Dieser Essay beschäftigt sich mit der Geschichte, der Bevölkerung, sowie der Sprachenvielfalt des Überseedepartements La Réunion und erläutert die Bedeutung der französischen Kreolsprache für die Inselbewohner.
Auf der Insel, die 1793 den Namen La Réunion erhielt, lebten nun 46.000 Menschen, davon waren 80% Sklaven. Die Verwurzelung des Französischen und der französischen Kreolsprache, die sich bis heute erhalten konnten, war bereits zur Zeit der Napoleonischen Kriege sehr tief. Als die Sklaverei im Jahre 1848 endgültig abgeschafft wurde, ersetzten chinesische und südindische Arbeiter die fehlenden Arbeitskräfte. Frankreich erklärte die Kolonien La Réunion, Guadeloupe, Martinique und Guyana 1946 offiziell zu französischen Überseedepartements.
Essay zum Thema Welche Rolle spielt die Sprachenvielfalt auf der Insel La Réunion für die Réunionesen und wie lassen sich die Bestrebungen der Inselbewohner um Anerkennung der kreolischen Sprache mit der strengen französischen Sprachpolitik vereinbaren?
Vor dem Besuch des französischen Bildungsministers Jean-Michel Blanquer im August 2019 wendete sich Marie-Hélène Dor von der FSU Réunion mit ihrer Bittschrift zusammen mit anderen Gewerkschaftsmitgliedern an wichtige politische Amtsträger. Mit ihrem Appell „ Pou nout liberté kozé. Les Réunionnais ont aussi le droit de parler leurs langues “ (Dor 2019: zinfos974) forderte sie die Anerkennung der Kreolsprache durch die Académie de la Réunion und die Verwendung der Regionalsprache in den Schulen. Ihre Forderung signalisierte deutlich, die aktuelle Notwendigkeit, sich mit dem Thema Sprachenvielfalt auf der Insel La Réunion auseinanderzusetzen. Doch wie lässt sich ihre Ansicht, dass der respektvolle Umgang mit Parallelsprachen ein harmonisches Miteinander ermöglicht, mit der strengen Sprachpolitik Frankreichs vereinbaren? Im Folgenden werden die Geschichte, die Bevölkerung und die Sprachenvielfalt des Überseedepartements La Réunion kurz vorgestellt. Anschließend wird die französische Kreolsprache genauer definiert und ihre Bedeutung für die Inselbewohner erläutert. Der letzte Teil thematisiert, den Interessenkonflikt zwischen den Réunionesen, die für eine Aufwertung ihrer Kreolsprache im öffentlichen Leben kämpfen, und der französischen Regierung, die eisern an ihrer Sprachpolitik festhält.
Rückblickend auf die Historie hatten die ersten Entdecker der unbewohnten Insel, Araber, Portugiesen, schutzsuchende Engländer und plündernde Holländer, nur die Flora und Fauna beeinflusst. Vermutlich haben arabische Seefahrer die Insel zwischen dem 10. und 13. Jahrhundert nach Christus erstmals entdeckt. Als ersten Entdecker um 1512 wird in Zeittafeln aber der portugiesische Kapitän Don Pedro Mascarenhas genannt. 1649 wurde das Eiland vom französischen Gouverneur von Madagaskar annektiert und Île Bourbon getauft. Die ersten Sklaven aus Madagaskar wurden 1665 eingeführt. Ab 1780 setzte eine Welle der Einwanderung ein, als die britisch-französischen Handelskriege endeten. Auf der Insel, die 1793 den Namen La Réunion erhielt, lebten nun 46.000 Menschen, davon waren 80% Sklaven (vgl. Quack 2003: 310ff). Die Verwurzelung des Französischen und der französischen Kreolsprache, die sich bis heute erhalten konnten, war bereits zur Zeit der Napoleonischen Kriege sehr tief. Als die Sklaverei im Jahre 1848 endgültig abgeschafft wurde, ersetzten chinesische und südindische Arbeiter die fehlenden Arbeitskräfte. Frankreich erklärte die Kolonien La Réunion, Guadeloupe, Martinique und Guyana 1946 offiziell zu französischen Überseedepartements. Infolgedessen kommt der französischen Sprache als Amtssprache neben dem Kreolischen eine wichtige Bedeutung zu (vgl. Mutz/Stein 2017: 21). Die Inselbevölkerung ist ein buntes Mischvolk, ein sogenanntes métissage. Erfreulicherweise