Das Europa des 19. Jahrhunderts befand sich in einer Zeit des Umbruchs. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung und der industriellen Revolution kam zum einen die Massenproduktion durch Maschinen, was die Handwerksarbeit und den Sinn für Ästhetik zum Aussterben brachte. Zum anderen kam es zu extremem Bevölkerungswachstum durch die ,,Verbesserung in der Ernährung und der sanitären Versorgung.‘‘ Die vermehrte Abwanderung vom Land in die Stadt, aufgrund der stetig ansteigenden Nachfrage an Arbeitsplätzen und billigem Wohnraum, sorgte außerdem für ein rasches Ansteigen der Einwohnerzahl in den Städten. Das Proletariat litt an den schlechten Bedingungen der Arbeits- und Lebensräume. Das Wohnungselend, bestehend aus mangelnden hygienischen Bedingungen, Platzmangel und Häuserkämpfen, war ein resultierendes Problem der Industrialisierung. Die Mietskasernen und Arbeitersiedlungen lagen nahe an den Fabriken und wurden möglichst dicht aneinander sowie platzsparend und für große Mengen an Menschen gebaut, wodurch eine Trennung von Arbeit und Wohnen nicht existierte. Eine ,,Lösung der Wohnungsfrage als Voraussetzung einer Weiterentwicklung der Menschengattung […], in der zunächst die materiellen Grundbedürfnisse befriedigt sein müssten, um nach deren Befriedigung höhere kulturelle Werte anstreben zu können‘‘, war dringend erforderlich. [...]
Inhaltsverzeichnis
1. Die Ausgangssituation: Soziale Missstände und Wohnbau des Industriezeitalters
2. Anliegen und Struktur der Gartenstadt nach Howard
3. Dresden-Hellerau als exemplarische Umsetzung der Gartenstadtidee
4. Literatur
1. Die Ausgangssituation: Soziale Missstände und Wohnbau des Industriezeitalters
Das Europa des 19. Jahrhunderts befand sich in einer Zeit des Umbruchs. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung und der industriellen Revolution kam zum einen die Massenproduktion durch Maschinen, was die Handwerksarbeit und den Sinn für Ästhetik zum Aussterben brachte. Zum anderen kam es zu extremem Bevölkerungswachstum durch die ,,Verbesserung in der Ernährung und der sanitären Versorgung.‘‘1 Die vermehrte Abwanderung vom Land in die Stadt, aufgrund der stetig ansteigenden Nachfrage an Arbeitsplätzen und billigem Wohnraum, sorgte außerdem für ein rasches Ansteigen der Einwohnerzahl in den Städten. Das Proletariat litt an den schlechten Bedingungen der Arbeits- und Lebensräume. Das Wohnungselend, bestehend aus mangelnden hygienischen Bedingungen, Platzmangel und Häuserkämpfen, war ein resultierendes Problem der Industrialisierung. Die Mietskasernen und Arbeitersiedlungen lagen nahe an den Fabriken und wurden möglichst dicht aneinander sowie platzsparend und für große Mengen an Menschen gebaut, wodurch eine Trennung von Arbeit und Wohnen nicht existierte. Eine ,,Lösung der Wohnungsfrage als Voraussetzung einer Weiterentwicklung der Menschengattung […], in der zunächst die materiellen Grundbedürfnisse befriedigt sein müssten, um nach deren Befriedigung höhere kulturelle Werte anstreben zu können‘‘2, war dringend erforderlich. Durch diese Art von unmenschlichen Lebensbedingungen war die Entfaltung der Persönlichkeit des Menschen kaum möglich. Die Missstände, die die Bevölkerung zu durchleiden hatte, konnten nur durch sozialpolitische Maßnahmen verändert werden. Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Problematik auch in der Politik ein vorrangiges Thema und folglich wurden die ersten Reformideen diskutiert und erste Veränderungen durchgesetzt. In England bildete sich die Arts and Crafts -Bewegung heraus, die nach einer Wiedervereinigung der Kunst und des Kunsthandwerks strebte. Sie forderte Qualität in handwerklicher Gestaltung und die Wiederkehr von Ästhetik und Stil. Dies betraf im Wesentlichen Möbel und Architektur, da die Massenproduktion und das schnelle zweckorientierte Bauen der Mietskasernen die Entwicklung des individuellen Stils nicht berücksichtigten. Die