Diese Arbeit handelt von Manifesten für den ökologischen Wandel. Was sind die charakteristischen Züge politischer Manifeste und wie ist diese besondere Art des politischen Appells geschichtlich einzuordnen? Diese literarische Gattung wurde in dieser Arbeit näher betrachtet.
Anhand theoretischer Grundlagen wurden die vier Grundcharakteristika aufgestellt: Öffentlichkeit als Ziel politischer Manifeste, eine exotische Ausdrucksweise, der Bezug zu einer gegenwartsrelevanten Thematik sowie eine namentliche Unterzeichnung durch die Verfasserin oder den Verfasser. Geschichtlich fand sich die Einordnung in Zeiten besonders tiefgreifender gesellschaftlicher Krisen. Das schafft den Bezug zu heute, denn im Jahr 2020 befinden wir uns in einer solchen Zeit.
Mit Hilfe der Grundcharakteristika war es das Ziel dieser Maturaarbeit, selbst ein Manifest zu verfassen, das diese Kriterien erfüllt. Anschliessend wurde dieses selbstgeschriebene Manifest reflektiert und es wurde analysiert, ob die Kriterien erfüllt werden konnten. Dabei wurde die Hauptschwierigkeit des Manifestierens thematisiert, die besonders daraus bestand, die richtige Sprache für die Leserschaft zu berücksichtigen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Persönliche Motivation
1.2 Aufbau und Leitfragen
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Etymologie
2.2 Historische Metamorphose der Begriffsdefinition
2.3 Typologisierung politischer Manifeste
2.4 Vorkommen in der Geschichte
2.5 Verbreitung
2.5.1 Bedeutung des öffentlichen Bildungsniveaus
2.5.2 Bedeutung der medialen Öffentlichkeit
2.5.3 Bedeutung der Repressionen innerhalb eines Staatssystems
2.6 Grundcharakteristika
2.6.1 Warum die Definition der Grundcharakteristika schwer fällt
2.6.2 Kriterien
2.7 Struktur
2.8 Relevanz politischer Manifeste im Jahr 2020
3 Schreiben eines Manifests
3.1 Manifest zum ökologischen Wandel
3.2 Reflexion
3.2.1 Erfüllung der Kriterien
3.2.2 Struktur
3.2.3 Schwierigkeiten desManifestierens
3.2.4 Konklusion
4 Wissenschaftlicher Ausblick
5 Schlusswort
6 Literatur
6.1 Buchquellen
6.2 Intemetquellen
Abstract
Was sind die charakteristischen Züge politischer Manifeste und wie ist diese besondere Art des politischen Appells geschichtlich einzuordnen? Diese literarische Gattung wurde in der vorliegenden Arbeit näher betrachtet. Anhand theoretischer Grundlagen wurden die vier Grundcharakteristika aufgestellt: Öffentlichkeit als Ziel politischer Manifeste, eine exotische Ausdrucksweise, der Bezug zu einer gegenwartsrelevanten Thematik sowie eine namentliche Unterzeichnung durch die Verfasserin oder den Verfasser. Geschichtlich fand sich die Einordnung in Zeiten besonders tiefgreifender gesellschaftlicher Krisen. Das schafft den Bezug zu heute, denn im Jahr 2020 befinden wir uns in einer solchen Zeit.
Mit Hilfe der Grundcharakteristika war es das Ziel dieser Maturaarbeit, selbst ein Manifest zu verfassen, das diese Kriterien erfüllt. Anschliessend wurde dieses selbstgeschriebene Manifest reflektiert und es wurde analysiert, ob die Kriterien erfüllt werden konnten. Dabei wurde die Hauptschwierigkeit des Manifestierens thematisiert, die besonders daraus bestand, die richtige Sprache für die Leserschaft zu berücksichtigen.
