Inhalt
Einleitung: Was ist das Ich?
1 Ich ist ein anderer
1.1 le vrai je n’est pas moi
1.2 Der Spiegel als Bildner der Ich - Funktion
2 Das Spiegelstadium in der Diskussion
2.1 Die psychoanalytische Konzeption des Bewußtseins
2.2 Der psychoanalytische Bruch mit der Logik
2.3 „Eine Symmetrie, die ihre Seiten verkehrt“ - Die Zeitstruktur der Spiegelidentifikation
3 Das Ich als imaginäre Funktion.
3.1 Das Reale
3.2 Das Imaginäre
4 Die symbolische Ordnung
4.1 Strukturale Linguistik und Psychoanalyse
4.2 Die Ambiguität der sprachlichen Funktionen
4.2.1 Die Entfremdung des Bedürfnisses
4.2.2 Die Enthüllung im Sprechen
Resume: Wenn jemand spricht, wird es hell
Bibliographie
Einleitung: Was ist das Ich?
„Was ist das Ich?“ - Wohl kaum eine andere Fragestellung nimmt in der Philo- sophie der Moderne einen so dominanten Stellenwert ein, wie die Frage des Men- schen nach sich selbst, nach seiner eignen Identität, die sich in der Sprache nicht anders als mit Hilfe der ersten Person Singular, Präsens, Indikativ, Aktiv stellen oder beantworten läßt: „ Wer bin Ich? - Ich bin Ich!“ soviel scheint sicher zu sein, denn als grammatische Form zeichnet sich die erste Person Singular, Präsens, Indikativ, Aktiv durch Immunität gegenüber Referenzirrtümern aus.1 Doch wieviel Gewißheit birgt dieses Ich über die bloße Funktion der grammatikalischen Selbstreferenz hinaus tat- sächlich in sich? Und wie und als was ist das Ich überhaupt zu erfassen oder zu be- greifen? Die Antwort, die René Descartes an der Schwelle zur neuzeitlichen Aufklä- rung auf diese Frage findet, ist im Laufe der Jahrhunderte zu einer Volksweisheit ge- worden: „ cogito, sum “ 2 . Der methodische Zweifel des denkenden Subjekts gilt ihm als finale Bastion subjektiver Authentizität und Identität, als einziger Schutz gegen jenen „allmächtigen und höchst verschlagenen Betrüger“3, der die das Subjekt umgebende Objekt-Welt, als deren Teil Descartes gar den eigenen Körper betrachtet, ebensogut nur vorgaukeln könnte. Im Zweifel nämlich wird das Denken auf sich selbst zurück- geworfen. „Im Akt des Zweifelns bleibt das Denken das Zweifelnde wie zugleich das Bezweifelte.“4 Dies cogito scheint unhintergehbar, und mit Descartes wird das Ich forthin als „Einheit des Bewußtseins“5, als ein Bewußtsein seiner selbst bestimmt, das gegen Täuschung immun und mithin autonom6 zu nennen ist.
Als erste kopernikanische Wende in der Philosophie des Ich, die mit Descartes ihren Anfang genommen hat, gilt die Transzendental - Philosophie Immanuel Kants. Er führt die reflexive Selbstbezüglichkeit des Subjekts über das bloße cogito-sum Descartes hinaus und erklärt sie zur konstitutiven Grundeigenschaft aller Subjekt- Akte schlechthin: Die Reflexivität des Selbst erschöpft sich keineswegs in der reinen Introspektion, sondern sie ist notwendiger Begleiter aller Vorstellung überhaupt. Wie durch eine Maske sind Subjekt und Objekt nur durch sie hindurch zugänglich, denn:
„Das: Ich denke muß alle Vorstellungen begleiten können“7. Wenn aber „das: Ich denke“ alle meine Vorstellungen begleitet, dann ergibt sich notwendig ein Navigati- onsspielraum zwischen jenem Ich denke und den Vorstellungen, die von ihm beglei- tet werden, dann muß es „dasjenige Selbstbewußtsein“ geben, das, „indem es die Vorstellung Ich denke hervorbringt, die alle anderen muß begleiten können, […] von keiner weiteren begleitet werden kann.“8 Das Ich in der Philosophie Kants ist mithin keine ursprüngliche Instanz, sondern „derjenige spontane Akt des Bewußtseins[…], durch den das Subjekt sich als Einheit aller Bewußtseinsvorgänge erkennt.“9 Das Ich ist also eine reflexive Größe, die sich in den Bewußtseinsakten10 konstituiert, die es als das: Ich denke begleitet: „Ich bin mir also des identischen Selbst bewußt, in An- sehung des Mannigfaltigen der mir in den Anschauungen gegebenen Vorstellungen, weil ich sie insgesamt meine Vorstellungen nenne, die eine ausmachen.“11
Seine wohl empfindlichste Verletzung aber erfährt das Ich zu Beginn des zwan- zigsten Jahrhunderts in der psychoanalytischen Theorie Sigmund Freuds. Ausge- hend von seinen Erfahrungen in der Behandlung psychisch Kranker entwickelt Freud ein Modell des psychischen Apparats, demgemäß das Ich weder mit dem Bewußt- sein identisch ist noch als ein souveräner Herrscher seiner selbst gelten darf. Im Ge- genteil, Freud kommt zu dem Schluß, daß das uns als „selbständig, einheitlich, ge- gen alles andere gut abgesetzt“12 erscheinende Ich „ein Trug ist, daß das Ich sich vielmehr nach Innen ohne scharfe Grenze in ein unbewußt seelisches Wesen fort- setzt, […] dem es gleichsam als Fassade dient.“13 Das Ich wird somit in der Theorie Freuds vom Herrscher zu einer bloßen Funktion des psychischen Apparates degra- diert, der - bewegt von den Triebkräften Eros und Destrudo - nicht etwa religiösen oder humanistischen Motiven folgt, sondern den Gesetzen einer Ökonomie, deren Ziel es ist, Lust herbeizuführen und Unlust zu vermeiden. Freud konstatiert: Das Ich ist nicht Herr im eignen Haus.14 Ihm kommt vielmehr lediglich die Funktion eines Vermittlers und Zugangsverwalters zu, der das dem Lustprinzip blind folgende Es mit dem von der Außenwelt oktroyierten Realitätsprinzip in Einklang zu bringen hat. Auch in der Theorie Freuds also ist das Ich keineswegs eine authentische und ursprüngli- che Instanz, denn „ursprünglich war ja alles Es“ und das „Ich ist durch den fortgesetz- ten Einfluß der Außenwelt aus dem Es entwickelt worden“15. Ein Es freilich, das zu diesem frühen Zeitpunkt der Ontogenese ebensogut auch Ich genannt werden kann16. Es und Ich waren mithin Eines, bis die „Anerkennung eines » Drau ß en « , einer Außenwelt“ die „Loslösung des Ich von der Empfindungsmasse“17 erzwang und - faustisch gesprochen - den Geist von seinem Urquell abzog. Seitdem kämpft das Ich „also auf zwei Fronten, es hat sich seiner Existenz zu wehren gegen eine mit Ver- nichtung drohende Außenwelt wie gegen eine allzu anspruchsvolle Innenwelt.“18
Wenngleich der Terminus der Ichspaltung in der Psychoanalyse Freuds einem Krankheitssymptom der Psychose wie des Fetischismus vorbehalten bleibt19, so ge- mahnt doch die konfliktgeladene Mittlerstellung des Ich an eine konstitutive Zerris- senheit des Subjekts, eine innere Spannung, die den Gedanken an eine Spaltung nahelegt.
Gerade diese innere Zerissenheit scheint in den Augen Jacques Lacans dem Ich wesentlich zu sein und veranlaßt ihn mithin zwischen je und moi, einem wahren Subjekt des Unbewußten und dem Ich der Spiegelimago, der bloßen Form mit der das Subjekt sich als infans identifiziert, zu unterscheiden. Als Psychoanalytiker und Psychiater ist es - gleich Freud - auch Lacans Anliegen, das Subjekt vor und zu sich selbst zu bringen, die Spaltung des Ich aufzuheben und die Spannung zu lösen; und gleich Freud sieht auch er in der Sprache - genauer: im Sprechen - die „Via Regia zur Kenntnis des Unbewußten“20. Doch anders als Freud rückt Lacan das Unbewußte als wahres Subjekt in den Mittelpunkt und stellt fest:
Das Ich ist genauso wie ein Symptom strukturiert. Im Innern des Sub- jekts ist es bloß ein privilegiertes Symptom. Es ist das menschliche Symptom par excellence, es ist die Geisteskrankheit des Men- schen.21
Die vorliegende Arbeit möchte den Versuch unternehmen, das Lacansche Szenario der Ontogenese sowie seine Konzeption des psychischen Apparates nach- zuzeichnen. Die beiden ersten Kapitel sind der Darstellung und Diskussion des - für die Ich-Genese zentralen - Spiegelstadiums Lacans gewidmet, das sodann im dritten Kapitel innerhalb der Programmatik Lacans zu situieren sein wird. Das vierte Kapitel stellt die symbolische Ordnung als den sprachlich strukturierten Ort des Ich/je im Un- bewußten vor.
