In diesem Essay erfolgt die Auseinandersetzung mit dem Begriff Tyrann im Rückblick auf die Antike. Auf Grundlage Sophokles Antigone soll das Machtverhalten Kreons betrachtet werden. War er seiner Macht verfallen und nutzte er seine Herrschaft aus? Beachtete er den Willen der Götter und nahm er sein Volk in menschlichen Belangen ernst?
In der Antike versteht man unter dem Begriff Tyrann einen Herrscher, der absolut alleine regiert. Zur damaligen Zeit ist dies zwar ein vorwiegend neutraler, politischer Begriff, jedoch enthält dieser auch eine negative Betrachtungsweise. Aus heutiger Sicht würde sein Verhalten etliche Debatten und Widerstandsbewegungen auslösen.
Technische Universität Dortmund
SoSe 2019
Studienleistung in Form eines Essays
War Kreon ein Tyrann, der seine Macht gegen den Willen der Götter durchsetzt? Eine annähernde Auseinandersetzung mit den weltlichen und göttlichen Gesetzen am Beispiel der Herrschaft Kreons
In der Antike versteht man unter dem Begriff Tyrann einen Herrscher, der absolut alleine regiert. Zur damaligen Zeit ist dies zwar ein vorwiegend neutraler, politischer Begriff, jedoch enthält dieser auch eine negative Betrachtungsweise.1 Aus heutiger Sicht würde sein Verhalten etliche Debatten und Widerstandsbewegungen auslösen. Daher erfolgt die Auseinandersetzung mit dem Begriff Tyrann im Rückblick auf die Antike. Auf Grundlage Sophokles Antigone soll das Machtverhalten Kreons betrachtet werden. War er seiner Macht verfallen und nutzte er seine Herrschaft aus? Beachtete er den Willen der Götter und nahm er sein Volk in menschlichen Belangen ernst?
Kreon, Herrscher Thebens, erlaubt es Antigone nicht, ihren Bruder Polyneikes zu bestatten. Das Bestattungsverbot soll als Strafe dienen, da Polyneikes als Feind der Stadt angesehen wird. Trotz des Verbotes handelt Antigone laut Bossinade als Gesetzesbrecherin2, um ihrem Bruder diese letzte Ehre des Familienrechtes zu erweisen. Kreon lässt sie festnehmen, gestehen und verurteilt sie zum Tode.
Bei einer möglichen Beschreibung Kreons denkt man an <stur>, <stark>, <entschlossen>, <prinzipientreu>, <aufbrausend>, <zornig> und <kritikunfähig>. Kreon als weltlicher Herrscher regiert die Stadt Theben. Dabei stellt er sein weltliches Gesetz vor das der Götter. Es ist fragwürdig, ob dieses Verhalten positiv oder negativ gewichtet ist. Es bleibt festzuhalten, dass Kreon mit aller Macht seine Gesetze und Vorstellungen zum Wohle eines zufrieden geführten Volkes durchbringen will und dabei die Götter mit ihren Ansichten vorerst ignoriert.
Bereits in seinen ersten Worten – der feierlichen Rede zur Thronbesteigung – ist zu erkennen, welche Grundprinzipien und Vorstellungen Kreon in seiner Herrschaftszeit für wichtig erachtet. Es sind die geltenden Gesetze des Vaterlandes und deren konsequente Einhaltung, die er benennt. Er sieht sich als „Lenker einer ganzen Stadt“ (Z. 178) und vertritt selbstbewusst die Meinung, auf Grundlage der geltenden Gesetzlichkeiten stets das Beste zu wohlen – auch gegen den Willen der Götter. Bereits an dieser Stelle werden positive Ansätze einer klaren Machtvorstellung und das möglichst gerechte Regieren deutlich. Aber bei näherer Betrachtung sind erste Grundsteine einer Sturheit erkennbar, denn Kreon kritisiert ansatzweise die Stellung der Götter und ordnet diese seiner Macht unter.
