Seit dem Amsterdamer Vertrag* aus dem Jahr 1997 hat der Kampf gegen Diskriminierung im politischen Bereich in Deutschland und in Europa an Bedeutung gewonnen. Dies gilt insbesondere für Frauen, die im Jahr 2021 noch immer ihre Rechte in allen Lebensbereichen einfordern müssen. Ebenso kämpfen hörbehinderte Menschen für ihre Chancengleichheit wie die Kommunikation in Gebärdensprache sowie barrierefreie soziale Dienstleistungen. Beide Gruppen sind vielfältigen Diskriminierungen im Alltag ausgesetzt. Deswegen werden in dieser Arbeit die Gruppe der hörbehinderten Frauen und ihre Benachteiligungen untersucht.
Hierbei ist die Hauptfrage: Wie wirklichkeitsnah ist gegenwärtig die Gleichstellung von Frauen mit und ohne Hörbehinderung in Deutschland? Um diese komplexe Problematik zu bearbeiten, wurde die Hauptfragestellung in folgende Unterfragen gegliedert:
1) Wie werden hörende und hörbehinderte Frauen im Alltag und in der Dominanzkultur sowohl von Männern als auch von Hörenden diskriminiert?
2) Welche einschränkenden Faktoren spielen eine Rolle für die Gleichstellung von Frauen und hörbehinderten Frauen?
3) Können Ungleichheiten und daraus resultierende Diskriminierungen zu gesundheitlichen und/oder psychosozialen Problemen beitragen?
4) In welcher Beziehung stehen hörende und hörbehinderte Frauen bezüglich Diskriminierungserfahrungen?
Für die Beantwortung ist eine intersektionale Perspektive notwendig und die Grundlage dieser Arbeit, um Überschneidungen mehrfacher Diskriminierungserfahrungen zu veranschaulichen.
Das Ziel dieser Arbeit ist nicht ein direkter Vergleich zweier Frauengruppen aus unterschiedlichen sozialen Welten oder eine Beschreibung der Rangordnung. Vielmehr sollen eine umfassende Stellungnahme zu Diskriminierungserfahrungen im Alltag sowie die Schwierigkeiten von Frauen mit und ohne Hörbehinderung sichtbar gemacht werden. Außerdem sollen Forschungs- und Wissenslücken in der Gesellschaft in Form und mithilfe des Gender-Data-Gaps aufgedeckt werden. Zudem erfolgt eine Untersuchung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen hörenden und hörbehinderten Frauen sowie ihrer Lebenswelteindrücke. Hierbei zeigen sich das Forschungsdefizit über die Gruppe hörbehinderter Menschen bzw. Frauen sowie die damit einhergehende fehlende Vielfalt von intersektionalem Feminismus der hörbehinderten Frauen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Gender Gap
2.1 Definition
2.1.1 Vier Dimensionen von Gender
2.1.2 Gender Gap
2.2 Bedeutung von Diskriminierung und Intersektionalität
2.3 Gender-Pay-Gap
2.3.1 Gender-Care-Gap
2.3.2 Gender-Pension-Gap
2.4 Ursache für den Gender Gap
3. Hörbehinderung
3.1 Differenzierung von Hörbehinderungen
3.2 Auswirkungen von Hörbehinderungen
3.3 Gebärdensprache und Gehörlosenbewegung
4. Gewalterfahrungen von Frauen mit und ohne Hörbehinderung
4.1 Gewalterfahrungen von Frauen
4.2 Gewalterfahrungen von hörbehinderten Frauen
5. Fazit
Quellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Anhang
1. Einleitung
Seit dem Amsterdamer Vertrag* aus dem Jahr 1997 hat der Kampf gegen Diskriminierung im politischen Bereich in Deutschland und in Europa an Bedeutung gewonnen.1 Dies gilt, insbesondere für Frauen, die im Jahr 2021 noch immer ihre Rechte in allen Lebensbereichen einfordern müssen. Ebenso kämpfen hörbehinderte Menschen für ihre Chancengleichheit wie die Kommunikation in Gebärdensprache sowie barrierefreie soziale Dienstleistungen. Beide Gruppen sind vielfältigen Diskriminierungen im Alltag ausgesetzt. Deswegen werden in dieser Arbeit die Gruppe der hörbehinderten Frauen und ihre Benachteiligungen untersucht. Genauer gesagt beschäftigt sich die vorliegende Bachelorarbeit mit dem Thema ,Gender Gap der hörbehinderten Frauen‘.
