Wodurch wird territoriale Mehrsprachigkeit charakterisiert und worin liegen ihre Vor- und Nachteile? Eine Untersuchung am Beispiel des Französischen in Luxembourg.
Der österreichische Romanist Mario Wandruszka definierte Mehrsprachigkeit in seinem Werk „Die Mehrsprachigkeit des Menschen“ aus dem Jahr 1979 wie folgt: „Mehrsprachigkeit bedeutet, dass unsere Gedanken nicht an einer bestimmten Sprache hängen, nicht an deren Worten kleben. Unsere Mehrsprachigkeit ist der sprachliche Spielraum unserer geistigen Freiheit.“ Damit weist er darauf hin, dass die Dimension der Mehrsprachigkeit deutlich über die Beherrschung mehrerer Sprachen hinaus geht. Vielmehr gilt Mehrsprachigkeit als Bereicherung für unseren Geist und dessen Freiheit. Er war nicht der Einzige, der den Begriff Mehrsprachigkeit definierte, daher werden im Folgenden verschiedene Definitionen erläutert und anschließend der Erwerb von Mehrsprachigkeit charakterisiert. Bis eine Erläuterung der Formen der Mehrsprachigkeit, insbesondere der territorialen Mehrsprachigkeit, und die Auseinandersetzung mit den Chancen und Herausforderungen der territorialen Mehrsprachigkeit, am Beispiel der französischen Sprache in Luxembourg, den Essay abrunden.
Wodurch wird territoriale Mehrsprachigkeit charakterisiert und worin liegen ihre Vor- und Nachteile? - Eine Untersuchung am Beispiel des Französischen in Luxembourg
Der österreichische Romanist Mario Wandruszka definierte Mehrsprachigkeit in sei- nem Werk „Die Mehrsprachigkeit des Menschen“ aus dem Jahr 1979 wie folgt: „Mehr- sprachigkeit bedeutet, dass unsere Gedanken nicht an einer bestimmten Sprache hängen, nicht an deren Worten kleben. Unsere Mehrsprachigkeit ist der sprachliche Spielraum unserer geistigen Freiheit.“ (Wandruszka 1979: 34). Damit weist er darauf hin, dass die Dimension der Mehrsprachigkeit deutlich über die Beherrschung meh- rerer Sprachen hinaus geht. Vielmehr gilt Mehrsprachigkeit als Bereicherung für un- seren Geist und dessen Freiheit. Er war nicht der Einzige, der den Begriff Mehrspra- chigkeit definierte, daher werden im Folgenden verschiedene Definitionen erläutert und anschließend der Erwerb von Mehrsprachigkeit charakterisiert. Bis eine Erläute- rung der Formen der Mehrsprachigkeit, insbesondere der territorialen Mehrsprachig- keit, und die Auseinandersetzung mit den Chancen und Herausforderungen der terri- torialen Mehrsprachigkeit, am Beispiel der französischen Sprache in Luxembourg, den Essay abrunden.
Bereits einige Jahre vor Wandruszka definierte Leonard Bloomfield den Begriff der Mehrsprachigkeit als „native-like control of two languages“ (Bloomfield 1933: 56). Da- raus ergibt sich, dass man nur dann als zwei- oder mehrsprachig gilt, wenn man zwei Sprachen auf dem Niveau der Muttersprache beherrscht. Demnach gäbe es kaum zwei- oder mehrsprachige Personen. Els Oksaar hingegen grenzte sich stark von Bloomfield ab und beschrieb Mehrsprachigkeit als „eine variable kommunikative und interaktionale Kompetenz in mehr als einer Sprache“ (Oksaar 2003: 31). Diese Defi- nition schließt auch Personen mit ein, die eine oder mehrere Sprachen im Laufe ihres Lebens erworben haben (vgl. Riehl 2014: 63f).
