Das Hauptziel dieser Arbeit besteht darin herauszufinden, welche Auswirkungen regelmäßig betriebener Sport auf das Erscheinungsbild der Wirbelsäule Jugendlicher haben kann und ab welchem Intensitätsniveau der sportlichen Betätigungen es zu Haltungsschwächen oder gar Fehlstellungen der Wirbelsäule kommen kann. Als Grundlage dieser Untersuchung dient das Verfahren der Videorasterstereographie , einer neuartigen Methode zur Diagnose von Wirbelsäulendeformitäten. Der Hauptzielfrage und seiner Erörterung untergeordnet, werden die Vor- und Nachteile der VRS dargelegt sowie Aussagen über die Praktikabilität dieses Verfahrens gemacht. Angesichts der dramatischen Zunahme von Rückenleiden in Deutschland erscheint es wichtig herauszufinden, ob sportliche Bewegung das Entstehen dieser Leiden begünstigt oder zur Verbesserung der im Folgenden noch darzustellenden negativen Situation im Gesamtkontext Rückenbeschwerden beitragen kann.
Inhaltsverzeichnis:
1 Einleitung
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Anatomie der Wirbelsäule
2.2 Haltungsschäden
2.2.1 Skoliose
2.2.2 Skoliotische Fehlhaltungen und statische Skoliosen
2.3 Wirbelsäule und Sport
2.3.1 Die Wirbelsäule im Kontext mangelnder und einseitiger Bewegung
2.3.2 Muskuläre Dysbalancen
2.3.3. Sportartspezifische Belastungsprofile der Befundgruppe
2.4 Rückenleiden in Deutschland
2.5 Vor- und Nachteile der Röntgenmethode
3 Material und Methoden
3.1 Videorasterstereographie
3.2 Funktionsweise der VRS
3.2.1 Komponenten der VRS
3.2.2 Messwertaufnahme mit Haltungsanweisungen
3.3 Erläuterung entscheidender Parameter
3.3.1 Erster Ergebnisausdruck
3.3.2 Zweiter Ergebnisausdruck
3.4 Untersuchungsdesign
3.4.1 Anamnese
3.4.2 Stichprobe
3.5 Statistische Methode
3.6 Auswertungsmethode
4 Ergebnisse
4.1 Reliabilität und absolute Differenz
4.1.2 Zwischenerkenntnisse
4.2 Geschlechtervergleich
4.2.1 Zwischenfazit
4.3 Sportartspezifische Unterschiede in den skolioserelevanten Parametern
4.4 Anwendung des Auswertungsschlüssels
5 Diskussion
6 Zusammenfassung
7 Literaturverzeichnis
8 Abbildungsverzeichnis
9 Tabellenverzeichnis
10 Anhang
1 Einleitung
Das Hauptziel dieser Arbeit besteht darin herauszufinden, welche Auswirkungen regelmäßig betriebener Sport auf das Erscheinungsbild der Wirbelsäule Jugendlicher haben kann und ab welchem Intensitätsniveau der sportlichen Betätigungen es zu Haltungsschwächen oder gar Fehlstellungen der Wirbelsäule kommen kann. Als Grundlage dieser Untersuchung dient das Verfahren der Videorasterstereographie[1], einer neuartigen Methode zur Diagnose von Wirbelsäulendeformitäten. Der Hauptzielfrage und seiner Erörterung untergeordnet, werden die Vor- und Nachteile der VRS dargelegt sowie Aussagen über die Praktikabilität dieses Verfahrens gemacht. Angesichts der dramatischen Zunahme von Rückenleiden in Deutschland erscheint es wichtig herauszufinden, ob sportliche Bewegung das Entstehen dieser Leiden begünstigt oder zur Verbesserung der im Folgenden noch darzustellenden negativen Situation im Gesamtkontext Rückenbeschwerden beitragen kann.
