Ziel dieser Arbeit ist die Untersuchung des Sanxia-Staudammprojekts am Changjiang (Yangtze) in China. Dabei soll nicht nur die Baugeschichte des Dammes seit 1994 beleuchtet werden, sondern auch die Positionen und Interessen verschiedener beteiligter Gruppen analysiert werden. Dies beinhaltet die innerchinesischen Diskussionen und Konflikte sowie die internationale Bedeutung dieses Großprojekts.
Diese Arbeit wird nicht nur die technischen und wirtschaftlichen Aspekte des Projekts untersuchen, sondern auch die sozialen und politischen Implikationen auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene analysieren. Die Diskussion um Umweltauswirkungen, Umsiedlungen von Bevölkerungsgruppen und die wirtschaftliche Entwicklung werden dabei kritisch betrachtet, um ein umfassendes Bild des Drei-Schluchten-Projekts und seiner Bedeutung für China und die Welt zu vermitteln.
Chinas Flüsse: Der Changjiang und das Sanxia-Staudammprojekt
1. Vorbemerkung
Wasserbau und Wasserwirtschaft haben in China eine lange Tradition.
Hochwasserschutzmaßnahmen, wie zum Beispiel das Anlegen von Deichen, sowie die Kontrolle über Flüsse und Kanäle zu Zwecken der Bewässerung und als Verkehrswege, war schon immer ein vordringliches Ziel der chinesischen Herrscher. Deshalb bezeichnete Karl August Wittfogel China, wie auch Ägypten oder Babylonien, als eine „hydraulische Kultur“1, die sich seiner Meinung nach nur in einem zentral gelenkten Staat entwickeln konnte, der in Bereichen des Wasserbaus wie auch anderer Monumentalbauwerke (Festungsbauten, Infrastruktur) Einfluss nahm. Grundlagen für solch eine hydraulische Kultur sind seiner Meinung nach eine Organisation der Infrastruktur (Nachrichtenwesen, Transportwege, ...), die einhergeht mit einer Bürokratisierung, sowie eine weitgehende Unterbindung von Privatinitiative, angefangen beim Grundbesitz. Diese Anforderungen konnten nur von einem despotischen Regime bewältigt werden, dem entspricht in China die gesamte Zeit des Kaiserreichs. Auch auf das Sanxia-Staudammprojekt der Volksrepublik China am Changjiang, auch bekannt als „Yangtze“ oder „Jangtsekiang“, lässt sich seine Theorie, zumindest teilweise, anwenden.
Der Changjiang ist mit ca. 6300 Kilometern Länge der längste Fluss Asiens und damit auch Chinas, sowie der drittlängste Fluss der Welt. Er entspringt, wie die meisten Flüsse Chinas, im Hochland Tibets und durchquert in seinem Verlauf sieben Provinzen, wobei er sich durch das osttibetische Randgebirge frisst, die berühmten Changjiangschluchten Qutang, Wu und Xiling im mittelchinesischen Bergland in der Provinz Sichuan formte und durchfließt, um in seinem Mittel- und Unterlauf in der zentralchinesischen Tiefebene in einen breiten Tieflandstrom überzugehen. In dieser Ebene werden aufgrund des überaus fruchtbaren Bodens fast 70 Prozent der gesamten chinesischen Reisproduktion erzeugt. Der Changjiang mündet nördlich von Shanghai in einem langgezogenen Flussdelta ins Ostchinesische Meer und stellt eine der wichtigsten Wasserstraßen Chinas dar2.
Ich will mich im weiteren Verlauf mit dem Staudamm, der seit 1994 am Ausgang des Changjiang aus den Drei Schluchten entsteht, sowie seiner Geschichte beschäftigen. Desweiteren will ich versuchen, die Position der verschiedenen beteiligten Interessengruppen vorzustellen und mögliche Konflikte aufzeigen. Dazu gehören sowohl die Probleme, die die Diskussion um das Staudammprojekt innerhalb Chinas aufwarf, als auch die internationale Tragweite eines solchen Vorhabens.
