Inhaltsangabe:
I. Zwischen Orient und Okzident
a.) Geographische Lage
b.) Demographische Struktur
c.) Politische Struktur
II. Wirtschaft
a. Vom Aufschwung ab 1960 bis zum Krieg 1974
Die Cyperntürken: Gastarbeiter im eigenen Land
b. Die Republik Cypern seit 1974: Wiederaufbau und Wirtschaftswunder
c. Der besetzte Norden: arm neben reichen Nachbarn
d. Der Tourismus: Wirtschaft am Tropf der Fremden
I. Zwischen Orient und Okzident
Ob Cypern ein Teil Asiens oder Europas ist, darüber streiten die Gelehrten der unterschiedlichen Fakultäten bis heute. Geographisch gehört die Insel zum asiatischen Kontinent. Die Berge Cyperns werden erdgeschichtlich als Fortsetzung des TaurusGebirges in der Türkei gesehen. Politisch fühlen sich die meisten Cyprioten aber als Europäer. Im Europarat ist die Republik schon lange vertreten, jedoch erst 1989 hat das Insel - Parlament beschlossen, die Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft zu beantragen. Doch die Nachbarn der Cyprioten sind Orientalen. Im äußersten Südosten des Mittelmeers gelegen ist Cypern von der Türkei, dem Libanon, Syrien und Israel nur einige Stunden Schiffsreise entfernt. Bis nach Europa, der nächsten griechischen Insel Rhodos, benötigen die Passagierdampfer von der Hafenstadt Limassol dagegen rund 21 Stunden Fahrt.
Doch trotz der geographischen Nähe zu den Ländern des Orients macht der cyperngriechische südliche Teil der geteilten Insel nicht gerade einen orientalischen Eindruck. Die Wälder des Troodos- Gebirges passen so gar nicht zum Bild sonnenverbrannter Steppenlandschaft und Wüsten im Nahen Osten. In den boomenden Städten wachsen die Hochhaustürme. Glitzernde Einkaufszentren und breite Straßen in der Hauptstadt Nikosia, moderne Luxushotels an den Stränden von Limassol und Larnaka. Und ganz im Gegensatz zu den armen Nachbarn im Norden und Osten Cyperns findet man hier keine Elendsquartiere, kaum Arbeitslosigkeit, sondern Wohlstand und Vollbeschäftigung. Der cyperntürkische Norden ähnelt schon eher dem Orient. In Türkisch - Nikosia fühlt sich der Besucher nicht zu Unrecht in eine türkische Provinzstadt versetzt. Die Stimme des Muezzins, der überdachte Markt und die eng verwinkelten Gässchen mit kleinen Läden signalisieren eine andere Welt als die modernen Fassaden im wenige hundert Meter entfernten Süden der Hauptstadt. Und doch legen die meisten Cyperntürken Wert darauf, dass sie eben keine Türken, sondern türkische Cyprioten sind. Die großen Moscheen bleiben auch zum Gebet fast leer, verschleierte Frauen findet man eher in Berlin-Kreuzberg als in Türkisch-Nikosia. Cypern - eine Insel zwischen Orient und Okzident.
a.) Geographische Lage
Kypros, Kriptos, Kerastia, Amathusia, Akamantis, Myonis, Makaria, Sphykis, Aeria, Alasia, Aspelia, Kilinia, Paphos, Tharsis, Gholghi, Zoegraphos, Kition, Ophiousa - die Insel hat in der Geschichte viele Bezeichnungen erhalten. Der Ursprung des Namens Cypern (griechisch Kypros, türkisch Kibris) ist unsicher.
Cypern ist mit 9251 km² die drittgrößte Inseln des Mittelmeeres nach Sizilien und Sardinien. Sie liegen etwa auf dem 35° nördlicher Breite und 33° östlicher Länge. Bis zur Türkei sind es nur 72 km, nach Syrien 104 und nach Ägypten etwa 350 km. Die Entfernung bis nach Rhodos im Westen beträgt rund 380 km. Cyperns größte Länge misst 224, seine größte Breite 96 km. Die Küste ist insgesamt 780 km lang. Zwei Gebirge und eine große Ebene bestimmen die Topographie. Im Südwesten liegt das Troodos - Gebirge, dessen höchster Berg, der Olympos, die stattliche Höhe von 1951 Metern erreicht und doch nur rund 25 km von der nächsten Küste entfernt liegt. Das zweite Gebirgsmassiv, die Kyrenia - Berge, erstreckt sich entlang der Nordküste, die höchste Erhebung zählt 1024 Meter. Zwischen Kyrenia - Bergen und dem Troodos liegt die furchtbare Mesaoria - Ebene mit der Hauptstadt Nikosia.
