Die vorliegende Hausarbeit beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit im deutschen Bildungssystem eine reelle Chancengleichheit hergestellt wird und existiert. Als reale Chancengleichheit wird der Zustand bezeichnet, in dem alle Individuen die gleichen Möglichkeiten haben im Bildungssystem zu partizipieren und diese Chancen, auch in der Realität, gleich verteilt sind. Die Durchführung und Existenz von gleichen Chancen für alle kann in unserem heutigen Bildungssystem jedoch angezweifelt werden.
Inhaltsverzeichnis
1 Existiert reale Chancengleichheit? (Gugsch, Johanna)
1.1 Die Folgen der Bildungsexpansion nach Schneickert (Gugsch, Johanna)
1.2 Bedeutung der sozialen Herkunft für die reale Chancengleichheit (Gugsch, Johanna)
2 Ideologische Leistungen der Chancengleichheit im modernen Bildungssystem nach Schneickert (Kraus, Ilona)
3 Reproduktion der Klassenstruktur im Bildungssystem nach Schneickert
3.1 Koppelung an den Arbeitsmarkt (Kraus, Ilona)
3.2 Gesellschaftliche Legitimierung (Kraus, Ilona)
3.3 Aufrechterhaltung durch Sozialisationsprozesse
4 Chancengleichheit als Katalysator für soziale Ungleichheiten?
5 Diskussion der Ergebnisse (Gugsch/Kraus)
Literaturverzeichnis (Gugsch/Kraus)
1 Existiert reale Chancengleichheit?
Als reale Chancengleichheit wird der Zustand bezeichnet, in dem alle Individuen die gleichen Möglichkeiten haben im Bildungssystem zu partizipieren und diese Chancen, auch in der Realität, gleich verteilt sind.1 Die Durchführung und Existenz von gleichen Chancen für alle kann in unserem heutigen Bildungssystem jedoch angezweifelt werden.
Die Chancen im Bildungssystem sind nicht gleich verteilt und, wie vorgegeben, abhängig von der Leistung die erbracht wird. Sie sind abhängig von der sozialen Herkunft und den damit verbundenen sozioökonomischen und soziokulturellen Gegebenheiten.2
Des Weiteren werden alle, trotz unterschiedlichen Voraussetzungen, den gleichen Umständen unterworfen, in denen keine ausgleichenden Maßnahmen für diese unterschiedlichen Voraussetzungen angewendet werden.3
Und auch die Bedingungen des Bildungssystems, welches vordergründig die gleichen Startchancen für alle liefern soll, orientieren sich in erster Linie an Familien mit hohem sozioökonomischem Status.4
1.1 Die Folgen der Bildungsexpansion nach Schneickert
Die Bildungsexpansion wird weitestgehend als positiver Effekt des vordergründig leistungsorientierten Bildungssystems angesehen. Doch zieht diese Entwicklung verschiedene negative Folgen in unterschiedlichen Bereichen mit sich.
Zwar erreichen heutzutage mehr Menschen als früher einen höheren Bildungsabschluss, aber die Anzahl der zu besetzenden Positionen verändert sich nicht.5 Das bedeutet, dass der Konkurrenzkampf um diese wenigen Plätze immens zunimmt und hierdurch der Druck bei jedem Einzelnen, in diesem Konkurrenzkampf eine hoch angesehene Position zu erlangen, erhöht wird.
Um ihre Kinder auf diesen Konkurrenzkampf vorzubereiten beginnen Eltern zunehmend früher damit, ihre Kinder frühfördernden Maßnahmen zu unterziehen.6 Hierdurch wird schon von Kindesbeinen an verinnerlicht, dass die eigene Bildung nicht den individuellen Interessen genügen muss, sondern ausschließlich den wirtschaftlichen Interessen und somit ein Mittel zum wirtschaftlichen Zweck darstellt. Die Ökonomisierung der Bildung wird schon von Anfang an als legitimer Zustand angesehen und weiterhin stabilisiert.
