Sexismus ist in unserer Gesellschaft ein weit verbreitetes Problem, dem sich vor allem Mädchen und Frauen täglich stellen müssen.Mit der Feministischen Pädagogik soll in dieser Arbeit eine Form der Erziehungswissenschaft vorgestellt werden, die solche Sexismen in der Schule kritisiert. Dabei liegt der Fokus vor allem auf der Theorie dieser Vorgehensweise, praktische Ansätze werden nur in einzelnen Fällen angesprochen. Ziel der vorliegenden Arbeit wird es sein, eine aktuelle Relevanz der Feministischen Pädagogik zu überprüfen und eventuell mögliche Modifikationsvorschläge zu benennen. Als Erstes wird dabei der Begriff der Feministischen Pädagogik definiert und im Anschluss wird ein Blick auf die historische Entwicklung selbiger geworfen.
Auch im Schulalltag sind Schülerinnen, aber auch Lehrerinnen sexistischen Äußerungen und Übergriffen ausgesetzt. Außerdem muss beachtet werden, dass diese Arbeit wie auch schon im Titel ablesbar, lediglich einen allgemeinen Überblick über die Feministische Pädagogik geben kann. Eine ausführliche und detaillierte Ausarbeitung würde den Rahmen dieser Arbeit überschreiten. Somit kann kein Vollständigkeitsanspruch gestellt werden.
Im dritten Kapitel wird herausgearbeitet, was Feministische Pädagogik am deutschen Bildungssystem kritisiert. Außerdem wird auch Kritik vorgestellt, die sich an die Feministische Bildung selbst richtet. Im fünften Kapitel wird mögliche Intersektionalität thematisiert, die in unterschiedlichen Formen auftritt. Anschließend soll die Aktualität der Feministischen Pädagogik anhand verschiedener Faktoren überprüft werden, bevor im finalen Kapitel das Fazit zu dieser Thematik gezogen werden soll.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1. Einleitung
2. Begriffserklärung Feministische Pädagogik
3. Entwicklung
3.1. Frauenforschung
3.2. Feministische Erziehungswissenschaft
3.2.1. Strömungen Feministischer Pädagogik
3.3. Gender Studies
4. Was kritisiert Feministische Pädagogik?
4.1. Diskriminierung durch patriarchales Bildungssystem
4.2. Geschlechterstereotype in der Bildung
4.3. Koedukation
5. Kritik an Feministischer Pädagogik
5.1. Kann es eine geschlechtsspezifische Pädagogik geben?
5.2. Bevorzugung von Mädchen
5.3. Moralische Überbewertung der Frau
5.4. Dualismus der Geschlechter
5.5. Frauen als homogene Gruppe
6. Intersektionalität Feministischer Pädagogik
6.1. Jungen im Kontext Feministischer Pädagogik
6.2. Queer-Frauen* im Kontext Feministischer Pädagogik
6.3. Schwarze Frauen und Frauen mit Migrationsgeschichte im Kontext Feministischer Pädagogik
7. Aktuelle Relevanz Feministischer Pädagogik
7.1. Sexismus und Diskriminierung in Schulen
7.1.1. Unterricht
7.1.2. Studien Schulbücher
7.2. Gleichstellung in der Schule
7.2.1. Geschlechterverteilung Lehrer*innen
7.2.2. Chancengleichheit Schüler*innen nach Geschlecht
8. Fazit
9. Literaturverzeichnis
Danksagung
An dieser Stelle möchte ich mich bei allen bedanken, die mich bei der Anfertigung dieser Arbeit unterstützt und motiviert haben.
Allen voran möchte ich mich bei Prof. Dr. Annette Treibel-Illian bedanken, die mich in meiner verzweifelten Lage, nachdem meine ursprüngliche Betreuerin abgesagt hatte, mich angehört hat, mich beruhigen konnte und sich meiner Betreuung angenommen hat.
Ein besonderer Dank gilt den Schülern Leon, Jaron und Daniel, die mir ihre Schulbücher für meine Untersuchung im Rahmen dieser Bachelorarbeit ausgeliehen haben (und die ich, wenn es nach dem ein oder anderen gegangen wäre, auch gerne hätte behalten dürfen).
Außerdem gebührt mein Dank dem Förderverein der Grundschule Weilersbach, und hier sei besonders Andrea Ettwein erwähnt, die es mir ermöglicht hat, während des Schreibens meiner Bachelorarbeit einen Job zu verfolgen, den ich jeden Tag (zumindest, solange die Schulen noch geöffnet waren) mit Freude ausführen konnte. Vielen Dank für Euer Vertrauen in meine Arbeit in der Kernzeitbetreuung!
Ebenfalls möchte ich mich bei Alisa Wolper bedanken für den Austausch über mein Thema und über Feminismus allgemein, für den ein oder anderen Link und Material, das ich für meine Arbeit verwenden konnte, und vor allem auch vielen Dank für das Korrekturlesen.
Mein Dank gilt auch Vera Steinhäuser, die es kaum erwarten konnte, diese Arbeit Korrektur zu lesen und die ich bezüglich gemeinsamer Spaziergänge immer wieder vertrösten musste, weil ich mit dieser Arbeit beschäftigt war.
Zu guter Letzt möchte ich bei meinen Eltern bedanken, die immer hinter mir stehen, an mich glauben und mich auf meinem Weg begleiten. Ohne euch und eure Unterstützung wäre es mir nicht möglich mein Studium durchzuziehen. Und vor allem, Danke Mama, dass du mir von Anfang an gezeigt hast, was Frauenpower bedeutet.