Rückenschmerz gilt in Deutschland mittlerweile als Volkskrankheit und ist laut jährlichen Krankenkassenstatistiken die Hauptursache für Krankmeldungen am Arbeitsplatz [1,4,13,19,39,44]. Allerdings leiden nicht nur Erwachsene unter Rückenproblemen, auch Kinder und Jugendliche sind immer häufiger davon betroffen [43]. KEMPF und FISCHER beschreiben in ihrer Zusammenfassung verschiedener Studien die dramatische Situation, die sich heute bereits im Kindesalter abzeichnet. Demnach weisen 35-60 Prozent aller Schulkinder Haltungsschwächen auf. Der prozentuale Anteil von Haltungsschäden bei Kindern hat sich in den letzten 50 Jahren von 20 auf 40 Prozent verdoppelt [22].
Ohne schon hier genau auf die einzelnen Statistiken einzugehen, kann grundsätzlich konstatiert werden, dass nunmehr Handlungsbedarf besteht, die Krankheitsbilder aus dem Bereich Rückenbeschwerden und Haltungsschwächen einzudämmen. Eine detaillierte Ursachenforschung soll die bestehenden Probleme aufdecken, um so die wichtigsten Ansatzpunkte zur Verbesserung der Situation herausarbeiten zu können.
Krankenkassen und andere Gesundheitsorganisationen, z.B. Aktion Gesunder Rücken e.V., weisen darauf hin, dass die Hauptursache für Rückenschmerzen in der Tatsache zu suchen ist, dass mit steigender Tendenz zu viel Zeit im Sitzen zugebracht und dabei eine falsche, d.h. unphysiologische Sitzhaltung eingenommen wird [13,19,44]. Schenkt man dieser Erkenntnis uneingeschränkt Glauben, drängt sich der Gedanke auf, dass sportliche Bewegung aller Art als allgemein taugliche Lösung für das Problem Rückenschmerz in Frage käme. Allerdings warnen verschiedene Autoren davor, bestimmte Sportarten (Hockey, Rudern, Radfahren, Tennis u.a.) im Übermaß auszuüben, da sie Wirbelsäulendeformationen und damit Haltungsschäden hervorrufen könnten. Die Warnungen werden mit den sportartspezifischen Bewegungsmustern begründet, die oft so einseitig belastend seien, dass dadurch Deformationen und Haltungsschäden verursacht werden könnten [6,21].
Im weiteren Verlauf dieser Arbeit wird dargelegt, dass mit derartig wenig differenzierenden Aussagen vorsichtig umgegangen werden muss. Es soll zwar nicht in Frage gestellt werden, dass durch exogene Reize die Wirbelsäule verformt werden kann und dass gewisse (übermäßige) sportliche Bewegungsmuster solche Verformungen begünstigen können. Allerdings können Begriffe wie „zu viel“ oder im „Übermaß“ nicht ausreichen, um daraus allgemeingültige Erkenntnisse über die mögliche Wirbelsäulenbelastung bei Millionen von Menschen zu ziehen, die sich im Breiten- und Vereinssport betätigen[2]. Eine detaillierte, problembezogene und Alternativen aufzeigende Betrachtungsweise von sportlicher Bewegung erscheint daher sinnvoll, um Vorurteilen gegenüber gewissen Sportarten vorzubeugen.[3] DALICHAU spricht in diesem Zusammenhang von einem Informationsdefizit, da sehr viele Untersuchungen zum Thema Wirbelsäule und Sport auf subjektiven, nicht standardisierten Diagnosemethoden basieren. Er weist darauf hin, dass die Frage der Schädlichkeit von sportlicher Bewegung auf das Erscheinungsbild der Wirbelsäule bei weitem nicht beantwortet ist [6]. Obwohl die vorliegende Untersuchung das oben angesprochene Informationsdefizit nicht vollständig beheben wird, kann sie aber einen Beitrag dazu leisten, die Lücke im Wissensstand zu schließen. Diese Arbeit erhebt demnach den Anspruch, eine Brücke zu bilden zwischen der weitgehend ungeklärten Problematik der Schädlichkeit von sportlichen Bewegungen auf die Wirbelsäule und der Fülle der bestehenden wissenschaftlichen Erkenntnisse[4], um jenen Wissensstand einzuordnen und etwaigen Fehlinterpretationen vorzubeugen. Sollte sich anhand der Ergebnisse dieser Studie herausstellen, dass die untersuchten Sportarten keinen negativen (oder nur einen geringen) Einfluss auf die Wirbelsäule der Sportler ausüben, könnte damit beispielweise das Vorurteil über Hockey ausgeräumt oder zumindestens abgeschwächt werden, wonach dieses Rücken beanspruchende Ballspiel kategorisch als Wegbereiter für Wirbelsäulendeformationen angesehen wird[5] [21]. Im umgekehrten Fall können die im theoretischen Teil dieser Arbeit zusammengefassten medizinischen Erkenntnisse zur Prävention und Therapie von Haltungsschwächen mögliche Auswege aufzeigen.
