Dieser Essay soll anhand Bernard Williams Gedankenexperimente kritisch herausarbeiten, ob und wenn ja welche möglichen philosophischen Erkenntnisse sich aus Williams Position, dass der Körper notwendig für personale Identität ist, gewinnen lassen.
Das Gedankenexperiment des Körpertausches taucht in den Annalen der analytische Philosophie immer wieder dann auf, wenn personale Identitätstheorien – metaphorisch gesprochen – auf Herz und Nieren überprüft werden sollen. So fuhrt bereits John Locke im 17. Jahrhundert das Beispiel an, dass, so das Bewusstsein eines Prinzen in den Körper eines Schusters übertragen wird, doch jedermann auszuschließen vermöge, dass der Schuster dieselbe Person wie der Prinz ist und somit nicht fur die Handlungen des Prinzen verantwortlich gemacht werden kann.
Bernard Williams spinnt dieses Gedankenexperiment in seinem Essay „Das Selbst und die Zukunft“ weiter – mit zahlreichen Modulationen und Variationen, um so die Probleme und Starken möglicher personaler Identitätstheorien aufzuzeigen. Er selbst vertritt die Position, dass der Körper fur personale Identität notwendig, wenn auch nicht hinreichend ist.
Verfasserin: Dorothea Winter
Zeigen Bernard Williams Gedankenexperimente, dass der Korper notwendige, aber nicht hin- reichende Bedingung fur personale Identitat ist?
Das Gedankenexperiment des Korpertausches taucht in den Annalen der analytische Philosophie immer wie - der dann auf, wenn personale Identitatstheorien - metaphorisch gesprochen - auf Herz und Nieren uberpruft werden sollen. So fuhrt bereits John Locke im 17. Jahrhundert das Beispiel an, dass, so das Bewusstsein eines Prinzen in den Korper eines Schusters ubertragen wird, doch jedermann auszuschlieben vermoge, dass der Schuster dieselbe Person wie der Prinz ist und somit nicht fur die Handlungen des Prinzen verantwortlich gemacht werden kann.1 Bernard Williams spinnt dieses Gedankenexperiment in seinem Essay „Das Selbst und die Zukunft“ weiter - mit zahlreichen Modulationen und Variationen, um so die Probleme und Starken moglicher personaler Identitatstheorien aufzuzeigen. Er selbst vertritt die Position, dass der Korper fur personale Identitat notwendig, wenn auch nicht hinreichend ist.2
Dieser Essay soil nun im Folgenden anhandjener Gedankenexperimente Williams kritisch herausarbeiten, ob und wenn ja welche moglichen philosophischen Erkenntnisse sich aus dieser Annahme gewinnen lassen. Dazu sei zuvorderst das Gedankenexperiment als philosophische Methodik eingefuhrt und die Pramissen, auf die Williams Beispiel rekurriert, aufgezeigt, bevor in einem zweiten Schritt die beiden auf demselben imagi - nierten Szenario beruhenden Gedankenexperimente, deren zentrale Intuitionen allem Anschein nach jeweils zuverlassig sind und deren Aussagen einander dennoch widersprechen, dargestellt werden.
Beginnen wir unsere Untersuchung damit, zu erklaren, was ein Gedankenexperiment allgemein ist und wieso es nahe liegt, dass Williams auf diese Methodik zuruckgreift. Ein Gedankenexperiment soil Extremfalle kre - ieren, um so die Grenzen des Denkens und des Denkbaren auszuloten. Meistens bedient es sich dabei fikti - ven Szenarios und hat zum Ziel, etwas zu be- oder widerlegen, indem es die Intuitionen pruft und firagt, wie die begrifflichen Institutionen gestaltet sind. Auf die hier behandelte Thematik der personalen Identitat ubertragen, bedeutet das somit die Frage: Wie lange spricht man von Identitat? - d.i. die Frage nach diachroner Identitat. Oder auch: Was sagen mir meine Intuitionen bezuglich Identitat? Die, wie Ricoeur sie nennt, „Selbstheit“, ist dabei stets vorausgesetzt und somit fur Williams (und damit auch fur unser Vorhaben) nicht weiter von Interesse.3
Bei jedem Gedankenexperiment - und bei Williams ganz besonders - mussen vorab Pramissen anerkannt werden, die mal mehr, mal weniger schlussig sind. Doch da man Williams Punkt verfehlen wurde, wenn man sich auf die Begrundbarkeit seiner Pramissen bzw. deren Methodik konzentriert, seien jene hier in diesem ersten Abschnitt in nuce umrissen:
So sind die Beispiele, die Williams anfuhrt, bis dato nicht real umsetzbar4 und es bleibt zweifelhaft, ob sie das in Zukunftje sein werden. Doch deswegen heibt es schlieBlich auch „Gedankenexperiment“. Des Weite- ren konnte man Williams theoretischem Konstrukt vorwerfen, dass die Pramissen, auf denen er seine Gedan- kenexperimente aufbaut, voraussetzungsreich und hinsichtlich ihres philosophischen Deutungsrahmen ten- denzios scheinen. Doch diese grundlegenden moglichen Kritikpunkte gegenuber dem Gedankenexperiment per se seien hier nur am Rande erwahnt.
