Die Hausarbeit thematisiert das Konzept der Lebenswelt von Alfred Schütz anhand markanter Eckpfeiler und bezieht dieses auf das Figurationsmodell von Norbert Elias. Mit Blick auf zentrale Überschneidungen, Ähnlichkeiten, aber auch Abgrenzungspunkte beider Konzepte bzw. Modelle, werden im späteren Verlauf die Besonderheiten der Postmoderne respektive der postmodernen Soziologie bestimmt.
Inhaltsverzeichnis
1. Aufgabenstellung
2. Vom Individuum zur Gesellschaft: das Konzept der (inter-)subjektiven Lebenswelt nach A. Schütz und T. Luckmann
3. Das Figurationsmodell im Kontrast zur intersubjektiven Lebenswelt
4. Besonderheiten der Postmoderne bzw. postmodernen Soziologie
Literaturverzeichnis
1. Aufgabenstellung
Der inhaltlichen Vorgabe entsprechend, wird nachfolgend das Konzept der Lebenswelt von Alfred Schütz anhand markanter Eckpfeiler erklärt und dieses auf das Figurationsmodell von Norbert Elias bezogen. Mit Blick auf zentrale Überschneidungen, Ähnlichkeiten, aber auch Abgrenzungspunkte beider Konzepte bzw. Modelle, sollen im späteren Verlauf die Besonderheiten der Postmoderne respektive der postmodernen Soziologie bestimmt werden.
2. Vom Individuum zur Gesellschaft: das Konzept der (inter-)subjektiven Lebenswelt nach A. Schütz und T. Luckmann
Alfred Schütz gilt als der Begründer der „phänomenologischen Soziologie“, welche sich der Objektivierung menschlicher Bewusstseinsprozesse und der Bedeutung dieser für die „intersubjektive Kommunikation“ verschrieben hat(Preglau 1997: 67; Krämer 2000: 3). Grundannahme dieser Soziologie ist, dass der sozialen Wirklichkeit eine besondere Struktur innewohnt, welche aus „,subjektivem Sinn‘ gesponnen ist, also einen ,sinnhaften Aufbau‘ besitzt“(Preglau 1997: 67). Alle unsere Wahrnehmungen, unbedeutend ob von Gegenständen, sozialen Interaktionen oder Gesellschaft, sind nicht das konkrete Abbild von Beschaffenheit, Struktur und Inhalt der betrachteten Objekte, sondern ein subjektives Konstrukt vorhandener Vorprägungen(vgl. Schürlein u. Brunner 1994: 14-16). Schütz widmet sich diesen „(inter-)subjektiven Voraussetzungen“ alltäglicher „Sinndeutungs- und Sinnsetzungsprozesse“ der kulturellen Alltagswelt(Preglau 1997: 68). Ausgehend vom Individuum beleuchtet er, wie das Subjekt „in ,natürlicher Einstellung‘ [und der „im verfügbaren Wissen gespeicherten Typik“] seine Erfahrungswelt wahrnimmt“(ebd.: 73). Eine zentrale Rolle spielen hierbei, neben sozial-biografisch entwickelter, ständig wachsender Lebenserfahrung und dem Wissen um menschliche Wechselwirkungen, die von Schütz als „Relevanzen“ bezeichneten Interpretations- und Deutungssysteme(vgl. Preglau 1997: 73-75; Schütz 1971: 10).
Nach Ansicht von Schütz und Luckmann stoßen Individuen in ihrer subjektiven Alltagswelt allerdings auch an Grenzen und verschiedenartige Transzendenzen. Die Konfrontation mit Transzendenz, quasi dem „nicht Erfahrbaren“ und jenseits des Gegenständlich liegenden, übersteigt das Vermögen der erfahrungsbasierten Einordnung(vgl. Schütz u. Luckmann 1984: 140). Die „Schranken der Erfahrung“ können, je nach Transzendenz, besser oder schlechter durch das Individuum unter Zuhilfenahme von deutungs- und handlungsunterstützenden Hilfsmitteln überwunden werden. Während „kleinen Transzendenzen“ des Alltags mit zunehmendem Erfahrungs- und Handlungswissen begegnet werden kann, können andere Wirklichkeiten wie Schlaf, Traum, Ekstase, Krisen und Tod, die als „große Transzendenzen“ gelten, nur mittels abweichenden Bewusstseinszustände überschritten werden(ebd.: 139-161).
