Stellen Sie sich eine Welt vor, in der der Mensch nur ein Produkt seiner erbarmungslosen Umgebung ist, gefangen in einem Netz aus Armut, Verzweiflung und dem unaufhaltsamen Einfluss seiner biologischen Abstammung. Der Naturalismus, eine Epoche, die das späte 19. Jahrhundert erschütterte, präsentiert uns eine düstere Vision der Gesellschaft, in der wissenschaftlicher Fortschritt und soziale Ungleichheit Hand in Hand gehen. Geprägt von der Philosophie des Positivismus und den bahnbrechenden Erkenntnissen von Darwin und Freud, enthüllt diese literarische Strömung schonungslos die Schattenseiten des Lebens: die Verelendung der Arbeiterklasse, die Doppelmoral der Gesellschaft und die Ohnmacht des Individuums gegenüber seiner determinierten Existenz. Werke wie Hauptmanns "Die Weber" und "Bahnwärter Thiel" sind erschütternde Zeugnisse dieser Zeit, die das Publikum aufrütteln und zu einem Umdenken bewegen wollten. Der Naturalismus forderte eine radikale Abkehr von tradierten Normen, eine Hinwendung zur schonungslosen Darstellung der Realität in all ihrer Hässlichkeit. Die Alltagssprache, der Dialekt und der sogenannte Sekundenstil wurden zu stilistischen Mitteln, um die Authentizität der Darstellung zu gewährleisten. Tauchen Sie ein in eine Epoche, in der die Literatur zum Spiegelbild der sozialen Wirklichkeit wurde, ein Spiegelbild, das uns bis heute zum Nachdenken über die Bedingungen menschlicher Existenz anregt. Entdecken Sie die Werke von Ibsen und anderen skandinavischen Autoren, die den Naturalismus massgeblich beeinflussten. Erforschen Sie die Dramen, die das Elend, die Fabriken, die Hinterhöfe und die Kneipen in den Mittelpunkt rücken, und die Charaktere, die von Trunksucht, Prostitution und Armut gezeichnet sind. Wagen Sie einen Blick auf die Welt des Naturalismus, wo Kunst zur Natur wird, abzüglich der Illusionen. Der Naturalismus ist mehr als nur eine literarische Epoche; er ist eine intensive Auseinandersetzung mit den fundamentalen Fragen der menschlichen Existenz. Die Bedeutung von Determinismus, Milieutheorie und sozialer Frage steht im Zentrum dieser Strömung. Die Ablehnung von Idealisierung und die Betonung des Realismus prägen den Stil. Erleben Sie die Wucht dieser Bewegung und die Kontroverse, die sie auslöste. Diese Epoche bietet eine wertvolle Perspektive auf die damalige Zeit und regt zur Reflexion über die Gegenwart an.
Naturalismus (1880-1900)
Historischer Hintergrund:
- Bismarck setzte sich mit den Sozialisten auseinander (soziale Spannungen)
- Mangelnde gesellschaftliche Integration der Arbeiter
- 1878 „Sozialistengesetze“ (Verbot der Versammlungsfreiheit und einiger Schriften)
- Sozialgesetzgebung: Aufmerksamkeit auf die Arbeiter
- Viele technische Erfindungen
- Schlechte Lebens- und Arbeitsbedingungen der Proletarier (Verelendung)
Rolle der Wissenschaften:
- Wissenschaftsgläubigkeit stark verbreitet
- Positivismus: Glaube nur an das Fassbarem, die Naturwissenschaften
- Ablehnung des Übernatürlichen
- Naturwissenschaftliche Methoden werden auf die Kunst übertragen
- Verarbeitung wissenschaftlicher Erkenntnisse aus Soziologie (Milieutheorie). Psychologie (Sigmund Freud) und Biologie ( Charles Darwins Selektionstheorie)