Williams nennt zwei Gedankenexperimente, die erst in Relation zueinander ihre Wirkkraft entfalten. Zur bes- seren Identifizierbarkeit nennen wir sie (1) Korpertausch und (2) Angekundigte Folter. Bei (1) tauschen Per- sonen, wir nennen sie Person Anne in Korper 1 und Person Berta in Korper 2 ihre Korper.5 Dabei mussen folgende Pramissen angenommen werden:
(i) Was ist eine Person? Person definiert Williams nicht explizit, sagt aber, dass beim Korpertausch (Ge - dankenexperiment (1), bei dem Anne in Bertas Korper schlupft und vice versa alles getauscht wird, was eine Person ausmacht, sprich Erinnerungen, signifikante Bewegungsmuster und Charaktereigen- schaften.6
(ii) Was ist Voraussetzung fur den „erfolgreichen“ Tausch? Williams bleibt auch hierbei vage und spricht zum einen von einer hinreichenden Ahnlichkeit der Korper und gleichzeitig einer erkennbaren Ver- schiedenheit der Personen, die Anne und Berta und Korper 1 und 2 besitzen mussen. Dies ist formal bereits durch denjeweiligen Begriffsumfang gegeben und material eher dunn belegt, was bereits eingangs aufgezeigt wurde. Bereits bei einem unterschiedlichen Geschlecht halt Williams es fur frag- lich, ob ein Korpertausch uberhaupt moglich ware.7 Zum anderen muss das, was eine Person sagt, als wahr genommen werden konnen, da darin die Uberprufbarkeit uber (Miss-)Erfolg des Versuchs liegt. Gerade dieser zweite Part der praktischen Voraussetzung eines Korpertausch scheint plausibel, denn wurde man die Uberprufbarkeit des Tausches nicht an dem Gesagten der Personen festmachen, wurde man sich quasi in eine Art Solipsismus verstricken, wobei dann keine Aussagen uber den Tausch getroffen werden konnten und die Behandlung damit sohin unsinnig.
(hi) In dem Gedankenexperiment wird als wunschenswert Geld und als verabscheuungswert Folter ange - fuhrt, dies geschieht der Einfachheit halber. Dabei soil der Geldgewinn schlichtweg als „gut“ und die Folter als „schlecht“ betrachtet werden. Mogliche personliche Neigungen oder psychologische Ab- weichungen von der Norm, wie das asketische Ablehnen von Geld oder die masochistische Freude an Folter sollen hier keine Rolle spielen.
(iv) Das Angekundigte, etwa der Korpertausch, das versprochene Geld oder die bevorstehende Folter sind in dem Gedankengebaude umsetzbar und werden geschehen wie vorgesagt.
Nach Darlegung der Pramissen, soil sich nun dem ersten Gedankenexperiment gewidmet werden:
(1 J Korpertausch: Anne in Korper 1 und Berta in Korper 2 werden getauscht. Doch wer ist dann wer?