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Ergebnis quantitative Untersuchung Schulbuchanalyse
Abb. 2: Verhältnis männliche und weibliche Berühmtheiten
Abb. 3: Verhältnis männliche und weibliche Berufsfelder
Abb. 4: Verhältnis männliche und weibliche Familienrollen
Abb. 5: Verhältnis männliche und weibliche Autor*innen
Abb. 6: Student*innen an Pädagogischen Hochschulen in BW im WS 19/20 nach Geschlecht, Angelehnt an: Statistisches Bundesamt 2020b, S. 10
Abb. 7: Prozentuale Verteilung von Mädchen und Jungen in Deutschland auf die fünf Lesekompetenzstufen. Nach Quelle: McElvany 2017, S.188
Tabellenverzeichnis
Tab. 1: Lehrkräfte in Deutschland nach Beschäftigungsumfang und Geschlecht. Angelehnt an: Statistisches Bundesamt 2020a, Tab. 7.2
Tab. 2: Geschlechterverhältnisse in Schularten der allgemeinbildenden Schulen. Angelehnt an: Statistisches Bundesamt 2020a, Tab. 3.1
Tab. 3: Verteilung der Geschlechter auf Schulabschlüsse an allgemeinbildenden Schulen. Angelehnt an: Statistisches Bundesamt 2020a, Tab.3.1
1. Einleitung
Sexismus ist in unserer Gesellschaft ein weit verbreitetes Problem, dem sich vor allem Mädchen und Frauen täglich stellen müssen. Auch im Schulalltag sind Schülerinnen, aber auch Lehrerinnen sexistischen Äußerungen und Übergriffen ausgesetzt.
Eine Gruppe von Schüler*innen stellte ihre eigenen Erfahrungen an einer Wall of shame vor:
- „Als ich im Sportunterricht stehen geblieben bin um mir die Schuhe zu binden sagt ein Mitschüler: ,Boah, live Porno‘“.
- „Im Jahrgangschat: -,Was haben Frauen nicht?‘ - ,Rechte‘“
- „Am Frauenkampftag rennen die ganzen Lesben doch mit Steinen in der Stadt rum“.
- „Ein Junge hat mir in der 8. Klasse grundlos auf den Arsch gehauen“ (Keine Schule ohne Feminismus 2020).
Mit der Feministischen Pädagogik soll in dieser Arbeit eine Form der Erziehungswissenschaft vorgestellt werden, die solche Sexismen in der Schule kritisiert.
Dabei liegt der Fokus vor allem auf der Theorie dieser Vorgehensweise, praktische Ansätze werden nur in einzelnen Fällen angesprochen.
Außerdem muss beachtet werden, dass diese Arbeit wie auch schon im Titel ablesbar, lediglich einen allgemeinen Überblick über die Feministische Pädagogik geben kann. Eine ausführliche und detaillierte Ausarbeitung würde den Rahmen dieser Arbeit überschreiten. Somit kann kein Vollständigkeitsanspruch gestellt werden.
Ziel der vorliegenden Arbeit wird es sein, eine aktuelle Relevanz der Feministischen Pädagogik zu überprüfen und eventuell mögliche Modifikationsvorschläge zu benennen.
Als Erstes wird dabei der Begriff der Feministischen Pädagogik definiert und im Anschluss wird ein Blick auf die historische Entwicklung selbiger geworfen.
Im dritten Kapitel wird herausgearbeitet, was Feministische Pädagogik am deutschen Bildungssystem kritisiert. Außerdem wird auch Kritik vorgestellt, die sich an die Feministische Bildung selbst richtet.
Im fünften Kapitel wird mögliche Intersektionalität thematisiert, die in unterschiedlichen Formen auftritt.
Anschließend soll die Aktualität der Feministischen Pädagogik anhand verschiedener Faktoren überprüft werden, bevor im finalen Kapitel das Fazit zu dieser Thematik gezogen werden soll.
2. Begriffserklärung Feministische Pädagogik
Zunächst soll an dieser Stelle der Begriff der Feministischen Pädagogik kurz erläutert werden. Er setzt sich zusammen aus den Begriffen feministisch und Pädagogik. Der Begriff feministisch als Adjektiv wird abgeleitet von Feminismus (von lat. femina, die Frau). Feminismus hat als eine soziale Bewegung das Ziel, die „volle Anerkennung der Rechte der Frau im gesellschaftlichen, politischen, juristischen und Arbeitsleben durchzusetzen“ (Böhm 2018, 160).1
Pädagogik beschreibt die Wissenschaft, die sich mit der Bildung von Menschen auseinandersetzt. Diese schließt sowohl das praktische „erzieherische Handeln (...) als auch die Theorie der Erziehung“ ein (Böhm 2018, 358).
Wie können diese beiden Begrifflichkeiten nun zusammengeführt werden?
Auf die Frage nach einer Definition gibt Ilse Brehmer, die als „Erzmutter der feministischen Pädagogik“ (Böhm 1997, 13) beschrieben wird, eine klare Antwort: eine Feministische Erziehungswissenschaft gibt es nicht. Diese Aussage begründet sie mit der Interdisziplinarität der feministischen Forschung1:
Die Frage nach weiblichem Leben und Erfahrung überspringt die Grenzen von Fachbereichen, Zeiten, Räumen und Ländern. Feministische Forschung ist immer interdisziplinär. Dies hat den großen Vorteil, dass Leben das von den Männern säuberlich auf dem Tisch der Wissenschaft in Einzelteile seziert worden ist, wieder als ein lebendiges Ganzes gesehen werden kann (Brehmer 1983, 367).
Doch obwohl auch Feministische Pädagogik in ihren Erscheinungen vielseitig sein kann, soll eine Eingrenzung bezüglich des Ursprungs und der vorrangigen Zielsetzung vorgenommen werden: Feministische Pädagogik ist in der sozialen Bewegung des Feminismus verankert.
Dabei geht die Feministische Pädagogik vor allem gegen den Sexismus und die Diskriminierung der Frau in Bildungsinstitutionen vor und liefert theoretische und praktische Ansätze für die feministische Arbeit in Schulen (vgl. Böhm 2018, 161).
