Ziel dieser Bachelorarbeit ist es, basierend auf der Annahme, dass Selbsterkenntnis der Schlüsselfaktor für erfolgreiche Führung ist, verschiedene Methoden und Techniken zu untersuchen. Gegenübergestellt werden wissenschaftliche Studien und Erkenntnisse aus den Bereichen Tagebuchtechnik, Meditation, Werte- und Sinn-Arbeit, Kommunikation und Wahrnehmung. Des Weiteren wird in der qualitativen Literaturrecherche aufgezeigt, wie die einzelnen Bereiche in die Kategorie des Spiritual Leadership einzuordnen sind und welchen Aspekt die Selbsterkenntnis darin spielt. Die abschließenden Experten-Interviews zeigen zudem, wie sich die praktische Umsetzung bei Führungskräften auswirkt und welche Erfolge schon erzielt werden konnten.
Mitarbeiterführung steht schon lange im Fokus wissenschaftlicher Arbeiten. Aufgrund der Veränderungen in den letzten Jahren und der aktuellen Corona-Krise rückt die Frage nach erfolgreicher Führung erneut in den Vordergrund. Alte Strukturen der Unternehmenskultur brechen auf, Flexibilität und neue Werte werden gefordert. Dies stellt Führungskräfte vor völlig neue Herausforderungen in der Führung von Mitarbeitern. Gefordert werden von Seiten der Mitarbeiter vermehrt Vertrauen, klare Kommunikation und Arbeitsanweisungen, aber auch emotionale Begleitung, Empathie und Offenheit.
Inhaltsverzeichnis
1. Forschungsinteresse und Forschungsfrage
1.1 Einleitung
1.2 Problemstellung
1.3 Ziele und zentrale Fragestellung
1.4. Aufbau der Arbeit
2. Stand der Forschung – Inhalte des Theorieteils der Arbeit
2.1 Spiritual Leadership
2.2 Selbsterkenntnis aus Spiritueller und Religiöser Perspektive
2.3 Selbsterkenntnis aus psychologischer Perspektive
2.4 Selbsterkenntnis aus philosophischer Perspektive
2.5 Selbsterkenntnis aus Coaching Perspektive
2.6 Selbsterkenntnis als Basis für Erfolg
3. Theoretischer Teil der Methoden
3.1 Meditation
3.2 Tagebuchtechnik
3.3 Kommunikation und Wahrnehmung
3.4 Werte & Sinn
4. Empirische Untersuchung
4.1 Feldzugang, Beschreibung des empirischen Settings
4.2 Auswahl und Kriterien der Datenerhebung
4.3 Datenerhebungstechnik: Leitfadengestütztes Experteninterview
4.4 Leitfadenerstellung
4.5 Methode der Datenerhebung und Analyse
5. Ergebnisse aus der Auswertung der Experteninterviews
5.1 Kategorie 1: Berufliche Tätigkeit
5.2 Kategorie 2: Erfahrung mit Selbsterkenntnis
5.3 Erfolg als Führungskraft
5.4 Vorher–Nachher Vergleich
5.4.1 Stressempfinden
5.4.2 Fluktuation
5.4.3 Mitarbeiterzufriedenheit
5.4.4 Erfolg
5.4.5 Eigene berufliche Zufriedenheit
5.5 Entwicklung des Führungsverhaltens durch Selbsterkenntnis
6. Interpretation, Erkenntnisse und Limitation
6.1 Interpretation der Ergebnisse
6.2 Erkenntnisse der Untersuchung
6.3 Limitation, Ausblick und Darstellung weiterer Forschungsmöglichkeiten
7. Conclusio
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
8. Literaturverzeichnis
Anhang 1
Kurzzusammenfassung
Mitarbeiterführung steht schon lange im Fokus wissenschaftlicher Arbeiten. Aufgrund der Veränderungen in den letzten Jahren und der aktuellen Corona - Krise rückt die Frage nach erfolgreicher Führung erneut in den Vordergrund. Ziel dieser Bachelorarbeit ist es, basierend auf der Annahme, dass Selbsterkenntnis der Schlüsselfaktor für erfolgreiche Führung ist, verschiedene Methoden und Techniken zu untersuchen. Gegenübergestellt werden wissenschaftliche Studien und Erkenntnisse aus den Bereichen Tagebuchtechnik, Meditation, Werte- und Sinn-Arbeit, Kommunikation und Wahrnehmung. Des Weiteren wird in der qualitativen Literaturrecherche aufgezeigt, wie die einzelnen Bereiche in die Kategorie des Spiritual Leadership einzuordnen sind und welchen Aspekt die Selbsterkenntnis darin spielt. Die abschließenden Experten-Interviews zeigen zudem, wie sich die praktische Umsetzung bei Führungskräften auswirkt und welche Erfolge schon erzielt werden konnten. Auf dieser Grundlage lässt sich schließen, dass Spiritual Leadership mit den in dieser Arbeit untersuchten Methoden eine Führungsrichtung ist, die zum Erfolg führt.
Schlagworte (mind. 3, max. 6):
Selbsterkenntnis, Spiritual Leadership, Leadership
Abstract
Leadership of employees has been a focus in scientific research for quite a long time. Due to changes during the recent years and the current corona crisis successful leadership has become particularly important again. Based on the assumption that self-awareness is a key factor for successful leadership, this bachelor thesis´ aim is to point out different methods and techniques as well as their areas of application to then reveal their scientifically grounded effectiveness. Studies and findings in fields such as diary techniques, meditation, working with values and live purposes, communication and perception are compared. Furthermore this qualitative literature research aims to show how these fields are categorized in the concept of spiritual leadership. The empirical part of the study includes the expert interviews to demonstrate the outcome of practical implementations for leaders and the already resulted successes. On this basis it can be concluded that spiritual leadership, which includes the above mentioned methods, leads to success.