2. Hintergrundinformationen zum Drei-Schluchten-Projekt
2.1 Zur Geschichte
Die Idee eines Großstaudamms bei den berühmten Drei Schluchten nahe der Kleinstadt Sandouping, am Beginn des Mittellaufs des Changjiang, besteht bereits seit über achtzig Jahren. Sun Yat-sen, Präsident der Republik China, spielte erstmals 1919 mit der Idee, einen gigantischen Damm an dieser Stelle zu errichten, um Strom zu erzeugen, und die Schifffahrt zu erleichtern. Während des Zweiten Weltkriegs erhielt die Republik China logistische Unterstützung von den Vereinigten Staaten von Amerika, die 1944 durch das „US Bureau of Reclamation“ (US-Behörde für Landgewinnung) auch eine erste Machbarkeitsstudie vorlegten. Mit der kommunistischen Machtübernahme durch Mao Zedong 1949 stellten die USA ihre Hilfe jedoch ein, die Pläne für einen Staudamm wurden auf Eis gelegt.
In den 50er Jahren griff Mao Zedong die Überlegungen zum Bau eines Staudamms wieder auf und erhielt erneut ausländische Hilfe, diesmal jedoch von Seiten der Sowjetunion.
Nach dem 1960 erfolgten Bruch mit Stalin und dem damit verbundenen Abbruch der Beziehungen zur UdSSR, wurden die Staudammpläne aufgrund mangelnden Know-hows und fehlender Finanzierungsmöglichkeiten wiederum abgesetzt.
Erst ab 1980 setzte sich mit Li Peng wieder ein führender Politiker für eine Wiederaufnahme des Projektes ein. Verschiedene Untersuchungskommissionen wurden - auch mit ausländischer Unterstützung - gebildet, die die Machbarkeit, sowie die Kosten analysieren sollten.
Zu Beginn der Achtziger Jahre bildeten sich jedoch erste Oppositionsgruppen, die auch im Ausland Beachtung fanden, und ihre Ablehnung dem Staudammprojekt gegenüber artikulierten und auf die möglichen Negativfolgen hinwiesen. Als eine der bekanntesten Vertreter sei hier die Journalistin Dai Qing genannt, die ab 1986 versuchte, staudammkritische Artikel und Aufsätze zu publizieren. Mit dem Massaker auf dem Tian’anmen-Platz von 1989 erlitt auch diese Bewegung einen herben Rückschlag.
Mit dem 1991 stattfindenden „Seminar für die rasche und frühzeitige Lancierung des Drei-Schluchten-Projekts“ und einer im selben Jahr von der Regierung verordneten Publicitykampagne, in deren Rahmen sämtliche Medien in Propagandabeiträgen über das Staudammprojekt berichteten, wurde der Weg für die 1992 erfolgte Zustimmung des Nationalen Volkskongresses geebnet. Mit den Arbeiten zum Bau des Dammes wurde im Jahr 1994 begonnen, 1997 erfolgte die Fertigstellung der provisorischen Staumauer zur Umleitung des Changjiang, womit die Arbeiten für den eigentlichen Damm in Angriff genommen werden konnten, dessen endgültige Fertigstellung für das Jahr 2009 geplant ist.
2.2 Das Projekt in Zahlen
Entsprechend der Größe des gesamten Projekts, stellen sich auch die Kosten dar, die, wie bei Vorhaben dieser Kategorie üblich, bis jetzt stets nach oben korrigiert wurden. Zu unterscheiden ist bei den vorhandenen Zahlen zu den Kosten des Projekts jedoch immer die Grundlage, auf der diese Zahlen entstanden. So gibt es auch unter Befürwortern verschiedene Ansichten über die Definition von „Gesamtkosten“, was die oftmals unterschiedlichen Zahlen erklären kann. Zur Veranschaulichung seien die veranschlagten Kosten aus den Jahren 1985 sowie 1993 genannt, wobei zu beachten ist, dass diese Kosten den damals geltenden Preisniveaus entsprechen. Ging man bei den Planungen 1985 von Gesamtkosten in Höhe von ca. 16 Mrd. Yuan aus3, so waren es im Jahre 1993 inklusive Zinsen für die benötigten Kredite bereits 224 Mrd. Yuan4.
