Die vorliegende Arbeit untersucht die journalistische Debatte um die Unterbrechung und Wiederaufnahme des Spielbetriebs in der 1. und 2. Bundesliga. Mithilfe einer Medieninhaltsanalyse wurde die Berichterstattung von drei großen deutschen Zeitungen im Zeitraum vom 13. März 2020 bis zum 15. Mai 2020 untersucht. Ziel war es, einen Überblick über den thematischen Schwerpunkt und die argumentative Ausrichtung der Artikel zu erhalten. Darüber hinaus wurden die einzelnen Zeitungen auf Boulevardisierungsmerkmale und daraufhin untersucht, inwieweit Nachrichtenwerte für die Nachrichtenauswahl der Journalisten relevant erscheinen.
Im Januar 2020 erreicht die COVID-19-Pandemie Deutschland, wodurch das gesellschaftliche Leben nahezu zum Erliegen kam. Selbst der Profifußball musste seinen Spielbetrieb für einige Zeit einstellen. Es war das erste Mal in der Geschichte der Menschheit, dass die Auswirkungen eines Virus auf den professionellen Sportbetrieb so intensiv in den Medien behandelt wurden. Die Analyse ergab, dass thematisch vor allem Informationen im Vordergrund stehen, die organisatorische oder finanzielle Aspekte der Situation in den Vordergrund rücken. Bei den Argumenten ist die Stimmung zwischen Befürwortern und Kritikern der Unterbrechung und Wiederaufnahme des Spielbetriebs ausgeglichen. Die Bedeutung der finanziellen Situation von Vereinen und Spielern ist auch hier deutlich sichtbar, da deren monetäre Notlage das mit Abstand stärkste (Pro-)Argument insgesamt ist. Auch die Gesundheit wird in verschiedenen Facetten intensiv als (Contra-)Argument genutzt, während die Sorgen der Fans erstaunlich wenig Beachtung finden. Die Berichterstattung hat den Fußball stärker als üblich mit politisch und gesellschaftlich relevanten Themen verknüpft. Die üblichen Boulevardisierungsmerkmale fanden sich in der untersuchten Boulevardzeitung in gewohntem Umfang. Die Nachrichtenfaktoren weichen teilweise deutlich von den im normalen Spielbetrieb zu beobachtenden Nachrichtenfaktoren ab, wobei die Zeitungen während der Unterbrechung und Wiederaufnahme der Fußballspiele der 1. und 2. Bundesliga Negativität, Kontroverse, Unsicherheit und Eindeutigkeit relativ stark gewichteten.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Ziel der Arbeit und Forschungsfragen
1.2 Aufbau der Arbeit
1.3 Relevanz des Themas
2 Die COVID-19 Pandemie
2.1 Coronaviren
2.2 Der Übertragungsweg von COVID-19 und die Implikationen für Fußballstadien als potentielle Übertragungsorte
2.3 Der Beginn der COVID-19 Pandemie in China und ihr Verlauf
2.4 Der Verlauf der COVID-19-Pandemie in Deutschland bis zum 16. Mai
2.5 Die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf Fußball-Großveranstaltungen weltweit
3 Die Nachrichtenwerttheorie
3.1 Der journalistische Selektionsprozess als Untersuchungsgegenstand
3.2 Nachrichtenfaktoren
3.3 Nachrichtenwert
3.4 Das Prognosepotential der Nachrichtenwerttheorie
3.5 Kausal- und Finalmodell der Nachrichtenwerttheorie
3.6 Historische Entwicklung der Nachrichtenwerttheorie
3.6.1 Walter Lippmanns „Public Opinion“
3.6.2 Einar Östgaards Faktorenkomplexe
3.6.3 Galtungs & Ruges ausdifferenzierter Nachrichtenfaktorenkatalog
3.6.4 Winfried Schulz‘ empirische Nachrichtenwertforschung
3.7 Die Nachrichtenwerttheorie in der Sportberichterstattung
4 Boulevardjournalismus und Boulevardisierung
4.1 Begriffseinordnung Boulevardisierung vs. tabloidization
4.2 Die Boulevardisierung
4.3 Der Boulevardjournalismus
4.4 Merkmale von Boulevardjournalismus und Boulevardisierung
4.5 Die Boulevardisierung in der Sportberichterstattung
5 Forschungsdesign – Standardisierte Medieninhaltsanalyse
5.1 Bestimmung der Untersuchungseinheiten
5.2 Bestimmung des Untersuchungsgegenstands
5.3 Bestimmung des Untersuchungszeitraums
5.4 (Intracoder-) Reliabilitätsüberprüfung
6 Forschungsergebnisse
6.1 Auswertung der formalen Kategorien
6.1.1 Medium
6.1.2 Umfang der Artikel
6.1.3 Platzierung der Artikel auf der Seite
6.1.4 Anzahl der Bilder
6.1.5 Text/Bild Verhältnis
6.1.6 Journalistische Darstellungsformen
6.2 Auswertung der inhaltlichen Kategorien
6.2.1 Themendimension Leistung
6.2.2 Themendimension Ethik
6.2.3 Themendimension Kommerzialisierung
6.2.4 Themendimension Fans
6.2.5 Themendimension Organisation
6.2.6 Themendimension Gesundheit
6.2.7 Themendimension Human Interest
6.2.8 Frei erfasste Themen
6.2.9 Argumente Pro Bundesliganeustart
6.2.10 Argumente Contra Bundesliganeustart
6.2.11 Dauer
6.2.12 Zeitform
6.2.13 Personalisierung
6.2.14 Elite/Prominenz
6.2.15 Persönlicher Einfluss
6.2.16 Kontroverse
6.2.17 Überraschung
6.2.18 Ungewissheit
6.2.19 Schaden
6.2.20 Erfolg/Misserfolg
6.2.21 Faktizität
6.2.22 Eindeutigkeit
7 Beantwortung der Forschungsfragen
7.1 Welche thematischen Schwerpunkte wurden gesetzt?
7.2 Welche Argumentationen wurden besonders häufig verwendet?
7.3 Gab es Unterschiede hinsichtlich der Aufmachung und Beurteilung zwischen Boulevard-Erzeugnissen und Qualitätsmedien?
7.4 Welche Nachrichtenfaktoren waren besonders ausgeprägt?
8 Methodenkritik
9 Fazit
Literaturverzeichnis
Codebuch.
Abstract
In January 2019 the COVID-19 pandemic reaches Germany, causing the social life to come to a near standstill. Even professional soccer had to stop its game operations for some time. This is the first time in human history that the impact of a virus on professional sports operations has been so intensively dealt with in the media. This paper therefore examines the journalistic debate on the interruption and resumption of match operations in the 1st and 2nd Bundesliga. With the help of a media content analysis, the reporting of three major German newspapers in the period from 13.03.2020 to 15.05.2020 was examined. The aim was to get an overview of the thematic focus and the argumentative direction of the articles. Furthermore, the individual newspapers were examined for boulevardisation features and the extent to which news values appear relevant for news selection of journalists. The analysis showed that thematically, the main focus is on information that puts organizational or financial aspects of the situation in the spotlight. In terms of arguments, the mood is balanced between advocates and critics of the interruption and resumption of match operations. The importance of the financial situation of clubs and players is again clearly visible here, as their monetary plight is by far the strongest (Pro) argument overall. Health is also used intensively as a (Con) argument in various facets, while the concerns of the fans receive surprisingly little attention. The coverage has linked soccer more strongly than usual with issues relevant to politics and society. The common tabloidization features were found to an usual extent in the boulevard newspaper that was examined. The news factors sometimes deviate significantly from the news factors to be observed during normal match operations, and the newspapers gave relatively strong weight to negativity, controversy, uncertainty and unambiguity during the interruption and resumption of the 1st and 2nd Bundesliga soccer matches. This can often be explained by the peculiarities and characteristics of this unusual situation, because a pandemic of this scale and the resulting restrictions on sport and social life logically generates uncertainties, controversial positions and a rather negative underlying mood.