b.) Demographische Struktur
Zusammengefasst ergibt sich folgende Bevölkerungsstruktur:
- etwa 550 000 griechische Cyprioten leben, bis auf etwa 600, im Süden der Insel, der Republik Cypern;
- ca. 90 000 türkische Cyprioten bewohnen, bis auf wenige Ausnahmen, den Nordteil, der 1974 von türkischen Truppen besetzt wurde;
- zwischen 40 000 und 80 000 Festlandstürken wurden schätzungsweise seit 1974 im Norden angesiedelt. Ihr rechtlicher Status ist unsicher;
- 2500 Maroniten leben im Süden, rund 300 im Norden;
- 3500 Armenier bewohnen ausschließlich den Südteil;
- 4500 Lateiner Leben ebenfalls dort.
Das ergibt eine Gesamtbevölkerung zwischen 690 500 und 730 500 Menschen. Zieht man die türkischen Siedler ab, die nach internationalen Rechtsnormen nicht als cypriotische Staatsbürger zu betrachten sind, kommt man auf etwa 650 500 Menschen. Danach ergäbe sich folgende ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung:
- griechische Cyprioten 84 %, - türkische Cyprioten 14 %,
- Maroniten, Armenier und Lateiner zusammen 2 %.
Diese Zahlen sind freilich nur Schätzungen, denn die letzte Volkszählung auf der Insel fand 1960 statt, und manche der heutigen offiziellen Zahlen sind unsicher, denn die Stärke oder Schwäche der eigenen ethnischen Gruppe ist ein Politikum, gegen das die Statistik keine Chance hat.
c.) Politische Struktur
Als die Republik Cypern 1960 gegründet wurde, war das die einzige Entlassung einer Kolonie in die Unabhängigkeit, die gegen den erklärten Willen der Betroffenen geschah. Denn damals favorisierten die griechischen Cyprioten noch den Anschluss der Insel an Griechenland. Die türkischen Cyprioten verlangten die Teilung in einen griechischen und einen türkischen Teil. Der Kompromiss Unabhängigkeit wurde zwischen dem damaligen Kolonialherren Großbritannien sowie Griechenland und der Türkei gefunden. Diese beiden „Mutterländer“ der jeweiligen cypriotischen Volksgruppe spielen auch heute noch eine wichtige Rolle.
Die Republik Cypern besteht völkerrechtlich unverändert weiter. Doch tatsächlich umfasst dieser Staat nur noch die griechischen Cyprioten. Seit der Invasion türkischer Truppen in der Folge des Putsches der griechischen Obristen im Sommer 1974 ist auch die Souveränität und territoriale Integrität der Republik eingeschränkt: Ihre Macht reicht nur noch bis zur „grünen Linie“, an der die UNO - Friedenstruppen eine Puffer zum besetzten Norden bilden. Dort wurde unter dem Protektorat der türkischen Armee zunächst 1975 der „Türkische Bundesstaat Cypern“ gegründet. 1983 entschloss sich die cyperntürkische Administration zur Bildung eines unabhängigen Staats, der „Türkischen Republik Nordcyperns“. Doch ist diese Republik bisher von keinem Staat der Welt außer von Ankara diplomatisch anerkannt. In allen anderen Hauptstädten gilt der Norden weiter als türkisch besetztes Gebiet. Tatsächlich sind Zweifel an der Souveränität der „Türkischen Republik Nordcypern“ erlaubt: Ein Großteil der Staatsausgaben wird von der Türkei bestritten, die dort auch weiter etwa 29 000 Soldaten vom Festland stationiert hält.
Nach den internationalen Rechtsnormen umfasst die nur von griechischen Cyprioten gebildete Republik Cypern also weiter die gesamte Insel. Die griechischen Cyprioten besitzen damit faktisch ein Alleinvertretungsrecht für die Insel. Offizielle Kontakte zwischen Nord und Süd gibt es nicht, doch finden seit Jahren unter Vermittlung der Vereinten Nationen Gespräche über eine Lösung des Konflikts statt. Die Demarkationslinie ist undurchdringlich, gegenseitige Besuche im jeweils anderen Teil sind für nahezu alle Inselbewohner unmöglich.
