Diese Arbeit befasst sich mit der Entwicklung der vedischen Vorgänger der beiden wichtigsten Gottheiten des Hinduismus: Shiva und Vishnu. Gleichermaßen wird der Übergang des vorerst polytheistischen Hinduismus zum heutigen, eher monotheistischen Glauben, dargestellt.
Im Laufe der Zeit entwickeln sich Gesellschaften und ihre Kulturen stetig weiter, darunter auch ihre religiösen Weltanschauungen. Indien ist hierfür ein Musterbeispiel, dessen Vielzahl an Religionen, zusammengefasst unter dem Begriff Hinduismus, vielen verschiedenen Göttern Rollen und Bedeutungen gaben, die des Öfteren ausgetauscht und neu verliehen
wurden. Dabei spielt die Identifizierung von Gottheiten mit populäreren Göttern eine wesentliche Rolle, die dadurch an Relevanz gewannen.
So wurde aus dem eher unbedeutenden Gott Rudra, die heutige sehr präsente Gottheit Shiva, dessen Bedeutungszuwachs in der vedischen Literatur nachzuverfolgen ist, während andere Götter, wie Agni und Indra, immer mehr an Bedeutung verloren. Identifizierung und Sanskritisierung sind hierfür die Schlüsselwörter, die in dieser Ausarbeitung eine wesentliche Rolle einnehmenwerden. In den hinduistischen Texten (Samhitas der vier Veden, Brahmanas, Upanishaden und
Sutren) ist die Identifizierung Rudras mit dem, heute in ganz Indien verehrten, Shiva festzustellen.
0. - Inhaltsverzeichnis
- 1. - Einleitung
- 2. - Hauptteil
- 3. - Schlussteil
- 4. - Quellenverzeichnis
1. - Einleitung
Im Laufe der Zeit entwickeln sich Gesellschaften und ihre Kulturen stetig weiter, darunter auch ihre religiösen Weltanschauungen. Indien ist hierfür ein Musterbeispiel, dessen Vielzahl an Religionen, zusammengefasst unter dem Begriff Hinduismus, vielen verschiedenen Göttern Rollen und Bedeutungen gaben, die des öfteren ausgetauscht und neu verliehen wurden. Dabei spielt die Identifizierung von Gottheiten mit populäreren Göttern eine wesentliche Rolle, die dadurch an Relevanz gewannen. So wurde aus dem eher unbedeutenden Gott Rudra, die heutige sehr präsente Gottheit Shiva, dessen Bedeutungszuwachs in der vedischen Literatur nachzuverfolgen ist, während andere Götter, wie Agni und Indra, immer mehr an Bedeutung verloren. Identifizierung und Sanskritisierung sind hierfür die Schlüsselwörter, die in dieser Ausarbeitung eine wesentliche Rolle einnehmen werden. In den hinduistischen Texten (Samhitas der vier Veden, Brahmanas, Upanishaden und Sutren) ist die Identifizierung Rudras mit dem, heute in ganz Indien verehrten, Shiva festzustellen. Mit der nachfolgenden Arbeit befassen wir uns mit der Entwicklung der vedischen Vorgänger der beiden wichtigsten Gottheiten des Hinduismus: Shiva und Vishnu. Gleichermaßen wird der Übergang des vorerst polytheistischen Hinduismus zum heutigen, eher monotheistischen Glauben, dargestellt.