Abkürzungsverzeichnis
COVID-19 Coronavirus Disease 2019
CoVs Coronaviren
DFL Deutsche Fußball Liga
FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung
MERS-CoV Middle East Respiratory Syndrome Coronavirus
RKI Robert Koch-Institut
RNA Rribonucleic Acid
SARS-CoV Severe Actue Respiratory Syndrome Coronavirus
SARS-CoV-2 Severe Acute Respiratory Syndrome Coronavirus 2
SSE Superspreading-Events
WHO World Health Organization
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Kausalmodell der Nachrichtenwerttheorie
Abbildung 2: Finalmodell der Nachrichtenwerttheorie
Abbildung 3: Thematische Einordnung der Pressefelder
Abbildung 4: Anzahl der codierten Artikel pro untersuchtem Medium
Abbildung 5: Durchschnittliche Anzahl relevanter Artikel pro Ausgabe
Abbildung 6: Durchschnittlicher Umfang eines Artikels im Verhältnis zur Gesamtseite
Abbildung 7: Aufteilung der Zeitungsseite in Quadranten
Abbildung 8: Verortung der Artikel nach Quadranten in Prozent
Abbildung 9: Durchschnittliche Anzahl an Bildern pro Artikel
Abbildung 10: Text/Bild Verhältnis
Abbildung 11: Verteilung journalistischer Darstellungsformen Gesamt
Abbildung 12: Verteilung journalistischer Darstllungsformen BILD
Abbildung 13: Verteilung journalistischer Darstellungsformen FAZ
Abbildung 14: Verteilung journalistischer Darstellungsformen ZEIT
Abbildung 15: Relativer Anteil von Artikel, welche die Themendimension Leistung beinhalten
Abbildung 16: Relative Verteilung der Kategorien innerhalb der Themendimension Leistung
Abbildung 17: Relativer Anteil von Artikeln, welche die Themendimension Ethik beinhalten
Abbildung 18: Relative Verteilung der Kategorien innerhalb der Themendimension Ethik
Abbildung 19: Relativer Anteil von Artikeln, welche die Themendimension Kommerzialisierung beinhalten
Abbildung 20: Relative Verteilung der Kategorien innerhalb der Themendimension Kommerzialisierung
Abbildung 21: Relativer Anteil von Artikeln, welche die Themendimension Fans beinhaltet
Abbildung 22: Relative Verteilung der Kategorien innerhalb der Themendimension Fans ..
Abbildung 23: Relativer Anteil von Artikeln, welche die Themendimension Organisation beinhaltet
Abbildung 24: Relative Verteilung der Kategorien innerhalb der Themendimension Organisation
Abbildung 25: Relativer Anteil von Artikeln, welche die Themendimension Gesundheit beinhalten
Abbildung 26: Relative Verteilung der Kategorien innerhalb der Themendimension Gesundheit
Abbildung 27: Relativer Anteil von Artikeln, welche die Themendimension Human Interest beinhalten
Abbildung 28: Relative Verteilung der Kategorien innerhalb der Themendimension Human Interest
Abbildung 29: Relative Verteilung der Kategorien innerhalb der frei erfassten Themen
Abbildung 30: Verteilung der Pro-Argumente über alle drei Zeitungen
Abbildung 31: Durchschnittliche Anzahl der Pro-Argumente je Artikel, aufgeteilt nach Zeitungen
Abbildung 32: Relative Häufigkeit der Pro-Argumente nach Zeitungen
Abbildung 33: Verteilung der Contra-Argumente über alle drei Zeitungen
Abbildung 34: Durchschnittliche Anzahl der Contra-Argumente je Artikel, aufgeteilt nach Zeitungen
Abbildung 35: Relative Häufigkeit der Contra-Argumente nach Zeitungen
Abbildung 36: Verteilung Nachrichtenfaktor Dauer
Abbildung 37: Nachrichtenfaktor Zeitform
Abbildung 38: Nachrichtenfaktor Personalisierung
Abbildung 39: Nachrichtenfaktor Elite/Prominenz
Abbildung 40: Nachrichtenfaktor persönlicher Einfluss
Abbildung 41: Nachrichtenfaktor Kontroverse
Abbildung 42: Nachrichtenfaktor Überraschung
Abbildung 43: Nachrichtenfaktor Ungewissheit
Abbildung 44: Nachrichtenfaktor Schaden
Abbildung 45: Nachrichtenfaktor Erfolg/Misserfolg
Abbildung 46: Nachrichtenfaktor Faktizität
Abbildung 47: Nachrichtenfaktor Eindeutigkeit
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Ausgewählte Ereignisse im Vorfeld der Pandemieerklärung der WHO
Tabelle 2: Numerische und prozentuale Verteilung der Platzierung der Artikel
Tabelle 3: Numerische und prozentuale Verteilung der Platzierung der Artikel
1 Einleitung
Im Dezember 2019 berichtete die Volksrepublik China der World Health Organization (WHO) erstmals offiziell von einer neuartigen Lungenkrankheit in der Stadt Wuhan. Dieses Virus mit dem Namen COVID-19 (Coronavirus Disease 2019), welches bei schweren Krankheitsverläufen oft zu letalen respiratorischen Insuffizienzen, in diesem speziellen Fall SARS-CoV-2 (Severe Acute Respiratory Syndrome Coronavirus 2) führt (Lai, Shih, Ko, Tang, & Hsueh 2020, S. 1 ff.), wurde am 11. März 2020 von der WHO zur Pandemie erklärt. Der Ausruf des Pandemiezustandes ging mit der dringenden Aufforderung an alle Staaten einher, sofortige Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus zu ergreifen. Ein Charakteristikum vom COVID-19 ist die leichte Übertragung durch Aerosole (kleinste Schwebteilchen in der Luft) (Evans, 2020, S. 2). Dies führt dazu, dass ohne einen Impfstoff die Isolation von Verdachtsfällen und Risikogruppen sowie die soziale Distanzierung der Bevölkerung die effektivsten Maßnahmen zur Eindämmung sind (Anderson, Heesterbeek, Klinkenberg & Hollingsworth, 2020, S. 931 ff.). Aus diesem Grund wurden bis Ende März 2020 in mehr als 100 Ländern die Grenzen ganz oder teilweise geschlossen, auch das sonstige gesellschaftliche Leben wurde meist bis auf das Nötigste (Nahrungsmittel- und Gesundheitsversorgung) beschränkt (Lazzerini & Putoto, 2020, S. 641 f.). Im Zuge dieser Maßnahmen wurden auch Sportveranstaltungen in nahezu allen betroffenen Ländern flächendeckend abgesagt, denn Großveranstaltungen beeinflussen die Zahl der COVID-19-Infizierten und tragen nachweislich zur Verbreitung von Infektionskrankheiten bei (Parnell, Widdop, Bond & Wilson, 2020, S. 2). Während die Chinesische Super League schon am 30. Januar 2020 abgebrochen wurde, geschah dies außerhalb von Asien das erste Mal am 28. Februar 2020 in der Schweiz durch die Unterbrechung jeglicher Fußballligen. Am 13. März unterbrach schließlich auch die DFL ihren Spielbetrieb. Diese Pandemie ist aber in ihrer Auswirkung nicht etwa wegen ihrer verheerenden gesundheitlichen Folgen so besonders. Die Menschheit ist während ihrer heute bekannten Historie schon häufig von tödlichen Pandemien heimgesucht worden (z. B. die Beulenpest von 1347-1351, die Pocken ab 1520 oder die spanische Grippe 1918-1919) (vgl. Huremović, 2019). Vielmehr ist es die heutige Zeit mit ihrer globalisierten Industrie- und Finanzwelt, dem weltweiten Reiseverkehr und der enormen Masse an Berichterstattungen durch traditionelle und soziale Medienformate, die diese Pandemie so besonders macht. Es ist inzwischen zur Normalität geworden, dass Experten1, Journalisten und andere Personen aus unterschiedlichsten Bereichen wie Wirtschaft, Ökologie, Psychologie und Politik journalistische Inhalte über die sozialen, kulturellen und sozioökonomischen Auswirkungen von COVID-19 produzieren. Und während sich bei vergangenen Pandemien kaum jemand Gedanken darüber machen musste, ob und wie etwaige Sportveranstaltungen abgehalten werden können, haben sich journalistische Inhalte bei COVID-19 erstmals in der Geschichte der Menschheit so intensiv mit den Auswirkungen eines Virus auf den professionellen Sportbetrieb beschäftigt. Auch in Deutschland ist medial viel und intensiv über die erzwungene Abstinenz des Nationalsports Fußball diskutiert worden. Die Untersuchung der journalistischen Auseinandersetzung mit der Unterbrechung und Wiederaufnahme des Spielbetriebs der 1. und 2. Fußball-Bundesliga ist nicht nur aufgrund der Einzigartigkeit der Situation interessant. Vielmehr könnte eine Untersuchung des journalistischen Tenors neben der ersten systematischen Abbildung dieser Debatte möglicherweise auch einen indirekten Aufschluss über die zugeschriebene Bedeutung des Fußballs in der deutschen Gesellschaft geben. Es könnten außerdem Unterschiede in Argumentation und Tenor der verschiedenen Medienangebote aufgezeigt werden, die wiederum Rückschlüsse über die allgemeine Ausrichtung oder Agenda des jeweiligen Mediums bieten könnten. Diese Arbeit beschäftigt sich deshalb mithilfe einer inhaltsanalytischen Untersuchung mit der deutschen Printberichterstattung zur Unterbrechung und Wiederaufnahme des Spielbetriebs der 1. und 2. Fußball-Bundesliga.
1Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit wird in dieser Arbeit die Sprachform des generischen Maskulin bei personenbezogenen Substantiven und Pronomen verwendet. Dies soll keine Benachteiligung aufgrund des Geschlechts implizieren, sondern ist im Sinne der sprachlichen Vereinfachung als geschlechtsunabhängig zu verstehen.
1.1 Ziel der Arbeit und Forschungsfragen
Ziel dieser Arbeit ist es, die Berichterstattung zur Unterbrechung und Wiederaufnahme der 1. und 2. Fußball-Bundesliga aufgrund der COVID-19-Pandemie auf systematische Weise abzubilden. Dabei fokussiert sich diese Arbeit nur auf die Berichterstattung in deutschen Zeitungen. Die übergeordnete Idee ist es, durch eine Medieninhaltsanalyse zunächst die übermittelten Botschaften anhand allgemeiner Kriterien zu beschreiben. Dadurch ist es möglich, die unterschiedlichen Quellen miteinander zu vergleichen, eine mögliche Veränderung der Berichterstattung aufzuzeigen und den medialen Diskurs mitsamt dessen Standpunkten, Schwerpunkten und möglichen Defiziten zu analysieren (vgl. Rössler, 2005, S. 24 ff.). Daraus ergeben sich die folgenden Forschungsfragen:
(1) Welche thematischen Schwerpunkte wurden gesetzt?
(2) Welche Argumentationen wurden besonders häufig verwendet?
Neben diesen beschreibenden Zielen sollen aus den gewonnen Daten außerdem Inferenzschlüsse auf die soziale Wirklichkeit gezogen werden. Einerseits soll untersucht werden, ob sich die Positionierung der Kommunikatoren, also in diesem Fall der Zeitungen, zu diesem Thema nachweislich unterscheiden, je nachdem ob es sich um Boulevard- oder Qualitätsmedien handelt. Diese Unterschiede könnten aufgrund von Boulevardisierung und unterschiedlichen Blattlinien auftreten. Daraus wird folgende Forschungsfrage abgeleitet:
(3) Gab es Unterschiede hinsichtlich der Aufmachung und Beurteilung zwischen Boulevard-Erzeugnissen und Qualitätsmedien?
Ein weiteres Ziel dieser Arbeit besteht darin heraus zu finden, welche Merkmale des übergeordneten Ereignisses „COVID-19-Pandemie und Unterbrechung und Wiederaufnahme des Bundesliga-Spielbetriebs“ besonders ausschlaggebend dafür waren, dass Journalisten in Printmedien darüber berichteten. Dies soll auf Grundlage der Nachrichtenwerttheorie durch die Untersuchung der Nachrichtenfaktoren herausgefunden werden, was zu folgender Forschungsfrage führt:
(4) Welche Nachrichtenfaktoren waren besonders ausgeprägt?
1.2 Aufbau der Arbeit
Die Arbeit beginnt mit dem einleitenden Kapitel, welches durch eine Einführung in die thematische Problemstellung, die Erläuterungen der Ziele, der Forschungsmethodik, der Forschungsfragen und der Relevanz der Untersuchung die Grundlage für die darauffolgenden theoretischen und analytischen Teile bildet. Das zweite Kapitel gibt eine Übersicht über zentrale Begriffe, theoretische Konzepte und zeitgeschichtliche Hintergründe, welche für die Untersuchung und Auswertung der Arbeit sowie die Beantwortung der Forschungsfragen unabdingbar sind. Es folgt der methodisch-analytische Teil, der nach der Beschreibung der Untersuchungs- und Methodenkonzeption die Ergebnisse sowie deren Auswertung darlegt. Diese Ergebnisse werden dann interpretiert und mit den Forschungsfragen verknüpft, um diese beantworten zu können. Es folgt eine Methodenkritik und ein abschließendes Fazit. Das vollständige Codebuch mit Codieranweisungen und Kategoriensystemen befindet sich im Anhang.
1.3 Relevanz des Themas
Die Untersuchung der vorangegangen Forschungsfragen ist sowohl auf praktischer als auch auf theoretischer Ebene von Relevanz. Auf praktischer Ebene wird durch die Analyse für Funktionäre, Vereine und andere Stakeholder der Bundesliga aufgezeigt, was die Zeitungen als Diskussionsschwerpunkte zu diesem Thema berichtet haben. Durch ihre Funktion als Gatekeeper und dem langfristigen Agenda-Setting von Printmedien bestimmen diese in gewissem Maße nachweislich den öffentlichen Diskurs (Eichhorn, 1996, S. 144). Ein Überblick über die Bewertung der Presse würde deshalb eine gute Bewertungsgrundlage der Krisenkommunikation für beteiligte Akteure liefern. Diese Erkenntnisse sind nicht nur für die noch aktuelle Krise von Nutzen. Einige Wissenschaftler sind der Auffassung, dass es aufgrund der aktuellen Lebensweise und den Konsumgewohnheiten der Menschen keine Frage ist, ob ein neues verheerendes Virus vom Tier auf den Menschen überspringt, sondern wann (vgl. Cheung et al., 2007, S. 10411; Greger, 2007; Montomoli & Trombetta, 2014, S. 213). Das Wissen um den Diskussionstenor und die daraus ableitbaren Erfolge und Fehler in der externen Kommunikation könnten also auch helfen, die Krisenkommunikation für mögliche zukünftige Unterbrechungen des Spielbetriebes zu optimieren. Auf theoretisch-wissenschaftlicher Ebene bietet die Untersuchung ebenfalls unterschiedliche Erkenntnispotentiale. Zum einen bietet die Anwendung der Nachrichtenwerttheorie die Möglichkeit zu überprüfen, welche Nachrichtenfaktoren in dieser bisher nie da gewesenen Situation und zu diesem neuen Thema für die Nachrichtenselektion der Journalisten besonders wichtig sind. Zum anderen kann sie aufzeigen, ob die häufig festgestellte Tendenz der Boulevardisierung von Sportberichterstattung, welche auch in qualitativ hochwertigen Presseerzeugnissen zu beobachten sind (vgl. Fischer, 1993, S. 42), auch in diesen außergewöhnlichen Ausnahmesituationen eintritt. Zusammengenommen kann diese Arbeit im Optimalfall Aufschluss über gesellschaftlich besonders relevante Themen und Konflikte in Zeiten der COVID-19-Pandemie geben, denn „In diesen symbolischen Aufladungen wird Fußball zu einem ernsten Spiel, in dem stellvertretende zentrale gesellschaftliche Themen und Konflikte ihren Ausdruck finden“ (Klein & Meuser, 2015, S. 8).
2 Die COVID-19-Pandemie
Die folgenden Kapitel beschäftigen sich zunächst mit den Charakteristiken von Coronaviren und COVID-19. Danach wird der Verlauf der COVID-19-Pandemie sowie dessen Auswirkungen auf den Fußball im Allgemeinen dargestellt. Ein grundlegendes Verständnis des Verlaufs und der Übertragungswege der COVID-19-Pandemie ist notwendig, um die Maßnahmen, die für die 1. und 2. Fußball-Bundesliga getroffenen wurden, sowie die Berichterstattungen, die in der Inhaltsanalyse untersucht werden, nachvollziehen und einordnen zu können.