Keywords (at least 3, max. 6):
Self-awareness, Spiritual Leadership, Leadership
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Forschungsinteresse und Forschungsfrage
1.1 Einleitung
Schon lange vor der aktuellen Corona - Pandemie sind die Veränderungen der Arbeitswelt im Fokus von Unternehmen. Basierend auf den Erkenntnissen der letzten Jahre lassen sich vier zentrale Triebkräfte herauskristallisieren:
1. Technologischer Wandel: Digitalisierung und Vernetzung
2. Globalisierung
3. Demographischer Wandel
4. Institutioneller Wandel (Eichhorst & Buhlmann 2015, 2ff.).
Im Zusammenhang mit Führung und Organisationsentwicklung spricht man auch immer häufiger von der sogenannten „VUCA-Welt“. Gestützt auf die Führungstheorien von Warren Bennis und Burt Nanus tauchte diese Bezeichnung erstmals 1987 auf und ist ein Akronym für folgende Begriffe:
- Volatilität (volatility) beschreibt die Flüchtigkeit und Schwankungsintensität über einen zeitlichen Verlauf von Dingen.
- Unsicherheit (uncertainty) steht für die Unvorhersagbarkeit und Planungsunsicherheit von Dingen und Entwicklungen.
- Komplexität (complexity) umfasst die Menge der Einflussfaktoren und deren gegenseitige Abhängigkeit.
- Ambiguität (ambiguity) drückt die Mehrdeutigkeit einer Aussage, Information oder Situation aus. (Gläser 2020)
All diese Faktoren führen nicht nur zu veränderten Absatzmärken, wirtschaftlichen Veränderungen, Arbeitsplatzveränderungen und veränderten Unternehmensstrukturen, sondern auch zu völlig neuen Anforderungen in der Führung von Mitarbeitern und der damit einhergehenden Führungskräfteentwicklung (Künkel 2020, 7). Deutlich ist dies im HR-Report 2019 ersichtlich. 49 % der befragten Mitarbeiter sehen zwar ihre Vorgesetzen in der Position des Coaches, jedoch kritisieren 63% das Kommunikationsverhalten ihrer Vorgesetzten und 41 % der Mitarbeiter sind unzufrieden mit der Wahl des Führungsstils (Eilers, et al. 2019, 20ff.). Daraus lässt sich ableiten, dass Führungskräfte vermehrt unter Druck geraten. Laut Statista weisen Führungskräfte die meisten Krankheitstage aufgrund von Burnout auf (Statista 2020). Hier sind die Zahlen seit Jahren steigend. Die aktuell die Wirtschaft belastende Corona - Pandemie macht es für Unternehmen, Führungskräfte und Mitarbeiter nicht einfacher.
Alte Strukturen der Unternehmenskultur brechen auf, Flexibilität und neue Werte werden gefordert. Dies stellt Führungskräfte vor völlig neue Herausforderungen in der Führung von Mitarbeitern (Obmann, Ivanov und Scheppe 2020). Gefordert werden von Seiten der Mitarbeiter vermehrt Vertrauen, klare Kommunikation und Arbeitsanweisungen, aber auch emotionale Begleitung, Empathie und Offenheit (Kals 2020).
1.2 Problemstellung
Wirft man auf der Suche nach Lösungen für die Herausforderungen in der Führung einen Blick in die Führungstheorien der letzten Jahrzehnte, scheint es nicht an Methoden und Führungsstilen zu mangeln. Angefangen von den klassischen Organisationstheorien bis zu dem heutigen, sich immer weiter verbreitenden situativen Ansatz, hat sich Vieles fast grundlegend verändert (Vahs 2019, 25ff.). Mitarbeiter werden nicht mehr nur als reiner „Prozessschritt“ betrachtet, sondern vermehrt mit ihren Bedürfnissen, Erwartungen und Verhaltensweisen wahrgenommen (Steinmann, Schreyögg und Koch 2013, 424).
Jedoch scheint ein wichtiger neuer Aspekt immer mehr in den Fokus der Untersuchungen zu geraten, und zwar die Persönlichkeit der Führungskraft und die Auswirkungen ihres Seins und Wirkens auf die Mitarbeiter (Pircher-Friedrich 2019, 180ff). Wie Peter Drucker schon anmerkte: „Führungskräfte sollten einsehen, dass sie letztendlich nur eine Person zu führen haben – und diese Person sind sie selbst“. Der für die Arbeit relevante Forschungsstand weist klar darauf hin, dass es eine Korrelation zwischen humanistischeren Führungsstilen und der Persönlichkeit der Führungskraft und Umsatz gibt. Des Weiteren können positive Effekte bei diesem Führungsverhalten in verschiedenen Bereichen, wie schnellere Erholung nach Krankheit oder Leid, psychische und physische Gesundheit der Mitarbeiter, größeres Engagement, erfolgreichere Teamperformance, höhere Profitabilität, weniger Kündigungen und geringere Personalfluktuation, höhere Produktivität und Kundenzufriedenheit sowie Kundenbindung wissenschaftlich belegt werden (Brohm 2017, 18ff.).