Bewegung förderte Manufakturen und kleinere Werkstätten, die noch der Handarbeit und künstlerischen Gestaltung nachgingen. Dadurch wurden englisches Mobiliar und Stoffe auch international beliebt und sorgten für einen Wandel in der ,,Geschmackskultur‘‘3. Das Bedürfnis der Menschen und vor allem der Künstler, Individualität und eigenen Stil wiederzuentdecken, weitete sich auch nach Deutschland und über ganz Europa aus. Der ansteigende Bedarf an Wohnraum und die benötigte Erweiterung der Städte war auch verantwortlich für die Entstehung der Disziplin des Städtebaus und der Städteplanung. Die Notlage in den Industriestädten zwang die Menschen schließlich dazu, die Städte nicht willkürlich und schnell zu erweitern, sondern den Fokus mehr auf Planung zu setzen. Es entstanden erste Skizzen und Grundrisse von Städten, wobei auch wichtige hygienische Aspekte zur Verbesserung der Lebensqualität zunehmend beachtet wurden, genauso wie die notwendige Trennung von Arbeit und Wohnen. Das setzte zum Beispiel die Installation von sanitären Anlagen und allgemeine Qualität beim Bau von Wohnungen voraus. Das Leben in der Stadt sollte durch die Verbesserung des Lebensstandards wieder in eine positive Richtung gelenkt werden. Im Zuge dieser Reformbewegungen versuchte auch Ebenezer Howard eine grundlegende Veränderung der Siedlungspolitik und Lösungsansätze zu erarbeiten. Seine Idee der sogenannten Gartenstadt, die den Menschen wieder zurück zur Natur und zu sich selbst bringen sollte, sorgte deshalb für Aufsehen.
2. Anliegen und Struktur der Gartenstadt nach Howard
Ebenezer Howard strebte eine Verbesserung der Lebensverhältnisse und ,,die Überwindung des Gegensatzes zwischen Stadt und Land an.‘‘4 Er stellte seinen ausgearbeiteten Plan über eine Land-Stadt in seinem 1898 herausgebrachten Buch Tomorrow : A Peaceful Path to Real Reform vor, welches 1902 unter dem Titel Garden Cities of Tomorrow wieder aufgelegt wurde.5 Was die Ideologien und Auseinandersetzung mit der Aufwertung der Lebensverhältnisse betraf, ließ er sich unter anderem von Sozialisten wie Robert Owen und Charles Fourier inspirieren, aber auch von Edward Bellamy, Pjotr A. Kropotkin und Edward Gibbon Wakefield. Howard warb für sein Projekt und wollte dieses an die Öffentlichkeit bringen, um es schlussendlich zu verwirklichen. Schließlich wurde im Jahr 1899 die Garden City Association gegründet. Diese Gesellschaft sollte in absehbarer Zeit das von Howard entworfene Modell in die Wirklichkeit umsetzen. Die in dem Buch beschriebene Idee der Land-Stadt vereinigt die Vorteile der Stadt, also zahlreiche Arbeitsplätze, Bildungseinrichtungen, Gesellschaft und Unterhaltung mit der Natur, Ruhe und angenehmen Luft des Landes. Sie stellt also eine Vereinigung aus den ausschließlich positiven Aspekten von Stadt und Land dar und übergeht die jeweiligen Nachteile. Das bedeutet, dass auf das Fehlen der Natur und Ruhe und die schlechte Luft der Stadt, sowie die fehlenden Arbeitsplätze und Gesellschaft auf dem Land verzichtet wird. Die wirtschaftliche Versorgung soll nach Howards Vorstellung durch die Stadt und ihre Bewohner mit eigenem Land und Industrie selbstständig gewährleistet werden. Aus all diesen Aspekten entsteht die wirtschaftlich autonome und soziale Gartenstadt, die ihrer Bevölkerung aus jeder Gesellschaftsschicht einen naturverbundenen und wohltuenden Lebensraum bietet. Mit der Entwicklung dieses Konzepts soll der Ausdehnung der Großstädte entgegengewirkt und dafür gesorgt werden, dass sich diese sogar mit der Zeit auflösen. Das von Howard beschriebene Schema der Gartenstadt besitzt die Form eines Kreises, dessen Zentrum aus einem bewachsenen Park besteht, der als Ort der Erholung dient. Öffentliche Gebäude wie ,,Rathaus, Bibliothek, Museum, Gemäldegalerie, Konzert- und Vortragssaal, Theater, Krankenhaus‘‘6 gruppieren sich darum. Der Central Park und der gläserne Crystal Palace, welcher als