Im weiteren Verlauf zieht Kreon erstmalig den Zorn des Volkes auf sich, indem er die Bestattung des Polyneikes verbietet. Dies entspricht aber nicht dem Willen der Götter und widerstrebt auch den Ansichten des Volkes. Die gläubige Antigone widersetzt sich dem Verbot und bestattet ihren Bruder. Der Chor, dem nach der Kreons Entscheidung missbilligte, erinnerte ihn an die Gesetze der Götter (Z. 278 – 279). Kreons Verhalten kann an der Stelle von zwei Seiten betrachtet werden: Auf der einen Seite benimmt er stur und widersetzt sich den Göttern. Auf der anderen Seite erwartet er die Loyalität seines Volkes und demonstriert damit öffentliche das Einhalten seiner eigenen politischen Grundsätze. Er möchte das Einmischen der Götter in weltliche Angelegenheiten nicht.
Kreon erwartet von seinem Volk (weltliche) Autorität und das Einhalten der Gesetze. Da sich Antigone diesem widersetzt, gerät er mit ihr in einen Konflikt. In dem Streitgespräch begründet sie ihr Verhalten mit dem göttlichen Willen (Z. 451, 452). Er weicht diesen Erklärungen aus und bestraft sie letztendlich des Todes. Sehr prägnant sind wieder die Machtdemonstration Kreons und das Widersetzen der Götterrechte.
Selbst vor seinem eigenen Sohn zeigt der König wenig Menschlichkeit. Stattdessen versucht er Haimon von seinem Beerdigungsverbot zu überzeugen. Sehr unterschwellig taucht der Begriff Macht auch in dem Vater – Sohn – Verhältnis auf. Kreon erwartet Gehorsam und die Akzeptanz Haimons (Z. 642). Vorsichtig versucht Haimon, seinen Vater zu besänftigen und ihn an die Vernunft, das höchste aller von den Göttern eingepflanzter Güter, zu erinnern (Z. 683 – 685): Er soll Antigone nicht bestrafen, weil sie ihrem Bruder die letzte Ehre erwies. Kreon erfährt, dass sogar das Volk Antigones Ansicht vertritt. Haimon ermahnt ihn zur Vernunft und bittet ihn, in mehr als eine Richtung zu denken und den Eigensinn abzulegen (Z. 693 – 718). Trotz aller Bemühungen bleibt Kreon seinen Prinzipien treu, denn er besteht auch auf das Einhalten dieser bei der eigenen Verwandtschaft. Eher pessimistisch betrachtet lässt sich sein Verhalten als noch immer uneinsichtig, unbelehrbar, trotzig, wütend, ungehalten und starrsinnig interpretieren. Er betrachtet den Staat als des Herrschers Eigentum (Z. 738). In Folge seiner Machtdemonstration, in der es ihm immer mehr um das Durchsetzen eines politischen gerechten Führers geht, lässt er Antigone lebendig einmauern. Bossinade benennt in ihrem Text ein Argument der tyrannischen Herrschaft Kreons. Nach ihren Aussagen ist sich Antigone darüber bewusst, dass Kreon, der Gewaltherrschaft, jeglichen Sagen und Handeln erlaubt ist. Jedoch ist Kreons Macht nicht so absolut, als das er „die Verantwortung für Antigones Tod nicht leugnen müsste.“3
Nachdem Antigone von ihrer Strafe erfahren hatte, sah sie sich in ihrem Handeln und Denken bestätigt. Sie geht – ihrem Weltbild nach zu urteilen – davon aus, verstorbene und nicht mehr lebende Angehörige wiederzusehen. Laut Bossinade bereut sie ihre Tat zwar nicht, jedoch stellt sie sich in einer Äußerung als Trauernde dar4. Beiläufig äußert sie sich über das entscheidende Verhalten Kreons. Sollte er zurecht und im Sinne der Götter gehandelt haben, dann würde sie dies durch Leiden erkennen (Z. 925, 926). Aufgrund der Annahme, dass in der Antike das weltliche dem göttlichen Gesetz untergeordnet war, kann in Folge dessen eine Schuld Kreons und eine undurchdachte Machtausübung betrachtet werden.