1.3 Ziele und zentrale Fragestellung
Wenn Führung, nach Peter Drucker, bei einem selbst beginnt, stellt sich die Frage, welche Tools dafür geeignet sind und welche Auswirkungen diese auf den Umgang mit den an die Führungskraft gestellten Anforderungen haben. Die Einführung und Problemstellung der hier vorliegenden Arbeit verdeutlicht, dass im Bereich Führung viele verschiedene Faktoren einen Einfluss haben und verschiedene Perspektiven möglich sind. In der vorliegenden Arbeit soll, die Perspektive direkt auf die Führungskraft und die dort möglichen Veränderungen in Bezug auf den Führungserfolg gelegt werden. Im Zentrum steht dabei das Konzept der Selbsterkenntnis. Basierend auf der Problemdarstellung ist das Ziel dieser Bachelorarbeit, verschiedene bewährte Methoden und Techniken aufzuzeigen, mit denen es Führungskräften möglich ist, ihre Selbsterkenntnis und damit ihren Erfolg effizient und nachweislich zu steigern. Besonderes Augenmerk liegt hier in der Verbesserung ihrer Führungskompetenzen im Umgang mit Mitarbeitern, aber auch wie sie selbst mit dem stetig steigenden Druck besser umgehen können. Eingeordnet werden kann diese Art der Führung unter Spiritual Leadership, eine Führungsart, die seit dem Jahr 2000 immer mehr Beachtung erhält (Aydin und Ceylan 2009, 185).
Folgende zentrale Fragestellung wird daher in dieser Bachelorarbeit beantwortet:
- Inwiefern trägt Selbsterkenntnis im Rahmen des Spiritual Leadership zu einer erfolgreichen Führung aus Vorgesetztenperspektive bei?
Es werden aber auch die an Führungserfolg angrenzenden und beeinflussten Faktoren untersucht. Dabei ergeben sich folgende abgeleitete Unterfragen, die im Rahmen dieser Arbeit beantwortet werden:
- Welche Auswirkungen haben Tagebuchmethode, Meditation, Werte und Sinnarbeit sowie Kommunikation und Wahrnehmung auf das Führungsverhalten?
- Wie wirkt sich diese Veränderung auf den Erfolg des Unternehmens und die Zufriedenheit der Mitarbeiter aus?
Um das Forschungsfeld einzugrenzen, liegt der Fokus auf der Veränderungen und Wirkung von der Führungskraft durch die Anwendung der untersuchten Methoden.
1.4. Aufbau der Arbeit
Diese Arbeit ist in sieben Hauptkapitel gegliedert und untersucht, anhand der Darstellung von theoretischen Inhalten und wissenschaftlichen Studien und Erkenntnissen, die Thematik des Spiritual Leadership im Zusammenhang mit Selbsterkenntnis. Um die zentrale Fragestellung zu klären, wird im ersten Kapitel anhand einer Literaturrecherche auf Spiritual Leadership und Selbsterkenntnis eingegangen. Da es keine allgemeingültige Definition für Selbsterkenntnis gibt, wird diese interdisziplinär analysiert. Diese interdisziplinäre Betrachtung erfolgt im zweiten Kapitel.
Abschließend wird am Ende des zweiten Kapitels auf die Verbindung von Selbsterkenntnis und Erfolg in Bezug auf Leadership und Unternehmenskultur eingegangen, um so die zentrale Fragestellung anhand der theoretischen Aspekte zu beantworten.
Im dritten Kapitel dieser Arbeit wird auf vier verschiedene praktische Methoden eingegangen, die zur Förderung von Selbsterkenntnis führen können. Auch hier werden die einzelnen Methoden aus verschiedenen Perspektiven und auf Grundlage wissenschaftlich fundierter Texte und Studien dargestellt. Die in dieser Arbeit dargestellten Methoden sind: Meditation, Tagebuchtechnik, Kommunikation und Wahrnehmung, Werte und Sinn.
Im vierten Kapitel wird auf den Aufbau und Ablauf der empirischen Untersuchung eingegangen und dargestellt, mit welcher Methodik gearbeitet wurde. Ziel der empirischen Untersuchung war es, das theoretische Wissen in seiner praktischen Anwendung und die daraus resultierenden Ergebnisse darzustellen. Im anschließenden fünften Kapitel werden die Ergebnisse der drei Experteninterviews dargestellt. Um die weiteren Fragestellungen in dieser Arbeit zu beantworten, wurde hier Wert auf die Darstellung und Erfahrungen mit Selbsterkenntnis in der Führungsfunktion eingegangen.
In den letzten beiden Kapiteln dieser Arbeit befinden sich die Interpretation, Limitation und der Ausblick für weitere Forschungen sowie die Conclusio als Abschluss dieser Arbeit.
2. Stand der Forschung – Inhalte des Theorieteils der Arbeit
Im folgenden theoretischen Teil der Arbeit wird zu Beginn auf den aktuellen Forschungsstand des Spiritual Leaderships eingegangen. Dies soll zu einem besseren Verständnis für die Thematik von Spiritual Leadership führen. Hinzu kommen theoretische Aspekte über Selbsterkenntnis, da dies ein zentraler Faktor in der Hauptfragestellung dieser Arbeit ist. Hierfür wurde relevante wissenschaftliche Literatur aus Büchern und Studien aus internationalen Journals verwendet.
Aufgeteilt ist dieses Kapitel in vier Unterkapitel. Im ersten Kapitel wird auf die Definition von Spiritual Leadership eingegangen, um einen Überblick zu erlangen. Im Anschluss daran wird in den darauffolgenden drei Kapiteln Selbsterkenntnis interdisziplinär beleuchtet. Zum Abschluss erfolgt die Betrachtung von Selbsterkenntnis auf den Erfolg der Führungskraft.
2.1 Spiritual Leadership
Moderne Führung braucht heute mehr als nur die Weitergabe von Arbeitsaufträgen und das Kontrollieren der Mitarbeiter. Zu den neuen Anforderungen an Führungskräfte gehören die Entwicklung neuer Business Modelle, nachhaltige und soziale Verantwortung, horizontale und lineare Umsatzsteigerungen und die immer wichtiger werdende Mitarbeiterzufriedenheit. Die Führungskraft soll sich zunehmend durch Ethik, Moral und Vorbildfunktion auszeichnen (Fry und Slocum 2008, 86).