1 Ich ist ein anderer
1.1 le vrai je n’est pas moi
Die Subjekttheorie Jacques Lacans22 setzt an einer Kritik des reflexiven Subjekts an, das seinen Sinn aus sich selbst heraus zu gewinnen sucht, eines sich seiner selbst bewußten Subjekts also, das sich im und als Zentrum seiner selbst wähnt. Lacan sieht
das philosophische cogito im Brennpunkt jener Täuschung, die den modernen Menschen so sicher macht, er selber zu sein in seinen Ungewißheiten über sich selbst, sogar durch jenes Mißtrauen hin- durch, das er seit langem den Fallen der Eigenliebe gegenüber zu hegen gelernt hat.23
Dem Cartesianischen „« cogito ergo sum » ubi cogito, ibi sum “ 24 hält Lacan ent- gegen:
ich denke, wo ich nicht bin, also bin ich, wo ich nicht denke.25 Er zieht jedoch nicht die Evidenz des Cartesianischen cogito an sich in Frage, sondern entwickelt seine Fragestellung aus der darin implizierten Einschränkung, die insoweit gilt, als ich in meinem Sein nur da bin in dem Maße, wie ich denke, daß ich in meinem Denken bin;26
Die Evidenz des cogito gilt folglich nicht für ein Sein-an-sich, sondern ganz not- wendig immer nur für denjenigen Teil dieses Seins, der sich selbst als denkend und im Denken verortet und so als ein Ganzes setzt. Die Psychoanalyse aber - und mit ihr auch Lacan - hat ihr genuines Subjekt stets in den sich bietenden Lücken und Bruchstellen jener Selbstgewißheiten des cogito zu identifizieren getrachtet. Anders als die Subjekt-Philosophie27 begreift sie das Denken nicht allein vom Selbstbewußtsein her und kennt also auch unbewußte Gedanken, ein Denken jenseits des Ich.28 Ihr ist es nicht so sehr darum zu tun zu wissen, ob ich von mir in einer Weise spreche, die dem, was ich bin, konform ist, sondern darum, ob ich, wenn ich darüber spreche, derselbe bin wie der, von dem ich spreche.29
Die Lacansche Subversion des reflexiven Subjekts erschöpft sich somit kei- neswegs in der Annahme, das Ich/moi sei „nur ein Irrtum des ich, […] ein partieller Gesichtspunkt“, dem eine „einfache Bewußtwerdung ausreiche“30, damit die Realität sich entde>Die Hauptsache ist das Umgekehrte, das uns geistig immer präsent sein muß - das Ich ist nicht das ich, ist kein Irrtum […]. Es ist etwas anderes - ein besonderes Objekt innerhalb der Erfahrung des Subjekts. Das Ich ist buchstäblich ein Objekt […].31
Lacan zufolge ist das Subjekt „in Bezug auf das Individuum dezentriert“32, denn der „Kern unseres Wesens koinzidiert nicht mit dem Ich.“33 Ausdrücklich betont er die Notwendigkeit, „das Subjekt nicht mit dem Individuum zu verwechseln“. Denn die „Leistungen des Subjekts“ - im Sinne der Psychoanalyse - „lassen sich keineswegs auf einer Achse situieren, auf der sie, je höher sie ständen, immer mehr mit der Intelligenz, der Vortrefflichkeit, der Perfektheit des Individuums verschmelzen würden.“34 Auch das (wahre) Subjekt der Psychoanalyse im Sinne Lacans wird also nicht vom Selbstbewußtsein her zu denken sein, da
Freud im Menschen das Gewicht und die Achse einer Subjektivität entdeckt hat, die über die individuelle Organisation als Summe indivi- dueller Erfahrungen und sogar als individuelle Entwicklungslinie hi- nausgeht.35
Es muß also zwei Subjekte geben: auf der einen Seite das Subjekt des Individuums, das recht eigentlich ein Objekt ist und dessen konstitutive Eigenschaft darin besteht, sich selbst zu verkennen und schließlich jenes Subjekt, das Freud als „Kern unseres Wesens“ befand36. Dies zweite Subjekt, das Lacan auch das wahre Sub jekt/le sujet veritable nennt, situiert er im Unbewußten:
Ich glaube, im Laufe der zurückliegenden Monate, ja Jahre hinrei- chend akzentuiert zu haben, daß das Unbewußte jenes dem Ich un- bekannte, vom Ich verkannte Subjekt ist, der Kern unseres Wesens, schreibt Freud […], das ich Sie gebeten habe, zur Kenntnis zu neh- men.37
Bewußtsein und Ich - zu diesem Schluß war schon Freud gekommen - sind keineswegs identisch. Zwar charakterisiert Freud das Ich als den durch den „direkten Einfluß der Außenwelt unter Vermittlung von W-Bw [d. i. das System Wahrnehmung- Bewu ß tsein oder das System w; d. V.] veränderten Teil des Es“38, konstatiert jedoch, daß man lernen müsse, sich „von der Bedeutung des Systems Bewußtheit zu eman- zipieren.“39 Denn wenn „man einem Patienten eine seinerzeit von ihm verdrängte Vorstellung […] mitteilt, so ändert dies zunächst an seinem psychischen Zustand nichts.“40 Anders als Freud aber, dessen Bestreben es - gemäß seiner berühmten Formel „Wo Es war, soll Ich werden“41 - war, ins Unbewußte verdrängte Gehalte der Verfügungsgewalt des bewußten Ich wieder zuzuführen und so dem selbstmächti- gen Subjekt zum Sieg zu verhelfen, ist Lacan dieses selbstmächtige, ganzheitliche Subjekt eine bloße Spiegelfechterei - im wahrsten Wortsinne. Er bezeichnet das selbstbewußte Subjekt deshalb mit dem französischen Reflexivpronomen moi/Ich, im Gegensatz zu dem wahren Subjekt des Unbewußten, das er mit je/ich bezeichnet: Denn in der Selbstreferenz, etwa dem Ausdruck „ C ’ est moi “ referiert der Sprecher auf sich selbst wie auf ein Objekt - im Deutschen wörtlich übersetzt: Das ist Ich -, refle- xiv also. Reflektieren aber ist ein metaphorischer Ausdruck und meint nichts anderes als sich spiegeln. Der Sprecher referiert also deiktisch auf sich selbst, ganz so als deute er auf sein Bild im Spiegel. Gerade der Spiegel aber ist nach Ansicht Lacans auch die Geburtsstätte dieses Ich/moi und steht symbolisch für sein Szenario der Ontogenese.
1.2 Der Spiegel als Bildner der Ich - Funktion
„ Die Befangenheit des Subjekts in der Situation gibt die allgemeinste Formel für den Wahnsinn ab, sowohl für den zwischen den Mauern der Asyle wie für den, der mit seinem Lärm und seiner Wut die Erde betäubt. “
(Jacques Lacan, Ecrits)
Ab einem Alter von sechs Monaten - so Lacan - ist das Menschenjunge42 in der Lage, seine eigene Gestalt im Spiegel wahrzunehmen, sein eigenes Bild als sol- ches zu erkennen. Zu diesem Zeitpunkt aber befindet sich der Säugling noch im Sta- dium des infans und ist also der Sprache noch nicht mächtig. Auch die Empfindung der sensorischen und motorischen Einheit ist noch nicht hergestellt, die Partialtriebe streben - noch ungehindert von Einflüssen der Außenwelt, die erst im Begriff ist, sich als Realität für das Kind zu konstituieren - unabhängig voneinander und noch ohne Bindung ihrer Energien an oder durch ein Ich nach Befriedigung: das Menschenjunge befindet sich in einem Stadium vor der Konstitution des Ich/moi. Schon Freud hatte das Ich als „die Projektion einer Oberfläche“43 charakterisiert und gemutmaßt, daß es nicht von Anfang an bestehe, sondern daß es zu seiner Bildung „einer neuen psychi- schen Aktion“44 bedürfe. Die „jubilatorische Aufnahme seines Spiegelbildes durch ein Wesen, das noch eingetaucht ist in motorische Abhängigkeit von Pflege, wie es der Säugling in diesem infans - Stadium ist“45 gilt Lacan als Ausdruck eben dieser psy- chischen Aktion:
vor dem Spiegel ein Säugling, der noch nicht gehen, ja nicht einmal aufrecht stehen kann, der aber […] in einer Art jubilatorischer Geschäftigkeit […] einen momentanen Aspekt des Bildes noch einmal erhaschen will, um ihn zu fixieren.46
Die Begeisterung des Menschenjungen im Angesicht seines eigenen Abbildes im Spiegel gibt Lacan Anlaß zu der These, daß man das Spiegelstadium als eine Identifikation verstehen [kann; d. V.] im vollen Sinne, den die Psychoanalyse diesem Terminus gibt: als eine beim Subjekt durch die Aufnahme eines Bildes ausgelöste Verwand- lung.47
Denn im Spiegel nimmt der im Gefühl der somatischen Desintegration befangene Säugling sich selbst zum ersten Mal als eine körperliche Einheit, als eine in sich geschlossene Form wahr und identifiziert sich mit dieser.
Doch die totale Form des Körpers, kraft derer das Subjekt in einer Fa- ta Morgana die Reifung seiner Macht vorwegnimmt, ist ihm nur als «Gestalt» gegeben, in einem Außerhalb, […] das sie erstarren läßt.48
Das Menschenjunge nimmt also seine senso-motorische Einheit vorweg, die es im eigenen Abbild zwar sieht, aber nicht erlebt. „Das Ich demnach konstituiert sich erst durch die identifikation mit einem Bild, dessen Andersheit zwar übergangen wird in der Konstatierung der Ähnlichkeit, aber weiterhin wirksam bleibt, weil es gerade die Andersheit war, welche die Identifikation motiviert hat.“49 Es identifiziert sich mit- hin dort, wo es nicht ist, nämlich im Spiegel und mit dem, was es noch nicht ist: der ganzheitlichen Form der Körperimago. Diese erste Aufnahme der imaginären Bezie- hung mit einem ganzheitlichen Ich vollzieht sich auf fundamental narzistischer Ebe- ne. Das Ich im Spiegel ist das „Ego des Narziß, der in der Wasseroberfläche sein idealisiertes Bild schaut und in es verliebt ist.“50
Hier schleicht sich die Ambivalenz eines Verkennens (méconnaître) ein, das dem Sich-Kennen (me connaître) wesentlich ist. Denn das Subjekt kann sich […] allein eines Bildes vergewissern, im Moment, wo es ihm gegenübersteht: des antizipierten Bildes, das es sich von sich selber macht in seinem Spiegel.51
Die verlockende Form der Spiegelimago läßt sich Lacan zufolge als „Ideal-Ich“ bezeichnen und ist ihm also „Stamm der sekundären dentifikation“52, die die Auf- nahme einer ersten Beziehung des Kindes zur Umwelt konstituiert, indem das Spie- gelbild libidinös besetzt wird. In der Verkennung des eigenen Zustandes der somato- sensorischen Zerissenheit und der gleichzeitigen triumphalen Setzung des eigenen Abbildes als identisches Objekt der Begierde erfüllt sich der Rimbaudsche Vers „ Ich ist ein anderer “53. Zugleich aber begründet das Spiegelstadium jenen Zirkel von Fas- zination und Aggression, der schon in Ovids „Metamorphoses“ die Beziehung des Jünglings zu seinem Spiegelbild kennzeichnet: „Mein ist, was ich begehre!“54 ruft Narziß dort verzweifelt aus, erkennt sich identisch mit sich selbst und kann doch nicht zu sich gelangen. Allein in der Unbeweglichkeit scheint die Vereinigung mit dem geliebten Bild zum Greifen nahe. Im Greifen nach dem anderen aber bleibt Narziß allein zurück. Die Zerstörung des einen durch den anderen - und somit beider - wird zum letzten Identität versprechenden Ausweg. So pendelt jede Spiegelbeziehung zwischen den Polen der Erstarrung und der Gewalt, ist in ihrem Charakter illusorisch und mithin der Verkennung unterworfen. Lacan charakterisiert die Spiegelbeziehung daher als der Ordnung des Imaginären zugehörig - von der im zweiten Kapitel zu sprechen sein wird. Denn die Körperform situiert die Instanz des Ich/ moi
vor jeder gesellschaftlichen Determinierung […] auf einer fiktiven Linie [..], die das Individuum allein nie mehr auslöschen kann, oder vielmehr: die nur asymptotisch das Werden des Subjekts erreichen wird, wie erfolgreich auch immer die dialektischen Synthesen verlaufen mögen, durch die es, als Ich (je), seine Nichtübereinstimmung mit der eigenen Realität überwinden muß.55