Relativ konstant, im Gegensatz zu den Kosten, blieben die Ausmaße des Projekts hinsichtlich der Ausdehnung des entstehenden Sees und der Höhe der Staumauer. Die Dammkrone wird eine Höhe von 185 Metern erreichen und eine Länge von 2.335 Metern haben. Die geplante Füllhöhe des Beckens liegt bei 175 Metern, es entsteht ein Stausee mit einer Ausdehnung von 640 Kilometern Länge.
Die Kapazität der 26 Generatoren zur Stromerzeugung soll 17.680 Megawatt betragen, das Kraftwerk wird mit seinen erwarteten jährlich 85 Mrd. kWh Strom ein Neuntel der jährlichen Stromproduktion Chinas 1993 erfüllen.
Eine weitere sehr wichtige Größe bei diesem gesamten Projekt, ist die Zahl der umzusiedelnden Menschen, die bis zu Beginn der Bauarbeiten, zum Teil auch darüber hinaus, das zu überflutende Gebiet bewohnten. Nach offiziellen Angaben handelt es sich hierbei um 1,2 Millionen Menschen (1997), die in höhergelegene Gebiete umgesiedelt werden, wo ihnen - laut Angaben der Regierung - adäquater Ersatz für die verlorenen Wohnräume und Grundstücke gewährt wird. Allerdings wird diese Zahl von internationalen Experten, die dem Projekt kritisch gegenüberstehen, als zu niedrig angesehen und mit angenommenen 1,3 bis 1,6 Millionen umzusiedelnden Menschen deutlich nach oben korrigiert5.
3. Die verschiedenen an der Diskussion um das Projekt beteiligten Gruppen und ihre Argumente
Meiner Meinung nach ist es für das Verständnis dieses Kapitels wichtig, eine kurze Vorbemerkung zu den im Folgenden aufgeführten Personen und Organisationen zu machen. Die Unterscheidung zwischen Befürwortern und absoluten Staudammgegnern lässt sich in den wenigsten Fällen eindeutig vollziehen, da teilweise ambivalente Meinungen vertreten werden.
Nichtsdestotrotz möchte ich diese Zweiteilung beibehalten, da eine tiefgreifendere Differenzierung der unterschiedlichen Standpunkte den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde.
3.1 Die Befürworter des Sanxia-Staudammprojekts
Da es sich bei dem Staudamm um ein Staatsprojekt mit weitreichenden und bedeutenden Auswirkungen für die gesamte VR China handelt, zählen zu den Hauptbefürwortern zweifellos die Regierung und die ihr untergeordneten Behörden, wie zum Beispiel das seit Ende der fünfziger Jahre bestehende Changjiang-Tal-Planungsbüro. Des weiteren sind die flussabwärts des entstehenden Staudamms liegenden Provinzen, so zum Beispiel Hubei und Henan zu nennen, die natürlich den größten Nutzen in Hinsicht auf die Flutprävention durch den Damm erführen.
Die Hauptargumente dieser Gruppe beziehen sich im wesentlichen auf ebendiesen Hochwasserschutz und die Vorteile, die der Region, sowie dem ganzen Land durch den erzeugten Strom erwachsen.