2.1 Coronaviren
Die Familie der Coronaviren (CoVs) ist in der Wissenschaft nicht erst seit dem Auftreten des Erregers SARS-CoV-2 bekannt, für den die WHO den offiziellen Namen COVID-19 (Coronavirus Disease 2019) festgelegt hat. Schon seit den 1960er Jahren sind diese RNA-Viren, also Viren, deren Erbmaterial aus RNA (ribonucleic acid) besteht, in der Literatur zu finden (Weiss, 2020, S.1). CoVs können bei sämtlichen Landwirbeltieren unterschiedlichste Erkrankungen hervorrufen und sind genetisch äußerst variabel. Dadurch entstehen ständig neue Arten von CoVs, die sich in ihrer Übertragbarkeit und in ihren Krankheitsbildern unterscheiden und verändern können (Sahin et al., 2020, S.1). Diese Wandelbarkeit macht CoVs besonders unberechenbar, denn dadurch entstehen immer wieder neue Mutationen von bekannten Viren, welche im besten Fall weniger infektiös und weniger gefährlich sind als die vorherige Art, im schlechtesten Fall jedoch neue Krankheitsbilder, Infektionswege und Wirte hervorbringen. Beim Menschen lösen CoVs in erster Linie Erkrankungen des Atmungssystems aus (ebd.). Neben typischen „Erkältungen“, die etwa zu einem Drittel durch CoVs verursacht werden, gab es auch in der Vergangenheit schon Ausbrüche von CoVs, die schwere Krankheitsbilder beim Menschen erzeugten und durch ihre Infektiosität eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstellten (Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung, 2020). Besonders bekannt ist die SARS-CoV (Severe Actue Respiratory Syndrome Coronavirus) Pandemie aus dem Jahr 2003 und die MERS-CoV (Middle East Respiratory Syndrome Coronavirus) Epidemie aus dem Jahr 2012. Während SARS-CoV seit 2004 als ausgerottet gilt (Yardley, 2005), wird MERS-CoV noch immer als aktiv angesehen (World Health Organisation, 2020a). Bei der MERS-CoV-Epidemie verzeichnet die WHO bisher 2494 gemeldete Infizierte und 858 Tote in 27 Ländern (World Health Organization, 2020b). Die COVID-19-Pandemie steht (Stand: 01.07.2020) bislang bei 10.185.374 bekannten Infektionen und 503.862 Todesfällen in 213 Ländern (World Health Organisation, 2020c).
2.2 Der Übertragungsweg von COVID-19 und die Implikationen für Fußballstadien als potentielle Übertragungsorte
COVID-19 ist die Infektionskrankheit, die durch eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 auftritt. Laut Robert Koch Institut (2020c) sind die häufigsten Symptome Husten, Fieber, Schnupfen, Lugenentzündungen und Störungen des Geschmacks- und/oder Geruchssinns. Die Inkubationszeit liegt im Mittel bei fünf bis sechs Tagen, kann sich aber insgesamt zwischen einem bis 14 Tagen bewegen. Infizierte sind während der gesamten Zeit der Erkrankung, auch bei Verläufen ohne Symptome, potentielle Überträger der Krankheit. Der Hauptübertragungsweg für SARS-CoV-2 ist die Aufnahme von virushaltigen Flüssigkeitspartikeln über die Atemwege. Dabei können besonders kleine Partikel, sogenannte Aerosole (kleiner als 5 µm), die beim Atmen, Husten, Sprechen, Singen, Schreien oder Niesen entstehen, über einen langen Zeitraum in der Luft schweben (abhängig von Faktoren wie Luftbewegung, Luftfeuchtigkeit und Temperatur). Asadi et al. (2019, S. 2 ff.) konnten feststellen, dass sich der Aerosolausstoß von sprechenden Menschen mit zunehmender Lautstärke deutlich erhöht, weshalb besonders beim Singen und Schreien eine hohe Aerosolbelastung der Luft zu erwarten ist. Außerdem ist die Wahrscheinlichkeit einer Exposition mit Aerosolen im Umkreis von bis zu zwei Meter um die Infizierte Person oder in schlecht belüfteten Räumen deutlich erhöht. Da in Fußballstadien tausende, zeitweise laut singende oder schreiende, Menschen mit kaum Abstand zueinander zusammenkommen, sind sie potentiell sehr gut geeignete Orte für sog. „Superspreading-Events“ (SSE), also Ereignisse, bei denen sich sehr viele Menschen in sehr kurzer Zeit infizieren (vgl. Robert Koch Institut, 2020c). Ein anschauliches Beispiel für ein solches SSE in Fußballstadien stellt das Champions League Spiel zwischen Atalanta Bergamo und dem FC Valencia vom 19. Februar 2020 dar. Für die kleine norditalienische Stadt Bergamo (120.000 Einwohner) war es eines der größten Spiele in der Vereinsgeschichte, weshalb die Spielstätte aufgrund des großen Zuschauerinteresses in das größere San Siro Stadion in Mailand verlegt wurde. Dieses Spiel hatte maßgeblichen Anteil daran, dass die Region Bergamo zu den am stärksten von COVID-19 betroffenen Regionen Italiens wurde.
„The official attendance was 45.792, meaning that a third of Berga-mo’s population, with around 30 busses, travelled from Bergamo to Milan and then wandered the streets of Milan before the game. […] As Atalanta scored four goals, a third of Bergamo’s population was hugging and kissing in the cold weather four times and spent the day closely together. This is likely why it became the worst-hit region of Italy by some distance.“ (Rudan, 2020, S.4)
Gefüllte Fußballstadien müssen dementsprechend aufgrund der großen Menschenansammlungen auf engstem Raum und der starken Aerosolemissionen, etwa durch Fangesänge oder Torjubel, als potentielle Orte für SSE angesehen werden.
2.3 Der Beginn der COVID-19-Pandemie in China und ihr Verlauf
Im Dezember 2019 berichtete die Volksrepublik China der WHO erstmals offiziell von einer neuartigen Lungenkrankheit in der Stadt Wuhan, welche einige Zeit später als Erreger SARS-CoV-2 bekannt wurde. Zu Beginn gab es starke Diskrepanzen zwischen den besorgniserregenden Bildern von kranken Menschen und verwaisten Straßenzügen, die vor allem in sozialen Netzwerken geteilt wurden, und den offiziellen Angaben der chinesischen Behörden. Es wurden schnell Zweifel hinsichtlich der Richtigkeit offizieller chinesischer Daten über die tatsächlichen Auswirkungen von COVID-19 laut, denn diese zeichneten ein eher ungefährliches Bild der Lage in Wuhan (Fitzgerald & Wong, 2020, S. 4). Erst Wochen nach dem Höhepunkt der gemeldeten Infektionen in Wuhan wurden die Daten der Todesfälle nach oben korrigiert, was eine Anpassung der Ausbreitungs- und Mortalitätsmodelle zur Folge hatte (He, Li, Dehner & Dunn, 2020, S. 10 f.). Trotz der Kritik an der chinesischen Regierung wegen der ungenauen Angaben zu Infektions- und Todeszahlen haben die lokalen und nationalen Regierungsorganisationen bis dato beispiellose Maßnahmen ergriffen, um der Ausbreitung des Virus Einhalt zu gebieten (Chen, Yang, Yang, Wang & Bärnighausen, 2020, S. 764 f.). Ein großes Problem war, dass das chinesische Neujahrsfest und das damit verbundene erhöhte inländische Reiseaufkommen die Gefahr einer großflächigen Ausbreitung in ganz China massiv erhöhte. Die Feiertage wurde daraufhin für die Provinz Hubei bis zum 10. März 2020 verlängert, sodass die Dauer des Urlaubs ausreichend lang gewesen wäre, um die vermutete Inkubationszeit von COVID-19 (10-14 Tage) vollständig abzudecken. Eine Ausreisekontrolle wurde schon am 23. Januar 2020 durch eine Reisebeschränkung ersetzt, die alle Reisen in die Stadt und aus der Stadt Wuhan komplett untersagten. Ähnliche Maßnahmen wurden kurze Zeit später auf die gesamte Provinz Hubei ausgeweitet. In Wuhan wurden strikte Auflagen zur physischen Distanzierung eingeführt. Schulen, Universitäten, Regierungsstellen, öffentliche Gebäude und Fabriken wurden geschlossen. Der öffentliche Nahverkehr wurde, mit Ausnahme einiger zentraler Knotenpunkte, komplett stillgelegt (ebd.). Die Regierung versuchte außerdem durch intensive Informationskampagnen das Bewusstsein der Bevölkerung für den Ernst der Lage zu schärfen. Erkrankte, Verdachtsfälle und Kontaktpersonen wurden äußerst streng isoliert und kontrolliert. Die chinesische Bevölkerung in Wuhan verließ ihre Behausungen nur noch in begründeten Ausnahmesituationen und mit Mund-Nasenschutz. Diese strengen und konsequenten Maßnahmen wurden zwar durch die Negativschlagzeilen bezüglich der ungenauen bzw. falschen Informationen der Infektionszahlen und Todesfälle oft in den Hintergrund gedrängt. Nichtsdestotrotz hatten diese Maßnahmen einen erheblichen Anteil daran, dass COVID-19 sich nicht noch schneller und stärker über den gesamten Globus ausbreiten konnte. Chen et al. (2020, S. 765) schreiben dazu:
