Im Rahmen dieser Arbeit soll einem bestehenden Forschungsbedarf begegnet werden, indem die Forschungsfrage auf die Überprüfung der Rechenergebnisse als weitere Funktion des Darstellungswechels und als an den Lösungsweg anschließender Prozess, ausgeweitet wird.
Das menschliche Leben besteht aus einer Vielzahl von Erfahrungen, denen unser Verstand Bedeutungen zuordnet. Aus diesen Erfahrungen, die dem Gehirn als mentale Repräsentanten in Form von Mess - und Bezugsgrößen dienen, wird eine individuelle Wirklichkeit konstruiert. Diese subjektive Wahrnehmung der Wirklichkeit ermöglicht Verständnis und Kontextualisierung neuer Informationen im individuellen Bezugssystem, woraus letztendlich das individualisierte Verhalten resultiert. Insbesondere Kindern fällt es leichter neue Informationen in den Erfahrungsschatz zu integrieren und entsprechend zu handeln, wenn dem individuellen Bezugssystem unterschiedliche Informationsrepräsentationen (Darstellungen) zur Verfügung gestellt werden. Dabei kann der Wechsel zwischen den verschiedenen Darstellungsformen zu einem tieferen Verständnis des Lerngegenstandes und zu einem flexibleren Umgang mit dem zu vermittelnden Wissen führen.
Vor diesem Hintergrund wird in der folgenden Arbeit der Darstellungswechsel innerhalb des Mathematikunterrichtes untersucht und ein besonderes Augenmerk auf seine weiteren Effekte gelegt. Eine Förderung der mathematischen Kompetenzen sollten unter anderem auch das Selbstvertrauen in die Findung eigener Lösungswege unterstützen. Insbesondere bei rechenschwächeren Kindern kann das Phänomen der sogenannten ‚Rechenangst‘ auftreten und ein damit verbundenes mangelndes Selbstvertrauen in die Korrektheit eigener Rechenergebnisse und Lösungswege. Daher kann es äußerst hilfreich sein diesen SchülerInnen eine Möglichkeit nahezubringen, wie sie ihre Rechenschritte selbständig überprüfen können. Auf der Suche nach wissenschaftlich fundierten Ansäden, wie Rechenergebnisse von SchülerInnen systematisch überprüft werden können, gibt es wenig geschlossene, wissenschaftliche Erklärungsmodelle und Konzepte. Man kann davon sprechen, dass diesbezüglich aktuell noch gewisse Lücken in der mathematikdidaktischen Forschung vorliegen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einführung
2. Didaktischer Hintergrund
2.1. Definitionen
2.1.1. Darstellung
2.1.2. Klassifizierung
2.1.3. Darstellungswechsel
2.1.4. EIS - Prinzip
2.1.5. Rechenschwäche
2.2. Historische Aspekte
2.3. Entwicklungspsychologische Betrachtung
2.4. Pädagogische Betrachtung
2.4.1. Jerome Bruner
2.4.2. Lena Wessel
2.5. Funktionen des Darstellungswechsels
3. Methode und Methodologie
3.1. Rahmenbedingungen der Förderung
3.1.1 Schule
3.1.2. Schülerinnen
3.1.3. Verwendetes Material
3.2. Planung der Förderung
3.2.1. Vierphasenmodell
3.2.2. Analyse der verwendeten Aufgaben
3.3. Analyse der Förderung
3.3.1. ausgewählten Szenen
3.3.2. Methode des primär gedanklichenVergleichs
4. Empirischer Teil
4.1. Beispielanalyse Methode des primär gedanklichen Vergleichs
4.2. Deutungshypothesen
5. Fazit
Literaturverzeichnis
Anhang
Abbildungverzeichnis
Abb. 1 Fach - und sprachintegriertes Modell der Darstellungsebenen (Wessel 2014: 78)
Abb. 2 Integration von Darstellungen und Registern (Wessel 2014: 80)
Abb. 3 Strategien für den Zehnerübergang (Schipper 2005a: 33f.)
Abb. 4 Strategien für den Zehnerübergang (Schipper 2005a: 33f.)
1. Einführung
Das menschliche Leben besteht aus einer Vielzahl von Erfahrungen, denen unser Verstand Bedeutungen zuordnet (vgl. Lauter 2005: 23). Aus diesen Erfahrungen, die dem Gehirn als mentale Repräsentanten in Form von Mess - und Bezugsgrößen dienen, wird eine individuelle Wirklichkeit konstruiert. Diese subjektive Wahrnehmung der Wirklichkeit ermöglicht Verständnis und Kontextualisierung neuer Informationen im individuellen Bezugssystem, woraus letetendlich das individualisierte Verhalten resultiert (vgl. Schlag 2009: 90. nach Baldwin 1969: 326). Insbesondere Kindern fällt es leichter neue Informationen in den Erfahrungsschate zu integrieren und entsprechend zu handeln, wenn dem individuellen Bezugssystem unterschiedliche Informationsrepräsentationen (Darstellungen) zur Verfügung gestellt werden (vgl. Aebli 1987: 23 ff.). Dabei kann der Wechsel zwischen den verschiedenen Darstellungsformen zu einem tieferen Verständnis des Lerngegenstandes und zu einem flexibleren Umgang mit dem zu vermittelnden Wissen führen (vgl. Sprenger et al. 2013: 243. nach Aunsworth 1999).
Vor diesem Hintergrund wird in der folgenden Arbeit der Darstellungswechsel innerhalb des Mathematikunterrichtes untersucht und ein besonderes Augenmerk auf seine weiteren Effekte gelegt. Datengrundlage bieten ausgewählte Schlüsselszenen des universitären Förderprojektes ,Rechenstark', dass die Verfasserin an der inklusive Gemeinschaftsgrundschule in Köln durchgeführt hat.
Beispielsweise wird in der Sekundarstufe im Mathematikunterricht im Zusammenhang mit Funktionen, explizit der Darstellungswechsel von den Schülerinnen gefordert. Ein Wechsel der Funktionsdarstellung reicht von der tabellarischen über die graphische und textliche bis hin zu symbolischen Darstellungsformen und prägt als Leitidee den gesamten Mathematikunterricht der beiden Sekundarstufen (vgl. NRW Lehrplan Sekundarstufe I und II). Studienfachabhängig wird das Thema in der Universität weiterführend vertieft.