Versuchsaufbau: Nach dem Versuch erhalt eine der beiden Personen 100 000 Euro und die andere wird gefoltert. Nun werden vor dem Versuch Anne und Berta gefragt, was sie sich wunschen: Szenario 1: Anne: „Korper 2 bekommt 100 000 Euro und Korper 1 erhalt die Folter.“ Berta: „Korper 2 bekommt Folter und Korper 1 100 000 Euro.“
Der Versuchsleiter wahlt Annes Vorschlag. Berta wird sich demgemab beschweren, da Berta nun in Korper 1 steckt und so gefoltert wird plus ihr Vorschlag missachtet wurde und Anne, die sich in Kor- per 2 befindet, wird sich freuen, dass sie 100 000 Euro bekommt.8
Konklusion: Anne und Berta scheinen wahrhaftig ihre Korper getauscht zu haben und das auch vor- her in ihren Entscheidungen so kalkuliert haben. Den Personen Anne und Berta scheint es egal zu sein, was mit ihrem Korper passiert, vielmehr sorgen sie sich um ihren „Geist“.9 Dieser Versuch zeigt, dass intuitiv eine psychologische Theorie vertreten wird, ahnlich wie zum einen Locke sie in seiner personalen Identitat-Systematik vorschlagt, oder auch Descartes in seinem Dualismus, indem er Korper von dem Selbst als wirklich verschieden ansieht. Der Leser bildet somit die Intuition aus, dass Annes Empfindungen hochst nachvollziehbar scheinen.
Szenario 2: Vor dem Versuch sagt der Versuchsleiter, dass Korper 1 das Geld und Korper 2 den Schmerz bekommen werde. Anne: „Korper 1 bekommt 100 000 Euro und Korper 2 erhalt die Folter.“ Berta: „Korper 1 bekommt Folter und Korper 2 die 100 000 Euro.“
Der Versuchsleiter wahlt Annes Vorschlag. Anne in Korper 2 wird sich daran erinnem, dass das Er- gebnis so vorher angekundigt wurde und ihrem Wunsch entspricht, trotzdem wird sie sich uber die bevorstehende Folter argem. Korper 2, Berta, wird sich uber den Ausgang des Versuchs freuen und glucklich daruber sein, dass der Versuchsleiter nicht ihren Vorschlag umgesetzt hat.
Konklusion: In diesem Fall sind wohl die ursprunglichen Entscheidungen von Anne und Berta unklug gewesen, da sie von keinem Korpertausch ausgegangen sind. Diese anfanglichen Auffassungen von Anne und Berta entsprechen den Korpertheorien, bei denen die Identitat der Person an die des Korpers geknupft wird, die sich allerdings als falsch herausgestellt haben.
Szenario 3: Anne: „Korper 2 bekommt 100 000 Euro und Korper 1 erhalt die Folter.“ Berta: „Korper 1 bekommt Folter und Korper 2 100 000 Euro.“
In diesem Fall kann der Versuchsleiter beiden Wunschen nachkommen. Nach dem Versuch:
Konklusion: Korper 2, Anne, hat sich fur die richtige Moglichkeit entschieden und bekommt das Geld, Korper 1, Berta, hat sich unklug entschieden und muss nun mit den unbequemen Konsequen- zen leben.
Aus den drei Varianten des eingefuhrten Gedankenexperiments folgt: Die Erinnerungen scheinen vermeint- lich fur die Identitat einer Person essentiell zu sein. Die Intuitionen gehen somit hin zu einem kartesiani - schem Dualismus und weg von einer Bedingung, die die Kontinuitat des Korpers notwendig voraussetzt.10 11 Oder wie Williams es ausdruckt: „Alle diese Ergebnisse deuten auch darauf hin, es sei das einzig Vemunftige angesichts eines solchen Versuchs, sich mit seinen Erinnerungen usw. zu identifizieren und nicht mit seinem Korper.”" Da Williams diese Position als problematisch betrachtet und die philosophischen Probleme, die sich daraus ergeben, dem Leser zeigen mochte, fuhrt er deswegen anschlieBend ein weiteres Gedankenexpe- riment ein, das die anfanglichen Intuitionen unplausibel erscheinen lasst.
