Die vorliegende Arbeit widmet sich dem Einsatz kooperativer Lernformen im Unterricht an deutschen Schulen. Betrachtet wird, wie Lehrerinnen und Lehrer diese beurteilen und wie deren Sicht auf diese Form des schülerzentrierten Unterrichts ist. In Zeiten, in denen durch Inklusion und Immigration die Lerngruppen zunehmend heterogener werden, stellt sich die Frage, ob Lehrkräfte kooperative Lernformen als geeignetes didaktisches Mittel sehen und diese in der Praxis nutzen.
In leitfaden-gestützten Interviews wurden Lehrkräfte an einer Gemeinschaftsschule mit hohem Migrations- und Inklusionsanteil nach deren Urteil zu verschiedenen Aspekten kooperativer Lernformen wie u.a. der Häufigkeit des Einsatzes, der im Unterricht erzielbaren Effekte, den notwendigen Voraussetzungen und möglichen Hemmnissen befragt. Mittels einer qualitativen Inhaltsanalyse des Interviewmaterials wurde ein Kategoriensystem erarbeitet, welches die Aussagen der Lehrkräfte in 16 Ober- und 65 Unterkategorien strukturiert. Diese wurden mit den Erkenntnissen früherer Forschungsarbeiten abgeglichen und dienten als Grundlage für die Formulierung explorativer Hypothesen, die Anstöße für die Unterrichtsforschung und –praxis geben können. Weiterhin wurden im Hinblick auf die Lehrersicht zu kooperativen Lernformen drei unterscheidbare Lehrertypen identifiziert.
Die Ergebnisse dieser Studie legen nahe, dass kooperative Lernformen einen geeigneten didaktischen Ansatz für den Unterricht in heterogenen Klassen darstellen. Mehrere der Befragten bezeichneten diese sogar als einzigen gangbaren Weg. Diese Aussagen stammen von erfahrenen Lehrkräften, wohingegen Lehrende mit geringerer Lehrerfahrung insbesondere in der notwendigen Planungs- und Vorbereitungszeit ein Hemmnis sehen. Ein effektiver Einsatz scheint möglich, wenn mit den Lernenden das Arbeiten in kooperativen Lernphasen zunächst eingeübt wird und zusätzliche Ressourcen wie Räume oder Unterstützungskräfte in inklusiven Klassen bereitgestellt werden.
Die Erkenntnisse der vorliegenden Untersuchung können als Appell an die Bildungspolitik verstanden werden, die notwendigen Ressourcen bereitzustellen, wenn kooperativer und inklusiver Unterricht an deutschen Schulen erfolgreich sein soll.
Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Zielsetzung
1.3 Forschungsdesign
1.4 Aufbau der Arbeit
2. TheoretischeGrundlagen
2.1 Kooperative Lernformen und kooperatives Lernen
2.2 Heterogenität in Lerngruppen
3. Forschungsstand
3.1 Einsatz kooperativer Lernformen in deutschen Schulen
3.2 Positive und negative Wirkungen des kooperativen Lernens
3.3 Voraussetzungen und Hemmnisse des kooperativen Lernens
3.4 Gestaltung kooperativer Unterrichtseinheiten
3.5 Die Rolle der Lehrkräfte in kooperativen Lernsettings
3.6 Lehrersichtaufkooperatives Lernen
3.7 Kooperatives Lernen in heterogenen Lerngruppen
4. Auswertung und Interpretation der Interviews
4.1 Datenerhebung
4.2 Kategoriensystem
4.3 Heterogenität: Herausforderungen und Umgang
4.4 Kooperatives Lernen: Bekanntheit und Einsatz im Unterricht
4.5 Kooperatives Lernen: Wirkungen - positiv und negativ
4.6 Kooperatives Lernen: Voraussetzungen und Hemmnisse
4.7 Kooperatives Lernen: Übergreifende Sicht der Lehrkräfte
5. Formulierung explorativer Hypothesen
6. Konklusion und Ausblick
Zusammenfassung:
Die vorliegende Arbeit widmet sich dem Einsatz kooperativer Lernformen im Unterricht an deutschen Schulen. Betrachtet wird, wie Lehrerinnen und Lehrer diese beurteilen und wie deren Sicht auf diese Form des schülerzentrierten Unterrichts ist. In Zeiten, in denen durch Inklusion und Immigration die Lerngruppen zunehmend heterogener werden, stellt sich die Frage, ob Lehrkräfte kooperative Lernformen als geeignetes didaktisches Mittel sehen und diese in der Praxis nutzen.
In leitfaden-gestützten Interviews wurden Lehrkräfte an einer Gemeinschaftsschule mit hohem Migrations- und Inklusionsanteil nach deren Urteil zu verschiedenen Aspekten kooperativer Lernformen wie u.a. der Häufigkeit des Einsatzes, der im Unterricht erzielbaren Effekte, den notwendigen Voraussetzungen und möglichen Hemmnissen befragt. Mittels einer qualitativen Inhaltsanalyse des Interviewmaterials wurde ein Kategoriensystem erarbeitet, welches die Aussagen der Lehrkräfte in 16 Ober- und 65 Unterkategorien strukturiert. Diese wurden mit den Erkenntnissen früherer Forschungsarbeiten abgeglichen und dienten als Grundlage für die Formulierung explorativer Hypothesen, die Anstöße für die Unterrichtsforschung und -praxis geben können. Weiterhin wurden im Hinblick auf die Lehrersicht zu kooperativen Lernformen drei unterscheidbare Lehrertypen identifiziert.
Die Ergebnisse dieser Studie legen nahe, dass kooperative Lernformen einen geeigneten didaktischen Ansatz für den Unterricht in heterogenen Klassen darstellen. Mehrere der Befragten bezeichneten diese sogar als einzigen gangbaren Weg. Diese Aussagen stammen von erfahrenen Lehrkräften, wohingegen Lehrende mit geringerer Lehrerfahrung insbesondere in der notwendigen Planungs- und Vorbereitungszeit ein Hemmnis sehen. Ein effektiver Einsatz scheint möglich, wenn mit den Lernenden das Arbeiten in kooperativen Lernphasen zunächst eingeübt wird und zusätzliche Ressourcen wie Räume oder Unterstützungskräfte in inklusiven Klassen bereitgestellt werden.