Hierbei ist die Hauptfrage: ,Wie wirklichkeitsnah ist gegenwärtig die Gleichstellung von Frauen mit und ohne Hörbehinderung in Deutschlands Um diese komplexe Problematik zu bearbeiten, wurde die Hauptfragestellung in folgende Unterfragen gegliedert:
1) Wie werden hörende und hörbehinderte Frauen im Alltag und in der Dominanzkultur sowohl von Männern als auch von Hörenden diskriminiert?
2) Welche einschränkenden Faktoren spielen eine Rolle für die Gleichstellung von Frauen und hörbehinderten Frauen?
3) Können Ungleichheiten und daraus resultierende Diskriminierungen zu gesundheitlichen und/oder psychosozialen Problemen beitragen?
4) In welcher Beziehung stehen hörende und hörbehinderte Frauen bezüglich Diskriminierungserfahrungen?
Für die Beantwortung ist eine intersektionale Perspektive notwendig und die Grundlage dieser Arbeit, um Überschneidungen mehrfacher Diskriminierungserfahrungen zu veranschaulichen.
Das Ziel dieser Arbeit ist nicht ein direkter Vergleich zweier Frauengruppen aus unterschiedlichen sozialen Welten oder eine Beschreibung der Rangordnung. Vielmehr sollen eine umfassende Stellungnahme zu Diskriminierungserfahrungen im Alltag sowie die Schwierigkeiten von Frauen mit und ohne Hörbehinderung sichtbar gemacht werden. Außerdem sollen For- schungs- und Wissenslücken in der Gesellschaft in Form und mithilfe des Gender-Data-Gaps aufgedeckt werden. Zudem erfolgt eine Untersuchung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen hörenden und hörbehinderten Frauen sowie ihrer Lebenswelteindrücke. Hierbei zeigen sich das Forschungsdefizit über die Gruppe hörbehinderter Menschen bzw. Frauen sowie die damit einhergehende fehlende Vielfalt von intersektionalem Feminismus der hörbehinderten Frauen:
Literarische Verhandlungen von Gehörlosigkeit und kultureller und ethnischer Identität sind ein vielfältiges und hochspannendes Forschungsfeld, weil sich hier die Intersektionalität behinderungs- und identitätsrelevanter Spannungsfelder stärker herauskristallisiert als in vielen anderen Literaturformen kultureller Minderheiten: Fragen von nationaler, ethnischer und kultureller Zugehörigkeit, von Passing, Belonging, ReLocating, werden mit einer sprachlichen Vehemenz verhandelt, die trotz aller Dringlichkeit in der literarischen und literaturwissenschaftlichen Öffentlichkeit aktuell weitgehend ungehört ist.2
Im Folgenden werden Forschungsmethodik und -aufbau erläutert. Die Lebenssituation von Frauen mit und ohne Hörbehinderung in Deutschland wurde in Form einer Literaturrecherche analysiert, in der die Alltagsressourcen untersucht wurden. Daraus ergeben sich Themenfelder zu sozialen Ungleichheiten in allen Lebensbereichen wie geschlechtsspezifische Ungleichheiten, Verteilungsmechanismen, soziale und gesellschaftliche Konstruktion, Diversität, Minderheiten- und Behindertenpolitik, Kollektivität sowie in- tersektionale Diskriminierung und Feminismus. Einschlägige relevante Literatur, Studien und empirische Forschungsergebnisse wurden insbesondere im englischsprachigen Raum recherchiert, da in diesem mehr Literatur zum Gendergap bzw. zur Geschlechterparität und Hörbehinderung zur Verfügung steht. Die Nutzung der Internetdatenbanken erfolgte über den Bibliothekskatalog OPAC der Hochschulbibliothek der Evangelischen Hochschule RWL, Fis-Bildung und OPUS 4 sowie über Quellen vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, da diese Daten verlässlich und vertrauenswürdig sind.