Aus medizinischer Sicht wird vor allem eine frühe Diagnose von Haltungsschäden gefordert, da eine Früherkennung zielgerichtete Therapien ermöglicht und dadurch viele Folgeschäden vermeiden kann. Ideale Früherkennungsmaßnahmen wären regelmäßige, präventive schulärztliche Reihenuntersuchungen (Screenings)[6], die neben der klinischen Untersuchung auch bildgebende Techniken einsetzen [6,16]. Bei der Erkennung von Wirbelsäulendeformitäten wird in der bildgebenden Diagnostik aber heute noch hauptsächlich auf das zwar sehr aussagekräftige, jedoch strahlungsintensive und somit risikobehaftete Röntgenverfahren zurückgegriffen [3]. Deshalb muss diese Technik auf eher sporadische Einsätze beschränkt bleiben, eignet sich also nicht für regelmäßige gesundheitsschonende Screenings größerer Probandengruppen. Gleiches gilt für langfristige Verlaufskontrollen bereits erkannter Haltungsschäden bei Individuen [3,16,25,31].
Das Verfahren der VRS erfüllt hingegen die wichtigste Voraussetzung für häufige Diagnose-Einsätze, nämlich die völlige Gefahrlosigkeit, da die Untersuchten keinerlei Strahlungsbelastung ausgesetzt werden. Ob die VRS allerdings ähnlich Aussagekräftig ist wie das Röntgenverfahren, gilt es u.a. mit Hilfe dieser Studie herauszufinden.
Der weitere Aufbau dieser Arbeit ergibt sich aus den oben erwähnten zentralen Fragestellungen und soll im Folgenden kurz dargestellt werden:
Mit Hilfe der VRS wird die Wirbelsäule dreidimensional rekonstruiert. Da Haltungsschäden in direktem Bezug zur Wirbelsäule stehen [11,16,23,34,35], erweist es sich als notwendig, im zweiten Kapitel zunächst die Anatomie sowie die Funktionsweise der Wirbelsäule zu erklären. Anschließend wird aufgelistet, welche Arten von Haltungsschäden bei Menschen beobachtet werden können. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf Skoliosen[7], weil die meisten bisher durchgeführten VRS-Messungen anderer Autoren auf diesem Krankheitsbild basieren und somit ein Vergleich dieser Arbeit mit den bereits vorliegenden Untersuchungen möglich wird. Anschließend soll erörtert werden, inwiefern ein konkreter Bezug zwischen Sport und Haltungsschäden hergestellt werden kann. Außerdem wird kurz die aktuelle Situation von Rückenleiden aus medizinischer und volkswirtschaftlicher Sicht skizziert. Der theoretische Abschnitt endet mit einer kurzen Darstellung der Vor- und Nachteile des Röntgenverfahrens.