Allerdings kann keinesfalls davon ausgegangen werden, dass jedes Kind die selben Vorausseteungen für den Mathematikunterricht der Sekundarstufe mitbringt. Vorausseteung dafür, dass Kinder den flexiblen Umgang mit Darstellungsformen als Lernziel oder Lemgegenstand betrachten können, ist der zuvor erlernte Umgang mit Darstellungen (vgl. Radate 1991:87). Entscheidende Grundlagen müssen daher bereits in der Primarstufe verinnerlicht werden, um Defizite so früh wie möglich zu erkennen, damit eine frühzeitige, unterstüteende Förderung möglichst effektiv ist.
Folglich bezieht sich der Gegenstand dieser Arbeit auf ein präsentes Thema der Sekundarstufe das gleichsam relevant für die Primarstufe ist.
Dabei ist anzumerken, dass die Verfasserin an das,Rechenstark' Förderprojekt an der Grundschule1 mit einem universitären Hintergrund für die Gymnasial - und Gesamtschullehre herangetreten ist.
Die veränderten Rahmenbedingungen (Förderung an einer Grundschule) waren für die Forschungserkenntnisse der vorliegenden Arbeit allerdings eher zuträglich, da die grundschulische Propädeutik für die Themen der Sekundarstufe maßgeblich für den weiteren mathematischen Werdegang der Schülerinnen verantwortlich ist (vgl. Prediger et al. 2014: 7).
Im Zuge des ,.Rechenstark' Förderprojektes wird ein besonderes Augenmerk auf Kinder mit Rechenschwierigkeiten gelegt.
Eine entsprechende Förderung der mathematischen Kompetenzen sollten unter anderem auch das Selbstvertrauen in die Findung eigener Lösungswege unterstüteen (Hanke et al. 2010: 191). Insbesondere bei rechenschwächeren Kindern kann das Phänomen der sogenannten ,Rechenangst'2 auftreten und ein damit verbundenes mangelndes Selbstvertrauen in die Korrektheit eigener Rechenergebnisse und Lösungswege (vgl. Frite et al. 2017:23). Daher kann es äußerst hilfreich sein diesen Schülerinnen eine Möglichkeit nahezubringen, wie sie ihre Rechenschritte selbständig überprüfen können. Auf der Suche nach wissenschaftlich fundierten Ansäteen, wie Rechenergebnisse von Schülerinnen systematisch überprüft werden können, gibt es wenig geschlossene, wissenschaftliche Erklärungsmodelle und Konzepte. Man kann davon sprechen, dass diesbezüglich aktuell noch gewisse Lücken in der mathematikdidaktischen Forschung vorliegen.
Im Rahmen dieser Arbeit soll dem daraus resultierenden Forschungsbedarf begegnet werden, indem die Forschungsfrage auf die Überprüfung der Rechenergebnisse als weitere Funktion des Darstellungswechels und als an den Lösungsweg anschließender Prozess, ausgeweitet wird.
Wesentliche Grundlage der empirischen Studie sind Videos, die im Zuge des universitären Förderprojektes,.Rechenstark' aufgenommen wurden. Im Rahmen von ,.Rechenstark' wurden zwei Schülerinnen im dritten Schulbesuchsjahr von Mai 2020 bis November 2020 in Einzelsiteungen, jeweils für die Dauer von zehn Siteungen, von der Verfasserin gefördert. Im Fokus standen das Verständnis der mathematischen Operationen Addition und Subtraktion im Zahlenraum 1 bis 20.
Zur Beantwortung der Forschungsfrage wird im zweiten Kapitel der didaktische Hintergrund eines Darstellungswechsels betrachtet. Zunächst werden Definitionen von Begriffen geklärt und eine historische Einführung unseres Zahlensystems beschrieben. Im Anschluss werden dafür relevante entwicklungspsychologische und pädagogische Theorien vorgestellt und die Funktionen des Darstellungswechsels werden erläutert. Im dritten Kapitel folgt eine Betrachtung der Methode und Methodologie, welche die Beschreibung der relevanten Förderbedingungen und - planungen beinhaltet. Im vierten Kapitel werden ausgewählte Szenen der Förderung mit dem vorgestellten theoretischen Hintergrund hinsichtlich der hier erörterten Forschungsfrage analysiert. Die Analyse der Videomitschnitte erfolgt mit Hilfe der Methode des primär gedanklichen Vergleiches.
2. Didaktischer Hintergrund
2.1. Definitionen
Für eine differenzierte Untersuchung des Darstellungswechsels und seiner Effekte ist eine klare Definition und Abgrenzung der relevanten Begriffe notwendig.
2.1.1. Darstellung
Es gibt zahlreiche Synonyme für Darstellungen im mathematischen Kontext, wie zum Beispiel: Veranschaulichung, Rekonstruktionen, Anschauungsmittel, Repräsentationen, Artefakte. Viele dieser Begriffe stehen in einem engen Zusammenhang mit den Forschungsfeldern und Theorien der jeweiligen Forschungseinrichtungen (vgl. Kuhnke 2013: 8). Die Abgrenzung der verschiedenen Termini wird hier nicht aufgeführt, da sie den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. In der vorliegenden Arbeit wird sich auf den Begriff der Darstellung bezogen, da er im Zusammenhang mit der vorgestellten Forschung verwendet wird.
2.1.2. Klassifizierung
Nach dem Kognitionspsychologen JEROME SEYMOUR BRUNER lassen sich verschiedene Darstellungsformen im Mathematikunterricht hinsichtlich ihrer Erscheinungsform in selbst durchgeführte Handlungen (enaktive), bildliche (ikonische) oder symbolische Darstellungen klassifizieren. Dabei ist keinerlei Hierarchie der Ebenen festgelegt (vgl. Kuhnke 2013: 9).
Enaktiv
Enaktiv bedeutet, dass ein Sachverhalt durch konkrete oder vorgestellte Handlungen dargestellt wird.
Ikonisch
Die bildhaft - grafische Darstellung mittels Diagrammen, Funktionen, Tabellen, Bildern, Abbildungen oder Fotos wird als die ikonische Darstellungsform bezeichnet. Sie zeichnet sich durch die bildliche Rezeption von Informationen aus.