Die Erkenntnisse der vorliegenden Untersuchung können als Appell an die Bildungspolitik verstanden werden, die notwendigen Ressourcen bereitzustehen, wenn kooperativer und inklusiver Unterricht an deutschen Schulen erfolgreich sein soll.
Die Anhänge sind nicht im Lieferumfang enthalten!
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Mögliche relevante Einflussfaktoren aus Sicht der Lehrkräfte
Abbildung 2: Effekte des kooperativen Lernens
Abbildung 3: Hemmnisse des kooperativen Lernens
Abbildung 4: Kooperatives Lernen und Heterogenität
Tabellenverzeichnis:
Tabelle 1: Steckbrief der befragten Lehrkräfte
Tabelle 2: Gebildete Ober- und Unterkategorien des Kategoriensystems
1. Einleitung
1.1 Problemstellung
Die unbefriedigenden Ergebnisse Deutschlands in den PISA-Studien veranlassten die Unterrichtsforschung und Bildungspolitik nach Mitteln und Wegen zu suchen, die Qualität des Unterrichts zu verbessern. Als ein Ansatz zur Steigerung der Unterrichtsqualität wird die flächendeckende Verbreitung von kognitiv anregendem fachlichem Lernen gefordert (Rabenstein/Reh 2007: 23), welches als ein Merkmal guten Unterrichts gilt (Klieme/Schümmer/Knoll 2001: 43). Eine Möglichkeit der didaktischen Umsetzung bieten hierzu kooperative Lernformen. Der zentrale Ansatz kooperativer Lernformen ist es, dass alle Schülerinnen und Schüler (SuS) im Unterricht aktiv sein sollen. Es gilt, gemeinsame Prozesse in Lerngruppen anzustoßen. Kooperatives Lernen kann dabei durch eine Vielzahl von Lernmethoden realisiert werden. Es handelt sich um ein langfristiges Konzept, „das aus methodisch durchdachten Arbeitsformen, Feedbacks und Gruppengestaltungsprozessen besteht" (Weidner 2003: 10).
Auch als didaktische Antwort auf die zunehmende Heterogenität der Lerngruppen werden kooperative Lernformen betrachtet. Insbesondere die Inklusion von SuS mit Förderbedarfen in die Regelklassen, welche nach der Ratifizierung der Behindertenrechtskonvention (BRK) der Vereinten Nationen im Deutschen Bundestag im Jahr 2009 in den deutschen Schulen zunehmend umgesetzt wird, trägt zu einer ansteigenden Heterogenität der Lerngruppen bei. Heterogene Klassen benötigen Lernmethoden, die darauf ausgerichtet sind, alle SuS zu fördern und auf die unterschiedlichen Stärken und Schwächen der Lernenden einzugehen. Hierfür eignen sich kooperative Ansätze: „Kooperatives Lernen wird immer wieder ins Spiel gebracht, wenn es um die Frage nach geeigneten Unterrichtsformen für heterogene Lerngruppen geht. Die Vielfalt und Unterschiedlichkeit in einer inklusiven Schulklasse werden hierbei nicht als Hindernisse gesehen, sondern als Ressourcen genutzt" (Avci-Werning/Lanphen 2013: 150).
Sowohl die Effizienz als auch die Effektivität des Einsatzes kooperativer Lernformen im schulischen Unterricht wird in einer Vielzahl wissenschaftlicher Arbeiten untersucht, wobei positive Wirkungen vielfach festgesteht werden. Des Weiteren werden in Publikationen die notwendigen Voraussetzungen für den erfolgreichen Einsatz kooperativer Lernformen diskutiert und mögliche Hemmnisse benannt. Auch die meisten
Lehrpläne der deutschen Bundesländer empfehlen den Einsatz kooperativer Lernformen. Der Anteil der kooperativen Lernmethoden am Gesamtunterricht in deutschen Schulen wurde aber in der Vergangenheit von einigen Autoren mit 4 bis 8 % als relativ niedrig beziffert (Konrad/Traub 2008: 43).
Der Einsatz neuerer Lernformen steht und fällt mit der Bereitschaft der Lehrerinnen und Lehrer (LuL), sich diese anzueignen und im Unterricht einzusetzen. Die Innovationsbereitschaft der Lehrenden wird allerdings von der Lehrerforschung im Allgemeinen als gering eingeschätzt (Kunze 2004: 55). Oftmals werden die Lehrenden als resistent gegenüber didaktischen Impulsen angesehen und die Wissenschaft sieht kaum Möglichkeiten, deren Handeln zu beeinflussen. Zudem stellen die Planung und Umsetzung kooperativer Lernstrategien neue Anforderungen an die LuL und es stellt sich die Frage, ob diese im deutschen Schulsystem an Regelschulen mit normalen Klassengrößen umsetzbar und effektiv sind.
Die Bereitschaft der Lehrenden, bestimmte Lernformen im Unterricht einzusetzen, ist abhängig von der Sicht und den Einstellungen der Einzelpersonen auf das bzw. zum Geschehen im Unterricht. Die Forschung spricht von den berufsbezogenen Überzeugungen einer Lehrkraft und versucht, diese zu erfassen. Überzeugungen sind Glaubensgrundsätze einer Person, die meist nicht wissenschaftlich begründet sind. Diese können sich bspw. auf die Wirksamkeit von Unterrichtsmethoden, die Bedeutung der Aktivität von SuS im Unterricht oder auch die Lehrerrolle beziehen (Oser/Blömeke 2012: 415). Überzeugungen zu Prozessen des Lehrens und Lernens haben einen wichtigen Einfluss auf das berufliche Handeln von Lehrpersonen (Reusser/Pauli/Elmer 2011: 650 ff.). Internationale Untersuchungen weisen weiterhin daraufhin, dass die Einstellung der Lehrkräfte zum kooperativen Lernen einer der wesentlichen Erfolgsfaktoren für die effektive Implementierung dieser Unterrichtsform darstellt (Hijzen/Boekaerts/Vedder 2007: 682 f. und Webb 2009: 1 ff.).
