Ablaut und nominale Stammbildung
Einleitung
Der Ablaut ist eine Erscheinung, dessen Vorkommen sich schon im Idg. zeigt. Anhand einigen rekonstruierten Paradigmen kann man erahnen, dass er ursprünglich mit der Betonung zusammengehangen hat. In unbetonten Silben wurden die Vokale geschwächt, bei der Betonung ist die Normalstufe erhalten geblieben. Die Dehnung entwickelte sich analogisch, steht also nicht in einem phonologischen Zusammenhange. Spätestens aber schon im spätidg. konnte der als grammatikalisiert betrachtet werden.
Der Ablaut, ein wenig detaillierter betrachtet
Alle archaischen idg. Sprachen lassen in zusammengehörigen Formen, z.B. in den verschiedenen Kasus eines Nomens oder in den Ableitungen aus einer gemeinsamen Wurzel, oftmals einen Vokalwechsel in qualitativer und quantitativer Hinsicht erkennen.
Als qualitativer Ablaut wird der Wechsel von /e/ und /o/ bezeichnet, als quantitativer der Schwund oder die Dehnung von /e/ oder /o/. Dies hat dazu geführt, dass man beim qualitativen Ablaut zwischen Normal-, Dehn- und Schwundstufe unterscheidet.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Bsp. Griechisch "Vater", quantitativer Ablaut
Nominativ /pa'te:r/ té:r ->Dehnstufe
Akkusativ /pa'tera/ ter ->Normalstufe
Genitiv /pa'tros/ tr ->Schwundstufe
Dativ /pa'tri/ tr ->Schwundstufe
Dieses Beispiel, verfolgt man es bis zum Indogermanischen, lässt zudem noch einiges zur Dehnstufe aussagen.
pd-tér-s (s für Nominativ Singular) > pd-térr > pd-têr (siehe Griechisch)
pd-tér-m
pd-tr-és
pd-tr-éi
Im vedischen, die am weitesten zurückliegende indogermanische Sprache, lässt sich das Vokalphänomen auch schon betrachten:
Vgl. vedisch "Vater"
Nom. Sg. pi-tã ->Dehnstufe
Dat. Sg. pi-tr-ê (ê<ei) ->Schwundstufe
In anderen vom Indogermanischen abstammenden Sprachen, lassen sich die ursprünglichen Ablaut-Verhältnisse schwerer erkennen, da sich diese Sprachen im Bereich der Vokale und Diphtonge aufgrund anderer Phänomene schon stark entwickelt haben.
Zum Beispiel ist neben foedus n. "Bündnis"=V(0) und fidês f. "Treue"= S(ø) ein *feid-=V(e) nur noch in alter Sprache zufällig nachweisbar: die normale Entwicklung hat aber um 150 v. Chr. Von ei über e zu i und damit hier zu fido "vertraue" geführt. Ein fido ist somit synchron nicht mehr als V (e) erkennbar.
Für das germanische kommt dem Ablaut somit im Bereiche der Morphologie eine wichtige Aufgabe zuteil. Auch heute wäre ein Text ohne starke Verben unvorstellbar. Gerade die starken Verben können jedoch schon im Ahd. als vollständig grammatikalisiert betrachtet werden.
Der verbale Ablaut
Im Germanischen spielt der Ablaut in erster Linie beim Verb eine Rolle. Und zwar zum einen in der Verbflexion, zum anderen in der Lexembildung bei der Bildung deverbaler Nomen und Adjektive. Zuerst werde ich den verbalen Ablaut vorstellen, dann die nominale Wortbildung und den Ablaut als Wortbildungsmittel. Als letzten zu behandelnder Punkt setze ich mich mit der impliziten Ableitung auseinander.
Beim verbalen Ablaut wird im Nhd. zwischen sechs Ablautreihen unterschieden. Diese werden als Basis betrachtet, welche dann wiederrum in verschiedene Abteilungen aufgeteilt werden. Die siebte Klasse ist die der reduplizierenden Verben. Auch diese verfügt wiederrum über Abteilungen.