Symbolisch
Unter der symbolischen Darstellung wird ein Sachverhalt durch Zeichen oder Sprache ausgedrückt. Dabei werden abstrakte Zahlensysteme und formale Sprache verwendet (vgl. Lauter: 2005: 78)
2.1.3. Darstellungswechsel
Darstellungswechsel ist das Wechseln zwischen verschiedenen Darstellungsformen. Dabei kann der Wechsel zwischen zwei unterschiedlichen Darstellungsformen auch als Jntermodaler Transfer' und der Wechsel innerhalb einer Darstellungsform als ,intramodaler Transfer' (vgl. Kunke 2013: 32).
2.1.4. EIS - Prinzip
Das EIS Prinzip ist auf den amerikanischen Psychologen BRUNER zurückzuführen und beinhaltet die im vorherigen Abschnitt definierten Darstellungsmodalitäten, Wissen darzustellen. E-I-S steht für enaktiv - ikonisch - symbolisch (vgl. Wittmann 1974: 87).
2.1.5. Rechenschwäche
Da die Überprüfung von Rechenergebnissen insbesondere für Kinder mit Rechenschwierigkeiten von Bedeutung ist, ist es wichtig den Terminus der Rechenschwäche zu definieren. Im Zuge der Beschäftigung mit dem Thema ,Rechenschwäche' und ihrem Ursprung, wuchsen Terminologie und Komplexität des Begriffs. In der vorliegenden Arbeit wird die Definition von FRITZ, SCHMIDT und RICKEN (2017) verwendet. Demnach werden Kinder, die „ttofc im Normalbereich liegender Intelligenz (IQ>85) deutlich unterhalb der alters - und klassentypischen Leistung liegen" (Frite et al.: 14), als rechenschwach bezeichnet3.
2.2. HistorischeAspekte
Mit Blick auf die historische Entwicklung ist sowohl die mathematische Komplexität, aber auch das notwendige Grundlagenwissen der durchschnittlichen Bevölkerung stetig angewachsen. Rechenoperationen wie „13+9 = 22" sind aus heutiger Sicht simpelste Rechenaufgaben. Diese und ähnliche Aufgaben waren jedoch die längste Zeit der Menschheitsgeschichte für den Großteil der Bevölkerung unlösbar. Der ursprüngliche Zahlenraum entsprang der natürlichen Umwelt des Menschen - den eigenen zehn Fingern. Mit ihnen wurde auf Besite oder Gegenstände gedeutet und mit ihnen erfolgten auch die ersten Nummerierungen. Etymologisch sind die Worte „zählen" und „Zahl" dem Wort „zeigen" verwandt (vgl. Wedel 2011: 97). Schon in der Frühzeit der Geschichte verlangten die Grundherrn Erträge für die Bewirtschaftung ihrer landwirtschaftlichen Flächen. Mittels eines Kerbholzes wurde damals gezeigt, aber auch gezählt. Im Laufe der Zeit wurde durch die Abstraktion des Begriffes ,zeigen' dann das Wort „Zahlen" (vgl. ebd: 14).
Mit zunehmender Verneteung der Gesellschaft, zunehmendem Handel und der damit verbundenen Notwendigkeit Handelswege zu etablieren, entwickelten sich komplexerer Zahlensysteme. Mit deren Hilfe konnte zum Beispiel Navigation, Astronomie und Wissenschaft betrieben, Handelsvolumina beschrieben und letetlich Kriege geführt werden. Mit dem Wachstum der Güter stieg auch das Wissensniveau. Die Zahlen wurden immer abstrakter und verloren ihren ehemals expliziten Bezug zur Realität. Die Weiterentwicklung der Gesellschaft im europäischen Raum geht einher mit der Entwicklung von Fingerzahlen, über Volkszahlen (Kerbhölzer, Bauernzahlen und Knoten) und Buchstabenziffern hin zu komplexeren Zahlensystemen (vgl. Wedell 2011: 21f.). Diese Zahlensysteme bildeten die Grundlage des uns bekannten Dezimalsystems, aber es entwickelten sich auch andere Systeme: beispielsweise wurden in Mesopotamien, dem Herrschaftsgebiet der Babylonier, das Hexadezimalsystem verwendet, welches sich zum Beispiel auch in unseren Zeitangaben wiederfinden lässt (vgl. Damerov, Schmidt 2001: 1- 8).
Mit zunehmender Komplexität der Lebensumstände, wuchs der Grad der Abstraktion der Zahlensysteme, woraus sich unsere heutigen Zahlen und Schrifteeichen entwickelten. Der Umgang und das Verständnis von Zeichen und Zahlen steht also im direktem Zusammenhang mit der Entwicklung einer Gesellschaft.
2.3. Entwicklungspsvchologische Betrachtung
Im Bezug auf den Darstellungswechsel ist es wichtig zu verstehen, wie sich die menschliche Aneignung von Wissen im Laufe der Jahre verändert. Dazu hat der Genfer Psychologe JEAN PIAGET, als einer der Hauptvertreter der kognitiven Entwicklungspsychologie, Aufschluss geleistet. Schon 1937 leistete er einen großen Beitrag zu der heutigen Entwicklungspsychologie und beschäftigte sich unter anderem mit der Entwicklung der menschlichen Intelligenz.
PIAGET stellte auf Grund von eigenen Beobachtungen fest, dass laufend interdependente Wechselwirkungsprozesse zwischen der Umwelt und dem Individuum stattfinden. Die von der Umwelt vorgegebenen Grenzen, Zwänge und Sinneseindrücke nehmen zwangsläufig Einfluss auf das Denken und Fühlen des Individuums. Andererseits findet auch eine gewisse Einflussnahme des Individuums auf die Umwelt statt, da das Individuum sich einerseits anpassen möchte und andererseits die Umwelt nach seinem Verständnis verändern will. (vgl. Reiss, Hammer 2013: 28). Der Mensch versucht imgrunde sein ganzes Leben lang diese Wechselwirkung in Einklang zu bringen, wodurch ein höchst individuelles ,Bild der ,Wirklichkeit' entsteht. Laut PIAGETS Theorie bilden individuelle ,Schemata/, in der Form organisierter Wissens - und Verhaltensmuster, die eigentlichen Grundbausteine des Wissens (vgl. Ginsburg, Opper 1998: 47 f.). Diese teils vererbten Schemata werden kontinuierlich durch Erfahrungen des Individuums verdichtet und verbessert. Dies erfordert eine hohe Denkleistung und Abstraktionsvermögen der kognitiven Fähigkeiten eines Menschen. Neue Erfahrungen werden demnach laufend zu dem individuellen ,Bild der Wirklichkeit' entweder eingefügt (Assimilation) oder das Bild wird angepasst (Akkommodation), wodurch weitere kognitive Schemata kreiert werden und ein individuell optimierteres Gleichgewicht zwischen dem Individuum und seiner Umwelt entsteht (vgl. Wittmann 1974: 61 ff.).
