Otto Dix
Auch der 1891 in Gera geborene Otto Dix lässt sich in das Charakterbild expressionistischer Malerei nur schwer einordnen. Zu ihren herausragenden Vertretern, der „Brücke“ in Dresden, dem „Blauen Reiter“ in München oder Macke in Bonn, hatte er keinerlei Kontakte. Zwar sah er in Dresden die Werke der „Brücke“-Künstler, doch haben diese ihn nicht sonderlich beeindruckt und schon gar nicht seine eigene Malerei künstlerisch beeinflusst. Die expressionistische Formensprache blieb in seiner Entwicklung auf das Frühwerk bis 1915 beschränkt. Danach gab es in seinem Werk eine kurzfristige dadaistische Phase, bevor er sich er sich einem veristischen, altmeisterlichen Stil verschrieb, der sein gesamtes Werk seitdem bestimmte und Dix zu einem Hauptvertreter der Neuen Sachlichkeit machte. Vor allem in seinen Bildsujets steht Dix den Expressionisten fern und ist wohl nur mit Grosz vergleichbar. Doch auch ihre Kunst unterscheidet sich in der Ikonographie wesentlich voneinander.
Grosz verstand sich als einen politisch handelnden Menschen und seine Malerei als ein Medium der politischen Agitation. Wenn er sein Augenmerk auf die Opfer dieser Gesellschaft richtet, so zeigt er immer auch die Täter, die Militärs, die Großindustrie, die Vertreter der nationalistischen Parteien und Presse. Grosz’ Bilder sind politische Anklagen. Dix dagegen zeigt uns die Opfer, ihr Leid und ihre Verzweiflung. Sein künstlerischer Anspruch ist ein humanistischer, von der Tagespolitik hielt er sich fern: „Nein, Künstler sollen nicht bessern oder bekehren. Sie sind viel zu gering. Nur bezeugen müssen sie.“ Dix sah sein gesamtes künstlerisches Werk als ein solches Zeugnis und sich selbst- und darin mit Beckmann vergleichbar -in der Rolle des Chronisten, der teilhat an den Ereignissen und seine Erfahrungen mitteilt. Doch eine solche Haltung ließ sich nie praktisch umsetzen. Abgesehen von allen anderen in seine Kunst einfließenden Momenten war bereits seine Motivauswahl nie eine wertfreie Entscheidung, sondern immer auch eine politische Stellungnahme.
Dix entwickelte schon früh ein zeichnerisches Talent, das seine Lehrer förderten. Trotzdem folgte er dem Rat seines Vaters und ging als 14jähriger bei einem Dekorationsmaler in die Lehre. 1909 wechselte er auf die Kunstgewerbeschule nach Dresden. Die Kameradschaft mit Meidner führte ihn zu eigenen expressionistischen Formenexperimenten. Doch erst zwei andere Vorbilder während dieser Zeit brachten seinem Werk die entscheidenden künstlerischen Impulse. 1912 sah er in der Dresdener Galerie Arnold eine Ausstellung mit Arbeiten van Goghs. Im Sommer des folgenden Jahres reiste er nach Italien und begegnete dort den Werken der Futuristen. Einflüsse von van Gogh dynamisierten Farbauftrag, vor allem aber die für den Futurismus typischen kubischen Formensplitterungen finden sich in der Folge auch im Werk von Dix wieder. Dabei bestimmt bis zum Ende des Dezenniums noch das Bildsujet die formale Gestaltung. So entstehen in dieser Zeit, ohne dass darin eine homogene Werkentwicklung erkennbar wäre, neben den expressionistisch und futuristisch geprägten Bildern Motive mit kubistischen Formenelementen („Krieger mit Pfeife“, 1918) oder Bilder in einem naiven Realismus („Selbstbildnis als Schießscheibe“, 1915). Und bereits 1912 malte Dix ein Selbstbildnis in jenem altmeisterlichen Verismus, der erst ein Jahrzehntspäter für seine Kunst charakteristisch werden sollte.