Die sieben Klassen der starken Verben im Ahd.:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Standardmerkmale der wichtigen Kennformen:
-Infinitiv+Präsens: Normalstufe e
-Präteritum Sing: Ablaut e->a (idg. e->o)
-Präteritum Plural und Partizip II: Schwundstufe
Nominale Wortbildung
Neubildungen einfacher Wörter und alle verwandten Wörter setzen dieselbe Wurzelform voraus. Ableitungen solcher Wurzelformen werden nicht durch die Umgestaltung, sondern durch die Hinzufügung von Lauten und Silben gewonnen. Die hinzugefügten Suffixe haben heutzutags grösstenteils nur eine funktionale, jedoch keine semantische Eigenbedeutung mehr. Der Ursprung der meisten Suffixe liegt weitgehend im Dunkeln. Einige Suffixe sind erst im gem. aus zweiten Kompositionsgliederen, deren Eigenbedeutung verblasst war, erwachsen. So zum Beistpiel ahd. -heit in manheit, kindheit, das noch als selbständiges Wort in der Bedeutung "Stand, Charakter" erhalten ist. Sind die ableitenden Suffixe ursprünglich also selbständige Wörter mit Eigenbedeutung gewesen, treten diese Ableitungen nicht mehr als Komposita auf, sondern bilden nur noch Analogiebildungen zu Typen, die aus Komposita hervorgegangen sind. Diese Analogiebildungen konnten auch schon entstehen, während die Ableitungssilben als selbständige Wörter noch existierten. Dies war z.B. beim obenerwähnten -heit der Fall, dasss im im ahd. gleichzeitig auch als eigenständiges Wort verwendet wurde.
Über die Entstehung der Suffixe
Neue Suffixe entstehen zumeist durch Kombination oder Erweiterung bestehender Suffixe. Suffixkombinationen entstehen oftmals durch falsche Abtrennung. So ist das Verbalsuffix - inon in got. Skalk-inon "dienen" aus Bildungen wie fraujin-on "herrschen" abstrahiert, wo -on an ein n-stämmiges Grundwort angefügt war. Ein anderes Beispiel wäre -keit, das aus der Verbindung echeit hervorgegangen ist. Dieses Phänomen ist darauf zurückzuführen, dass Adjektive auf -ec, nhd. -ig zu Substantiven auf -heit abgeleitet wurden. So zum Beispiel gütec-heit, gütekeit von gütec. Da aber statt dem umständlichen Adjektiv auf -ec auch gout verwendet werden konnte, reduzierte sich das -ekeit zu -keit und wurde und wird als ziemlich motiviertes Suffix verwendet.
Ein komplexes Suffix kann auch entstehen, wenn eine Ableitung auf eine ihrem Grundwort vorausliegende Bildung bezogen wird. So wird eine Zwischenstufe der Ableitung übersprungen. Fällt in einer Reihe a: ab: abc das Mittelglied ab, oder bleibt es ausser Betracht, erscheint a bc in unmittelbarer Beziehung als Einheit. So sind zum Beispiel Bäckerei, Brauerei, Färberei, Ableitungen von Bäcker, Brauer, Färber, konnten aber auf die diesen Bildungen zugrunde liegenden Verba backen, brauen, färben bezogen werden, was zur Ablösung eines Suffixes -erei führte. Dieses Suffix wird nun auch auf Malerei, Hehlerei, usw. angewandt. Ahd. Redin-ari "Redner" ist von redina "Rede" abgeleitet, so dass sich dazu analog aus ahd. -ãri im mhd. -aere, bild-enaere (nhd. Bildner) entwickelte.
Vergleichend lässt sich ein Beispiel zeigen und zwar, wenn ein suffixaler Konsonant auf einen suffixalen Vokal folgt. Denn als Flexionen der Substantiva Tag und Schlag erscheinen die Endungen -e, -en, -es, und entsprechend schon im gotischen als Flexionen von dags die Endungen -s, -is, -a, -os, -e, -am, -ans, als solche von slahs die Endungen -s, -is, -a, -eis, -e, - im, ins. Die vergleichende Grammatik zeigt, dass in diesen Endungen mit den urspünglichen Kasussuffixen stammbildende Elemente verbunden sind, in dags ein a-Suffix, in slahs ein i- Suffix. Komposita lassen diese Elemente noch im Ahd. hervortreten (daga-frist, slegi-brawa). Das Gefühl für die Selbständigkeit dieser Elemente ist verloren, und zwar nicht erst im Nhd., sondern auch schon im Ahd und Got. Denn sie zeigen sich nicht mehr unvermischt, nicht in selbständiger in sich übereinstimmender Form. Sie sind mit den Kasussuffixen unlösbar verwachsen und erscheinen durch ihre Variabilität als etwas dem Kern des Wortes Fremdes, als ein Mittel, die wechselnden Beziehungen, in die das Wort im Satz tritt zu bezeichnen. Die Kasussuffixe bilden jedoch Wortformen, die ableitenden Suffixe Wörter, sind also miteinander nicht zu verwechseln. Tag, Tages, Tage sind Formen des Wortes Tag. Täglich, tagein, tagen sind selbständige Wörter. Die Flexionen bilden ein festes System. Sie unterscheiden sich im besonderen von den Suffixen darin, dass sie immer an letzter Stelle stehen. Dass die Pluralendung -er keine alte Flexionsendung ist, zeigt sich noch jetzt darin, dass sie dem Deminutivsuffix voran gehen kann: Kinderchen, Kinderlein.
