In dieser Arbeit wird das Konzept der mehr¬Sinn Geschichten vorgestellt. Dabei soll vor allem geklärt werden, was mehr¬Sinn Geschichten überhaupt sind und wie sie konkret erzählt werden. Daran anschließend soll der Blick auf die Lern- und Bildungsprozesse im Schulkontext gerichtet werden. Dafür werden vielseitige Unterrichtsprinzipien präsentiert und auf den Einsatz in verschiedenen Schulformen bezogen.
Aus den zusammengetragenen theoretischen Inhalten wird im darauffolgenden Kapitel ein Kriterienkatalog entwickelt, welcher für die Bewertung von mehr sinnlichen Geschichten im Unterricht herangezogen werden kann. Im sechsten Kapitel wird die Entwicklung der Konzeption der mehr sinnlichen Geschichte zum Bilderbuch "Das kleine Wir in der Schule" von Daniela Kunkel beschrieben und das Ergebnis anhand der benötigten Materialien und Requisiten sowie der zu-gehörigen Regieanleitung dargestellt. Mithilfe des aufgestellten Kriterienkatalogs und der Entwicklung der mehr sinnlichen Geschichte im vorangegangenen Kapitel wird anschließend eine Auswertung des praxiserprobten Einsatzes im Unterricht vorgenommen. Hierbei sollen vor allem mögliche Chancen aber auch Herausforderungen für die unterrichtliche Umsetzung heraus-gearbeitet werden. Zum Abschluss dieser Arbeit wird ein Fazit gezogen und ein Ausblick gegeben.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
1 Einleitung
2 Was sind mehr- Sinn Geschichten?
2.1 Entstehung und Entwicklung
2.2 Zielgruppe
3 Wie werden mehr¬Sinn Geschichten erzählt?
3.1 Vorbereitung
3.2 Durchführung
4 Unterrichtsprinzipien im Schulkontext
4.1 Allgemeingültigkeit der Unterrichtsprinzipien für verschiedene Schulformen
4.2 Konstitutive Unterrichtsprinzipien
4.2.1 Schülerorientierung
4.2.2 Sachorientierung
4.2.3 Handlungsorientierung
4.3 Regulierende Unterrichtsprinzipien
4.3.1 Selbsttätigkeit
4.3.2 Differenzierung
4.3.3 Veranschaulichung
4.3.4 Motivierung
4.3.5 Ganzheit
4.3.6 Zielorientierung
4.3.7 Strukturierung
4.3.8 Ergebnissicherung
5 Kriterienkatalog für die Bewertung von mehrsinnlichen Geschichten im Unterricht
6 Entwicklung der mehrsinnlichen Geschichte Das kleine WIR in der Schule von Daniela Kunkel
6.1 Benötigte Materialien und Requisiten
6.2 Regieanleitung
7 Auswertung der Umsetzung der selbstentwickelten mehrsinnlichen Geschichte im Unterricht
7.1 Chancen
7.2 Herausforderungen
8 Fazit und Ausblick
9 Literaturverzeichnis
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abb. 1..
Darstellung der Teilhabe-Möglichkeiten von Menschen mit Beeinträchtigungen in der Gesellschaft
Abb. 2..
Didaktisches Dreieck nach Reusser
Tab. 1..
Übersicht der ersten Überlegungen zur Konzeption der mehrsinnlichen Geschichte zum Bilderbuch Das kleine WIR
Tab. 2..
Übersicht der eingesetzten Materialien und Requisiten
Tab. 3..
Übersicht der eingesetzten Piktogramme innerhalb der Regieanleitung
1 Einleitung
„Ich bekenne, ich brauche Geschichten, um die Welt zu verstehen.“
(Lenz 1970, S. 131)
Wie können Menschen mithilfe von Geschichten die Welt verstehen? Was müssen Geschichten mit sich bringen, sodass durch sie die Welt besser verstanden werden kann? Wie können Geschichten über die Sprache hinaus erzählt und vermittelt werden? Ist der Einsatz von Geschichten eine geeignete Möglichkeit, Schülerinnen und Schülern Wissen im Unterricht zu vermitteln?
Diesen Fragen soll in der vorliegenden Arbeit u. a. nachgegangen werden. Geschichten sind ein langjähriges und beliebtes Mittel im schulischen Alltag. Doch was sind Geschichten eigentlich genau? Laut des Duden Online Wörterbuches ist eine Geschichte eine „mündliche oder schriftliche, in einen logischen Handlungsablauf gebrachte Schilderung eines tatsächlichen oder erdachten Geschehens, Ereignisses“ (ebd. o. J.a). Geschichten werden daher häufig auch als Erzählung bezeichnet (vgl. ebd.).
Geschichten ermöglichen Menschen soziale Kontakte und kulturelle Teilhabe. Durch sie erfahren Menschen etwas über sich selbst sowie über ihre Außenwelt. Sie knüpfen an bestehendem Wissen sowie persönlichen Erfahrungen und Bedürfnissen an und ermöglichen somit den Erhalt von neu verknüpften Inhalten. Die vielseitigen Motive innerhalb von Geschichten wie z. B. Angst oder Freude wie auch die dargestellten Charaktere lassen Menschen Verbindungen zu sich selbst und zu ihrem Umfeld herstellen (vgl. Fornefeld 2013a, S. 8).
Eine besondere Form des Geschichtenerzählens bietet das Konzept der mehr¬Sinn Geschichten. „Diese Geschichten werden nämlich nicht einfach nur erzählt, sondern so bearbeitet, dass sie sinnlich wahrnehmbar und erlebbar werden“ (ebd., S. 6). mehr¬Sinn Geschichten werden dabei so erzählt, dass die Inhalte für Menschen mit komplexen Beeinträchtigungen1 erfasst werden können. Durch den Einsatz von Sprache und Musik sowie verschiedenen Requisiten zum Anfassen, Schmecken oder Riechen kann der Inhalt der Geschichte sinnlich vermittelt werden. Die Möglichkeiten der inhaltlichen Erfassung einer Erzählung werden somit für die Zuhörenden erweitert (vgl. ebd.). Als Sinn wird die „Fähigkeit der Wahrnehmung und Empfindung“ (Duden Online Wörterbuch o. J.b) bezeichnet, welche ihren Ursprung in den jeweiligen Sinnesorganen der Ohren, Augen, Nase, Zunge und Haut hat und in Verbindung mit dem Gehirn steht. Die fünf Sinne, über welche die mehr¬Sinn Geschichten wahrgenommen werden können, sind demnach das Hören, Sehen, Riechen, Schmecken und Tasten (vgl. ebd.).