2 Das Spiegelstadium in der Diskussion
2.1 Die psychoanalytische Konzeption des Bewußtseins
Die These von der bildnerischen Wirkung einer Gestalt, einer bloßen Körper- form auf einen Organismus, der zwar zur Wahrnehmung imstande ist, dessen kogni- tive Fähigkeiten aber noch nicht in der Instanz eines Ich versammelt sind, birgt - in philosophischer Hinsicht - eine Aporie. Wenn nämlich auch Lacan den vom Säugling erfahrenen Identifikationsprozeß als eine Verwandlung charakterisiert, also als einen konstitutiven Akt, so ist doch scheinbar eine Instanz am Werke, die das Menschen- junge befähigt, sein Bild im Spiegel als mit sich selbst identisch zu erkennen, ein Be- wußtsein also. Nun wäre vielleicht ein Bewußtsein zumindest philosophisch denkbar, welches sich selbst nicht hat, ein bloßer Wahrnehmungsapparat also, wie Lacan ihn in den Seminaire mit der materialistischen Definition von Bewußtsein nahelegt:
Ich bitte Sie zu beachten […], daß das Bewußtsein sich jedesmal produziert, wenn […] eine Oberfläche gegeben ist dergestalt, daß sie das produzieren kann, was man ein Bild nennt. Das ist eine materia- listische Definition.56
Ein Bewußtsein aber, das sich nicht hat und sich nicht weiß, sich aber gleichwohl als identisch erkennt, ist eine contradictio in adiecto, die Manfred Frank folgendermaßen kommentiert:
Denn wenn wir auch nicht übersehen wollen, daß es Lacan vor allem anderen darum zu tun ist, das Bewußtsein als eine Funktion der Ver- kennung des Unbewußten zu überführen, muß doch in jedem Fall auch noch das verkennende Bewußtsein ein Bewu ß tsein überhaupt sein können. […] Die Maschine aber, von der Lacan uns erzählt, ver- kennt weder sich noch die Welt, weil sie gar nichts kennen kann.57
Frank täuscht sich jedoch. Denn Lacan ist es zu keinem Zeitpunkt darum zu tun, das Bewußtsein als eine verkennende Instanz zu entlarven, weil dem Bewußt- sein - im Sinne der Psychoanalyse - gar keine Erkenntnisfähigkeit zukommt. In der psychoanalytischen Topik gilt das Bewußtsein - in Freuds erster Metapsychologie als System Bw bezeichnet58 - als ein Teilsystem des Ich, das Freud folgendermaßen charakterisiert:
Dies System denken wir uns in seinem mechanischem Charakter ähnlich wie die Wahrnehmungssysteme W, also erregbar durch Qualitäten und unfähig, die Spur von Veränderungen zu bewahren, also ohne Gedächtnis. Der psychische Apparat […] ist selbst Außenwelt für das Sinnesorgan des Bw […]. Das Material an Erregungen fließt dem Bw-Sinnesorgan von zwei Seiten her zu, von dem W -System her […] und aus dem Innern des Apparats selbst […].59
Von den W-Systemen registrierte Eindrücke durchlaufen Freud zufolge ver- schiedene Stationen der neuronalen Verarbeitung und laden sich energetisch auf. Reicht das Maß ihrer energetischen Besetzung zur Bewußtseinsqualität hin, so wer- den diese - gleichwohl bereits bearbeiteten Eindrücke - bewußt.60 Das Bewußtsein erkennt also nicht aktivisch, sondern es ist eine nachgeordnete Instanz innerhalb ei- ner Kette neuronaler Prozesse, die ihren Anfang in der Erzeugung eines Bildes durch das W-System hat, einem sensorischen Impuls also. Top-Down und Bottom-up - Prozesse treten heute in den modernen Neurowissenschaften als für die Gestalterkennung unerläßliche neuronale Verarbeitungsprozesse an die Stelle der von Freud vermuteten Systeme.61 Im Kontext seiner Tätigkeit als Psychiater und seiner - kontemporären - Kenntnisse neuronaler Verarbeitungsprozesse ist daher die Lacansche Radikalzerschlagung des „gordischen Knotens“ durch die dezisionistische Konzeption eines Bewußtseins62 ex machina zu betrachten63:
Um auch nur damit anzufangen, die Frage nach dem zu stellen, was das Ich ist, muß man sich von der Konzeption des Bewußtseins lösen, die wir religiös nennen.64
Lacan meint damit jene philosophische Konzeption von Bewußtsein, die von ei- nem „scheinbar ursprünglichen Charakter“, von der „Transparenz des Bewußtseins für sich selbst“ als einer „unbestreitbaren Begebenheit“ ausgeht.65 Denn die Psycho- analyse sieht sich angesichts eines solchen Bewußtseinskonzeptes „wie der Ochs vorm Berg“, wenn es gilt, auch die Fehlfunktionen und „Illusionen des Bewußtseins […], Traum, Delir, geistige Verwirrung, Halluzinationen“66 darin zu integrieren, die die Subjekt-Philosophie in ein Jenseits hinter der hygienischen Demarkationslinie geisti- ger Krankheit zu verbannen vermag.
Wenn man in der Embryologie vom Eingreifen einer formierenden Form beim Embryo spricht, denkt man gleich, von dem Moment an, da es ein organisierendes Zentrum gibt, könne es da nur ein Bewußt- sein geben. […] Man versucht also nicht mehr zu organisieren, was manifest ist im Phänomen, denn man glaubt, alles Höhere impliziere Bewußtsein. Wir wissen jedoch, daß das Bewußtsein an etwas völlig Kontingentes gebunden ist, an etwas ebenso Kontingentes wie die Oberfläche eines Sees in einer unbewohnten Welt - die Existenz un- serer Augen und Ohren.67
Gerade vor dem Hintergrund der Resultate moderner Neurowissenschaften ist die Verwandlung des Säuglings, ausgelöst etwa durch Kongruenz der im Spiegel wahrgenommenen Bewegungen wie Mimik, in ein Wesen, das sich - zumindest op- tisch - identisch glaubt, durchaus denkbar. Zumal auch „Schimpansen, Bonobos, Orang-Utans sowie - unter Vorbehalt - Gorillas und […] Delfine“68 in der Lage sind, sich selbst im Spiegel zu erkennen und das Spiegelstadium auf jener Altersstufe „von kurzer, aber durchaus merkbarer Dauer“ stattfindet, während derer das Menschen- junge „vom Schimpansenjungen an motorischer Intelligenz übertroffen wird“69. Diese Situation ist der dem Menschen spezifischen Frühzeitigkeit der Geburt geschuldet, „die aber auch zur Folge hat, daß die visuelle Wahrnehmung weitaus entwickelter als die motorische Funktion ist.“70 Lacan bezieht die Evidenz für die „bildnerische[n] Wir- kungen“ einer „Gestalt […] auf den Organismus“ auch aus der Biologie, unter ande- rem aus einem Experiment, das zeigt,
daß die Reifung der Geschlechtsdrüsen bei der Taube den Anblick eines Artgenossen unbedingt voraussetzt - wobei dessen Geschlecht keine große Rolle spielt -, und daß die gleiche Wirkung auch erzielt wird durch das Aufstellen eines Spiegels[…].71
Die Verwandlung des Säuglings im Spiegelstadium beruht also nicht auf dem Erkenntnisakt eines sich seiner selbst bewußten Subjekts im philosophischen Sinne, sondern auf der formenden und prägenden Wirkung eines vom Wahrnehmungssys- tem erzeugten Bildes, das zunächst aufgrund seiner Ähnlichkeit als identisch ange- nommen und schließlich aufgrund seiner Heterogenität zum Objekt der Begierde wird.
2.2 Der psychoanalytische Bruch mit der Logik
Unter dem Aspekt der Logik betrachet, bleibt der aporetische Charakter des Spiegelstadiums gleichwohl bestehen. Denn wenn das Menschenjunge sich im Spie- gel als identisch (wieder)erkennt und dergestalt ein - wenn auch dem Verkennen erliegendes - Bewußtsein seiner selbst erlangt, dann geht die Konsequenz ihrem Antezedens voraus, nämlich dem Selbstbewußtsein, das die Möglichkeitsbedingung eines jeden Wieder erkennens ist. Diesen Bruch mit den Prinzipien der Logik hatte jedoch bereits Freud vollzogen: Samuel Weber weist auf die besondere Funktion des Bildes im Rahmen der - im Freudschen Sinne verstandenen - Identifikation hin, da „die Identifikation nicht lediglich Ausdruck des Subjektes ist, sondern aktiv auf es zu- rückwirkt“72, es verwandelt.73 Lacan radikalisiert diese konstitutive Wirkung des Bil- des im Spiegelstadium: erst das Bild im Spiegel - also die Repräsentation - ermög- licht dem Säugling - dem Repräsentierten - die Identität als Ich. Entgegen aller Lo- gik setzt er also tatsächlich das Zweite vor das Erste: das Bild ist nicht nur Abbild eines Realen, sondern es erzeugt für das Subjekt diese Realität auch zuallererst. Lacan demonstriert dies im Rahmen der Seminaires durch eine halbkugelförmige Spiegelkonstruktion, die einen Blumenstrauß, der eigentlich unter einer Vase aufge- hängt ist, als reales Bild des Blumenstraußes in der Vase erzeugt.74
2.3 „Eine Symmetrie, die ihre Seiten verkehrt“ - Die Zeitstruktur der Spiegelidentifi- kation
So wie dem Spiegelbild eine Symmetrie eignet, die „ihre Seiten verkehrt“75, so verkehrt die Identifikation mit ihm auch die zeitlichen Strukturen. Denn der Säugling identifiziert sich nicht präsentisch mit dem, was er ist. Jene spekuläre Gegenwart kann nur als ein Zukünftiges vorgestellt werden, das gleichwohl immer uneinholbar bleiben muß, da es in seiner akuten und prägenden optischen Präsenz bereits ver- gangen sein wird, wenn der Säugling die antizipierte motorische Souveränität tat- sächlich erlangt hat. Es ließe sich also durchaus von einer Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen76 sprechen: Die Spiegelimago ist dem Menschenjungen heterogen, da alle sein Bild so luxuriös auszeichnenden Eigenschaften, d. i. „Einheit, Festigkeit, Dauerhaftigkeit“77, ihm allenfalls in ihrer Negation, als Mangel gegenwärtig sind. Zwar tritt diese Heterogenität in der Identifikation hinter die Ähnlichkeit des Gegenübers zurück, gleichwohl bleibt davon „immer etwas zurück“78, insofern es ja die Andersar- tigkeit ist, die dem Bild seine Attraktivität erst verleiht. In „Funktion und Feld des Sprechens in der Psychoanalyse“ führt Lacan daher das futur antérieur, die zweite Zukunft, als zeitliche Dimension des Subjekts in der Psychoanalyse ein:
Was sich in meiner Geschichte verwirklicht, ist nicht die bestimmte Vergangenheit (passé defini) dessen, was war, weil es nicht mehr ist, noch ist es das Perfectum dessen, was gewesen ist in dem, was ich bin , sondern die zweite Zukunft (futur antérieur) dessen, was ich ge- wesen sein werde, für das, was ich dabei bin zu werden.79
Die psychoanalytische Praxis, deren Geschäft es ist, die Archäologie des Sub- jekts zu entziffern, kennt weder eine abgeschlossene Vergangenheit noch denkt sie die Geschichte des Subjekts als die eines selbstbewußten Ich. Denn das Vergange- ne - etwa als Trauma - insistiert im Symptom und ist für das Ich qua Selbstbewußt- sein im Prozeß der Analyse in seinem Gewesen-Sein immer auch ein noch ‚durchzu- arbeitendes‘ Zukünftiges.80 Indem das zweite Futur das Vergessen als Methode sub- jektiver Vergangenheitsentledigung ad absurdum führt, erschüttert es die Identität des Subjekts als eine des sich-erinnernden Denkens in ihren Grundfesten: Die stän- dig wirkende Präsenz der Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen führt das biogra- phisch abgekapselte Ich-Konstrukt des „ Ich war “, der abgeschlossenen Vergangen- heit, ad absurdum. Vergangenheitsbewältigung ist mithin immer auch Daseinsbewäl- tigung und kann nur als aktivische - und also diskursive - Aufhebung im Sinne einer Hegelschen Dialektik noch geleistet werden.