Im dritten Kapitel (Material und Methoden) wird die Methode der VRS erklärt. Des Weiteren enthält dieser Abschnitt die nötigen Angaben zur Stichprobe (Art und Umfang, anthropometrische Daten, Trainingsintensitäten, Wettkampfbelastungen usw.). Der Ergebnisteil dieser Arbeit, in dem die Messungen an den Probanden ausgewertet und untereinander verglichen werden, bildet zusammen mit den vorangegangenen Kapiteln die Grundlage für die abschließende Diskussion.
2 Theoretische Grundlagen
Das Ziel dieses Kapitels besteht darin, die in der Einleitung angesprochenen Hauptaspekte näher zu erläutern und dadurch die Grundlagen für Auswertung und Diskussion zu schaffen. Grundsätzlich muss festgestellt werden, dass die Ursachen für Wirbelsäulendeformitäten sehr mannigfaltig sind und anfänglich oftmals ohne bedeutsame Schmerzsymptome auftreten [16,43]. Wie im Folgenden zu sehen sein wird, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht auf jede Art von Haltungsschaden hinsichtlich seiner Ursache und Auswirkung eingegangen werden. Als allgemeine Erkenntnis ist vorab festzuhalten, dass lange bestehende Haltungsschwächen aufgrund ihrer degenerativen Auswirkungen auf die Wirbelsäule und/oder auf die anliegenden Muskeln und Gelenke des Halteapparates schließlich in ein sicht- und spürbares Krankheitsbild münden, welches sich in Bewegungseinschränkungen oder Rückenschmerzen manifestiert [6,13,16,19,44]. Die Notwendigkeit der Frühdiagnose von Haltungsschwächen wird aus den oben genannten Gründen nicht bezweifelt, sondern als gegeben vorausgesetzt.
2.1 Anatomie der Wirbelsäule
Die Wirbelsäule, auch columna vertebralis oder Rückgrat genannt, besteht aus einzelnen Wirbeln, die das Achsenskelett des Rumpfes bilden und gleichzeitig als schützender Kanal für das Rückenmark dienen. Das gesamte Gebilde wird durch einen starken Muskel- und Bänderapparat zusammengehalten. Die Wirbelsäule der meisten Menschen besteht in der Regel aus 33 Wirbeln (24 beweglichen und neun verschmolzenen): Ganz oben liegen sieben Halswirbel, dann folgen zwölf Brustwirbel auf der Rückseite des Brustkorbes (thorax), an denen die zwölf Rippenpaare befestigt sind, und fünf Lendenwirbel im unteren Teil des Rückens. Die nächsten fünf Wirbel sind zu einem einzigen Knochen verschmolzen, dem Kreuzbein (os sacrum), welches zwischen den beiden Hüftbeinen liegt und mit ihnen ein Gelenk (Iliosacralgelenk) bildet. Das Steißbein (os coccygis), das sich unten an das Kreuzbein anschließt, besteht aus drei bis fünf ebenfalls verschmolzenen Wirbeln. Während die Anzahl die Halswirbel bei allen Menschen gleich ist, finden sich im Brust- und Lendenbereich häufig Abweichungen. Analog zur steigenden Belastung nehmen die Wirbel in Höhe und Breite von kranial nach kaudal hin zu. Dies geht allerdings zu Lasten der Beweglichkeit, welche von kranial nach kaudal abnimmt. Zwischen zwei übereinander liegenden Wirbeln befinden sich die Bandscheiben (discus intervertebralis), die die Elastizität und Beweglichkeit der einzelnen Wirbel ermöglichen.. Gemeinsam mit den dazugehörigen Bändern, Wirbelgelenken, Muskelzügen und Spinalnerven bilden jeweils zwei benachbarte Wirbel ein Bewegungssegment. Das Zentrum der Bandscheiben enthält einen wasserhaltigen Kern, den sogenannten nucleus pulposus, der wie ein kugelförmiges Wasserkissen wirkt. Der Knorpel der Bandscheibe ist aus schraubenförmig gewundenen Fasern aufgebaut und ermöglicht so die hohe Beweglichkeit der Wirbelkörper gegeneinander. Diese Beweglichkeit der Gelenkkette drückt sich in der Fähigkeit zu Vor- und Rückneigungen, Seitneigungen und Drehungen aus. In Abb.1 ist die physiologische „Doppel S-Form“ der Wirbelsäule zu erkennen. Die Halswirbel bilden eine Lordose, die Brustwirbel eine Kyphose und die Lendenwirbel wiederum eine Lordose. Diese physiologischen Schwingungen ermöglichen der Wirbelsäule, Stoßbewegungen oder Belastungen wie etwa beim Laufen oder Springen abzufangen. Die Wirbelsäule dient daher nicht nur als Achsenorgan und Verbindung zwischen aktivem und passivem Bewegungsapparat, sondern auch als Belastungen auffangendes Gebilde [2,7,13,16,19,21,24,28,44].