Häufig wird es den Menschen mit komplexen Beeinträchtigungen jedoch nicht zugetraut, Inhalte und Wissen vollständig zu erfassen. Dies führt dazu, dass diesem Personenkreis oftmals gar keine Geschichte erzählt oder ihnen nur eine stark inhaltlich reduzierte Variante angeboten wird. Sie werden somit davon ausgeschlossen, vielfältiges Wissen anzueignen und Inhalte kennenzulernen, welche sie verstehen könnten, wenn geeignete andere Darstellungsformen gewählt werden würden. „Es geht im mehr¬sinnlichen Geschichtenerzählen nicht um Kompensation individueller Defizite oder um sensorische Anregung, sondern um kulturelle Teilhabe und Bildung ohne Grenzen“ (Fornefeld 2013a, S. 7). Die Teilhabe von Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf ist seit 2004 als uneingeschränkter Anspruch im Sozialgesetzbuch festgehalten. Als Leistungen zur Teilhabe werden dort die Förderung einer ganzheitlichen Persönlichkeitsentwicklung sowie eine Erleichterung und Ermöglichung der „Teilhabe am Leben in der Gesellschaft“ (SGB IX 2019, §4) benannt. Der Teilhabe-Anspruch ist darüber hinaus in der 2008 in Kraft getretenen Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderung wiederzufinden (vgl. UN-Behindertenrechtskonvention 2008, Artikel 30 Absatz 1).
Die von Fornefeld benannte „kulturelle Teilhabe und Bildung ohne Grenzen“ (ebd. 2013a, S. 7) ist auch als bedeutender Aspekt in der Institution Schule anzusehen. Schülerinnen und Schüler werden auf das Leben in der Gesellschaft vorbereitet und erhalten die Möglichkeit, ihre Persönlichkeit ganzheitlich zu entwickeln. Der Unterricht soll dazu beitragen, mithilfe eines Interaktionsgeschehens ein erfolgreiches und qualitätsvolles Lernen zu ermöglichen. Dies soll durch den Einsatz konkreter Unterrichtsprinzipien, welche als Grundsätze bzw. Handlungsregeln im Unterrichtskontext zu verstehen sind, unterstützt werden (vgl. Wiater 2008, S. 4ff).
Es stellt sich nun die Frage, ob das Konzept der mehr¬Sinn Geschichten eine geeignete Methodik für den allgemeinen Schulkontext darstellen kann. mehr¬sinnliche Geschichten sind für die Anwendung in Eins-zu-Eins Situationen für die Zielgruppe von Menschen mit komplexen Beeinträchtigungen konzipiert. Dieses Konzept soll nun auf den Einsatz im Unterricht übertragen werden, um zu überprüfen, ob mehr¬Sinn Geschichten auch für mehrere Personen gleichzeitig und unabhängig von individuellen Beeinträchtigungen erlebbar gemacht werden können Dies soll mithilfe dieser Arbeit herausgefunden werden. Es gilt die Forschungsfrage Inwieweit lässt sich das Konzept der mehr¬Sinn Geschichten im Unterricht umsetzen? zu beantworten.
Für die Konzeption einer neuen mehrsinnlichen Geschichte wurde das Bilderbuch Das kleine WIR in der Schule von Daniela Kunkel ausgewählt. Diese soll durch die Erprobung in der Praxis zur Beantwortung der Forschungsfrage beitragen. Das Buch handelt von einer Geschichte, in welcher das Wir-Gefühl, der Zusammenhalt zwischen Kindern innerhalb einer Klassengemeinschaft sowie aber auch die Thematik des Mobbings thematisiert werden. Hinzukommend wird in dem Bilderbuch der Aspekt der Heterogenität innerhalb der Schülerschaft, welche als „einzigartig und kunterbunt“ (Kunkel 2018, S. 1) beschrieben wird, hervorgehoben.
Beginnend für die Arbeit wird das Konzept der mehr¬Sinn Geschichten vorgestellt. Dabei soll vor allem geklärt werden, was mehr¬Sinn Geschichten überhaupt sind und wie sie konkret erzählt werden.
Daran anschließend soll der Blick auf die Lern- und Bildungsprozesse im Schulkontext gerichtet werden. Dafür werden vielseitige Unterrichtsprinzipien präsentiert und auf den Einsatz in verschiedenen Schulformen bezogen.
Aus den zusammengetragenen theoretischen Inhalten wird im darauffolgenden Kapitel ein Kriterienkatalog entwickelt, welcher für die Bewertung von mehrsinnlichen Geschichten im Unterricht herangezogen werden kann.
Im sechsten Kapitel wird die Entwicklung der Konzeption der mehrsinnlichen Geschichte zum Bilderbuch Das kleine Wir in der Schule von Daniela Kunkel beschrieben und das Ergebnis anhand der benötigten Materialien und Requisiten sowie der zugehörigen Regieanleitung dargestellt.
Mithilfe des aufgestellten Kriterienkatalogs und der Entwicklung der mehrsinnlichen Geschichte im vorangegangenen Kapitel wird anschließend eine Auswertung des praxiserprobten Einsatzes im Unterricht vorgenommen. Hierbei sollen vor allem mögliche Chancen aber auch Herausforderungen für die unterrichtliche Umsetzung herausgearbeitet werden.
Zum Abschluss dieser Arbeit wird ein Fazit gezogen und ein Ausblick gegeben.
2 Was sind mehr- Sinn Geschichten?
„mehr¬Sinn Geschichten machen Sinn und schaffen Sinn! Sie machen mehr Sinn!“ (Fornefeld 2013b, S. 5)
Geschichten sind nicht immer gleichermaßen und vollumfänglich verständlich. Vor allem Worte sind, bspw. in der Kindheit, nicht immer ganzheitlich erfassbar. Doch durch verschiedene Gegebenheiten des Geschichtenerzählens und die dabei geschaffene Atmosphäre wird die Geschichte für Zuhörende erfahrbar. Trotz dessen, dass nicht alle Worte verstanden werden, können die zuhörenden Personen mitfühlen und verschiedene Erfahrungen miterleben. Geschichten sind ein wichtiger Baustein der persönlichen Entwicklung und werden von Generation zu Generation weitergegeben. Geschichten verbinden Menschen und fördern den sozialen Kontakt miteinander (vgl. Fornefeld 2013b, S. 1).
mehr¬Sinn Geschichten greifen die Tradition des Erzählens von Märchen und Geschichten auf. Menschen mit komplexen Beeinträchtigungen sollen somit die Möglichkeit erhalten, diese gänzlich erfassen zu können. mehr¬Sinn Geschichten werden dabei nicht nur erzählt, sondern so bearbeitet, dass sie für die Zuhörenden „sinnlich wahrnehmbar und erlebbar werden“ (ebd., S. 2). Durch eine Vielzahl unterschiedlicher Materialien und Requisiten werden die einzelnen Sinne der Personen angesprochen. Dies ermöglicht eine Öffnung des Inhaltes der Geschichte, welche somit zusätzlich mithilfe der sinnlichen Wahrnehmung vermittelt werden kann. Dabei werden Erfahrungen und Empfindungen der Zuhörenden angesprochen, sodass sie Emotionen und Erinnerungen mit den neu erworbenen Inhalten verknüpfen können. Dies führt zu einem Wissenszuwachs und zu einem konkreteren Verstehen der Geschichte (vgl. ebd.). mehr¬Sinn Geschichten sind als eine ästhetische Bearbeitung von verschiedenen Erzählungen wie z. B. Märchen, Sagen, Abenteuer-, Bibel- oder Bilderbuchgeschichten zu verstehen. Diese sind allgegenwertig wahrnehmbar wie bspw. in der Werbung, im Comic oder im Film. Geschichten begleiten den individuellen Alltag und die Kultur demnach kontinuierlich. mehr¬Sinn Geschichten stellen dabei nur eine von vielen Formen dar, um Geschichten weiterzugeben (vgl. ebd.).
