Karl Moor - edler Mensch oder Verbrecher?
"Das Theater glich einem Irrenhaus, rollende Augen, geballte Fäuste, heißere Aufschreie im Zuschauerraum. Fremde Mensch fielen einander schluchzend in die Arme, Frauen wankten, einer Ohnmacht nahe, zur Türe. Es war eine allgemeine Auflösung wie im Chaos aus dessen Nebeln eine neue Schöpfung hervorbricht" So wurde die Premiere eines Stückes - am 13. Januar 1782 - von Augenzeugen beschrieben. Das Stück hieß ,,Die Räuber" und der bis dahin unbekannte Verfasser aus Stuttgart, Friedrich Schiller.
Die Handlung des eindrucksvollen Stückes ist schnell beschrieben: Durch einen Streit verlässt Karl von Moor, der Sohn des Fürsten von Moor, seinen Vater. Die folgenden Versöhnungsversuche von Karl werden vom Intriganten Franz von Moor, dessen Bruder, manipuliert und verhindert. So erhält der Vater die Nachricht dass Karl verstorben sei und erleidet einen Schwächeanfall. Karl erhält die Nachricht dass sein Vater den Versöhnungswunsch ablehnt und wird in tiefster Enttäuschung zum Hauptmann einer mörderischen Räuberbande. Doch die Liebe zu seiner Verlobten Amalia zieht ihn zurück zum Schloss seines Vaters. Nach und nach werden die Intrigen aufgedeckt. Karl erfährt dass sein Vater noch lebt und nimmt an seinem Bruder Rache. Darauf liefert er sich selbst an die Justiz aus.
Was damals die Menschen aber noch mehr fasziniert haben dürfte als die Handlung, ist die Figur des Karl Moor an sich. Er ist ein Mensch, der intensiv alle möglichen Gefühlslagen durchlebt. Aber er ist vor allem ein Mensch, der sich schwer einordnen lässt. Soll man ihn als hintergangenen und falsch behandelten Menschen sehen und seinen Handlungen zustimmen? Oder soll man ihn als blutrünstigen Räuberhauptmann sehen, der anscheinend sinnlos Menschen abschlachtet, und ihn verachten? Es wird einem wahrlich nicht leicht gemacht Partei zu ergreifen und man schwankt zwischen dem Verbrecher Moor und dem edlen Menschen Moor. Aber was von beiden ist er nun?
Man muss erst mal klären was ihn entweder zu einem Verbrecher bzw. Rebell oder zu einem edlen Menschen macht. Zum einen Teil sind es seine eigenen Handlungen und Aktionen die sein Bild definieren. Zum anderen ist es das Verhalten oder das Handeln anderer Menschen. Auf Grund dessen kann man auch nur schwer ein Gesamturteil fällen, sondern muss anhand von chronologisch ausgewählten Stellen den Sachverhalt auf die Einflussfaktoren überprüfen.
Wichtig ist noch zu erwähnen, dass der Begriff des Rebell heutzutage nicht automatisch mit etwas Negativen behaftet sein muss. Ganz im Gegenteil. Im Begriff des Rebellen liegt etwas Aufstrebendes, Selbstbewusstes, Erneuerndes. Also sollte in der heutigen Zeit der Rebell nicht auf der Seite des Verbrechers stehen sondern ehr auf der Seite des edlen Menschen.
In der 2. Szene des 1. Akts erwartet Karl durch den Vergebungsbrief seines Vaters die Wiederaufnahme in die Familie. Zu diesem Zeitpunkt nützen die Versuche Spiegelbergs ihn als Räuberhauptmann zu gewinnen noch nichts. Erst mit der Nachricht der väterlichen Verstoßung entscheidet er sich dazu den Aufforderungen nachzukommen: ,,Was für ein Tor ich war, dass ich ins Käficht zurück wollte! -Mein Geist dürstet nach Taten, mein Atem nach Freiheit, -Mörder, Räuber! -mit diesem Wort war das Gesetz unter meine Füße gerollt - Menschen haben Menschheit vor mir verborgen, da ich an Menschheit appellierte, weg dann von mir Sympathie und menschliche Schonung! -Ich habe keinen Vater mehr, ich habe keine Liebe mehr..." (I.2. Seite 33) Das heißt er nimmt die Rolle des Hauptmanns auf Grund der verweigerten Vaterliebe an und gibt somit dem Entschluss einen plausiblen Grund.
Außerdem steht er, durch die Intrigen seines Bruders (1. Akt), als unwissendlich Hintergangener da und hat somit das volle Verständnis des Lesers auf seiner Seite. Auf der einen Seite steht der durchtriebene Intrigant auf der anderen Seite der unrecht behandelte Bruder. Das Verhalten des Franz macht ihn also zum edlen Menschen.