„As for COVID-19 in China, this combination of an outbreak-control closure period for social distancing and a range of accompanying epidemic control measures seems to have prevented new infections, especially in provinces other than Hubei […]. China's vigorous, multifaceted response is likely to have prevented a far worse situation.“
Die Maßnahmen der chinesischen Regierung, also die soziale Distanzierung, die Isolation von Verdachtsfällen und Infizierten zur Unterbrechung der Infektionskette, das Verbot großer Menschenansammlungen und das Tragen eines Mund-Nasenschutz in öffentlichen Räumen, gelten deshalb auch nach jetzigem Stand der Forschung als einziges probates Mittel der Eindämmung und Verhinderung von COVID-19 Ausbrüchen, bis ein wirksamer Impfstoff flächendeckend verfügbar ist. Eine sog. Herdenimmunität durch flächendeckende Infektion ist aufgrund der zu erwartenden hohen Sterblichkeit und den langfristigen gesundheitlichen Folgeschäden von Genesenen keine annehmbare Option. Zudem ist eine langfristige Immunität nach überstandener COVID-19 Infektion noch nicht nachgewiesen (Saleem & Sharma, 2020, S. 58 f.). Trotz aller Bemühungen konnte nicht verhindert werden, dass sich COVID-19 von China aus auf der ganzen Welt ausbreitete. Immer mehr heimkehrende Flugreisende aus China wurden positiv auf COVID-19 getestet (Pana et al., 2020, S.12). Die nachfolgende Tabelle zeigt dabei den weltweiten Ansteckungsverlauf bis zur Pandemieerklärung durch die WHO.
Tabelle 1: Ausgewählte Ereignisse im Vorfeld der Pandemieerklärung der WHO (Fitzgerald & Wong, 2020, S.11)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.4 Der Verlauf der COVID-19-Pandemie in Deutschland bis zum 16. Mai 2020
Die erste bekannte COVID-19-Infektion in Deutschland wird am 27. Januar 2020 in Bayern festgestellt (Bundesministerium für Gesundheit, 2020). Mutmaßlich steckte sich der 33-Jährige eine Woche zuvor bei einer aus Shanghai eingeflogenen Teilnehmerin einer firmeninternen Schulung an, an der er ebenfalls teilgenommen hatte (Rothe et al., 2020, S. 970). Die Gefahr für die deutsche Bevölkerung wird von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und dem Robert Koch-Institut (RKI) jedoch zunächst als gering eingeschätzt (Bundesministerium für Gesundheit, 2020). Während die Mitarbeiter des Unternehmens, von denen 13 weitere ebenfalls mit COVID19 infiziert sind, isoliert werden und das Unternehmen für einige Tage geschlossen wird, treten in den folgenden Tagen und Woche weitere Infektionen in ganz Deutschland auf (Robert Koch Institut, 2020a, S. 3). Es wird zunehmend schwerer, die Ursprünge der Infektionen und die Infektionsketten nachzuverfolgen. Am 29. Februar 2020 wird mit der internationalen Tourismus-Börse die erste Großveranstaltung abgesagt. Am 8. März 2020 wird bekannt, dass es den ersten Todesfall durch COVID-19 in Deutschland zu verzeichnen gibt. Viele Bürger beginnen Lebensmittel, Medikamente und Hygieneartikel zu horten, wodurch es kurzzeitig zu Engpässen bei diesen Produkten kommt. Am 10. März 2020 gibt der Krisenstab der Bundesregierung die Empfehlung, alle Großveranstaltungen mit mehr als 1000 erwarteten Teilnehmern abzusagen. Einen Tag später ruft Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Mithilfe der Bevölkerung auf, die Ausbreitung von COVID-19 zu verlangsamen, um das Gesundheitssystem nicht zu überlasten. Rückkehrer aus Ländern mit vielen COVID-19 Fällen (z. B. Italien, Schweiz oder Österreich) werden aufgefordert, sich in eine freiwillige häusliche Quarantäne zu begeben (Bundesministerium für Gesundheit, 2020). Am 13. März 2020 gibt die DFL bekannt, den Spielbetrieb der 1. und 2. Bundesliga vorerst einzustellen. In den meisten Bundesländern werden Schulen und Kitas geschlossen, an den deutschen Grenzen werden vermehrt Einreisekontrollen durchgeführt und ein Einreiseverbot tritt in Kraft. Das Auswärtige Amt spricht eine weltweite Reisewarnung aus. Am 22. März 2020 wird eine bundesweite Ausgangs- und Kontaktbeschränkung beschlossen. Aufenthalte im Freien sind dadurch nur noch mit maximal zwei Personen oder mit Personen aus dem eigenen Haushalt erlaubt. Am 6. April führt die Stadt Jena eine Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasenschutzes in Geschäften und öffentlichem Nahverkehr ein. Wenig später tritt die Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasenschutzes bundesweit in Kraft. Diese Maßnahmen werden von der Bevölkerung größtenteils gut angenommen und umgesetzt, wodurch die Neuinfektionen im April unter den kritischen Wert von einer Neuinfektion pro Infizierter Person fallen (Robert Koch Institut, 2020b, S. 10 f.). Daraufhin treten am 20. April erste kleinere Lockerungen der Schutzmaßnahmen in Kraft, welche vor allem den Einzelhandel betreffen. Das Einkaufen in Geschäften von bis zu 800 Quadratmetern wird wieder erlaubt. In einigen Bundesländern wird der Schulbetrieb schrittweise wieder aufgenommen. Wenig später werden auch weitere öffentliche Einrichtungen wie Spielplätze, Museen und Kirchen wieder geöffnet. Anfang Mai beginnen Bürger erstmals öffentlich gegen die bisher geltenden Beschränkungen zu demonstrieren. Etwa zeitgleich werden die Kontaktverbote in den meisten Bundesländern wieder gelockert. Am 16. Mai 2020 nimmt die Fußball-Bundesliga ihren Spielbetrieb unter Ausschluss von Zuschauern wieder auf.
2.5 Die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf Fußball-Großveranstaltungen weltweit
China reagierte als erstes auf die Ansteckungsgefahr, die von Fußball-Großveranstaltungen mit hoher Zuschauerbeteiligung ausging. Die Chinesische Super League wurde am 30. Januar 2020 abgebrochen. Zu diesem Zeitpunkt gab es in ganz China 9.692 offiziell bestätige Infektionen und 213 Todesfälle (Tovar, 2020, S. 4). Erst drei Wochen Später reagierten mit Kuwait (24. Februar 2020) und Japan (25. Februar 2020) andere Länder mit der Einstellung sämtlicher Fußballligen auf die Ansteckungsgefahr durch COVID-19. Als erstes Land außerhalb Asiens unterbrach die Schweiz am 28. Februar 2020 alle Fußballligen im Land. Bis Anfang März hatten damit lediglich vier Länder weltweit den Fußballbetrieb unterbrochen bzw. abgesagt (ebd. S. 4). Während viele Regierungen zwar Anfang März schon mit unterschiedlichsten Maßnahmen auf die schnelle Verbreitung von COVID-19 reagierten, haben vor der Pandemieerklärung der WHO am 11. März 2020 nur fünf weitere nationale Fußballverbände ihre Wettbewerbe unterbrochen (Thailand, Iran, Italien, Österreich und Portugal). Erst nach der Pandemieerklärung der WHO wurden innerhalb von einer Woche in 105 weiteren Ländern, darunter auch Deutschland, sämtliche Profifußball-Veranstaltungen abgesagt. Außerdem wurden im gleichen Zeitraum von den entsprechenden Kontinentalverbänden die Verschiebung der Europameisterschaft, der südamerikanischen Copa Américato und der Afrikameisterschaft angekündigt, welche alle für das Jahr 2020 angesetzt waren. Dabei wird deutlich, dass die meisten Fußballorganisationen nicht zu einer präventiven Einstellung des laufenden Betriebes bereit waren, solange keine offizielle Bestätigung des Pandemiegeschehens vorlag und sie dadurch zum Handeln gezwungen waren (vgl. ebd. S. 5).