Das Erinnern der Psychoanalyse unterscheidet sich demnach radikal von dem der Metaphysik. Nicht weil es immer noch eine Zukunft geben wird, die vom Subjekt nie ganz einzuholen ist, sondern weil jeder Versuch des Subjekts, seiner Geschichte habhaft zu werden, diese aufspalten muß in eine Vergangenheit, die ihm immer noch bevorsteht, oder genauer: bevorgestanden haben wird.81
So ist die Gegenwart des Menschenjungen, das sich mit dem identifiziert, das es noch nicht ist, tatsächlich eine „antizipierte Nachträglichkeit“82, als deren Ursprung jene „ursprüngliche Zwietracht“ gelten darf, die Lacan als eine Folge der „ spezifi- schen Vorzeitigkeit der menschlichen Geburt “83 betrachtet. Er charakterisiert das
Spiegelstadium als ein Drama, dessen innere Spannung von der Un- zulänglichkeit auf die Antizipation überspringt und für das an der lo- ckenden Täuschung der räumlichen Identifikation festgehaltene Sub- jekt die Phantasmen ausheckt, die ausgehend von einem zerstückel- ten Bild des Körpers, in einer Form enden, […] deren starre Struktu- ren die ganze mentale Entwicklung des Subjekts bestimmen werden. So bringt der Bruch des Kreises von der Innenwelt zur Umwelt die unerschöpfliche Quadratur der Ich-Prüfungen (récolements du moi) hervor.84
Im Spiegelstadium - dies bleibt abschließend zu konstatieren - müssen sich die Wege der Psychoanalyse und die der traditionellen Philosophie und Philologie85 trennen, da die letztgenannten stets auf „den intentionalen Zusammenhang des sub- jektiv Vermeinten als letzte Erfahrungsbasis“ zurückführen und mithin notwendig „auf eine Sprache eingeschränkt“ bleiben, „in der sich bewußt Intendiertes ausdrückt.“86 Somit unterliegen sie ebenso notwendig dem Anspruch einer Hermeneutik, die die Geschichte des Subjekts entlang den Sinnstrukturen „jener abgeschlossensten Form der Anwesenheit, […] der des Perfekts“ denkt, während die Psychoanalyse - nach Lacan, aber auch nach Freud - keinen Widerspruch kennt, „was aber nichts anderes heißt, als daß Widerspruch, Paradox, Antinomie zum Medium ihrer ‚Wahrheit‘ wird.“87 Frank ist also Recht zu geben: Das Lacansche Subjekt des Unbewußten muß philo- sophisch undiskutabel bleiben, und das Paradoxon des Spiegelstadiums läßt sich, wie Weber abschließend konstatiert,
nach den Regeln der Logik kaum auflösen,[…] weil das Subjekt, das durch das Unbewußte im Freudschen Sinne gedacht werden muß, nach der traditionellen Logik der Metaphysik nicht gedacht werden kann. Ob das zu der Aufgabe […] der Freudschen Lehre führen muß, oder im Gegenteil zu einer Einschränkung des Gültigkeitsbereiches der traditionellen Logik, bleibt [..] dahingestellt.88
3 Das Ich als imaginäre Funktion.
Das Ich als imaginäre Funktion greift in das psychische Leben nur als Symbol ein. Man bedient sich des Ich, wie der Bororo sich des Papageis bedient. Der Bororo sagt, ich bin ein Papagei, wir sagen, ich bin Ich.
(Jacques Lacan, Le Seminaire II)
Lacan differenziert im Rahmen seiner Programmatik drei Ebenen, die mit den Termini des Symbolischen, des Imaginären und des Realen bezeichnet werden. Das Spiegelstadium ist im Rahmen dieser Triade als ein Übergang vom Realen zum Imaginären zu situieren, insofern es das Ich/moi konstituiert, das Lacan in seinem wesentlichsten Aspekt als ein Objekt charakterisiert - „ein Objekt, das eine bestimmte Funktion erfüllt, die wir hier imaginäre Funktion nennen.“89
Der Augenblick, in dem sich das Spiegelstadium vollendet, begründet
- durch die Identifikation mit der Imago des Nächsten und das Drama der Ur-Eifersucht - die Dialektik, welche von nun an das Ich(je) mit sozial erarbeiteten Situationen verbindet.90
3.1 Das Reale
Das Reale charakterisieren zu wollen, muß ein absurdes Unterfangen bleiben, insofern sein Charakter sich gerade in der Unmöglichkeit einer Charakterisierung erfüllt, steht das Reale doch „immer im Hintergrund“. Auch seinen Schülern gegen- über bezeichnet Lacan es „nie direkt“, denn es ist „eben im eigentlichen Sinne aus- geschlossen“91. Auch der Versuch, sich dem Realen über den Begriff der ursprüngli- chen Monade zu nähern, muß scheitern, insofern die Monade notwendig ein indivi- duelles Subjekt voraussetzt, gerade aus diesem aber bleibt das Reale ausgeschlos- sen. Zumindest zeitlich scheint eine Annäherung erlaubt, insofern es sich um ein ursprüngliches Stadium handelt:
Wir unterstellen am Ursprung all das, [..] Triebe, Begierden, Strebun- gen, usw. Das ist also schlicht und einfach die Realität, die sich in nichts begrenzt, die das Objekt irgendeiner Definition noch nicht wer- den kann, die weder gut ist, noch böse, aber zugleich chaotisch und absolut, ursprünglich.92
Das Reale stellt also eine Art „unmittelbarer Außenwelt“93 dar, eine Ebene „ganz und gar primitiver Erfahrung“94, die geradezu romantisch - im gattungsgeschichtlichen Sinne - anmutet, denn das Reale ruft auf zur Heimkehr, ist das, „zu dem wir stets gerufen sind, das sich jedoch entzieht.“95
In diesem Sinne ist auch das Trauma Reales - die erste Form des Realen in der Geschichte der Psychoanalyse. Das Trauma als Begegnung, zu der wir gerufen sind, die wir aber verfehlen.96
3.2 Das Imaginäre
Wie bereits im ersten Kapitel dargelegt, ist eine dem Ich/moi vergleichbare Ein- heit nicht von Anfang an im Individuum präsent, sondern konstituiert sich im Verlauf der Ontogenese. „Die autoerotischen Triebe dagegen sind von Anfang an da.“97 Freud hatte diesen Zustand, in dem das Kind sich selbst mit seiner ganzen Libido besetzt als ‚primären Narzißmus‘ bezeichnet98 und gemutmaßt, die Ich-Funktion müsse „eine neue psychische Gestalt haben“99. Und die Gestalt ist es, die als we- sentliches Charakteristikum des Imaginären im Sinne Lacans gelten darf, denn
imaginär verweist [..] - erstens auf die Beziehung des Subjekts zu seinen strukturierenden Identifikationen, das ist der volle Sinn des Terminus Bild in der Analyse - zweitens auf die Beziehung des Subjekts zum Realen.100
Das Spiegelstadium gilt Lacan als ein Spezialfall der Funktion des Imaginären, die darin besteht
daß sie eine Beziehung herstellt zwischen dem Organismus und seiner Realität - oder, wie man zu sagen pflegt, zwischen der Innenwelt und der Umwelt 101
Diese Beziehung wird - biologisch betrachtet - von den lebenserhaltenden Interessen des Individuums geleitet und ist nicht auf den Menschen beschränkt:
Die imaginäre Ordnung finden wir in der Natur in tausend Formen wieder - es handelt sich um all die an die Parade gebundenen gestaltistischen Bestrickungen, so wesentlich für die Aufrechterhaltung der sexuellen Anziehungskraft innerhalb der Art.102
Im Rahmen der imaginären Ordnung findet sich also auch im Falle des Men- schen eine „auf ein Element von Typizität hin geöffnete Tür“103, die die Identifikation mit dem Ähnlichen im Rahmen des Spiegelstadiums erst ermöglicht. Im Falle des Menschen muß sich dies gleichwohl in einer „immer enttäuschenden Form“104 voll- ziehen. Denn
Auf dem Niveau der an das Leben der Art gebundenen generischen Relation funktioniert der Mensch bereits anders. Es gibt bei ihm be- reits einen Sprung, eine tiefgreifende Störung der Lebensregulati- on.105
Diese ist der frühzeitigen Geburt des Menschenjungen geschuldet, das somit in der Spiegelidentifikation notwendig einem weiteren Charakteristikum des Imaginären begegnen muß, dem Charakteristikum, „illusorisch zu sein“106.