Für das Erzählen von mehr¬Sin Geschichten werden vor allem Märchen ausgewählt, da diese kurz und einprägsam sind und damit die Zuhörenden ansprechen. In den verschiedenen Motiven der Märchen lassen sich Erfahrungen, Emotionen sowie Probleme des Alltags wiedererkennen, mit welchen sich die zuhörenden Personen identifizieren können. Trotz dessen, dass sie fiktiv sind, sprechen sie die Leiblichkeit der Menschen an. Die Problemlösung innerhalb der Märchen geschieht i. d. R. mithilfe von konkretem Handeln der Hauptfigur und dessen Helfenden. Konflikte werden in Form eines optimalen Vorgehens gelöst. Märchen vermitteln grundsätzlich eine positive Weltansicht und fangen das Leben in seiner Ganzheit ein. Es werden grundlegende Bedürfnisse der Menschen angesprochen, welche Personen auf der ganzen Welt beschäftigen. Märchen besitzen hinzukommend den Aspekt der Überzeitlichkeit, sodass ihre Motive jederzeit passend erscheinen. Die Zuhörenden werden beim Erzählen von Märchen o. ä. in eine Art Zwischenwelt befördert, in welcher sie sich zwischen der Realität und der Fantasie befinden (vgl. ebd., S. 4).
Geschichten dienen dabei nicht nur den freizeitlichen Aspekten, sondern sind auch ein bedeutsamer Bestandteil der kulturellen Teilhabe. Geschichten helfen dabei, die Welt und sich selbst zu verstehen und ermöglichen des Weiteren den sozialen Austausch. Menschen mit komplexen Beeinträchtigungen wird die Vollständigkeit von Inhalten häufig verwehrt, da davon ausgegangen wird, dass sie diese nicht verstehen würden. Dieser Personenkreis erhält damit häufig nur Zugriff auf reduzierte Inhalte und eine „stets gleichförmige Alltagskommunikation“ (ebd., S. 5). Sie werden vom Kennenlernen neuer Dinge teilweise ausgeschlossen, obwohl sie es mithilfe anders gewählter Darstellungsformen verstehen könnten. Sie werden somit vom Recht auf kulturelle Teilhabe und Bildung ausgeschlossen bzw. nicht vollumfänglich berücksichtigt (vgl. ebd.).
Aufgrund dieser bestehenden Problematiken wurde das Konzept der mehr¬Sinn Geschichten entwickelt. mehr¬Sinn Geschichten sind nicht einfach nur Geschichten, welche in einer anderen Form vermittelt werden. „mehr¬Sinn Geschichten vermitteln ihren Inhalt durch ästhetische Empfindungen, die auf Grundlage leiblicher Erfahrungen Sinnstiftung und Verstehen ermöglichen“ (ebd.). Durch das mehr¬sinnliche Erzählen einer Geschichte wird das Verstehen in Sinneszusammenhängen genutzt. Wichtig für das Verstehen der Inhalte ist dabei vor allem auch die zwischenmenschliche Kommunikation zwischen dem Erzählenden und dem Zuhörenden, welche sich dauerhaft im Dialog des Erzählprozesses befinden (vgl. ebd.).
mehr¬Sinn Geschichten sind nicht als therapeutisches Angebot zu verstehen, sondern dienen der sinnlichen Vermittlung des Inhaltes einer Geschichte, um die Zuhörenden am Kulturgut Literatur und vor allem am Recht für Gleichheit und Bildung teilhaben zu lassen (vgl. ebd.). Die Begrifflichkeit mehr¬Sinn kann demnach auf zwei unterschiedliche Weisen verstanden werden. Zum einen sind diese Geschichten als sinnvoll anzusehen und zum anderen schaffen sie neuen Sinn. Laut Fornefeld machen sie somit „mehr Sinn“ (ebd., S. 5).
Im Folgenden sollen nun noch einmal die Entstehung und Entwicklung des Konzepts der mehr¬Sinn Geschichten sowie der zugehörige Personenkreis näher betrachtet werden.
2.1 Entstehung und Entwicklung
Das Konzept der mehr¬Sinn Geschichten wurde, wie bereits ausführlich beschrieben, entwickelt, um Menschen mit komplexen Beeinträchtigungen die Möglichkeit zur kulturellen Teilhabe und zum sozialen Miteinander zu bieten.
Durch die Erkenntnis, dass dieser Personenkreis in irgendeiner Form sensorische Anregungen zum Verstehen von Inhalten benötigt, wurde in Großbritannien das Multi-Sensory-Storytelling entwickelt. Diese Methode legt den Fokus auf die bestehenden Defizite der zuhörenden Personen. Durch sensorisch unterstütztes Erzählen und ein lerntheoretisches Vorgehen soll dem Zuhörenden bei der Bewältigung seiner Problematiken und Ängsten geholfen werden und durch das entsprechend neu Erlernte Verhaltensveränderungen herbeigeführt werden. Die Multi-Sensory Stories dienen somit der Förderung der Selbstwahrnehmung und des Lernens (vgl. Fornefeld 2013a, S. 7).
mehr¬Sinn Geschichten sind im Zusammenhang mit der Entwicklung in Großbritannien entstanden, stellen dabei aber keine Form des Multi-Sensory-Storytelling dar. Diese Methode ist methodisch und konzeptionell klar abtrennbar von den hier thematisch dargestellten mehr¬Sinn Geschichten. Im mehr¬sinnlichen Geschichtenerzählen liegt der Schwerpunkt nicht auf den Defiziten der zuhörenden Personen und dessen Kompensation oder auf einer rein sensorischen Anregung bzgl. der Inhalte. Bei mehr¬Sinn Geschichten wird der Fokus auf die kulturelle Teilhabe der Zuhörenden und die „Bildung ohne Grenzen“ gelegt (ebd.). Das entwickelte Konzept der mehr¬Sinn Geschichten ist im Gegensatz zur Methode des Multi-Sensory-Storytelling ressourcenorientiert und folgt pädagogischen Ansätzen der Wissensvermittlung. Bedeutend ist, dass die Thematiken der mehr¬Sinn Geschichten alle Menschen gleichermaßen betreffen und sie die Menschen somit miteinander verbindet. Der Inhalt der Geschichten wird den Menschen mit Beeinträchtigungen durch den Einsatz spezifischer und leichter Sprache2 sowie über sinnliche Erfahrungen präsentiert, sodass er laut Fornefeld „zu einem besonderen Bildungserlebnis wird“ (ebd.). Beide Konzepte haben nach wie vor Bestand. Sie verfolgen jedoch eine unterschiedliche Zielsetzung und beruhen auf verschiedenen theoretischen Grundannahmen (vgl. ebd.).