Das subjektive Bild der Wirklichkeit ist demnach stets im Wandel und entwickelt sich im Laufe der Jahre zu einem kognitiv anspruchsvollem System (Wittmann 1974: 63). Die Entwicklung der dazu erforderlichen Intelligenz teilt Piaget in vier verschiedene Stufen ein, die unabhängig vom kulturellen Hintergrund sind. Wobei hier angemerkt werden muss, dass die Entwicklung der Intelligenz nach PIAGET nicht als statische Entität sondern als ein stetiger Prozess angesehen wird (Wittmann 1974: 60).
Die Altersangaben der verschiedenen Stadien von PIAGET sind umstritten und sollen daher hier nur als grobe Einschäteungen aufgefasst werden (vgl. Zech 1996: 93). Die verschiedenen Stufen seteen immer höhere Denkleistungen voraus und können somit als zeitlich und kognitiv hierarchisch angesehen werden (vgl. Zech 1996: 89).
Von Geburt bis zum Alter von etwa zwei Jahren befindet sich das Kind in der sogenannten ,sensomotorischen Phase'. In den erstenbeiden Lebensjahren sammelt das Kind Erfahrungen vor allem durch seine Sinnesorgane und Bewegungen. Dinge werden vom Kind im Wortsinn gegriffen' und es erlernt sich diese Objekte - unabhängig von seinen Handlungen - vorzustellen und ihnen eine eigene Existenz zuzuschreiben. Für das Kind existiert die grobstoffliche Welt zunächst nur soweit es diese mit seinen Sinnesorganen erfahren und ,begreifen/ kann (vgl. Wittmann 1974: 71).
Die zweite Phase wird,präoperationale Phase' genannt und wird auch aufgeteilt in das vorbegriffliche Denken, in welcher die Kinder etwa eineinhalb bis vier Jahre alt sind und das anschauliche Denken im Alter von circa vier bis sieben Jahren (vgl. ebd). Das Denken ist in diesem Alter sehr stark an konkrete Handlungen gebunden. Kinder dieses Alters können beispielsweise drei verschieden große Puppen der Größe nach ordnen indem sie sie je zwei Puppen aktiv miteinander vergleichen. Anders sieht es jedoch aus, wenn die drei Puppen aufgemalt werden, die Kinder die Puppen vor ihrem inneren Auge vergleichen müssten und dadurch den Vergleich nicht aktiv handelnd vornehmen können (vgl. Ginsburg, Opper 1998: 177). Die Benuteung von Bildern und Symbolen erlaubt Kindern in dem Alter des anschaulichen Denkens ab etwa vier Jahren über vergangene Handlungen nachzudenken und auch sich darüber zu unterhalten. Bevor die konventionellen Symbole übernommen werden, weisen die Symbole eine strukturelle Ähnlichkeit zu den realen Gegenständen auf (vgl. Wittmann 1974: 72).
Die ,Phase der konkreten Operation' ist vor allem für das Grundschulalter von sieben bis elf Jahren typisch. In dieser Phase verliert die Wahrnehmung für die Urteilsbildung an Bedeutung. Das Kind kann Voraussagen was in konkreten Situationen geschehen wird, jedoch müssen reale Bezugspunkte für diese Situation vorhanden sein. Die kognitiven Schemata werden nun kompositionsfähig, also zusammensetebar und reversibel (vgl. Zech 1996: 91). Diese Art von Denkhandlungen werden Operationen' genannt. In der Phase der ,konkreten Operation' ist bereits die „Organisation von Operationen in Operationssystemen (Gruppierungen)" (Wittmann 1974: 74) möglich. Jeder Gruppierung können zwei zueinander inverse Schemata zugeordnet werden, Beispiele hierfür wären Öffnen und Schließen, Zerlegen und Zusammenseteen oder Addieren und Subtrahieren. Kinder in diesem Stadium sind in der Lage fundamentale mathematische Begriffe und Relationen zu verstehen, wie zum Beispiel logische Verknüpfungen (Vereinigung von Mengen...), Relationen („Teilmenge von"...) oder Zeitbegriffe (ebd.). Diese Operationen müssen jedoch an konkrete Handlungen gebunden sein, unrealistische Situationen wie „stellen wir uns vor, wir wären Albert Einstein" können sie schwer nachvollziehen. Sie brauchen die Verknüpfung mit der konkreten Handlung, damit sie eine logische Struktur für sich auftauen können. Das bedeutet, dass Kinder in diesem Stadium tendenziell nicht in der Lage sind verbale Schlussfolgerungen losgelöst von der konkreten Handlung zu tätigen (vgl. Ginsburg, Opper 1998: 144).
In der,Phase derformalen Operation' ab zwölf Jahren ist zum ersten Mal eine völlige Abstraktion möglich. Sie können auf rein hypothetischer Ebene Probleme verallgemeinern und sind fähig Zusammenhänge zu erkennen. Durch die ,verbale Darstellung' können Raum und Zeit überwunden werden und es ist möglich deduktiv hypothetisch Problemstellungen zu lösen (vgl. Zech 1996: 91 f.). Die Kinder sind fähig einzelne Situationen als Spezialfälle allgemeiner Situationen anzusehen. In der Mathematik drückt sich dies mit Hilfe von Variablen aus. Die Betrachtung endlich vieler Fälle ermöglicht eine Behandlung unendlich vieler Spezialfälle (vgl. Wittmann 1974: 76)
Troff Kritik bezüglich der Linearität der Phasen und der Eindeutigkeit der Fähigkeiten in den einzelnen Stufen sind die Grundaussagen der Theorie PIAGETS heute noch weitgehend anerkannt (vgl. Ginsburg; Opper 1998: 206 f.). Fesffuhalten ist, dass die Schülerinnen sich in der Grundschulzeit im Übergang von dem präoperativen zum konkretoperativen Stadium befinden. Es ist in dieser Zeit demnach besonders wichtig zu verstehen, dass die Denkhandlungen fest an konkrete Handlungen gebunden sind und eine abstrakte Problemstellung in der Regel nicht losgelöst von der dazugehörigen Handlung verarbeitet werden kann.
