Interpretation zum 15. Kapitel in Bernhard Schlinks „Der Vorleser“ Bernhard Schlink berichtet in seinem retrospektiven Roman „Der Vorleser“, erschienen 1995 von dem jungen Michael Berg, der eine Beziehung zu der viel älteren Hanna Schmitz hat, von deren Verurteilung wegen eines SS-Verbrechens und deren Leben nach der Verurteilung.
Im 15. Kapitel fährt der Protagonist Michael Berg ein weiteres mal zum Struthof. Er fühlt sich beim Anblick des Lagers nicht an ein KZ, sondern an eine Rodelbahn erinnert. Auf dem Rückweg fährt er an einem Restaurant vorbei, dem gegenüber eine Gaskammer steh. Die Gaskammer ist ihm, wie auch das KZ, verschlossen.
Da es schon dunkel wird, sucht sich Michael Berg eine billige Unterkunft und bestellt sich in der Kneipe ein Essen. Dort betritt ein kleiner, alter Mann den Raum und bestellt sich ein Bier. Die Kartenspieler am Tisch legen ihre Karten zur Seite und bewerfen den alten Mann mit ihren brennenden Zigaretten. Als der Protagonist schlichten möchte, schlägt der alte Mann sein Holzbein auf den Tisch und lacht ihn gemeinsam mit den Kartenspielern aus.
Nach dem Vorfall legt sich Michael Berg schlafen. Er möchte Hanna verstehen und verurteilen, doch beides geht nicht. Am nächsten Morgen fährt er wieder zurück.
In diesem Kapitel befasst sich der Autor wieder mit dem zentralen Thema des Romanes, nämlich der Schuld.
Der Protagonist erhofft sich von dem Besuch des KZ eine bessere Anschauung, um Hannas Taten besser verstehen und damit beurteilen zu können.
Zu Beginn des Kapitels assoziiert der Protagonist die „Idylle“ des Lagers auf eine provozierende und perverse Art mit einer Rodelbahn.
Dies zeigt noch einmal, wie schwer sein innerer Kampf um die Verurteilung und das Verstehen von Hannas Taten ist, und wie unfähig es ihn macht, sich weitere Eindrücke zu diesem Thema zu machen. Dies sehe ich bestätigt, als er versucht, die Gaskammer zu besichtigen. „Auch dieses Haus war verschlossen...“ (S. 149, Z.24)
Auch die Gaskammer assoziiert er verharmlosend mit einer Scheune.
Der Vorfall in der Kneipe ist wieder ein bedeutungstragendes Geschehen, ein typisches Stilelement Schlinks in diesem Roman, einer reellen Situation eine doppelte Bedeutung beizumessen.
Der alte Mann wird dem Leser als typischer Veteran präsentiert. Das Bier deute ich als Versuch, das Geschehene zu vergessen oder zu verdrängen.
Die brennenden Zigaretten sehe ich als Erinnerung der 68er an die Verbrechen, die während der NS-Zeit geschehen sind.
Aber niemand von ihnen ist in der Lage, darüber zu sprechen, und damit die Vergangenheit zu bewältigen.
Der Schlichtungsversuch des Protagonisten war der Versuch, zwischen den beiden Parteien zu Vermitteln, der von beiden Seiten belächelt und damit meiner Meinung nach für unmöglich gehalten wird. „hören Sie auf“ (S.151 Z.10) Der Wind, die Nacht und die innere Unruhe des Protagonisten zeigten noch einmal die Tragweite seines inneren Kampfes auf. Er wollte verstehen um nicht nocheinmal zu verraten, und verurteilen weil es sich so gehörte. Doch beides ging nicht.
Die Idylle des nächsten Tages verdeutlicht mir, dass er es (wieder) geschafft hat, das Thema zu verdrängen.
Der Autor zeigt in diesem Kapitel, wie schwierig es ist, die Schuldfrage zu klären, wenn man nicht mehr Distanz zu der Sache hat.
Nach meiner Meinung versucht Schlink in diesem Kapitel eine Brücke zwischen Tätergeneration und der 68er Generation zu bauen.
Er ruft zur Kommunikation auf.
Hier findet das Hauptthema des Romanes Anwendung. Verstehen und verurteilen.
Ich halte die Intention Schlinks für sinnvoll. Auch wenn der Versuch der Kommunikation zwischen Generationen schwierig ist, sollte man versuchen, zu verstehen und erst dann zu verurteilen.
- Arbeit zitieren
- Henrik Schulte (Autor:in), 2001, Schlink, Bernhard - Der Vorleser - Interpretation zum 15. Kapitel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/101331
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