Im zweiten Kapitel dieser Arbeit werden zunächst zentrale Begriffe wie Gender und Gendergap definiert. Dies geschieht im Hinblick auf die strukturelle und systematische Diskriminierung in Beschäftigungsverhältnissen, der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, der Altersvorsorge, der Dekonstruktion von ,gender‘ und ,sex‘ in Form von Zweigeschlechtlichkeit als Norm sowie in der Gleichstellung zwischen Männern und Frauen. Weiterhin wird die Alltagsdiskriminierung im Zusammenhang mit sozialen Ungleichheiten und Frauenbenachteiligungen sowie die Ursachen des Patriarchats behandelt.
Das dritte Kapitel umfasst grundlegende Informationen zur Hörbehinderung und zu ihren Auswirkungen. Darunter sind ihre Ursachen und Heterogenität sowie die psychosoziale Gesundheit zu verstehen. Außerdem werden in diesem Zusammenhang der Begriff ,Minderheit‘, die sozioökonomische Si tua- tion von hörbehinderten Menschen bzw. Frauen sowie die Begriffe Ableis- mus, Audismus und Stigmatisierung vorgestellt. Ebenso wird die mehrdimensionale Bedeutung der Gebärdensprache als Kommunikationsmedium und identitätsstiftendes Symbol in Verbindung mit der Gehörlosenkultur als Subkultur und der Gehörlosenbewegung als sozialer Bewegung dargestellt.
Im vierten Kapitel werden die systematische Diskriminierung und die patriarchalen Strukturen bezüglich der hohen Betroffenheit von (insbesondere hörbehinderten) Frauen sowie von körperlicher, psychischer und sexueller Gewalt dargelegt. Darüber hinaus wird auf die Gewaltprävalenzen und häusliche Gewalt, z. B. elterlicher, partnerschaftlicher oder institutioneller Art, eingegangen. Darauf folgen die gesundheitlichen Folgen für Frauen mit und ohne Hörbehinderung durch die Gewalterfahrungen und die fehlende Gewaltprävention.
Um einen Raum für Geschlechtervielfalt sichtbar zu machen, basiert die gewählte Form der geschlechtergerechten Sprache auf der „Handreichung zur Anfertigung wissenschaftlicher Arbeiten" der Evangelischen Hochschule RWL aus dem Jahr 2016.
2. Gender Gap
In diesem Kapitel wird die erste Forschungsfrage beantwortet, inwiefern Frauen mit und ohne Hörbehinderung im Alltag und von der Dominanzkultur von Männern diskriminiert werden, die auch in diesem Zusammenhang auf die zweite Frage hinsichtlich der einschränkenden Faktoren eingegangen wird. Dies führt ebenfalls indirekt zur dritten Frage, wodurch Frauen zu gesundheitlichen Belastungen gefördert werden aufgrund der bestehenden Ungleichheitsverteilungen.
Dabei geht es explizit um den Begriff ,Gendergap‘ und die damit verbundenen Begriffe wie ,Gender-Pay-Gap‘ und ,Gender‘ und dessen Ursachen. Mittlerweile gibt es dazu verschiedene Themenbereiche wie Gender-Data-, Political-Gender- und Gender-Health-Gap. Der folgende Abschnitt basiert auf dem Gendergap im Beschäftigungsverhältnis (Gender- Pay-Gap). Darunter fallen Themen wie die unbezahlte Sorgearbeit (Gender- Care-Gap) und die Altersvorsorge (Gender-Pension-Gap).
Im Folgenden werden die Gründe für den Gendergap beschrieben. In diesem Zusammenhang wird der Begriff ,strukturelle Diskriminierung‘ bzw. ,Alltagsdiskriminierung‘ abgeleitet. Des Weiteren wird der Begriff ,Gender‘ dargelegt, da das Geschlecht und die Geschlechtsidentität (Gender) divers sind. Hierbei geht es hauptsächlich um die Geschlechterverhältnisse, denn zum einen wird bei der Verwendung und Forschung von Gendergap überwiegend von den Unterschieden zwischen Frauen und Männern in allen Lebenslagen gesprochen, zum anderem besteht das Interesse dieser Arbeit darin, die Gleichstellung von Frauen und Männer zu untersuchen.