hat sich nach der grausamen Sklavenhaltung in der Vergangenheit und der Zuwanderung verschiedenster ethnischer Gruppen, unter anderem Europäer, Madegassen, Chinesen, Tamilen, Inder, Schwarzafrikaner etc., eine multikulturelle Gesellschaft ohne Rassismus und mit gegenseitiger Akzeptanz entwickelt (vgl. Quack 2003: 309). Umgangssprachlich nennt man die Nachfolgen der Sklaven Cafres, die muslimischen Inder Z’arabes, die aus Südindien kommende Arbeiter Malbars und die Franzosen vom Festland Zoreys. Die Réunionesen chinesischer Herkunft ruft man Chinois während die sogenannten Yabs die Nachfahren verarmter Bauern sind (vgl. Quack 2003: 313ff). Natürlicherweise hat jede Bevölkerungsgruppe ihre Muttersprache mitgebracht und darin ist die Sprachenvielfalt auf La Réunion begründet. Neben der Amtssprache Französisch gibt es die Verkehrssprachen Kreolisch auf französischer Grundlage, Tamil und Chinesisch (vgl. Quack 2003: 11).
Es ist eine sprachwissenschaftliche Erkenntnis, dass jede Sprache sich weiterentwickelt und von einer Generation zur nächsten weitergegeben wird. Kreolsprachen bilden allerdings eine Ausnahme. Sie entstanden in Kolonialzeiten, als man Sklaven radikal entwurzelte und aus verschiedenen Teilen Afrikas in die neuen Kolonien verschleppte, so auch auf die Insel La Réunion. Durch das Aufeinandertreffen von Menschen unterschiedlicher Herkunft entwickelte sich eine neue gemeinsame Umgangs-sprache, eine Kreolsprache. Auf den Plantagen der Siedler verständigten sie sich untereinander nicht in ihren eigenen Sprachen, sondern kommunizierten mit vereinfachten Formen der Sprache ihrer französischen Kolonialherren, mit denen nur ein eingeschränkter Kontakt bestand. Der Großteil des Vokabulars stammt von der Kolonialsprache, während die Grammatik rekonstruiert wurde. Da Kreolsprachen auf Kolonialsprachen basieren, entstanden weltweit englische, französische und spanische Varianten (vgl. Cerquiglini 2003: 16f). Bis heute werden Kreolsprachen zum Leidwesen der Sprecher diskriminierend behandelt und als minderwertig angesehen. Eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Kreolsprachen als vollwertige Sprachen anerkannt werden, ist allerdings der Übergang von Mündlichkeit zur Verschriftlichung. Einen großen Beitrag im Kampf um die Entwicklung und Anerkennung der kreolischen Sprache und Kultur leistete die Romanistin und Sprachwissenschaftlerin Annegret Bollée durch jahrzehntelange Arbeit an dem achtbändigen Etymologischen Wörterbuch der französischen Kreolsprachen (vgl. Bollée 2000: 4). Auch diese Lexika belegen, dass ein Großteil der kreolischen Begriffe französischen Ursprungs ist (vgl. Chaudenson 1974: 643).
Das DOM La Réunion hat eine doppelte kulturelle und sprachliche Identität durch den historischen Hintergrund aus der französischen Kolonialzeit und die Zugehörigkeit zu Frankreich (vgl. Quack 2003: 60f). Französisch und Kreolisch sind folglich in vielerlei Hinsicht nicht immer im Einklang miteinander (vgl. Chaudenson 1989: 183). Es hat sich die besondere Form der Zweisprachigkeit, die Diglossie, etabliert. Das bedeutet, dass zwei Varietäten einer Sprache, nämlich Kreolisch und Französisch, die ein unterschiedliches Prestige haben, situationsbedingt angewendet werden (vgl. Chaudenson 1979: 33). Für die große Mehrheit der Réunionesen ist Kreolisch die Muttersprache und die Sprache der tiefen Emotionen. Sie kennzeichnet die soziale Solidarität (vgl. Ghasarian 2004: 316). Bis heute sprechen 80 % der Inselbewohner zuhause in der Familie kreolisch (vgl. Dor 2019: zinfos974). Die Réunionesen besinnen sich immer mehr auf ihre eigene multikulturelle, kreolische Identität, die sie in französisch-kreolischer Sprache, sowohl in der Musik als auch in der Literatur zum Ausdruck bringen (vgl. Loimeier 2010: 78).