1 Einleitung
«Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht.»1 Dieses fast schon ikonische Zitat wird auf der ganzen Welt auf Demonstrationen gerufen. Das Spektrum der Demonstrantinnen und Demonstranten reicht von der AfD-Wählerschaft bis zur Gemeinschaft der Atomgegnerinnen und der Atomgegner. Unverschont wird es immer dann genutzt, wenn das Gefühl entsteht, eine Verletzung des Rechts sei eine bestehende und bedrohliche Tatsache. Auch Manifestantinnen und Manifestanten auf der ganzen Welt würden wohl diesen Satz unterschreiben. Bestimmt sind sie sich immer über eines einig, wenn auch ihre Themen ein unbegrenztes Spektrum haben: Auf dieser Welt geschieht Unrecht. Gegen dieses Unrecht muss man kämpfen, seine Stimme erheben und beharrlich Widerstand leisten. Die Themen, welche sie als besorgniserregend ansehen, sind dafür wahrscheinlich umso grössere Streitpunkte. Denn der subjektive Standpunkt, den die Manifestantinnen und Manifestanten vertreten, ist nach Wortlaut oftmals ein «Stand»-punkt. Man bewegt sich nicht weg von ihm, die Meinung wird klar von diesem Punkt aus erhoben. Aus dieser Perspektive wird argumentiert und gedacht. Somit haben Manifestantinnen und Manifestanten weniges gemeinsam, unterscheiden sich aber vielleicht auch umso mehr. Die Existenz politischer Manifeste ist nur in Staaten möglich, wo das Menschenrecht der Meinungsfreiheit gewährleistet wird. Manifeste sindjedoch eine exklusive Art, seine Meinung kund zu tun.
1.1 Persönliche Motivation
Dieses Thema interessiert mich persönlich sehr, da ich als Kind politischer Flüchtlinge immer schon den Bezug dazu hatte, was es bedeuten kann, seine Meinung zu vertreten. Meine Eltern, die im Irak lautstark genau das taten, wo immer sie Unrecht sahen, wurden Opfer von Verfolgung. Aus diesem Grund habe ich eine grundlegende Sensibilisierung erfahren, die im Prinzip mein ganzes Leben bestimmt. Wären diese Dinge nicht geschehen, wäre ich heute auf keinen Fall in der Schweiz und würde an einem Gymnasium meine Maturaarbeit verfassen. Eingeschränkte oder gar nicht vorhandene Meinungsfreiheit sind deshalb Sachverhalte, die mir besonders am Herzen liegen. Aus dem angeführten Grund empfinde ich dieses Thema als sehr wertvoll zu untersuchen.
1.2 Aufbau und Leitfragen
Die vorliegende Arbeit wird sich mit politischen Manifesten beschäftigen und versuchen, ihre grundlegenden Merkmale festzuhalten. Es wird untersucht, welche besonderen Kennzeichen es sind, denen Manifeste politischer Art zugrunde liegen.
Dabei nehme ich mir vor, in einem ersten Teil, folgende Fragen zu beantworten:
- Woher kommt der Begriff «Manifest»?
- Wie werden Manifeste in verschiedene Typen eingeteilt?
- Wann kamen Manifeste in der Geschichte vor?
- Welche Umstände sind grundlegend für eine Verbreitung eines Manifests?
- Welche Grundcharakteristika politischer Manifeste sind festzulegen?
- Welcher Struktur folgen politische Manifeste?
In einem zweiten Teil dieser Arbeit, versuche ich anhand der aufgestellten Grundpfeiler, ein eigenes politisches Manifest zum Thema Klimawandel zu verfassen. Das werde ich tun, um mir auch einen Überblick darüber zu schaffen, wie es wirklich ist, etwas zu «manifestieren».
Anschliessend werde ich untersuchen, ob die Kriterien, die ich aufstelle, erfüllt wurden. Das soll mir Auskunft darüber erteilen, inwiefern es mir gelingen wird, ein eigenes politisches Manifest zu verfassen. So ist diese Arbeit in einen theoretischen Teil und einen praktischen Teil gegliedert. Nach dem Schreiben des Manifests werde ich es ausführlich reflektieren.