Die mittleren Transzendenzen kennzeichnen die Barrieren zwischen dem Individuum und seinen Mitmenschen. „Jeder Mensch begegnet seinesgleichen“(Preglau 1997: 77)in einer gemeinsamen Umwelt, kann die Grenze zu seinen Mitmenschen dennoch nie gänzlich überschreiten, nur um „das Nichterfahrbare jenseits der Grenze wissen“(Krämer 2000: 9). Dem in seiner Körperlichkeit wahrgenommenen Gegenüber kann zwar anhand individueller Vorerfahrung (oftmals fehlbar) „Inneres“ zugeschrieben werden, eine vollständige Analyse seines Innenlebens ist dagegen unerreichbar. Um diesen Spalt zwischen einzelnen Subjekten zu überbrücken, bedienen sich die Individuen zur gegenseitigen Verständigung eigens geschaffener, intersubjektiver Hilfsmittel(vgl. Schütz u. Luckmann 1984: 151-157). „Aber das Handeln – und damit das Wollen, Fühlen, und Denken – der Anderen [...] [bleibt] ein ständiges Problem der praktischen Hermeneutik des täglichen Lebens“(ebd.: 157).
Schütz stellt sich der Frage, wie Individuen „die Sozialwelt typisieren und soziale Beziehungen in ihr eingehen“(Preglau 1997: 77). Gesamtbetrachtend blickt er mikroperspektivisch vom Individuum in Richtung sozialer Systeme und der Gesellschaft, konträr zu Michel Foucault, der als Vertreter der makrosoziologischen Annäherung u.a. gesellschaftliche Machtbeziehungen und deren Auswirkungen auf das Individuum beobachtet(vgl. Treibel 2006: 56-58).
3. Das Figurationsmodell im Kontrast zur intersubjektiven Lebenswelt
In Abgrenzung zu Alfred Schütz, der die Auslegungs- und Enscheidungsspielräume des Individuums in einer intersubjektiven, transzendentalen und begrenzten Lebenswelt fokussiert, unterstreicht Norbert Elias die zentrale Rolle gesellschaftlicher Verflechtungen für die Individuen(vgl. Baruna 1999: 3). Laut Elias ist es nicht möglich, „den Menschen isoliert zu betrachten“(Frerichs 2014: 26). Elias(1993: 12)beschreibt daher in seinem Figurationsmodell, dass die Gesellschaft und die darunterliegenden „sozialen Gebilde“ aus Individuen bestehen, die „miteinander Interdependenzgeflechte oder Figurationen mit mehr oder weniger labilen Machtbalancen verschiedenster Art bilden“. „Erst die Analyse dieser Figurationen […] [, damit der Blick vom Kollektiv in Richtung der Subjekte, offenbare] die individuellen Handlungs- und Entscheidungsspielräume“(Frerichs 2014: 23). Elias bekräftigt zugleich die Dynamik und Wandlungsfähigkeit der Figurationen und der sie bildenden Individuen, welche eine „relative Autonomie“ und naturgegebene Affektiertheit besitzen. In begrenzter Reichweite verbindet ihn das mit Schütz, der – vor dem Hintergrund der differierenden sowie veränderlichen sozio-kulturellen Formung des Menschen – die Individualität und Mutabilität von Subjekten betont(vgl. Frerichs 2014: 25-26; Preglau 1997: 77). Als Überschneidung von Schütz und Elias ist weiterhin hervorzuheben, dass beide das motivationale menschliche Fundament bewerten – wenn auch aus anderen Blickwinkeln. Während sich Schütz dem Zusammenspiel von „Motivationsrelevanz“ und der Auswahl von Wissensvorräten zur Situationsdeutung widmet, erklärt Elias die Position eines Individuums und die Machtbalance innerhalb von Figurationen inter alia mit inhomogener subjektiver Motivation(vgl. Preglau 1997: 74; Frerichs 2014: 25).