Man kann sie [die Vorzeitigkeit der Geburt des Menschen; d.V.] […] in seiner ganz besonderen Ohnmacht am Ursprung seines Lebens fest- stellen. Diese Frühreife der Geburt haben nicht Psychoanalytiker er- funden. Histologisch ist der Apparat, der im Organismus die Rolle des Nervenapparats spielt […] bei der Geburt unausgebildet. Der Mensch hat die Ausbildung seiner Libido erreicht noch bevor er deren Objekt erreicht. Durch diesen Umstand führt sich jener besondere Spalt ein, der sich bei ihm in der Beziehung zu einem […] anderen […] perpetu- iert.107
Denn die Einheit, in der sich das Subjekt zum ersten Mal als Einheit erkennt, ist - wie gesehen - trotz der Dominanz des Ähnlichen von Heterogenität bestimmt, ist eine „entfremdete, virtuelle Einheit“:
Die ganze Dialektik […] des Spiegelstadiums […], ist auf die Bezie- hung gegründet zwischen einem bestimmten Niveau von Strebungen, die - […] in einem bestimmten Moment des Lebens - als unzusam- menhängend, uneinig, zerstückelt erfahren werden […] und anderer- seits einer Einheit, mit der es sich vermischt und paart.108
In diesem Zusammenhang wird klar, inwiefern das Spiegelstadium in der La- canschen Programmatik den Rang einer „symbolischen Matrix“109 einnimmt: In der Objektivation seiner selbst als ein anderer und der Erfahrung der eignen Ohnmacht manifestiert sich für Lacan das „fundamentale Hegelsche Thema - das Begehren des Menschen ist das Begehren des anderen.“110 Die vom Säugling antizipierte Herr- schaft ist für immer mit dem Bild eines anderen verknüpft, das ‚auf Typizität hin‘ ge- öffnet ist und unter dem Aspekt der Ganzheitlichkeit der Körperform und der Souve- ränität der Körperbeherrschung auch die Nächsten des Kindes mit einschließt.
Das Subjekt sichtet und erkennt ursprünglich das Begehren durch die Vermittlung, nicht allein seines eigenen Bildes, sondern des Körpers von seinesgleichen an. Genau in diesem Moment isoliert sich beim menschlichen Wesen das Bewußtsein als Selbstbewußtsein. Sofern er sein Begehren im Körper des anderen anerkennt, vollzieht sich der Wechsel. Sofern sein Begehren auf die andere Seite übergegangen ist, assimiliert es sich den Körper des anderen und erkennt sich sel- ber als Körper.111
Lacan betrachtet den Menschen mithin als ein konstitutiv gespaltenes Wesen, das aus eigener Kraft nie zu sich finden kann, weil es immer schon außerhalb seiner selbst ist: im Bild des anderen, im Begehren des anderen und schließlich im Sprechen des anderen, „das wiederum selbst über diesen hinausweist, auf eine vorgegebene sprachliche Ordnung, auf eine Transzendenz, […] auf den großen Anderen, dessen Träger der andere (der kleine andere) ist.“112 Mit Hegel113 erfaßt er das menschliche Selbst als ein „Selbst der Begierde“:
In und durch oder richtiger noch als »seine« Begierde konstituiert sich der Mensch […]. Das (menschliche) Ich ist das Ich einer - oder der Begierde. […] Allgemein gesagt: das Ich der Begierde ist eine Leere, die einen positiven und realen Inhalt nur durch die negierende Tat er- hält, die die Begierde befriedigt, indem sie das begehrte Nicht-Ich zerstört, verwandelt, »assimiliert«. […] Wenn aber die animalische Begierde auch die notwendige Bedingung des Selbstbewußtseins ist, so doch nicht die zureichende Bedingung. Für sich allein führt diese Begierde nur zum Selbstgefühl.[…] Damit es zum Selbstbewußtsein kommt, muß sich also die Begierde auf ein nicht-natürliches Objekt beziehen […]. Die menschliche Begierde muß sich auf eine andere Begierde richten. […] Die Begierde eines anderen begehren, heißt al- so letztlich begehren, daß der Wert, der ich bin oder den ich »reprä- sentiere«, der von diesem anderen begehrte Wert sei: ich will, […]daß er mich als einen selbständigen Wert »anerkennt«. Anders gesagt, jede […] menschliche Wirklichkeit produzierende Begierde ist letztlich eine Funktion der Begierde nach Anerkennung.114
Im Spiegelstadium nimmt der Säugling die Ergreifung seiner Herrschaft vorweg und unterwirft sich gerade in dieser Antizipation der Herrschaft des anderen, des an- deren seiner selbst als Form, die sein Werden bestimmt, so sehr wie der seiner nächsten anderen. Denn er ist als sprach- und weitgehend bewegungsloses Wesen abhängig von Pflege und Liebe, abhängig vom Begehren der anderen, deren Begeh- ren er sein muß, will er nicht um die Befriedigung seiner Bedürfnisse (besoins) ban- gen müssen. Die für die menschliche Wirklichkeit notwendige Anerkennung durch einen Dritten aber bleibt im Wirkungskreis des Imaginären notwendig aus. Denn die Spiegelbeziehung unterliegt dem bereits im Zusammenhang mit dem Mythos von Narziß skizzierten Kreislauf von Faszination und Aggression: wenn das Begehren des einen das Begehren des anderen ist, et vice versa, dann kann sich eine solche Beziehung nur in der „fundamentalen Unbeweglichkeit“115, - als die Lacan die Faszi- nation definiert - durch welche der Blick des einen dem Blick des anderen entspricht oder aber in der Zerstörung erfüllen, die dem ‚Du oder ich‘ dann notwendig ent- wächst.
Daraus ergibt sich nicht weniger als die Sackgassensituation, die die der Konstitution des menschlichen Objekts ist. […] Das soll nicht heißen, daß ein Bewußtsein nicht ein anderes Bewußtsein begreifen kann, sondern daß ein gänzlich von der Einheit des anderen abhängiges Ich auf der Ebene des Begehrens mit ihm strikt unvereinbar ist. Ein erfaßtes, begehrtes Objekt, es ist er oder ich, der‘s haben wird, es muß eben der eine oder der andere sein.116
Um den Zirkel dieser „konstitutiven Rivalität“ zu durchbrechen, der der Spiegelbeziehung eignet, um die Zerstörung des einen durch den anderen auf dem „Konvergenzpunkt ihres Begehrens“ zu verhindern, bedarf es Lacan zufolge eines Dritten, der den Prozeß der Anerkennung einleitet.
In das durch das Bild des Ich bedingte System muß das symbolische System eingreifen, damit ein Austausch zustande kommen kann, etwas, das nicht Erkenntnis ist, sondern Anerkennung. […] Dieser Dritte, das ist jedoch das, was wir im Unbewußten finden […] dort wo er situiert sein muß, […] über ihnen, in jenem Anderswo, wo sich, wie Claude Lévi-Strauss Ihnen neulich gesagt hat, das System der Tauschakte hält, die elementaren Strukturen.117
Was im Unbewußten zu finden ist, von welchem Ort, jenem Anderswo, die Annerkennung des Begehrens des anderen zu erfolgen hat, verdeutlicht Lacan - wie so oft - durch einen Rekurs auf die Lyrik. Jene anerkennende Stimme ist die
Die erkennt, wenn sie tönt
Niemandes Stimme mehr zu sein
So sehr wie von Wogen und Wäldern
Es ist die Sprache, von der Valery hier spricht.118
4 Die symbolische Ordnung
4.1 Strukturale Linguistik und Psychoanalyse
Die aus der imaginären Sackgasse119 befreiende Anerkennung erfolgt durch einen Dritten, erfolgt vom Ort des - nun ‚großen‘ - Anderen, dem Ort der Sprache, der La- can zufolge im Unbewußten zu situieren ist. Denn nur in der Sprache kann das Wort des einen zugleich das Wort des anderen sein und somit aus der Rivalität der Spie- gelverhaftung befreien. In ihrer Synchronie begriffen stellt sich Sprache als ein Sys- tem von Zeichen dar, eine symbolische Ordnung, die zum Zeitpunkt der Geburt des Menschenjungen bereits Bestand hat, und an der der Säugling auch im Stadium des infans als ein Benanntes immer schon Teil hat, lange bevor er selbst sprechend an ihr partizipieren wird.
Die gründenden Worte, die das Subjekt einhüllen, sind all das, was es konstituiert hat, seine Eltern, seine Nächsten, die ganze Struktur der Gemeinschaft, und nicht nur konstituiert hat als Symbol, sondern konstituiert in seinem Sein. Es sind die Gesetze der Nomenklatur, die - zumindest bis zu einem gewissen Grad - die Allianzen bestimmen und kanalisieren, von denen ausgehend die Menschen kopulieren und schließlich nicht nur andere Symbole schaffen, sondern auch reale Wesen, die, wenn sie zur Welt kommen, gleich jenes Schildchen haben, das ihr Name ist, das wesentliche Symbol für das, was es mit ihrem Schicksal auf sich hat.120
Schon Freud hatte in der Sprache die ‚Via Regia zum Unbewußten‘ vermutet und die Psychoanalyse als eine ‚Sprechkur‘ begründet. Denn in den sprachlichen Fehlleistungen, im Witz und auch im Traum gibt die Sprache mitunter den Blick frei auf ein Sprechen, das von einem anderen Ort erfolgt, als dem des intentional Gemeinten: Es spricht vom Ort des Unbewußten.
Unsre Fehlleistungen sind Handlungen, die gelingen, unsre Worte, die anstoßen sind Worte, die bekennen. Diese wie jene enthüllen ei- ne dahinterliegende Wahrheit. Im Innern dessen, was man freie As- soziationen, Traumbilder, Symptome nennt, äußert sich ein Spre- chen, das die Wahrheit bringt. Wenn die Entdeckung von Freud einen Sinn hat, dann ist es dieser - die Wahrheit erwischt im Mißgriff den Irrtum beim Kragen.121
Im Rahmen der Traumdeutung hatte Freud sich bemüht, eine ‚Rhetorik des Un- bewußten‘ herauszuarbeiten, die mit ihren zentralen Mechanismen, der ‚Verschie- bung‘ und der ‚Verdichtung‘, das dynamisch - ökonomische Modell der ersten Meta- psychologie in relevantem Maße mitbegründeten. Lacan folgt dem Freudschen Denkweg und konstatiert: „Das Unbewußte ist strukturiert wie eine Sprache“122. So- fern es sinnvoll ist, vom ‚linguistic turn‘ der Psychoanalyse zu sprechen, kommt La- can der Rang zu, diese Wende eingeleitet zu haben, denn sein Gedankengebäude ist maßgeblich durchzogen von den Erkenntnissen der französischen Strukturalisten, allen voran Ferdinand de Saussures.123 Er kommt vor allem zu dem Schluß, daß
der Begriff des Signifikanten, wie er in der modernen linguistischen Analyse dem Begriff des Signifikats entgegengestzt wird, unverzichtbar ist für jede Artikulation des analytischen Phänomens.124
Die Unterscheidung von Signifikant und Signifikat aufnehmend, dreht Lacan das Verhältnis zwischen beiden um: die Saussure zugeschriebene Formel s/S (Signifikat über dem Signifikant) wird bei ihm zu S/s (Signifikant über dem Signifikat), um die Vorrangstellung des Signifikanten S gegenüber dem Signifikat s zu verdeutlichen.125
Mit Saussure unterscheidet Lacan auch zwischen der Langue als überindividu- ellem System diferentieller Zeichen und der Parole als individueller Sprachaktualisie- rung. Und als Langue, als ein „kollektives Relationssystem“126, als eine Struktur, der die Sprachgemeinschaft sprechend folgt, ohne jedoch angeben zu können, warum sie dies tut, ja sogar ob sie dies tatsächlich tut, ist der Ort der Sprache, der Ort des Anderen im Unbewußten.