3. Entwicklung
Bevor in diesem Kapitel die Entstehung der Feministischen Pädagogik mitsamt ihren unterschiedlichen Strömungen betrachtet wird, ist es unerlässlich auf die feministische Wissenschaft, die Frauenforschung, einzugehen. Denn in ihr liegt der Ursprung einer feministischen Schulforschung. Außerdem soll auch ein Überblick über die seit daher erfolgten Entwicklungen der Frauenforschung gegeben werden.
3.1. Frauenforschung
Die Frauenforschung in (West-)Deutschland entstand während der zweiten Frauenbewegung2. Als konkreter Startpunkt dieser feministischen Wissenschaft kann die 1. Berliner Sommeruniversität für Frauen 3 am 6. Juli 1976 bestimmt werden. In ihrem Rahmen kamen Frauen aus ganz Deutschland zusammen, um sich mit der Rolle der Frau in der Gesellschaft zu befassen und verschiedenste Arbeitsgruppen zu gründen (Hillauer 2016). Als Zielgruppe wurden alle Frauen definiert, also auch Frauen außerhalb des Universitätsumfeldes. Aus diesem Grund wurden in der Sommeruniversität auch Themen diskutiert, die alle Frauen betrafen. Beispielhaft sei hier die Hausarbeit sowie die Erziehungsarbeit von Müttern als unbezahlte Arbeit genannt (vgl. Faulstich-Wieland 1995, 6 f).
Vor allem wurden aber die patriarchalen Strukturen der Wissenschaft kritisiert, die eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an eben dieser unmöglich machten (vgl. ebd.). Feministische Wissenschaftskritik erhebt den Vorwurf, die allgemeine Forschung sehe den Mann als die „Grundform des Menschlichen“ an(Rendtorff, Kleinau, und Riegraf 2016, 31), während die Frau lediglich als abweichender Sonderfall betrachtet wird (vgl. ebd.). Ferner wird die Frau nur als schieres Objekt der Wissenschaft gesehen, während ihr der Zugang als aktiv forschendes Subjekt verwehrt blieb (vgl. Lux 2019, 54).
Marianne Krüll geht sogar so weit der Wissenschaft ihren Objektivitätsanspruch abzusprechen, wenn sie behauptet, sie sei als „Produkt von Männern zur Erhaltung einer patriarchalen Gesellschaft“ (Krüll 1990, V) anzusehen.
Eine Besonderheit der Frauenforschung ist die enge Verknüpfung von Theorie und Praxis in Form von Zusammenarbeit der feministischer Wissenschaft und der Frauenbewegung in den 70er und 80er Jahren. Diese Verbindung wird begründet mit der Betroffenheit beziehungsweise der Parteilichkeit der Frauen, die als Frauenforscherinnen aktiv waren und in diesem Zug ihre eigene Diskriminierung in der Gesellschaft transparent machten und untersuchten (vgl. Kraul und Tenorth 1992, 834).
Es bestand allerdings eine Uneinigkeit darüber, welches der richtige Weg war, die Beseitigung des Androzentrismus zu bewerkstelligen. So entstanden zwei Lager innerhalb der Frauenforschung. Die eine Seite sah den richtigen Weg in der Institutionalisierung der Forschung an Hochschulen und Universitäten, die andere Seite war überzeugt, sie müsse autonom bleiben. Infolgedessen entstanden vielzählige Frauenforschungseinrichtungen4, die dennoch alle die gleichen Ziele hatten (vgl. Faulstich-Wieland 1995, 10f).
Diese wurden als Grundsätze feministischer Wissenschaft durch Brigitte Brück et. al. folgendermaßen eingegrenzt:
- Überwindung des Androzentrismus
- Einnehmen der Gender-Perspektive
- Förderung der Emanzipation der Frauen
- Parteilichkeit und persönliche Betroffenheit als Basis der Frauenforschung
- Verbindung zur autonomen Frauenbewegung und Bezug zur Praxis
- Interdisziplinarität (vgl. Brück 1992, 26ff).
Zusammenfassend kann hier also festgehalten werden, dass die Frauenforschung nicht mehr von einer grundsätzlichen Binarität von Geschlechtern ausging.
So stellte Simone de Beauvoir bereits fest: „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.“ (de Beauvoir 1951, 334). Im englischsprachigen Raum entstand deshalb eine Differenzierung von sex als biologisches Geschlecht und gender als eben dieses sozial konstruierte Geschlecht. Eine als natürlich begründete gesellschaftliche Diskriminierung der Frau wurde also nicht mehr hingenommen.
3.2. Feministische Erziehungswissenschaft
Feministische Pädagogik entstand als Teildisziplin der Frauenforschung in den 1970er Jahren. Im Rahmen der Berliner Sommeruniversität für Frauen 1976 wurde bereits die Initiativgruppe Sexismus in der Schule gegründet, in der Lehrerinnen5 vor allem die Koedukation kritisierten. Es folgten weitere Neugründungen von autonomen Gruppen, wie zum Beispiel 1981 die, des Vereins Sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis für Frauen e.V.6 (vgl. Faulstich-Wieland 1995, 21).
Doch auch Forschungsinstitutionen richteten eine Vielzahl von Fachbereichen, Arbeitsstellen und Arbeitskreisen ein, welche die Etablierung der Erziehungswissenschaft als Teilbereich der Frauenforschung begünstigen sollten. Beispielhaft hierfür sind die Gründungen der Arbeitsstelle Sozial-, Kultur- und Erziehungswissenschaftliche Frauenforschung an der Technischen Universität Berlin 1980, sowie die Einführung der Arbeitsstelle Frauenforschung und Frauenstudien 1991 an der Johann Wolfgang-Goethe- Universität in Frankfurt zu benennen (vgl. ebd., 25).
Schließlich sahen Wissenschaftler*innen der Feministischen Erziehungswissenschaft die Notwendigkeit, diese als Disziplin der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE) zu etablieren. Die Förderung der Forschung sowie die Gestaltung des Studiums der Erziehungswissenschaften waren davon abhängig (vgl. ebd., 29).