An erster Stelle steht, sowohl für die Regierung als auch die genannten Provinzen, der Schutz vor den periodisch auftretenden, zum Teil verheerenden Überschwemmungen, die zuletzt 1998 viele Menschen im Bereich des Unterlaufs töteten, Tausende obdachlos machten und immense materielle Schäden verursachten. Der durch das Wasserkraftwerk erzeugte Strom soll den Wirtschaftsboom in China unterstützen, insbesondere jedoch den ärmeren Provinzen wie Sichuan zu Aufschwung und Wohlstand verhelfen, indem Anreize für Industrien geschaffen werden, sich dort anzusiedeln. Außerdem werden immer wieder die ökologischen Vorteile eines Wasserkraftwerks im Vergleich zu Energieerzeugung durch Kohle betont. Das mit dem Staudamm verbundene Großkraftwerk erzeugt demnach ebensoviel Strom, wie 30 Kohlekraftwerke6 und hilft damit, jährlich 40 Millionen Tonnen Kohle einzusparen.
Durch die Überflutung der gefährlichen Stromschnellen im Bereich der Drei Schluchten wird beabsichtigt, die Bedingungen für die Schifffahrt und dadurch auch die wirtschaftliche Situation in Sichuan zu verbessern. Bislang ist an einigen Stellen nur ein „Einbahnstraßen-Verkehr“ möglich, da die topographischen Gegebenheiten ein Befahren des Stromes in beide Richtungen gleichzeitig nicht gestatten. Durch den Wegfall dieser Hindernisse soll sich das Transportaufkommen von 10 Millionen Tonnen auf jährlich 50 Millionen Tonnen erhöhen, sowie die Durchfahrt bis Chongqing für Schiffe bis 10.000 Tonnen ermöglicht werden7.
Bei der Diskussion um das Drei-Schluchten-Projekt haben sich auch immer wieder Einzelpersonen hervorgetan, wobei auf Seiten der Befürworter der ehemalige Ministerpräsident der VR China, Li Peng, besonders hervorsticht. Letztlich ist es zum größten Teil ihm zu verdanken, dass die Umsetzung in ihrer heutigen Form erfolgte. Wichtig für das Verständnis seiner Person sind einige Hintergrundfakten, die im Folgenden erwähnt werden. Li Peng wurde 1928 in Shanghai geboren. Von Beruf ist er Ingenieur, mit dem Spezialgebiet Energie. In den Jahren 1955 bis 1966 war er als stellvertretender Direktor und Chefingenieur des Fengman Wasserkraftwerks und als Direktor des Fuxin Kraftwerkes tätig. Im März 1981 erfolgte die Ernennung zum Minister für Energiewirtschaft und 1984 übernahm er die Leitung einer Führungsgruppe für Studien über das Sanxia-Staudammprojekt. Diese wurde 1986 aufgelöst und durch die Sanxia-Untersuchungskommission ersetzt, deren Leitung wieder bei Li Peng lag8.
3.2 Gegner des Staudammprojekts
Die Geschichte der dem Sanxia-Staudamm ablehnend gegenüberstehenden Bewegung reicht bis zu den Anfängen konkreter Realisierungsüberlegungen Anfang der fünfziger Jahre zurück. Allerdings muss erwähnt werden, dass es Gegner eines Staatsprojekts in einem diktatorischen System schwer hatten, sich Gehör zu verschaffen bzw. eine Plattform für ihre Meinung zu finden.
Diese Gruppe rekrutiert sich keineswegs nur aus Dissidenten oder Mitgliedern der Umweltbewegung, ihr gehören vielmehr auch Mitglieder der KPCh und verschiedener Ministerien, sowie hochrangige Wissenschaftler an, die, wenn auch nicht immer unter denselben Prämissen, dazu mahnen, das Projekt zu überdenken und den möglichen Nachteilen mehr Gewicht beizumessen. Auch die Provinz Sichuan stand dem Projekt bis vor kurzem noch sehr ablehnend gegenüber, da sie für sich mehr Nach- als Vorteile sah. So hat sie die ganze Last der Umsiedlungsmaßnahmen zu tragen, bedeutende archäologische Stätten, die bis dato touristische Anziehungspunkte in einer ansonsten strukturschwachen Region darstellten, gehen durch die Überflutung verloren und die Überschwemmungsgefahr für das ganze Gebiet erhöht sich drastisch. Auch wird eine Versandung des Hafens von Chongqing befürchtet, da sich die vom Changjiang mitgeführten Schlamm und Sand im Stausee ablagern kann. Dadurch würde dann auch der Wasserspiegel des Sees steigen und die Überschwemmungsgefahr für das gesamte Gebiet erhöhen. Hauptnutznießer des Projekts sind in den Augen der Provinz Sichuan die Provinzen am Mittel- und Unterlauf des Stromes. Sie gab ihre ablehnende Haltung jedoch 1984 auf, als von Regierungsseite die Schaffung einer eigenen Provinz Sanxia versprochen wurde9.