Es spricht im Andern, sagen wir, und bezeichnen mit dem Andern eben den Ort, den der Rückgriff auf das Sprechen evoziert in jeder Beziehung, in die er interveniert. Wenn Es im Andern spricht, egal, ob das dann vom Subjekt mit den Ohren vernommen wird oder nicht, dann deswegen, weil das Subjekt in ihm seine signifikante Stellung findet durch etwas, das jedem Erwecken des Signifikats logisch vo- rausgeht.127
Denn ehe der Mensch selbst als Signifikat - also als ein Bezeichneter, der ei- nen Namen trägt - erweckt wird, ist er als Signifikant bereits Teil der sprachlichen Struktur.128
Die Struktur des Signifikanten aber ist darin zu sehen, daß er artikuliert ist, was ja allgemein von der Sprache gilt.
Das besagt, daß seine Einheiten […] einer doppelten Bedingung unterworfen sind: Sie sind zurückführbar auf letzte differentielle Elemente, und diese wiederum setzen sich zusammen nach den Gesetzen einer geschlossenen Ordnung.129
Um die geschlossene Ordnung der Signifikanten „approximativ“ erfassen zu können prägt Lacan den Terminus der „signifikanten Kette: Ringe, die in einer Kette sich sich in den Ring einer andern Kette einfügen, die wieder aus Ringen besteht.“130 Zwar „insistiert“ der „Sinn in der Signifikantenkette“131, da das Signifikante „seiner Natur nach [..] immer den Sinn antizipiert, indem es in gewisser Weise in seinem Vorfeld seine Dimension auftut.“132 Denn das Saussursche Prinzip der Arbitrarität interpretiert die Form stets als Teil des fait linguistique und trennt sie also nur dichotomisch von der Bedeutung133. Gleichwohl
drängt sich [..] der Gedanke auf, daß das Signifizierte unaufhörlich unter dem Signifikanten gleitet,
daß also
nicht ein Element der Kette seine Konsistenz hat in der Bedeutung, deren es im Augenblick fähig ist.134
Im steten Gleiten des Signifikantenflusses über den Signifikaten erfüllt sich für Lacan die Dimension und der Wirkungsbereich der Sprache in der psychoanalytischen Praxis, den Freud - in Unkenntnis der „Formeln der Linguistik“ - gleichwohl bereits „antizipiert“ habe:
Sofern nämlich nicht einfach der Mensch spricht, sondern Es in dem Menschen und durch den Menschen spricht; sofern seine Natur eingewoben ist in Wirkungen, in denen die Struktur der Sprache, zu deren Material er wird, wieder auftaucht, und sofern damit die Relation des Sprechens in ihm Resonanz findet […].135
Die Wirkungen der Sprachstruktur findet Lacan in den Freudschen Mechanis- men des Unbewußten erfaßt, der ‚Verschiebung‘ und der ‚Verdichtung‘, die Lacan in den Termini der „Metonymie“ und der „Metapher“136 aufgreift und ergänzt, indem er sie in das Saussuresche Modell der syntagmatischen und der paradigmatischen E- bene der Sprache einarbeitet. Da jedes Glied der Signifikantenkette in seinen kontextuellen Bezügen als „signifikanter Knotenpunkt“137 einen weiten Raum an konnotativen und assoziativen Sinndimensionen eröffnet, deckt die Struktur der signifikanten Kette die Möglichkeit auf,
genau in dem Maße, wie ihre Sprache mir und anderen Subjekten gemeinsam ist, das heißt, wie diese Sprache existiert, mich ihrer be- dienen zu können, um alles andere als das damit zu bezeichnen, was sie sagt.138
Ein Bedienen, das allerdings jenseits der Intentionalität des Ich/moi zu situieren ist, etwa im Traum, dessen latente Gehalte schon Freud vermittelst der erwähnten sprachlich strukturierten Mechanismen der Verdrängung zu entziffern suchte. Somit liegt
für eine psychoanalytische Sprachauffassung die Wahrheit des Wor- tes eben nicht in der korrekten Anmessung an die Sache, sondern im Anklingenlassen eines Ungesagten. So ist das Wort aber nur,wenn es auf das Ganze der Rede zurückbezogen bleibt. Dergestalt offen- bart die Sprache jene «unbewußte» einheitliche Intention.139
4.2 Die Ambiguität der sprachlichen Funktionen
4.2.1 Die Entfremdung des Bedürfnisses
Lacan stellt eine bestimmte Ambiguität der Sprache fest: Denn Sprache, begrif- fen als zeichenförmiges Entäußerungssystem und zugleich als ein Bestand öffentli- cher sprachlicher Mittel, an dem das Menschenkind nur teilhat und teilhaben muß, um seine Bedürfnisse (besoins) mitteilen zu können, ent-äußert auch die Unmittel- barkeit des Erlebensstroms. Als Folge dieser „signifikanten Ausformung“ kehren die Sprache gewordenen Bedürfnisse (besoins) „entfremdet“140 zum Menschen zurück vom Ort des Anderen, dem Ort der Sprache als eines überindividuellen Zeichensys- tems. Insofern jede Äußerung aber einen Adressaten hat, verknüpfen sich die Be- dürfnisse des Menschen in ihrer sprachlichen Entäußerung mit dem Anspruch (de- mande) an und auf den nächsten anderen, dessen Anwesenheit eine Befriedigung dieser Bedürfnisse erst ermöglicht. Der Anspruch (im Sinne eines Ansprechens) der Mutter impliziert so zugleich einen Anspruch, der an die Mutter gestellt wird, einen Anspruch auf Anwesenheit, auf Gegenwart, der jedoch in seiner Unbedingtheit unbe- friedigt bleiben muß.
Der Anspruch an sich zielt auf etwas anderes als die Befriedigungen, nach denen er ruft. Er ist Anspruch auf eine Gegenwart […]. Das bringt jene ursprüngliche Beziehung zur Mutter zum Ausdruck […]. Sie konstituiert er bereits als Inhaber des «Privilegs», die Bedürfnisse zu befriedigen, das heißt der Macht, ihnen das vorzuenthalten, wodurch allein sie befriedigt wären.141
In ihrer sprachlichen Realisierung, die den nächsten anderen als Adressaten miteinschließen, transzendieren also die Bedürfnisse qua Anspruch gleichsam ihre eigene - durchaus mögliche - Befriedigung, insofern diese in ihrer Möglichkeitsbe- dingung als Privileg der Mutter erfahren wird. Ein Privileg, das jedoch in der Unerfüll- barkeit des Anspruchs auf Anwesenheit zugleich in seiner Negation als Macht der Vorenthaltung erlebt wird.
Auf diesem Wege hebt der Anspruch die Besonderheit von alledem, was gewährt werden kann, auf und verwandelt es in einen Liebesbeweis, wobei selbst die Befriedigungen, die er für das Bedürfnis erwirkt, erniedrigt werden dadurch, daß sie nicht mehr darstellen als das Zerschellen des Liebesanspruchs.142
Jede Bedürfnisbefriedigung eröffnet also in ihrem Vollzug immer zugleich auch den Machtbereich der Vorenthaltung, so daß die singuläre Befriedigung immer hinter der Totalität des Anspruchs zurück- und unvollständig bleiben muß.
Somit ergibt sich ein Spannungsbogen zwischen den Bedürfnissen, die befrie- digt werden wollen und dem Anspruch, der die Befriedigung dieser Bedürfnisse zwar ermöglicht, die konkrete Befriedigung aber zugleich ihres befriedigenden Charakters entblößt, da der Anspruch als „transzendentale Möglichkeitsbedingung der Bedürf- nisbefriedigung“143 die Dimension des Konkreten zwangsläufig transzendiert. Die Spannung zwischen der Möglichkeit der vereinzelten Bedürfnsisstillung und der allgemeinen „Negation der Bedürftigkeit“144, als die der Anspruch mithin betrachtet werden kann, eröffnet für Lacan die Dimension des Begehrens (desir):
Daher ist das Begehren weder Appetit auf Befriedigung, noch An- spruch auf Liebe, sondern vielmehr die Differenz, die entsteht aus der Substraktion der ersten vom zweiten, ja das Phänomen ihrer Spal- tung selbst.145
Die Entfremdung der entäußerten Bedürfnisse ist als „Urverdrängung“146 zu verstehen und insistiert gleichsam symbolisch, als Symptom, im Begehren (desir), dem mithin notwendig ein wesentlich sprachlicher Charakterzug zuzusprechen ist. Das ansonsten „geschlossene Feld“ des Begehrens klafft wieder auf in seiner „Ambi- guität“, als „Rätsel“ der Intersubjektivität im Bereich der sexuellen Beziehung:
Das Auseinanderklaffen in diesem Rätsel zeigt, wodurch es determiniert ist, in der einfachsten Formel, die es offenlegt: daß nämlich weder das Subjekt noch der Andere (für jeden der Beziehungspartner) sich damit zufriedengeben können, Subjekte des Bedürfnisses oder Objekte der Liebe zu sein, sondern einzig und allein damit, Statthalter zu sein für die Ursache (cause) des Begehrens.147
4.2.2 Die Enthüllung im Sprechen
Es hat sich gezeigt, daß im Sprechen des Ich/moi immer auch das Sprechen des Anderen begegnet, weil der Sprecher in seinen Sprachhandlungen zwangsläufig einen Überschuß an Bedeutung produziert, der sich der Intention des Ich/moi entzieht. In diesem Kontext ist die Unterscheidung zwischen einem Subjekt der Äußerung, dem ich/je, das vom Ort des Unbewußten aus spricht und dem Subjekt der Aussage, dem Ich/moi, zu verstehen, die in den Schriften Lacans auch als Subjekt des Signifikanten vs. dem Subjekt des Signifikats begegnet.