3 Die Nachrichtenwerttheorie
Die Nachrichtenwerttheorie dient in dieser Arbeit als wichtige theoretische Grundlage für die Beantwortung der Forschungsfragen und der Entwicklung des inhaltsanalytischen Untersuchungskonzeptes. Die folgenden Kapitel geben deshalb einen Überblick über die Grundkonzepte dieser Theorie, ihre Entwicklungsgeschichte und ihre Anwendbarkeit auf die Sportberichterstattung.
3.1 Der journalistische Selektionsprozess als Untersuchungsgegenstand
Die Nachrichtenwerttheorie entwickelte sich aus der Beobachtung heraus, „dass massenmediale Berichterstattung niemals ein Abbild der Wirklichkeit sein kann, sondern stets als Selektion […] begriffen werden muß.“ (Loosen, 1998, S. 29) Die Auswahl von Themen und Ereignissen ist eine journalistische Notwendigkeit, denn die große Anzahl an Meldungen von Nachrichtenagenturen, Themen, Recherchen und Ereignissen lassen sich aufgrund von mangelndem Platz (Zeitungen) oder fehlender Sendezeiten (Rundfunk) gar nicht vollständig und getreu der journalistischen Prinzipien gewissenhaft aufgearbeitet veröffentlichen (Maier, Retzbach, Glogger, Stengel, 2018, S. 13). Deshalb muss journalistischen Aussagen immer ein Selektionsprozess vorangestellt sein. Durch diesen Selektionsprozess entscheidet sich, über welche Ereignisse in welchem Ausmaß berichtet wird. Mit der Zeit hat sich aufgrund dieses journalistischen Auswahl-Dilemmas ein ganzes Forschungsfeld entwickelt, die sogenannte Nachrichtenselektionsforschung. Innerhalb dieses Forschungsfeldes haben vor allem drei Ansätze größere Relevanz erlangt: Der Gatekeeping-Ansatz, der News-Bias-Ansatz und eben die Nachrichtenwerttheorie. Während der Gatekeeping- und der News-Bias-Ansatz eher die strukturellen Gegebenheiten und individuellen Präferenzen der Journalisten bei der Nachrichtenselektion in den Vordergrund stellen, werden bei der Nachrichtenwerttheorie die Ereigniseigenschaften für die Nachrichtenselektion verantwortlich gemacht (Maier et al., 2018, S. 142). Trotz dieser unterschiedlichen Schwerpunkte sind diese drei Ansätze nicht als sich gegenseitig ausschließende Konzepte zu betrachten (Loosen, 1998, S. 30). „Es erscheint als sinnvoller, davon auszugehen, dass in einem so komplexen Prozess wie die Nachrichtenberichterstattung vielfältige Ursachen wirksam sind“ (Schulz, 1990, S. 34). Da in dieser Arbeit jedoch ausschließlich die Nachrichtenwerttheorie als Untersuchungsgegenstand verwendet wird, befassen sich die folgenden Darstellungen auch nur explizit mit dieser Theorie.
3.2 Nachrichtenfaktoren
Jedes Ereignis hat einen bestimmten Nachrichtenwert, welcher wiederum durch bestimmte Merkmale, die sog. Nachrichtenfaktoren, bestimmt wird. „Je mehr Nachrichtenfaktoren eine Nachricht aufweist, umso größer ist ihr Nachrichtenwert […]. Neben der Zahl der Nachrichtenfaktoren hat auch ihre Intensität einen Einfluss auf den Nachrichtenwert einer Meldung.“ (Kepplinger, 2008, S. 3245). Die Nachrichtenfaktoren beschreiben also konkrete Ereignismerkmale, welche Journalisten bei der Entscheidung über die Berichterstattungswürdigkeit von Ereignissen maßgeblich beeinflussen (Maier et al., 2018, S. 18). Es existiert eine Vielzahl von unterschiedlichen Arbeiten, die verschiedene Auflistungen von Nachrichtenfaktoren darlegen und überprüfen (vgl. Kapitel 3.6).
3.3 Nachrichtenwert
Die Begriffe „Nachrichtenfaktoren“ und „Nachrichtenwert“ wurden anfänglich in der Medienwissenschaft beinahe synonym verwendet, ehe Schulz (1990) diese beiden Begriffe auseinander differenzierte (Maier et al., 2018, S. 19). Während die Nachrichtenfaktoren lediglich bestimmte Ereignismerkmal beschreiben, werden ihre Kombination und ihre Intensität zu einem gesamten Wert, nämlich dem Nachrichtenwert, zusammengefasst, anhand dessen sich die journalistische Beachtung eines Ereignisses mit formalen Maßzahlen beschreiben und vergleichen lässt. Da die Nachrichtenwerttheorie die Nachrichtenauswahl also versucht „anhand von Merkmalen der für die Publikation ausgewählten Ereignisse zu erklären“ (Maier et al., 2018, S. 32), wird sie auch als ereignisbezogener Ansatz bezeichnet.
3.4 Das Prognosepotential der Nachrichtenwerttheorie
Das Prognosepotential des Nachrichtenwertes als Maßzahl ist insofern eingeschränkt, als es einer genauen Kenntnis des relativen Einflusses jedes einzelnen Nachrichtenfaktors auf den gesamten Nachrichtenwert benötigen würde, um valide Aussagen zum Aufmerksamkeitspotential eines Ereignisses zu machen. Der relative Einfluss der Nachrichtenfaktoren unterscheidet sich jedoch je nach Medium und Redaktion. Beispielsweise sind für eine Sportredaktion andere Nachrichtenfaktoren wichtig, als für ein Wissenschaftsmagazin. Bestimmte Nachrichtenfaktoren haben bei unterschiedlichen Redaktionen bzw. unterschiedlichen Medien also stets anders gewichtete Einflüsse auf die Publikationsentscheidung. Es bedarf also eines spezifischen Wissens, sowohl über die Nachrichtenfaktoren eines Ereignisses als auch der medienspezifischen- bzw. journalistenspezifischen Nachrichtenwerte, um die Nachrichtenwerttheorie als Prognoseinstrument verwenden zu können (vgl. „Zwei-Komponenten-Theorie“, z. B. Kepplinger & Weißbecker, 1991, S. 330; Kepplinger & Bastian, 2000, S. 463 ff.; Kepplinger & Ehming, 2006, S. 28). Die Forschung dazu ist jedoch noch nicht ausgereift (Maier et al., 2018, S. 20).
3.5 Kausal- und Finalmodell der Nachrichtenwerttheorie
Es existieren zwei Modelle innerhalb der Nachrichtenwerttheorie, welche die journalistischen Selektionsentscheidungen auf unterschiedliche Weise beschreiben. Das Kausalmodell geht davon aus, dass die Nachrichtenauswahl als eine unmittelbare und kausale Reaktion auf die Nachrichtenfaktoren der entsprechenden Ereignisse zu verstehen ist (Maier et al., 2018, S.20).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Kausalmodell der Nachrichtenwerttheorie (Maier et al., 2018, S. 21)
Das Finalmodell hingegen betrachtet die Nachrichtenauswahl nicht mehr als unmittelbare Reaktion auf die Nachrichtenfaktoren, sondern versteht sie als zielgerichtete Handlungen (Staab, 1990, S. 93 ff.). Journalisten würden demnach Ereignisse nicht nur wegen ihrer Eigenschaften auswählen. Vielmehr würden sie Ereignissen bestimmte Eigenschaften bewusst zuschreiben oder besonders hervorheben, um dem jeweiligen Beitrag mehr Gewichtung zu verleihen (ebd, S. 98).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Finalmodell der Nachrichtenwerttheorie (Maier et al., 2018, S. 21)
Die Nachrichtenfaktoren dienen nach dem Finalmodell also nicht als bloße Arbeitsroutine von Journalisten, anhand derer sie ihre Auswahlentscheidung treffen. Vielmehr können diese Faktoren als allgemeine kognitionspsychologische Mechanismen betrachtet werden. Denn die Nachrichtenfaktoren sind auch entscheidend dafür, wie das Publikum die Nachrichten rezipiert und in Erinnerung behält. Journalisten nehmen die Reaktionen und Bedürfnisse des Publikums wahr und lassen deshalb in ihre Auswahlentscheidung einfließen, welche Nachrichtenfaktoren für das aktuelle Publikum wichtig zu sein scheinen (Maier et al., 2018, S. 26 f.) Die Nachrichtenwerttheorie kann deshalb auch einen gewissen Aufschluss über gesellschaftliche Rezeptionspräferenzen geben.