Das Konzept der mehr¬Sinn Geschichten lässt sich als ein komplexes Projekt betiteln, welches mithilfe vieler Institutionen und Personen entstehen konnte (vgl. ebd.).
Die mehr¬Sinn Geschichten werden an der Universität zu Köln im Arbeitsbereich Pädagogik und Rehabilitation bei Menschen mit geistiger und schwerer geistiger Behinderung entwickelt. Sie werden, hauptsächlich von Studierenden, mehrfach in der Praxis erprobt und gelten inzwischen als urheberrechtlich geschütztes Konzept. Die zu den mehr¬Sinn Geschichten gehörigen Materialien und Requisiten, welche in einer Holzkiste aufbewahrt werden, werden in Werkstätten für Menschen mit Behinderung in Deutschland, Schweden und Indien in Handarbeit hergestellt. Die Organisation ist der Lebenshilfe Heinsberg e.V. zugehörig. Die Musik, welche für die mehr¬Sinn Geschichten genutzt wird, wird von Hans Steinmeier komponiert, arrangiert sowie von ihm und dem Landespolizeiorchester NRW eingespielt (vgl. Fornefeld 2013a, S. 6).
Hinzukommend gibt es den Kubus e.V. (Verein zur Förderung der Kultur, Bildung + sozialen Teilhabe für Menschen mit + ohne Behinderung), welcher sich für die Verbreitung des Konzepts der mehr¬Sinn Geschichten einsetzt, indem er Fortbildungen zum Erzählen und Entwickeln solcher Geschichten anbietet. Der Verein ist außerdem für die Herstellung und Verbreitung der mehr¬Sinn Erzähl-Kisten verantwortlich. Zusätzlich wurde ein Konzept- sowie ein Erzählband mithilfe des Verlages selbstbestimmtes leben veröffentlicht (vgl. ebd.).
Im Rahmen des Projektes ist bereits eine Vielzahl an verschiedenen mehr¬Sinn Geschichten entstanden. In der mehr¬Sinn Erzähl-Kiste finden sich aktuell sechs Geschichten zum Nacherzählen wieder. Bestandteile der mehr¬Sinn Erzähl-Kiste sind neben den drei Märchen Rotkäppchen, Hänsel und Gretel und Der Wolf und die sieben Geißlein noch die drei mehr¬Sinn Abenteuergeschichten Orientalischer Markt, Reise zur Schatzinsel und Dschungelexpedition. Diese mehr¬Sinn Erzähl-Kiste lässt sich für 321 Euro über den Kubus e.V. erwerben (vgl. Kubus e. V. Homepage o. J.).
2.2 Zielgruppe
mehr¬Sinn Geschichten wurden im Allgemeinen vor allem für Menschen mit komplexen Beeinträchtigungen entwickelt. Zur Komplexität der Beeinträchtigungen zählen neben körperlich-organischen Schädigungen auch sensomotorische, soziale, kognitive und kommunikative Einschränkungen. Hinzukommend lassen sich ebenfalls die potenziellen Entwicklungs- und Lernmöglichkeiten sowie Chancen der selbstbestimmten gesellschaftlichen Teilhabe am Leben der Gemeinschaft nennen (vgl. Fischer 2008, S. 15f). Nach Klauß ist für eine Behinderung entscheidend „wie gut der Mensch teilhaben kann – oder dabei eingeschränkt ist. Behindert ist ein Mensch vor allem dann, wenn seine Teilhabe behindert wird – durch eigene Beeinträchtigungen, vor allem aber dadurch, dass die Bedingungen nicht so sind, dass unbehinderte Teilhabe möglich ist“ (ebd. 2015, S. 1). Inzwischen werden mehr¬Sinn Geschichten jedoch vielseitiger genutzt und eingesetzt, sodass sie z. B. auch im familiären Gebrauch oder in Kindergärten Anwendung finden (vgl. Fornefeld 2013a, S. 13).
Die Zielgruppe für den Einsatz von mehr¬Sinn Erzähl-Kisten lässt sich demnach nicht konkret festschreiben und weist eine hohe Heterogenität auf. Laut Fornefeld umschließt der Personenkreis
„ - Menschen jeden Alters, jeden Geschlechts und jeder Herkunft;
- Menschen mit mehrfacher Behinderung (Sinnesbeeinträchtigungen, geistige- und körperliche Behinderung);
- Menschen mit Komplexer Behinderung . . . ;
- Menschen mit lebensverkürzenden Erkrankungen;
- Alte Menschen mit Behinderung;
- Alte Menschen mit dementiellen Erkrankungen;
- Menschen, die Freude am Erleben von Geschichten haben;
- Gruppen von Menschen, die gerne zusammen Geschichten erleben wollen “ (ebd., S. 14).
Die Gemeinsamkeit fast aller genannten Beteiligten ist die Schwierigkeit, eigene Vorstellungen und Wünsche verbal zu äußern. Die betroffenen Personen können sich häufig nur schwer verständlich mitteilen, weshalb oftmals nur ihr Unterstützungsbedarf als Augenmerk aufgefasst wird. Aufgrund des den Personen zugeschriebenen Versorgungsaufwandes wird häufig nicht die Zeit zum Geschichtenerzählen aufgebracht (vgl. ebd.).
Deutlich wird in der Literatur, dass das Konzept des mehr¬sinnlichen Geschichtenerzählens immer ein Verhältnis zwischen dem Erzählenden und dem Zuhörenden darstellt. mehr¬Sinn Geschichten werden also grundsätzlich in einer Eins-zu-Eins-Situation erzählt, um einen sinnlich-leiblichen Dialog der Beteiligten zu ermöglichen (vgl. ebd.).
Mit der in diesem Kapitel geschaffenen theoretischen Grundlage, was mehr¬Sinn Geschichten überhaupt sind, wie sie entstanden sind und sich entwickelt haben sowie für welche Zielgruppe sie geeignet sind, wird im anschließenden Kapitel genauer betrachtet, wie mehr¬Sinn Geschichten konkret erzählt werden.