Von Maßgeblichkeit der hiesigen Bezugnahme beider soziologischen Vertreter ist die Interferenz in der Wahrnehmung von Grenzen und Transzendenzen. Nach Schütz(Schütz u. Luckmann 1984: 141)ist die subjektive Alltagswelt von „Schranken der Erfahrung“ und intersubjektiven Hürden geprägt. Elias erkennt wiederrum im gesellschaftlichen Kontext bestimmte Grenzen, denen das Individuum, in Abhängigkeit und Interdependenz innerhalb der Figurationen, unterlegen ist. Fremdzwänge würden dem Subjekt einen Rahmen vorgeben, der in Selbstzwängen mündet, und das dynamische Machtgleichgewicht definiere, je nach Verteilung der Machtpotentiale im Bezugsrahmen der gesellschaftlichen Differenzierung, für das Subjekt eine Dependenz(vgl. Frerichs 2014: 29-31). Elias‘ „Psycho- bzw. Soziogenese“(vgl. Elias 1977: VIII)und die Analyse der Machtverhältnisse offenbart demgemäß gesellschaftliche Grenzen des Individuums, während Schütz indes im makroperspektivischen Lichte intrinsische und intersubjektive Grenzen des Individuums thematisiert.
4. Besonderheiten der Postmoderne bzw. postmodernen Soziologie
Abschließend gilt es, aus der Perspektive der beiden vorgenannten Hauptvertreter, die Charakteristika der Postmoderne respektive der postmodernen Soziologie zu bestimmen. Elias(1977: XXXI-XXXII)typisiert moderne Gesellschaften mit ihrem „Tempo und Ausmaß des Fortschritts“, ihrer Schnelllebigkeit und der „gesellschaftlichen Differenzierung […] durch die fortschreitende Funktionsteilung und […] Ausweitung von Interdependenzketten“(Frerichs 2014: 31). Die prägende Homogenität, Klassenstruktur und Rollenverteilung moderner Industriegesellschaften pluralisierte sich zusehends hin zur „Risikogesellschaft“ der Spätmoderne, die freizügiger, selbstbestimmter und vielschichtiger erscheint(vgl. Preglau 1997a: 281-287).
Das „unendliche Drehen des Hamsterrades“(Baruna 1999: 6)hält die Individuen und die Figurationen in Bewegung, lässt sie aber auch rastlos werden(vgl. Bauman 2003: 39). Wolfgang Welsch(vgl. 1988: 4)beschreibt die Postmoderne als Ordnung „radikaler Pluralität“, in der gesellschaftliche Vielfalt, individuelle Lebensentwürfe, differierende Wissensbestände und Handlungsmuster anerkannt sind. Die Individualität des Einzelnen führt nach Ansicht von Schütz zu größeren Anpassungserfordernissen und Abhängigkeitsverhältnissen innerhalb von Figurationen: desto differenzierter die Verflechtung, desto größer die Notwendigkeit der gegenseitigen Abstimmung und damit der wechselseitigen Abhängigkeit(vgl. Frerichs 2014: 30-32; Elias 1977: XXXII).
De facto hat das von Schütz betrachtete Subjekt in der Postmoderne die historisch bislang größte individuelle Freiheit, gleichzeitig, in Anbetracht der komplexen gesellschaftlichen Verflechtungen, nach Elias die stärkste (Fremd-)Gebundenheit. Ebenjene Problematik illustriert Harvey Brown mit der Spaltung der „personalen Identität“ postmoderner Gesellschaften in zwei Pole: die freie, private Welt der Selbstverwirklichung und die fremdbestimmte, deterministische Welt mit Gebundenheit an Funktionsrollen(vgl. Preglau 1997a: 273). Baumann(2003: 26)unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen „subjektiver und objektiver Freiheit“, „zwischen dem subjektive Bedürfnis nach und dem objektiven Bedarf an Befreiung“. Die großen Fragen der Postmoderne bleiben weiterhin strittig: Freiheit durch gesellschaftliche Unterwerfung oder durch größtmögliche Emanzipation von der Gesellschaft? Freiheit: Fluch oder Segen? Freiheit oder „Freiheit in Ketten“? (vgl. Bauman 2003: 25, 27-34).
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- Citation du texte
- Jonas Gagelmann (Auteur), 2021, Das Figurationsmodell von Norbert Elias im Kontrast zur (inter-)subjektiven Lebenswelt nach Alfred Schütz, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1020089
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