Die Republik Cypern ist ein demokratischer Staat mit starken Rechten für den vom Volk direkt gewählten Präsidenten. Er beruft seine Minister, die durch das Einkammer - Parlament nicht mehr bestätigt werden müssen. Für die Minderheit der türkischen Cyprioten sind 24 Sitze in der 80köpfigen Volksvertretung vorgesehen, auch stellt ein türkischer Cypriote nach der Verfassung den Vizepräsidenten. Doch schon seit den bewaffneten Konflikten zwischen den ethnischen Gruppen im Jahre 1964 sind die Plätze der cyperntürkischen Abgeordneten leer. Offizielle Landessprachen sind Griechisch und Türkisch. Das Türkische wird aber faktisch kaum mehr verwandt, stattdessen wird Englisch als Verkehrssprache immer wichtiger. Die Republik Cypern ist keinem Militärbündnis angeschlossen und Mitglied der Bewegung der Blockfreien sowie der folgenden internationalen Organisationen: Commonwealth, UNO und diverser ihrer Unterorganisationen und des Europarats. Mit der EG besteht ein Assoziierungsabkommen.
Auch im Norden existiert der Verfassung nach eine präsidiale Republik. Im Gegensatz zur Republik gibt es aber auch noch das Amt eines Ministerpräsidenten, der vom Präsidenten ernannt wird und die Regierungsgeschäfte führt. Parlament und Präsident werden dort ebenfalls direkt von der Bevölkerung gewählt. Den demokratischen Entfaltungsmöglichkeiten sind freilich durch die Abhängigkeit von der Türkei Grenzen gesetzt. Die Landessprache ist Türkisch.
III. Wirtschaft
a.) Vom Aufschwung ab 1960 bis zum Krieg 1974
Bei Erlangen der Unabhängigkeit war Cypern ein Entwicklungsland.
Das Pro - Kopf - Einkommen betrug 1958, also zwei Jahre zuvor, nur 181 Pfund Sterling. 1960 belief sich das BSP auf knapp 95 Mill. Pfund bei immerhin rund 570 000 Einwohnern. Nicht einmal jedes sechste Dorf war mit Elektrizität versorgt. Fast ¾ der Bevölkerung lebte auf dem Land. Die Wirtschaft war weitgehend auf den Agrarsektor konzentriert, 43 % der Beschäftigten arbeiteten in diesem Bereich. Hier hatten starke, auf die Vermarktung der Produkte konzentrierte Kooperativen schon in der Kolonialzeit einen Aufschwung bewirkt. Allerdings litt die Landwirtschaft unter dem Problem unzureichender Bewässerung. Die wenigen Handwerksbetriebe arbeiteten fast ausschließlich für den Binnenmarkt. Nur die in ausländischer Hand befindlichen Kupfer- und Asbestminen waren wirkliche Industriebetriebe. Die Infrastruktur war unterentwickelt, Tourismus praktisch nicht vorhanden. Der steile Aufschwung, den die Wirtschaft der Republik Cypern in den ersten Jahren nahm, lässt sich vor allem auf internationale Hilfsleistungen zurückführen. So konnten durch Kredite Staudämme errichtet werden, mit denen der Anteil der bewässerten landschaftlichen Nutzfläche erheblich erhöht wurde. Dadurch wiederum ließ sich der Export von Citrusfrüchten nach Europa und in den Nahen Osten steigern. Gleichzeitig vermied der junge Staat zwei Entwicklungen, unter denen heute viele Länder der Dritten Welt leiden: eine aufgeblähte Bürokratie und industrielle Prestigeobjekt, die sich meist später als Subventionsmühlen erweisen. In der Verwaltung und Gerichtsbarkeit übernahm die Republik weitgehend das effektive britische System. Und schließlich profitierte Cypern von seiner geographischen Lage, die die Insel dank der blockfreien Politik Makarios’ rasch zu einem Handelszentrum zwischen Europa und dem Nahen Osten werden ließ. Gegen Ende der 60er Jahre kam der Tourismus als Deviseneinnahmequelle hinzu.
Das Pro - Kopf - Einkommen stieg, berechnet nach dem Preisindex von 1958, bis 1970 auf 302 Pfund. Schon 1966 war die Hälfte aller Dörfer an das Stromnetz angeschlossen, 1971 waren es mehr als 81 %. Dass auch breite Kreise der Bevölkerung davon profitierten, dafür sorgten die starken Gewerkschaftsverbände. Der Lebensstandard der Bevölkerung auf der vor kurzem noch so armen Insel wuchs über den der „Mutterländer“ Griechenland und erst recht der Türkei weit hinaus. Dementsprechend schwanden die Aspirationen der griechischen Cyprioten nach der Enosis dahin. Ein politischer Anschluss Cyperns an Griechenland hätte ja bedeutet, dass nicht mehr die Insulaner selbst, sondern eine ferne Verwaltung in Athen über die Verteilung der Ressourcen entscheiden konnte.