Ferner hatten wir die Sprache als eine Funktion der Entfremdung der Bedürf- nisse des Menschen kennengelernt, insofern das Sprechen ein Inneres zu einem Äußeren macht, das in entfremdeter Form vom Ort des Anderen148 zum Sprecher zurückkehrt. In der Kluft zwischen Bedürfnis (besoin) und Anspruch (demande) kon- stituiert sich das Begehren (desir), das - nun auf der Ebene des symbolischen Aus- tauschs - die Menschen als Adressaten aneinander bindet. Vermittelst der wechsel- seitigen Anerkennung des Begehrens des anderen, das qua Anspruch selbst im Be- gehren eines Objekts letztlich immer auf das Begehren des anderen gerichtet ist149, stiftet das „menschliche Sprechen“ dergestalt „jenen Vertrag […], der sie [die Men- schen; d.V.] verwandelt und sie als kommunizierende menschliche Subjekte er- weist.“150 Im Sprechen also ereignet sich Identität, eine Identität gleichwohl, die nur Bestand hat, wo sie nicht verstummt - im ständigen symbolischen Austausch. Dem Sprechen kommt - so scheint es - Medialität151 auf mehreren Ebenen zu. Es vermit- telt zwischen dem Subjekt des Unbewußten, dem ich/je, und dem anderen der Spie- gelimago so sehr wie zwischen dem Ich/moi und seinen nächsten anderen. Denn
die Ebene auf der der andere erlebt wird, situiert genau die Ebene, auf der, buchstäblich, das Ich für das Subjekt existiert.152
Aus den Erfahrungen der analytischen Praxis schöpfend, als deren zentrale Herausforderung die Überwindung der Widerstände des Ich/moi gelten darf, weiß Lacan jedoch, daß der Mensch sich auch sprechend noch verkennen und der narzistischen „Ich-Falle“ erliegen kann. Er charakterisiert den Fortgang der Analyse deshalb als einen Prozeß der diskursiven Identitätsfindung:
Wir können sagen, das Subjekt beginnt die Analyse damit, daß es (ohne das Wort an Sie zu richten) nur von sich spricht; oder es wen- det sich an Sie, ohne indessen von sich zu sprechen. Die Analyse wird dann zu Ende sein, wenn es von sich zu Ihnen sprechen kann.153
Der analytische Fortschritt stellt sich somit dar als ein Übergang von einem „leeren“ zu einem „vollen Sprechen“:
Das volle Sprechen ist dasjenige, das die Wahrheit so visiert, so bil- det, wie sie sich in der Anerkennung des einen durch den anderen herstellt. Das volle Sprechen ist Sprechen, das bewirkt. Eines der Subjekte befindet sich, nachher, anders als es vorher war.154
Ein Sprechen, das bewirkt, aber geht weit über den bloßen Austausch von n- formationen hinaus, im vollen Sprechen klingt die Sprachhandlung an, der Sprech - Akt im wahren Wortsinne:
In ihrem Wesen ist die wirkungsvolle Übertragung, um die es geht, ganz einfach der Akt des Sprechens. Jedesmal, wenn ein Mensch zu einem anderen in authentischer und voller Weise spricht, gibt es, im eigentlichen Sinn, Übertragung, symbolische Übertragung - es ge- schieht etwas, das die Natur der beiden anwesenden Menschen ver- ändert.155
Dies dem dialogischen Sprechakt eignende verändernde Moment ist die „Enthüllung“156, die das Sprechen hervorruft. Daher gilt Lacan die Evokation als eine weitere relevante Funktion der Sprache:
Die Funktion der Sprache besteht ja hier nicht darin zu informieren, sondern zu evozieren. Was ich im Sprechen suche, ist die Antwort des anderen. Was mich als Subjekt konstituiert, ist meine Frage.157
Resume: Wenn jemand spricht, wird es hell
Im „Heraufkommen des wahren Sprechens158 (parole vraie)“159, das als Ziel der Analyse gelten darf, bietet sich nach Ansicht Lacans dem Menschen die Möglichkeit, der konstitutiven Spaltung seiner Adresse, als die das Spiegelstadium gelesen wer- den kann, vorübergehend zu entkommen, insofern das Gespräch - als dessen Son- derfall der analytische Diskurs zu betrachten ist - die Chance der Vereinigung mit dem a/Anderen in sich birgt. Eine Vereinigung, die sich auf der Ebene des symboli- schen Austauschs vollzieht, auf der Ebene eines Sprechens also, „welches erlaubt, das Subjekt zu identifizieren“.160 Denn im Ursprung des Sprechens ist - so Lacan - ein Mangel an Identität, der sich - wie dargestellt - als eine Folge der Vorzeitigkeit der menschlichen Geburt in der Abhängigkeit und motorischen Ohnmacht des Men- schenjungen konstituiert. Durch die Vorwegnahme seiner körperlichen Beherrschung in der Identifikation mit der Spiegelimago tritt das menschliche Begehren in die Ver- mittlung durch den anderen. Erst die Sprache, in der der Mensch sich sprechend i- dentifiziert und gleichermaßen als ein Objekt verliert, in der also Subjekt des Signifi- kats und Subjekt des Signifikanten zusammenfallen können, ohne tatsächlich iden- tisch sein zu müssen, befreit aus der Rivalität des ‚Ich oder Du‘, die der imaginären Sackgasse eignet. Der andere referiert in der Rede Lacans stets auf Zweierlei: auf das ganzheitliche Bild seiner selbst als ein anderer, in das sich der Säugling, gleich Narziß, im Spiegel verliebt, so sehr wie auf die ihm - unter dem Aspekt der Körper- beherrschung - ähnlichen nächsten anderen, deren Begehren nach dem Menschen- jungen dessen Überleben und Befriedigung zuallererst ermöglicht. Aus jeglicher Re- flektion ausgeschlossen bleibt das ich/je, das wahre Subjekt des Unbewußten, das qua „linguistischer Überkreuzung“ im Sprechen des Ich/moi gleichwohl zur Sprache kommen kann. Denn „jedes noch so leicht isolierte linguistische Symbol ist nicht bloß der Gesamtheit verhaftet, sondern überschneidet sich mit ihr und konstituiert sich durch eine ganze Serie von Zuflüssen, von gegensätzlichen Überdeterminierun- gen, die es in mehreren Bereichen zugleich situieren.“161 Der Ort des (großen) Ande- ren ist daher der Ort der Sprache im Unbewußten, i. e. der Sprache als eines überin- dividuellen Systems differentieller Zeichen, das den semantischen Mehrwert in der Rede des Ich/moi erzeugt, in dessen ‚Entzifferung‘ schon Freud die Basis der Psy- choanalyse gesehen hatte. Anders als für Freud aber, der Es im Ich zur Reflektion, zu sich als Teil des Ich finden lassen wollte, sieht Lacan die Spaltung des Menschen als irreversibel vollzogen an. Eine Selbstfindung im Sinne eines solus ipse bleibt ausgeschlossen. Die Begegnung mit dem Anderen kann nur medial vermittelt im - nie endenden und gleichermaßen vergänglichen - symbolischen Austausch stattfin- den. Einzig sprechend, als Teil des Diskurses, als Adressierender und Adressat162 gleichermaßen kann der Mensch Identität finden. Eine Identität aber, die immer über ihn selbst als Individuum hinausgeht und ohne den anderen - hier: den Gesprächs- partner oder Analysten - notwendig unbestimmbar bleiben muß.
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[...]
1 Vgl. zum Problem der „Ersten-Person-Perspektive“ Jäger 2000b, ebenso Anscombe 1981.
2 Descartes 1971, 26.
3 Descartes 1976, 21.
4 Riedel 1989, 66.
5 Riedel 1989, 66
6 Wenngleich Descartes Gott als Quelle jeglicher Gedanken gilt.
7 Kant (1787) 1956, 132.
8 Kant (1787) 1956, 145.
9 Riedel 1989, 92.
10 i. e. Wahrnehmung, Anschauung und Vorstellung als Leistung des Ve rstandes.
11 Kant (1787) 1956, 135.
12 Freud (1953) 1956, 92.
13 Freud (1953) 1956, 92.
14 Vgl. Freud 1916/17, 283.
15 Freud (1953) 1956, 28.
16 Freud schreibt an anderer Stelle: “Ursprünglich enthält das Ich alles, später scheidet es eine Außenwelt von sich ab.“ Freud (1953) 1956, 95.
17 Freud (1953) 1956, 94.
18 Freud (1953) 1956, 78.
19 Vgl. etwa Freud (1953) 1956, 80ff.; ebenso Pontalis/Laplanche (1973) 1998, 207.
20 Freud (1991) 1994, 595.
21 S I, 24.
22 S II, 60.
23 E II, 42.
24 E II, 43.
25 E II, 43.
26 E II, 42;
27 Unter dem Terminus Subjekt-Philosophie soll hier diejenige philosophische Tradition verstanden werden, die in der Nachfolge Descartes das Denken (und ggf. gar das Sprechen) als selbstmächtigen Erkenntnisakt eines sich selbst stets transparenten Bewußtseins begreift. Vgl. auch Kap. 2.
28 Zu überprüfen wäre, inwiefern die Heideggersche Konzeption des Denkens, in der das „Bedenklichste sich zeigt“ (etwa in der sprachlichen Fehlleistung?) einem Denken jenseits des Selbstbewußtseins zugänglich g e- macht werden könnte. (vgl. Heidegger 1951, 125).
29 E II, 42. (Kursiv: d.V.)
30 S II, 60.
31 S II, 60f.
32 S II, 16.
33 S II, 60.
34 S II, 16.
35 S II, 56.
36 Im Lacanschen Sinne wäre allerdings eher vom ‚Kern unseres wesens‘ zu sprechen, also vom Wesen in seiner verbalisierten Form, in der es in der Philosophie Heideggers begegnet. Die ‚Kern‘-Metapher eröffnet die Sinn- dimension der ‚Zentralität‘. Der ‚Kern des wesens‘ im Lacanschen Sinne ist jedoch - wie sich zeigen wird - ei- ne Struktur, nicht etwa ein entifizierbares Zentrum.
37 S II, 60
38 Freud 1923, 252.
39 Freud 1915, 291.
40 Freud 1915, 275.
41 Freud (1932) 1933, 516.
42 Der von Lacan verwendete Term inus des ‚Menschenjungen‘ referiert auf das Neugeborene Menschenleben im Stadium des infans - im wörtlichen Sinne also des sprachlosen Wesens - vor der Konstitution des Ich/moi.
43 Freud 1923, 253.
44 Freud 1914, 142.
45 E I, 64.
46 E I, 63.
47 E I, 64.
48 E I, 64f.
49 Weber 1990, 30.
50 Schöpf, 1983, 35.
51 E II, 183.
52 E I, 64.
53 Arthur Rimbaud in einem Brief an Paul Demeny vom 15. Mai 1871. (Rimbaud 1991, 154.)
54 „quod cupio, mecum est“ Ovid 1996, 110,v466.
55 E I, 64.
56 S II, 66.
57 Frank (1983) 1984, 399.
58 vgl. Freud (1991) 1994, 601ff.
59 Freud (1991) 1994, 601f.
60 Es handelt sich um eine - zumal im Hinblick auf den Zeitpunkt der Entstehung der Traumdeutung - erschre- ckend ‚moderne‘ Einschätzung der Prozesse neuronaler Verarbeitung durch Freud, der bereits 1895 ein erstes Modell eines neuronalen Netzwerkes entwarf, das von seinem Wirkungsprinzip her bis heute gelten kann. Vgl. hierzu Spitzer 2000, 5.