Zu den Regierungsstellen, die einem Staudamm diesen Ausmaßes skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen, gehören das Verkehrsministerium, das befürchtet, dass der Schiffsverkehr während der sehr langen Bauzeit zum größten Teil zum Erliegen kommen wird, sowie das Ministerium für Wasserwirtschaft und Elektrizität. Aus diesem Ministerium stammt der bekannte Staudammkritiker Li Rui, ehemaliger Vizeminister der Behörde, der seit den fünfziger Jahren Zweifel am Sinn des Projekts anmeldet und sich immer wieder dagegen ausgesprochen hat10.
Die Argumente der Staudammgegner reichen von der Problematik der Finanzierung, über ungeklärte Umweltschutz- und Umsiedlungsfragen bis hin zu überregionalen Folgen des Projekts. So wird bei den von offizieller Seite veranschlagten Kosten bemängelt, dass sie teilweise bewusst zu niedrig gehalten wurden. Dies erreichte die Regierung, indem sie eine niedrigere Zahl an umzusiedelnden Menschen angab, als tatsächlich der Fall sein wird11. Auch die mit dem Damm verbundenen Folge- und Nebenkosten, wie Stromleitungen für einen effizienten Stromtransport, oder Instandhaltungskosten für die Anlage, wurden zum Teil nicht einberechnet. In diesem Zusammenhang wird von Seiten der Opposition oft auf andere Projekte, wie den Gezhouba- oder den Sanmenxia-Staudamm verwiesen, bei denen die Kosten aufgrund einer Überschreitung der Bauzeit und falsch kalkulierter Aufwendungen explodierten12 13.
Die von Regierungsseite immer wieder angeführte Hochwasserprävention stößt bei den meisten Gegner generell nicht auf Ablehnung. Vor allen Dingen das Ministerium für Wasserwirtschaft stimmt der flutsichernden Wirkung eines Staudammes durchaus zu. Allerdings ist zu bedenken, dass der Spagat zwischen Hochwasserschutz auf der einen - also einem See mit niedrigem Wasserstand, um die Flutwelle aufzufangen - und dem Ziel der Rentabilität durch die Stromerzeugung - d.h. volle Auslastung der Turbinen durch einen voll gefülltes Becken - auf der anderen Seite, kaum zu bewerkstelligen sein wird. Auch wird von den Kritikern immer wieder betont, dass durch den Damm lediglich die Symptomatik, nicht jedoch die Ursache des Hochwassers, nämlich die übermäßigen Abholzungen am Oberlauf des Changjiang, bekämpft würde14. Die vom Changjiang mitgeführten Schlamm- und Geröllmassen liegen mit einer Jahresmenge von rund 672 Millionen Tonnen (1984)15 im Bereich des Damms zwar unter denen des für seine Sandmitführung bekannten Huanghe, allerdings besteht die Befürchtung, dass diese Massen sich im Staubecken ablagern werden und zu Versandung, einem Ansteigen des Wasserspiegels, und zur Beschädigung des Damms und der Turbinen und Schleusenanlagen führen könnten.