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Wirbelsäule von a) vorne b) hinten und c) seitlich
2.2 Haltungsschäden
Bei der Suche nach Definitionen des Begriffs Haltungsschaden wird in der gängigen Literatur primär betont, dass eine genaue Klassifizierung dieses Krankheitsbildes enorme Schwierigkeiten mit sich bringt. Die Hauptgründe hierfür liegen darin, dass es aufgrund der großen individuellen Streubreite der Wirbelsäulenformen nicht möglich ist, eindeutige Kriterien für eine „gute“ oder „schlechte“ Haltung festzulegen [9,14,16,17,27]. Zudem wird die Haltung des Menschen zusätzlich sowohl durch seinen psychischen Zustand als auch seine körperliche Konstitution widerspiegelt [5,13,16,19] und lässt sich somit oftmals nicht an einem einzigen Merkmal festmachen. Trotz der beschriebenen Definitionsschwierigkeiten existieren bestimmte Haltungskategorien, die im weiteren Verlauf dieses Kapitels benannt werden, damit ein Fundament für die spätere Beurteilung sportlicher Einflüsse auf die Anatomie der Wirbelsäule gegeben ist. Wie in der Einleitung erwähnt, wird eine Früherkennung von Haltungsschäden in der Wirbelsäulenpathologie gefordert [16]. DEBRUNNER sowie NIETHARD und PFEIL begründen ihre Forderung nach Früherkennung damit, dass sekundärbedingte Wirbelsäulenschäden die häufigste Diagnose in der Wirbelsäulenpathologie darstellen. Die Ursachen dafür sind, dass jeder bestehende Wirbelsäulenschaden die Degeneration der Wirbelsäule beschleunigt, häufig erst relativ spät in ein schmerzhaftes oder sichtbares Krankheitsbild mündet und somit erst im degenerativen Stadium erkannt wird [6]. Eine Behandlung von Haltungsschäden in fortgeschrittenen Stadien ist komplexer und aufwendiger als eine Therapie innerhalb eines Frühstadiums. In Tabelle 1 sind die Ursachen degenerativer Wirbelsäulenveränderungen und –erkrankungen zusammengestellt. Auf jeden in dieser Tabelle aufgelisteten Punkt einzugehen, ginge am primären Ziel dieser Arbeit, nämlich der Darstellung von sportlichen Einflüssen auf die Wirbelsäule, vorbei. Allerdings besteht, wie bereits in der Einleitung erwähnt, das sekundäre Ziel dieser Arbeit darin, die gesamte Messreihe in einen diagnostischen Kontext zu setzten, um Möglichkeiten zur Abwendung der dramatischen Entwicklung der Volkskrankheit Rückenleiden aufzuzeigen. Betrachtet man die folgenden Kapitel also nicht nur funktionell-theoretisch, sondern auch unter dem noch weiter darzulegenden Aspekt der Vielfältigkeit von Rückenleiden, wird der offensichtliche Handlungsbedarf in Form von Aufklärung und Verbesserung der bestehenden Lage deutlich.