1.2 Zielsetzung
Vor dem dargestellten Hintergrund ist es das Ziel dieser Forschungsarbeit, die Haltung der Lehrkräfte, in Zeiten steigender Heterogenität in den Klassen, gegenüber kooperativen Lernformen und deren in der Unterrichtspraxis gemachten Erfahrungen zu ergründen. Die vorliegende Arbeit verfolgt hierbei eine explorative und deskriptive Zielsetzung und ist in die Unterrichtsmethodenforschung einzuordnen. Es soll erkannt und beschrieben werden, was Lehrende über kooperative Lernformen wissen und denken. Dem rekonstruktiven Forschungsparadigma folgend, wird versucht, die Perspektive der Beforschten zu verstehen.
Zielsetzung dieses Forschungsprojektes ist die Beantwortung folgender Forschungsfragen:
1. Wie bewerten Lehrerinnen und Lehrer kooperative Lernformen bzgl. deren Umsetzbarkeit und des erzielbaren Lernerfolges?
2. Inwieweit eignen sich kooperative Lernformen für den Unterricht mit heterogenen Gruppen aus Sicht der Lehrerinnen und Lehrer?
3. Sind bestimmte Lehrertypen in Hinsicht auf deren Einstellung zum kooperativen Lernen unterscheidbar?
Zur Lehrersicht auf kooperatives Lernen existieren aktuell nur wenige Untersuchungen sowohl in Deutschland als auch international. Existierende Untersuchungen zur Verbreitung des kooperativen Lernens in der deutschen Schulpraxis stammen aus dem Jahr 2000 und früher. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, den aktuellen Stand der Lehrersicht darzustellen sowie neue Erkenntnisse zu den beeinflussenden Faktoren vorzulegen. Hierbei findet der Aspekt der Heterogenität der Schülerschaft besondere Berücksichtigung. Die Ergebnisse der Untersuchung können auch für die Inklusionsforschung, die in den unterrichtsbezogenen Variablen und deren Wirkung eine Forschungslücke sieht (Mortier u. a. 2009: 354), Impulse geben.
1.3 Forschungsdesign
Das Forschungsdesign orientiert sich an den von Mayring (2015) beschriebenen Grundlagen und Techniken der qualitativen Inhaltsanalyse, welche ein stark theorie- und regelgeleitetes Vorgehen darstellt. Zur Erreichung der Forschungsziele wurde eine am Einzelfall orientierte Vorgehensweise gewählt. Diese gestattet die offene Erkundung der Lehrersicht als Untersuchungsgegenstand, die Identifizierung relevanter Einzelfaktoren sowie die Konstruktion möglicher Zusammenhänge zwischen diesen Faktoren und unterstützt die Hypothesenfindung (ebd.: 22 f.). Das Forschungsdesign umfasst folgende Forschungsschritte: Literaturanalyse, Durchführung von leitfadengestützten Interviews, Transkription der Interviews, Auswertung des Textmaterials, Interpretation der Ergebnisse, explorative Hypothesenformulierung sowie Niederschrift der Forschungsarbeit.
Im ersten Forschungsschritt wurde die umfassende wissenschaftliche internationale und deutschsprachige Literatur gezielt nach Faktoren gesichtet, welche die Lehrersicht auf kooperative Lernformen bzw. kooperatives Lernen beeinflussen können. In die Literaturarbeit wurden neben Monografien und Aufsätzen in wissenschaftlichen Fachjournalen auch didaktische Lehrbücher einbezogen. Es stellt sich einerseits die Frage, wie die Lehrenden die in der Literatur beschriebenen Faktoren und Phänomene in ihrer Unterrichtspraxis wahrnehmen, und andererseits, wie diese Erfahrungen die Gesamtsicht der Lehrenden auf kooperatives Lernen beeinflussen. Insgesamt wurden sechs Faktoren in die Literaturanalyse einbezogen, die auch den Rahmen für die weiteren Forschungsschritte bilden. Eine Übersicht über die betrachteten Faktoren gibt die folgende Abbildung:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Mögliche relevante Einflussfaktoren aus Sicht der Lehrkräfte
(eigene Darstellung)
Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurde als zweiter Forschungsschritt ein exploratives Vorgehen in Form von qualitativen semi-strukturierten Interviews mit Lehrkräften gewählt. Einzelinterviews stellen ein subjektnahes Vorgehen dar und erlauben es, sich den Erfahrungen und Einsichten der Befragten intensiv zu widmen (ebd.: 33). Den Befragten wurde die Gelegenheit geboten, bspw. Hemmnisse bei der Anwendung von Unterrichtsmethoden frei zu benennen oder Schilderungen zu bestimmten Erlebnissen im Unterricht zu geben. In Vorbereitung der Interviews wurde ein Interviewleitfaden erarbeitet, der sich an den Erkenntnissen der Theoriearbeit orientierte. Es wurden vornehmlich offene Fragen gestellt (siehe Anhang A).
Der dritte Forschungsschritt umfasste die Transkription der Interviewergebnisse (siehe Anhang B) als Grundlage für die weiteren Analysen. Die Auswertung der Leitfadeninterviews im vierten Forschungsschritt folgte dem von Mayring (2015) spezifizierten Vorgehen zur qualitativen Inhaltsanalyse. Zentral ist hierbei die Konstruktion von Kategorien und deren Zusammenfassung in einem Kategoriensystem. Hierzu erfolgte zunächst eine deduktive Definition von Oberkategorien auf der Basis der theoretischen Vorüberlegungen und des Forschungsstandes.