3 Wie werden mehr¬Sinn Geschichten erzählt?
mehr¬Sinn Geschichten sind wie bereits verdeutlicht keine rein inhaltlich reduzierten Geschichten. Das mehr¬sinnliche Erzählen bedarf bei weitem mehr als das reine Vorlesen einer Geschichte. Eine mehr¬Sinn Geschichte soll für den Zuhörenden zu einem ästhetischen Erlebnis werden. Dies geschieht durch eine dramaturgische Bearbeitung sowie eine entsprechende Inszenierung. Die Art und Weise, wie die Geschichte erzählt wird, ist dabei von Bedeutung (vgl. Fornefeld 2013b, S. 9).
Es lassen sich einige Hauptaspekte für das Erzählen von mehr¬sinnlichen Geschichten herausstellen:
- mehr¬Sinn Geschichten finden immer in einem Dialog zwischen dem Erzählenden und dem Zuhörenden statt.
- Der Inhalt wird beim mehr¬sinnlichen Geschichtenerzählen mithilfe von Sprache sowie sinnlich wahrnehmbaren Requisiten entsprechend einzelner geschichtlicher Handlungen vermittelt.
- mehr¬Sinn Geschichten haben eine angepasste Dramaturgie des Erzählens, welche jede Geschichte mit individuell eingesetzter Musik und Materialien unterstützt.
- Für jede mehr¬Sinn Geschichte besteht ein eigenes Text- und Regieheft, welches visuell durch Piktogramme und Fotos ansprechend und übersichtlich gestaltet ist, um den Erzählenden durch die einzelnen Abschnitte der Geschichte zu führen (vgl. ebd.).
Hinzukommend gibt es festgelegte Bestandteile, welche für eine mehr¬Sinn Geschichte vorhanden sein müssen. Dazu zählen neben der Originalfassung der Geschichte die Textfassung der bearbeiteten Geschichte mit entsprechenden Regieanmerkungen zum Einsatz der Materialien. Die bearbeitete Textfassung gibt es dabei in zwei verschiedenen Anforderungsstufen. Es existiert eine komprimierte Grundfassung für Zuhörende mit einer geringen Auffassungsgabe sowie eine Version mit zugehörigen erläuternden Sätzen zur bestehenden Grundfassung für Zuhörende mit einer höheren Auffassungsgabe sowie für das Erzählen in heterogenen Gruppen. Außerdem sind verschiedene sinnvermittelnde Materialien und Requisiten, eine CD o. ä. mit der zugehörigen Musik wie auch eine Kerze zur Herbeiführung einer geeigneten Erzählatmosphäre vorhanden (vgl. ebd.).
Für eine optimale Sinnschaffung müssen die erzählerischen Mittel gut aufeinander abgestimmt sein. Dazu zählt bspw. der Klang der Stimme, die Mimik und Gestik, die Körpersprache sowie die Atmosphäre und Konzentration. Für diese Aspekte werden im jeweiligen Text- und Regieheft konkrete Hinweise angegeben (vgl. ebd.).
In den folgenden beiden Unterkapiteln soll nun noch einmal der Fokus auf die Vorbereitung sowie die konkrete Durchführung einer mehr¬Sinn Geschichte gelegt werden.
3.1 Vorbereitung
Um die bereits angesprochene besondere Erzählatmosphäre der mehr¬Sinn Geschichte entstehen zu lassen, bedarf es einiger konkreter Vorbereitungen, welche im Vorhinein getroffen werden müssen. Vor allem der Ort des Erzählens muss dabei entsprechend vorbereitet werden. Dabei ist darauf zu achten, dass alle nicht relevanten Gegenstände o. ä. beiseite geräumt werden, damit die Zuhörenden nicht abgelenkt oder gestört werden. Hinzukommend ist es wichtig, dass die zuhörenden Personen bequem sitzen, um das Erzählen der Geschichte in Ruhe und Entspannung verfolgen zu können. Hierfür ist es bspw. auch möglich, dass Menschen mit entsprechenden Beeinträchtigungen liegen können. Für die Ablage der Requisiten und Materialien bietet es sich an, einen Tisch zu nutzen. Auf diesem kann darüber hinaus in einer geeigneten Weise das Text- und Regieheft für den Erzählenden positioniert werden. Oberbekleidung mit Taschen oder auch eine Schürze lassen sich optimal für das Verschwinden und Hervorziehen von einzelnen Requisiten nutzen. Um in den häufig recht funktional gestalteten Räumlichkeiten eine entsprechende Atmosphäre zu schaffen, ist es oftmals ausreichend, eine Ecke des Raumes abzutrennen und diesen Bereich mit Unterstützung der Kerze in eine geeignete Situation zu verwandeln (vgl. Fornefeld 2013b, S. 10).
Wie wird nun die geschaffene Raumatmosphäre aber zu einer optimalen Erzählatmosphäre? Dafür ist es unabdingbar, dass sich die erzählende Person selbst gut vorbereitet. Sie benötigt Konzentration auf das Bevorstehende und muss die eigenen Alltagsgedanken unbeachtet lassen können. Die Sprechstimme des Erzählenden muss sich entsprechend des Anlasses in eine Erzählstimme wandeln, was mithilfe von individuellen Atem- und Sprechübungen im Voraus trainiert werden kann. Beim Erzählen ist es ebenfalls wichtig, authentisch zu bleiben, d. h. die Stimmlage nicht künstlich zu verändern bzw. anzuheben und nicht lauter zu sprechen (vgl. ebd., S. 15).
Individuelle Aspekte wie z. B. Nahrungsmittelunverträglichkeiten sowie Hör- oder Sehbeeinträchtigungen sollten im Voraus bekannt sein, um sich entsprechend optimal auf das Erzählen und die Zuhörenden einlassen und in den sinnlich-leiblichen Dialog treten zu können (vgl. ebd.).
Allgemein gilt, umso häufiger eine erzählende Person die mehr¬Sinn Geschichte erzählt hat, umso vertrauter ist sie mit der Handhabung der Vorbereitung sowie den durchführenden Merkmalen des mehr¬sinnlichen Erzählens (vgl. ebd.).
3.2 Durchführung
Nachdem die räumliche Umgebung vorbereitet wurde, kann mit dem Erzählen der mehr¬Sinn Geschichte begonnen werden. Dafür sind sechs konkrete Hinweise zu beachten, um ein optimales Verständnis der Geschichte zu erzielen:
1. Die Gestaltung einer Erzählatmosphäre ist von großer Bedeutung. Für das Erzählen von mehr¬Sinn Geschichten ist es wichtig, dass die Zuhörenden Ruhe und Entspannung erfahren, um sich somit auf die Geschichte sinnbringend einlassen zu können und Erfahrungen und Erleben möglich werden. Die erzählende Person muss selbst ebenfalls zur Ruhe kommen und sich auf die Geschichte konzentrieren, um diese mit Freude am Erzählen vermitteln zu können. Neben der Vorbereitung des Ortes sowie des Erzählenden selbst ist es außerdem notwendig, dass auch der Zuhörende vorbereitet ist, d. h., dass er z. B. keinen Hunger hat, nicht dringend zur Toilette muss oder große Müdigkeit aufweist (vgl. Fornefeld 2013b, S. 10ff).