Darüber hinaus findet der heutige junge Leser hier eine Parallele zu modernen jugendlichen Protestbewegung. Dies ist nur möglich, da die gesellschaftlichen Strukturen, damals und heute gleiche Elemente aufweisen. Das Aufbegehren gegen die veralteten und verstaubten Normen der Gesellschaft (Absolutismus) und die Zusammengehörigkeit innerhalb der Räuberbande. (Alle(geben ihm die Hand),,Wir schwören dir Treu und Gehorsam bis in den Tod!...(I.2.Seite 33) lassen Karl hier als Rebell erscheinen, was in diesem Fall jedoch nicht mit Verbrecher gleichzusetzen ist, sondern mit einem edlen Menschen.
Dieses Bild wird in der 3. Szene des 1. Akts und in den ersten beiden Szenen des zweiten Akts noch verstärkt. Franz versucht, auf hinterlistige Weise, die Liebe von Amalia zu gewinnen und an das Erbe seines Vaters zu kommen indem er seinen Tod durch die Vortäuschung Karls Tod provoziert. Alles gipfelt einem zynischen Monolog von Franz, der dadurch den gesamten Hass des Lesers auf sich zieht:Franz hüpft frohlockend herein,,... Itzt bin ich Herr. Im ganzen Schlosse zetert es, tot! ... Weg dann mit dieser lästigen Larve von Sanftmut und Tugend" Nun sollt ihr den nackten Franz sehen, und euch entsetzen! ... Meine Augenbraunen sollen über euch herhangen wie Gewitterwolken, mein herrischer Name schweben wie ein drohender Komet über diesen Gebirge, meine Stirne soll euer Wetterglas sein!" (II,2). Durch die Abneigung, die der Leser gegenüber Franz aufbaut, scheint das Bild Karls, als edler Mensch bestätigt. Dieses wird durch den Entschluss seinen Freund Roller, unter Einsatz seines eigenen Leben, vor dem Galgen zu retten bekräftigt
Doch die 3. Szene des 2. Akts ist wie ein Schlag vor den Kopf des Lesers. Hier unterhält sich die versammelte Räuberbande über ihre Taten und die des Hauptmanns.Roller,, Und itzt sah mein Gefolge zurück- da lag die Stadt wie Gomorrha und Sodom, der gesamte Horizont war Feuer, Schwefel und Rauch." Man bekommt auch mit, dass unschuldige Frauen, Kinder, und Kranke unter den Todesopfern waren. Durch diese Erzählungen beginnt das, bis jetzt positive Bild von Karl zu zerbrechen. Die Blutrünstigkeit und Rachelust mag man zunächst nicht für wahr haben, muss sich dann aber doch eingestehen dass man sich offensichtlich in Karl getäuscht hat. Doch im Verlauf der Szene wird ein Unterschied zwischen Karl und den Räubern sichtbar. Das Niederbrennen der Stadt kann zwar moralisch nicht gerechtfertigt werden und stellt hier Karl zum ersten Mal als Verbrecher bloß, doch er distanziert sich deutlich von den unschuldigen Toten und bedauert diese: "O der armen Gewürme! Kranke, sagst du, Greise und Kinder?- O pfui über den Kindermord! Den Weibermord! -den Krankenmord! Wie beugt mich diese Tat! Sie hat meine schönsten Werke vergiftet-..."(II.3; Seite 67) Da ihm von seinem Vater augenscheinliches Unrecht angetan wurde, müssen Dritte nun dafür büßen. Deshalb richten sich seine Aggressionen nur gegen andere Ungerechte und Gesetzesbrecher und nicht gegen unschuldige Zivilisten. (vgl.: mein schönstes Werk vergiftet) Er versucht mit jedem Räuberüberfall, der plündernden Reichsgrafen oder korrupten Finanzräten das Leben kostet, ein Stück weit das ihm zugefügte Unrecht zu vergelten. Sein Räubertum dient also auch dazu, die Unterdrückten und sozial Schwachen zu helfen. Der Räuber Razmann fasst die Taten seines Hauptmann wie folgt zusammen: ,,...Er mordet nicht um des Raubens willen wie wir- nach dem Geld schien er nicht mehr zu fragen, sobald er's vollauf haben konnte, und selbst ein Drittel an der Beute, das ihn von Rechts wegen trifft, verschenkt er an Waisenkinder...Aber soll er dir einen Landjunker schröpfen, der seinen Bauern wie das Vieh abschindet, oder einen Schurken mit goldnen Borten unter den Hammer kriegen, der die Gesetze falschmünzt, und das Auge der Gerechtigkeit übersilbert ...da ist er dir in seinem Element, und haust teufelmäßig, als wenn jede Faser an ihm eine Furie wäre." (II.3; Seite 60) Dieser Umstand unterscheidet den ,,edlen" von den mordenden Räubern und rechtfertigt in gewisser Weise sein Räuberdasein.