Auf der Grundlage des Interviewmaterials wurden daraufhin im Sinne einer induktiven Kategoriendefinition Unterkategorien gebildet und den Oberkategorien zugeordnet (ebd.: 85). Mithilfe des Kategoriensystems können aus den in Texten verschriftlichten Interviewaussagen die für die Forschungsfragen relevanten Aspekte herausgefiltert werden. Die Nachvollziehbarkeit der Analyse für andere Forscher soll gewährleistet werden (ebd.: 51).
Die Interpretation der Ergebnisse in Bezug auf die Forschungsfragen und die Formulierung von explorativen Hypothesen zu feststellbaren Zusammenhängen bildeten den fünften und sechsten Forschungsschritt der Untersuchung. Die Erstellung des finalen Dokumentes schließt das Studiendesign mit dem siebten Forschungsschritt ab.
1.4 Aufbau der Arbeit
Die Arbeit ist in sechs Kapitel gegliedert. An die Darstellung der Problemstellung und der Forschungsfragen sowie des Studiendesigns im ersten Kapitel schließen sich die Klärung und Abgrenzung der wesentlichen Begriffe auf der Basis der Literatur im zweiten Kapitel an. Es werden hierin unterschiedliche Definitionen zum kooperativen Lernen gegeben und verschiedene kooperative Lernformen angesprochen. Des Weiteren werden im zweiten Kapitel die Grundlagen zum Verständnis des Heterogenitätsbegriffes geschaffen. Aufgegriffen werden hierbei auch die Umsetzung der Inklusion in den Bundesländern und die Anfordernisse eines inklusiven Unterrichts.
Nachdem die Basis für ein Verständnis des Themas gelegt wurde, richtet sich im dritten Kapitel der Blick auf den aktuellen Forschungsstand zu kooperativem Lernen und kooperativen Lernformen. Hier sei angemerkt, dass dieser nur aus dem Blickwickel der in Abbildung 1 gezeigten relevanten Faktoren fragmentarisch dargestellt werden kann. Die sehr große Anzahl an verfügbaren nationalen und internationalen Studien zu kooperativen Lernformen verhindert eine Sichtung und Darstellung aller Forschungsergebnisse. Bei der Darstellung des Forschungsstandes wird auf die bekannten Metastudien aus dem englischen Sprachraum von Johnson u. a. sowie Slavin zum kooperativen Lernen zurückgegriffen, welche auch im deutschen Sprachraum breit rezipiert wurden. Weiterhin werden Erkenntnisse dargestellt, die an deutschen Schulen gewonnen wurden, bspw. zur Häufigkeit des Einsatzes kooperativer Lernformen.
Das vierte Kapitel widmet sich der deskriptiven Darstellung der Ergebnisse aus der durchgeführten Befragung und folgt dabei der Struktur der theoretischen Vorarbeiten. Zudem werden die Befragungsergebnisse den Aussagen aus anderen Forschungsarbeiten gegenübergestellt und interpretiert.
Das fünfte Kapitel stellt eine Reihe von Hypothesen vor und begründet deren Herleitung. Die Arbeit schließt mit der Beantwortung der Forschungsfragen und einem Ausblick auf zukünftige Entwicklungen und Forschungsbedarfe im sechsten Kapitel.
2. Theoretische Grundlagen
2.1 Kooperative Lernformen und kooperatives Lernen
Kooperative Lernformen stellen eine Alternative zum klassischen Frontal- oder Klassenunterricht dar und werden in der empirischen Unterrichtsforschung der Gruppe der alternativen Unterrichtsformen zugeordnet. Im Unterschied zum zentral gelenkten Frontal- oder Klassenunterricht, der durch hohe Lehrerzentriertheit und -aktivität gekennzeichnet ist, herrschen in den häufig als offener Unterricht bezeichneten Lernsettings andere Sozialformen sowie ein reduziertes Maß der Steuerung durch die Lehrkraft vor (Lüders/Rauin 2004: 708). Statt lehrergeleitet und direkt erfolgt die Instruktion schülerorientiert und offen (Gruehn 2000: 47). Kennzeichen kooperativer Lernformen sind die Zusammenarbeit von mindestens zwei Personen mit dem Ziel eines Lernzuwachses bei einer geeigneten Problem- und Aufgabenstellung. Die Aufgabe sollte intrinsische Motivation auslösen und nur durch koordinierte Zusammenarbeit gelöst werden können, die Mitglieder sollen gleichberechtigt sein und durch eine Lehrkraft begleitet werden (Traub 2004: 32 f.). Kooperative Lernformen fördern das kooperative Lernen im Unterricht. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit wird der Begriff kooperatives Lernen als übergeordnetes Konzept verstanden, welches durch verschiedene kooperative Lernformen und Prinzipien im Unterricht umgesetzt werden kann.
Kooperatives Lernen kann in einem engen Verständnis als Umsetzung des Think-Pair- Share-Ansatzes verstanden werden (Bonnet 2009: 2 f.). Der bereits in den 1980er Jahren von Lyman (1987) entwickelte Think-Pair-Share-Ansatz gilt als ein wesentliches didaktisches Grundprinzip des kooperativen Lernens. Er gliedert sich in einen Dreischritt aus individueller Einzel-, Paar- und Gruppen- bzw. Plenumsarbeit. In der Think-Phase, welche nicht länger als fünf Minuten dauern sollte, denken die SuS zunächst in Einzelarbeit über die Aufgabenstellung nach und machen ggf. Notizen (Heckt 2008: 31). Es erfolgt eine individuelle Konstruktionsleistung (Brüning/Saum 2009: 21). In der folgenden Pair-Phase werden Zweierteams nach dem Zufallsprinzip zusammengestellt, die sich gegenseitig ihre vorher erarbeiteten Arbeitsergebnisse vorstellen. Die Dauer sollte sich auch hier auf wenige Minuten beschränken (Heckt 2008: 31). In dieser Phase erfolgt eine sogenannte Ko-Konstruktion (Brüning/Saum 2009: 21). Zur abschließenden Share-Phase werden Vierergruppen gebildet, welche wiederum die Arbeitsergebnisse austauschen. Diese werden häufig visualisiert und im Plenum präsentiert.