2. Ein wichtiger Aspekt beim mehr¬sinnlichen Geschichtenerzählen ist außerdem, sich für das Erzählen Zeit zu lassen und Geduld zu haben. Um in einen Dialog miteinander treten zu können, bedarf es Zeit und auch Einfühlungsvermögen. Reaktionen des Zuhörenden müssen abgewartet und verstanden werden, um ideal auf die individuelle Situation eingehen und den Mehrwert des Geschichtenerzählens vermitteln zu können. Dazu zählt auch, dass die zuhörende Person die Requisiten zunächst kennenlernen muss, um diese im Anschluss mit dem Gehörten in Verbindungen bringen zu können. D. h. dass ggf. ein erneutes Erzählen der mehr¬Sinn Geschichte vonnöten ist und ein erstmaliges Nicht-Verstehen nicht als Misserfolg anzunehmen ist. Wichtig ist also, dass nicht die Eindrücke und Erwartungen des Erzählenden, sondern die subjektiven Erfahrungen des Zuhörenden relevant sind (vgl. ebd.).
3. mehr¬Sinn Geschichten sollen so konzipiert sein, dass sie sinnliche Eindrücke für den Zuhörenden ermöglichen. Das Miterleben einer mehr¬Sinn Geschichte führt somit zur ästhetischen Erfahrung der zuhörenden Person. Die eingesetzten Requisiten sollten demnach mit allen Sinnen erfahrbar sein. Der Erzählende muss dem Zuhörenden dabei individuell Zeit und vor allem auch Hilfestellungen geben, um sich mithilfe der Sinne mit den Materialien vertraut zu machen und diese zu verstehen. Falls es die Beeinträchtigungen des Zuhörenden nicht ermöglichen, Gegenstände selbstständig in die Hand zu nehmen, ist dies bspw. auch mit Unterstützung an anderen Körperstellen wie z. B. den Wangen oder Unterarmen möglich (vgl. ebd.).
4. Die Aufnahme sowie das Wiedererkennen der geschichtlichen Inhalte sollen in mehr¬Sinn Geschichten ermöglicht werden. Es ist demnach wichtig, niemals von der Vorlage des Text- und Regieheftes abzuweichen, um somit den Inhalt und das Wiedererkennen nicht zu verändern. Für die erzählende Person ist es oftmals schwierig zu erkennen, ob die Zuhörenden mit Beeinträchtigungen Wörter oder Inhalte wiedererkennen, da diese häufig nur mithilfe von Gestik und Mimik und weniger verbal kommunizieren. Um das Wiedererkennen zu ermöglichen ist es notwendig, den Zuhörenden immer die gleichen Inhalte und Wortlaute anzubieten. Wortwiederholungen, Alliterationen oder auch Reime sind bspw. Merkmale eines Märchens und werden daher zur Wiedererkennung in mehr¬Sinn Geschichten beibehalten. Ebenfalls ist es bedeutend, keine Ergänzungen oder Ausschmückungen vorzunehmen, um die Handlung nicht fälschlicherweise zu verändern oder zu erweitern (vgl. ebd.).
5. Da das Erzählen von mehr¬Sinn Geschichten als sinnlich-leiblicher Dialog zu verstehen ist, ist es relevant, dass beide Beteiligten aktiv und gleichwertig an der Geschichte teilhaben und den Verlauf der Geschichte gemeinsam erleben können. Erzählende und Zuhörende kommunizieren miteinander, z. B. im Geben eines Hinweises, um die Geschichte fortzusetzen. Ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen dem Weitererzählen der Geschichte sowie dem Kennenlernen der beteiligten Personen und Requisiten ist dabei wichtig (vgl. ebd.).
6. Geschichten haben das Potenzial, den Zuhörenden in eine andere Welt zu befördern. Dies ermöglicht das Anknüpfen an individuellen Erfahrungen aus dem Alltag. Deshalb ist die Vorbereitung des Erzählens einer mehr¬Sinn Geschichte notwendig. Ebenso ist es von Bedeutung, dem Zuhörenden nach dem Beenden der Geschichte Zeit zum Nachfühlen zu geben. Das gemeinsam Erlebte kann somit nachgespürt und verarbeitet werden, sodass die Geschichte ihre volle Wirkung entfalten kann (vgl. ebd.).
Es zeigt sich, dass für das Erzählen einer mehr¬sinnlichen Geschichte viele Aspekte beachtet werden müssen und diese eine wichtige Rolle im Prozess darstellen. Neben einer geeigneten Vorbereitung der Räumlichkeiten ist es ebenfalls notwendig, dass der Erzählende sowie der Zuhörende auf die anstehende Situation vorbereitet sind. Grundlegend für die Durchführung einer mehr¬Sinn Geschichte ist es, Zeit und Geduld aufzubringen, um das Miteinander, den inhaltlichen und sinnlichen Erfahrungs- und Wissenszuwachs sowie die volle Wirkung der Geschichte hervorbringen zu können.
Hier wird noch einmal deutlich sichtbar, dass es sich beim mehr¬sinnlichen Geschichtenerzählen nicht um das einfache Vorlesen einer Geschichte als reine Freizeitbeschäftigung handelt, sondern das Hauptaugenmerk auf der sozialen sowie der kulturellen Teilhabe liegt.
4 Unterrichtsprinzipien im Schulkontext
Laut Artikel 13 des UN-Sozialpaktes haben alle Menschen ein Recht auf Bildung. Für Kinder und Jugendliche wird das Recht auf Bildung sowie das Recht auf Schule noch einmal gezielt in Artikel 28 der UN-Kinderrechtskonvention benannt (vgl. Sozialpakt Info Homepage o. J.). Doch was bedeutet Bildung dabei im Allgemeinen? Eine eindeutige Definition von Bildung lässt sich in der Literatur nicht finden. Was unter Bildung verstanden wird, ist dabei häufig als sehr subjektiv zu betrachten, d. h., dass bspw. Wissen, Persönlichkeit, Intellektualität oder auch Kultiviertheit als Aspekte für eine mögliche Definition herangezogen werden. Allgemein wird der Begriff Bildung vor allem dem Schulkontext zugeordnet, wobei eine Lehrkraft der Schülerschaft ein vorgegebenes Maß an Wissen vermitteln soll, welches im schulischen Lehrplan und dem Kerncurriculum der entsprechenden Schulform festgelegt ist. Wird die Begrifflichkeit also im schulischen Kontext betrachtet, so beinhaltet Bildung hinzukommend zum Wissen auch Merkmale des Lernens, Lehrens sowie der Kenntnis und Erkenntnis (vgl. Bildungsexperten Netzwerk Homepage o. J.).