Nach einem ersten Symposium, das 1982 stattfand, und den Titel Leben und Lernen jenseits patriarchaler Leitbilder trug (Rieske o. J.), wurde ein Antrag gestellt, um die Kommission Frauenforschung innerhalb der DGfE ins Leben zu rufen. Dieser wurde jedoch abgelehnt (vgl. Faulstich-Wieland 1995, 31). So wurden zunächst in einer Wissenschaftlichen Arbeitsgruppe Frauenforschung in der DGfE regelmäßige Fachtagungen organisiert und unter anderem die Deutsche Forschungsgemeinschaft sowie der Wissenschaftsrat für Veröffentlichungen kritisiert, die das weibliche Geschlecht diskriminierten (Rieske o. J.). 1991 wurde schließlich die Kommission Frauenforschung in der DGfE eingerichtet. Als besonders erwähnenswerte Errungenschaft ist das Herausarbeiten eines Entwurfes für ein feministisches Curriculum zu nennen, das in verschiedene Themenbereiche unterteilt wurde (ebd.). Die Kommission Frauenforschung wurde im Mai 1999 zur „Sektion 11 - Frauen- und Geschlechterforschung in der Erziehungswissenschaft“ (ebd.) umbenannt.
Entsprechend der Frauenforschung haben sich die Wissenschaftler*innen als übergeordnetes Ziel gesetzt, Frauen im schulischen Rahmen sichtbar zu machen. Im Kontext der Erziehungswissenschaft muss also einerseits die Erziehungsarbeit der Frauen und Mütter in den Fokus gestellt werden, andererseits soll auch die Erziehung und die Sozialisation von Mädchen analysiert werden und auf sie aufmerksam gemacht werden (vgl. Kraul und Tenorth 1992, 834). Diese Arbeit richtet ihr Augenmerk vor allem, aber nicht ausschließlich, auf Letzteres.
3.2.1. Strömungen Feministischer Pädagogik
Die Strömungen der Feministischen Pädagogik beschreiben die Art und Weise, wie eine Gleichstellung zwischen den Geschlechtern im Kontext Schule erreicht werden soll.
Sie benennen dabei verschiedene, teilweise auch gegensätzliche Möglichkeiten, die Hierarchien zwischen den Geschlechtern aufzulösen. Diese Strömungen sind allerdings keine genuin für die Feministische Bildung geltenden, sie können auch in der allgemeinen Frauenforschung und in den Frauenbewegungen beobachtet werden.
So kann zum einen eine Assimilation an das dominantere Geschlecht ein Weg zur Emanzipation des Weiblichen sein. Demgegenüber steht eine Pädagogik, welche die Differenzen und Besonderheiten der jeweiligen Geschlechter betont und sie aufzuwerten versucht.
Das Prinzip der Gleichheit sieht vor, dass Mädchen und Frauen Kompetenzen übernehmen, die als typisch männlich definiert werden. Dazu gehören unter anderem „Abgegrenztheit, Selbstsicherheit, psychisches und körperliches Durchsetzungsvermögen, Aggressivität, Konkurrenzfähigkeit und technisch-naturwissenschaftliche Sachbezogenheit“ (vgl. Prengel 1993, 116f). Somit würde das tatsächliche Geschlechterverhältnis von Männlichkeit und Weiblichkeit ignoriert werden. Das Problem der Geschlechterhierarchie bleibt aber weiterhin bestehen (vgl. Kiper 1999, 26).
In der Theorie sollten so gesellschaftliche Räume zugänglich werden, die Frauen bisher verwehrt blieben. Der männliche Lebensraum sollte erobert werden. Dieses Vorgehen muss allerdings durchaus als problematisch betrachtet werden, da die Aneignung der typisch männlichen Kompetenzen eine Entwertung der typisch weiblichen Kompetenzen bedeuten würde. Es impliziert außerdem, dass weibliche Lebenszusammenhänge als defizitär angesehen werden können (vgl. Prengel 1993, 116f).
Mädchen und Frauen sollen also ihre eigenen Interessen, Fähigkeiten und Wünsche ausblenden, da diese mit veralteten Geschlechterzuschreibungen in Tradition stehen. Dies würde wiederum einer partiellen Selbstaufgabe gleich kommen (vgl. ebd., 108).
Eine Assimilation findet dementsprechend insoweit statt, als dass das defizitäre Weibliche an das vollkommenere Männliche angepasst wird (vgl. ebd.).
Ein Bildungsansatz der Differenz zwischen den Geschlechtern erkennt hingegen die Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen an und würdigt diese. Eine geschlechtersensible Auseinandersetzung respektiert die unterschiedlichen Interessen, Erfahrungen und Leistungen beider Geschlechter (vgl. Kiper 1999, 26).
Prengel führt das folgendermaßen aus:
„Die pädagogischen Konsequenzen aus der Aufwertung des Weiblichen sind zu sehen in einer Haltung, welche die Körpererfahrungen der Mädchen, ihre ästhetischen Interessen, ihre Kinderwünsche, ihre Liebessehnsucht, die Art ihrer Beziehungsgestaltung nicht entwertet sondern die Mädchen darin unterstützt, diesen Gefühlen Ausdruck zu verleihen und sich aktiv damit auseinander [zusetzen] (...) diese Haltung schließt Akzeptanz und Wertschätzung für alle Wünsche in männliche Domänen einzudringen mit ein“ (Prengel 1993, 126f).
Anstatt weibliche Kompetenzen, wie die Fähigkeit zu Empathie, die Orientierung an Beziehungen zu anderen, aber auch ihre Unsicherheit und die Fähigkeit zu Selbstzweifel, als defizitär abzustempeln und sie zu Gunsten dem überlegenen Männlichen zu kompensieren, werden diese aufgewertet und zur Kenntnis genommen. Prengel bezeichnet dieses Vorgehen als „den Lebensweisen von Frauen Wert verleihen“ (Prengel 1993, 117).