Ablaut als Wortbildungsmittel
Auch das praesuffixale Element zeigt sehr häufig Ablaut als Begleiterscheinung der Wortbildung. Dies vorallem bei primären Bildungen, die natürlicherweise eine Wurzelform verlangen, die von der des Infinitiv- oder Präsensstammes verschieden ist, so dass sie mit diesem in Ablaut stehen. So stehen etwa nhd. Bund, Band in Ablaut zu binden, sind jedoch von der gleichen Wurzelform abgeleitet, die im Prät. Band bzw. im Part. Perf. Pass ge-bund- en zum Vorschein tritt. In gleicher Weise verhalten sich Trunk, Trank zu trinken, Rauch, mhd. Ruch "Geruch" zu riechen. Bei gleichem Suffix weisen verschiedene Ablautformen (wenigstens ursprünglich) auf verschiedene Funktion oder Bedeutung: Trunk ist der Vollzug, Trank der Gegenstand des Trinkens. Infolge des Schwundes vokalischer Suffixe in den germ. Sprachen bleibt in den so gebildeten Wörtern nur der Ablaut als Wortbildungsmittel bewusst.
Auch in sekundären Bildungen kann gegenüber dem Grundwort ein Ablaut auftreten. Man spricht von sekundären Bildungen wenn Suffixe an einen bereits abgeleiteten Stamm antreten. Bei den wenigen, sämtlich altertümlichen Bildungen dieser Art ist stets die Ableitung durch Dehnstufe charakterisiert, bei einigen ist sie sogar das einzige Ableitungsmerkmal, so dass man hier von "innerer Ableitung" sprechen kann. Zum Beispiel gehört zu ahd. swehur "Schwiegervater" als Ableitung ahd. swagur "Schwager" (d.h. zum Schwiegervater gehörig").
Implizite Ableitung
Nun gibt es aber auch Wortbildungen, die ohne irgendwelche Suffixe entstehen. Sie stellen den einfachsten Typ der Neuwörter dar und entstehen durch paradigmatisches Umsetzen eines Grundmorphemes. Dieses Phänomen wird implizite Ableitung genannt. Anders als bei der obenerwähnten expliziten Ableitung wird die Form des Neuworts nicht durch ein erkennbares Wortbildungsmorphem erweitert. Bei der impliziten Ableitung wird weniger die adjektivische Reihe ausgebaut. Viel mehr dient sie zur Ergänzung des Verb- und Sustantivbestands: Lärm, lahm> lärm-en, lahm-en; schau-en tief> die Schau, das Tief. Dennoch gibt es einige Beispiele zum Ausbau der adjektivischen Reihe, wie zum Beispiel Angst, Ernst, Feind>angst, ernst, feind.
Das paradigmatisch umgesetzte Grundmorphem erscheint dabei mit den Flexionsmorphemen und syntaktischen Klassenanzeigern beider Wortklassen (z.B. des Lärm-s, er lärm-t), nimmt aber gelegentlich nicht an allen grammatischen Formmöglichkeiten der Zielklasse teil (z.B. bleibt Schau auf den Singular, feind, angst auf die "Grundstufe" sowie den prädikativen Bereich des Adjektivs beschränkt); auch kann das abgeleitete Wort durch die Einschränkung auf einen spezifischen Inhalt oder eine spezielle Textart (z.B. Tief auf den Wetterbericht) als "Derivat" erkennbar sein.
Betrachtet man aber den Terminus selbst, implizite Ableitung, könnte man auch ins Stutzen kommen. Denn laut Definition sollen solche Wörter ja durch paradigmatisches Umsetzen eines Grundmorphemes entstehen. Legt man aber bei der genaueren Betrachtung eines solchen Wortes die synchrone Brille beiseite, und betrachtet die ganze Sache diachron, schaut es schon ziemlich anders aus und man fragt sich, ob "implizite Ableitung" überhaupt der richtige Ausdruck sei.
Man vergleiche z. B. Ritt<*rida-t
Literatur:
Braune/ Eggers. Althochdeutsche Grammatik. Tübingen 1987
Erben, Johannes. Einführung in die deutsche Wortbildungslehre. Berlin 2000.
Kluge, Friedrich. Abriss der deutschen Wortbildungslehre. Halle 1925
König, Werner. Dtv-Atlas Deutsche Sprache. Augsburg 1993
Meid, Wolfgang. Wortbildung (=Band III von Hans Krahe, Wolfgang Meid: Germanische Sprachwissenschaft) Berlin 1967
Schützeichel, Rudolf. Althochdeutsches Wörterbuch. Tübingen 1995
Van Coetesem, Frans. Ablaut and Reduplication in the Germanic Verb. Heidelberg 1990.
Willmanns, Wilhelm. Deutsche Grammatik: Gotisch, Alt-, Mittel- und Neuhochdeutsch. 2.
Abteilung: Wortbildung. Strassburg 1896.
- Quote paper
- Serrat Leila (Author), 2001, Ablaut und nominale Stammbildung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/103558
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