2.1 Definition
Vor dem ,Gendergap‘ wird zunächst die Bedeutung von ,Gender‘ beschrieben. In der englischen Sprache wird das Geschlecht mit zwei Bedeutungen dargelegt. Zum Einem mit dem Wort ,sex‘ für das biologische Geschlecht und zum anderem mit dem Wort ,gender‘ für das soziale Geschlecht. Diese Begriffe wurden im deutschsprachigen Raum größtenteils übernommen.
Das Geschlecht bildet nicht nur eine biologische Kategorie, sondern wird aus der biologischen Kategorie sozial interpretiert. Dies geschieht kulturell bedingt innerhalb der Gesellschaft auf verschiedene Weise und in jeder geschichtlichen Zeitspanne.3 In der modernen Forschung wird angenommen, dass das Geschlecht „immer soziale, kulturelle, politische und biologische Komponenten beinhaltet, die sich historisch verändern können.“4 Daher wird der Begriff ,Gender‘ verwendet. In den 1980er Jahren wurden die Begriffe ,sex‘ und ,gender‘ in der Frauen - und Geschlechterforschung ausdrücklich unterschieden, indem die Differenzen zwischen Frauen und Männern nicht nur auf biologischen Unterschieden beruhten, sondern sozial charakterisiert wurden. Mittlerweile ist bestätigt, dass ,sex‘ und ,gender‘ untrennbar sind.5 Frauen und Männer werden nicht mehr als homogene Gruppen angesehen, da häufig die Unterscheidungen innerhalb weiblicher und männlicher Gruppen bedeutend sind. Gleichfalls können weitere soziale Ausprägungen wie die ethnische Zugehörigkeit, die Hautfarbe oder der soziale Status bedeutend sein, die sich erneut wegen ihres Geschlechts unterscheiden.6 „Anders gesagt: es geht nicht um zwei Farben, sondern um das gesamte Farbspektrum.“7
Nach der Aussage von Mogge-Grotjahn leben wir in einem kulturellen System der Zweigeschlechtlichkeit. Dies meint die Selbstverständlichkeit eines binären* Systems, die zweiteiligen Geschlechter von Frau und Mann. Wer als biologischer Zwitter* auf die Welt kommt, muss rechtlich und medizinisch einem Geschlecht zugeordnet werden. Dies gilt ebenfalls für transsexuelle* Menschen, die im ,falschen‘ Körper leben und eine abschließende Entscheidung zu ihrer Geschlechtszugehörigkeit treffen müssen, mit der Annahme vom ,richtigen‘ Geschlecht. Öfters verursacht eine nicht klare Geschlechtszugehörigkeit psychische und soziale Probleme.8 In der Medizin werden inter*- und transsexuelle* Menschen nach der ICD 10 als Störungen der Geschlechtsidentität mit einer Abweichung von der zweigeschlechtlichen Norm klassifiziert. Durch diese Einteilung in eine Zweigeschlechtlichkeit werden diese diskriminiert und zu einer geschlechtlichen Zugehörigkeit zu Frau oder Mann gezwungen.9
So wird in Deutschland die Frage nach dem Geschlecht, z. B. bei einer Internetumfrage oder bei der Angabe persönlicher Daten in einem Formular, nicht mehr auf zwei Kategorien beschränkt. Stattdessen wird laut dem Bundesverfassungsgericht ein drittes Geschlecht mit dem Wort ,divers‘ benannt, um intergeschlechtliche* Menschen zu schützen, ihre Rechte zu realisieren sowie um ihre geschlechtliche Identität im Geburtenregister eintragen zu lassen.10 Diese Personengruppe wird auch gender*diverse Menschen genannt.11 Um die Persönlichkeit intergeschlechtlicher* Menschen zu schützen, konzentriert sich das Bundeskabinett seit dem Jahr 2018 darauf, dass alle drei Geschlechtsformen beim Geburtenregister beachtet werden und dass das dritte Geschlecht ,divers‘ nicht ausgeschlossen wird.12 Zudem gibt es weitere geschlechtliche und sexuelle Zugehörigkeiten wie die LSBTTIQ*-Gruppe. Die deutsche Abkürzung LSBTTIQ* meint darunter lesbische*, schwule*, bisexuelle*, transsexuelle*, transgender*, intersexuelle* und queere* Menschen. Für diese Gruppe wird meistens die englische Abkürzung LGBT* verwendet.13
