Ich erwartete mir vom Gemeindepraktikum allgemein einen umfassenden Einblick in den Pfarrberuf mit seinen vielfältigen Aufgaben und hoffte darauf, dass dieser Einblick mich in meiner Berufung bestärken würde. Der äußere Rahmen konnte in meinen Augen kaum besser sein: M. liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zu meinem eigenen Wohnort, so dass ich jederzeit ohne größere logistische Schwierigkeiten würde vor Ort sein können. Außerdem würde das Umfeld einigermaßen vertraut und doch auch anders als das gewohnte sein. Ich freute mich auch sehr darüber, dass meine Praktikumszeit im Kirchenjahr in die Passionszeit und über Ostern fiel, da es sich dabei um eine liturgisch dichte Zeit handelt und in der Gemeinde auch „was los sein“ würde. Als äußerst günstige und sogar göttliche Fügung empfand ich es schließlich, dass mein Praktikumspfarrer A. N. sein würde, der mich bereits im Sommersemester 2016 als Mentor im Rahmen des von der Fakultät angebotenen Mentoringprogrammes für Theologiestudierende begleitet hatte und ich mir daher sicher sein konnte, dass es auch menschlich zwischen uns passen würde.
Inhaltsverzeichnis
1. Meine Erwartungen und Hoffnungen für das Gemeindepraktikum
2. Meine Praktikumsgemeinde und mein Mentor
3. Überblick über meine Praktikumszeit
4. Drei exemplarische Wahrnehmungen:
4.1. Wer darfam Exerzitienkurs teilnehmen?
4.2. Wie viel Gott verträgt ein Traugespräch?
4.3. Minenfeld Politik
5. Meine Reflexionen
6. Mein Fazit
Anhang
- Die Evangelische Kirchengemeinde M.
- Monatlicher „Gemeindebrief“
- Ökumenische Gemeindezeitschrift
- Karten für Geburtstagsbesuche
- Die Stiftung Evangelische Kirchengemeinde M.
- Der Stadtteiltreff
- Flyer für das Tauffest
- Programm für das Serenadenkonzert für Trompete, Posaune und Orgel
- Programm für das Treffen des Evangelischen Exerzitiums
- Tagesordnung für die Sitzung des Kirchenvorstands
[Anm. d. Red.: Die Anhänge sind aus urheberrechtlichen Gründen nicht im Lieferumfang enthalten.]
1. Meine Erwartungen und Hoffnungen für das Gemeindepraktikum
Ich erwartete mir vom Gemeindepraktikum allgemein einen umfassenden Einblick in den Pfarrberuf mit seinen vielfältigen Aufgaben und hoffte darauf, dass dieser Einblick mich in meiner Berufung bestärken würde. Der äußere Rahmen konnte in meinen Augen kaum besser sein: M. liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zu meinem eigenen Wohnort, so dass ich jederzeit ohne größere logistische Schwierigkeiten würde vor Ort sein können. Außerdem würde das Umfeld einigermaßen vertraut und doch auch anders als das gewohnte sein. Ich freute mich auch sehr darüber, dass meine Praktikumszeit im Kirchenjahr in die Passionszeit und über Ostern fiel, da es sich dabei um eine liturgisch dichte Zeit handelt und in der Gemeinde auch „was los sein“ würde. Als äußerst günstige und sogar göttliche Fügung empfand ich es schließlich, dass mein Praktikumspfarrer A. N. sein würde, der mich bereits im Sommersemester 2016 als Mentor im Rahmen des von der Fakultät angebotenen Mentoringprogrammes für Theologiestudierende begleitet hatte und ich mir daher sicher sein konnte, dass es auch menschlich zwischen uns passen würde.
2. Meine Praktikumsgemeinde und mein Mentor
„In unserer Gemeinde hören Menschen von Jesus Christus ...
Miteinander entdecken wir, dass unser Leben die Handschrift Gottes trägt. Er gibt uns Geborgenheit und fordert uns zu einem Sinn erfüllten Leben heraus. Weil Christus unsere Mitte ist, sind unterschiedliche Ansichten nicht trennend. Unsere Vielfalt ist eine Bereicherung. Unser Glaube lebt davon, erzählt zu werden. Uns verbindet das Bekenntnis zu Gott.“
So lautet das Leitbild der Evangelischen Kirchengemeinde M., in der ich vom 09.03.17.04.2017 mein Gemeindepraktikum gemacht habe.