Insgesamt ist für diese Phase die meiste Zeit einzuplanen (Heckt 2008: 31). Durch den Austausch im Plenum erfolgt eine vertiefte Ko-Konstruktionsleistung (Brüning/Saum 2009: 21). Der Think-Pair-Share-Ansatz ist einerseits für die Lernenden sehr aktivierend und motivierend und andererseits für die Lehrenden mit wenig Aufwand und geringer Vorbereitung im Unterricht umzusetzen (Heckt 2008: 31).
Als Sozialform des kooperativen Lernens wird vor allem Partner- und Gruppenarbeit genutzt, womit die interaktive und kooperative Zusammenarbeit angeregt werden kann. Schnebel (2002: 54) schließt in ihrer Definition von kooperativem Lernen explizit die Partnerarbeit ein und fordert als wesentliches Kennzeichen eine gemeinsame Verantwortlichkeit für die erarbeiteten Ergebnisse: „Kooperatives Lernen meint ein Lernarrangement, bei dem zwei oder mehrere Personen gemeinsam an einer Aufgabe arbeiten, wobei alle an der Arbeit partizipieren sollen und gemeinsam für die Durchführung und das Ergebnis verantwortlich sind." Bei der Partnerarbeit verbalisiert ein Partner seine Antwort, während der andere zuhört, Fragen stellt oder das, was er gehört hat, kommentiert. Die Klärung und Erklärung einer Antwort sind dabei wichtige Bestandteile des Prozesses der Zusammenarbeit (Johnson u. a. 1985: 303 ff.).
Traub (2004: 24) gibt eine ähnliche Definition, fügt dem aber das Ziel des Erwerbs sowohl von Kenntnissen als auch von Fertigkeiten zu: „Kooperatives Lernen bezeichnet eine Interaktionsform, bei der alle Beteiligten gemeinsam und in wechselseitigem Austausch Kenntnisse und Fertigkeiten erwerben. Alle Gruppenmitglieder sind gleichberechtigt und verantwortlich für das Ergebnis."
Johnsons und Johnson (1994) fassen den Begriff des kooperativen Lernens enger. Für sie ist kooperatives Lernen nur dann gegeben, wenn folgende fünf Basiselemente umgesetzt werden:
1. Positive Interdependenz: Diese besteht, wenn individuelle Ziele und Gruppenziele nur gemeinsam erreicht werden können. Positive Abhängigkeit kann geschaffen werden durch Zielinterdependenz, Rolleninterdependenz, Ressourceninterdependenz, Aufgabeninterdependenz und Belohnungsinterdependenz. Positive Interdependenz bildet das Kernstück kooperativen Lernens.
2. Face-to-Face-Kommunikation und gegenseitige Unterstützung: Eine intensive verbale Kommunikation mit gegenseitigen Erklärungen, Ermutigungen und Hilfestellungen soll gefördert werden. Argumente, Standpunkte und unterschiedliche Perspektiven sollen innerhalb der Gruppe ausgetauscht und motivierendes Feedback gegeben werden.
3. Individuelle Verantwortlichkeit: Jedes Gruppenmitglied muss für das Gruppenergebnis mitverantwortlich sein und einen klar erkennbaren individuellen Beitrag leisten. Dem bekannten Trittbrettfahrer-Effekt soll entgegengewirkt werden.
4. Interpersonale Fähigkeiten: Soziale Fähigkeiten wie bspw. Konfliktfähigkeit, Verantwortungsbewusstsein, Kritik- und Entscheidungsfähigkeit sollen gefördert werden. Diese sind notwendig, um eine effiziente Gruppenarbeit und ein Teamwork zu gewährleisten.
5. Reflexive Gruppenprozesse: Die Gruppe soll reflektieren, wie die Zusammenarbeit funktioniert hat, welche Prozesse förderlich oder hinderlich waren und was geändert werden muss, um eine Verbesserung im Arbeits- und Lernprozess zu erreichen.
Um eine Zusammenarbeit in der Gruppenarbeit zu erreichen, wird bei der kooperativen Gruppenarbeit anders als beim traditionellen Gruppenunterricht versucht, durch sorgfältig geplante Lernprozesse eine positive gegenseitige Abhängigkeit der Gruppenmitglieder zu erzeugen (Weidner 2003: 30 f.). Als beispielhafte Lernform sei hier die Gruppenpuzzle-Methode, auch Jigsaw genannt, angeführt. Damit gehen kooperative Lernphasen deutlich über herkömmliche Gruppenphasen hinaus (Lipowsky 2009: 85 ff.). Kooperatives Lernen, welches die fünf Basisprinzipien nach Johnson/Johnson umsetzt, wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit als kooperatives Lernen im engeren Sinne bezeichnet.
Grundsätzlich ist es möglich, jede Aufgabenstellung kooperativ zu gestalten, wobei dabei in drei Organisationsformen unterschieden werden kann (Johnson/Johnson 2008: 18 ff.):
- Formales, längerfristiges kooperatives Lernen: SuS arbeiten in einem Zeitraum von einer Unterrichtsstunde bis über mehrere Wochen zusammen. Die Form der positiven Abhängigkeit wird von der Lehrkraft verdeutlicht.
- Informelles, kurzfristiges kooperatives Lernen: Der Zeitraum der Zusammenarbeit erstreckt sich nur über Minuten bis zu einer Unterrichtsstunde.
- Kooperative Stammgruppen: Langfristig zusammengesetzte Gruppen geben sich gegenseitig Hilfestellung in Form von bspw. Anwesenheits- oder Hausaufgabenkontrolle.