Die Cyperntürken: Gastarbeiter im eigenen Land
Die türkischen Cyprioten allerdings durften ab 1964 an der wirtschaftlichen Prosperität nicht teilhaben. Traditionell waren sie im Handel und Handwerk schwächer vertreten als ihre griechischsprachigen Nachbarn. Nach dem Bürgerkrieg war ein großer Teil der Moslems in ländlichen Enklaven und städtischen Ghettos eingeschlossen. Durch den Wirtschaftboykott von Präsident Makarios waren sie vom ökonomischen Aufschwung praktisch ausgeschlossen. Weil der Warenverkehr zwischen den cyperntürkischen Gebieten und der von Cyperngriechen kontrollierten Republik stagnierte, wurden die Enklavenbewohner mehr und mehr von direkter Hilfe aus der Türkei abhängig. Für die allermeisten türkischen Cyprioten stagnierte der Lebensstandard auf niedrigem Niveau. Die Aufhebung des Wirtschaftsboykotts im Jahre 1968 führte nicht zu einer Angleichung der wirtschaftlichen Situation zwischen den beiden ethnischen Gruppen. Diejenigen türkischen Cyprioten, die nun eine Beschäftigung außerhalb der Enklaven fanden, mussten sich meist mit schlechter bezahlten und minderer Tätigkeiten zufrieden geben. Sich bei den Gewerkschaften zu organisieren, wagten die meisten aus Angst vor der eigenen Führung nicht. So blieben sie von den cyperngriechischen Unternehmern als Lohndrücker benutzte „Gastarbeiter im eigenen Land“. Erst zu Beginn der 70er Jahre erfolgte wieder eine langsame Integration der türkischen Cyprioten. 1974 arbeitete rund die Hälfte von ihnen außerhalb der Enklaven. Die Löhne näherten sich denen ihrer griechischen Kollegen an. Eine Untersuchung aus dem Jahre 1973 zeigt dennoch, wie weit besonders in ländlichen Gebieten die Minderheit wirtschaftlich benachteiligt war. In der Region Paphos verfügten damals 84,9 % aller türkisch - cypriotischen Dorfbewohnern über keine Elektrizität - bei den griechisch - cypriotischen Dörflern waren es dagegen nur 1,9 %. Ähnliche Zahlen ergeben sich beim Telefonnetz und der Wasserversorgung: bei 81 bzw. 60 % der türkischen Cyprioten bestand ein Mangel, gegenüber 0,3 bzw. 0,1 bei den griechischen.
b.) Die Republik Cypern seit 1974: Wiederaufbau und Wirtschaftswunder
Nach der Besetzung des Nordteils Cyperns durch türkische Truppen stand die Wirtschaft vor dem Bankrott. 37 % des Inselterritoriums waren verloren, doch wirtschaftlich stellte diese Region ca. 70 % der gesamten Produktionskapazität dar. So lagen 68 % der Hotelbetten in Famagusta, Kyrenia und Umgebung. 72 % der Anbaufläche für Citrusfrüchte - meist in der fruchtbaren Morphou-Ebene gelegen - und 64 % für Getreide waren verloren. In der Infrastruktur ergaben sich irreparable Schäden. Der wichtigste Hafen, Famagusta, war nicht mehr zugänglich, der Flughafen von Nikosia fiel in die Pufferzone der UNO - Friedenstruppen und ist seitdem geschlossen. Die „Grüne Linie“, die sich quer über die Insel zieht, trennte wichtige Straßenverbindungen, Stromleitungen und zerschnitt die Kupferminen bei Karoevastasi, die den Betrieb deshalb einstellen mussten. Dazu kamen die Probleme bei der Versorgung der etwa 165 000 Flüchtlinge mit Nahrung und Wohnraum. Die Arbeitslosenrate lag nach der Invasion bei 39 %. Die Wirtschaftskraft, so meinten Experten, war um Jahrzehnte zurückgeworfen.
Heute bemerkt man von all dem nichts mehr. Die Flüchtlingslager sind aufgelöst und haben festen Siedlungen Platz gemacht. Zwei neue Flughäfen, Larnaka und Paphos, bieten der modernen Airbusflotte von „Cypern Airways“ und Dutzenden anderen Fluggesellschaften ihren Service. In Limassol und Larnaka reiht sich an der Seepromenade Hotel an Restaurant, Bar an Hotel. Die erweiterten Häfen in den beiden Städten schlagen jedes Jahr neue Rekordmengen an Gütern um. Glitzernde Einkaufszentren sind entstanden, die es mit Geschäftsstraßen in Mitteleuropa aufnehmen können. Das durchschnittliche Pro - Kopf - Einkommen der griechischen Cyprioten lag 1988 mit umgerechnet etwa 13 500 Mark weit über dem in den benachbarten Ländern. Und die Arbeitslosenrate betrug im selben Jahr nur 2,8 %. Wie konnte es zu diesem Wirtschaftswunder kommen?