Wenn nun aber die beiden genannten Ansätze nicht als gegensätzlich betrachtet, sondern zusammengeführt werden, so kann dies als ein Prinzip der Androgynität bezeichnet werden. Löw rechtfertigt ein solches Prinzip, in dem sie Wechselwirkungen zwischen den oben genannten Prinzipen aufzeigt. Demnach kann „Differenz nur auf Basis gleicher Rechte Anerkennung finden (..) und Gleichheit die Andersartigkeit des Gleichzustellenden strukturell voraussetz[en]“ (Löw 2001, 112f).
Androgynitätspädagogik sieht ein Individuum also nicht als rein männlich oder rein weiblich an. Vielmehr soll ein Spektrum betrachtet werden, dessen Pole als die jeweiligen Geschlechter in einer Person verortet sind. Eine drastische Separation der Geschlechter wird folglich also durchbrochen und eine traditionell restriktive Erziehung von Jungen und Mädchen kann überwunden werden. Daraus folgt, dass Mädchen beispielsweise Interesse für Politik und Technik ausleben dürfen, ebenso können Jungen Gefühle und Verletzlichkeit zeigen (vgl. Prengel 1993, 128).
3.3. Gender Studies
Sowohl die Frauenforschung als auch die Feministische Erziehungswissenschaft haben sich weiterentwickelt. So wich der Fokus auf die Diskriminierung von Frauen einem weiteren Blickwinkel auf Geschlecht und Geschlechterverhältnisse. Ebendiese Weiterentwicklung soll hier kurz skizziert werden.
Zum einen entstand zunächst in den 1980er Jahren die Männlichkeitsforschung. Diese setzte nun den Schwerpunkt auf das Mann sein beziehungsweise das Mann werden. Analog zur Frauenforschung befasste sich die Männlichkeitsforschung mit Geschlechterstereotypen (s. Kapitel 4.2) und dem damit verbundenen Druck diesen gerecht zu werden (vgl. Treibel 2014, 21). Konzepte, die aus der Männlichkeitsforschung hervorgingen und diesen sozialen Druck kritisierten waren beispielsweise die Hegemoniale Männlichkeit von Raewyn Connell oder die Triade männlicher Gewalt nach Michael Kaufmann (vgl. Kaufman 2001, 154; vgl. Connell 1999 zit. nach: Rendtorff, Kleinau, und Riegraf 2016, 32ff).
Eine weitere Entwicklung ist eine Auflösung der ausschließlichen Konzentration auf die gesellschaftliche Stellung der Frau und einer Aufwertung ebendieser. Vielmehr sollte das Konzept des sozial hergestellten Geschlechts ergründet werden (vgl. Treibel 2014, 20).
Judith Butler geht jedoch noch einen Schritt weiter und dekonstruiert zusätzlich auch das angeblich natürlich gegebene sex. Sie hinterfragt was genau den biologischen Teil definiert. So könnte die Anatomie, aber auch die Chromosomen oder die Hormone das Geschlecht bestimmen. Eine eindeutige Antwort kann aber nicht gegeben werden (vgl. übers. aus Butler 1990, 9). Außerdem bezieht sie sich auf de Beauvoir und ihre Äußerungen bezüglich des sozial hergestellten gender:
„ Beauvoir is clear that one ,becomes ‘ a woman, but always under a cultural compulsion to become one. And clearly, the compulsion does not come from ,sex‘. There is nothing in her account that guarantees that the ,one‘ who becomes a woman is necessarily female (...) hence sex could not qualify as a prediscursive anatomical facticity. Indeed, sex by definition, will be shown to have been gender all along” (Butler 1990, 11).
Somit wurde die definitive Zweigeschlechtigkeit aufgebrochen und die Queer-Theory konstituierte sich.
Dementsprechend kann als neues, beziehungsweise erweitertes Ziel der Gender Studies eine „kritische Dekonstruktion vermeintlicher Selbstverständlichkeiten“ (Althoff u. a. 2017, 398) benannt werden. Zu diesen vermeintlichen Selbstverständlichkeiten zählen der Dualismus der Geschlechter, die hegemoniale Männlichkeit, sowie die damit einhergehende Herabsetzung von Homosexualität und Weiblichkeit (vgl. ebd.).
4. Was kritisiert Feministische Pädagogik?
Wie bereits in der Definition in Kapitel 2 angesprochen, ist es Ziel der Feministischen Pädagogik Sexismus und Diskriminierung der Frauen in der Schule aufzulösen. Zu den kritisierten Aspekten gehören die Kritik am patriarchalen Bildungssystem, die in der Bildung reproduzierten Geschlechterstereotype sowie die Koedukation.
4.1. Diskriminierung durch patriarchales Bildungssystem
Feministische Pädagogik kritisiert den universalistischen Anspruch des Bildungsbegriffs. Sie behauptet, dass Bildung vorwiegend „für Männer konzipiert wurde“ (vgl. Kiper 1999, 161). Sie sei dementsprechend androzentrisch ausgerichtet, was mit der Konnotation des patriarchalen Bildungssystems zum Ausdruck gebracht werden soll.
Dieser Androzentrismus der Bildung wird deutlich, wenn beispielsweise das Werk von Rousseau, der früh den Begriff der allgemeinen Menschenbildung prägte, betrachtet wird. Dabei ist auffällig, dass Émil, der fiktive Junge um dessen Erziehung es in diesem Werk geht, zu einem mündigen Bürger erzogen werden soll. Die Edukation von der fiktiven Sophie hingegen konzertiert sich auf ihre Rolle als Gattin von Émil, als die sie ihm vor allem gefallen und ihn verführen sollte (vgl. Rousseau 1762, 284).
Ähnlich kritisiert Carol Gilligan Piaget, der sich für sein Stufenmodell ausschließlich auf die Entwicklungsprozesse von Jungen bezog. Wenn nun aber Mädchen mit diesem Modell, und damit an der Entwicklung von Jungen verglichen werden, wird dabei außer Acht gelassen, dass sie eine andere Entwicklung durchlaufen. Daraus folgt einen fälschliche Zuschreibung von Entwicklungsdefiziten (vgl. Carol Gilligan 1986, zit. nach Prengel 1993, 112).
