefördert wurden nur industrielle Großprojekte → deutsches Exportinteresse
- Wende zur Grundbedürfnisstrategie: Entwicklungshilfe soll mehr nach den Zielen und Planungen der Entwicklungsländer ausgerichtet sein → Protest: Vernachlässigung legitimer deutscher Eigeninteressen, Ausrichtung an den Interessen oft korrupter Staatsoligarchien → Entwicklungshilfe wird zu Entwicklungshemmnis
→: Grundprobleme der staatlichen Entwicklungshilfe
1. Entwicklungshilfe sollte auch dazu beitragen, die Rohstoffversorgung des Geberlandes (BRD) zu sichern Entwicklungshilfe soll für die deutsche Wirtschaft „beschäftigungswirksam“ werden → Lieferbedingungen: Kapitalhilfe soll wo immer möglich für deutsche Güter und Dienstleistungen der BRD ausgegeben werden
2. Gefahr dass Entwicklungshilfe für die Interessen der in den E.ländern herrschenden Oligarchien benutzt wird → korrupte, unfähige und undemokratische Regierungen durch Entwicklungshilfe gestützt → neue Kriterien für die Vergabe von Entwicklungshilfe + Politikdialog (zw. Bundesregierung und Empfängerland)
Neue Wirtschaftsordnung, Freihandel, Süd-Süd-Kooperation - entwicklungspolitische Alternativen
1976 Welthandelskonferenz: Forderung der 3.Welt nach einer „neuen Weltwirschaftsordnung“ → „Integriertes Rohstoffprogramm“ (IRP) → Exporterlöse der Entwicklungsländer sollen stabilisiert + gesteigert werden
meiste Entwicklungsländer exportieren vor allem Rohstoffe, kaum weiterverarbeitete Produkte
→ auf den Import von Industriegütern angewiesen (deren Preise aber im Trend mehr steigen als die ihre Rohstoffe)
→ man muss für die Einführung von Industriegütern immer größere Mengen an Rohstoffen ausführen
→ ungleicher Tausch + Preisverfall (manche Stoffe durch Kunststoffe ersetzt) + starke Preisschwankungen
→ soll mit dem IRP bewältigt werden:
- Errichtung von Rohstofflagern → Ausgleich von Angebots - und Nachfrageschwankungen
- Errichtung eines „Gemeinsamen Fonds“ (Strukturverbessernde Maßnahmen finanzieren)
- Vereinbarungen von Preisober- und Preisuntergrenzen + Exportquoten für die 10 Produkte im Programm (=Rohstoffabkommen)
Rohstoffabkommen = Schwachpunkte des IRP:
→ „TransFair“ → durch faire Preise ein Überleben ermöglichen
→ kann für bestimmte Zielgruppen in den E-ländern entscheidende Hilfestellungen geben, aber nicht die großen Strukturprobleme im Handel zw. Nord + Süd lösen
Industrieländer: Forderung nach einer „neuen Weltwirtschaftsordnung“ nie Sympathien entgegengebracht: mit lib. Marktwirtschaft nicht vereinbar
→ Liberalisierung des Welthandels (Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen =General Agreement on Tariffs and Trade, GATT)
→GATT habe Grundlage für dynamische Entwicklung des Welthandels in den letzen 50 Jahren gebildet → zur Steigerung des Wohlstandes nach WW2 beigetragen
GATT: 1995 = World Trade Organization (WTO) 123 Mitgliedsländer, davon 99 Entwicklungsländer
Hauptziel: Freihandel auf der Grundlage der „Meistbegünstigung“ (Zollvergünstigungen für alle Mitgliedsländer) + der „Nichtdiskriminierung“ (erlaubte Ausnahmen vom Verbot mengenmäßiger Importbeschränkungen für alle) Ziele: Abbau von Schutzzöllen (Importzöllen), Exportsubventionen + nichttarifären Handelshemmnissen
→ Vereinbarung über Öffnung von Märkten soll bis 2002 zu einer weltweiten Einkommenssteigerung von 200-300 Mrd. US- Dollar führen
für die am wenigsten entwickelten Länder Afrikas aber Einkommensverluste:
- Industrieländer haben Marktzugangserleichterung vor allem für die Sektoren durchgesetzt in denen sie Vorteile haben
- Abbau von Agrarsubventionen um 1/3 →steigende Weltmarktspreise → Vorteile für exportierende Länder (Brasilien, Thailand), Nachteile der importierenden Länder (Afrika)
- Lomé-Abkommen: EU räumt günstigere Marktzugangsbedingungen ein (Präferenzabkommen) → jetzt: weltweiter Abbau von Importzöllen → Afrika muss mit Konkurrenz anderer Entwicklungsländer auf dem europäischen Markt rechnen
Basis für gerechten Warentausch (N-S) ist nicht gegeben (strukturelle Gegensätze von Industrie- und Entwicklungsländern)
→ Forderung nach „Dissoziation“ + „autozentrierter Entwicklung“ → zeitweise Abkoppelung der Entwicklungsländer von den internat. Wirtschaftsbeziehungen und einer nach innen gerichteten Entwicklung → nicht völlige Autokratie sondern Zusammenarbeit mir den Industrieländern in dem Umfang wie es für den Aufbau einer lebensfähigen Volkswirtschaft nötig ist
„Autozentrierte Entwicklung“ = Verringerung der Abhängigkeit von Lebensmittelimporten, Umstrukturierung der Landwirtschaft (→ eigene Nahrungsmittelproduktion), Verringerung der Abhängigkeit vom Import industrieller Güter (Aufbau einer verarbeitenden Industrie mit selbst erlernter + beherrschbarer Technologie)
→ an neue weniger auf Einzelstaaten bezogene Entwicklungspolitik gedacht: Süd-Süd-Kooperation zw. wirtschaftlich ähnlich strukturierten Staaten
→ Schritt in die richtige Richtung?
Quelle: Mensch und Politik, Friedenserhaltung - Friedensgestaltung, Schroedel Schulbuchverlag ISDN: 3-507-10426-1
Carolin Gall, 31. März 2001
- Quote paper
- Carolin Gall (Author), 2001, Entwicklungspolitik, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/103576
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