ANALYSE ‘ DANTONS TOD ’ (1835); G. BUECHNER
Georg BÜCHNER: Dantons Tod (Drama 4 Akte in Prosa)
erschienen 1835
Büchner wurde zu dem Drama durch ein intensives Studium der Geschichte der
Französischen Revolution angeregt. Es entstand, während er wegen der Gründung einer politischen Studentengruppe, der „Gesellschaft für Menschenrechte“, und der Veröffentlichung der radikalen sozialen Flugschrift „Hessische Landbote“, der polizeilichen Verfolgung ausgesetzt war. Unmittelbar nach Abschluss des Manuskripts konnte er nur durch schnelle Flucht der Verhaftung entgehen.
Dramatisches Bild aus Frankreichs Schreckensherrschaft
Büchner: „Revolution ist sinnlos, weil nur die einen Mächtigen durch andere Mächtige abgelöst werden. Revolution dient nicht wirklich denen, die „unten durch“ müssen.“
Büchner erkennt als unausweichliche Gesetzmässigkeit der Geschichte, das einer Revolution der Armen gegen die Reichen, so wie er sich wünscht, Revolutionen des Bürgertums gegen den Adel vorausgehen, die nur eine Geldaristokratie an die Macht bringen. Hiervon handelt die Tragödie „Dantons Tod“: Die Französische Revolution hat das Schicksal der Armen nicht gebessert. Danton bleibt dem gegenüber gleichgültig, findet in seinem Tun keinen Sinn und verfällt dem Lebensüberdruss. Der sittenstrenge und selbstgerechte Robespierre benutzt die Unzufriedenheit des Volkes nur, um weitere Hinrichtungen zu rechtfertigen. Die Geschichte geht über beide Männer hinweg; Robespierre wird seinem Opfer Danton bald nachsterben. Die irdisch-sinnliche Liebe der Frauen dagegen, die ihren Geliebten in den Tod folgen, weist in eine noch offene Zukunft, in der irdisches Glück, Genuss und Liebe, vielleicht möglich sein werden.
Danton hat zusammen mit Robespierre, der jetzt an der Spitze des mit umfassenden Vollmachten ausgestatteten Wohlfahrtsausschusses steht, die Revolution entscheidend vorangetrieben und als Justizminister 1792 die „Septembermorde“ an klerikalen und royalistischen Abgeordneten und Häftlingen gebilligt, sich dann aber dem gemässigten Flügel angeschlossen, der für eine rasche Beendigung des Blutvergiessens eintritt. Die Handlung des Dramas setzt jedoch erst zu einem Zeitpunkt ein, an dem Danton alle politische Aktivität bereits aufgegeben hat. Seine Skepsis kontrastiert scharf mit dem Bild des dynamischen, ungebrochenen Revolutionärs, das Dantons Anhänger beschwörend aufrechterhalten. Sie sind sich darin einig, dass die Revolution ins Stadium der „Reorganisation“ treten und das Chaos einer neuen, elastischen Staatsform weichen müsse, die sich dicht an den Leib des Volkes schmiegt. Das universale Glücksversprechen, mit dem die Revolution die geknechteten Volksmassen gewann, soll durch eine neue Ethik (=Sittenlehre) erfüllt werden. Aber Danton, der bestürmt wird, das politische Konzept seiner Anhänger vor dem Nationalkonvent durchzusetzen, zögert und lehnt desillusioniert ab. Seine Tragik (=zum Untergang führender, unausweichlicher Widerstreit) , die sich schon in den ersten Szenen des ersten Aktes andeutet, erwächst nicht etwa daraus, dass seine durch überhelles Bewusstsein gebrochene Tatkraft sich gegen die Tatkraft Robespierres nicht durchzusetzen vermöchte, sondern aus dem Verzicht auf jedes politische „Programm“, auf Veränderung durch Handeln. Dantons Gegenspieler Robespierre, der in den folgenden Szenen des ersten Aktes als Redner vor einer aufgebrachten Volksmenge und vor dem Jakobinerklub auftritt, beugt dagegen jeden Widerstand durch seine asketische (Askese=Busse, Enthaltsamkeit) Strenge und die kalte, konsequente Rationalität seines entfesselten Machtwillens: „Die Waffe der Republik ist der Schrecken, die Kraft der Republik ist die Tugend ... der Schrecken ist ein Ausfluss der Tugend, er ist nichts anderes als die schnelle, strenge und unbeugsame Gerechtigkeit!“ Er wirft der Gruppe um Danton vor, das sie das Erbe des Aristokratismus (Aristokratie = Adelsherrschaft) angetreten habe ; sie seien zu lasterhaft und ihre Lasterhaftigkeit sei um so gefährlicher, je bereitwilliger sie der Freiheit diene. Dantons Anhänger, die ihn warnen wollen, finden ihn bei Marion, einer Dirne des Palais Royal. Was Robespierre in seinem totalitären, abstrakten Tugendutopismus Dantons „Lasterhaftigkeit“ nannte, ist im Gegenteil ein verfeinerter Sensualismus, eine eingestanden gegenrevolutionäre Genussbereitschaft. Danton weiss, dass sie ihm schaden wird; denn aus vorrevolutionärem Ressentiment hasst das Volk die Geniessenden.