2.4. Pädagogische Betrachtung
2.4.1. Jerome Bruner
JEROME BRUNER hat sich als einer der ersten amerikanischen Psychologen aus lernpsychologischer Sicht die Auseinanderseffung über Darstellungsformen das Prinzip der Wissensvermittlung stark geprägt. Dabei ist er nicht explizit auf die Art und Weise eingegangen, wie die verschiedenen Ebenen vemetet sind, jedoch betonte er, dass das Zusammenspiel verschiedener Darstellungen eine „wichtige Treibkraft der geistigen Entwicklung" (Bruner 1971: 33) sei.
Im Zusammenhang mit Darstellungsformen nimmt er eine Dreiteilung der Darstellungsebenen in handelnd, bildlich und symbolisch vor.
Die handelnde Darstellungsebene, später als ,enakive Darstellungsebene' bekannt, bedeutet, dass ein Sachverhalt durch konkrete oder vorgestellte Handlungen dargestellt wird (vgl. Wittmann 1974: 87; Bruner 1971: S. 21 ff.). Das Wissen ist hierbei an eine Aktivität mit konkretem Material gebunden (vgl. Kuhnke 2013: 11). Die konkrete
Handlung mit dem Material unterstütet die Bildung „geistiger Operationen, die assoziativ, kompositionsfähig und reversibel sind" (vgl. Lauter 2005: 76). Ein Beispiel dafür ist in der Mathematik die Addition und Subtraktion.
Kinder befinden sich während der Grundschulzeit nach PIAGET in der Regel im ,konkretoperatorischen Entwicklungsstadium' (siehe 2.3.). Daher ist es in dieser Phase besonders wichtig die enaktive Darstellungsform als Ausgangspunkt zur Vermittlung von Lehrinhalten zur Rate zu ziehen und die mathematischen Grundvorstellungen - inhaltliche Interpretationen mathematischer Operationen - passend zu visualisieren (Kuhnke 2013:11).
Die ,ikonische Darstellung' zeichnet sich durch das bildliche Aufnehmen von Informationen aus und erfolgt durch das schematisierte Abspeichern von Bildern. Sie dient vor allem der Vermittlung der Realität und mathematischer Zeichen. Damit ist diese Form der Darstellung abstrakter, als die enaktive Darstellungsform und erfordert somit ein gewisses Maß an Abstraktionsvermögen, welches im Entwicklungsprozess erst nach der elementaren Phase der Handlungen erlernt wird. (vgl. Wittmann 1974: 87 f.).
Die bildliche Darstellung wird im mathematischen Kontext vor allem verwendet, um Handlungsabläufe grafisch in einem Fluss- beziehungsweise Baumdiagramm oder auch in einer Situationsskizze festeuhalten. Für die Schülerinnen kann dabei problematisch sein, dass zeitlich unterschiedliche Zustände eines konkreten Handlungsablaufs simultan dargestellt werden sollen (vgl. Lauter 2005: 76 f.). Da die exakte fkonische' Beschreibung einer Handlung, mit ihrem Anfangs - und Endzustand, schwierig umsetebar ist, sollte diese Form der Darstellung immer mit einer enaktiven Darstellung verknüpft werden (ebd.)
Mit der /symbolischen Darstellung’ wird ein Sachverhalt durch Zeichen oder Sprache in Form von abstrakten Zahlensystemen oder formaler Sprache ausgedrückt (vgl. Lauter: 2005: 78). In dieser Darstellungsform wird der Informationsgehalt auf das Wesentliche reduziert, daher ist sie sehr kompakt und schlüssig. Die Form der Zeichen, Buchstaben und Ziffern ist die abstrakteste, jedoch am meisten genutete Darstellung von mathematischen Gesetemäßigkeiten. Sie erlaubt es sich bei der Betrachtung von einem Einzelfall zu entfernen und Regeln für alle vergleichbaren Fälle aufzuzeigen, indem zum
Beispiel in einer Formel mit endlich vielen Zeichen eine unendlich große Zahl an Ausführungen beschrieben werden kann.
Dabei weisen die Symbole keinerlei Ähnlichkeit mit dem Dargestellten auf. Anders als Bilder oder Handlungen ,stellen sie nichts dar', sondern ,bedeuten' etwas. In der Mathematik werden diese Bedeutungsträger zu einem Symbolsystem vereinigt, wodurch die Beschreibung mathematischer Strukturen möglich ist (vgl. Wittmann 1974: 87 ff).
BRUNERS Theorie gilt heute in den zentralen Punkten als bestätigt und es haben sich auftauende Theorien daraus entwickelt. Die Trennung der enaktiven, ikonischen und symbolischen Darstellungsebene wurde von den auftauenden Theoretikernlnnen prinzipiell beibehalten (vgl. Wittmann 2005: 87). Die /verbale Darstellung' sorgt jedoch bis Heute für Unstimmigkeiten. BRUNER äußert sich diesbezüglich auch nicht konkret. Einerseits bildet die Sprache seiner Meinung nach ein zentrales Element des Unterrichts, da erst durch Sprache ein Gedankenaustausch möglich ist. Andererseits kann der Schüler oder die Schülerin sie nur „selbst anwenden, um Ordnung in sein[e] Umwelt (...)
[zu] bringen" (Bruner 1974: 13). Dadurch sieht er die Sprache unabhängig von den anderen Darstellungsformen. An anderer Stelle ordnet er die Sprache jedoch explizit der symbolischen Darstellung zu: „Schließlich gibt es die Repräsentation in Worten oder Sprache. Ihr Kennzeichen ist ihr symbolischer Charakter, und sie hat bestimmte Eigenheiten symbolischer Systeme, ..." (Bruner 1974: 17).
2.4.2. Lena Wessel
LENA WESSEL beschäftigt sich derzeit mit Darstellungsformen und leistet mit ihren Erkenntnissen einen wichtigen Beitrag zu dem Darstellungswechsel im aktuellen mathematikdidaktischen Diskurs.
Sie bezieht sich in ihrer Forschung auf Theorien, die auftauend auf die Theorie von BRUNER von LESH, POST & BEHR oder CRAMER entstanden sind. Sie deklarieren die /verbale Darstellung' als vierte Darstellungsform und differenzieren die symbolische Darstellung in geschriebene und mündliche Symbolik (Cramer 2003: 449). Bei der Unterscheidung dieser Ebenen geht es, anders als bei Bruner, nicht nur um den Wechsel zwischen den Darstellungen von einer in die andere, sondern auch um den Wechsel innerhalb einer Darstellungsebene (vgl. Lesh et al. (1987); Cramer 2003).