Ein vor allem von Umweltschutzgruppierungen immer wieder aufgeführtes Argument, das gegen ein Großprojekt dieser Art spricht, sind die nicht vorhersehbaren Folgen für ein Gebiet, das teilweise die letzte Rückzugsmöglichkeit für bedrohte Arten, wie den chinesischen Flussdelphin und verschiedene Vögel darstellt16. Wie auch von Regierungsseite zugegeben, kann die riesige Wasserfläche des Staubeckens auch zu einer Klimaveränderung in Form einer Erwärmung um durchschnittlich bis zu 1°C führen, was, gekoppelt mit dem See, zu einer Ausbreitung des Schistomiasis japonicum, eines Parasits17, beitragen könnte18
3.3 Die internationale Bedeutung des Sanxia-Staudamms
Wie aus dem geschichtlichen Abriss der Ereignisse um die Entstehung des Staudamms bei den Drei Schluchten ersichtlich, handelte es sich nie um ein Projekt, das von China unter der Guomindang-Regierung bzw. der VR China alleine getragen wurde. Bis zum jetzigen Tag sind noch immer sehr viele ausländische Industrieunternehmen bei der Fertigstellung beteiligt. Außerdem wurden von verschiedenen Staaten Kredite gewährt19, sowie technische Unterstützung bewilligt. Auch die Weltbank war am Drei-Schluchten-Staudamm- Projekt beteiligt, allerdings ist es interessant, ihre Rolle und Haltung etwas genauer zu betrachten.
Das Engagement der Weltbank in China begann im Jahre 1980, als sie ihm den ersten Kredit gewährte20, dem bis 1993 über 100 weitere folgen sollten, die jedoch nicht an das Drei-Schluchten-Projekt gebunden waren. Grundsätzlich stand sie dem Projekt wohlwollend gegenüber und unterstützte sogar diverse Studien.
Sinnbildlich für die Haltung der Weltbank ist ein Zitat von William Smith, eines bei der Weltbank angestellten Ingenieurs, aus dem Jahr 1992:
Die Umsiedlung für das Drei-Schluchten-Projekt ist eine Frage von Organisation und Geld. Die chinesische Regierung hat die nötige Organisationsfähigkeit, die Weltbank hat das Geld. (Bosshard. S.12.)
Allerdings zog sich die Weltbank 1994 nach starker Kritik aus den Reihen von Umwelt- und Entwicklungsorganisationen offiziell von dem Projekt zurück und pflegt mit Peking nurmehr eine Diskussion über die chinesische Energiepolitik.
4. Zusammenfassung und Diskussion
Prinzipiell ist es heute, im Jahr 2001, relativ müßig, mit den zum Teil über 20 Jahre alten Argumenten pro und contra Sanxia-Staudamm zu streiten, da zum einen die Arbeiten seit sieben Jahren laufen, d.h. die Hälfte der geplanten Bauzeit erreicht wurde und zum anderen weder eine absolute Ablehnung, noch eine totale Befürwortung etwas daran ändern würde.
Festzuhalten bleibt, dass das Projekt in seiner jetzt erwachsenden Form und Größe wohl für die nächste Zeit einmalig bleiben wird. Die ökologischen und ökonomischen Gefahren, die für China mit dem Bau dieses Dammes entstehen sind meiner Meinung nach zum größten Teil noch gar nicht abschätzbar und werden sich vielleicht erst in einigen Jahren oder Jahrzehnten bemerkbar machen. Zweifellos wird eine einmalige Landschaft zerstört, eine kaum fassbare Zahl von Menschen entwurzelt und mehr als 400 historische Stätten unwiederbringlich vernichtet. Die wirtschaftliche Gefahr für die Volksrepublik China besteht auf der einen Seite in einer Explosion der Kosten, angefangen bei den eigentlichen Kosten für den Bau (Material, Arbeitskräfte, Technologie) bis hin zu Folgekosten, die in den nächsten Jahrzehnten anfallen werden, um die Umsiedlung vollständig abzudecken und die gesamten Damm-, Kraftwerks- und Schleusenbauwerke instand zu halten. Die geplante Kostenamortisation durch ein Anheben der Strompreise könnte sich in diesem Zusammenhang als fatal erweisen, da der Wirtschaftsboom Chinas, der sozusagen als Sicherheit für eine Stromabnahme gilt, mit großer Wahrscheinlichkeit nicht ewig andauern wird.