1914 zog auch Dix als Freiwilliger in den Krieg, den er bis zum bitteren Ende als Frontsoldat miterlebte. Zwar gibt es von ihm Äußerungen, in denen er den Krieg als ein „Naturereignis“ schildert, das gewissermaßen unverschuldet und unbeeinflussbar über die Menschheit hereinbricht, doch verklärte er- anders als viele unter den Expressionisten und vor allem den italienischen Futuristen -den Krieg nie zu dem großartigen, die alte Gesellschaft reinigenden und erneuernden Akt. Dix sah sich eher in der Position des Reporters, der die Pflicht habe, bei einem solchen Ereignis nicht abseits zu stehen, sondern teilzunehmen und zu berichten. „Ich habe den Krieg genau studiert. Man muss ihn realistisch darstellen, damit er auch verstanden wird. Der Künstler will arbeiten, damit die anderen sehen, wie so etwas gewesen ist... Ich habe die wahrhaftige Reportage des Krieges gewählt“, erläuterte er Jahre später seine damalige künstlerische Position. Konsequent entstehen Hunderte kleiner Skizzen, Zeichnungen und Gouachen, von denen er einige auch in Ölmalereien umsetzt. Dabei bleibt Dix jedoch- gerade anders als der Reporter -nicht der einzelnen, individuellen Szene verhaftet, sondern sucht in den Schützengräben und Figurendarstellungen immer das Allgemeine, die archetypische Situation.
Belegen Malduktus und Farbgebung bei einigen Werken gerade Dix’ künstlerische Verarbeitung der expressionistischen Formensprache, so wird für andere Gemälde vor allem der Futurismus wichtig. Der nach dem Vorbild der Italiener in kubische Formen und Kraftlinien aufgebrochene einheitliche Bildraum bot das ideale formale Äquivalent zu den Motiven laut detonierender Granaten, zerrissener Soldatenleiber und der von Bombentrichtern aufgewühlten, zerstörten Landschaft. Diese Arbeiten, als Zeichnungen und Gouachen vor Ort und unter dem unmittelbaren Eindruck des Gesehenen entstandenen, beziehen die Betrachter- ganz anders als dies später geschieht -in die dargestellte Szene mit ein. Die nach dem Krieg aus der Erinnerung und in altmeisterlicher Lasurtechnik gemalten Szenen hingegen schildern in getreuer naturalistischer Manier meist den Moment, nachdem die Schlacht bereits geschlagen ist. Über der zerstörten Landschaft liegt eine widernatürliche, apokalyptische Ruhe, und Dix zeigt in akribischer Manier die geschundenen Leiber der verletzten und gefallenen Soldaten. Nicht als propagandistisches Mittel, so hat Dix wiederholt geäußert, sondern- gemäß seiner Chronistenpflicht -als reine Zustandsbeschreibungen. Aber nicht nur die politische Wirkung dieser Kunst ist heftig und kontrovers diskutiert worden, dem Künstler wurde auch immer wieder vorgeworfen, er sei letztlich mit diesen Bildern vor allem der „Faszination des Schreckens“ erlegen.
Nach Kriegsende setzte Dix seine Ausbildung fort und besuchte bis 1922 als Meisterschüler in Dresden die Kunstakademie. Gleichzeitig gab er seine ausdrucksbetonte Formensprache auf. Unter dem Einfluss des Dadaismus bezieht er nun die Collagetechnik in seine Gestaltungen mit ein. Die Realitätsfragmente, Zeitungsausrisse, Spielkarten oder Geldscheine geben den Bildern verkrüppelter Kriegsopfer einen erhöhten Wirklichkeitsanspruch und Wahrheitsgehalt. Das Thema des Krieges und seiner Folgen bleibt im Werk von Dix virulent. Traumatisch verfolgen ihn die schrecklichen Erfahrungen jener Jahre, so dass Krieg und Tod fast leitmotivisch sein gesamtes Werk durchziehen. In der Radierfolge „Der Krieg“ von 1924 und in den Gemälden „Der Schützengraben“(1918-1923, zerstört), dem Triptychon „Der Krieg“, 1929-1932 entstanden „Grabenkrieg“ von 1932 oder „Flandern“ von 1936 arbeitete er in großformatig angelegten, drastischen Szenen seine Erlebnisse als Frontsoldat auf, wobei die zuletzt entstandenen Werke dabei schon prophetisch in die nahe Zukunft wiesen.
- Citation du texte
- Stefan Schumacher (Auteur), 2001, Leben und Werk des Künstlers Otto Dix, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/102444