3.6 Historische Entwicklung der Nachrichtenwerttheorie
Durch die Betrachtung der wichtigsten Meilensteine in der Entstehung und Weiterentwicklung der Nachrichtenwertforschung werden die Vor- und Nachteile dieser Theorie ersichtlich. Außerdem wird die Entwicklung, Systematisierung und Ausdifferenzierung verschiedenster Nachrichtenfaktoren deutlich, welche, angepasst auf den hier verwendeten Untersuchungsgegenstand, einen wichtigen Teil dieser Arbeit darstellen.
3.6.1 Walter Lippmanns „Public Opinion“
Der amerikanische Publizist Walter Lippmann beschäftigte sich in seinem Buch „Public Opinion“ (1922) erstmals mit Kriterien für die Publikationswürdigkeit von journalistischen Meldungen. Lippmanns Grundüberlegung war, dass Journalisten die komplexe Wirklichkeit unmöglich mit all ihren Feinheiten erkennen und wiedergeben können und deshalb zwangsläufig auf Stereotype und standardisierte Entscheidungsprozesse zurückgreifen müssen (Staab, 1990, S. 40 ff.). Er geht davon aus, dass es bestimmte Kriterien geben muss, die Ereignisse erfüllen müssen um von den Journalisten und Redakteuren als publikationswürdig eingestuft zu werden. Im Zusammenhang mit dieser Publikationswürdigkeit erwähnt er mehrfach den Begriff „news value“ (Maier et al., 2018, S. 30). und ist damit der Wegbereiter für die Nachrichtenwertforschung. Die Publikationswürdigkeit resultiert für Lippmann also aus dem Vorhandensein verschiedener Ereignisaspekte, die in Form von Stereotypen das Interesse der Rezipienten auf sich ziehen, Emotionen erzeugen oder Identifikationsmöglichkeiten bieten sollen (Staab, 1990, S. 41). Deshalb benennt er zehn Kriterien (Lippmann benutzt nicht den Begriff „Nachrichtenfaktor“) von Ereignissen, die deren Nachrichtenwert maßgeblich beeinflussen sollen (vgl. Staab, 1990, S. 41 ff.):
- Überraschung & Sensationismus à Die Ungewöhnlichkeit eines Ereignisses
- Etablierung à Der Bezug des Ereignisses zu bereits behandelten Themen
- Dauer à Die zeitliche Rahmung des Ereignisses
- Struktur à Die Verständlichkeit des Ereignisses
- Relevanz, Schaden und Nutzen à Die persönlichen Konsequenzen des Ereignisses auf den Rezipienten
- Institutioneller Einfluss und Prominenz à die Beteiligung einflussreicher oder bekannter Personen
- die Entfernung des Ereignisortes zum Verbreitungsgebiet eines Mediums (räumliche Nähe)
Dabei lassen sich die verschiedenen Aspekte aufsummieren. Ein erhöhtes Vorkommen der Kriterien erhöht dementsprechend auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Medien über das entsprechende Ereignis berichten. Während sich amerikanischen Autoren schon kurz nach Lippmanns Pionierarbeit, meist auf Grundlage individueller Beobachtungen, mit der Frage der journalistischen Themenauswahl und den zugrundeliegenden Faktoren beschäftigten, begann die empirisch-sozialwissenschaftliche Forschung in Europa zur Nachrichtenwerttheorie erst in den 1960er Jahren (Maier et al., 2018, S. 31 f.). In dieser Arbeit wird sich im Folgenden nur auf die europäische Forschung beschränkt, da diese teilweise als Grundlage der hier vorgenommenen Untersuchung dient.
3.6.2 Einar Östgaards Faktorenkomplexe
Östgaard (1965) begründete mit seinem theoretischen Aufsatz „ Factors influencing the flow of news“ die europäische Forschungstradition zur Nachrichtenwerttheorie, indem er als erster Wissenschaftler verschiedene Nachrichtenfaktoren mit einem komplexen theoretischen Konzept verknüpfte (vgl. Loosen, 1998, S. 31). Der Friedensforscher wollte damit die Gründe für die Verzerrung des Nachrichtenflusses, etwa durch wirtschaftliche und politische Faktoren (extern) (Östgaard, 1965, S. 40 ff.) oder dem Nachrichtenprozess inhärente Faktoren (intern), welche die Nachrichten für Rezipienten interessant machen, aufzeigen. Die Publikationswürdigkeit von Ereignissen wird demnach von diesen internen Nachrichtenfaktoren determiniert. Östgaard konkretisiert dabei drei Faktorenkomplexe, die nach seiner Ansicht entscheidend für die Selektion und Rezeption von Nachrichten sind (ebd., S. 45 ff.):
1. Simplification
Nachrichtenmedien bevorzugen einfache Inhalte. Einerseits werden deshalb einfache Nachrichten komplexen vorgezogen, andererseits werden komplexe Zusammenhänge zu möglichst einfache Strukturen reduziert.
2. Identification
Durch die Möglichkeit der Identifikation wird bei Rezipienten eine Aufmerksamkeitserhöhung erreicht. Solche Möglichkeiten der Identifikation sind abhängig von der zeitlichen, geographischen und kulturellen Nähe des berichteten Ereignisses, vom Status etwaiger im Bericht vorkommender Nationen sowie von jeglicher Form der Personifizierung.
3. Sensationalism
Aufmerksamkeitserhöhung der Rezipienten durch dramatische, erregende, bedrohliche oder anderweitig emotionale Ereignisse.
Östgaard geht davon aus, dass die Hürde für eine Publikation eines Ereignisses, welche er als „news barrier“ bezeichnet, in dem Moment überwunden ist, in dem diese drei Faktoren in Summe gut genug angesprochen wurden. Spätere Nachrichten zum selben Thema haben es danach aufgrund ihrer Kontinuität deutlich einfacher, diese Nachrichtenbarriere zu überspringen und in den Schlagzeilen zu landen (ebd., S. 51).
3.6.3 Galtungs & Ruges ausdifferenzierter Nachrichtenfaktorenkatalog
Die von Östgaard vorgeschlagenen Faktorenkomplexe wurden noch im gleichen Jahr von den norwegischen Landsleuten Johan Galtung und Mari Holmboe Ruge (1965) systematisch ausdifferenziert. Dabei stützen sich die Forscher vor allem auf wahrnehmungspsychologische Erkenntnisse von Berelson und Steiner (1964) (vgl. Maier et al., 2018, S. 31), indem sie davon ausgehen, dass der Mechanismus der gesellschaftlichen Informationsverarbeitung vergleichbar ist mit dem der menschlich-psychologischen Wahrnehmung: „Since we cannot register everything, we have to select, and the question is what will strike our attention. This is a problem in the psychology of perception […].“(Galtung & Ruge, 1965, S. 65) Ihren ausdifferenzierten Nachrichtenfaktorenkatalog unterteilen sie in zwölf Faktoren, von denen die ersten acht unabhängig vom Kulturkreis der produzierten Nachrichten sind und die letzten vier aus ihrer Sicht eher auf den westlichen Kulturkreis zutreffen (ebd., S. 65 ff.):
1. Frequenz
2. Schwellenfaktor der Intensität
3. Eindeutigkeit
4. Bedeutsamkeit
5. Konsonanz
6. Überraschung
7. Kontinuität
8. Variation
9. Betroffenheit von Elitenationen
10. Betroffenheit von Elitepersonen
11. Personalisierungsgrad
12. Negativität
Dabei betonen sie, dass sie den Großteil ihres Nachrichtenfaktorenkatalogs nicht auf empirischen Daten, sondern auf logischen Schlussfolgerungen aufbauen: „They are nothing but common sense perception psychology translated into […] event-scanning activities.“ (ebd., S. 65) Galtung und Ruge machen sich außerdem auch Gedanken über die verschiedenen Interaktionen und das Zusammenwirken der von ihnen vorgeschlagenen Nachrichtenfaktoren. Dazu stellen sie fünf Hypothesen auf (Galtung & Ruge, 1965, S. 71 ff., zit. nach Staab, 1990, S. 62 f.):
1. Die Selektions-Hypothese: Je mehr Nachrichtenfaktoren in einem Ereignis wahrgenommen werden, desto wahrscheinlicher wird dieses Ereignis zu einer publizierten Nachricht.