Einkaufszentrum dient, schließen sich an. Von dem Zentrum führen sechs bewachsene Straßen hinaus, welche die Stadt in sechs Bezirke einteilen. Die Grand Avenue, eine 125m ringförmige breite Parkstraße teilt die bewohnten Viertel und bietet Platz für Kirchen und Schulen. Den äußeren Ring der Stadt bildet die First Avenue, die die Wohngebiete mit ihren Gärten von dem Industriegebiet trennt. Um dieses Industriegebiet verläuft die Eisenbahnstraße, an welcher sich der Rural Belt angliedert. Dieser besteht aus Obst- und Schrebergärten, Kuhweiden, Wäldern und Feldern für Landwirtschaft zur Versorgung der Stadt. Die Bewohner können den Boden günstig kaufen und für landwirtschaftliche Zwecke nutzen. Dabei wird zunächst ein aufgenommenes Grundpfandrecht auf ,,vier angesehene Persönlichkeiten eingetragen‘‘, während diese ,,lediglich als Treuhänder gegenüber den Gläubigern und den Bürgern‘‘7 registriert sind. Sobald die Einwohner die Kosten für das Landstück aufwenden können und dieses dem Treuhänder abnehmen, erhält die Stadt ihre Einnahmen durch eine Rente, die für die Böden gezahlt wird, um die eigentlichen Steuern auszugleichen. Von den Einnahmen der Stadt ,,müssen Zinsen für den zum Kauf des Stadtareals aufgenommenen Kredit sowie die jeweiligen Tilgungsquoten abgezogen werden.‘‘8 Durch diese Finanzierungsmethode des Genossenschaftsmodells werden für die Stadt und ihre Einwohner gute soziale Bedingungen geschaffen und Missstände verhindert, da sich die Werte der Böden steigern und Zinsen für die Pacht sowie Mietskosten niedrig gehalten sind. Die Idee dieses ,,Bodeneignungssystems‘‘ erlangte Howard von Thomas Spence und Herbert Spencer9. Die 2400 Hektar große Gartenstadt hat eine festgelegte Zahl von 32.000 Einwohnern. Falls eine Erweiterung nötig wäre, werden in ihrer Nähe weitere Gartenstädte errichtet, welche wie ein Bündel kreisförmig im Abstand von 5 km um die größere Stadt gegliedert sind. Diese besitzt bis zu 58.000 Einwohner und ist mit den kleineren Gartenstädten sowie diese untereinander durch Eisenbahnstraßen vernetzt. Dieses Modell ermöglicht es also auch bei starkem Bevölkerungswachstum, Platzmangel und Überfüllung vorzubeugen und somit weiterhin einen guten Lebensstandard zu erhalten. Die revolutionäre Idee sollte vor allem das Leben der Menschen grundlegend verändern und die negativen Entwicklungen, die gerade im Gange waren, aufhalten. Howard erklärte: ,,Wir sind Gebilde der Natur und müssen wieder zu ihr zurückkehren.[…] Bildende Kunst, Musik und Poesie schöpfen ihre Begeisterung aus ihrer Schönheit. […] Stadt und Land müssen sich vermählen, und aus dieser erfreulichen Vereinigung werden neue Hoffnung, neues Leben und eine neue Kultur erstehen.‘‘10
3. Dresden-Hellerau als exemplarische Umsetzung der Gartenstadtidee
Auch im Deutschland des 19. Jahrhunderts setzte man sich mit einer Lebensreform im geistigen und kulturellen Sinn auseinander. Die Idee der Gartenstadt Ebenezer Howards inspirierte den Unternehmer Karl Schmidt, wodurch er im Jahre 1908 die Gartenstadt-Gesellschaft und 1909 die Baugenossenschaft Hellerau gründete.11 Er war außerdem Leiter der Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst und ließ sich durch die Reformgedanken, wie der Entgegenwirkung von der Entfremdung der Menschen zur Arbeit, antreiben. Und so plante er an der Dresdner Heide die einzig echte Gartenstadt Deutschlands. Diese sollte, wie auch Howard es in seinem Buch präsentiert hatte, die positiven Aspekte von Stadt und Land vereinigen und eine soziale, autarke Stadt durch genossenschaftliche Finanzierung werden. Die Entwürfe Howards dienten Schmidt als Modell, welches er an die Bedingungen der Landschaft anpasste. Er ließ sich auch von Raymond Unwin, einem der Architekten der ersten Gartenstadt Letchworth, beeinflussen. Unwin widmete sich dem topographischem Städtebau und nahm bei der Planung der Stadt ,,unmittelbar auf das Relief der Landschaft Bezug […].