- Die Naturwissenschaften als Grundlage aufgrund naturwissenschaftlicher Erfolge, Verdrängung des Metaphysischen (»Kunst = Natur - x«, Arno Holz)
Menschenbild:
- Determiniertheit durch Rasse, Geschichte, Gesellschaft, Erbanlagen
- Mensch und sein Handeln sind abhängig von seiner Umgebung, der sozialen Herkunft und der biologischen Abstammung
- Ausbrechen aus dem Milieu nicht möglich
- Menschen von unterbewussten Trieben gelenkt (weniger vom Verstand), Laster
- Kein Willensfreiheit oder innere Weiterentwicklung
- Mensch ist Produkt seiner Umwelt
- Keine Möglichkeit zur freien Entfaltung seiner Persönlichkeit
- Pessimistisches Menschenbild
Forderungen des Naturalismus:
- Modernität
- Wirklichkeitsnähe
- Loslösung von tradierten Normen
- Poesie ist keine Nachahmung, sondern Naturerschaffung
- Gegen alles Veraltete, für alles Neue, jedoch ohne klares Konzept
Ziele:
- Publikum aufrütteln
- Schonungslose Aufdeckung der Verhältnisse
- Z.T. Gleichberechtigung der Frau
- Gesellschaftskritik, Aufruf zu Humanität und Toleranz, Interesse am Sozialismus, aber mehr aus Solidarität mit dem Proletariat und den verbotenen Parteien
Drama des Naturalismus
- Bevorzugte Form, kaum Romane
- Wenig auftretende Personen
- Sehr ausführliche Regieanweisungen, aber keine Kommentare
- Vielfach offenes Ende (Fragen, auf die es keine Antwort gibt)
- 5 Akte, aber strenge Dramenform wird fast durch epische abgelöst (Vorläufer des e.Theaters)
- Kein einzelnen Dramenheld, sondern Kollektiv (z.B. Die Weber von Hauptmann)
- Kaum Monologe(entsprechen nicht der Wirklichkeit), dafür viele Dialoge (Veranschaulichung)
- Spielt in Elendsquartieren, Fabriken, Hinterhöfen, Kneipen oder im „Dirnenmilieu“
- Figuren sind z.T. Säufer, Dirnen, Arbeiter (der vierte Stand), allerärmste Menschen
- Veränderung häufig nur von „Boten aus der Fremde“, da Charaktere sich passiv verhalten
- Hauptmanns Dramen: Bahnwärter Thiel, Die Weber, Vor Sonnenaufgang, Der Biberpelz
Merkmale des Naturalismus/Stil:
- möglichst getreue Wiedergabe der Natur, geprägt durch exakte Beschreibungen
- Hang zum »Modernen«
- Radikal und zeitkritisch
- Herbe Alltagssprache, Dialekt, Umgangssprache (Wahrheit nur durch „echte Sprache“ nicht in Phrasen und Hochsprache)
- Sekundenstil: erzählte Zeit= Erzählzeit (Schilderung des Vorgangs dauert so lange wie der Vorgang selbst)
- Keine Idealisierung
- Keine Kommentare, weil Szenen für sich sprechen
- Darstellung der Schattenseite des Lebens, des Hässlichen, Niedrigen und des Elendes
- Einseitig, da nur negativen Seite des Lebens gezeigt wird (nicht mehr objektiv)
- Wertschätzung skandinavischer Literatur (Ibsen)
- Naturalismus hat sich im Vergleich zu den anderen Ländern erst sehr spät durchgesetzt
- Epoche war eine sehr „heftige Erscheinung“, aber auch nur sehr kurz
Kunstverständnis:
- Kunst = Natur – x
- X = je kleiner x, desto größeres technisches Vermögen des Künstlers
Häufig gestellte Fragen
Was ist der historische Hintergrund des Naturalismus (1880-1900)?
Der Naturalismus entstand in einer Zeit, die von Bismarcks Auseinandersetzung mit den Sozialisten, mangelnder gesellschaftlicher Integration der Arbeiter, den „Sozialistengesetzen“ von 1878, einer beginnenden Sozialgesetzgebung, technischen Erfindungen und schlechten Lebens- und Arbeitsbedingungen der Proletarier geprägt war.