(2) Angekundigte Folter: Anne wird -von Berta verkundel. dass Anne morgen gefoltert wird und hat des - wegen Angst davor.12 Nun gibt es verschiedene Abstufungen dieses Versuchs.
a) Berta sagt: Anne, du wirst dich zum gegebenen Zeitpunkt nicht mehr an die Ankundigung erin- nem. Diese Einschrankung mildert Annes Angst nicht.
b) Berta sagt: Anne, zum Zeitpunkt der Folter wirst du dich an nichts mehr erinnem, woran du dich jetzt erinnem kannst. Auch diese Bedingung wird Annes Angst nur noch vergroBem, abgesehen von dem Schmerz wird sie auch noch ihre Erinnerung verlieren, was mit Sicherheit mit groBer Angst und Verwirrung einher geht.
c) Berta sagt zu Anne, dass sie uber b) hinaus alle ihre Erinnerungen verliert, dafur aber komplettan- dere Erinnerungen bekommt. Auch das mildert Annes Angst nicht.
d) Berta verspricht Anne, dass sie, wie in c) ihre Erinnerungen verliert und andere bekommt, die ei- nerjetzt lebenden Person entsprechen. In dieser Ausformulierung wurde Anne, abgesehen von der Angst vor der bevorstehenden Folter auch hinsichtlich ihrer zukunftigen geistigen Storung ungluck- lich sein.
Konklusion: Doch worauf will Williams mit Gedankenexperiment (2) hinaus? Er schlieBt aus den verschiedenen Abstufungen des Gedachtnisverlusts, dass zu keinem Zeitpunkt keine Angst uber die bevorstehende Folter besteht - obwohl in Versuch (1) eine psychische Theorie als intuitiv sinnvolles Identitatsmerkmal schien, in Versuch (2) eine Korpertheorie als viel naheliegender erscheint. In Ex-
[...]
1 Vgl. Locke, John, Versuch uber den menschlichen Verstand, Hamburg 2000, S. 427.
2 Vgl. Williams, Bernard, Das Selbst und die Zukunft [Selbst und Zukunft], in: ,,Probleme des Selbst, Philosophische Aufsatze“, Stuttgart 1978, S. 89.
3 Vgl. Ricoeur, Paul, \arraiive Identitat, in: Vom Text zur Person. Hermeneutische Aufsatze (1970 - 1999), hrsg. v. Welsen, Peter, Hamburg 20015, S. 209.
4 Williams schlagt vor: „Zwei Personen konnen etwa in eine Maschine eintreten und auf entsprechende Weise verandert wieder daraus auftauchen“ und so sollen dem menschlichen Gehim fnformationen entzogen werden und auf einem Gerat gespeichert werden - quasi in einer computationalen Auffassung des menschlichen Bewusstseins. Vgl. Williams, Selbst und Zukunft, S. 80.
5 Williams spricht von Person A und Person B, sowie vonA-Korper-Person und B-Korper-Person, was zu Verwirrung fuhren kann, weswegen in diesem Essay Person A ..Person Anne“ und Person B ,, Person Berta'' undA-Korper- Person„ Korper 1“ und B-Korper-Person „Korper 2“ genannt wird. Denn das Gedankenexperiment (1) basiert auf der Annahme, dass Person und Korperje voneinander getrennt sind, weswegen dies begrifflich auch so ausgedruckt werden soil.
6 Vgl. Williams, Selbst und Zukunft, S. 78.
7 Vgl. Williams, Selbst und Zukunft, S. 79.
8 Vgl. Williams, Selbst und Zukunft, S. 82.
9 Vgl. Wiliams, Selbst und Zukunft, S. 83.
10 Vgl. Williams, Selbst und Zukunft, S. 86.
11 Williams, Selbst und Zukunft, S. 86.
12 Williams konstruiert dieses Gedankenexperiments aus der Ich-Perspektive, im Unterschied zum Gedankenexperiment (1). Der Einheitlichkeit wegen werden wir in diesem Essay beide Gedankenexperimente mit der 3. Person Singular beschreiben, da Williams selbst anfuhrt, dass derart emotionale und rhetorische Wirkungen auBer Acht gelassen werden sollen und die Frage in ihrem eigentlichen Sinn verfehlen.
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- Dorothea Winter (Autor), 2019, Bernard Williams Gedankenexperimente. Der Körper als Bedingung für die personale Identität?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1025339