2. Verzerrungs-Hypothese: Der für die Publikationswürdigkeit wichtigste Nachrichtenfaktor wird besonders hervorgehoben.
3. Wiederholungs-Hypothese: Die Prozesse der Selektions- und Verzerrungshypothesen finden auf jeder Stufe des Nachrichtenerstellungs- und Rezeptionsprozesses statt und wiederholen sich dementsprechend mehrfach.
4. Additivitäts-Hypothese: Je höher die tatsächliche Anzahl der Nachrichtenfaktoren in einem Ereignis, desto wahrscheinlicher wird dieses Ereignis zu einer publizierten Nachricht.
5. Komplementaritäts-Hypothese: Wenn einer der Nachrichtenfaktoren in einem Ereignis schwach ausgeprägt ist, dann muss ein anderer Nachrichtenfaktor dafür stärker ausgeprägt sein, damit das Ereignis zu einer publizierten Nachricht wird.
Die Arbeit von Galtung und Ruge konstituiert bis heute „die Grundelemente aller nachfolgenden Arbeiten auf diesem Gebiet.“ (Loosen, 1998, S. 31). Die Leistung der Autoren liegt dabei aber nicht in der empirischen Herleitung, wie auch Schulz (1990, S. 19) hervorhebt:
„Die wenigen Befunde stehen in keinem Verhältnis zu Umfang und Reichweite der entworfenen Theorie. Dennoch ist die Theorie wegen ihrer Plausibilität, ihres Informationsgehalts, ihrer Systematik und empirischen Überprüfbarkeit der bisher bedeutendste Beitrag auf dem Gebiet der Nachrichtenforschung überhaupt. Die Arbeit von Galtung/Ruge hat eine Reihe von weiteren Untersuchungen angeregt und insbesondere dazu geführt, dass das Problem der Nachrichtenselektion in einem neuen Licht gesehen wurde.“
3.6.4 Winfried Schulz‘ empirische Nachrichtenwertforschung
Den Mangel an empirisch verwertbarem Datenmaterial zur Nachrichtenwertforschung nimmt der deutsche Sozialwissenschaftler und Nachrichtenforscher Winfried Schulz zum Anlass, selbst eine umfassende Inhaltsanalyse zu journalistischen Nachrichten in Deutschland durchzuführen (Schulz, 1976). Dabei berücksichtigt er Nachrichten zum innerdeutschen und internationalen Politikgeschehen und bezieht zudem auch unpolitische Nachrichten (welche nicht unter Spezialressorts fallen) mit in seine Untersuchung ein. Schulz kommt so auf insgesamt 18 Nachrichtenfaktoren, welche wiederum auf sechs Dimensionen aufgeteilt sind (Schulz, 1990, S. 32 ff., zit. nach Loosen, 1998, S. 33):
1. Dimension Zeit: Dauer, Thematisierung
2. Dimension Nähe: Räumliche, politische und kulturelle Nähe, Relevanz
3. Dimension Status: Regionale und nationale Zentralität, persönlicher Einfluss, Prominenz
4. Dimension Dynamik: Überraschung, Struktur
5. Dimension Valenz: Konflikt, Kriminalität, Schaden, Erfolg
Um den Erklärungsbeitrag einzelner Nachrichtenfaktoren für die Nachrichtenauswahl der Journalisten herausfinden zu können, nutzt Schulz erstmals auch multivariate Analyseverfahren. Die Ergebnisse fasst Loosen (1998, S. 33) wie folgt zusammen:
„Zeitlich kurzfristige Ereignisse mit räumlicher, politischer und kultureller Nähe (in Beziehung zum Ereignisland und dem Sitz der Redaktion, welche die Ereignisse zu Nachrichten verarbeitet), mit stark ausgeprägten Status-, Dynamik und Valenzfaktoren und die ein hohes Maß an Identifikation ermöglichen, haben die besten Chancen, zu einer Nachricht zu werden.“
Schulz reagiert außerdem auf eine methodologische Kritik des Schweden Karl Erik Rosengren (1970). Dieser hat angemerkt, dass man von einer empirischen Überprüfung der reinen Medienberichterstattung nicht auf die Kriterien der Nachrichtenauswahl der Journalisten schließen dürfe, denn dazu bedürfe es auch einer Betrachtung der tatsächlichen, und nicht nur der berichteten Ereignisse. Schulz lehnt diese Kritik insofern ab, als es seiner Meinung nach keine objektive „Realität an sich“ (Schulz, 1990, S.25) gäbe, mit der man die Mediendarstellungen vergleichen könne.
3.7 Die Nachrichtenwerttheorie in der Sportberichterstattung
Loosen (1998, S. 53 ff.) fasst in ihrer Arbeit zunächst Studien und Werke von anderen Wissenschaftlern zusammen, die sich mit der Einbindung der Nachrichtenwerttheorie in den Sportkontext beschäftigt haben. Dabei stellt sie fest, dass prinzipiell davon auszugehen ist, dass Nachrichtenfaktoren bei der Auswahl von sportbezogenen Ereignissen eine ähnlich große Relevanz besitzen, wie bei den vielfach untersuchten politischen Themenkomplexen. Loosen stellt dabei besonders die auf die Sportberichterstattung ausgelegten Nachrichtenfaktoren von Josef Hackforth (1987) (Leistung, Erfolg, Nationalismus, Identifikation, Prominenz und Konflikt) und Peter Becker (1983) (Nähe, Rekorde und Siege, Konflikte und Aktion, Personalisierung und Human Interest) heraus, welche einen deutlichen Bezug zu den klassischen Nachrichtenwertforschungen von Galtung und Ruge, Östgaard und Schulz aufweisen, ohne jedoch die Übertragung dieser Nachrichtenfaktoren auf einen anderen Berichterstattungsgegenstand ernsthaft zu reflektieren (Loosen, 1998, S. 55). Loosen entwickelt schließlich für ihre Untersuchung einen eigenen Faktorenkatalog, welcher den klassischen Nachrichtenfaktorenkatalog hinsichtlich des Untersuchungsgegenstandes der Sportberichterstattung modifiziert, um so eine „zweckmäßig - empirisch realisierbare - Adaption zwischen den bisherigen Befunden aus Untersuchungen zur Sportberichterstattung und denjenigen zur Nachrichtenwerttheorie zu erreichen.“ (ebd. S. 78). Dieser beinhaltet folgende Gruppen und Faktoren (ebd. S. 78 ff.):
- Zeitstruktur:
- Dauer, Zeitform, Thematisierung
- Identifikation und räumliche Nähe:
- Personalisierung und Ethnozentrismus
- Personalisierung/Hintergrund
- Prominenz (Elite) und persönlicher Einfluss
- Räumliche Nähe
- Relevanz
- Dynamik
- Kontroverse
- Überraschung
- Ungewissheit
- Negativismus
- Schaden
- Regelwidrigkeit
- Erfolg/Misserfolg
- Komplexität
- Eindeutigkeit
- Faktizität
Loosen kommt in ihrer Untersuchung schlussendlich zu dem Ergebnis, „dass die Nachrichtenwerttheorie auch für die Sportberichterstattung konstruktive Theorie- und Empirieangebote bereithält.“ (ebd. S. 199)
[...]
- Citar trabajo
- Anónimo,, 2020, Die 1. und 2. Fußball-Bundesliga in der COVID-19-Pandemie. Berichterstattung zur Unterbrechung und Wiederaufnahme, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1020410
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