WESSEL untersucht den Zusammenhang von sprachlichen und inhaltlichen Lernprozessen und entwickelt ins besondere für die Sekundarstufe ein darauf auftauendes Modell der ,Darstellungs - und Sprachvemeteung'. Bei diesem mathematikdidaktischen Prinzip wurde das Prinzip des Darstellungswechsels von BRUNER und die Registermodelle der Sprache in Zusammenhang gebracht (Leisen 2005; Wessel, Prediger 2013).
Ihre Leitidee ist die Vernefeung von unterschiedlichen Darstellungs - und Sprachebenen, um mathematisches Vorstellungsvermögen und konzeptuelles Verständnis zu schulen. Der Begriff der ,Darstellungsvernek.ung‘ geht dabei über den Begriff des Darstellungswechsels hinaus. Er „umfasst (...) die Kompetenzen bzw. Tätigkeiten Unterscheiden, Übersehen, Wechseln, Zuordnen, in Beziehung sefeen von bzw. zwischen unterschiedlichen Darstellungen“ (Prediger, Wessel 2011:168).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb .1
WESSELS Modell der Fach - und sprachintegrierten Darstellungsebenen, liegen fünf verschiedene Darstellungen zugrunde, wobei die ,verbale Darstellungsebene' in drei Kategorien unterteilt wurde. Es gibt die Ebenen der gegenständlichen Darstellung', der,bildlichen Darstellung', der ,symbolisch-numerischen' sowie der symbolisch - algebraischen Darstellung'.
Die ,verbale Darstellungsebene' ist, angelehnt an HALLIDAY (1978) & CUMMINGS (1979), in die ,verbal alltagssprachliche Darstellung', ,verbal bildungssprachliche Darstellung' und ,verbal fachsprachliche Darstellung' aufgeteilt.
Wobei angemerkt werden muss, dass die Begriffe ,Alltagssprache', ,Bildungssprache' und ,Fachsprache' als Register angesehen werden und jeder Darstellungsebene - ,enaktiver', ,ikonischer', symbolischer' sowie ,verbaler' - zugeordnet werden können (vgl. Hallidays 1978: 195). Register im Bezug auf die ,verbale Darstellungsebene' sind, laut HALLIDAYS Definition, ein „set of meanings that is appropriate to a particular function of language, together with the words and structures wich express these meanings" (ebd).
Die folgende Tabelle soll am Beispiel von Bruchrechnung veranschaulichen, wie Register zu verstehen sind:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2 Integration von Darstellungen und Registern (Wessel 2014: 80)
Das ,aütagssprachliche Register' wird in alltäglichen Sprachhandlungen und in Kontext bezogenen alltagssprachlichen Redewendungen verwendet. Häufig zeichnet es sich durch eine gewisse Ungenauigkeit aus.
Der sprachliche Austausch in Schul - und Bildungszusammenhängen bildet die /verbal bildungssprachliche Ebene', wobei dabei gewisse Vorkenntnisse, wie Eindeutigkeit, Genauigkeit und Strukturierung der Sprachkultur vorausgesetet werden (vgl. Morek, Heller 2012: 69fi ). Besonders Kinder aus bildungsferneren Elternhäusern oder solchen, die nicht mit Deutsch als Erstsprache aufwachsen, stellt das vor eine große Herausforderung (vgl. Prediger, Wessel 2011: 164 f.). Ihnen fehlt schlicht und einfach der Umgang mit dieser Sprachform.
Zur,verbal fachsprachlichen Darstellungsebene' gehören die mathematischen Ausdrucksmittel formelsprachlicher Art für formelbezogene Sprachhandlungen, wie das Erläutern von Rechenwegen oder auch die richtige Verwendung von Verben, wie addieren im Sachzusammenhang (vgl. Prediger 2017: 237fi.).
WESSEL legt bei ihrem Modell mit dieser Einteilung der ,verbalen Darstellung' eine Abstraktionshierarchie der ,verbalen Ebenen' fest, die anderen Ebenen sind, wie bei BRUNER, als gleichwertig anzusehen (vgl. Wessel 2014: 78).
Die sogenannten .Darstellungsverneteungsprozesse' - als bewusst wahrgenommene Registerwechsel zwischen .alltags-, bildungs- undfachsprachlichen Sprachregister' sowie .grafischen' und .enaktiven Darstellungsebenen', sind für die mathematische Vorstellungsentwicklung besonders wichtig (vgl. Wessel 2015: 121 ff.). Insgesamt werden acht Verneteungsaktivitäten4 aufgelistet und exemplarisch zu dem Thema Bruchrechnen erläutert (vgl. Wessel 2015: 123).
Verneteungsaktivitäten definiert WESSEL durch vielfältige Aktivitäten, die unter anderem auch das .Prüfen / Korrigieren der Passung zwischen Darstellungen' umfasst. Dem Prüfen und Korrigieren wird demnach ein wichtiger Stellenwert zugeschrieben, wobei es bei ihr um die Konzipierung von Aufgaben im Lernkontext geht, die eine Prüfung oder Korrektur erfordern.
Das ,ModeH der Fach - und sprachintegrierten Darstellungsebenen' (Abb. 1) und die exemplarische Konkretisierung von Verneteungsaktivitäten soll bei der Strukturierung von Lernumgebungen in jeder Altersstufe zum Einsate kommen (vgl. Wessel 2015: 79). Nur die /symbolisch - algebraische Darstellung' und die gegenständliche Darstellung' werden nicht in jeder Klassenstufe verwendet. In den unteren Klassenstufen wird noch nicht mit algebraischen Symbolen gerechnet und in der Oberstufe wird normalerweise nicht mehr mit Gegenständen gearbeitet (vgl. Prediger, Wessel 2011: 166f).
2.5. Funktionen des Darstellungswechsels
Im Hinblick auf die Forschungsfrage ist es sinnvoll die derzeitig anerkannten Funktionen des Darstellungswechsels zu betrachten.