Als moderne Auffassung von Bildung wird oftmals auch die 1792 definierte Theorie der Bildung nach Humboldt genannt, welche Bildung als „die Anregung aller Kräfte des Menschen, damit diese sich über die Aneignung der Welt . . . entfalten und zu einer sich selbst bestimmenden Individualität und Persönlichkeit führen“ beschreibt (1792, o. S. ; zit. n. von Hentig 2007, S. 38f). Bildung ist somit nicht nur als Aneignung von Wissen zu verstehen, sondern als Entwicklungsprozess der Individualisierung des Menschen. D. h., dass neben dem Wissenserwerb sowohl Individualität und Persönlichkeit als auch die Entwicklung individueller Fähigkeiten eine bedeutende Rolle spielen. Mithilfe des Bildungsprozesses werden Menschen in ihrer individuellen Persönlichkeit ausgebildet. Dabei werden auch Aspekte der Moralität im entsprechenden geschichtlich-gesellschaftlichen Bezugssystem sowie der Lebens- und Handlungsorientierung geprägt (vgl. Bildungsexperten Netzwerk Homepage o. J.).
Die Schule übernimmt als Institution des Bildungssystems eine grundlegende Rolle für die Vermittlung von Lern- und Bildungsprozessen der Schülerinnen und Schüler. „Bildung und Unterricht bauen auf einem engen und möglichst widerspruchsfreien verwobenen Netz von Grundannahmen und Überzeugungen, von Theorien, auf“ (Terfloth & Bauersfeld 2015, S. 9). Lern- und Bildungsprozesse werden bei Kindern und Jugendlichen in der Schule in Form von geplanten und strukturierten Unterrichtseinheiten angeregt. Mit welchen Inhalten und Gegenständen müssen sich die Lernenden jedoch befassen, um zu einem selbstbestimmten und vernunftsgeleiteten Leben geführt zu werden? Dies ist die Leitfrage der bildungstheoretischen Didaktik nach Klafki. Inhalte werden in der Schule nach Klafki durch ihren innewohnenden Bildungsgehalt zu einem Bildungsinhalt geführt. Mithilfe dieser Transformation wird Bildung in der Schule eingesetzt. Die Lehrkraft hat dabei die Aufgabe, passende Inhalte aus der Fülle von Bildungsinhalten auszuwählen und den entsprechenden Bildungsgehalt herauszustellen. Wichtig ist bei der Vermittlung des neuen Wissens die didaktische Analyse als Kern der Unterrichtsvorbereitung und -durchführung (vgl. Klafki 1958, S. 450ff).
Als Grundsatz des erfolgreichen und qualitätsbeständigen Unterrichtens dienen Unterrichtsprinzipien (auch Unterrichtsgrundsätze, Prinzipien effektiver Unterrichtsgestaltung, Bildungsprinzipien oder Prinzipien guten Unterrichts genannt). Da der Erfolg des Unterrichts, welcher als ein Interaktionsgeschehen anzusehen ist, weder sicher zu erzeugen noch umfänglich planbar ist, gelten Unterrichtsprinzipien wie sie z. B. von Wiater aufgestellt wurden vor allem als Handlungsanregungen für den Unterricht. Werden diese Anregungen vermehrt angewendet, steigt die Wahrscheinlichkeit für das Gelingen des Unterrichts, welcher dann als qualitätsvoll und zielführend mithilfe der genutzten Unterrichtsmethoden und -medien anzusehen ist (vgl. Wiater 2008, S. 4).
Unterrichtsprinzipien lassen sich anhand von konkreten Merkmalen beschreiben. Sie sind als allgemeingültige Aussage formuliert und geben eine knappe Handlungsanweisung an. Die Prinzipien sind handlungsleitende und regulative Grundsätze der Unterrichtsgestaltung. Sie dienen als Bestimmungsfaktoren des Unterrichts und erheben Forderungen an die methodische Gestaltung des Lehr-Lern-Prozesses. Unterrichtsprinzipien weisen generalisierte Verfahrensweisen auf bzw. sind als Unterrichtsrichtlinien anzusehen. Die unterrichtlichen Prinzipien unterstützen die Lehrkraft in der Orientierungsphase didaktischer Entscheidungen und weisen Legitimationsmöglichkeiten für Unterrichtsmaßnahmen auf. Sie sollen bei kontinuierlicher Beachtung die Effizienz sowie die Qualität des Unterrichts fördern. Unterrichtsprinzipien sind allerdings nicht als Regeln oder Unterrichtskonzepte anzusehen (vgl. ebd.).
Aufgrund der sehr weitreichenden Umfassung der Thematik der Unterrichtsprinzipien werden in der Literatur vier Kategorien gebildet, um die Grundsätze unterrichtlichen Handelns zu ordnen:
- Prinzipien, welche sich auf die Unterrichtsgestaltung in allen Schulfächern beziehen wie z. B. Verstehen von Lernstoffstrukturen, Situationsbezogenheit oder Sachgemäßheit.
- Prinzipien, welche bzgl. bestimmter Schulfächer fachdidaktische oder methodische Besonderheiten beschreiben wie z. B. Synthese oder Einsprachigkeit.
- Prinzipien, welche einzelne Unterrichtsmethoden darstellen wie z. B. entdeckendes oder problemlösendes Lernen, Elementarisierung, Anschaulichkeit oder Exemplarität.
- Prinzipien, welche von der Schule als grundsätzliche Aufgaben und Bildungsanliegen beachtet werden sollen wie z. B. Sprachpflege, Umwelterziehung, Medienerziehung, Wissenschaftlichkeit, Nachhaltigkeit, Erfolgssicherung oder Konzentration (vgl. ebd., S. 4f).
Festgehalten werden kann, dass von Unterrichtsprinzipien nur dann gesprochen wird, wenn es sich dabei „um eine grundsätzliche Forderung an den Schulunterricht von heute handelt“ (ebd., S. 5), d. h. ein Prinzip besitzt in jedem Unterrichtsfach, in jeder Jahrgangsstufe und jeder Schulart Gültigkeit. Hinzukommend entspricht es dem heutigen Bild der lernenden Personengruppe und dem aktuellen schulischen Erziehungs- und Bildungsstandard. Außerdem lassen sich die Prinzipien mithilfe wissenschaftlicher Argumente begründen und auf realanalytische Aussagen3 zurückführen (vgl. ebd.).
Im Folgenden sollen nun konkret einzelne Unterrichtsprinzipien herausgestellt und näher erläutert werden. Die ausgewählten Unterrichtsprinzipien werden dabei in zwei Schwerpunkte aufgeteilt. Zum einen existieren sogenannte Basisgrundsätze, welche für den heutigen Unterrichtskontext als grundlegend anzusehen sind. Dies sind fundierte Unterrichtsprinzipien, welche als allgemeingültige und formale Anforderungen erfolgreichen Unterrichts gekennzeichnet sind. Zum anderen gibt es Unterrichtsprinzipien, welche für die Methodik der Unterrichtsgestaltung von Bedeutung sind. Diese Prinzipien sind als regulierend für den Unterricht zu betrachten und dienen der materialen Ausführung und Gestaltung des Unterrichts. „Die konstitutiven Unterrichtsprinzipien bilden das Fundament für die Prinzipien der methodischen Gestaltung des Unterrichts“ (ebd., S. 6).