Für den Erwerb einer Sprache gilt es, so früh wie möglich mit der Sprache in Berüh- rung zu kommen, damit sich der Spracherwerb der Zweitsprache mindestens ge- nauso gut entwickeln kann wie jener der Erstsprache (vgl. Müller et al. 2011: 15f). Sprachen können zum einen durch einen unbewussten Prozess erworben werden, als auch durch einen bewussten Prozess. Der unbewusste oder auch ungesteuerte Prozess wird auch Acquisition genannt und zeichnet sich durch die Natürlichkeit des Erwerbs aus. Während der gesteuerte Prozess, der fachsprachlich als Learning be- zeichnet wird, meist durch Unterricht erlernt wird. Oft sind auch beide Erwerbstypen miteinander kombiniert und treten gleichzeitig auf (vgl. Apeltauer 1979: 13f). Außer- dem hängt der Erwerb von Mehrsprachigkeit neben dem Alter, in welchem der Spre- cher beginnt eine Sprache zu erlernen, auch von dessen Bildung und Sprachbewusst- sein ab (vgl. Riehl 2014: 77f). Der Erwerb einer Sprache im frühen Alter der Kindheit verläuft ungesteuert, simultan und symmetrisch zur Erstsprache. Im Gegensatz dazu steht der Spracherwerb im späteren Alter, dieser verläuft gesteuert, sukzessiv und asymmetrisch zur Erstsprache, da die Erstsprache die Zweitsprache dominiert (vgl. Müller et al. 2011: 15ff). Darüber hinaus ruft die Mehrsprachigkeit auch Sprachkon- taktphänomene wie das Code-Switching, welches den Wechsel zwischen zwei oder mehreren Sprachen beschreibt, hervor. Besonders oft tritt dieses Phänomen bei mehrsprachigen Personen auf, die beide Sprachen gleich gut beherrschen und somit keine Dominanz einer Sprache vorliegt (vgl. Müller et al. 2015: 11f). Mit Hilfe des Code-Switchings versuchen diese ihre lexikalischen und syntaktischen Kompetenz- lücken zu füllen, oder ihre Verbundenheit zu einer Sprache durch den Code-Wechsel zwischen den Sprachen zu manifestieren (vgl. Roche/Terrasi-Haufe 2018: 162).
Während Mehrsprachigkeit die Regel ist, gilt Einsprachigkeit als Ausnahme. Dabei wird in drei Formen von Mehrsprachigkeit unterschieden: individuelle, institutionelle und territoriale Mehrsprachigkeit. Diese drei Formen von Mehrsprachigkeit können auch gleichzeitig auftreten, wie zum Beispiel die territoriale Mehrsprachigkeit, die oft mit der individuellen Mehrsprachigkeit in sich einher geht. Die individuelle Mehrspra- chigkeit bezieht sich auf den einzelnen Sprecher der Sprache, während institutionelle Mehrsprachigkeit bedeutet, dass in Institutionen oder Organisationen verschieden-sprachig gesprochen wird (vgl. Riehl 2006: 15). Dem gegenüber steht die territoriale Mehrsprachigkeit, oder auch gesellschaftliche Mehrsprachigkeit, welche sich auf Ge- sellschaften, Gruppen, Regionen oder Nationen bezieht und die Koexistenz mehrerer Sprachen auf einem Territorium beschreibt. Dabei wird jedoch nach Riehl nochmals zwischen „mehrsprachige[n] Staaten mit Territorialprinzip, mehrsprachige[n] Staaten mit individueller Mehrsprachigkeit, einsprachige[n] Staaten mit Minderheitenregionen [und] städtische[n] Immigrantengruppen“ (Roche/Terrasi-Haufe 2018: 30) unterschie- den. Der mehrsprachige Staat mit Territorialprinzip repräsentiert ein Land, welches in verschiedene Sprachgebiete, in denen die einzelnen Sprachen gesprochen werden, abgrenzt. Im Gegensatz dazu charakterisieren sich mehrsprachige Staaten mit indi- vidueller Mehrsprachigkeit durch die Existenz mehrerer Sprachen, die jedoch nicht auf unterschiedliche Regionen aufgeteilt sind (vgl. ebd).