Ort der Gemeinde ist der größte Stadtteil von M. und erlebt auch weiterhin enormen Zuzug in immer neu entstehende Neubaugebiete. Die Gemeinde ist daher in den letzten Jahren gewachsen und hat aktuell ca. 5.000 Gemeindeglieder, darunter viele Familien mit Kindern. Die ausgewogene Altersstruktur der Gemeinde zeigt sich auch im Gottesdienstbesuch: Es gibt regelmäßig Familien- und Kindergottesdienste und die Gemeinde verfügt mit dem großen Saal im Gemeindehaus auch über einen familienfreundlichen Gottesdienstort, in dem alle zwei Wochen im Wechsel mit der Kirche der Gottesdienst stattfindet. Das große Gemeindehaus ist gewissermaßen das Herz der Gemeinde. Hier treffen sich die meisten Gruppen und Kreise der Gemeinde von Jung bis Alt, tagt der Kirchenvorstand, finden die Mitarbeiterbesprechungen statt. An das Gemeindehaus grenzt der evangelische Kindergarten an. Er verfügt über einen unabhängigen, staatsfinanzierten Haushalt, der Dienstvorsitz liegt aber beim Kirchenvorstand und auch die inhaltliche Arbeit wird mit dem Kirchenvorstand abgestimmt. Im Foyer des Gemeindehauses gibt es einen Infostand, an dem Flyer über Aktivitäten in Gemeinde und Stadtteil informieren. Hier liegt auch der monatlich erscheinende „Gemeindebrief ‘ aus - ein buntes, doppelseitig bedrucktes, gefaltetes Din-A4-Blatt, das von der Gemeindesekretärin ausgedruckt und ausgelegt wird, aufdem Termine der Gottesdienste und Gemeindeveranstaltungen, die Namen von Neugetauften und Bestatteten, die Gruppen und Kreise in der Gemeinde, die Anschriften und Telefonnummern der Hauptamtlichen der Gemeinde sowie die Bankverbindungen für Spenden genannt werden, darunter auch die der „Stiftung Evangelische Kirchengemeinde M.“, die mit ihren Zinserträgen zur Finanzierung von Gemeindeprojekten beiträgt. Daneben gibt es noch die professionell gestaltete, dreimal pro Jahr erscheinende ökumenische Gemeindezeitschrift, die gemeinsam von den beiden katholischen mit der evangelischen Kirchengemeinde herausgegeben und an alle Haushalte im Ort ausgeteilt wird.
Die Ökumene wird im Stadtteil groß geschrieben: Es gibt einen ökumenischen Arbeitskreis, in dem sich außer den beiden katholischen Ortsgemeinden und der Evangelischen Kirchengemeinde auch die drei freikirchlichen Gemeinden vor Ort engagieren, die Freie evangelische Gemeinde, die Baptisten- und die En-Christo-Gemeinde. Ein gutes Beispiel für die ökumenische Zusammenarbeit stellt der gemeinsam finanzierte „Stadtteiltreff“ dar, der sich mit seinen Angeboten wie Brotkorb, Kindernotdienst und Flüchtlingshilfenetzwerk speziell auch an die sozial schwächeren und aus vielen Nationen stammenden Bewohner der Hochhaussiedlung richtet und sie zu integrieren sucht. Die Arbeit des Stadtteiltreffs trägt wesentlich dazu bei, dass sich das einst hauptsächlich bildungsbürgerliche Gemeindeprofil allmählich wandelt und es zu mehr sozialer Durchmischung kommt.
Die Gemeinde verfügt aufgrund ihrer Größe über zwei Vollzeitpfarrstellen und ist organisatorisch in einen West- (Pfarrerin Priv.-Doz. Dr. A. R.) und einen Ostbezirk (Pfarrer A. N.) unterteilt. In der Gemeindesekretärin haben die Pfarrer ihre größte organisatorische Stütze, denn sie koordiniert die Termine, erledigt einen Großteil der Verwaltungsarbeit und hält den Kontakt zu Gemeindegliedern und öffentlicher Verwaltung. Weitere wichtige Mitarbeiter in der Gemeinde sind das Küster- & Hausmeisterehepaar, der Organist & Kantor und die Jugendmitarbeiterin.
Der Kirchenvorstand ist ebenfalls gut organisiert (professionell wirkende Geschäftsordnung) und entlastet die Pfarrer von Verwaltungsaufgaben. Es gibt Arbeitsausschüsse (Personal-, Bau, Finanz-, Kindergarten-, Jugendausschuss, Ausschuss für Öffentlichkeitsarbeit) und Ressortbeauftragte (Beauftragte für Diakonie, Beauftragter für die Organisation von Festveranstaltungen). Den Vorsitzhatein Laie inne. Bei der Stellvertretung wechseln sich die beiden Pfarrer im Zwei-Jahres-Rhythmus ab; zum Zeitpunkt meines Praktikums lag sie bei Pfarrerin R., die die Gemeinde auch auf Synoden vertritt. Pfarrer N. ist neben seiner Zuständigkeit für den Ostbezirk u.a. noch verantwortlich für die inhaltliche Zusammenarbeit mit dem Kindergarten, hält wöchentlich Andacht in einer der Kindergartengruppen, leitet den Besuchsdienstkreis (für Geburtstagsbesuche ab 80) und führt den Vorsitz im Stadtteiltreff, weshalb er auch vom Schuldienst offiziell befreit ist. Beim Sonntagsgottesdienst wechselt er sich mit seiner Kollegin ab.