61 Vgl. zu diesem Thema etwa: Mesulam 1998; Singer 1997, Spitzer 2000.
62 Vgl. S II 78: „Die Hauptsache ist nicht, daß Bewußtsein zu demolieren - wir versuchen hier nicht, ein großes Zerdeppern von Glas zu veranstalten. Es handelt sich um die extreme Schwierigkeit […] vom System des Be- wußtseins eine Formulierung zu geben in der Ordnung dessen, was Freud den energetischen Bezug nennt, es im Zwischenspiel der verschiedenen psychischen Systeme zu situieren.“ Zwar mag Frank zuzustimmen sein, daß der Lacansche Entwurf „philosophisch undiskutabel“ (Frank (1983) 1984, 398) ist, aber Lacan beendet auch im Anschluß an seine bewußtseinsphilosophische Einleitung ausdrücklich die „metaphysische Behand- lung des Bewußtseinsphänomens“ (S II, 62). Zudem entgeht Frank gänzlich, die beeindruckende Aktualität der Freudschen, bzw. Lacanschen Problematik der Situation des Bewußtseins, handelt es sich doch um eine frühe Form des heute in den Neurowissenschaften diskutierten „binding-problems“.
63 S II, 62.
64 S II, 64.
65 S II, 62.
66 S II, 61f.
67 S II, 65.
68 Neffe 2000, 217.
69 E I, 63.
70 Weber 1990, 29.
71 E I, 65.
72 Weber 1990, 34.
73 Vgl. zur Konzeption der Identifikation in der Psychoanalyse Pontalis/Laplanche (1973)1998, 219-223.
74 Vgl. hierzu S I, 176-184. Eine ausführlichere Darstellung der optischen Experimente, die Lacan sehr intensiv zur veranschaulichung des Spiegelstadiums einsetzt, muß in diesem Rahmen leider unterbleiben.
75 E I, 64.
76 Wenn auch nicht im Sinne Kosellecks, der diesen Terminus in gänzlich anderem Zusammenhang prägte. Vgl. Koselleck 1987, 273.
77 Weber 1990, 30.
78 S II, 69.
79 E I, 143; Übersetzung zitiert nach Weber 1990, 23. Die Übersetzung der deutschen Ausgabe der Ecrits ver- kompliziert das französische Original in unnötiger Weise.
80 Oder in Kategorien der Räumlichkeit formuliert: Ein Inneres, wird qua Entäußerung zu dem, was es gleichwohl immer schon gewesen sein wird: ein Inneres, für das Freud die treffende Rede vom ‚inneren Ausland‘ prägt. (vgl. Freud (1932) 1933, 496.)
81 Weber 1990, 25f.
82 Weber 1990, 26.
83 E I, 66.
84 E I, 67.
85 Zum Zusammenhang von Philologie und Psychoanalyse vgl. etwa Freud 1919, Kittler 1977 und Habermas 1973, 262ff. So sehr Habermas in seinen Ausführungen zuzustimmen ist, so sehr muß jedoch seine Begriff- lichkeit - vom Standpunkt Lacans aus betrachtet - irritieren: Eine Charakterisierung der Psychoanalyse als ein Prozeß der „Selbstreflexion“ (ebd. 280) muß in die Irre leiten, weil das Subjekt des Unbewußten, als Subjekt des Signifikanten, nicht des Signifikats, kein Spiegelbild hat, ergo auch nicht qua Reflexion erfaßbar ist.
86 Habermas 1973, 265.
87 Weber 1990, 28.
88 Weber 1990,35.
89 S II, 61
90 E I, 68.
91 S I, 261.
92 S I, 105.
93 Der Begriff der „unmittelbaren Außenwelt“ meint jedoch nicht etwa den unvermittelten Zugang eines Subjekts zu einer Außenwelt-an-sich, sondern ein ontogenetisches Stadium, in dem ‚Innen‘ und ‚Außen‘ noch unge- schieden sind, insofern die Ich-Genese einer Strukturierung der Welt durch die Kategorien eines ‚Außen‘ und ‚Innen‘ notwendig vorausgeht.
94 S I, 78f.
95 S XI, 59.
96 Teichmann 1983, 87.
97 S I, 150.
98 Obgleich es ein reflexives Selbst zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht gibt. Pontalis/Laplanche weisen daher auf die diesem Terminus innewohnende Problematik hin, da sich vom topischen Gesichtspunkt aus schlecht erkennen läßt, „was in einem so verstandenen primären Narzißmus besetzt wird.“ (vgl. Ponatlis/Laplanche (1973) 1998, 321f.)
99 S I, 150.
100 S I, 151
101 E I, 66.
102 S II, 51.
103 S II, 51.
104 S II, 51.
105 S II, 52.
106 S I, 151.
107 S I, 193.
108 S II, 52.
109 E I, 64.
110 S I, 189.
111 S I, 190.
112 Teichmann 1983, 83.
113 In der Lesart Alexandre Kojèves, dessen Vorlesungen über Hegel Lacan an der Ecole practique des hautesétudes hörte. (vgl. Teichmann 1983, 81).
114 Kojève (1975) 1996, 21ff.
115 S II, 68.
116 S II, 69.
117 S II, 70.
118 S II, 75: „Qui se connait quand elle sonne/ N’etre plus la vo ix de personne/ Tant que des ondes et des bois“ Es handelt sich um die letzten Zeilen von Valérys Gedicht La Pythie, in Paul Valéry: Poesies, Paris: Gallimard 1958, 82.“
119 Könnte man im Falle Lacans von einem - im programmatischen Sinne - geschlossenen Werk sprechen, so wäre die Symbolische Ordnung wohl als ‚Kernthema‘ zu charakterisieren. Lacans Werk weist jedoch weder ‚Zentrum‘ noch ‚Kern‘ auf, beide Metaphern müssen also scheitern. Gleichwohl durchzieht l ’ ordre symbolique seine späteren Aufsätze und Seminare wie ein roter Faden und kann mithin im Rahmen der vorliegenden Arbeit allenfalls in Ansätzen dargestellt werden.
120 S II, 31.
121 S I, 333.
122 S XI, 26.
123 Allerdings dem Saussure, der im Cours de linguistique générale begegnet, der - wie die Editions geschichte zeigt - selbst nur als der Versuch einer Rekonstruktion der Saussureschen Linguistik gelten darf. Vgl. etwa Jä- ger 1975, Jäger 2000.
124 E II, 124.
125 Lacan weist jedoch darauf hin, daß „das so geschriebene Zeichen […] in dieser streng reduzierten Form sich in keinem der Schemata findet, unter denen es in der gedruckten Fassung der verschiedenen Vorlesungen aus den Kursen der Jahre 1906/07, 1908/09 und 1910/11 auftaucht, die […] unter dem Titel Cours de Lingu- istique générale herausgegeben wurden“. (E II, 21.)
126 Pagel, (1989) 1991, 42.
127 E II, 125.
128 Die Jägersche Unterscheidung von ICH-Adresse vs. Adressen-ICH eignet sich vortefflich zur Verdeutlichung dieses Gedankens. Vgl. Jäger 2000b:“ Daß das Individuum bereits bevor es (als Säugling) über Selbstreferenz - i.e. eine ICH-Adresse - verfügt als adressabel, d.h. als ein Adressen-ICH, behandelt wird, ist eine Voraussetzung dafür, daß es Selbstreferenz, also eine ICH-Adresse, erwirbt. Bereits als Säugling wird das ICH als Adressen-ICH behandelt, das über eine Adresse verfügt, was […] bedeutet, daß es durch kommunikative Züge adressiert wird […].“ (ebd. S.10f.)
129 E II, 26
130 E II, 26. Eine Konzeption die sich bemerkenswerterweise mit der Konzeption semantischer Netzwerkkarten deckt, wie sie im Rahmen der Theorie neuronaler Netzwerke gedacht wird. Vgl. etwa Spitzer 2000, 229 - 272.
131 E II, 27.
132 E II, 27.
133 Vgl zum Arbitraritätsprinzip Stetter 1999, 143 - 172.
134 E II, 27.
135 E II, 124: „ A.d.Ü.: Franz. relation hat die doppelte Bedeutung von „ Beziehung “ und „ Bericht, Erzählung, Refe- rat “.“
136 Zu Lacans Konzept der Metapher und Metonymie, deren Behandlung in diesem Rahmen leider unterbleiben muß, vgl. E II, 31- 49.
137 „nœud de signification“, Ecrits 166, zitiert nach Lang (1986) 1998, 68.
138 E II, 29.
139 Lang 1986 (1998), 62.
140 E II, 126. Obschon er dies nicht expliziert, wird doch deutlich, daß Lacan sich über den medialen Charakter zeichenförmiger Entäußerungssysteme durchaus im Klaren ist, i.e. Sprache keineswegs - etwa im Sinne eines linguistischen Kognitivismus Chomskyscher Provenienz - als ein bloß bedeutungsneutrales Vehikel prae- sprachlich verfaßter Gedanken betrachtet. Er folgt vielmehr - ohne dies anzumerken (oder zu bemerken?) - der Sprachauffassung Wilhelm von Humboldts: „Indem auf diese Weise das geistige Streben sich Bahn durch die Lippen bricht, kehrt das Erzeugnis desselben zum eigenen Ohre zurück; die subjective innere Handlung lung wird als äussres Object wieder aufgenommen. Dadurch theilt und befördert die Sprache das innerste We- sen des Denkens, das beständige Übergehen des Subjects und des Objects in einander.“ (W. v. Humboldt (1906) 1968, 377.) Vgl. zur Stellung der Sprache innerhalb der Medientheorie etwa Jäger 2000a.
141 E II, 127.
142 E II, 127.
143 Weber 1990, 155.
144 Weber 1990, 155.
145 E II, 127.
146 E II, 125.
147 E II, 128.
148 Lacan unterscheidet den (großen) Anderen als vom Ort des Unbewußten sprechendes sprachlich strukturier- tes Subjekt der Äußerung und den (kleinen) anderen, das spekuläre Ich/moi der Spiegelimago.
149 „Das Subjekt hat keine [..] Beziehung zu einem Objekt, das ihm gegenübersteht, es ist der Bezug zu einem anderen Subjekt, durch den seine Relationen zu diesem Objekt ihren Sinn und im selben Zug ihren Wert an- nehmen.“ S II, 325.
150 S I, 141.
151 S. Anm. 135.
152 S I, 68.
153 Ecrits, 373. Zitiert nach: Rauh (o.J.), 6.
154 S I, 141.
155 S I, 143.
156 S I, 66.
157 E I, 143.
158 Freud 1905, 126.
159 E I, 145.
160 S I, 183.
161 S I, 72.
162 D.h. immer auch als Rückadresse seines eigenen Sprechens.
- Quote paper
- Jan Hoppe (Author), 2000, Ich ist ein anderer. Eine Darstellung der Ontogenese in der psychoanalytischen Theorie Jacques Lacans., Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/101895
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