Mittelpunkt des ersten Akts ist der als politische Auseinandersetzung beginnende grosse Dialog zwischen Danton und Robespierre. Während dieser sich wiederum nur bemüht, in Danton den Vertreter einer parasitären Ideologie dadurch vernichtend zu treffen, dass er das Laster zum Hochverrat erklärt, entlarvt Danton die kleinbürgerliche Tugendrechtschaffenheit Robespierres als verbitterte Genussfeindschaft, die nur das elende Vergnügen kennt, andere schlechter zu finden als sich selbst. Robespierre zaudert zunächst, lässt sich aber von seinem entschlossenen Parteigänger Saint-Just bald umstimmen und billigt die schon vorbereiteten Massnahmen gegen Danton.
Der Beginn des zweiten Aktes macht deutlich, wie wenig Danton an Auflehnung und Kampf denkt. Auf die Frage, warum er sich zum „toten Heiligen“ der Revolution habe degradieren lassen, begnügt er sich mit der Antwort, sein „Naturell“ sei nun einmal so. Seine Langeweile schlägt um in Sehnsucht nach dem „Asyl im Nichts“, nach endgültiger Ruhe. Er bleibt untätig im Vertrauen auf sein unantastbares Ansehen im Volk: „Sie werden’s nicht wagen!“ Wir haben nicht die Revolution gemacht, sondern die Revolution hat uns gemacht! Danton und seine Freunde werden verhaftet. Vor dem Nationalkonvent weist Robespierre den Einspruch mehrerer Delegierter ab, und Saint-Just übertrifft ihn noch, indem er Dantons Satz, die Revolution fresse ihre eigenen Kinder, ironisch gutheisst: „Sie zerstückelt die Menschheit, um sie zu verjüngen.“
Die Hauptszenen des dritten und vierten Aktes spielen in der Conciergerie, dem Unter- suchungsgefängnis, und vor dem Revolutionstribunal. Danton und seine Anhänger warten zusammen mit anderen Häftlingen auf ihre Hinrichtung. Obwohl die Entscheidung bereits gefallen ist, bäumt sich Danton noch einmal auf, als das „Mühlwerk“ des Scheinprozesses zu arbeiten beginnt. Seine energische Verteidigung wird jedoch endgültig zunichte gemacht, als es gelingt, ihm eine Verschwörung im Gefängnis zu unterstellen. Die Gespräche der Eingekerkerten kreisen um den Tod. Danton, in leidenschaftlicher Todesbereitschaft, verzweifelt endlich sogar an der Möglichkeit des Sterbens selber. Sein Selbstverständnis zeigt in diesen letzten Szenen alle Merkmale eines radikalen Nihilismus = Ablehnung aller bestehenden Anschauungen wie z.B. die Leugnung eines Gottesbegriffs und die kategorische Ablehnung jedes „Sinns“.
Danton stirbt als Opfer der Revolution, die er selbst mit ins Werk gesetzt hat und deren Rettung er in ihrer Beendigung sieht.
Man darf sagen, dass in Büchners Drama mehr Leben als Handlung herrscht...Büchner gibt statt eines Dramas, statt einer Handlung, die sich entwickelt, die anschwillt und fällt, das letzte Zucken und Röcheln, welches dem Tode vorausgeht. Aber die Fülle von Leben, die sich hier vor unseren Augen noch zusammendrängt, lässt den Mangel der Handlung weniger schmerzlich entbehren. Wir werden hingerissen von diesem Inhalt, welcher mehr Begebenheiten als Taten beinhaltet.
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- Citation du texte
- Urs Müller (Auteur), 1998, Büchner, Georg - Dantons Tod (Drama), Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/102217
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