3. Überblick über meine Praktikumszeit
Als Kern des Pfarrberufs verstehe ich die Feier von Gottesdienst en. Diese durfte ich während meines Praktikums in sehr vielen unterschiedlichen Formen erleben. Die Liturgie des Sonntagsgottesdienstes (mit Abendmahl) in M. unterschied sich von der aus meiner Heimatgemeinde gewohnten. So finden in M. liturgische Handlungen grundsätzlich vor und nie hinter dem Altar statt, was mir vor allem bei den Einsetzungsworten seltsam vorkam. Außerdem ist mir aufgefallen, dass das Evangelium von einem Laien und nicht vom Pfarrer selbst verlesen wurde und es gab keinen Friedensgruß. Dafür gab es vor dem Abendmahl ein Schuldbekenntnis mit der Bitte um Vergebung durch die gesamte Gottesdienstgemeinde, was mir erstmals so begegnete. Ich erlebte also hautnah, wie sehr die Liturgie in der evangelischen Kirche von der jeweiligen Ortsgemeinde geprägt ist - und auch vom Pfarrer. Ich habe Pfarrer N. als spirituellen Menschen kennengelernt, der dem einzelnen Menschen viel Raum für die Entwicklung des persönlichen Glaubensweges einräumen möchte. Das zeigte sich auch im Gottesdienst, wo er beispielsweise am Ende der Fürbitten Raum gab für persönliche Bitten in der Stille. Bei der Predigt imponierte mir, dass Pfarrer N. die Tiefe des Predigttextes (Gen 22) zu entfalten suchte in seinem Charakter als menschliches Zeugnis von (einem rätselhaften) Gott und sowohl eine gegenwartsbezogene als auch eine christologische Auslegung bot. Gerade die christologische Auslegung alttestamentlicher Texte ist in der wissenschaftlichen Theologie hochumstritten, führt für den einzelnen Christen aber zu einem gläubigen Verstehen des Alten Testamentes, das ihm ansonsten eher fremd bliebe.
Ich nahm während meiner Praktikumszeit auch an der Feier der Osternacht mit Osterfeuer und anschließendem Frühstück teil, erlebte eine Jubiläumstrauung zum 65. Hochzeitstag und sogar eine Andacht, die sich eine Frau (ich kannte sie überraschenderweise sogar vom alljährlichen Vorbereitungsseminar zum Weltgebetstag) zum 70. Geburtstag gewünscht hatte. Eine besondere Erfahrung waren für mich auch die Andachten mit Kindergartengruppen, die Pfarrer N. regelmäßig hält, in denen viele kurze kindgerechte geistliche Lieder gesungen werden, es Bewegung gibt und Bibeltexte frei und kindgerecht erzählt statt vorgelesen werden.
Auch in die Konfirmandenarbeit konnte ich während meines Praktikums Einblick nehmen: Neben dem wöchentlichen Konfirmandenunterricht begleitete ich Pfarrer N. auch auf das Konfirmandenwochenende in der Jugendherberge in O., wo der Vorstellungsgottesdienst der „Konfis“ vorbereitet wurde. Diese Konfirmandenfreizeit war für mich von allen Erfahrungen während meiner Praktikumszeit diejenige, die in mir die meisten Zweifel und Krisengefühle auslöste.
Aufgrund der Größe der Gemeinde M. bilden die Kasualien einen wesentlichen Schwerpunkt unter den Aufgaben des Pfarrers. Etliche Termine, zu denen ich meinen Praktikumspfarrer begleiten durfte, waren Tauf-, Trauer- und vor allem Traugespräche. Leider hatte Pfarrer N. während meiner Praktikumszeit keinen Tauf- oder Traugottesdienst zu halten, aber ich konnte zumindest an zwei Trauerfeiern mit anschließender Bestattung teilnehmen. Beerdigungen haben für mich unter den Kasualien noch einmal einen ganz besonderen Charakter; ich habe die Erfahrungen damit als besonders eindrücklich erlebt und hatte anschließend, nach der Konfrontation mit dem Thema Tod und dem damit verbundenen Verlust, besonders viel Reflexionsbedarf.