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Etymologie
Der Begriff «Manifest» kommt vom lateinischen Wort manifestus «offenbar, augenscheinlich» (altlat. manufestus) oder manifestare «offenbaren».2 Der erste Teil des lateinischen Begriffs lässt sich auf manus «Hand» zurückführen.3 Dem zweiten Wortteil liegt nahe, dass er vom lateinischen Adjektiv infestus «Angriffen ausgesetzt», aber auch von seiner militärischen Wortbedeutung «kampfbereit» abhandelt.4 Die Herkunft des zweiten Wortteils wurdejedoch bisher noch nicht geklärt.5 Im Englischen wird das Wort unter anderem auch als Adjektiv zur Beschreibung einer offensichtlichen Sache, die niemandjemals in Frage stellen würde, verwendet.
Unterschiedliche Definitionen in deutschen Wörterbüchern spiegeln den Entwicklungsverlauf des Begriffs «Manifest», der sich bei seiner Untersuchung als erratisch erweist, wider.6 In der Fassung des Brockhaus aus dem Jahr 1979er war der Begriff noch als «die öffentl. Erklärung, z.B. einer Regierung Proklamation) oder einer Partei (Wahl-M.)»7 definiert und veränderte sich 2006 zu «Grundsatzerklärung, öffentlich dargelegtes Programm einer Kunst- oder Literaturrichtung, einer polit. Partei, Gruppe o.Â.»8
2.2 Historische Metamorphose der Begriffsdefinition
Wie setzte sich der Manifestbegriff in der Geschichte durch? Wie wurde er zu dem, was wir heutzutage unter Manifest, also einer öffentlichen Standpunktvertretung, verstehen?
«Neben der kaufmännischen Bezeichnung für einen Ladungsbrief im Handel oder des nautischen Wortgebrauchs im Seerecht als ‘beglaubigtes Zertifikat über geladene Güter’ setzte sich ‘Manifest’ historisch ‘als Bezeichnung einer gewichtigen,feierlich-öffentlichen Erklärung in einer wichtigen Angelegenheit’ durch.»9
Der Begriff dehnte sich mit der Zeit aus.10 Zunächst bezeichnet der Begriff die Erklärung eines Fürsten oder einer Staatsregierung, in welcher die beschriebenen Institutionen zu wichtigen Angelegenheiten, vor allem zu (bevorstehenden) Kriegsakten Stellung beziehen. Dies geschieht insbesondere in Form öffentlicher Verlautbarungen oder im diplomatischen Verkehr.
Die Anwendung verändert sich in der folgenden Zeit. Daraufhin wird sie genutzt, um politische Stellungnahmen, die von anderen Individuen oder Organisationen ausgehen, zu umschreiben.
Die Anfangszeit politischer Manifeste finden wir im ausgehenden 16. Jahrhundert, in der diese Textart Königen diente, dem einfachen Volk längst beschlossene Entscheidungen zu verkünden.11 Als im 17. Jahrhundert das Zeitungswesen aufkam, entspannte sich nicht mit steigender Anzahl von potentiellen Informationsträgern etwa die Situation. Im Gegenteil ergriff der König das Zeitungsmonopol, um weiterhin Kontrolle über das Volk zu wahren. Die neuen Bedingungen schufen auch neue charakteristische Merkmale. Es ging nicht mehr darum, zu kurzfristigen Situationen Stellung zu beziehen, sondern als Verfasserin oder Verfasser eine politische zukunftsorientierte Zielsetzung bekannt zu machen. Des Weiteren machte das Manifest den Wandel von einem Verkündungs- zu einem Propagandainstrument. Um das Jahr 1879 der französischen Revolution und den darauffolgenden Jahren war das Manifest zum Werkzeug der Gegenseite geworden.12 Das Manifest machte erneuert einen Wandel durch und erhielt eine Basis für neue charakteristische Merkmale.