Des Weiteren suggeriert die eigene Geschlechtszugehörigkeit und die Geschlechtszugehörigkeit der Mitmenschen die wechselseitige Wahrnehmung, das Verhalten und die Handlungen auf unbewusste Weise.14 Die Ergebnisse verschiedener empirischer Studien und statistischer Daten zeigen, dass die Geschlechtszugehörigkeit ein relevanter Platzanweiser für die Bevölkerung im sozialen Ungleichheitsgefüge ist.15 In allen Interaktionen zwischen Individuen hat die Geschlechtsidentität eine bedeutende Rolle, beispielsweise in Familien und Partnerschaften, in sozialen Gruppen, in schulischen oder beruflichen Zusammenhängen, in Organisationen und Institutionen und im öffentlichen Raum. Diese ,Geschlechterbeziehungen‘ sind in den kulturellen, ökonomischen und politischen Strukturen der jeweiligen Gesellschaft integriert.16
Aus der subjekttheoretischen Sicht ist das Geschlecht ein Bestandteil der Identität von Menschen mit der Betonung der intersubjektiven Aneignung und intrasubjektiven Verarbeitung sozialer Erfahrungen.17 „Demnach ist Geschlecht eine Konfliktkategorie und Geschlechtsidentität keine abgeschlossene Entwicklungsleistung, sondern Ausdruck eines lebenslangen, spannungsreichen und mit fortlaufenden Konflikten verbundenen Aneignungsprozesses, in dessen Verlauf der Eigensinn des Subjekts und gesellschaftliche Erwartungshorizonte in Spannung zueinander stehen.“18 Dieser Aneignungs- und Gestaltungsprozess des Geschlechtslebens findet in allen Facetten der Sozialisation statt, nämlich den körperlichen, sexuellen, emotionalen und kognitiven, sowie in der Entwicklung von Moral und Wertvorstellungen.19
Zwar wird in der Überführung von der Adoleszenz in das Erwachsenenalter meistens eine stabile Ich-Identität als Frau oder Mann und eine Kenntnis der sexuellen Orientierung wie hetero*- oder homosexuell* erreicht, dennoch ist die Sozialisation ein lebenslanger Prozess und die Ich-Identität keine ortsfeste Extensität, die für immer verflochten wird und konstant bleibt. Stattdessen ist die Identität als ein ständiger subjektiver Konstruktionsprozess aufzufassen, der sowohl eine Herstellung einer Balance zwischen der inneren und äußeren Welt als auch der Kontinuität und Sinnhaftigkeit des eigenen Erlebens und Handelns bedeutet.20 In der alltäglichen Interaktion und Kommunikation wird die Bedeutung des Geschlechts nicht nur bestätigt und verfestigt, sondern auch umgedeutet. Hierzu wird in der englischsprachigen Literatur der Begriff des ,doing gender‘ verwendet.21
Im deutschsprachigen Kontext wird ,Gender‘ öfters breiter und ungenau angewendet. Durch die Aushandlung und Herstellung der Geschlechterdifferenz in interaktiven Prozessen werden diese als ,doing gender‘ betitelt. In der Sozialen Arbeit ist der Prozess des ,doing gender‘ alltäglich, wo beispielsweise Interaktionen zwischen Adressat_innen und qualifizierten Fachkräften, in Teams und in Organisationen zwischen Fachkräften gleicher und unterschiedlicher Berufsgruppen und Professionen stattfinden. Hier stellt sich die Frage, von welcher Bedeutung die Differenz ist und in welcher Relation sie zur Hierarchie steht. Um das Geschlecht als10 11 12 13 14 soziale Konstruktion zu betrachten, die mit theoretischen und methodischen Strategien zusammenhängt, sollte die Kategorie Geschlecht in Interaktionsprozessen nicht untersucht werden. Stattdessen sollte die Herstellung von Geschlecht selbst und das damit verbundene Wissen aller interagierenden Menschen geprüft werden.15
2.1.1 Vier Dimensionen von Gender
Im nächsten Abschnitt werden die Dimensionen von Gender dargelegt, die größtenteils einen Bezug zur vorgelegten Arbeit aufweisen und in ihr begründet werden. Diese Dimensionen bestehen sowohl im öffentlichen und politischen Bereich als auch im sozialen, wirtschaftlichen und gesundheitlichen Bereich und stehen ebenfalls im Zusammenhang mit den Alltagsbewältigungen von Frauen mit und ohne Hörbehinderung stehen.