Darstellungswechsel als Lernhilfe
Wie in Abschnitt 2.4 dargestellt, werden seit BRUNERS mathematikdidaktischer Auseinanderseteung mit dem Darstellungswechsel, verschiedene Darstellungen im Unterricht eingesetet, um den Schülerinnen mathematische Inhalte zu vermitteln. Diesbezüglich haben Studien nachweislich ergeben, dass das mathematische Problemlosen durch den Darstellungswechsel erleichtert wird (vgl. Kuhnke 2013: 22 nach Javier 1987; Lesh et al. 1987; Kaput 1992; Duval 2006; Ainsworth et al. 2002; Elia, Gagatsis 2007).
In weiteren Studien stellte sich heraus, dass durch die Verwendung des ,inter - beziehungsweise intramodalen Transfers' diese Schüler deutliche Leistungsunterschiede gegenüber Schülerinnen des traditionellen Unterrichts im Bereich des Konzeptverständnisses und Ordnung aufweisen (Cramer 2003: 450).
Da verschiedene Darstellungen unterschiedliche Aspekte eines mathematischen Begriffes darstellen, hilft der Darstellungswechsel den Lernenden dabei, ein tiefgründigeres Verständnis des Begriffes zu erlangen (vgl. Kunhke 2013:11 nach Even 1998; Elia et al.
2007; Ainsworth et al. 2002). Der Darstellungswechsel hat sich demnach bewiesenermaßen als Lernhilfe erwiesen.
Darstellungswechsel als Lernstoff
Damit der Jntermodale Transfer' als Lernhilfe genutet werden kann, müssen die Kompetenzen für die Ausführung eines Wechsels von einer Darstellungsform in die andere vorhanden sein (vgl. Ainsworth et al. 2002: 25).
Die Deutung mathematischer Begriffe ist keineswegs trivial, sondern muss dem Kind erklärt oder von ihm alleine erforscht werden. Zudem müssen Beziehungen zwischen den Darstellungsformen hergestellt werden können, damit der mathematische Begriff nicht mit dem mathematischen Objekt verwechselt wird (Duval 2000: 61). Um einen abstrakten mathematischen Begriff in seiner Tiefe zu verstehen, ist es notwendig einzusehen, dass der Begriff nicht von seiner Darstellungsform abhängig ist, sondern die Darstellung nur eine Ausdrucksform des Begriffes ist. Daher können verschiedene Darstellungsformen den gleichen mathematischen Begriff repräsentieren, wobei er in vielen Fällen durch die Darstellungsform begrenzt wird. Es wird beispielsweise nicht möglich sein den Begriff der linearen Funktion ganzheitlich bildlich darzustellen, da eine lineare Funktion unendliche Länge und Dünne besitet. Allein durch das Ausdrucksmittel, wie ein Blatt Papier, ist die Darstellungsform durch die Blattränder begrenzt.
Demnach ist der Darstellungswechsel in diesem Kontext ein Lernstoff, der den Lernenden beigebracht werden muss.
Darstellungswechsel als Diagnoseinstument für Operationsverständnis
Der Darstellungswechsel wird bereits in vielen Studien als ein Mittel zur Einschäteung des Operationsverständnisses verwendet (vgl. Gerster, Schulz 2004 in Anlehnung an Huinker 1993; van de Walle 1994). Dabei werden die Überseteungsfähigkeiten der
Schülerinnen zwischen der realen Sachsituation, ,ikonischer,enaktiver/und symbolischer Darstellungsebene' überprüft und bewertet (ebd.).
PREDIGER (2009) ordnet das beschriebene Operationsverständnis den Grundvorstellungen der einzelnen Operationen zu. Der Darstellungswechsel eignet sich daher als ein Mittel zur Überprüfung von individuellen inhaltlichen Vorstellungen, (vgl. Prediger 2009: 220).
Darstellungswechsel als Lernziel
Die Wichtigkeit des Themas Darstellungswechsels nimmt in den leteten Jahrzehnten deutlich zu. Im Lehrplan für die Primarstufe in NRW von 1985 wurden die Darstellungsformen noch nicht explizit aufgeführt, sondern nur als Grundsate der Unterrichtsplanung verstanden (Lehrplan 1985: 27tt.). Im Gegensate dazu sind die Begriffe ,Darstellen' und ,Darstellungswechsel' in aktuellen Lehrplänen wörtlich aufgeführt (Lehrplan NRW 2008: 5). Dadurch wird der Stellenwert des Themas ,DarstellungswechseV im Mathematikunterricht noch einmal unterstrichen, da die Lehrpläne und Bildungsstandards des deutschen Schulsystems idealerweise den (fach)didaktischen Diskurs aufnehmen (vgl. Kuhnke 2013: 25).
In den zentralen Leitideen des Mathematiklehrplans der Grundschule in NRW (2008) wird die „Vernefcung verschiedener Darstellungsformen" explizit genannt (Lehrplan NRW 2008: 5). Wobei der Begriff der Verneteung, wie schon erwähnt, die Tätigkeiten:
„Unterscheiden, Übersehen, Wechseln, Zuordnen, in Beziehung sefcen zwischen bzw. von unterschiedlichen Darstellungen" (Wessel (2015), S. 69) beinhaltet.
Aber die Darstellungsformen sind nicht nur im Lehrplan der Grundschule von enormer Bedeutung. In den Anforderungen zum Ende der Sekundarstufe I werden sie unter den Kompetenzen ,Argumentieren/Kommunizieren' und problemlosen' wieder wörtlich aufgeführt (vgl. Lehrplan NRW 2007).
3. Methode und Methodologie
Es kann festgehalten werden, dass die Entwicklung eines Menschen verschiedene Entwicklungsstadien durchläuft (siehe 2.3.). Kinder befinden sich im Grundschulalter meistens im Übergang von der ,sensomotorischen Phase' in die,konkret operative Phase'. Daher ist es besonders wichtig die ,enaktive Darstellungsebene' in den Lernprozess einzubinden. Dabei muss der Übergang zur /symbolischen Darstellungsebene' hergestellt werden, zu der sich die aktuelle mathematische Sprache entwickelt hat, um sie mit unserer zunehmend komplexen Welt kompatibel zu machen. Das durch BRUNERS Theorie (1971) initiierte ,E-l-S Modell' kann den Lernprozess durch die Verbindung der ,enaktiven Darstellungsebene' mit der /konischen' und /symbolischen Darstellungsebene' unterstüteten.