Neben dem Fleiß der griechischen Cyprioten waren es vor allem internationale Einflüsse, die zu einem raschen Wiederaufschwung führten. Besonders drei Bereiche kurbelten die Wirtschaft schnell wieder an:
1. großzügige internationale Hilfsleistungen, besonders für die Flüchtlinge
2. die zunehmende Bedeutung Cyperns als Handelszentrum nach Beginn des Bürgerkriegs in Beirut
3. der stark ansteigende Tourismus aus Westeuropa
Die über den Haufen geworfene Wirtschaftsplanung wurde ab Anfang 1975 durch jeweils zweijährige Notstandspläne ersetzt. Damit sollten neue Arbeitsplätze und Produktionsstätten geschaffen werden, Devisen mussten eingespart und die wirtschaftlichen Belastungen sollten möglichst gleichmäßig verteilt werden.
Parallel dazu liefen Planung und Bau von festen Siedlungen für die Flüchtlinge. Dabei griffen die griechischen Cyprioten auch auf die leerstehenden Häuser ihrer in den Norden geflohenen türkischen Landsleute zurück, die teilweise den eigenen Flüchtlingen zur Verfügung gestellt wurden. Größtes Problem bei der Verwirklichung dieser Ziele war der akute Kapitalmangel. Hier sprangen internationale Organi- sationen, einzelne Staaten und im Ausland lebende Cyprioten mit Geld und Kredit ein. Größter Helfer war dabei das UNO-Flüchtlingskommissariat (UNHCR), das Teile der Flüchtlingssiedlungen finanzierte. Insgesamt überwiesen die verschiedenen Unter- Organisationen der Vereinten Nationen (UNHCR, UNDP) in den ersten vier Jahren nach der türkischen Invasion umgerechnet 200 Mill. Mark. Dank der relativ geringen Bevölkerungszahl und der engen geographischen Grenzen konnten diese Gelder effektiv eingesetzt werden. Freilich mussten noch bis weit in die 80er Jahre Flüchtlinge ihr Leben in zugigen Wellblechhütten verbringen, bis auch für sie feste Häuser errichtet waren.
Der 1975 in seiner ganzen Heftigkeit entbrannte Bürgerkrieg in Beirut trat übrigens zur wirtschaftlichen Konsolidierung im benachbarten Cypern. Viele Banken und Handelshäuser verließen das einstige „Paris des Nahen Ostens“ und siedelten sich in Limassol, Larnaka oder Nikosia an. Hunderter sogenannter Off-Shore-Companies, Firmen, die nicht im cypriotischen Binnenhandel engagiert sind und oft nur über einen Briefkasten verfügen, zog es nach Cypern, wo Telekommunikation und Transport vorbildlich arbeiten. Heute leben mehrere tausend Libanesen ständig auf Cypern. Ein weiteres wirtschaftliches Standbein erschlossen sich die Inselgriechen durch die Billigflaggen-Politik. Etwa 2000 Schiffe mit der cypriotischen Flagge fuhren 1988 durch die Weltmeere, der Ministaat belegt damit Rang sieben der Schifffahrts- nationen.
Indirekte Folge der türkischen Besetzung Nordcyperns war und ist ein wirtschaftlicher Strukturwandel im Süden. Die Zahl der in der Landwirtschaft Beschäftigten sinkt ebenso wie die Bedeutung dieses Exportzweigs.
1987 arbeiteten nur noch 15,8 % ( 1976: 25,2 %) der Beschäftigten in diesem Bereich. Der Bergbau ist inzwischen unbedeutend. Dagegen sind Handel und Dienstleistungs- gewerbe immer wichtiger geworden. Mehr als die Hälfte des BSP wird in diesem Bereich erwirtschaftet, über 50 % der arbeitenden Bevölkerung ist dort beschäftigt. Allein in Restaurants und Hotels arbeiteten 1987 acht Prozent (1976: 4,6 %). Die Arbeitslosigkeit konnte rasch gesenkt werden. Seit 1977 herrscht bei einer Arbeitslosigkeit von 2 bis 3 % praktisch Vollbeschäftigung. Für arbeitslose Akademiker, die am stärksten betroffene Gruppe, ist das allerdings nur ein schwacher Trost. Sie bemerken auch wenig von dem seit Ende der 80er Jahre bestehenden akuten Arbeitskräftemangel in der Bauindustrie und im Tourismus. Seit 1988 kommen deshalb täglich mehrere hundert türkische Cyprioten über die sonst so abgeschlossene „grüne Linie“. Sie arbeiten zum größten Teil im Baugewerbe. Der Job ist für sie sehr attraktiv, weil die Löhne deutlich über denen in Nordcypern liegen. Anders als in den 60er Jahren sind sie finanziell ihren griechischen Kollegen gleichgestellt. Um den immer noch stehenden Mangel an Kellnern, Zimmermädchen und Bauarbeitern zu beheben, werden Anzeigen in britischen Zeitungen veröffentlicht, mit denen in den 50er und 60er Jahren emigrierte Cyprioten zur Rückkehr in ihre Heimat bewegt werden sollen. Bei der florierenden Wirtschaft wandert heute so gut wie niemand mehr aus.