Seit den 1980er Jahren kann man beobachten, dass Themen wie emotionale, ethische und authentische Führung immer mehr in den Vordergrund rücken. Dies führte bereits zu einer grundlegenden Veränderung in der Personalführung; die mechanische Sichtweise auf Mitarbeiter wurde abgelöst von einer humanistischen, die von Motivations- und Entwicklungstheorien geprägt ist. Seit Mitte der neunziger Jahre taucht in der Führungsforschung auch immer häufiger der Begriff Spiritualität auf. Ein Begriff, der für Vision, Werte und Beziehungen steht. Erst seit den 2000er Jahren gibt es Konzepte, die Spiritual Leadership als eigene Führungstheorie behandeln (Samul 2019, 2).
Diese Definition macht auch den größten Unterschied zu anderen bisher weitverbreiteten Führungsstilen aus, bei denen es vermehrt um den Blick auf das objektive Verhalten von Mitarbeitern, Handlungstheorien oder Führungseigenschaften geht (Steinmann, Schreyögg und Koch 2013, 593ff.). Bei Spiritual Leadership wird dieser Fokus zurück auf die Führungskraft und seine subjektive Wahrnehmung gelegt. Sie zielt darauf ab, die eigene Verantwortung, Wirkung und die Persönlichkeit der Führungskraft für sich selbst zu erforschen und Muster, Verhalten und Denkstrukturen, die alle eine Auswirkung auf die Führung haben, zu entdecken und daran zu arbeiten (Ulrich 2018, 13). Forschungen haben gezeigt, dass erfolgreiche Führungskräfte ihr Verhalten an verschiedene Situationen anpassen können. Diese Situationsanalyse und die darauf folgenden Handlungen der Führungskräfte sind auch oft eine Grundlage für viele Führungstrainings (Fry 2003, 696).
Louis W. Fry definierte zwei wichtige Kernelemente der spirituellen Führung.
1. Vision und Sinn
2. Eine Organisationskultur die Werte wie altruistische Liebe, Zugehörigkeit, Wertschätzung und Anerkennung, für sich selbst und alle anderen, beinhaltet.
Dass die zwei wichtigen Kernelemente nach Fry heute eine besondere Rolle in der Führung spielen, zeigt auch eine Umfrage von Stepstone in Österreich. Darin heißt es, dass es deutlichen Optimierungsbedarf der heimischen Führungskräfte gibt, was an den Zahlen deutlich erkennbar ist. 41 % der 1800 befragten Teilnehmer gab an, nicht mit ihrem Vorgesetzten zufrieden zu sein und 43 % der Befragten haben im Laufe ihrer beruflichen Tätigkeit schon einmal wegen ihres Chefs gekündigt. Konkret wurden als Gründe folgende fünf Eigenschaften kritisiert (Oberrauter-Zabransky 2020):
1. Hinter ihrem Rücken schlecht über Mitarbeiter sprechen (54%)
2. Einzelne Mitarbeiter bevorzugt behandeln (42 %)
3. Jeden Arbeitsschritt überwachen / Micromanaging (42%)
4. Meine Erfolge als die ihren ausgeben (41%)
5. Kollegen öffentlich kritisieren (38 %)
Deutlich werden in dieser Umfrage auch geforderte Werte von Seiten der Arbeitnehmer wie Vertrauen, Wertschätzung, offene Kommunikation und Anerkennung. Einordnen kann man diese kritisierten Eigenschaften vor allem in das zweite Kernelement von Fry, da all diese Verhaltensmuster einen direkten Einfluss auf die Unternehmenskultur haben.
Anhand dieser aktuellen Umfrage von 2019 lässt sich sehr gut erkennen, dass es die im Spiritual Leadership enthaltenen Kernelemente sind, die Arbeitnehmer sich wünschen und die für Führungskräfte und Unternehmen enorme Chancen bieten (Oberrauter-Zabransky 2020). Angesichts der Zeit, die Menschen im Laufe ihres Lebens mit ihrer beruflichen Tätigkeit verbringen, liegt es nahe, welchen Einfluss Führungskräfte auf die seelische und persönliche Entwicklung haben und wie sich diese Entwicklung auch im Unternehmenserfolg widerspiegelt. Spiritual Leadership ist ein Ansatz, der diese Verbundenheit und Komplexität über den Einfluss der Führungskraft durch ihr Führungsverhalten deutlich macht. Mitarbeiter von heute wünschen sich, an ihrem Arbeitsplatz anerkannt, gefördert, geschätzt und wahrgenommen zu werden. Immer häufiger fällt in diesem Zusammenhang auch die Frage nach dem Sinn der Tätigkeit. Aufgrund der gesellschaftlichen Veränderungen, der immer unsicherer werdenden Welt, werden die Forderungen der Menschen, diese Bedürfnisse in ihrem Berufsleben zu stillen, immer größer (Duchon und Plowman 2005, 809ff.).
Begibt man sich auf die Suche nach Literatur und wissenschaftlichen Artikeln zu Spiritual Leadership, gibt es einige andere Begriffe, die in diesem Kontext verwenden werden. Luis W. Fry und John W. Slocum Jr. sprechen in diesem Zusammenhang auch von ethischer Führung (Ethical Leadership), der besonders in Anbetracht der kapitalistischen Weltordnung eine besondere Bedeutung zuzuordnen ist. Die drei Säulen der ethischen Führung sind demnach:
1. Der moralische Charakter der Führungskraft
2. Die ethische Legitimität der Führungsvision und gelebten Werte
3. Die Moral der Entscheidungen und Handlungen, die Führungskräfte unternehmen und gemeinsam verfolgen (Fry und Slocum 2008, 86f.).