Anhand dieser beiden Beispiele namhafter und oft zitierter Pädagogen kann eine Ausrichtung auf den Mann als die „Grundform des Menschlichen“ (Rendtorff, Kleinau, und Riegraf 2016, 31) in der Erziehungswissenschaft deutlich gemacht werden.
Weiter liegt der Vorwurf an das Bildungssystem darin, dass Schule die Erzeugung einer Geschlechterhierarchisierung begünstige. In diesem Zusammenhang beschreibt der Begriff des heimlichen Lehrplans, wie eine systematische Ungleichbehandlung von Schülerinnen kaschiert und eine Auseinandersetzung mit Sexismus unterbunden werden soll (vgl. Kiper und Hurrelmann 2001, 25).
Diese Ungleichbehandlung ist in vielerlei Hinsicht bemerkbar, vor allem aber ist das systematische Übersehen der Mädchen und Frauen auffällig. Sie werden lediglich als ein „einheitliches Kollektiv“ (Prengel 1993, 111) gemeinsam mit Jungen und Männern betrachtet, welches lediglich das männliche Geschlecht berücksichtigt. Beispielhaft hierfür ist die Behauptung das weibliche Geschlecht sei mitgemeint, wenn grammatikalisch ausschließlich die männlichen Formen realisiert werden. Problematisch ist in diesem Fall nicht nur die Schwierigkeit für Mädchen herauszufinden ob sie angesprochen werden, sondern auch zu erkennen, wann sie nicht angesprochen werden (vgl. ebd., 113).
Des Weiteren wird auch die Unterrepräsentation und die oftmals geschlechterrollen- konforme Darstellung von Mädchen und Frauen in Unterrichtsmaterialien und Schulbüchern angeprangert (vgl. Onnen 2015, 89).
Doch auch die inhaltliche Fokussierung auf das männliche Geschlecht in geisteswissenschaftlichen Fächern, wie zum Beispiel Geschichte nimmt Mädchen die Möglichkeit sich mit dem Unterrichtsgegenstand zu identifizieren.
Zu dieser fehlenden Repräsentation weiblicher Persönlichkeiten schrieb Simone de Beauvoir:
Seine [die des Mädchens] historische und literarische Bildung, die Lieder und Legenden, die man ihm zum Einschlafen singt oder erzählt, sind eine einzige Verherrlichung des Mannes. Männer haben Griechenland, das römische Reich, Frankreich und sämtliche Nationen geschaffen; Männer haben die Erde entdeckt und geeignete Werkzeuge erfunden, um sie dem Menschen untertan zu machen; Männer haben die Welt beherrscht, sie mit Statuen, Bildern und Büchern bevölkert. In der Kinderliteratur, in all ihren Mythologien, Märchen und Erzählungen spiegeln sich die aus männlichem Stolz und männlichen Wünschen erwachsenen Mythen wider. Mit den Augen der Männer erforscht das Mädchen die Welt, enträtselt es das ihm darin zugedachte Schicksal. Die männliche Überlegenheit ist erdrückend (de Beauvoir 1951, 358).
Obwohl de Beauvoirs Werk zeitlich deutlich vor der Feministischen Erziehungswissenschaft einzuordnen ist, thematisierte sie die fehlenden Identifikationsmöglichkeiten für Mädchen vor allem in der literarischen und kulturhistorischen Bildung (vgl. ebd.).
Frauenforscher*innen kritisieren auch die Geschlechterhierarchisierung auf der Ebene der Personalstruktur. Während Frauen vor allem in den niedrigeren Schulformen überproportional häufig repräsentiert sind, verhält es sich in den höheren Schularten und in den Leitungen von Bildungseinrichtungen genau andersherum (mehr dazu in Kap. 7.2.1).
Zusammenfassend kann eine Diskriminierung der Frauen im Kontext Bildung auf vier Ebenen festgehalten werden, demnach findet also eine Benachteiligung auf der Ebene
- der Personalstruktur
- der in der Schule verwendeten Sprache
- der Lehrbuchinhalte
- der Interaktion zwischen Schüler*innen und Lehrer*innen (vgl. Brehmer 1983, 372f) statt.
4.2. Geschlechterstereotype in der Bildung
Die eben kritisierten Hierarchisierungen werden durch Geschlechterstereotype verstärkt. Doch zunächst gilt es den Begriff Stereotype zu definieren. Elsen beschreibt Stereotype als „kognitive Schemata, die automatisch aktiviert und angewendet werden und Selbstwahrnehmung sowie die Wahrnehmung anderer filtern“ (Elsen 2020, 104). Sie setzen sich zusammen aus „Informationen zu Person, Aussehen, Kleidung, Verhalten und Interessen, Charakterzügen, Beruf, Namen und sprachlichen Verhalten“ (ebd., 109).
Stereotype lassen sich in die Kategorien deskriptiv - präskriptiv und positiv - negativ einteilen. Als deskriptive Stereotype werden jene bezeichnet, die Annahmen darüber äußern, wie ein Mann oder eine Frau ist. Sie nehmen auf gewisse Art und Weise Einfluss auf präskriptive Stereotype, die beschreiben, wie eine Frau oder ein Mann sein sollte. Einem Verhalten, welches den deskriptiven Stereotypen nicht entspricht, wird gewöhnlich mit Überraschung begegnet. Bei nicht-präskriptiv konformem Verhalten wird normalerweise mit Zurückweisung oder Bestrafung reagiert (vgl. Eckes 2010, 178).
Durch wiederholte Ahndung von nicht-stereotyp konformem Verhalten können Geschlechtsstereotype insofern gefestigt werden, als dass ein Verhindern dieses Verhaltens zu erwarten ist (vgl. Elsen 2020, 109).