2. - Hauptteil
Sie ist die erste, die älteste Religion; der Hinduismus, so die Annahme der Hindus. Der frühste Teil der Veden wird bis in den zweiten Jh. v. Chr. datiert, der als "Offenbarung der ewigen Wahrheit" verehrt wird (vgl. Malinar 2009: 30), doch in Indien herrscht die Vorstellung eines viel früheren Ursprungs ihrer Religion; schon zu Zeiten der Industal- und Harappa- Kulten (3300 v. Chr.). Als Sammelbezeichnung für die umfangreichen religiösen Kulten Indiens von der britischen Kolonialmacht eingeführt, der zuvor als Bezeichnung der Indus-Zivilisation verwendet wurde, steht der Hinduismus allgemeingültig für einen der größten Religionen der Welt (vgl. Michaels 1998: 24-47). In der Vergangenheit Indiens blieb der Versuch nicht aus, die Einheit des Hinduismus nahe zu bringen, zu verstehen als Mitglieder einer einzigen gemeinsamen Religion trotz der Diversität in Kultur, Sitte und Glaubensvorstellung (vgl. Schmidt-Leukel 2014: 144 n.: Vivekananda 1989), denn ihre "innere Vielgestaltigkeit" blüht in der "Vielfalt im Sinne einer verborgenen Einheit und Harmonie [...]" auf (ebd.). Diese Annahme ist auf die Veden zurück zu führen, in der Indra, Mittra, Varuna und Agni als eine der vielen Benennungen der "Redekundigen" gelten und somit nur Bezeichnungen für ein und den selben Gott seien (vgl. Mehlig 1987: 61). Dabei wurden die zahlreichen Gottheiten häufig nur auf die unerklärliche Wirklichkeit zugeordnet, wie Surya als Sonnengott, Vuya der Wind und Rudra eine Sturmgottheit, womit diesem eine besonders zerstörerische Kraft zugesprochen wird (vgl. ebd.). Es ist die "Deutung und Bewältigung des Lebens", wofür die Gottheiten dem Hindu nötig sind, um ihr Leben, geprägt von Glück, Mitleid und Tod, zu verarbeiten (vgl. Lähnemann 2011: 169). Aus den vedischen Texten sind polytheistische Eigenschaften zu erkennen, wie die Vielzahl der verschiedenen Gottheiten, jedoch besitzt der vom einzelnen Hindu praktizierte Glaube die Charakteristiken des Monotheismus, in dem eine bestimmte Gottheit den anderen überlegen und als Schöpfer der Welt gewertet wird. Der Indologe Max Müller etablierte demnach den Begriff "heneotheistisch" und definiert diesen persönlichen Monotheismus innerhalb einer polytheistischen Religion mit die "höchste hervorgehobene Gottheit", die in den Hymnen variieren (vgl. Balasubramanian 2010: 46). Ausschlaggebend für solch eine Entwicklung des Glaubens ist die bereits erwähnte Sanskritisierung, die das Phänomen der Einverleibung und Verschmelzung von Kulten bezeichnet, in dem ihre Gottheiten mit einer Gottheit der Sanskrittradition assoziiert und aufgewertet wird (vgl. Malinar 2009: 139). Dem zufolge wurde Shiva und Vishnu der überschneidende Punkt der Kulten, woraus der Shivaismus und Vishnuismus, durch die Absorbierung anderer Götter, resultierte. Shiva als der Gott der vielen Gesichter (murtis) und Vishnu der Gott der vielen Verkörperungen (avataras) (vgl. Schmidt- Leukel 2014: 149 n.: Parrinder 1997). Diesen Wandel des Hinduismus verbildlicht der Purasha Mythos aus dem Rig-Veda (10,90), der jegliche Existenzen als einen einzigen "Organismus" auffasst (vgl. Schmidt-Leukel 2014: 146). Der Purasha vereinigt beide Geschlechter. Aus dem männlichen Purasha wird der feminine Viraj geboren und aus ihr der Purasha. Aus der Selbstopferung Gottes entsteht die Existenz, die Welt mit all ihren Bestandteilen, darunter wiederum auch die Götter selbst. Das Paradoxe an dem Mythos ist die Entstehung der Götter durch ihre eigene Selbstopferung, "um so die Vielfalt der Wirklichkeit hervorzubringen und bleibt als die alle Vielfalt durchziehende eine Wirklichkeit erhalten" (ebd.). So bildet sich der Anschluss der dezentralen Götter der Veden, wie Vishnu und Shiva, als höchste Gottheit, die die "Rolle eines monotheistisch verstandenen Alleingottes" erlangten (ebd.: 148). Hierzu sprach Vishnu zu Shiva: "Diejenigen, die der Unwissenheit zur Beute gefallen sind, betrachten mich als verschieden von Dir" (Lemaitre 1963: 71) und deutet mit seiner vielfachen Existenz, damit eine Konversation stattfinden kann, auf einen gemeinsamen Ursprung, der sich zur Schöpfung der Wirklichkeit zerteilte.