4.1 Allgemeingültigkeit der Unterrichtsprinzipien für verschiedene Schulformen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1 Darstellung der Teilhabe-Möglichkeiten von Menschen mit Beeinträchtigungen in der Gesellschaft (vgl. ebd.)
Abbildung 1
Bereits im Jahr 1657 stellte der Pädagoge Comenius die Forderung bezogen auf Unterrichtsinhalte auf, dass allen Kindern alles gelehrt werden solle. Seine Absicht bezog sich dabei, wie in der Literatur vermutet, eher auf den Zugang aller Bildungsgüter für alle Kinder und nicht speziell auf die Zugänglichkeit dieser für Schülerinnen und Schülern mit individuellen Beeinträchtigungen. Wird diese Forderung auch auf den genannten Personenkreis erweitert, ergeben sich häufig einige Herausforderungen im Unterrichtsalltag. Laut Terfloth & Bauersfeld liegt die Begründung ggf. darin, dass in den Lernvoraussetzungen der Betroffenen bereits Einschränkungen verortet werden, welche im Verlauf oftmals zu einer Annahme der unzureichenden Auseinandersetzung mit anspruchsvollen Bildungsinhalten führen. Bestimmte Lernvoraussetzungen werden häufig einfach vorausgesetzt, weshalb davon ausgegangen wird, dass diese Personen den Wissens- und Kompetenzzuwachs nicht bewältigen können (vgl. ebd. 2015, S. 36).
Die Grundlagen des pädagogischen Handels innerhalb des Unterrichts werden durch verbindliche Vorgaben festgelegt und geregelt. Vorgaben werden in Beschlüssen und Empfehlungen des Kultusministeriums sowie in Bildungs- und Lehrplänen der einzelnen Bundesländer festgesetzt (vgl. ebd.).
Hinzukommend lässt sich an dieser Stelle die Thematik der Inklusion nennen (s. Abb. 1). In der Behindertenrechtskonvention aus dem Jahr 2008 „geht es nicht mehr um die Integration von „Ausgegrenzten“, sondern darum, von vornherein allen Menschen die uneingeschränkte Teilnahme an allen Aktivitäten möglich zu machen“ (vgl. Behindertenrechtskonvention Info o. J.). Inklusion meint „die Berücksichtigung aller Personen, ungeachtet einer Behinderung, in den rechtlichen Grundlagen und in der Bereitstellung von finanziellen und personellen Ressourcen im Bildungssystem sowie in der barrierefreien Zugänglichkeit von Bildungsinstitutionen“ (Terfloth & Bauersfeld 2015, S. 41f).
Inklusion impliziert dabei außerdem die Veränderung hin zu einer Schule für alle, welche für alle Lernenden gemeinsames und dennoch individuelles Lernen ent-
sprechend der persönlichen Bedürfnisse bietet (vgl. ebd.).
Des Weiteren soll die Zwei-Gruppen-Theorie bzw. die Unterscheidung von Menschen mit und ohne Beeinträchtigung im Hinblick auf eine heterogene Lerngruppe aufgehoben werden. Heterogenität soll demnach als gewinnbringend angesehen und vor allem anerkannt werden. Mit der beschriebenen Schulreform wird die Trennung der verschiedenen Schultypen aufgehoben und ein neues System entwickelt. Wichtig ist an dieser Stelle noch einmal aufzuzeigen, dass Inklusion nicht ausschließlich auf die Thematik von Beeinträchtigungen bezogen werden darf, sondern die gesamte Diversität der Gesellschaft, d. h. z. B. Nationalität, Geschlecht, Lernvoraussetzung oder den familiären Hintergrund, eingefasst werden muss. Gemeinsamer Unterricht benötigt daher im optimalen Fall auch immer eine sonderpädagogische Spezifikation (vgl. ebd., S. 42ff).
Die folgend präsentierten Unterrichtsprinzipien sind in keiner Literaturangabe konkret auf nur eine Schulform bezogen. Für die unterschiedlichen Schulkontexte werden immer wieder dieselben Prinzipien für den Unterricht genannt. Sie sind also vor allem im inklusiven Kontext ideal einsetzbar, da sie uneingeschränkt angewendet werden können. Auch die Jahrgangsstufe ist für die Grundsätze des Unterrichts nicht relevant. D. h., dass die im Verlauf erläuterten Unterrichtsprinzipien als sehr universell einzustufen sind. Hinzukommend zum inklusiven Unterrichtssetting lassen sich die Prinzipien ebenso im Kontext der Förderschule anwenden, da es sich auch dort um einen regulären Unterricht mit den entsprechenden Gesichtspunkten handelt. In Bezug auf den Unterricht an einer Förderschule muss entsprechend des Förderschwerpunktes gezielt überprüft werden, was im Unterricht zusätzlich für Aspekte von Bedeutung sind. Bspw. muss an einer Förderschule mit dem Schwerpunkt geistige Entwicklung ggf. auf die Lagerung der einzelnen Schülerinnen und Schüler oder auf zeitlich angepasste Arbeitsphasen und lebenspraktischere Unterrichtsinhalte geachtet werden. Aber auch im förderschulischen Unterricht lassen sich die Unterrichtsprinzipien ohne Einschränkungen wiederfinden. „Unterricht mit Schülerinnen und Schülern mit schwerer geistiger und mehrfacher Behinderung ist zunächst einmal Unterricht wie jeder andere auch“ (ebd., S. 9).
[...]
1 Die Zielgruppe wird in Kapitel 2.2 genauer erläutert.
2 Leichte Sprache hat nach der UN-Behindertenrechtskonvention das Ziel, Menschen mit Leseschwierigkeiten die gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Sie folgt bestimmten Regeln. So werden bspw. vor allem kurze Hauptsätze benutzt und auf Nebensätze weitestgehend verzichtet. Es werden bekannte Wörter genutzt und schwierige Wörter ersetzt oder erklärt. Das Schriftbild soll klar und deutlich und die Schriftgröße notwendig groß gewählt werden. Die Optik muss übersichtlich und im besten Fall ohne Serifen oder Farben sein. Trotz des alltäglichen Einsatzes ist die Leichte Sprache bisher keine geschützte Begrifflichkeit (vgl. bpb online 2014).
3 Dies meint erprobte und überprüfte wenn-dann-Aussagen.
- Citar trabajo
- Nadine Grahlmann (Autor), 2020, mehr¬Sinn® Geschichten im Unterricht. Lern- und Bildungsprozesse in der Schule, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1027111
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