Für Stereotype an sich kann allerdings keine von Grund auf negative Natur festgestellt werden. Ein Beispiel für positive Stereotype bei Jungen wäre die Zuschreibung zu ausgeprägtem logischen Denken, ein positiv weibliches Stereotyp wäre die Neigung zu fürsorglichem Handeln (vgl. Martiny und Froehlich 2020, 2).
Bei einer Sozialisierung entsprechend dem jeweiligen Geschlecht, erlernen Kinder sich geschlechtskonform zu verhalten und somit Geschlechtsstereotype zu bedienen. Dabei nehmen sie sich „signifikante Andere“ (Muntoni und Retelsdorf 2020, 79f), als Vorbild. Als signifikante Andere gelten dabei meist enge Familienmitglieder, aber auch Erzieher*innen und Lehrer*innen werden als solche angesehen.
Eine geschlechtsspezifische Sozialisierung vollzieht sich also einerseits, indem Kinder Bezugspersonen des gleichen Geschlechts beobachten und ihre Verhaltensweisen imitieren, andererseits werden Verhaltensweisen des anderen Geschlechts abgegrenzt und vermieden (vgl. Elsen 2020, 109).
Bedenklich werden Stereotype dann, wenn die Reproduktion und Verfestigung traditioneller Stereotypen tradierte Machtstrukturen bewahren und Vielfalt, Individualität und Veränderungen so verdrängt werden (vgl. Elsen 2020, 104). In der Schule werden Geschlechtsstereotype einerseits in Schulbüchern, aber auch durch Lehrer*innenverhalten und -erwartungen reproduziert (vgl. ebd., S. 113).
Stereotype können in besonderer Art und Weise eine Gefahr für eine chancengleiche Bildung von Mädchen und Jungen bedeuten. Dies geschieht dann, wenn sich Lehrer*innen ihren impliziten geschlechtergebundenen Stereotypen nicht bewusst sind und so die Bewertung der Schüler*innen und ihr Verhalten gegenüber diesen unbewusst beeinflusst wird (vgl. Glock, Kleen, und Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2020, 13). Außerdem können zusätzlich geschlechterheterogene Lerngruppen, Vergleiche mit dem anderen Geschlecht und geschlechtsspezifische Aufgaben eine Aktivierung von Stereotypen besonders begünstigen (vgl. Hannover, Wolter, und Zander 2017, 202).
Geschlechterstereotype können sich außerdem auf die schulischen Leistungen von Schüler*innen auswirken. Dieses Phänomen wird als stereotype threat bezeichnet. Wird beispielsweise eine Schülerin vor einem Test mit dem typisch weiblichen Stereotyp Mädchen sind schlecht in Mathe konfrontiert, so schneidet sie in der Regel schlechter ab, als wenn diese Konfrontation nicht stattgefunden hätte. Begründet wird dies mit der Befürchtung diesen negativen Stereotyp zu erfüllen oder entsprechend diesem bewertet zu werden (vgl. Hermann 2020, 35ff). Umgekehrt können Personengruppen allerdings auch von einer negativen Stereotypenzuschreibung des anderen Geschlechts profitieren. So könnten zum Beispiel Mädchen besser abschneiden, wenn zuvor das für Jungen negative Stereotyp Jungen sind schlecht in Fremdsprachen aktiviert wurde, was wiederum als stereotype lift bezeichnet wird (vgl. Hermann und Vollmeyer 2016, 43).
Ein möglicher Ansatz das Aufkommen geschlechtsspezifischer Stereotype im schulischen Umfeld zu reduzieren wäre es darauf zu achten, die Aktivierung von Stereotypen zu vermeiden, um somit ein stereotype threat zu verhindern (vgl. Martiny und Froehlich 2020, 22). Außerdem sind Lehrer*innen in der Verantwortung die eigenen, sowie die in der Gesellschaft verbreiteten Stereotype bezüglich Geschlechterrollen und -fähigkeiten zu reflektieren (vgl. Martiny und Froehlich 2020, 21).
4.3. Koedukation
Die Kritik an der Koedukation ist insofern speziell, als dass innerhalb der Feministischen Pädagogik keine Einigkeit darüber herrschte, ob sie oder doch die oppositionelle Monoedukation geeigneter zur Erreichung von Geschlechtergleichheit und der Auflösung von Diskriminierung seien (vgl. Faulstich-Wieland 1995, 20ff).
Die Kritik an Koedukation lautet, dass sie das geschlechterstereotype Verhalten stärke und reproduziere und somit den schulischen Erfordernissen von Mädchen und Jungen nicht gerecht werden kann (vgl. Jantz und Brandes 2006, 33).
Franziska Schneider spricht in ihrem Bericht zum 7. Bundesweiten Kongresses der Arbeitsgemeinschaft Frauen & Schule über die misogynen Strukturen, die in der Koedukation herrschen. Sie kritisiert, dass Jungen mehr Raum einnehmen, mehr Aufmerksamkeit von Lehrer*innen geschenkt bekommen und sich diese zusätzlich verschaffen, in dem sie Mädchen bei ihren Äußerungen unterbrechen. Dabei fallen sexistische Beleidigungen gegenüber ihren Mitschülerinnen aber auch gegenüber ihrer Lehrerinnen. In extremen Fällen kann dies auch zur sexualisierten Gewalt führen. Diesem Verhalten von Jungen begegnen Lehrer*innen mit resigniertem oder überfordertem Verhalten entsprechend dem Prinzip boys will be boys (Schneider 1988).
Wenn sich Mädchen jedoch von diesem Auftreten angegriffen fühlen oder sich dagegen wehren, wird mit Unverständnis reagiert und ihre Reaktion als zickig oder verklemmt abgetan (ebd.).