Eine weitere Folge der Bildungsexpansion ist, dass sich nicht nur der Konkurrenzkampf selbst verstärkt, sondern auch die Leistungsanforderungen in diesem Kampf immer höher werden.7 Denn es werden immer höhere Qualifikationen und Kompetenzen derer erwartet, die um die wenigen Plätze konkurrieren. Einerseits, um selektieren zu können, wer am geeignetsten ist diese Positionen zu besetzen und zusätzlich eine Legitimierung dafür zu haben, bestimmte Gruppen von diesen Positionen auszuschließen.
1.2 Bedeutung der sozialen Herkunft für die reale Chancengleichheit
Auch Ribolits unterstützt die Aussage, dass die Bildungsexpansion den Konkurrenzkampf verstärkt und auf eine höhere Ebene gebracht hat. Die Chancen für Kinder aus Familien mit einem niedrigeren sozioökonomischen Status haben sich dadurch nicht verbessert und die bestehende Struktur der Gesellschaft besteht weiterhin fort. Denn auch die Bildungsabschlüsse der sozial Privilegierten haben sich dadurch nach oben verschoben.8 Der Konkurrenzkampf wurde hierdurch lediglich auf eine höhere Stufe verlegt.
Hinzu kommt, dass sich nicht nur die Bildungsabschlüsse nach oben verschoben haben. Sondern auch, dass die Kosten, um an diese Bildungsabschlüsse zu gelangen oder alternative Bildungswege zu gehen, für eine Familie mit geringerem Einkommen kaum zu tragen sind.9 Hierdurch haben Kinder aus Familien mit niedrigerem sozioökonomischem Status nicht die gleichen Chancen wie Kinder aus Familien mit höherem Einkommen, für die zusätzliche Kosten kein Problem darstellen.
Geißler erklärt jedoch auch, dass die Bildungsexpansion positive Folgen mit sich brachte. Da nun Menschen aus verschiedenen Schichten die Chance hätten, höhere Abschlüsse zu erlangen und vor allem in der Realschule Kinder aus verschiedenen Schichten vertreten sind.10
Es wurde aber nachgewiesen, dass Eltern aus einer unteren Schicht sich auch weiterhin eher für einen Bildungsweg für ihre Kinder entscheiden, der ein geringeres Risiko für hohe Investitionen mit sich zieht (z.B. Haupt-und Realschule).11
Dies führt weitergehend dazu, dass Kinder aus nicht privilegierten Familien mit geringem Einkommen, auch weiterhin schlechtere Chancen haben an dem Wettbewerb um die hohen Positionen teilzunehmen.
Es kann aber auch argumentiert werden, dass es an dieser Stelle nur um die gleichen Chancen in diesem Konkurrenzkampf geht und die Kritik am Konkurrenzkampf an sich in den Hintergrund rückt.12 Denn der Konkurrenzkampf an sich stellt schon ein Problem dar, durch den die Menschen unter einem immensen Leistungsanspruch an sich selbst stehen.
Der enge Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und dem eingeschlagenen Bildungsweg wird von Berger aufgegriffen. Es wird eine Studie zitiert, die besagt, dass Kinder aus Familien mit niedrigerem sozioökonomischen Status, trotz gleicher Fähigkeiten und Kompetenzen in der Schule, eine viel geringere Chance auf eine Empfehlung für das Gymnasium haben.13 Hierdurch wird verdeutlicht, dass nicht die eigenen Leistungen und Fähigkeiten darüber entscheiden, welcher Bildungsweg eingeschlagen und welche Chance der Einzelne für das weitere Berufsleben hat. Darüber entscheiden letzten Endes die Voraussetzungen und Umstände, die die eigene soziale Herkunft mit sich bringt.