Vishnu und Shiva zählen nicht zu den zentralen Gottheiten des vedischen Pantheons, erhielten jedoch in älteren vedischen Texten Erwähnung und galten im Epos als mächtige Götter (vgl. Malinar 2009: 132 n.: Gonda 1970). Vishnu saß im vedischen Götterkreis, dem Triloka (Drei- Welt), bestehend aus Himmel, Erde und Zwischenraum (vgl. ebd. n.: Rigveda 7.100) und stieg später auf zur Inkarnation des schöpfenden, höchsten Gottes selbst. Vishnu bekam schon in den Brahmana-Texten eine starke Verbindung zu dem vedischen Opfer und wurde mit dieser identifiziert, dass sich später in seiner Rolle als höchste Gottheit widerspiegelt, der sich um den Erhalt der Weltordnung (dharma) und der vedischen Ritualtradition sorgt (vgl. ebd.). Damit erfüllte er die nötigen Eigenschaften, die ihn zur höchsten Gottheit aufsteigen ließ. Er schafft, er erhält und er zerstört die Welt, "die drei konstitutiven Aspekte des Kosmos", für die Vishnu zuständig wird (ebd.). Shiva hingegen wurde in den vedischen Texten als Herrn der Nutztiere (pushupati) eingeführt, der ihnen Krankheiten bringt, aber auch von diesen heilt (vgl. ebd.: 136-137). Er war ein einsamer, nicht besonders attraktiver Jäger, aus dessen besonderer Macht die Erhebung zu einem monotheistisch interpretierten Gott resultierte.
Unter dieser besonderen Macht verstand sich auch eine sexuelle Kraft, weshalb ihn die Verbindung von männlicher und weiblicher Energie spezifisch charakterisiert. Halb Mann, halb Frau. Ohne seine Shakti (weibliche Hälfte), wäre Shiva nicht der Schöpfer der Welt, nicht der höchste Gott. Deshalb steht sein Lingam (Signum eines Gottes) für Potenz und Zeugungsbereitschaft (vgl. ebd.: 138). Die Verweigerung von Lustgefühlen und des Kinderwunsches wird als diese sexuelle Energie gedeutet, die durch asketische Transformation erreicht werden kann, dabei erzählt die mythologische Geschichte von tausend Jahre dauernder Liebesnächte von Shiva und Parvati, ohne die Zeugung von Nachkommen.
Die Gupta-Periode (320-647 n. Chr.) gilt als Blütezeit des klassischen Hinduismus, in der die vedisch-brahmanische Religion einige Veränderungen erlebte (vgl. Bechler 2013: 10). Die derzeit aktuellen vedischen Götter verschwanden, wurden von neuen Gottheiten, die im Veda keine besondere Rolle hatten, ersetzt und gelangten ins Pantheon, wie eben Vishnu und Shiva. Mit ihrem Einzug veränderten sie unter anderem auch die Vorstellung des rituellen Opfers und personifizierten Vishnu mit diesem, aus dessen "kosmologischer Kraft menschlicher Lebensraum erwuchs" (ebd. n.: Rig Veda X). Shiva, der Zerstörer der Welt, musste durch die Opfer besänftigt werden, doch mit dem Ende dieser Zeit (647-1100 n. Chr.) gewannen lokale Kulte und ihre Götter an Einfluss und manifestierten sich in Vishnu und Shiva (vgl. ebd.). Damit nahm ab dem 11. Jh. die Bedeutung des vedischen Opfers ab (vgl. ebd.: 11 n.: Staal 1983). Der Versuch, die Präsenz der Veda zurück zu erlangen, blieb nicht aus. Virajananda Sarasvati forderte diese Rückkehr und interpretierte die "charakterisierenden polytheistischen Praktiken als [...] Auswuchs" (vgl. ebd.: 23 n.: Metcalf 1992). Er lehnte Elemente des Hinduismus ab, die nicht mit dem Veda vereinbart werden konnten, wie die Götterbilder, Tieropfer und die Rituale und Schriften. Dafür reiste er durch das Land und propagierte seine Vorstellung des wahren Hinduismus. Aus den Diskussionen, die zu Streitgesprächen ausarteten, wurden im späteren Verlauf "grundlegende Veränderungen im sozialen, politischen und kulturellen Leben" bewirkt (vgl. ebd.). Der Neohinduismus erlangte den Wandel von einer Reformbewegung zu einer "Revitalisierungsbewegung" durch den Gründer der Ärya Samaj, Dayananda Sarasvati im Jahre 1875, mit dem Ziel eines "vedischen Hinduismus". Er forderte die "Rückkehr zum Monotheismus, lehnte die Reinkarnationslehre ab und erklärte die Veda-Samhitas als maßgebende religiöse Schriften" (ebd. n.: Saraswati 1984). Im gemeinsamen Interesse der indischen Nationalisten wurde "die Bedeutung der Kuh für den nationalen Wohlstand" betont und Hindi als Amtssprache verlangt (vgl. ebd.).