Die Wirtschaft zeichnete sich in den 80er Jahren durch sehr hohe Wachstumsraten aus. Die reale Steigerungsrate betrug jährlich zwischen drei und sieben Prozent. Dabei ist die Ökonomie sehr stark exportorientiert. Dennoch blieb die Handelsbilanz seit Gründung der Republik durchgehend negativ, was nicht weiter verwunderlich ist, da praktisch alle Luxusgüter vom Auto bis zum Radio importiert werden müssen. Auch die Zahlungsbilanz, 1986 und 1987 erstmals positiv, fiel 1988 wieder in die roten Zahlen. Der Staatshaushalt ist traditionell stark defizitär. Das cypriotische Wirtschaftswunder ist also zu guten Teilen auf Pump gebaut. Die Inflationsrate des cypriotischen Pfunds pendelt zwischen etwa einem und vier Prozent jährlich. Heftige politische Auseinandersetzungen hat die Frage einer Vollmitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft provoziert, mit der die Republik bereits ein Assoziierungsabkommen abgeschlossen hat. Präsident Georgios Vassiliou ist vehementer Verfechter eines Eintritts. 1989 beschloss das Parlament in Nikosia, um eine Mitgliedschaft in der EG nachzusuchen. Doch damit ist das interne Procedere keineswegs abgeschlossen. Kritiker verweisen auf Anpassungsschwierigkeiten der cypriotischen Kleinindustrie, die in einem gemeinsamen Markt nicht mehr durch Zollschränke geschützt wäre. Außerdem stünde eine weitere Verschlechterung der Handelsbilanz bevor, weil die hohen Importzölle auf Luxusgüter wie Pkws, elektronische Gebrauchsgegenstände etc. gesenkt werden müssten. Dagegen halten die Befürworter, dass sich Cypern nicht von der europäischen Entwicklung absetzen dürfe. Außerdem erhoffen sie sich bei einer EG-Mitgliedschaft eine Steigerung des politischen Einflusses zur Lösung des Cypern-Problems.
c.) Der besetzte Norden: arm neben reichen Nachbarn
Man könnte meinen, in Nordcypern seien die Startchancen nach der türkischen Invasion ungleich günstiger gewesen. Für die Flüchtlinge aus dem Süden bedurfte es hier keiner Zeltstädte und Wohnungsbauprogramme, weil die von den griechischen Cyprioten verlassenen Häuser den eigenen Bedarf um ein Vielfaches überstiegen. Hotel- und Industriekapazitäten standen größtenteils unbeschädigt zur Verfügung. Dennoch ist es den türkischen Cyprioten nicht gelungen, diese günstigen Ausgangs- bedingungen in eine dauerhafte wirtschaftliche Prosperität umzusetzen. Es ist sicher nicht der fehlende Wille der Bevölkerung, der dazu geführt hat, das der besetzte Teil auch heute noch den Eindruck eines Entwicklungslandes ähnlich der Türkei macht. Nach der Besetzung litt Nordcypern zunächst unter einer „Beuteökonomie“: Viele wertvolle Wirtschaftsgüter wurden geplündert, in die Türkei verschifft und dort verkauft. Bis heute mangelt es an Kapital zu Instandsetzungen und Investitionen. Des weiteren fehlt es den türkischen Cyprioten am notwendigen Know-how. Sie waren ja auch vor 1974 der wirtschaftlich schwächere Bevölkerungsteil gewesen und besaßen kaum Erfahrung im Hotelmanagement oder in der Industrie. Und schließlich fällt der winzige Inlandsmarkt negativ ins Gewicht. Größtes Problem aber ist der ungeklärte völkerrechtliche Status. Nordcypern gilt bis heute als illegal von türkischen Truppen besetzt. Damit erhält die Administration z. B. keine Weltbankkredite (wie im Süden). Auch andere internationale Hilfen fließen nur spärlich. Non-Stop-Flüge sind unmöglich - potentielle Touristen müssen in Istanbul oder Ankara umsteigen. Die Häfen gelten als illegal. Zusätzlich hat die Republik Cypern ein Embargo über den Norden verhängt. Wer mit dem besetzten Teil Handel treibt oder Tourismusgeschäfte abschließt, fällt im Süden unter einen Boykott. Diese Haltung ist durchaus verständlich, haben die cyperntürkischen Behörden doch das Eigentum der geflohenen griechischen Cyprioten, egal ob Wohnhäuser, Hotels, Industrieanlagen, Felder oder bewegliche Güter, entschädigungslos enteignet. Im Süden sieht man nicht ein, warum man dieses Verhalten auch noch indirekt unterstützen soll. Obwohl der Boykott kaum ökonomisch ins Gewicht fällt, hat er eine große politische Bedeutung, denn die türkischen Cyprioten fühlen sich damit subjektiv erneut von ihren griechischen Landsleuten diskriminiert.