Tab. 1: Ursachen degenerativer Wirbelsäulenveränderungen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
An zwei weiteren Beispielen soll die Vielfältigkeit von Ursache und Wirkung bei Haltungsschäden aufgezeigt werden, um darzulegen, warum Rückenleiden ein derart schwer zu bekämpfendes Krankheitsbild sind:
1) Aufgrund familiärer Häufungen bei beim Krankheitsbild Spondolytis[8] (oder auch Bechtcherew-Strümpell-Marie-Krankheit[9]) wird von einer Vererbbarkeit dieser Krankheit ausgegangen [40].
2) Bereits vor oder während der Geburt kann es zu Blockierungen der Halswirbel kommen, die, wenn sie später nicht erkannt und nicht behandelt werden, zu erheblichen motorischen Beeinträchtigungen und Störungen der vegetativen Funktionen führen [41].
In Abbildung 2 ist eine Einteilung von Haltungstypen nach STAFFEL dargestellt, die auf einer subjektiven Einschätzung beruht und nicht durch metrische Daten fundiert ist.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
ABBILDUNG 2: Haltungstypen nach STAFFEL
a = Normaltypus; b = runder Rücken; c = Flacher oder flachholer Rücken;
d = Hohler Rücken; e = Hohlrunder Rücken
Obwohl die dargestellten Wirbelsäulendeformitäten auf wissenschaftlich unfundierten Einschätzungen basieren, besitzen sie in modifizierter Form auch heute noch in der subjektiven Einschätzung von Haltungsschwächen Gültigkeit. Daher werden sie bei einer klinischen Betrachtung der Wirbelsäule als anatomischer Anhaltspunkt angesehen [6,16,30.
2.2.1 Skoliose
In diesem Abschnitt wird im Besonderen auf Skoliosen eingegangen, da ein großer Teil der Ergebnisse der vorliegenden Arbeit auf dieser Formen der Wirbelsäulendeformation basiert. Die seitliche Verbiegung der Wirbelsäule als Phänomen ist schon seit Tausenden von Jahren bekannt. Hippokrates (460-377 v.Chr.), der berühmteste Arzt der Antike, entwickelte die erste Maschine zur Begradigung des Oberkörpers (s.Abb.3). Der griechische Physiker GALEN führte 200 n.Chr. den Begriff Skoliose[10] für diese Missbildung der Wirbelsäule in die Terminologie der Medizin ein [23].
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Mechanische Apparatur zur Begradigung der Wirbelsäule
Im allgemeinen wird die Skoliose als eine Deformität der Wirbelkörper mit fixierter Seitausbildung, Torsion und Rotation des Achsenskeletts definiert [21,23,27,34,35]. Die Ausprägung einer Skoliose wird mit Hilfe der Berechnung des COBB-Winkels wiedergegeben, welcher einen relevanten und standardisierten Parameter zur Festlegung der Wirbelsäulenform beschreibt. Die Berechnung dieses Winkels wird gesondert in Abschnitt 2.5 erklärt. Zunächst einmal sollen die bestehenden Einteilungen von Skoliosen nach COBB genannt werden:
Skoliosen mit einer Abweichung bis 20° nach COBB werden als Skoliosen im Anfangsstadium definiert und mit krankengymnastischen Maßnahmen therapiert. Bei Abweichungen zwischen 20° und 50° werden je nach Ausprägung neben den krankengymnastischen Maßnahmen auch Korsettbehandlungen durchgeführt. Bei einem Winkelwert von über 50° ist eine Operation indiziert [16,36].
Trotz Bestehen dieser standardisierten Methode zur Einteilung der Skoliosen herrscht eine gewisse Unklarheit darüber, ab welchem COBB -Winkel eine Skoliose beginnt [34]. Die Definitionsschwierigkeiten verlieren jedoch an Bedeutung, da Skoliosen im Anfangsstadium wegen meist fehlender Schmerzsymptomatik seltener beim Arzt diagnostiziert werden, als vielmehr eher zufällig beim Schulsport oder Schwimmen entdeckt werden, dann allerdings oft auch schon in fortgeschrittenem Stadium [6,16,43].