Die Sprachenvielfalt wird seitens Frankreich aber weniger als nationale Bereicherung der Grande Nation angesehen, sondern viel mehr als eine unbewusste drohende Gefahr (vgl. Cerquiglini 2003: 9). Die französische Verfassung sieht vor, dass Frankreich als Einheitsstaat auftritt und in allen französischen Departments Französisch als Sprache der Republik die offizielle Amtssprache ist. Auch auf La Réunion wird sie daher in allen wichtigen Bereichen des öffentlichen Lebens, wie zum Beispiel Verwaltung, Politik, Justiz, katholische Kirche, Medien und Bildungswesen, privilegiert angewendet. Doch für die große Mehrheit der Inselbewohner ist Französisch die erlernte Zweitsprache, die sie so gut wie nur im formellen Kontext benutzt. Bedenklich ist in diesem Zusammenhang auch die hohe Analphabetenquote von 23 % auf dem DOM-ROM, wovon 14,8 % Jugendliche sind, gegenüber 3,6 % in der französischen Metropole (vgl. L’illettrisme à la Réunion). Trotz großer Bemühungen um Anerkennung der Kreolsprache wird bis heute darüber debattiert, ob der Kreolunterricht als offizielles Unterrichtsfach eingeführt wird, da viele Kinder bis zur Einschulung ausschließlich diese als minderwertig angesehene Sprache sprechen. Die Jugendlichen sind die Zukunftsträger der Insel und des Sprachwandels. Um eine gute Schulbildung und einen gehobenen Status in der Gesellschaft zu erreichen, muss man daher als Réunionese der französischen Sprache mächtig sein (vgl. Ghasarian 2004: 316f). Viele junge Réunionesen fühlen sich aber durch ihre Sprachdefizite in Französisch insgeheim benachteiligt, denn viele von ihnen haben keine Aussicht auf einen Ausbildungsplatz geschweige denn auf eine Festanstellung (vgl. Loimeier 2010: 76). Die Arbeitslosenquote liegt bei über 30 % der arbeitsfähigen Inselbewohner. Das Überseedepartment La Réunion ist abhängig von der Unterstützung durch die Metropole, sei es durch den Import von Facharbeitern vom französischen Festland, monetär durch Subventionen oder von politischen Entscheidungen (vgl. Quack 2003: 11). Die politische Macht liegt in den Händen Frankreichs. So auch die Entscheidung Frankreichs, die europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen bis heute nicht zu ratifizieren, im Gegensatz zu zahlreichen europäischen Staaten .
Der französische Bildungsminister erinnerte bei seinem zweitägigen Besuch auf La Réunion im August 2019 daran, dass Französisch die Sprache der Republik ist und wichtige öffentliche Zusammenkünfte deshalb auf Französisch abgehalten werden. Doch er versicherte mit Nachdruck, dass dies keine Verdrängung der Kreolsprache bedeutet. Aus seiner Sicht ist das Kreolisch sehr wichtig und die Anerkennung der kreolischen Sprache stellt demnach kein Problem dar. Ganz im Gegenteil, man werde die Lehre der Kreolsprache an Schulen forcieren und alle bestehenden Kontroversen beseitigen (vgl. Blanquer 2019: franceinfo). Seine Stellungnahme macht Hoffnung, dass sich zumindest in der Bildungspolitik und im Schulwesen der Réunionesen in naher Zukunft Reformen ergeben.
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- Quote paper
- Anonymous,, 2020, Die Sprachenvielfalt auf La Réunion. Die Bedeutung der kreolischen Sprache für die Inselbewohner, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1020790