Eine Vielzahl didaktischer Lehrbücher aus dem deutschen Sprachraum beschreibt verschiedene kooperative Lernformen (siehe hierzu bspw. Weidner 2003, Huber 2009, Brüning/Saum 2009, Borsch 2015). Diese geben Lehrkräften praxisorientierte Hilfestellungen und Ratschläge zur Gestaltung kooperativer Lernphasen. Für den Einsatz kooperativer Lernformen in spezifischen Unterrichtsfächern wie bspw. Englisch (Boehn- Hilden/Kolivopoulos 2014 und Büttner/Keßler 2018), Geschichte (Diester 2018), Erdkunde (Mayer 2017), Deutsch (Tagliente 2017) oder Mathematik (Wiecha/Hartkopf- Scholz 2017 und El Faramawy/Sernetz 2016) stehen didaktische Ratgeber zur Verfügung, die teilweise auf die Lehrpläne abgestimmt sind.
Andere Lehrwerke bieten zusätzlich ergänzende Unterstützungsmaterialien wie bspw. Karteikarten oder CDs und unterstützen damit die LuL bei der Unterrichtsvorbereitung (bspw. Sawatzki 2016).
Wie aufgezeigt, existiert eine Vielzahl unterschiedlicher Beschreibungen kooperativer Lernformen und Definitionen zum Begriff des kooperativen Lernens, wobei aber eine trennscharfe Abgrenzung der kooperativen Lernformen in der Literatur bislang noch aussteht (Rabenstein/Reh 2007: 26). Kooperatives Lernen wird vielfach in Theorie und Praxis als ein Sammelbegriff verstanden, der mehrere Ansätze umfasst: von PeerTutoring über Partnerarbeit bis zum Gruppenunterricht. Kooperatives Lernen wird als Synonym für das Lernen in diesen Sozialformen im schulischen Unterricht verwendet.
Diesem Begriffsverständnis soll im Rahmen der vorliegenden Arbeit gefolgt werden, da damit der Untersuchungsgegenstand ausreichend weit gefasst wird und den Lehrkräften in der durchgeführten Befragung ausreichender Spielraum in der Interpretation gegeben wird. Kooperatives Lernen wird damit klar von individuellen Lernformen wie der Einzelarbeit in allen ihren Gestaltungsvarianten und vom lehrerzentrierten Klassenunterricht abgegrenzt.
2.2 Heterogenität in Lerngruppen
Die Heterogenität der Schülerschaft wird in der öffentlichen, politischen und wissenschaftlichen Diskussion in Deutschland vielfach und divers diskutiert (Budde 2012: 522). Internationale Studien zum Schulleistungsvergleich wie PISA oder TIMSS weisen darauf hin, dass sich das deutsche Schulsystem an homogenen Lerngruppen orientiert und der Umgang mit Heterogenität noch nicht ausreichend ist (Biederbeck/Rothland 2017: 225).
Heterogenität kann sich ausdrücken in Unterschieden in der kulturellen und nationalen Identität, der religiösen Sozialisation, dem familiären und sozioökonomischen Kontext, den Kenntnissen und Lernvoraussetzungen, den Lernwegen und Lernstrategien, dem Lern- und Arbeitsverhalten, der Lernmotivation, der Erfolgs- und Misserfolgsattribution sowie den geschlechts- oder temperamentsbedingten Unterschieden (Scholz 2016: 10 f.). In der aktuellen Diskussion gilt ein besonderes Interesse der Berücksichtigung von Kindern mit Migrationshintergrund und dem Umgang mit Kindern mit Förderbedarf im Unterricht. Ein weiteres breit diskutiertes und untersuchtes Feld ist die Leistungsheterogenität und die daraus resultierende Forderung, den vielfältig unterschiedlichen Lernbedingungen der SuS Rechnung zu tragen (Kiper/Miller/Palentie/Rohlfs 2008: 7 ff.).
Divergente Positionen zeigen sich in der Diskussion auf der Ebene der pädagogischdidaktischen Handlungen. Herkömmliche lehrerzentrierte Unterrichtsentwürfe und homogenisierende Erwartungen an das Verhalten in Lerngruppen treffen auf Forderungen nach didaktischen Alternativen, welche auf die Heterogenität der Schülerschaft eingehen. Den Lernenden sollen bspw. durch offenen Unterricht oder kooperative Lernformen individuelle Lernzugänge angeboten werden (Trautmann/Wischer 2011: 105 ff.).
Heterogenität kann entweder als Chance oder als Bedrohung gesehen werden (Budde 2012: 524). Nach der Untersuchung von Kampshoff und Walther (2010) sehen deutsche und österreichische Lehrkräfte den gemeinsamen Unterricht in heterogenen Klassen als bereichernd an. Forschungsergebnisse zur Einstellung von Lehrkräften zu soziokultureller Heterogenität zeigen andererseits, dass Migranten häufig als fremd klassifiziert und schulisch abqualifiziert werden (Weber 2009: 87 f.).
Die Mehrzahl der Untersuchungen zur Haltung von Lehrkräften zur Inklusion von Lernenden mit Förderbedarf zeigt, dass Lehrkräfte mit Inklusionserfahrung einem gemeinsamen Unterricht stärker zustimmen (Ruhberg/Posch 2017: 403).
Forschungsergebnisse zur Lehrersicht aus Deutschland zeigen auf, dass sich angehende LuL im Rahmen ihres Studiums auf den Umgang mit Heterogenität nicht ausreichend vorbereitet fühlen (Gebauer/McElvany/Klukas 2013: 210). Diese Befunde werden auch für erfahrene Lehrkräfte bestätigt (Amrhein 2011: 69). Trotzdem zeigen Studienergebnisse, dass LuL der Heterogenität grundsätzlich positiv gegenüberstehen (Biederbeck/Rothland 2017: 232).