Die Auswirkungen auf das gesellschaftliche System der Volksrepublik China lassen sich nicht in Geldeinheiten messen, sind aber nichtsdestotrotz mindestens genauso bedeutend. Vor allem ist in diesem Zusammenhang auf das Verhältnis der Provinzen zur Zentralregierung in Peking hinzuweisen, das sich, gerade im Zuge der Errichtung der Sonderwirtschaftszonen und der damit verbundenen Öffnung des Landes dem Westen gegenüber, zum Teil sehr verschlechtert hat. Als Folge davon favorisieren einige Provinzen eine stärkere Eigenstaatlichkeit. Diesem Trend soll laut Regierungsverlautbarungen durch den Sanxia-Staudamm entgegengewirkt werden, indem die nach größerer Autonomie strebenden Provinzen Südchinas, wie Guangdong, in ein „Energienetz eingebunden und dauerhaft von den übrigen Provinzen abhängig sein“ (Jansen. S.34.) werden. Dem ist entgegenzuhalten, dass viele Provinzen im Rahmen des Projekts erst merkten, was für ein Verhandlungs-potential sie der Regierung gegenüber besaßen. Dies wurde z.B. an der Zusage Pekings zur Schaffung einer eigenen Provinz Sanxia deutlich, womit der Widerstand Sichuans gebrochen wurde. Außerdem führt die geplante Ansiedlung von Industriebetrieben in Sichuan und Hubei zu einer Stärkung des ökonomischen Potentials dieser gesamten Region, woraus sich bestimmt weitere Forderungen dieser Provinzen der Zentralregierung gegenüber ergeben.
Das als „Prestigeobjekt der Diktatoren“ (Bosshard. S.3.) bezeichnete Staudammprojekt bei den Drei Schluchten ist ein Paradebeispiel für mehrere Interpretationen. Die Wittfogelsche Theorie von der „Orientalischen Despotie“ lässt sich zu einem hohen Anteil auf die Situation übertragen. Ein autoritär- „despotisches“ Herrschaftssystem, in diesem Fall eine zentralgelenkte Planwirtschaft, das alle Produktions- und Finanzmittel in der Hand hat, gestützt auf eine ergebene Bürokratie, verwirklicht gegen alle möglichen Widerstände ein Mammutprojekt, welches in einer westlichen Demokratie so wohl nie denkbar gewesen wäre. Blickt man in der Geschichte zurück, tauchen noch genügend andere Beispiele auf, bei denen mit ähnlicher Vehemenz, unter Nichtbeachtung einer gegenteiligen Meinung, gigantische Projekte realisiert wurden. Man denke nur an den Assuan-Staudamm. Trotz dieser Parallelen muss klar sein, dass es sich bei der VR China auf keinen Fall um eine hydraulische Kultur im Sinne Wittfogels handelt, da sich seine Definitionen auf die Hochkulturen der Antike bezogen, weswegen keine Eins-zu-Eins- Übertragung auf moderne Staaten möglich ist.
China wird mit dem Sanxia-Damm eine relativ kurzfristige Verbesserung der anvisierten Ziele Hochwasserprävention, Verbesserung der ökonomischen Lage für die schwächeren Regionen erreichen. Das Problem ist an und für sich auch nicht der Staudamm, er ist lediglich ein Zeichen für das Dilemma, in dem sich die Politik Chinas befindet. Die Schere zwischen Arm und Reich, Stadt und Land, sowie Küsten- und Binnenregionen öffnet sich immer weiter und unaufhaltsam. Die Führungsriege erlaubt auf der einen Seite Öffnungen in Richtung Marktwirtschaft, verschließt sich andererseits jedoch den Rechten, die ihren Bürgern zustehen.