«Politische Manifeste hatten zum Ende des 18. Jahrhunderts die Gestalt eines massenmedialen Kommunikationsträgers angenommen.»13 In jener Zeit der politischen Krise wurde diese Textgattung immer mehr die der revolutionären Persönlichkeiten und politischen Aussenseiter, die mit ihren Vorstellungen nicht systemkonform waren.
Im Verlauf des 19. Jahrhunderts wuchs die Textart zunehmend mit immer greifbareren Grundmerkmalen zu einem «Medium der Dissidenz, auch der Subversion, [..]»14 Das Manifest wurde zu einem Mittel der Opposition. Es entwickelte seine Funktion, partikulare und marginale Interessen sowie Überzeugungen gattungshaft auszudrücken.
2.3 Typologisierung politischer Manifeste
1981 wagte der Literaturwissenschaftler Joachim Schulz in seinem Werk «Literarische Manifeste der „Belle Epoque“» die Typologisierung politischer Manifeste.
Nach seiner Einteilung gibt es die offiziellen Stellungnahmen durch politische Herrscher, wie wir sie in der Geschichte vor der Französischen Revolution auffmden.15 Zudem gibt es die «Revolutionsmanifeste», die geschrieben werden, um sich als Gruppe oppositionell gegen die legitime Macht zu positionieren. Es gibt die Manifeste, die Interessen und Absichten von politischen Gruppierungen beschreiben. Zuletzt schafft er noch die Definition eines letzten Typus: «die öffentliche Erklärung oder Stellungnahme einer oder mehrerer Personen, die nicht an der politischen Macht beteiligt sind, zu einempolitischen Ereignis»}16
Die vorliegende Arbeit konzentriert sich auf den zuletzt genannten Typus, um eine Eingrenzung zur wissenschaftlichen Untersuchung zu ermöglichen. Es wird aber versucht, Revolutionsmanifeste sowie Zielerklärungen miteinzuschliessen.
2.4 Vorkommen in der Geschichte
In der Weltgeschichte der letzten 150 Jahren gab es nicht selten geschichtliche Ereignisse, die mit dem Begriff «Manifest» in Verbindung gebracht werden können. Viele Theoretikerinnen und Theoretiker legen den historischen Schwerpunkt zu Beginn des letzten Jahrhunderts fest oder schränken den Zeitraum sogar noch weiter ein.17 So ist Luca Somigli der Auffassung, Manifeste dienten speziell um 1900, in einer kulturellen und sozialen Umbruchsphase, den Künstlerinnen und Künstlern dazu, sich selbst zu legitimieren.18 Mit der zeitlichen Einordnung des Manifests wird diese Textgattung, insbesondere ihre künstlerische Ausprägung, eng an die Avantgarde gebunden, wo sie als «ParadeGattung» zu finden ist.19
Manifeste haben als verlässliche Eigenschaft, dass sie zu historisch brisanten Daten anzutreffen sind.20 Politische Konflikte und instabile Verhältnisse als Umstände der meisten politischen Manifeste machen sie zu einem interessanten Forschungsgegenstand für die Wissenschaft. Dabei denke man an die Umstände der Zeit der Veröffentlichung des Kommunistischen Manifests 1848, einer Zeit als der frühe Kapitalismus während der industriellen Revolution grosse gesellschaftliche Gegensätze schuf: Auf der einen Seite viel Not und Elend, auf der anderen Seite unerhörter Reichtum. Auch die künstlerischen Manifeste des Dada mit Veröffentlichungsdaten in der Avantgarde haben ihren Ursprung zu einer Zeit von Krisen. Der Erste Weltkrieg prägte die Emigrantinnen und Emigranten auf der ganzen Welt.21 Ihre Kunst und somit viele ihrer Manifeste äusserten sich in einer «sinnlosen Antikunst».