Der Umgang mit Heterogenität stellt eine wesentliche Herausforderung für die Lehrkräfte dar (Reh 2005: 76 ff.). Die Anerkennung der Heterogenität der SuS und die Abkehr vom homogenisierenden Unterricht werden, wie dargestellt, zunehmend gefordert und als Chance der Unterrichtsentwicklung gesehen. Als zeitgemäße Didaktik für den Umgang mit Heterogenität gilt der offene Unterricht mit kooperativem, selbstgesteuertem, individualisiertem oder binnendifferenziertem Lernen (Häcker 2017: 276). Als eine didaktische Antwort auf die Heterogenität im Leistungsniveau wird häufig das Angebot differenzierter Aufgaben gesehen, angepasst an die individuellen Lernvoraussetzungen der Lernenden (Bohl 2017: 266).
Die oben genannten Ansätze gewinnen auch durch die zunehmende Einführung inklusiver Schulen in den Bundesländern an Wichtigkeit (Bohl/Budde/Rieger-Ladich 2017: 7). Die Begriffe Inklusion und inklusiver Unterricht sind verankert in der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen, deren Artikel 24, Absatz 1 das Recht auf Bildung von Menschen mit Behinderung anerkennt. In den Vertragsstaaten soll dieses Recht durch ein inklusives Bildungssystem gewährleistet werden. In der englischen Fassung der Konvention wird explizit ein inclusive education system gefordert, was allerdings in der deutschen Fassung davon abweichend mit integrativem Bildungssystem übersetzt wurde. Absatz 2 des gleichen Artikels fordert, dass Menschen mit Behinderung nicht vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden und Zugang zu einem gleichwertigen und hochwertigen Unterricht haben. Dazu sind angemessene Vorkehrungen zu treffen und die notwendige Unterstützung zu leisten (Vereinte Nationen 2008).
Die BRK wurde 2009 im Deutschen Bundestag ratifiziert und ist damit geltendes Recht. Inklusion verlangt im Gegensatz zur Integration den Einschluss aller in die Gesamtgruppe von Anfang an. Trotzdem lag im Schuljahr 2014/15 der Anteil der SuS mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die eine Sonderschule besuchen, in Deutschland noch bei durchschnittlich ca. 70 %, wobei zwischen den Bundesländern allerdings starke Unterschiede bestehen (Kultusministerkonferenz 2018). Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat zur Umsetzung der BRK ausführliche Empfehlungen herausgegeben und fordert, dass die Schulorganisation, die Richtlinien, Bildungs- und Lehrpläne, die Pädagogik und nicht zuletzt die Lehrerbildung so zu gestalten sind, dass sich Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förder-bedarf auch an allgemeinen Schulen bestmöglich entfalten können. Der Förderbedarf und -status werden in Deutschland durch eine Feststellungsdiagnostik festgestellt. Zu den sogenannten „weichen" Behinderungen zählen der Förderungsstatus Lernen, emotionale und soziale Entwicklung sowie Sprache. Diesen ist zunächst das allgemeine Curriculum zugrunde zu legen. Die in den Curricula beschriebenen Ziele und Kompetenzen sind von den Lehrkräften mit den individuellen Bildungs- und Entwicklungszielen sowie den Förder- und Unterstützungsmaßnahmen zu verbinden (Kultusministerkonferenz 2011). Die Ergebnisse einer repräsentativen Lehrerbefragung in Nordrhein-Westfalen (Forsa 2016) zeigten folgende Bedenken der Lehrkräfte gegenüber der Inklusion: Regelschule kann den erhöhten Förderbedarf behinderter Kinder nicht leisten, Überforderung der behinderten Kinder, Benachteiligung der nicht behinderten Kinder, individuelle Förderung beider Gruppen nicht möglich, Überforderung der Lehrkräfte, Heterogenität der Leistungsfähigkeit sowie zusätzlicher Zeitaufwand. Auf der anderen Seite wurden als positive Effekte eines inklusiven Unterrichts am häufigsten genannt: soziales Lernen (gemeinsam/voneinander lernen), eine bessere Integration von Kindern mit Behinderung, Förderung von Toleranz und sozialen Kompetenzen. Weit über 90 % der Befragten sprechen sich für eine Doppelbesetzung aus Lehrer und Sonderpädagoge in inklusiven Klassen aus.
Die verwendeten Lernmethoden spielen für den inklusiven Unterricht eine wichtige Rolle. Mit inklusivem Unterricht werden oft Wochenpläne, Werkstattunterricht, Stationenlernen verbunden bzw. als geeignet empfohlen Qoller-Graf 2006: 71 f.). Als Gefahr ist allerdings zu sehen, dass dabei kaum gemeinsame Lernsituationen und gemeinsame Erarbeitungsphasen geschaffen werden. Befunde der Inklusionsforschung deuten darauf hin, dass SuS aller Leistungsniveaus von kooperativen Lernformen profitieren (Werning/Avci-Werning 2015: 95). Als entscheidende Erfolgskriterien für den Einsatz dieser Methoden werden die Qualität der Unterstützung sowie dass diese zu den individuellen Lernvoraussetzungen passt, aufgeführt (Eckhart 2011: 99 ff.).
Meijer (2005: 5 f.) benennt als einen von sieben Faktoren für die Effektivität des integrativen/inklusiven Unterrichts den Einsatz alternativer Lernmethoden, bei denen den Lernenden mehr Verantwortung für ihr Lernen übertragen wird, Lern- und Problemlösungsstrategien gezielt vermittelt werden sowie den Projektunterricht. Feyerer und Prammer nennen als Basis eines inklusiven Unterrichts folgende Prinzipien und greifen dabei einige der Punkte auf, die auch mit kooperativem Lernen in Verbindung stehen:
- „mehr Heterogenität, weniger Homogenität
- mehr Miteinander, weniger Gegeneinander
- mehr innere Differenzierung, weniger äußere Differenzierung
- mehr Schülerzentriertheit, weniger Lehrerzentriertheit
- mehr Projektunterricht, weniger Fachunterricht" (2003: 41)
Eine ausgearbeitete Konzeption mit theoretischer Fundierung und praktischer Konkretisierung für den inklusiven Unterricht fehlt allerdings bislang (Pool Maag/Moser Opitz 2014: 134).