‘‘12 Diese Art von Planung war für diese Zeit revolutionär, da die Bauart in den Industriestädten rücksichtslos gegenüber der Landschaft und nur zweckorientiert war. Die benötigte Rückkehr zur Natur wurde nun durch das Verbinden des menschlichen Lebensraums mit der natürlichen Umgebung beschafft. Somit wurde auch für Hellerau ein pittoreskes, an die Topografie des Geländes angepasstes Stadtbild geschaffen, dessen Gebäude architektonische Qualität besitzen. Die Bauweise sollte dennoch einfach gehalten sein, um die Mietpreise niedrig zu halten. Bei starkem Anstieg der Einwohnerzahl sollte die Gartenstadt wachsen und durch weitere Städte, die miteinander verbunden sind, erweitert werden. Um seinen Plan zu verwirklichen, holte er sich einige Architekten zur Hilfe und gründete ,,eine Kommission, der unter anderem Theodor Fischer, Hermann Muthesius, Fritz Schumacher und Richard Riemerschmid angehörten […].‘‘13 Die bahnbrechenden Pläne wurden nun in die Tat umgesetzt und sollten in der Zukunft weltweite Aufmerksamkeit auf sich ziehen. ,,Die Bebauungsvorschriften unterschieden fünf Zonen: Kleinhausviertel, Villenviertel, Wohlfahrtseinrichtungen, Fabrikgelände und ein vorerst freies Areal.‘‘14 Außerdem entstand eine Fabrik für Möbelproduktion, die mit dem Werkbund der Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst einen Manufakturbetrieb in der Möbelproduktion bewerkstelligte. Dadurch wurde die Gartenstadt Hellerau zu einem Ort, der durch Manufaktur die Entfremdung von Menschen und Arbeit verhindert sowie ästhetische Standards und Individualität behält. Die Möbel waren zwar industrielle Erzeugnisse, wurden aber durch Handarbeit perfektioniert und individualisiert. Die Stücke der Werkstätten brachten einige Auszeichnungen und wurden Anfang des 20. Jahrhunderts international populär. Die Möbel repräsentierten die Arts and Crafts - Bewegung in Deutschland und trugen so zur Geschmacksbildung bei, die sich auf der ganzen Welt zu dieser Zeit entwickelte. Auch Hellerau sollte für seine Einwohner die Möglichkeit der neuen ,,Geschmackskultur‘‘ bieten, um ihnen ihre eigene Lebensentfaltung zu ermöglichen. Dies wurde auch durch die Einbeziehung der Bewohner an der Planung der Stadt deutlich. Als schließlich Wolf Dohrn hinzugeholt wurde, um unter anderem Schmidt bei der Leitung des Werkbunds und dem Bau der Gartenstadt zu unterstützen, wurde die Stadt erst zu dem, was sie bis heute noch ist. Von ihm stammte die Idee des Baus einer Bildungsanstalt für rhythmische Gymnastik. Inspiriert wurde er von Émile Jaques-Dalcroze, der die rhythmische Gymnastik begründete und somit die derzeitigen Reformgedanken antrieb. Der Mensch sollte wieder zurück zur Natur, zu sich selbst und seinem Körper finden und seine Lebendigkeit wieder spüren. Der hinzugezogene Architekt Heinrich Tessenow plante das Gebäude sehr harmonisch schlicht, was es zu einem Gesamtkunstwerk als Gebäude, verbunden mit der rhythmischen Gymnastik machte. Somit wurde eine ,,Werkstatt körperlicher Selbsterfahrung konzipiert und erbaut.‘‘15 Die Gartenstadt Hellerau und ihre Bildungsanstalt sorgten für Aufsehen in der ganzen Welt und wurde somit zu einem ,,Zentrum der Lebensreform‘‘16.
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1 MAGNAGO LAMPUGNANI, 2010, S.11
2 DURTH, 2012, S.58
3 DURTH, 2012, S.59
4 MAGNAGO LAMPUGNANI, 2010, S.24
5 HESSE, 2003, S.136 ; MAGNAGO LAMPUGNANI, 2010, S.24
6 MAGNAGO LAMPUGNANI, 2010, S.25
7 MAGNAGO LAMPUGNANI, 2010, S.27
8 MAGNAGO LAMPUGNANI, 2010, S.27
9 MAGNAGO LAMPUGNANI, 2010, S. 24
10 DURTH, 2012, S. 62
11 DURTH, 2012, S. 62; HESSE, 2003, S. 137
12 DURTH, 2012, S. 64
13 HESSE, 2003, S.137
14 HESSE, 2003, S. 137
15 DURTH, 2012, S. 67
16 DURTH, 2012, S.68
- Arbeit zitieren
- Anonym,, 2020, Ebenezer Howard und die Gartenstadtbewegung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1025943
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