Doch warum war gerade das letzte Jahrhundert so wichtig für die Entwicklung oder überhaupt die Entstehung politischer Manifeste? Viele Faktoren prägten diesen Umstand.22 Mit der Erfindung von Massendruckererzeugnissen war die technische Grundlage gegeben. Das Zeitungswesen expandierte somit und wurde für die Öffentlichkeit zugänglich. Ein expandierendes Bildungswesen ermöglichte, dass die Alphabetisierung in allen Gesellschaftsschichten voranschritt und die Menschen erhielten einen stärkeren Zugang zum Zeitungswesen. Es bildete sich ebenfalls eine politische bürgerliche Schicht heraus, welche den Herrschaftsanspruch der regierenden Mächte anzweifelte und Widerstand leisten wollte. Zuletzt war wichtig, dass willkürliche Regime veralteter absolutistischer Zeiten mehr und mehr überwunden wurden. All diese Faktoren trugen dazu bei, dass die Vorkommnisse von Manifesten politischer Art ab dem Zeitraum des 19. Jahrhunderts vermehrt vorzufmden waren. Im nächsten Kapitel wird zur Vertiefüng darauf eingegangen, welche Faktoren für die Verbreitung politischer Manifeste eine wichtige Rolle spielen, um nachvollziehen zu können, weshalb politische Manifeste im letzten Jahrhundert ihren Höhepunkt fanden.
2.5 Verbreitung
2.5.1 Bedeutung des öffentlichen Bildungsniveaus
Das öffentliche Bildungsniveau spielt bei der Verbreitung politischer Manifeste eine Schlüsselrolle.23 In analphabetisierten Gesellschaften konnten Herrscher die hoheitlichen Akte auf öffentlichen Plätzen vorlesen lassen und hatten somit die Sicherheit, dass die öffentliche Meinungsführerschaft bei ihnen lag. Lesekundige gab es kaum. Dies erleichterte die Führung.
In diesen Gesellschaften war die Kommunikationslogistik unvergleichlich zu heute. Üblicherweise war es zivilgesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren fast nicht möglich unabhängige Texte aus eigener Initiative zu verbreiten. Deshalb ist es wichtig, dass das Bildungsniveau einer Gesellschaft mindestens bei der Alphabetisierung liegt. Auch erleichtern kostengünstige Massenmedien, auf welche Akteurinnen und Akteure aus der Gesellschaft zugreifen können, die Verbreitung politischer Manifeste. Dies erscheint fast am Wichtigsten, denn um die Wirkung eines Manifests zu erzielen, müssen Medien massenwirksame Transportmittel sein.
2.5.2 Bedeutung der medialen Öffentlichkeit
Oft orientieren sich Politikerinnen und Politiker an der Meinung, die sich gesellschaftlich am meisten etabliert hat, um im Einklang mit der Öffentlichkeit zu stehen.24 Selbstverständlich handelt es sich dabei nicht immer um ein panisches Beugen seiner eigenen Glaubenssätze und Meinungen, «doch nicht selten ergreift die Politik Maßnahmen erst dann, wenn sie in einem bestimmten Ausmaß von Medienaktivitäten dazu herausgefordert wird.»25
Die Rolle des «Konsens» darf nicht unterschätzt werden, denn eine Übereinstimmung mit dem Volkswillen hilft politikextemen Kräften die Wahrscheinlichkeit Politikerinnen und Politiker, die ihre Handlungsweise durch die öffentliche Meinung lenken lassen, zu beeinflussen.
Die Medien sind auch deshalb so bedeutend, weil Themen erst als Element der öffentlichen Meinung zählen, wenn sie eine gewisse Präsenz in den Medien zeigen. «Die Medien und ihr Publikum konstituieren damit das offene Kommunikationsforum Öffentlichkeit.»26 Die Medien räumen Platz ein für Themen, konfrontieren uns mit neuen Problemstellungen und prägen mit gezielter Informationsvermittlung unsere Meinung. Es geht nicht darum, dass sie unser Gehirn kontrollieren und uns einer Gehirnwäsche unterziehen, aber mit der aufgesetzten «Agenda» bestimmen die Medien die Themen, die uns beschäftigen. Die Massenmedien der westlichen Welt erreichen den Grossteil der Bevölkerung und sind essentiell für die Meinungsbildung.