Studien konnten belegen, dass eine vielfältigere Informationsrepräsentation zu entsprechend größeren Lerneffekten führt (vgl. Aebli 1987: 23 ff.; vgl. Kunhke 2013: 11 nach Even 1998; Elia et al. 2007; Ainsworth et al. 2002). Daher wurde das BRUNERSCHE - Modell von vielen Wissenschaftlerlnnen weiterentwickelt und ausdifferenziert. Die von WESSEL sogenannten ,Darstellungs - und Vernefcungsprozesse' sind für den heutigen Mathematikunterricht zuträglich und der Darstellungswechsel bildet ein prozessbezogenes Lernziel, eine wichtige Lernhilfe und elementaren Lernstoff für die Schülerinnen.
Vor dem Hintergrund dieses Forschungsstandes ergibt sich folgende Forschungsfrage für die zu analysierenden Szenen der Fallstudie:
Welche Funktion hat der Darstellungswechsel bei den Schülerinnen der Fallstudie im Kontext vom mathematischen Problemlosen?
Besonders Kinder mit Rechenschwierigkeiten machen Fehler beim mathematischen Problemlosen. Aber durch Fehler lernt man! Deswegen ist es nicht so schlimm, einen Fehler zu machen. Im Gegenteil: Es ist gut aus den eigenen Fehlern zu lernen. Man kann jedoch nur aus den Fehlern lernen, wenn man auch weiß, dass man einen Fehler gemacht hat. Dafür ist es notwendig, dass leistungsschwächere Grundschulkinder ihre Rechenergebnisse eigenständig überprüfen können. Bezüglich des Prüfens von
Rechenergebnissen liegen jedoch aktuell noch gewisse Lücken in der mathematikdidaktischen Forschung vor.
Daraus entwickelte sich die hier modifizierte Forschungsfrage:
Welche Funktion hat der Darstellungswechsel bei den Schülerinnen der Fallstudie im Kontext vom mathematischen Problemlosen beziehungsweise der Überprüfung von Rechenergebnissen?
3.1. Rahmenbedingungen der Förderung
3.1.1 Schule
Die,Grundschule' an der die,Rechenstark' Förderung stattgefunden hat, befindet sich in dem bevölkerungsreichsten Stadtbezirk in Köln, einer Stadt mit über 1 Millionen Einwohnerinnen. Als inklusive und jahrgangsübergreifend unterrichtende Schule soll jedes Kind in seinen individuellen Stärken gefördert werden. Die über 60 Pädagoglnnen der Schule, einschließlich Sonderpädagoglnnen, Schulbegleiterinnen und Therapeutinnen haben Erfahrung mit diversen sonderpädagogischen Unterstüteungsbedarf. Die Klassen bestehen aus altersgemischten Gruppen der Klassen eins bis vier. Daher ist kein Wechsel der Klassengemeinschaft notwendig, wenn ein Kind eine Klasse überspringt oder, wie die Kinder in dieser Fallstudie, die Schuleingangsphase (1. und 2. Klasse) in drei Jahren durchläuft.
Ergänzend zu den Klassenräumen gibt es zwei Multifunktionsräume, die für Lern - und Förderzwecke vorgesehen sind. In einem dieser hellen, großen Räume fanden die von der Verfasserin wöchentlichen,Rechenstark' Förderstunden statt. In dem Raum befinden sich, neben dem verwendeten Material (siehe 3.1.3), viele Arbeitsmittel und Spiele, die für die Förderung verwendet werden durften.
3.1.2. Schülerinnen
Die zwei Schülerinnen Anna und Lena5 sind zwei der über 30 Kindern mit Rächenschwierigkeiten6, die im Jahr 2020 im Rahmen von ,Rechenstark' gefördert wurden. In ihren Förderungen wurde unter anderem der Darstellungswechsel im Kontext des Problemlösens und Prüfens thematisiert und ihre Förderstunden bieten daher eine gute Datengrundlage für die Beantwortung der Forschungsfrage.
Anna ist zum Beginn der Förderung 8,5 Jahre alt und befindet sich im dritten Schulbesuchsjahr, behandelt aber wiederholt den Stoff der zweiten Klasse. Das darauffolgende Jahr wird sie voraussichtlich mit den restlichen Zweitklässlerlnnen die dritte Klasse besuchen. Ihre Muttersprache ist deutsch und es liegt zur Zeit kein sonderpädagogischer Förderbedarf vor. Ihr Klassenlehrer beschreibt sie als neugieriges und offenes Kind, dass gerne handelnd lernt und entdeckt. Sie zeigt deutliche Defizite in Mathematik und Deutsch im Vergleich zu ihren Klassenkameradinnen auf, weshalb sie den Lerninhalt der ersten zwei Schuljahre in drei Schulbesuchsjahren erlernen soll. Sie hat, laut ihrem Lehrer, große Schwierigkeiten während der Einzelarbeit mit den Schulheften, da sie in der rein symbolischen Ebene' Informationen nur schwer aufnehmen. Die Erarbeitung neuer Themenbereiche erfolgt in einer offenen Herangehensweise nach dem ,E-l-S Prinzip', sodass den Kindern kreative Lösungsansätee angeboten werden.
[...]
1 Aufgrund der 2020er Corona Pandemie hat sich der Förderzeitraum zeitlich nach hinten verschoben und die zunächst kooperierende Gesamtschule musste das Projekt absagen. Aufgrund dessen wurde die Förderung ,Rechenstark' alternativ an der GGS Grundschule in Köln durchgeführt.
2 Angst vor Zahlen und dem Rechnen durch negative Bezugspunkte (vgl. Fite et al. 2017:156)
3 Im Zuge der Definitionen wird nicht auf den Terminus und Abgrenzung der Rechenstörung oder Lernbehinderung von der Rechenschwäche eingegangen, da die vorgestellte Theorie keinen Bezug zu diesen Begriffen herstellt.
4 Siehe Anhang 2.
5 Die Namen der Kinder wurden geändert
6 Es wurde bewusst nicht der Begriff,rechenschwache' Kinder benutet, da bezüglich der Ausprägung der Mathematik Schwierigkeiten keine Daten vorliegen. Liegt die Rechenleistung zusätelich zu den Phänomenen der Rechenschwäche deutlich unter dem individuellen Intelligenzniveau spricht man von einer ,Rechenstörung’ oder ,Dyskalkulie' (vg. Fite et al. 2017:14). Es ist unklar, ob bei den Kindern der Fallstudie eine ,Rechenschwäche' oder eine ,Rechenstörung' vorliegt.
-
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen.