Die NSDAP verstand ihre Machtübernahme 1933 als eine Revolution. Überprüfen Sie diesen Anspruch an der Wirklichkeit des Vorgangs!
Die Nationalsozialisten verstanden ihre Machtübernahme 1933 zwar als eine nationalsozialistische Machtergreifung, brachten aber gleichzeitig auch den Begriff der legalen Revolution ins Spiel. Beides widerspricht bei genauerem Betrachten dem wirklichen Geschehen. Von einer Machtergreifung kann insofern nicht gesprochen werden, da Hitler am 30. Januar als Reichskanzler eingesetzt wurde und somit zumindest nach außen hin mit legalen Mitteln an die Macht kam. Denn die Verfassung der Weimarer Republik ließ Notverordnungen und Reichstagsauflösungen zu, hatte also ,,autoritäre Einbruchstellen" 1. So war das ehemals Parlamentarische System der Weimarer Republik mit der Zeit in ein Präsidialregime übergegangen, rein rechtlich gesehen waren die Vorgänge legal und einen größeren Widerstand gab es nicht, mit Hilfe des Artikels 48 WV ließ sich also vieles ohne Einverständnis des Reichstags beschließen.
Der Begriff der legalen Revolution beruhigte das Gewissen der ordnungsliebenden Bürger, der Bürokraten, der Polizei, der Armee, des Reichspräsidenten und vor allem der konservativen Bündnispartner. Vor einer Revolution hatten diese Bevölkerungsgruppen Angst; die scheinbare Legalität vertuschte den Terror der SA und stimmte sie zufrieden. Der Begriff schien der politischen Mentalität der Deutschen regelrecht angepasst zu sein; gegen eine friedliche Revolution hatte keiner etwas einzuwenden, zudem die konservativen Bündnispartner der Nationalsozialisten der Meinung waren diese eingerahmt und so weit unter Kontrolle zu haben, dass sie sie zähmen und für ihre Zwecke einsetzten könnten. Sie glaubten das Hitler sowieso bald abgewirtschaftet habe; die geringe politische Erfahrung der Nationalsozialisten schien dies zu bestärken. Doch in diesem Punkt hatten sie sich getäuscht. Die NSDAP bekam durch ihre geschickte Propaganda immer mehr Zuspruch in der Bevölkerung und benutzte ihre Bündnispartner letztendlich zu ihren Zwecken oder ersetzte sie durch eigene Männer.
Lässt man den Begriff der Legalität außen vor und bezeichnet die Machtübernahme der NSDAP als eine Revolution so wirft auch dieser Begriff bei näherem Hinsehen einige Fragen auf. Unter einer Revolution versteht man eine ,,krisenhaft rasche, häufig von Gewalt begleitete dauerhafte Veränderung der sozialen Struktur und des politischen Systems einer Gesellschaft. Typisch für eine Revolution ist das Vorhandensein eines bewussten Willens zur Veränderung, einer entsprechenden Aktionsgruppe mit Unterstützung im Volk oder in einer Bevölkerungsgruppe. Typisch sind auch die Rechtsverletzung, die Gewaltanwendung und die schnelle Abfolge der Ereignisse. [...]" 2. Dies scheint bei der Machtübernahme alles gegeben zu sein. Der Faktor der Gewalt findet sich im Terror der SA wie es auch der SA Führer Röhm vor dem diplomatischen Korps und der Auslandspresse am 18. April 1934 formuliert: ,,Als unerschütterliches Bollwerk gegen Reaktion, Spießer- und Muckertum steht die SA, - denn in ihr verkörpert sich alles, was den Begriff der Revolution ausmacht." 