Auch die Etymologie der Götternamen könnte Aufschluss zur Entstehung und Entwicklung geben. Der italienische Linguist Pisani zog die Verbindung des Namen Rudra auf die selbe Herkunft wie das Wort Rodasi, das für "Himmel und Erde" steht. Auch habe das Wort die Bedeutung für "Vater und Mutter" (vgl. Pisani 1952: 63). Mayrhofer bekräftigt diese Annahme und leitet aus dem Wort für "Himmel" das Wort Rudra für "himmlisch" ab (vgl. Mayrhofer 1953: 145-146). Im Rig-Veda, die älteste Sammlung vedischer Texte in Form von zehn Büchern, daraus 1028 Hymnen, beziehen sich lediglich drei Hymnen an Rudra. Dagegen wird er in 75 Hymnen anderer Gottheiten erwähnt (vgl. Keith 1970: 31). Aus den Hymnen resultiert ein eher respekteinflößendes Bild Rudras, der Kühe und Menschen töte, mit Pfeil und Bogen ausgestattet auf seinem goldenen Wagen reist. Trotz dessen wird er als rot-braun häutiger, jugendlich erscheinender Gott mit schönen Lippen beschrieben. Er kämpft nun mal nicht für die Menschheit gegen Dämonen und stellt im Gegensatz zu Göttern wie Indra keinen Helden dar. Demnach ist es nicht verwunderlich, dass viele Anrufungen seinen Sanftmut erbitten, um die Sänger der Hymnen und ihre Familien zu beschützen (vgl. Geldner 1951: 114). Seinen ersten Auftritt im Rig-Veda hatte er als Trayambaka, "drei Mütter habend", dass mit dem späteren Auftreten seiner Schwester zu "drei Schwestern habend" umgedeutet wurde (vgl. Keith 1970: 143). Im klassischen Sanskrit wurde dies nicht als Mutter oder Schwester verstanden, sondern "drei-äugig", welch Bedeutung zum gängigen Beinamen Shivas wurde. Mit dem Verlauf der vedischen Texte nahm die Identifizierung Rudras mit Agni weiter zu, wie z.B. mit: „Du, Agni, bist Rudra, der Asura des Himmels“ (Geldner 1951: 1, 6) und trug zur Anerkennung Rudras in der arischen Gesellschaft bei. Rudras Name könnte nun, mit der Betrachtung seiner Identifizierungen, aus der Erzählung im Taittiriya Samhita des Yajurvedas stammen. In der Verkörperung Agnis nahm er während eines Krieges der Götter gegen die Asuras das Gut der Götter weg und weinte, als er erwischt wurde. Um diese Tat zu bestrafen und weil er anfing zu weinen, wurde ihm der Name Rudra gegeben; "der weinende" (vgl. Kramrisch 1981: 19 n.: TS I, 5, 1, 1).
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- Citation du texte
- Onur Gündüz (Auteur), 2020, Die Entwicklung von Shiva und Vishu im Hinduismus. Übergang vom polytheistischen Hinduismus zum monotheistischen Glauben, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1014182
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