Dass die soziale Herkunft über den Bildungsweg und die eigene Stellung in der Gesellschaft entscheidet, kann auch durch verschiedene Zahlen belegt werden, die Geißler in seinem Text verwendet. Die Chance für ein Kind aus einer sozial privilegierten Familie auf ein Gymnasium zu gehen, ist deutlich höher als für ein Kind aus einer Familie mit niedrigerem sozialen Status.14 Dies unterstützt zusätzlich die Annahme, dass auch weiterhin Kinder aus privilegierten Familien in den höheren Bildungswegen vertreten sind und ihnen somit im Erwerbsleben bessere Chancen zugutekommen.
2 Ideologische Leistungen der Chancengleichheit im modernen Bildungssystem nach Schneickert
Formell ist Chancengleichheit im Grundgesetz verankert und wird durch Bildungspolitik mittels standardisierter Vorgaben hergestellt. Die Umsetzung formeller Chancengleichheit im Bildungssystem sieht Schneickert als die Ursache am Scheitern der Realisierung von tatsächlicher Chancengleichheit und bezieht sich dabei im Wesentlichen auf Bourdieus und Passerons Ausführungen zur „Illusion der Chancengleichheit“ (vgl. Schneickert 2013: 1).
Es wird davon ausgegangen Bildung und Ausbildung würden unter gleichen Startbedingungen vermittelt, um zu fairen Konditionen am Wettbewerb teilzunehmen. Die Leistungsmessung dabei geschehe objektiv und wertfrei sowie unabhängig von der sozialen Herkunft (vgl. Schnei- ckert 2013: 1).
Außerdem orientiere sich das moderne Bildungssystem bei der Einordnung beispielsweise in Haupt- Real- oder Gymnasialzweig (Bildungshierarchie) durch Notengebung an der tatsächlichen Leistung der Bildungsempfänger_innen (vgl. Schneickert 2013: 1). Gerechtfertigt wird dies durch die individuelle Begabung und Leistungsbereitschaft unabhängig des sozioökonomischen Status (vgl. Bourdieu/Passeron 1971: 45).
Es entsteht der Eindruck, diese Positionierung innerhalb des Bildungssystems sei selbst steuerbar durch eigene Motivation und Leistungsbereitschaft. Gemäß des „meritokratischen Versprechens“ sei die Möglichkeit gegeben sich durch eigene Anstrengung nicht nur in der Hierarchieleiter des Bildungssystems, sondern letztendlich auch in der sozialen Hierarchie nach oben zu bewegen (vgl. Bourdieu/Passeron 1971: 168).
3 Reproduktion der Klassenstruktur im Bildungssystem nach Schneickert
Die formelle Gleichbehandlung innerhalb des Bildungssystems dient lediglich dazu Klassenstrukturen aufrecht zu erhalten, anstatt sich davon zu befreien und täuscht Chancengleichheit vor. Die oberen Klassen bestimmen dabei die Spielegeln denen alle unterworfen sind mit dem Interesse ihre privilegierte Stellung in der Gesellschaft an die nachfolgenden Generationen weiterzugeben und damit zu sichern (vgl. Bourdieu/Passeron 1971: 190).
3.1 Koppelung an den Arbeitsmarkt
Das Bildungssystem unterliegt gesetzlichen Regelungen wie beispielsweise der Schulpflicht oder der Aufteilung in Schulzweige und Schulformen. Darin werden Standards zur Leistungsmessung manifestiert. Diese Leistungen (Noten) werden miteinander verglichen und in eine Hierarchie gebracht, die wiederum Zugangsvoraussetzungen sind um auf dem Arbeitsmarkt partizipieren bzw. konkurrieren zu können. Diese Koppelung an den Arbeitsmarkt bringt letztendlich die Positionierung innerhalb der sozialen Klassenstruktur mit sich. (vgl. Schneickert 2013: 3).