Eine andere spannende Untersuchung führten Bulent Aydin und Adnan Ceylan durch. Ziel ihrer Arbeit war es, zu erforschen, ob Spiritual Leadership einen Einfluss auf die Lernfähigkeit einer Organisation hat. Sie zeigten auf, dass die Kernelemente von Spiritual Leadership auch in einer gut funktionierenden und lernbereiten Organisation anzutreffen sind. Als Kernelemente von Spiritual Leadership definierten sie: Moralische, transformative und ethische Führung, die Integrität, Güte, Ehrlichkeit, Teamwork, Wissen, Kongruenz, Ganzheitlichkeit und Vernetzung beinhaltet. Rückschließend auf die Organisation bedeutet dies, dass Spiritual Leadership einen Einfluss auf die Verhaltensweisen, Werte und Einstellungen einer Organisation hat (Aydin und Ceylan 2009, 184f.).
Laut Thomas H. Ulrich, der bisher das einzige deutschsprachige Buch zu Spiritual Leadership veröffentlicht hat, bezieht sich Spiritual Leadership darauf, „was man über sich selbst erfahren kann und wie man an seinem selbst arbeiten kann.“ Er definiert „Centricity“ als Kern in seinem Modell und stellt den Charakter, die Gewohnheiten, die Leadership-Rolle, Handlungen, Gedanken und auch die eigenen Werte der Führungskraft in den Fokus (Ulrich 2018, 13). In Anbetracht der oben angeführten Stepstones - Umfrage macht dies auch Sinn. Denn wie Ulrich betont, geht es um den Einfluss, den jede Führungskraft auf Basis der eigenen Persönlichkeit auf Mitarbeiter hat (Ulrich 2018, XVI).
Abgeleitet aus den unterschiedlichen Perspektiven kann somit zusammengefasst werden, dass Spiritual Leadership sich mit den ethischen und moralischen Entscheidungen und Handlungen einer Führungskraft befasst, die wiederum Einfluss auf die Werte, die Vision und auch die Unternehmenskultur im Allgemeinen haben. Führungskräfte stehen somit im Zentrum von Organisationen und sind ein entscheidender Faktor über Erfolg oder Misserfolg in den verschiedenen Ebenen eines Unternehmens. Darauf basierend kann Selbsterkenntnis, wie auch Ulrich in seiner Theorie anmerkte, ein entscheidender Faktor sein.
Aus diesem Grund wird in den nächsten Unterkapiteln dieser Arbeit Selbsterkenntnis interdisziplinär betrachtet.
2.2 Selbsterkenntnis aus Spiritueller und Religiöser Perspektive
Vermehrt taucht der Begriff „Spiritualität“ in Disziplinen wie der Psychologie, Quantenphysik und Wissenschaft auf. Heute wird er aber nicht mehr direkt assoziiert mit Religion. Im Gegensatz zur klassischen Religion, die in den letzten Jahrzehnten immer mehr an Präsenz verliert, steigt das Interesse an Spiritualität. Im Kern dieser Bewegung steht das Menschenbild einer miteinander verbundenen Welt. Spiritualität wird somit heute assoziiert mit der Verbundenheit mit für das Leben essenziellen Bereichen wie der Natur, dem sozialen Umfeld und auch einem höheren Wesen oder Gott, wie in Abb. 1 gut ersichtlich, und nicht mehr dogmatisch mit einer Glaubensrichtung, Askese oder Verzicht gleichgesetzt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Auf dem Weg zu einer spirituellen Psychologie? (Bucher 2014).
Vergleicht man jedoch die spirituellen Werte und Methoden mit den klassischen religiösen Riten, werden manche Überschneidungen sichtbar. Vertrauen, Vergebung, Verzicht, ein gesünderer Lebensstil sowie Dankbarkeit und Gelassenheit sind sowohl bei spirituellen als auch bei religiösen Menschen wichtige Lebenswerte, die sich in Studien nachweisen lassen. Diese Werte findet man jedoch auch in einigen Richtungen der Psychologie wieder, als Vorreiter sind hier die positive Psychologie und die humanistische Psychologie zu nennen. Wodurch ein Verschwimmen der Disziplinen fast unausweichlich ist, jedoch alles im Kern wieder verbunden scheint (Bucher 2014, 125ff.).
Björn Migge stellte in seiner Forschung zu dem Thema Spiritualität im Coaching fest, dass ein spirituelles Erleben eine sehr subjektive Erfahrung ist und dass dies auch in verschiedensten Glaubensrichtungen vorkommt, sie jedoch sehr unterschiedlich gedeutet und interpretiert werden. Spiritualität ist im Gegensatz zu den großen Religionen meist eine freie Erfahrung, bei der der Fokus auf dem Individuum und seine persönlichen Erfahrungen liegt. Obwohl sich Spiritualität und Religion in vielen Bereichen überlappen, sind die Formen und Dimensionen in der Spiritualität anders definiert.