Am Ende der 3. Szene des 2. Akts, im Gespräch mit dem Pater, begründet er selbst noch einmal seine Handlungen: ,,...Ich bin kein Dieb, der sich mit Schlaf und Mitternacht verschwört,...Sag ihnen mein Handwerk ist Wiedervergeltung -Rache ist mein Gewerbe."(II.3; Seite 73)
Doch zum Beispiel auch der väterliche Umgang mit Kosinsky zeichnet ihn, neben der Befreiung Rollers, als ehrenvollen und edlen Menschen aus. Er versucht Kosinsky von der Entscheidung der Räuberbande beizutreten abzubringen und warnt ihn, vor dem Abenteuertum: ,,...willst du Unsterblichkeit durch Mordbrennerei erkaufen? Merk dirs, ehrgeiziger Jüngling! Für Mordbrenner grünet keine Lorbeer! Auf Banditensiege ist kein Triumph gesetzt..." (III.2;)
Karl entschließt sich nach Hause zurückzukehren, was ein Anzeichen dafür ist dass er nicht zu einem gewissenlosen Menschen geworden ist. Ihn zieht es trotz seiner begangenen Taten und seiner Verstoßung in die familiäre Heimat zurück. Dort angekommen wird die Verschwörung durch Daniel, dem Diener, aufgedeckt und Karl findet seinen, für tot gehaltenen Vater, lebend in einem Turm und gibt sich ihm aber nicht zu erkennen. Karl schickt Schweizer zu Franz um diesen lebendig fangen zu lassen. Doch Franz erdrosselt sich selbst und Schweizer erschießt sich auf Grund des fehlgeschlagenen Auftrags. Nach der Nachricht von Franz' Tod, gibt sich Karl seinem Vater zu erkennen, der darauf vor Schmerz über sein Räubertum stirbt.
Auch Amalia wird Zeuge des Geschehens und will bzw. kann durch die gewonnene Einsicht in Karls Leben ihn nicht mehr lieben und fordert ihn energisch dazu auf, sie zu töte. In diesem Moment steht Karl zwischen zwei Fronten. Auf der einen Seite steht Amalia, die er immer noch liebt, für die er aber sein Räuberdasein aufgeben müsste. Auf der anderen Seite stehen die Räuber an die er durch einen Eid gebunden ist. In diesem Moment begeht er die einzig richtige Tat. Er ersticht Amalia und liefert sich der Justiz aus: ,,O über mich Narren, der ich wähnte die Welt durch Greuel zu verschönern und die Gesetze durch Gesetzlosigkeit aufrecht zu halten...da steh ich am Rand eines entsetzlichen Lebens, und erfahre nun mit Zähneklappern und Heulen, dass zwei Menschen wie ich den ganzen Bau der sittlichen Welt zugrund richten würden." (5.2. Seite 139) An dieser Stelle beweist Karl, durch Einsicht, dass er eindeutig ein edler Mensch ist. Durch den Mord macht er sich zwar schuldig, lässt aber keinen der beiden Seiten im Stich. Dies ist die einzige Lösung, die der damaligen Auffassung von ehrenvollem Handeln vollkommen entspricht.
Noch im Abgang beweist Karl ein weiteres Mal seinen Edelmut: ,,Ich erinnere mich, einen armen Schelm gesprochen zu haben, als ich herüberkam, der im Tagelohn arbeitet und eilf lebendige Kinder hat -Man hat tausend Louisdore geboten, wer den großen Räuber lebendig liefert -dem Mann kann geholfen werden." (Er geht ab) (5.2; Seite 139)
Im Überblick gesehen, ist Karl für mich eindeutig kein Verbrecher. Wobei es, wie gesagt, nicht zwingend notwendig ist, dass er deshalb auch kein Rebell sein darf. Karl ist natürlich ein Rebell -aber auch ein edler Mensch. Diese beiden Begriffe bedeuten in seinem Fall absolut nichts gegensätzliches. Zwar entfernen sich in manchen Situationen seine Taten von seinem eigentlichen Ziel, nämlich der Rache und Wiedervergeltung, doch behält er in allen Situationen sein Gewissen. Deshalb würde die ursprüngliche Frage umformulieren: Ist Karl Moor ein edler Mensch und Rebell oder ist er ein Verbrecher? Und auf diese Frage findet man nur eine Antwort: Er ist ein edler Rebell.
Quellenverzeichnis:
- Friedrich Schiller, Die Räuber; Reclam, Ditzingen 1999
- Walter Jens, Kindlers Neues Literatur Lexikon; Kindler 1991
- Arbeit zitieren
- Sebastian Grünewald (Autor:in), 2001, Schiller, Friedrich - Die Räuber - Karl Moor - edler Mensch oder Verbrecher?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/101847
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