Dieses Verhalten ist auch ein Indiz für die Rolle des Westens. Auch für die westlichen Industrienationen birgt das Staudammprojekt kaum vorhersehbare Folgen. So sind viele Staaten, darunter auch die Bundesrepublik Deutschland, finanziell in Form von Krediten und Bürgschaften an dem Projekt beteiligt. Ein Scheitern würde deswegen auch für sie Nachteile mit sich bringen. Bei dem ganzen Sanxia-Staudammprojekt wird ein weiteres Mal die schizophrene Haltung des Westens den Machthabern in Peking gegenüber deutlich sichtbar. Die Ausnutzung wirtschaftlicher Vorteile, in diesem Fall die Auftragserteilung für die eigenen Unternehmen, wird großgeschrieben, eine moralische Verpflichtung wird aber unter den Teppich gekehrt. Die massiven Menschenrechtsver- letzungen in der Volksrepublik China, die bekannt sind und auf die jedes Jahr von NGOs wie Amnesty International hingewiesen wird, zählen nichts gegenüber eines wirtschaftlichen „Scheinerfolgs“. „Scheinerfolg“, weil die Aufträge an Großkonzerne wie zum Beispiel Siemens, wieder durch die vergebenen Hermes-Bürgschaften der Bundesregierung gedeckt werden. Eine klare Haltung des Westens in allen Bereichen täte hier Not.
Insgesamt bleibt zu sagen, dass der Sanxia-Staudamm mit Sicherheit nicht die beste Lösung ist, für die sich China entscheiden konnte, die erwähnten Nachteile überwiegen einfach. Das Projekt ist ein „Prestigeobjekt der Diktatoren“. Es stecken mit Sicherheit noch andere Überlegungen, zum Beispiel der Schutz vor Überschwemmungen, dahinter, aber die Ablehnung einer kritischen Diskussion durch die Führungsriege Chinas, ließ den Damm zu einer Art Denkmal werden. Einem Denkmal für einige wenige, dem Millionen weichen müssen.
5. Literaturverzeichnis
Bosshard, Peter. Der Damm zu Babel: Das Drei-Schluchten-Projekt am Yangtze. Bonn: WEED, 1995.
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Zhao, Songqiao. Geography of China. New York: John Wiley & Sons, 1994.
[...]
1 Wittfogel. Die Orientalische Despotie.
2 Sämtliche Daten dieses Abschnitts aus: Der Brockhaus. Stichwort: „Jangtsekiang“.
3 Wang Jiazhu. „How much investment is required by the TGP?”. Megaproject. S.196.
4 Bosshard. Damm zu Babel. S.7.
5 Jing. „Rural resettlement“. S.79.
6 Voith Siemens. Presse-Information, 17.07.2000.
7 Bosshard. Damm zu Babel. S.3 u. 5.
8 Liu. Chinas zweite F ü hrungsgeneration. S.1 ff.
9 Jansen. „Sanxia-Staudammprojekt“. S.27
10 Bosshard. Damm zu Babel. S.9.
11 Jing. „Rural resettlement“. S.79.
12 Bosshard. Damm zu Babel. S.7.
13 Jing. „Rural resettlement“. S.79f.
14 Bosshard. Damm zu Babel. S.4.
15 Megaproject. Luk, Whitney (Hg.). S.14.
16 Bosshard. Damm zu Babel. S.5.
17 Beim Schistomisiasis japonicum handelt es sich um einen im Darm lebenden Parasiten, der sich in stehenden Gewässern entwickelt und durch die Haut eindringt. - Anm. d. Verf.
18 Yuan. „The Yangtze River Three Gorges Project“. S.12.
19 Bosshard. Damm zu Babel. S.11.
20 s.o.
- Quote paper
- Steffen Dyck (Author), 2001, Chinas Flüsse: Der Changjiang und das Sanxia-Staudammprojekt, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/101527
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