Nach Migge gibt es sieben Dimensionen von Spiritualität (Migge 2010, 38ff.):
(1) Suche nach Sinn und die Fähigkeit zu Selbsttranszendenz (Hingabe an Werte und Personen) (2)--Selbstakzeptanz und Selbstentfaltung (3) Positive soziale Beziehungen
(4) Intensives Erleben der Schönheit bzw. Heiligkeit der Natur (5) Allgemeines Verbunden- und Einssein (connectedness) mit Menschen, Natur und Kosmos (6) Verbundenheit mit Gott (theistisch), dem absoluten All-Einen (pantheistisch) oder einer Gottheit unter mehreren (polytheistisch) (7) Achtsamkeit und andere Meditationsformen, Vorahnungen, Erleben „psychokosmischer Energie“
Der Dalai Lama distanzierte sich von Religionen, die in Konkurrenz zueinander stehen und betonte, dass Spiritualität wesentlicher und tiefer gehe und der Mensch keine Gebote und Verbote brauche, da innere Werte und Ethik eine viel wichtigere Rolle in der Entwicklung eines Menschen spielen (Lama 2015, 9).
2.3 Selbsterkenntnis aus psychologischer Perspektive
Schon seit Beginn der Erforschung des Geistes in der Disziplin der Psychologie steht das Selbst oder auch Sein aus unterschiedlichen Perspektiven und Herangehensweisen im psychologischen Diskurs. In diesem Teilkapitel wird die Möglichkeit, Selbsterkenntnis zu erlangen, aus Sicht verschiedener psychologischer Theorien erläutert. Diese unterschiedlichen Betrachtungsweise auf die Psyche und das Verhalten des Menschen sollen deutlich machen, wie komplex die Definition von Selbsterkenntnis ist und einen Überblick aus den vier größten Schulen der Psychotherapie ermöglichen.
Die wohl bekannteste und auch zu ihrer Zeit richtungsweisende Schule, gegründet um 1880, ist die Psychoanalyse nach Freud. Der Wiener Neurologe Sigmund Freud definierte erstmals mehrere unbewusste Parameter, die das Erleben, Handeln und Sein eines Menschen bestimmen können und die Ursache für psychische Krankheiten darstellen (Datler und Stephenson 1999, 77ff.). Zu den Annahmen der Psychoanalyse gehört, dass verdrängte Kindheitstraumata, unbewusste Wünsche und Ängste sowie unterdrückte Triebe und Konflikte zwischen dem Bewussten und Unbewussten die Ursache für das Verhalten des Menschen sind. Um zur Selbsterkenntnis zu gelangen, ist es hier wesentlich, diese unbewussten Vorgänge aufzudecken, bewusstzumachen und sie durchzuarbeiten (Leuzinger-Bohleber und Weiß 2014, 10f.). Nach Sigmund Freud, der sich in der Psychoanalyse eher mit der Vergangenheit und der Kindheit beschäftigte, entstanden weitere wichtige Abspaltungen, die sich zusätzlich zur Vergangenheit auch dem Selbst und der eigenen Wahrnehmung im Hier und Jetzt widmeten. Wichtig zu nennen ist hier die Individualpsychologie, zuzuordnen den tiefenpsychologisch-analytischen Ansätzen wie Freud, und begründet von Alfred Adler um 1912, der auch den Begriff „Gemeinschaftsgefühl“ prägte. Seine Grundannahme bezieht sich darauf, dass die Psyche, also das Selbst, im Erleben von Schwäche, Unterlegenheit und Hilflosigkeit gebildet wird. Er ging davon aus, dass jeder Mensch als individuelle Persönlichkeit zu betrachten ist und er distanzierte sich auch als erster von traditionellen verallgemeinernden Methoden der Psychotherapie und agierte individuell auf den Patienten abgestimmt. Im Zentrum der Individualpsychologie steht das Erfassen des eigenen Lebensstils und dass man als aktiver Akteur in permanenter Wechselwirkung mit der Außenwelt steht. Eine wichtige Grundannahme von Adler war auch, dass jeder Mensch grundsätzlich dazu bestrebt ist, sein subjektives Mangelerleben zu überwinden (Stumm 2011, 74ff.; Datler 1995, 816).
Betrachtet man den Begriff und die Definition von Selbsterkenntnis aus der psychologischen Perspektive von Abraham Maslow, dem Gründervater der humanistischen Psychologie, im Jahre 1950, entdeckt man die ersten Hinweise auf die Bedeutung von Selbsterkenntnis durch Selbstverwirklichung. Erstmals vertrat er den Standpunkt, dass es wichtig ist, sich seine verborgenen Neigungen, die Konstitutionen und das eigene Temperament bewusst zu machen, um so seinen eigenen ganz individuellen Stil zu entdecken (Maslow 2016, 16). Besonders in der humanistischen Psychologie wird der Mensch als eigenverantwortliches, introspektives Individuum gesehen, mit einer Wahlfreiheit und der Fähigkeit zu werten. Dies drückt sich besonders in der Annahme aus, dass der Mensch die Fähigkeit hat, sich mit seinem Potenzial, seinen Entwicklungsmöglichkeiten und als wichtigster Punkt mit sich selbst und anderen Menschen zu identifizieren. Nach der humanistischen Psychologie ermöglicht diese Fähigkeit es dem Menschen, sein Leben eigenverantwortlich zu gestalten und sich seiner subjektiven Weltanschauung bewusst zu werden. Wobei in dieser Disziplin von den existenziellen Grundproblemen Liebe, Vergänglichkeit und Tod, Einsamkeit und Sinnfindung ausgegangen wird und die Aufarbeitung dieser Themen im Fokus steht (Stumm 2011, 169ff.).