In den bisherigen Ausführungen wird das Ausüben der Herrschaft Kreons und das Widersetzen der göttlichen Gesetze deutlich. Seine Wut, Sturheit und Unbelehrbarkeit scheinen sich gesteigert zu haben und das Unheil anzuziehen. Doch zuvor erscheint der blinde Seher Teiresias. Als Vertreter der göttlichen Macht bemüht er sich darum, in das Geschehen einzugreifen. Er kritisiert Kreon und versucht ihn davon zu überzeugen, warum er das Verbot aufheben muss. Der Blinde erzählt von seinen Vorhersagen und rät ihm sogar: „Ich mein es gut mit dir und rat dir gut, und Lernen von einem, der dir gut rät, ist beglückend, wenn sein Rat dir Vorteil bringt“ (Z. 1031 – 1033). Kreon nimmt sich der weisen Worte nicht an und beharrt weiterhin auf die weltliche Macht. Er sieht ein Ändern seiner Entscheidung als Unverstand und damit größten Schaden (Z.1051). Die Vorhersage des Sehers stuft er als Lüge ein (Z. 1054). Uneingeschränkt kann Kreon weiterhin als uneinsichtig und nicht kritikfähig beschrieben werden, der so auf seine Macht eingeschossen ist, dass er Weisheiten, göttlichen Beistand und Ratschläge nicht ernst nimmt.
Ein plötzlicher Wandel tritt ein, als der blinde Seher Teiresias das Unheil des eigenen Sohnes vorhersieht und Kreon damit mit wenigen Worten konfrontiert (Z. 1065 – 1090). Daraufhin lässt der König nach einer kurzen Beratung mit dem Chor die Freilassung Antigones und die würdevolle Bestattung Polyneikes verkünden (Z.1100 – 1110). Es fällt Kreon schwer, von seinem eigenen Denken abzulassen und die Worte des Sehers als Wahrheit anzunehmen. Er ändert in Ansätzen – viel zu spät – seine Einstellung und erkennt erstmalig die göttlichen Gesetze als mögliches bestehendes Prinzip an.
Eine plötzliche Wendung, Peripetie5, tritt ein, denn nachdem Kreon vom Tod seines eigenen, geliebten Sohnes hörte, begann eine deutlich wahrnehmbare Veränderung seiner Meinung über die Götter: Sie haben mit großer Wucht auf ihn geschlagen und ihm die Freude des Lebens genommen (Z. 1271 – 1275). Besonders betroffen reagiert Kreon auf den Tod seiner Frau. Der Verlust beider Menschen, die ihm nahestanden, überwältigt ihn sehr. Die Schuld des Todes seiner Frau sieht er allein bei sich und er kommt zu dem Entschluss, arrogant, nach heutigem Sinne tyrannisch und unüberlegt gehandelt zu haben (Z. 1319 – 1320; 1343 – 1345).
Kreons Handlungen lassen sich auf der einen Seite als sehr geradlinig und gerecht beschreiben, was wiederum im Endergebnis als stur, hochmütig und selbstherrlich zu interpretieren ist. Sein erklärtes Ziel ist eine faire Herrschaft, in der die weltlichen Gesetze Priorität haben. Seine Weltanschauung kollidiert aber mit der vorherrschenden Mächtigkeit der Götter. Das Volk Thebens und insbesondere Antigone stellen den Willen der Götter und deren Gesetze an die oberste Stelle. Die göttlichen Ansichten sind für sie im Leben leitend. Es gelingt Kreon lange nicht, sein Machtverhalten so anzupassen, dass er das Volk regiert und dabei die Gesetze der Götter beachtet. Nachdem man ihm das Liebste genommen hatte, besann er sich eines Besseren und stellte seine Macht sowie Herrschaft hinter das menschliche Belangen.
[...]
1 Vgl. Bernd Manuwald: König Ödipus, Berlin [u.a.]: de Gruyter, 2012, S. 335.
2 Bossinade, Johanna: Das Beispiel Antigone – Textsemiotische Untersuchungen zur Präsentation der Frauenfigur. Von Sophokles bis Ingeborg Bachmann. Köln / Wie: Böhlau Verlag, S. 1.
3 Ebd., S. 28.
4 Vgl.: Bossinade, Johanna: Das Beispiel Antigone – Textsemiotische Untersuchungen zur Präsentation der Frauenfigur. Von Sophokles bis Ingeborg Bachmann. Köln / Wie: Böhlau Verlag, S. 26.
5 Vgl. Franziska Schößler: Einführung in die Dramenanalyse. Stuttgart: Springer Verlag, 2017, S. 22.
- Citation du texte
- Christine Ploner (Auteur), 2019, Der Tyrann in der Antike. Analyse von Kreon aus Sophokles Drama "Antigone", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1033487