Welche Rolle spielten die Wissenschaften im Naturalismus?
Die Wissenschaftsgläubigkeit war stark verbreitet, insbesondere der Positivismus. Naturwissenschaftliche Methoden wurden auf die Kunst übertragen, und Erkenntnisse aus Soziologie (Milieutheorie), Psychologie (Sigmund Freud) und Biologie (Charles Darwins Selektionstheorie) wurden verarbeitet. Die Naturwissenschaften galten als Grundlage, und das Metaphysische wurde verdrängt.
Welches Menschenbild hatte der Naturalismus?
Der Mensch wurde als durch Rasse, Geschichte, Gesellschaft und Erbanlagen determiniert gesehen. Sein Handeln war abhängig von seiner Umgebung, seiner sozialen Herkunft und seiner biologischen Abstammung. Ein Ausbrechen aus dem Milieu galt als unmöglich. Der Mensch wurde von unterbewussten Trieben gelenkt und hatte keine Willensfreiheit oder innere Weiterentwicklung. Er war ein Produkt seiner Umwelt und hatte keine Möglichkeit zur freien Entfaltung seiner Persönlichkeit. Das Menschenbild war pessimistisch.
Welche Forderungen stellte der Naturalismus?
Der Naturalismus forderte Modernität, Wirklichkeitsnähe und die Loslösung von tradierten Normen. Poesie sollte keine Nachahmung, sondern Naturerschaffung sein. Er wandte sich gegen alles Veraltete und befürwortete alles Neue, jedoch ohne ein klares Konzept.
Welche Ziele verfolgte der Naturalismus?
Der Naturalismus wollte das Publikum aufrütteln, die Verhältnisse schonungslos aufdecken, die Gleichberechtigung der Frau fördern und Gesellschaftskritik üben. Es bestand ein Interesse am Sozialismus, jedoch mehr aus Solidarität mit dem Proletariat und den verbotenen Parteien.
Was sind die Merkmale des Dramas im Naturalismus?
Das Drama war die bevorzugte Form, es gab wenig Romane. Es gab wenige auftretende Personen, sehr ausführliche Regieanweisungen, aber keine Kommentare. Vielfach gab es ein offenes Ende. Die strenge Dramenform wurde fast durch die epische abgelöst. Es gab keinen einzelnen Dramenhelden, sondern ein Kollektiv. Kaum Monologe, dafür viele Dialoge. Die Handlung spielte in Elendsquartieren, Fabriken, Hinterhöfen, Kneipen oder im „Dirnenmilieu“. Die Figuren waren z.T. Säufer, Dirnen, Arbeiter (der vierte Stand), allerärmste Menschen. Veränderungen kamen häufig nur von „Boten aus der Fremde“, da sich die Charaktere passiv verhielten. Bekannte Dramen sind Bahnwärter Thiel, Die Weber, Vor Sonnenaufgang und Der Biberpelz von Hauptmann.
Was sind die Merkmale des Naturalismus/Stil?
Der Naturalismus zeichnete sich durch eine möglichst getreue Wiedergabe der Natur, exakte Beschreibungen, Hang zum »Modernen«, Radikalität, Zeitkritik, herbe Alltagssprache, Dialekt, Umgangssprache (Wahrheit nur durch „echte Sprache“ nicht in Phrasen und Hochsprache), Sekundenstil (erzählte Zeit= Erzählzeit), Keine Idealisierung, Keine Kommentare, Darstellung der Schattenseite des Lebens, des Hässlichen, Niedrigen und des Elendes aus. Er war einseitig, da nur die negative Seite des Lebens gezeigt wurde (nicht mehr objektiv).
Was ist das Kunstverständnis im Naturalismus?
Das Kunstverständnis im Naturalismus lässt sich mit der Formel Kunst = Natur – x beschreiben, wobei x je kleiner, desto größer das technische Vermögen des Künstlers ist. Kunst soll eine eigene Naturerschaffung sein.
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- Diana Koch (Author), 2001, Charakteristika und Merkmale des Naturalismus. Ein Überblick, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/102294