Die Mehrsprachigkeit in Luxembourg gilt als Triglossie, eine Form der territorialen Mehrsprachigkeit, die die Sprachensituation der mehrsprachigen luxembourgischen Gesellschaft mit drei Sprachen, bezeichnet. Da Luxembourg kein Territorialprinzip, im Sinne einer Aufteilung der drei Sprachen auf einzelne Sprachgebiete, wie es zum Beispiel in der Schweiz der Fall ist, verfolgt, gilt das Land als mehrsprachiger Staat mit individueller Mehrsprachigkeit. Voraussetzung für diese besondere sprachliche Entwicklung war unter anderem die geographische Lage des Grenzlandes Luxem- bourg, welches unter ständigen Einflüssen der Romania und Germania stand (vgl. Weber 1994: 129f). Luxembourg gilt als Teil der Francophonie, da das Land neben der Nationalsprache Lëtzebuergesch und der deutschen Sprache noch eine weitere Verwaltungs- und Amtssprache, die französisch Sprache, zählt. Jedoch genießt die französische Sprache unter den drei offiziellen Amtssprachen das höchste Ansehen, da sie die alleinige Sprache der Gesetzgebung ist und als die bevorzugte Sprache der Regierung und Verwaltung gilt. Eingeführt wurde die französische Sprache als erste Offizialsprache unter der Herrschaft der Burgunder (vgl. Pöll 2017: 66ff). Ab dem Jahr 1984 gilt laut dem Sprachengesetz: „le luxembourgeois est la langue nati- onale des Luxembourgeois“ (Berg 1993: 18), damit wird Lëtzebuergesch zur dritten offiziellen Sprache und zur einzigen Nationalsprache Luxembourgs. Dem Französi- schen kommt in Luxembourg die Funktion einer Bildungssprache zu, denn die Spra- che wird in Luxembourg ab dem zweiten Schuljahr der Grundschule unterrichtet, und gilt somit als Zweit- oder Drittsprache (vgl. Timm 2014: 58f). Besonders herausfor- dernd ist für die Schüler der Erwerb der französischen Sprache, da der Französisch- unterricht auf Deutsch, welches ebenfalls eine Fremdsprache für die Schülerinnen und Schüler ist, stattfindet (vgl. ebd.: 11). Zur Unterrichtssprache wird Französisch erst im höheren Schulwesen, daraus resultiert, dass die Beherrschung der französi- schen Sprache in Abhängigkeit zum Grad der Bildung steht (vgl. Weber 1994: 140). Trotz dem hohen Ansehen der französischen Sprache, wird diese von den luxem- bourgischen Bürgern vermieden und als Fremdsprache empfunden. Infolgedessen rückt das Französische im Alltag immer stärker in den Hintergrund und wird größten- teils durch Lëtzebuegerisch ersetzt (vgl. Sieburg 2013: 50f).
Mehrsprachigkeit bietet für die betreffende Gesellschaft einige Chancen, stellt die Sprecher aber auch vor große Herausforderungen im Umgang mit der Mehrsprachig- keit. Die Mehrsprachigkeit der luxembourgischen Gesellschaft durch die Beherr- schung der drei Sprachen Lëtzebuergesch, Deutsch und Französisch erhöht deren Kommunikationsfähigkeit sowohl im Inland als auch im Ausland. Demzufolge wird auch die Integration in eine andere Gesellschaft, zu welcher die Sprache als der Schlüssel gilt, erleichtert (vgl. Roth 2006: 13). Außerdem haben mehrsprachige Per- sonen eine „differenziertere Sicht auf die Welt“ (Riehl 2006: 20), da sie diese auch durch „die Brille der anderen Sprachen“ (ebd.) kennenlernen und erleben. Auch kog- nitive Vorteile werden mehrsprachigen Personen zugeschrieben, da sie die erlernten Sprachen vor allem beim Erwerb neuer Sprachen als sprachliche Ressourcen nutzen können und ihnen der Sprachenerwerb somit leichter fällt. Mehrsprachige Personen, so auch die Bürger Luxembourgs, haben sich im Zuge des Spracherwerbs oft unter- schiedliche sprachliche Strategien, wie zum Beispiel das Code-Switching, angeeig- net, welches sowohl beim Erlernen neuer Sprachen als auch beim Prozess des Spre- chens Anwendung findet (vgl. Riehl 2006: 19ff). Jedoch bringen die Mehrsprachigkeit und der Spracherwerb nicht ausschließlich Vorteile mit sich, da sich im Rahmen der Mehrsprachigkeit und deren Praxis auch Probleme entstehen. Eine Gemeinschaft wird von der Sprache der Teilnehmer dieser Gesellschaft zusammengehalten, sodass sobald eine Gemeinschaft mehrere Sprachen spricht, der Zusammenhalt dieser da- runter leiden kann. Darüber hinaus sehen die Sprecher einer Gemeinschaft die Spra- che oft auch als ihre Identität, dadurch sehen auch in Luxembourg viele Bürger die Sprachenvielfalt ihres Landes als Last, da sie mit der Identitätsfrage zu kämpfen ha- ben. Zudem kann Mehrsprachigkeit eine Sprachbarriere für mehrsprachige Men- schen darstellen, da sich die erworbenen Sprachen gegenseitig beeinflussen können, sodass der Sprecher keine der Sprachen wirklich gut beherrscht. Dadurch kann vor allem die Kommunikation der Teilnehmer einer mehrsprachigen Gesellschaft unter der Mehrsprachigkeit leiden (vgl. Eichinger 1994: 34ff). Speziell in Luxembourg gilt das Schulsystem und der damit verbundene frühe und gleichzeitige Erwerb von drei unterschiedlichen Sprachen als sehr herausfordernd für die Schülerinnen und Schüler (vgl. Berg 1993: 34ff).
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- Anónimo,, 2020, Mehrsprachigkeit in Europa am Beispiel der französischen Sprache in Luxembourg, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1023083