Um ein Manifest zu verfassen, das eine Resonanz seitens der Bevölkerung erhält, bedarf es daher einer hohen medialen Öffentlichkeit. Dieser Faktor kann sich aber auch als unüberwindbares Hindernis heraussteilen, wenn das Thema keine Gewichtung in den Medien hat.
2.5.3 Bedeutung der Repressionen innerhalb eines Staatssystems
Wie sieht also die Verbreitung in repressiven Staatsystemen aus, wo Medien staatlich reglementiert werden und die Entwicklung der Öffentlichkeit noch nicht weit ist?
Gerade in solchen Staatsystemen könnten Manifeste dazu beitragen, diese Kluft zu überspringen.27 Jedoch verfügen repressive Staatsysteme über einen extrem hohen Kontrollgrad in der Gesellschaft. Dies widerspiegelt sich auch in der Öffentlichkeit der Medien. In der DDR beispielsweise finden wir genau diesen Umgang mit regimekritischen Medien. Die Öffentlichkeit ist mehr eine Inszenierung als Realität und die Institutionen, die verantwortlich für die Staatsicherheit sind, unterdrücken eine Ausbildung unabhängiger Medien. In einer solchen Umgebung ist es kaum möglich, dass ein Manifest einen Erfolg feiern kann. Eine solche Veröffentlichung kann in diesem Klima dann nur auf eine heimliche Art und Weise geschehen, damit sich die betreffenden Autorinnen und Autoren keiner Gefahr aussetzen. Aus demokratischer Perspektive ist es jedoch besonders in solchen Regimen wichtig, dass sich eine «Gegenöffentlichkeit» bilden kann, die der offiziellen Doktrin die Stirn bietet. Aufrufe zur Revolution, das Benennen tabuisierter Missstände und Alternativen, die durch Manifestverfasserinnen und Manifestverfasser geboten werden, könnten der erste Schritt sein, um eine Veränderung herbeizurufen.
2.6 Grundcharakteristika
2.6.1 Warum die Definition der Grundcharakteristika schwer fällt
Woran wird definiert, ob es sich um ein Manifest handelt? Ist jedes Werk, das sich mit dem Begriff «Manifest» definiert, ein Manifest?
Nicht jede Schrift, die vom Autor die Eigentitulierung erhalten hat, entspricht auch dem politischen Manifestcharakter.28 Die ursprüngliche Benennung durch die Autorin oder den Autoren reicht nicht, um festzustellen, ob es sich um ein Manifest handelt oder nicht.29
Oft wurden Manifeste in Proklamationen, Erklärungen, Credos, Apellen, Deklarationen, Pamphleten und Thesen, bis hin zu offenen Briefen verpackt und erschienen nicht als «Manifest».30 Der Begriff kommt vielfach erst zur Anwendung, wenn die Rezeptionsgeschichte von Werken betrachtet wird. Die Zuordnung «Manifest» zu einem historischen Werk geschieht in vielen Fällen eher als Fremddeutung. Die Aufgabe die Grundcharakteristika des Manifests herauszukristallisieren, erweist sich somit als schwierig, wenn schon die Zuordnung Mühe bereitet. Beinahe jedes Werk könnte als politisches Manifest etikettiert werden, wenn man die Definition nicht eingegrenzt oder die Grundcharakterzüge nicht genauer definiert. Demnach wären Zeitungsartikel, Bücher oder Interviews ebenfalls Manifeste, weil sich in solchen Werken politischer Art immer eine Meinung des Autors «manifestiert».