3.2 Gesellschaftliche Legitimierung
Der selektive Vorgang innerhalb des Bildungssystems ist nicht nur gesetzlich legalisiert worden, sondern auch gesellschaftlich anerkannt. Dies zeigt sich insbesondere darin, dass die Position, die jeder innerhalb der Bildungshierarchie einnimmt, begründet wird durch individuelle Begabung und Leistungsbereitschaft. Dadurch scheint der Platz der Privilegierten am oberen Rand der sozialen Ordnung gerechtfertigt (vgl. Bourdieu/Passeron 1971: 45).
Dass jeder seine Position bereitwillig annimmt, funktioniert deswegen, weil ausgeblendet wird, dass in Bildungseinrichtungen weder die soziale Herkunft noch die Bildungspolitik und der Arbeitsmarkt eine Rolle spielen (vgl. Bourdieu/Passeron 1971: 192).
In Bezug auf die Zugangsvoraussetzungen ist die soziale Herkunft dennoch entscheidend, da nicht privilegierte Bildungsempfänger_innen eine höhere Anpassungsleistung aufbringen müssen, um den Regeln der Privilegierten gerecht zu werden.
3.3 Aufrechterhaltung durch Sozialisationsprozesse
Über Sozialisationsprozesse außerhalb der Bildungseinrichtungen entwickeln sich bestimmte Umgangsformen, ein bestimmter Sprachduktus sowie kulturelle Eigenschaften, welche in das Bildungssystem hineingetragen werden und die wiederum einen Einfluss haben auf die Laufbahnentscheidung, die sie sich selbst zutrauen. So fungiert die Reproduktion sozialer Klassen auch innerhalb des Bildungssystems als Selbstläufer (vgl. Schneickert 2013: 2).
4 Chancengleichheit als Katalysator für soziale Ungleichheiten?
Auch Ribolits bezieht sich auf die Perspektive Bourdieus, dass die Vererbung sozialer Ungleichheit verlagert wurde auf das Bildungssystem, welches die Reproduktion gesellschaftlicher Schichten durch gesetzliche Regelungen unterstützt (vgl. Ribolits 2006: 94). Bereits vor Schulbeginn existieren unterschiedliche Zugangsvoraussetzungen durch ungleiche soziale Herkunft, die gegen eine reale Chancengleichheit sprechen. Einen sozialen Aufstieg durch Bildung zu erlangen wäre daher nur sehr geringfügig gegeben (vgl. Ribolits 2006: 84). Demnach stellt die Erhöhung zum Zugang zu Bildung keine Lösung dar.
Er bezieht sich auf den Soziologen Michael Hartmann, der in seiner Studie zur „Rekrutierung von Spitzenmanagern“ herausfand, dass die soziale Herkunft beim Bewerbungsvorgang durchaus eine Rolle spielt, da durch Beziehungen Kinder aus privilegiertem Elternhaus eine zehnmal höhere Chance haben in eine Führungsposition zu gelangen (vgl. Ribolits 2016: 92, 93; Hartmann 2004).
[...]
1 vgl. SCHNEICKERT 2013: 1.
2 vgl. BOURDIEU/PASSERON 1971: 83.
3 vgl. SCHNEICKERT 2013: 3.
4 vgl. BOURDIEU/PASSERON 1971: 39.
5 vgl. SCHNEICKERT 2013: 4.
6 vgl. ebd.: 4.
7 vgl. SCHNEICKERT 2013: 4.
8 vgl. RIBOLITS 2006: 92.
9 vgl. ebd.: 92.
10 vgl. GEIßLER 2012: 196.
11 vgl. BECKER/LAUTERBACH 2008: 19.
12 vgl. RIBOLITS 2006: 87.
13 vgl. HOVESTADT/EGGERS 2007: 39.
14 vgl. BAUMERT/SCHÜMER 2002: 164.
- Arbeit zitieren
- Johanna Schubert (Autor:in), 2018, Existiert Chancengleichheit im deutschen Bildungssystem?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1030274
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