Die dritte große Schule der Psychotherapie stand den ersten beiden Schulen lange gegenüber. Die Verhaltenstherapie, gegründet in den 50er Jahren, stellt nicht das Unbewusste oder die Vergangenheit in den Fokus, sondern das Handeln im Hier und Jetzt. Wie schon der Begriff Verhaltenstherapie aussagt, wird konkret das Verhalten in den Mittelpunkt gestellt und darüber das Selbst definiert. Selbsterkenntnis besteht darin, sich seines Verhaltens und aller damit einhergehenden Auswirkungen bewusst zu werden. Der Schwerpunkt liegt darauf, Störungswissen und psychologisches Änderungswissen zu schaffen, das dann in weiterer Folge zu einer Besserung der Problematik führen soll. Anders als in der Psychoanalyse oder der humanistischen Richtung, in denen über das Analysieren und Aufdecken die Veränderung herbeigeführt wird, wird hier mit konkreten Techniken und Wissensvermittlung gearbeitet, die eine schnelle Verhaltensänderung bewirken sollen. Das Menschenbild in der Verhaltenstherapie stellt den Menschen und seine Eigenverantwortung über die Handlungen sowie das Erkennen von selbstsabotierendem Verhalten in den Fokus (Margraf und Lieb 1995, 1ff.).
Um 1970 hat sich die systemische Therapie als eigenes Therapieverfahren etabliert und ist damit die Jüngste der vier Schulen. Im Gegensatz zu den anderen drei Schulen, steht hier aber nicht das Individuum im Fokus. Der systemische Ansatz geht von einem Zusammenspiel aller im System befindlichen Aspekte und der Position des Beobachters aus. Betrachtet wird hier nicht nur das einzelne Systemmitglied, sondern die Interaktion, Wirkung und der Einfluss aller Beteiligten. Etwas konträr zu den anderen ist auch die Wahrnehmung des eigenen Selbst, denn hier geht man von dem Wechselspiel und der gegenseitigen Beeinflussung von komplexen Elementen aus. Ursache ist demnach nicht gleich Wirkung, sondern kann verschieden interpretiert und wahrgenommen werden (Schweitzer, et al. 2007, 4f.). Ziel ist es, sich selbst und somit seine eigene Perspektive, Funktion und Position in diesem komplexen Konstrukt sowie die darauf einwirkenden Mechanismen nachvollziehen zu können. Jedoch spielt hier, mehr als noch in allen anderen Schulen, das Wahrnehmen des eigenen Wirkens auf das gesamte System eine zentrale Rolle (Stumm 2011, 251).
Trotz unterschiedlicher Herangehensweisen der vier großen Schulen der Psychotherapie, lässt sich ein gemeinsamer Kern in Bezug auf die Selbsterkenntnis erkennen. Grundlegend geht es nicht darum, ein besonderes oder günstiges Bild von sich selbst zu erschaffen oder zu sehen, sondern um die Erkenntnis des tatsächlichen Seins, der Ursprünge und Motive für das eigene Verhalten, Handeln und Denken durch Selbstwissen (Mummendey 2006, 130).
2.4 Selbsterkenntnis aus philosophischer Perspektive
Schon lange vor den Religionen oder der Psychologie stand die Frage nach dem Menschsein und den Ursprüngen der Menschheit im Raum. In diesem Teilkapitel werden die philosophischen Ansichten der drei wohl bedeutendsten Denker Sokrates, Epiktet und Marc Aurel (Cassirer 2007, 20) mit dem Kerngedanken, „Erkenne dich selbst“, und deren unterschiedliche Herangehensweisen in Bezug auf Selbsterkenntnis dargestellt.
Der erste Denker der Zeit, der sich konkret die Frage des menschlichen Seins stellte, war Sokrates. So sagte er schon: „Ein Leben ohne Selbsterforschung verdient gar nicht, gelebt zu werden.“ (Cassirer 2007, 22). So ging Sokrates, 469 bis 399 v. Chr., von drei Thesen aus, die die Grundlage des Menschseins ausmachen. Als erstes galt es, dass alles Handeln dem Zweck diene, ein gelingendes Leben zu führen. Sokrates gab jedoch keine genaue Definition für das gelingende Leben. Seine zweite These bezog sich darauf, dass Selbstprüfung und Rechenschaftsabgabe die Fähigkeiten seien, die es zu entwickeln gelte, um ein gelingendes Leben zu führen. Durch diese Selbstprüfung sei es möglich, ein Leben zu führen, in dem man zwischen guten und schlechten Handlungen unterscheiden könne. Diese Handlungen betrafen aber nicht zwangsläufig nach außen gerichtetes Tätigwerden, sondern auch die eigene Meinung, Wünsche, Emotionen und das generelle Nachdenken über das gelingende Leben. Als dritte These definierte er, dass es unmöglich sei, etwas zu tun, das schlecht wäre oder dem gelingenden Leben schaden würde, wenn Wissen über das Selbst vorhanden wäre. Somit war Selbsterkenntnis für Sokrates etwas, das intrinsisch motiviert und über die Wahrnehmung der Gedanken sowie deren daraus resultierenden Handlungen möglich wäre (Hardy 2011, 23ff.).
Viele Jahrhunderte später, 50 bis 138 n. Chr., war für Epiktet die Lebenskunst und Ethik im Zentrum des Denkens der Schlüssel zur Selbsterkenntnis. Für ihn war nicht nur die introspektive Erforschung des Geistes elementar für Glückseligkeit, sondern der Einklang mit den Weltgesetzen und der Vernunft. Er stellte den Geist und den freien Willen dem Körper, der Politik und dem Besitz entgegen. Aufgrund der Anhaftung sei der Mensch nicht frei, sondern durch Begierden und Leidenschaften unfrei. Seiner Ansicht nach würde der Mensch frei, wenn er sich frei von allen äußeren Bedürfnissen machen könne, wobei das Erkennen dieser Bedürfnisse im Mittelpunkt stünde (Jung 2015, 56f.).