Bei der Suche nach den Ursachen für Skoliosen wird in der gängigen Literatur zwischen Skoliosen im Wachstumsalter und Erwachsenenalter unterschieden. Die Unterscheidung wird getroffen, weil vor allem Skoliosen im Wachstumsalter progredient (stufenweise fortschreitend) sind im Gegensatz zu denen im Erwachsenenalter [8]. Abbildung vier listet die Ursachen von Skoliosen nach DEBRUNNER auf:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Ursachen von Skoliosen nach DEBRUNNER
Wie aus Abbildung vier deutlich wird, bilden idiopathische Skoliosen mit 90 Prozent die häufigste Form der Skoliosen im Wachstumsalter. Sie werden anhand der Primärkrümmung sowie der Konvexität und Konkavität definiert und eingeteilt (vergl.Abb.5)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5: Einteilung der Skoliosekrümmung anhand der
Primärkrümmungen
Aufgrund der oftmals ungeklärten Ursachen für das Auftreten von Skoliosen wird an dieser Stelle darauf verzichtet, die theoretischen Erklärungsversuche aufzuzählen und zu werten. Vielmehr erscheint es sinnvoller, die Arten von Skoliosen zu untersuchen, bei denen die Entstehungsgründe geklärt sind, um einen direkten Bezug zu den Zielen dieser Arbeit herstellen zu können.
2.2.2 Skoliotische Fehlhaltung und statische Skoliosen
Die skoliotische Fehlhaltung ist eine seitliche Lotabweichung in der Frontalebene ohne Fixation und Rotation der Wirbelsäule. Dagegen definiert sich die statische Skoliose als Auseinandersetzung der Wirbelsäule mit der Schwerkraft. Diese Auseinandersetzung wird durch statische Faktoren wie beispielweise Beinlängen- und Beckenhöhendifferenzen ausgelöst. Es handelt sich bei der statischen Skoliose also um eine kompensatorische Krümmung der Wirbelsäule, während die skoliotische Fehlhaltung als rein haltungsbedingt und durch muskuläre Dysbalancen ausgelöst angesehen werden kann, somit jederzeit passiv auszugleichen ist [16].
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 6: Statische Skoliose und skoliotische Fehlhaltung
a = skoliotische Fehlhaltung bedingt durch Beckenschiefstand bzw.
Beinlängendifferenz
b = korrigierte Fehlhaltung durch Angleichung der Beinlänge
c = strukturelle Skoliose mit Lotabweichung nach rechts. Eine einfache
Korrektur der strukturellen Skoliose ist nicht möglich
Aus den gewonnenen Erkenntnissen über Skoliosen können für diese Untersuchung folgende Ergebnisse abgeleitet werden:
1) Der Anteil von Skoliosen bei Menschen mit Haltungsschäden wird in der Literatur mit bis zu 13,6 Prozent definiert [16].
2) Obwohl die Ursachen für die Entstehung von Skoliosen (vor allem idiopathische) teilweise ungeklärt sind, zeigen verschiedene Studien, dass bei rechtzeitiger Diagnose dieser Wirbelsäulendeformität eine zielgerichtete Therapie in Form von Korsetts oder krankengymnastischen Maßnahmen große Erfolge erzielen kann [36].
3) Sport wird zwar nicht als auslösender Faktor für die Entstehung von Skoliosen angesehen, aber einige Untersuchungen deuten darauf hin, dass langjährig ausgeführter Sport negativen Einfluss auf die Pathogenese[11] von Skoliosen haben kann [6]. Derartig definierte Skoliosen heißen strukturelle Skoliosen, da sie durch muskuläre Dysbalancen ausgelöst werden [16].[12]
4) Eine Untersuchung der Stichprobe auf Skoliosen ermöglicht einen Vergleich dieser Arbeit mit Untersuchungen anderer Autoren, deren Auswertungen ebenfalls auf der Beurteilung von Skoliosen basieren [16,20,33].