3. Forschungsstand
3.1 Einsatz kooperativer Lernformen in deutschen Schulen
In einer empirischen Untersuchung befragte Bohl (2000) unterrichtsmethodischinteressierte Lehrkräfte zum Einsatz ausgewählter Unterrichtsformen an den Realschulen in Baden-Württemberg. Aus dem Rücklauf von 674 Fragebögen konnten u. a. Erkenntnisse zum Gebrauch der kooperativen Lernformen gewonnen werden. Von diesen wurde am häufigsten die Gruppenarbeit praktiziert, wobei ca. drei Viertel der Realschullehrer/innen mindestens eine Stunde pro Woche Gruppenarbeit nutzen. Ein intensiver Einsatz von mehr als vier Stunden pro Woche erfolgte von über einem Drittel der Lehrenden, wobei keine Unterscheidung in kooperativ strukturierte und herkömmliche Gruppenarbeit vorgenommen wurde. Projektunterricht wird von mehr als der Hälfte der Realschullehrer/innen einmal pro Schuljahr und von weiteren 20 % einmal pro Halbjahr eingesetzt, vermutlich als Block im Rahmen von Projekttagen oder -wochen. Eine ähnlich geringe Einsatzhäufigkeit wurde für Lernzirkel festgestellt, welche sowohl kooperativ in Kleingruppen aber auch in Einzelarbeit genutzt werden können. Des Weiteren wurden ohne Angabe der Nutzungshäufigkeit von den Lehrenden folgende kooperativen Lernformen genannt: Partnerarbeit, Lernen durch Lehren und Moderationsmethode. Als weiterer Inhalt der Untersuchung wurde die Eignung einzelner Unterrichtsmethoden zur Förderung spezifischer Kompetenzen erfragt. Als besonders geeignet für die Förderung sowohl der Sozial- als auch der Kommunikationskompetenz wurde die Gruppenarbeit (36,3 %/35 %) gefolgt vom Projektunterricht (21,9 %/23,7 %) genannt. Die Förderung der Fachkompetenz wird hingegen mit großer Mehrheit (75 %) dem Frontalunterricht zugesprochen.
In der 1996 publizierten bundesweiten und alle Schulformen umfassenden Untersuchung Das Bild der Schule aus derSichtvon Schülern und Lehrern finden sich Befunde zum Einsatz von Gruppenarbeit (Kanders/Rösner/Rolff 1996). Die Angaben der Lehrenden in dieser Studie bestätigen den weitverbreiteten Einsatz der Gruppenarbeit. In allen Schulformen bearbeiten mehr als 80 % der SuS Aufgaben in Gruppen zumindest manchmal. Zu mehr als 75 % finden weiterhin Projektwochen statt.
Nuhn untersucht 1995 in einer an Lehrende und Lernende gerichteten Befragung die Partnerarbeit als Sozialform des Unterrichts. Nach Angaben von mehr als drei Viertel der LuL liegt der Anteil der Partnerarbeit in ihrem Unterricht bei über 10 %. Ein Siebtel der LuL verwendet sogar mehr als 25 % der Unterrichtszeit für Partnerarbeit. Die durchschnittliche Dauer der Partnerarbeit bemessen 58,3 % der LuL mit zehn Minuten und 37,3 % mit 15 Minuten. Nuhn erfasst ergänzend den Anteil der Gruppenarbeit, welche bei den LuL einen ähnlich hohen Stellenwert besitzt. Als Gründe für die Partnerarbeit wird am häufigsten die Steigerung sozialer Kompetenzen genannt: Einüben kooperativer Verhaltensweisen (71,8 %), Erhöhung der Selbstständigkeit (56,8 %), Erhöhung der Interaktionschancen (46,3 %). Aber auch sachlich-inhaltliche Gründe werden von 44,8 % der LuL verfolgt. Als Probleme der Partnerarbeit sehen die LuL am häufigsten das Hervortreten dominanter SuS (44,8 %) und die Untätigkeit leistungsschwacher SuS (38,8 %). Als lehrerbezogene Schwierigkeiten gibt Nuhn die zu großen Klassen, eine aufwendigere Vorbereitung, die Materialbeschaffung, einen höheren Zeitbedarf sowie die Bewertung der Schülerleistung an (1995: 57).
Schnebel (2002) bezieht in ihre Untersuchung zur Unterrichtsentwicklung durch kooperatives Lernen und Professionalisierung der Lehrkräfte auch ältere Forschungsergebnisse mit ein und kommt zu der zusammenfassenden Aussage, dass für Lehrkräfte in der Sekundarstufe kooperative Lernformen eine sinnvolle Ergänzung zum Frontalunterricht darstellen und regelmäßig, aber nicht häufig eingesetzt werden (ebd.: 62). In der von ihr durchgeführten Voruntersuchung mit acht LuL an Realschulen in Tübingen wurden folgende kooperative Lernmethoden als bekannt angegeben: Partnerinterview (75 %), Gruppenpuzzle (62,5 %), Kleinprojekt in Gruppen (62,5 %), Partnerpuzzle (37,5 %) und Struktur-Lege-Technik, Kugellager, Aquarium (jeweils 25 %). Mit den Ergebnissen der Partner- oder Gruppenarbeit sind sieben der acht LuL teilweise oder eher zufrieden. Der Lernerfolg wird als eher mittelmäßig beurteilt. Sechs LuL empfinden kooperative Arbeitsphasen zumindest teilweise als anstrengend. Die Gruppe der Befragten stört es deutlich, wenn SuS in den kooperativen Phasen nicht mitarbeiten. Positiv schätzen dagegen alle Lehrkräfte die Akzeptanz kooperativer Lernphasen durch die SuS ein und meinen, dass diese gerne in Paaren oder Gruppen arbeiten (ebd.: 213 ff.).
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- Carmen Kurz (Author), 2018, Kooperative Lernformen im Urteil von Lehrerinnen und Lehrern, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1014249
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