3 Die Soziale Struktur und das politische System werden ebenfalls verändert, aber nicht in einem einzigen Schritt sondern als Ende einer Entwicklung die sich vor allem der Mittel des Staates bedient um nach außen hin alles legal scheinen zu lassen und einen Teil ihrer Anhängerschaft und vor allem die Gegner zu beruhigen. An dieser Stelle setzt einer der wichtigsten Faktoren auf dem Weg zum Nationalsozialistischen Staat ein: die Möglichkeit der Massenmobilisierung durch geschickte Propaganda. Der ,,ungezügelten Massenmobilisierung" 4 stand die Fortsetzung der autoritären Regierung gegenüber, ebenso widersprachen sich die Rhetorik in ihren Reden, in denen sie ,,wohltönende Volksgemeinschaftsparolen" 5 propagandierten und die Gewalt gegen ihre Gegner, die sie verfolgten und in Schutzhaft nahmen. Hinzu kamen ihr ,,Kitsch in der Parteisymbolik" 6 und die Flucht in den nationalen und vor allem den Hitler-Mythos, der Hitler als Führer und Retter hinstellte. Mit pseudoreligiösen Formeln und Bildern sowie mit Fackelzügen die ein Ausdruck nationaler Erhebung sein sollten, versuchten sie möglichst viele Anhänger zu gewinnen, mit Erfolg. Zudem betrieben sie einen recht ausgeprägten Germanen-Kult der wohl kaum mit dem Begriff der Revolution vereinbar ist. In diesem Punkt, betrieben sie selbst einen Rückschritt, den sie bei ihren Gegnern sonst kritisierten: ,,Heute noch sitzen in beamteten Stellen Menschen, die des Geistes der nationalsozialistischen Revolution noch keinen Hauch verspürt haben. [...] Wir brechen ihnen aber bestimmt und erbarmungslos das Genick, wenn sie diese reaktionäre Gesinnung zu betätigen wagen." 7, so Röhm in seiner Rede. In sofern kann also an dieser Stelle kaum von einer Revolution gesprochen werden; von Zeitgenossen wurde die Machtübernahme sogar als ein gleitender Übergang 8 empfunden, im Rückblick betrachtet kann sie wohl eher als ein stufenweiser Übergang 8 gesehen werden; ein weiterer Widerspruch für den Begriff der Revolution.
Sieht man als Ziel einer Revolution allerdings das Erreichen von Freiheit und die Überwindung von Unterdrückung und Unmündigkeit, so erscheinen Revolutionen ,,in dieser Perspektive als Vollzug des geschichtlich Notwendigen, als Wechsel von der Herrschaft des Unrechts zu einer solchen der Vernunft und Gerechtigkeit" 9. Doch hat die nationale Revolution der NSDAP dies erfüllt? War ihr System gerechter und von Vernunft geprägt? Sicherlich erfüllte auch die Weimarer Republik nicht diese Bedingungen, doch ist das nationalsozialistische System keineswegs gerechter, oder haben öffentlicher Terror, Einschränkung der Grundrechte oder dem der Presse und Versammlungsfreiheit, um Gegner mundtot machen zu können, etwas mit Gerechtigkeit und Richtigkeit zu tun? Wurde in irgendeiner Weise der Gegensatz zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen oder zwischen Unterdrückern und Unterdrückten, was nach Karl Marx der Zweck einer Revolution ist, verändert? Auch nach der Machtübernahme blieben die ,,Hauptklassen der deutschen Gesellschaft [...] die gleichen" 10. Diesen Punkt hat die nationale Revolution von 1933 also auch nicht erfüllen können.
Quellen:
I Informationen zur politischen Bildung
II Weimarer Republik und nationalsozialistische Herrschaft (Dirk Hoffmann / Freidhelm Schütze - Schöningh-Schrödel)
III Geschichte - Lexikon der wissenschaftlichen Grundbegriffe (M. Asendorf / J. Flemming / A. v. Müller / V. Ullrich)
IV Deutschland 1933-1945 - Das Dritte Reich Handbuch zur Geschichte
(Bernd Jürgen Wendt - Fackelträger)
Zitate:
[...]
1 aus der Quelle I S.29 (Bracher)
2 aus der Quelle II S.273 (Erläuterung des Begriffs der Revolution)
3 aus der Quelle II S.156 (Rede Röhms M 7.8)
4 aus der Quelle I S.30
5 aus der Quelle I S.30
6 aus der Quelle I S.31
7 aus der Quelle II S.156 (Rede Röhms)
8 aus der Quelle I S.31
9 aus der Quelle III
10 aus der Quelle II S.162 (Joachim Streisand)
- Citation du texte
- Judith Rommerskirchen (Auteur), 2000, War die Machtübernahme der NSDAP 1933 eine Revolution ?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/101394