Wenn man sich mit Kaiser Marcus Aurelius Antonius (Marc Aurel), 121 bis 180 n. Chr., beschäftigt, steht die Selbstbetrachtung stets im Vordergrund. Doch Selbstbetrachtung war für ihn nicht nur ein Thema, über das er philosophierte oder schrieb, er hatte es sich selbst zur höchsten Aufgabe gemacht. Bekannt ist, dass er als der erste Autor der Geschichte gilt, der in den Selbstdialog ging und darüber schrieb, im Gegensatz zu anderen Philosophen, die in ihren Schriften Protagonisten wählten (von Ackeren 2011, 17). Für Marc Aurel stand nicht das Wissen im Vordergrund seiner Philosophie, sondern das praktische Anwenden der Selbstbetrachtung; aus diesem Grund schrieb er seine weltberühmten Texte zuerst nur für sich selbst. Er vertrat die Ansicht, dass Bescheidenheit, Demut und Gelassenheit im Umgang mit Geschehnissen die Tugenden seien, die es zu pflegen gelte (Precht 2015, 353). So schrieb er in seinem ersten Buch, „Wege zu sich selbst“ (Aurel 2019, 33):
Sprich bei dir selbst: Was ist denn das, was jetzt diese Vorstellung in mir erregt? Aus welchen Teilen ist es zusammengesetzt? Wie lange kann es seiner Natur nach bestehen? Welche Tugend muß [sic] ich ihm gegenüber geltend machen? Etwa Sanftmut? Mannhaftigkeit? Wahrheitsliebe?
2.5 Selbsterkenntnis aus Coaching Perspektive
Auch in der für die Wirtschaft häufiger herangezogenen Disziplin, dem Coaching, spielt Selbsterkenntnis eine zentrale Rolle. Basierend auf den Erkenntnissen der Philosophie und der Psychologie erfolgt im Coaching-Prozess die Auseinandersetzung mit sich selbst. Im Gegensatz zur psychotherapeutischen Behandlung steht hier aber nicht die Gesundung oder Heilung von psychischen Erkrankungen zur Debatte. Beim Coaching wird mit „gesunden“ Menschen gearbeitet, die sich eine Verbesserung ihrer Situation wünschen. Diese Situation kann jeden Lebensbereich betreffen und privater oder beruflicher Natur sein.
Primär jedoch findet man diese im beruflichen Kontext, auf den sich diese Arbeit fokussiert (Rauen 2003, 1). Christopher Rauen definiert den Begriff Coaching wie folgt: „Coaching ist eine herbeigeführte Arbeitsbeziehung, deren Qualität durch Freiwilligkeit, gegenseitige Akzeptanz, Vertrauen und Diskretion zwischen den beteiligten Personen bestimmt wird. … Inhaltlich ist Coaching eine Kombination aus individueller Hilfe zur Bewältigung verschiedener Anliegen und persönlicher Begleitung auf der Prozessebene“ (Rauen 2003, 2). Die Vielfalt an Interventionsmöglichkeiten im Coaching ist sehr breit. Abb.1 zeigt die wichtigsten Bereiche, die in Bezug auf Selbsterkenntnis hier eine Rolle spielen (Graf 2019, 111f.).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Bausteine Selbsterkenntnis (Graf 2019).
Im Gegensatz zu der Disziplin Psychologie gibt es für das Tätigkeitsfeld Coaching keine klare gesetzliche Bestimmung und keine allgemeinen Qualitätsstandards. Als einzige Regulierungsinstanz kann man die Fachverbände heranziehen, die versuchen, eine Orientierung zu bieten (Schreyvögg und Schmidt-Lellek 2015, XI). Auch wenn es bisher keine klare Definition für Coaching gibt, kann man es zu der reflexiven Prozessberatung, aufgrund des angestrebten Outcomes, hinzuzählen.
Unabhängig von der gewählten Coaching - Richtung geht es im Coaching - Prozess darum, den reflexiven Selbstbezug des Klienten deutlich zu machen, der die unterschiedlichen Bereiche Intuition, Handeln, Werte und Wahrnehmung betreffen kann (Schreyvögg und Schmidt-Lellek 2015, 12). Oft steht in diesem Prozess Selbsterkenntnis nicht objektiv im Vordergrund, sondern reiht sich als Unterkategorie ein, wie auch bei der Selbstmanagementkompetenz, bei der Selbsterkenntnis einer von drei Bausteinen ist. Coaching bietet hier die Möglichkeit der Introspektion (nach innen gerichtete Selbstbeobachtung), Beobachten und Reflektieren des eigenen Verhaltens, Beobachten anderer Menschen, Selbstreflexion durch Fragen stellen, aber auch durch Körperarbeit und durch kreative Prozesse (Schreyvögg und Schmidt-Lellek 2015, 63).
Eine weitere grundlegende Besonderheit im Coaching ist, dass es nicht Aufgabe des Coaches ist, eine Lösung für das zu behandelnde Thema zu geben, sondern er dem Coachee (der das Coaching in Anspruch nimmt) „Hilfe zur Selbsthilfe“ anbietet und dass es im Laufe des Prozesses oft darum geht, die Möglichkeiten des Handelns zu erweitern. Im unternehmerischen Kontext kann ein Coaching zu einer Reihe wirksamer Veränderungen führen, wie das Stärken der eigenen Leistungskraft und der Qualifikationen, Verbesserung des Wohlbefindens im Unternehmen, eine Veränderung der eigenen Haltung zur ausgeübten Tätigkeit, das Steigern der Weiterbildungsbereitschaft und die Entwicklung von Problembewältigungsstrategien, die mit einer erhöhten Resilienz einhergehen (Becker 2020, 58).
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- Erika Giesbrecht (Author), 2021, Spiritual Leadership in der Wirtschaft. Selbsterkenntnis als Basis für eine erfolgreiche Mitarbeiterführung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1033420
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