Ein weiterer, auch durch die Gemeindegröße bedingter Aufgabenschwerpunkt sind die Geburtstagsbesuche. Um die Aufgabe bewältigen zu können, wurde die Altersgrenze für Besuche auf 80 Jahre heraufgesetzt; für jüngere Jubilare gibt es einen schriftlichen Geburtstagsgruß mit Gesprächsangebot. Die runden und halbrunden Geburtstage werden von den Pfarrern in ihren jeweiligen Bezirken übernommen, an „normalen“ Geburtstagen besuchen dann die ehrenamtlichen Mitglieder im Besuchsdienst der Gemeinde. An einem Treffen dieses Besuchsdienstkreises konnte ich während meines Praktikums teilnehmen und den organisatorischen Ablauf der Besuchsverteilungen kennenlernen. Zu einigen 80. Geburtstagen begleitete ich Pfarrer N. und erlebte dabei, wie unterschiedlich diese Besuche verlaufen können: Vom Kurzgespräch an der Gegensprechanlage mit Einwerfen des Geburtstagspäckchens in den Briefkasten bis hin zum ausführlichen Gespräch im Wohnzimmer von über einer Stunde Dauer inklusive Bewirtung.
Als besonders schön erlebte ich alle Termine rund um geistliche Veranstaltungen, an denen Pfarrer N. beteiligt ist. Genau in meine Praktikumszeit fiel der an fünf Abenden stattfindende Kurs zu „Exerzitien im Alltag“, der mir auch für meine persönliche Frömmigkeit wertvolle Impulse schenkte. Daneben nahm ich zweimal an einem im weiteren Sinne spirituellen und nicht dezidiert christlichen Gesprächskreis unter dem Motto „Vom Suchen und Finden“ teil, der im Stadtteiltreff stattfindet unter der gemeinsamen Leitung von Pfarrer N. und der Sozialarbeiterin E. K. Dieser Kreis wird ganz durch die Bedürfnisse seiner Mitglieder bestimmt, die mit ihren Beiträgen Thema und Gesprächsverlauf gestalten, während sich die Leitung auf den Rahmen beschränkt, aber auch eigene Beiträge ins Gespräch einbringt. Es war eine hochinteressante Erfahrung für mich über existentielle Lebensthemen auch mit Menschen zu sprechen, für die der Glaube an „Gott“ keine selbstverständliche Dimension der Lebenswirklichkeit darstellt. Sehr wohl fühlte ich mich im ökumenischen Seniorenkreis, der Pfarrer N. zu einem Vortrag eingeladen hatte, den er zum Thema „Gebet“ hielt. Auch bei der Informationsveranstaltung zum Tauffest im August vor der Christuskirche war ich mit dabei, woran evangelische Pfarrer aus mehreren evangelischen Gemeinden, darunter eben auch Pfarrer N. aus M., beteiligt sind. Bei diesem (auch öffentlich sichtbaren) Tauffest können bis zu 30 Personen aus allen Altersgruppen sich taufen lassen und anschließend gemeinsam bei Kaffee und Kuchen feiern. Das verspricht eine wunderschöne Aktion zu werden.
Weiteren geistlichen Input bekam ich auch beim Treffen des Vereins „Geistliches Exerzitium“, dessen Mitgliederkreis sich aus evangelischen Pfarrern verschiedener Landeskirchen zusammensetzt, die sich als geistliche Gemeinschaft verstehen und geistliche Seminare und Kurse auch für Nicht-Mitglieder organisieren. Pfarrer N. ist Vereinsmitglied und war Gastgeber des Treffens, das sich in einen geistlich-theologischen Teil mit Vortrag und Diskussion zum Thema „Sabbatlich leben“ und einen formal-organisatorischen Teil, nämlich die Mitgliederversammlung des Vereins mit abzuarbeitender Tagesordnung untergliederte. Einen ähnlichen geistlich-organisatorischen „Doppelcharakter“ hatte auch das Regionaltreffen von Pfarrern und Vikaren im Gemeindehaus meiner Heimatgemeinde: Nach einer von Gastgeber Pfarrer S. gestalteten kurzen Andacht gab es ein reichliches Frühstücksbuffet mit Gelegenheit zum persönlichen Austausch untereinander, im Anschluss wurde lebhaft über Dekanatsbelange diskutiert (Stichwort „Gebäudeentwicklung“) und den Abschluss bildete ein kurzer Vortrag von Pfarrer N. zu Ignatius von Loyola, Ignatianischen Exerzitien und dem von Jesuiten angebotenen Exerzitienleiterkurs, den Pfarrer N. besucht hatte.
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