Eine Rückkehr zur Monoedukation, also zum Unterrichten in geschlechterhomogenen Gruppen wird allerdings ebenfalls kritisiert. So sei zwar bei einer Trennung von Geschlechtern im Unterricht die Wahrscheinlichkeit einer Aktivierung von Geschlechterstereotypen geringer, sehr wohl findet allerdings eine Betonung der Geschlechtszugehörigkeit statt, wenn die Mädchen und Jungen den unterschiedlichen Schulen oder Lerngruppen zugeteilt werden (vgl. Hannover, Wolter, und Zander 2017, 208). Ein möglicher Kompromiss, der eine Vermittlung von Mono- und Koedukation aufzeigen kann, ist das sogenannte skandinavische Modell. Dieses beschreibt „einen systematischen Wechsel aus koedukativen und monoedukativen Phasen“ (Jantz und Brandes 2006, 33) und dementsprechend eine Kooperation zwischen geschlechtshomogenen und -heterogenen Lernräumen. Dieser Wechselunterricht kann dabei so aussehen, dass ein erstes Entwickeln in Schonräumen der jeweiligen Geschlechter stattfindet, daraufhin in geschlechter- heterogenen Gruppen das vorher Erlernte gegenüber dem anderen Geschlecht behauptet werden soll (vgl. ebd.).
Allerdings muss hier, wie auch bei monoedukativer Erziehung hinterfragt werden, wie eine Zuteilung in die jeweiligen Gruppen stattfinden soll, anhand welcher geschlechtlicher Merkmale wird also entschieden? Dürfen die Schüler*innen entscheiden, welchem Geschlecht sie sich zugehörig fühlen oder entscheiden die Erziehungsberechtigen oder Lehrer*innen für sie? Und was geschieht mit jenen, die sich keinem der binär angeordneten Geschlechter zuordnen?
Ideal wäre daher eine reflexive Koedukation, deren Ansatz bereits im vorigen Kapitel aufgezeigt wurde. Die Verantwortung, die Lehrer*innen in diesem Fall zukommt, soll an dieser Stelle erneut betont werden. Grundlegend für die reflexive Koedukation ist eine geschlechtsbezogene Kompetenz seitens der Lehrer*innen. Eine solche lässt sich als die „Fähigkeit, angemessen und erfolgreich mit anderen Menschen [zu] kommunizieren und eine eigene Position im jeweiligen Geschlechterverständnis finden zu können“ (vgl. Jantz und Brandes 2006, 154) definieren. Dafür müssen sich Lehrer*innen unter anderem über die „geschlechtstypische[n] Rollenanforderungen“ (ebd.) an die jeweiligen Geschlechter bewusst werden. Sie müssen sich „gegengeschlechtliche Empathie“ (ebd.) aneignen, sowie „Rollenhandeln und Rollendistanz“ (ebd.) beherrschen.
Die Aufgabe der Lehrkräfte in der reflexiven Koedukation ist es, die Schüler*innen zu einem kritischen Nachdenken über Geschlechtsstereotype und -hierarchien anzuregen. So soll deutlich gemacht werden, dass aus geschlechtstypischem nicht auf geschlechtsspezifisches Handeln geschlossen werden kann. Individuelle Persönlichkeitsmerkmale sind deshalb immer zu berücksichtigen (vgl. Jantz und Brandes 2006, 10; vgl. Rendtorff, Kleinau, und Riegraf 2016, 10).
Eine gendersensible Bildung, die sich an den tatsächlichen Interessen der Schüler*innen orientiert, kann also ein stereotypfreies, chancengleiches und vor allem gemeinsames Lernen anbieten (vgl. Onnen 2015, 92).
[...]
1 Verhalten gegenüber diesen unbewusst beeinflusst wird (vgl. Glock, Kleen, und Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2020, 13).
2 Die Frauenbewegungen in Deutschland können in drei große Wellen eingeteilt werden. Die erste Welle als Frauenrechtsbewegung forderte das Wahl- und Bildungsrecht für Frauen. Die zweite oder neue Welle der Frauenbewegungen kämpfte für Mündigkeit der Frauen, „für ein aktives Mitspracherecht in der Politik und für einen uneingeschränkten Zugang zu qualifizierten Tätigkeiten“ (vgl. von Bargen 2018). Die dritte Welle der Frauenbewegungen organisiert sich zunehmend im Internet über soziale Netzwerke. Beispiele für online geführte Debatten sind die #aufschrei-Diskussion über Alltagssexismus und die #metoo-Bewegung, die sexualisierte Gewalt an Frauen und Männern sichtbar machte. Die Aktivist*innen der dritten Welle kritisieren außerdem Heteronormativität und die Fokussierung auf die Weiße Cis-Frau. Eine Forderung, die sich durch alle drei Frauenbewegungen zieht, ist die um die Abschaffung des §218 des StGBs, die bis heute noch nicht durchgesetzt werden konnte (vgl. ebd.).
3 Insgesamt wurden sieben Sommeruniversitäten veranstaltet, die letzte 1983. Die Themen, Diskussionen und Auseinandersetzungen beschreibt Faulstich-Wieland genauer (vgl. Faulstich-Wieland 1995, 7ff).
4 Frauenforschungseinrichtungen in Forschungsinstitutionen sind beispielsweise die Zentraleinrichtung zur Förderung von Frauenstudien und Frauenforschung an der Freien Universität Berlin. Als autonom gegründete Forschungsgruppen können die Sektion Frauenforschung in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie und das Frauenforschungs- und Bildungszentrum FBIZ in Berlin aufgeführt werden (vgl. Faulstich-Wieland 1995, 10f).
5 Hier wurde bewusst nicht gegendert, da bei den Berliner Sommeruniversitäten nur Frauen zugelassen wurden.
6 Agierte als eine autonome Zusammenarbeit von Schulforscherinnen, von Frauen mit Arbeitstätigkeiten an der Institution Schule und von Müttern von Schulkindern (vgl. Faulstich-Wieland 1995, 22).
- Citation du texte
- Miriam Braun (Auteur), 2021, Feministische Pädagogik. Ein Abriss zu Entwicklung, Kontexten, Kritik und aktueller Relevanz, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1031114
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