Es gibt freilich auch eine ganze Reihe hausgemachter Probleme. Sie haben im wesentlichen ihre Ursache in der wirtschaftlichen Angleichung an die Türkei. Dabei ist noch verständlich, dass der Norden einen Großteil seiner Geschäfte mit Ankara abschließt - 43 % aller Importe und 14 % aller Exporte gingen 1987 in die Türkei. Diese Entwicklung wird allerdings noch durch ein 1986 abgeschlossenes Wirtschaftsprotokoll verschärft, mit dem eine Angleichung der nordcypriotischen und der türkischen Wirtschaft verfolgt wird. Durch die Übernahme der türkischen Lira importiert man auch die hohen Inflationsraten (1988: 62,6 %) und hat selbst keine Kontrolle über den Geldumlauf. Die Handelsbilanz ist erschreckend: 1988 überstiegen die Importe die Exporte um das Vierfache. Eine aufgeblähte und schläfrige Bürokratie schreckt Investoren ab und zieht eine niedrige Gesamtproduktivität der Bevölkerung nach sich.
Die wirtschaftliche Schwäche des besetzten Teils hat zur Folge, dass das Land nicht nur militärisch, sondern auch ökonomisch am Tropf der Türkei hängt. Ein Viertel des „Staatshaushaltes“ wird von der Türkei finanziert. Zählt man die Kredite hinzu, erhöht sich die Summe auf fast die Hälfte. Weil kein eigenes Kraftwerk vorhanden ist, erhält der Norden Elektrizität von der Republik Cypern. Die Stromversorgung wird aus politischen Gründen nicht unterbrochen, obwohl bisher noch keine Rechnung beglichen wurde - nach cyperngriechischen Angaben beliefen sich die bis 1988 aufgelaufenen Schulden auf 73 Mill. Cypern-Pfund, umgerechnet etwa 277 Mill. Mark. Das hindert die Administration im besetzten Teil aber nicht daran, von ihren Bürgern Geld für Elektrizität zu kassieren.
Die wirtschaftliche Depression im Norden und die Prosperität im Süden haben dafür gesorgt, dass die Einkommensschere zwischen griechischen und türkischen Cyprioten heute ähnlich auseinander klafft wie schon vor 1974. Auch der Bauboom im Norden - ähnlich wie in der Türkei - wirkt zwar beeindruckend, er hat aber nicht zu einer Steigerung des Lebensstandards bei der Bevölkerung geführt. Zwar gibt es auch im besetzten Teil kaum Arbeitsplatz, doch muss von einer starken Unterbeschäftigung ausgegangen werden. Etwa 25 000 Einwohner emigrierten seit 1974. Das Pro-Kopf- Einkommen wurde 1988 auf umgerechnet knapp 4000 Mark geschätzt, weniger als ein Drittel im Vergleich mit den griechischen Cyprioten.
d.) Der Tourismus: Wirtschaft am Tropf der Fremden
1973, im Jahr vor der türkischen Invasion, kamen rund 265 000 ausländische Urlauber nach Cypern. 15 Jahre später, 1988, waren es 1 111 818 Touristen, die allein den cyperngriechischen Teil der Insel besuchten. Ein neuer Rekord, wie bis dato jedes Jahr. 48 458 Betten in Hotels, Hotel-Apartments und Ferienhäusern standen zur Verfügung. 386 Mill. Cypern-Pfund gaben die Touristen auf der Insel aus, umgerechnet fast 1,5 Mrd. Mark. Das waren rund 20 % des BSP der Republik Cypern. Soweit die Statistik. Die hohen Einnahmen aus dem Tourismus sind natürlich für die Volkswirtschaft höchst erfreulich. Doch hinter diesem Geldsegen verbergen sich auch schwerwiegende Probleme. Die Hotels an den Küsten mögen jedes Jahr mehr Urlauber anlocken. Doch längst nicht alle Cyprioten sind über dieses ungebremste Wachstum nur glücklich.