Joachim Schultz stellte fest, dass die Identifikation von Manifesten einfacher fällt, wenn man mehr ihre Funktion als die äusseren Merkmale betrachtet.31 Dennoch ist es wichtig gewisse Grundmerkmale herauszuarbeiten, um sich nicht an einem vagen Konstrukt festzuhalten und die Definition, was ein Manifest sein kann, gänzlich zu ignorieren. Aus diesem Grund wurden die Erkenntnisse aus «Manifeste: Geschichte und Gegenwart des politischen Appells» von Klatt und Forenz genutzt, um Fragen zu formulieren, die der Überprüfung dienen, ob es sich um ein politisches Manifest handelt.32
2.6.2 Kriterien Öffentlichkeit als Ziel
Manifestantinnen und Manifestanten haben als unabdingbares Ziel, die Öffentlichkeit zu möglichst weiten Teilen zu erreichen. Ihr Werk sollte dabeijeder Person zugänglich sein. Dabei misst man nicht an der realen Zugänglichkeit des Werks, ob es den Grundcharakterzug erfüllt. In Folge würden Manifeste, die beispielsweise in repressiven Staatssystem geschrieben werden und staatlich verboten sind, nicht als solche gelten. Dies ist zu verhindern, denn das Augenmerk ist die von den Manifestantinnen und Manifestanten angestrebte Zugänglichkeit.
[...]
1 Dieses Zitat wird hauptsächlich Bertolt Brecht zugeschriebenjedoch ist der Urheber nicht klar.
2 aber auch manifestatio «Offenbarung»
3 Wahrig Herkunftswörterbuch Wortdefinition „Manifest“
4 Pons Onlinewörterbuch Übersetzung „infestus“
5 Wahrig Herkunftswörterbuch Wortdefinition „Manifest“
6 vgl. Klatt und Lorenz: Manifeste, S. 18
7 Klatt und Lorenz: Manifeste, S. 18
8 Ebd.
9 Klatt und Lorenz: Manifeste, S. 8
10 Dieses Kapitel stützt sichvor allem aufKlatt und Lorenz: Manifeste, S. 8-10
11 vgl. Malsch: Künstlermanifeste, S. 60 f.
12 Ebd.
13 Klatt und Lorenz: Manifeste, S. 10
14 Ebd.
15 Dieses Kapitel stützt sich auf Schultz: Literarische Manifeste der „Belle Epoque“, S. 23 f.
16 Ebd.
17 vgl. Poole und Kaisinger: Manifeste, S. 8
18 vgl. Somigli: Legitimizing theArtist: Manifesto Writing and European Modernism
19 vgl. Asholt und Fahnders: Die ganze Welt ist eine Manifestation
20 Dieser Absatz stützt sich aufKlatt und Lorenz: Manifeste, S. 7
21 Wabner, Stefan: Da Da Dadaismus: Ursprünge, Entwicklungen und bedeutende Dadaisten
22 Dieser Absatz stützt sich aufKlatt und Lorenz: Manifeste, S. 25
23 Dieses Kapitel stützt sich aufKlatt und Lorenz: Manifeste, S. 25 f.
24 Dieses Kapitel stützt sich aufKlatt und Lorenz: Manifeste, S. 16-18
25 Klatt und Lorenz: Manifeste, S. 16
26 Eilders: Massenmedien alsProduzenten öffentlicherMeinungen, S. 32
27 Dieses Kapitel stützt sich aufKlatt und Lorenz: Manifeste, S. 26 f.
28 vgl. Asholt und Fahnders: Die ganze Welt ist eineManifestation, S. 21
29 Ebd.
30 Dieses Kapitel stützt sich vor allem aufKlatt und Lorenz: Manifeste, S. 18 f.
31 vgl. Schultz: LiterarischeManifeste der „Belle Epoque“, S. 228 f.
32 Die vier folgenden Kriterien stützen sich aufKlatt und Lorenz: Manifeste, S. 19-23
- Quote paper
- Anonymous,, 2021, Charakteristika von politischen Manifesten. Ein Manifest für den ökologischen Wandel, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1030130
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.