2.3 Wirbelsäule und Sport
In der Einleitung wurde bereits kurz erwähnt, dass sich „falsche“ bzw. mangelnde Bewegung im Erscheinungsbild der Wirbelsäule manifestieren kann. In den folgenden Kapiteln wird zuerst allgemein dargestellt, welche theoretischen Ansätze hinsichtlich Bewegung und Wirbelsäule bestehen, um dann im Weiteren einen konkreten Bezug zu Sport und den aus sportlichen Bewegungen folgenden Auswirkungen auf die Wirbelsäule darzustellen.
2.3.1 Die Wirbelsäule im Kontext mangelnder und einseitiger Bewegung
In Kapitel 2.2 wurde gezeigt, wie vielfältig die Gründe für Haltungsschäden sein können. In Teilen der Fachliteratur zum Thema Rückenleiden und in Ratgebern von Krankenkassen oder anderen Organisationen, z.B. Aktion Gesunder Rücken e.V., beziehen sich die Autoren vor allem auf die strukturellen Haltungsschäden (s.a.2.2.2), da diese einen direkten Bezug zu den Bewegungs- und Sitzgewohn-heiten der Menschen haben. Diesen Ansätzen zufolge wird die zunehmend sitzende Lebensweise bei gleichzeitig physiologisch falschem Sitzen als Hauptursache für die steigende Zahl von Menschen mit Rückenleiden angesehen. Hinzu kommt, dass die Zahl der Übergewichtigen in den westlichen Ländern stetig zunimmt, was ebenfalls als Risikofaktor für Rückenbeschwerden definiert wird [13,19,44]. Um diesen Risikofaktoren begegnen zu können, werden neben Präventiv- und Verhaltensmaßnahmen (rückengerechte Sitzgelegenheiten, mobile Arbeitsplätze, rückengerechtes Heben von Lasten usw.) auch sportliche Betätigungen als Elemente rückengerechten Verhaltens angesehen. [13,19,21,22,]. Um die Theorie von Bewegung in Bezug auf das Erscheinungsbild der Wirbelsäule noch etwas zu vertiefen und gleichzeitig Erklärungsansätze für die in der Einleitung angedeutete hohe Zahl von Kindern mit Haltungsschwächen zu finden (s.2.4), werden im Folgenden die Ergebnisse von zwei Dissertationen zum Thema Haltungsschwächen bei Kindern zusammengefasst.
[...]
[1] Das Verfahren der Videorasterstereographie wird im Folgenden mit VRS abgekürzt.
[2] Allein der Deutsche Sport Bund zählt 27 Millionen Mitglieder, die in über 87.000 Turn- und Sportvereinen organisiert sind [46].
[3] „Bei Hockeyspielern wurden die meisten Haltungsfehler beobachtet. Es ist nicht geklärt, ob das an der Spezifik dieser Sportart liegt oder am angewendeten Training.“ [21]
[4] Fülle der Erkenntnisse meint in diesem Zusammenhang die häufig zitierten rückengerechten Verhaltensregeln [44]
[5] Diese Untersuchung bezieht u.a. Hockeyspieler ein (s.3.4.2).
[6] Screening bedeutet eine präventive und zeitsparende Reihenuntersuchung einer breiten Masse von Menschen
[7] Skoliose: seitliche Verbiegung der Wirbelsäule mit Drehung der einzelnen Wirbelkörper (Torsion) und Versteifung in diesem Abschnitt [27].
[8] Wirbelsäulenentzündungen verschiedenster Ursachen [13]
[9] Eine chronisch-entzündlich-rheumatische Erkrankung des Achsenskeletts [13]
[10] Skoliose: griechisch skolios = krumm, gebogen [27]
[11] Pathogenese: Gesamtheit der an der Entstehung und Entwicklung einer Krankheit beteiligter Faktoren [12].
[12] Die Theorie der muskulären Dysbalancen wird in Abschnitt 2.3.2 erläutert.
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