Im folgenden können wir den türkisch besetzten Teil der Insel ausklammern, denn vor allem wegen der schlechten Verkehrsverbindungen und mangelnder Infrastruktur reisen vergleichsweise nur wenige Touristen nach Nordcypern. Noch ist es ein touristisches Entwicklungsland - allerdings bemüht man sich dort darum, mehr Gäste anzulocken.
Die Republik Cypern dagegen hängt am Tropf der Touristen. Nachdem die Hotels in Kyrenia und Famagusta 1974 verloren waren, errichteten die griechischen Cyprioten in aller Eile neue Touristenzentren. In Limassol entstand ein küstendeckender Hotelteppich von spanischen Ausmaßen. Aus dem verschlafenen Küstenort Ayia Napa mit ein paar hundert Einwohnern entwickelte sich ein internationales Ferienzentrum. Überall wird gebaut, Wachstumsraten von mehr als 10 % locken. Für eine langfristige Wirtschaftsplanung ist eine zu einseitige Ausrichtung auf die Fremden jedoch problematisch. Der Urlauber ist eine sensible Persönlichkeit. Wann ein Ferienziel „in“ und wann „out“ ist, bestimmt die Eigenwerbung am allerwenigsten. Touristenströme wechseln relativ rasch. Ölteppiche und Berichte über Wasserverschmutzungen können die Planung von einem Tag auf den anderen über den Haufen werfen. Politische Krisen, selbst wenn sie nicht im eigenen Land geschehen, schlagen sich in Touristenzahlen nieder. Und auch wenn keine Katastrophe eintritt, können Schwierigkeiten auftauchen.
Vor allem in der Ökologie der Insel sind schwerwiegende Probleme entstanden. Die Küstenlänge ist begrenzt, Cypern kann nicht einfach aufgeklappt werden, auch wenn so mancher Cypriote sich das wünschen mag. Die Besetzung des Nordens hat ohnehin einen großen Teil der Insel für die griechischsprechenden Bewohner unzugänglich gemacht. Im restlichen Gebiet sind durch den Hotelbau Naturräume weitgehend zerstört worden. Die vielen Urlauber belasten den Wasserhaushalt durch ihren hohen Wasserverbrauch, bei den Hotelkomplexen fehlt oft die Infrastruktur: Abwasser- und Müllentsorgung, Verkehrsverbindungen.
Beispielhaft zeigt die ökologische Problematik die Diskussion um die Akamas- Halbinsel im äußersten Nordwesten Cyperns. Dieses weitgehend unbewohnte Gebiet mit einer seltenen Pflanzenwelt und Brutregion für die bedrohte Meeresschildkrötenart Caretta Caretta dient nicht nur dem britischen Militär an bestimmten Tagen als Übungsgelände, sondern es sollte auch nach dem Willen der Hoteliers touristisch erschlossen werden. Der Widerstand gegen das Projekt formierte sich nicht etwa in den wenigen Dörfern der Region, wo man auf neue Einnahmen hoffte, sondern in der Hauptstadt Nikosia. Dort gründeten Umweltschützer die Organisation „Freunde des Akamas“ und verlangten, das Gebiet zum ersten Naturschutzpark Cyperns zu erklären. Der Akamas, einst ein Lieblingsplatz der Göttin Aphrodite, vertrage keine Hotels. Tatsächlich ist die Region das einzige Gebiet in der Rest-Republik, das vom Tourismus gänzlich verschont blieb. Der Streit um das Für und Wider, zwischen den Kapitalinteressen der Hoteliers, den Wünschen der Akamas-Bewohner und den Umweltschützern währte mehrere Jahre.
Der Akamas gibt Hoffnung. 1989 beschloss die Regierung Vassiliou gegen den Protest von Teilen der Opposition, die Akamas-Halbinsel in einen Nationalpark umzuwandeln. Doch es gibt auf Cypern auch negative Beispiele.
Wirtschaft in Zahlen - ein Vergleich
(Preise umgerechnet in Mark, Berechnungsgrundlage fiskalisches Jahr 1988)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
° offizielle unüberprüfte Angabe, die Zahl beinhaltet die türkischen Siedler
² Die Differenz gegenüber der Zahl der Touristen ergibt sich durch Hinzuzählung von Geschäftsreisenden und Kurzaufenthalten
* Angaben von 1987
Quellen: Rep. of Cyprus: Economic Report
CYPERN
Aphrodites geteilte Insel
Ein Referat für Geographie und Wirtschaftskunde von ÖZCAN AYSE (Klasse: 8.A) Quelle: „Cypern“ von Klaus Hillenbrand; Verlag C. H. BECK München
- Citar trabajo
- Ayse Özcan (Autor), 2001, Cypern. Geographie und Wirtschaft, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/102182
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