Laut der EU-Kommission, mit einem Bezug zur OECD, gibt es vier Genderdimensionen: Repräsentation in Politik und Gesellschaft, Lebensbedingungen, Ressourcen sowie Normen und Werte. Erstere meint die Mitwirkung an Entscheidungen sowie öffentliche und private Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern. Für die Lebensbedingungen sind Bereiche wie Armut, Wohlstand, Erfahrungen von Gewalt und Exklusion zu betrachten. Die Ressourcen beinhalten in diesem Fall die Verteilung von Geld, Information, Mobilität und Zeit. Normen und Werte umfassen die Stereotypisierungen und die damit verbundenen Rollenzuschreibungen, Bilder und Sprache.16
Durch Erziehung, Medien, Normen und Rollenvorstellungen werden Frauen und Männer innerhalb der Gesellschaft als unterschiedliche Gruppen bewertet und entsprechend der Heteronormativität erwartet. Heteronormativität spricht von der sozialen Norm der zwei geschlechtlichen Kategorien weiblich und männlich sowie die Norm des heterosexuellen* Begehrens zwischen Frauen und Männern. Diese Form wird als unausweichlich und unkritisch übernommen. Vereinfacht ausgedrückt wird von einer heterosexuellen* und cisgeschlechtlichen* Vorstellung ausgegangen.17
Mogge-Grotjahn stellt den ,männlichen Blick‘ innerhalb der Sozialisation dar, der insbesondere den Worten von Simone de Beauvoir aus dem Buch „Das andere Geschlecht“ nahe liegt.
Das Weibliche als das ,ganz Andere' wurde einerseits abgewertet, löste andererseits aber auch weiterhin Begehren und Faszination aus. Sowohl die äußere Natur als auch die Frauen als Verkörperung des Natürlichen wurden gleichzeitig verklärt und ausgebeutet. Das vermeintliche Unberührte, ,Andere' der Natur wie auch das Weibliche dienten als Projektionsfläche für die abgespaltenen emotionalen Anteile des Männlichen, gleichzeitig wurden die natürliche Umwelt wie auch die Frauen häufig als Ressourcen behandelt, deren man sich bedienen konnte.18
Mit anderen Worten wird die weibliche Sozialisation als Abweichung des Männlichen aufgefasst. Gleichfalls erklärt Simone de Beauvoir in „Das andere Geschlecht“ explizit, dass die Biologie kein Schicksal ist und Menschen nicht als Frau geboren werden, sondern dazu gemacht.19 Soziale Ungleichheiten entstehen durch die sozialen Verteilungsmechanismen und Machtprozesse, die die biologischen Determinanten bestimmen, das heißt durch ,natürliche Ungleichheiten'.20 Folgendes Zitat beleuchtet die Stereotypisierungen:
Frauen werden oft als geeignet für die Rolle der fürsorglichen Hausfrau betrachtet, während Männer als geeignet für die Rolle des Versorgers gelten. Solche Ansichten über Geschlechterrollen können Eltern bewegen, bei ihren Kindern geschlechtsstereotype Eigenschaften wahrzunehmen (Mädchen werden beispielsweise als abhängig gesehen, Jungen als unabhängig) und geschlechtsstereotype Sozialisierungsziele für die Kinder festzulegen (beispielsweise sollen Mädchen empfindsam sein, Jungen selbstsicher). Solche Erwartungen können die Interaktion der Eltern mit ihren Kindern beeinflussen und dazu führen, dass Jungen und Mädchen unterschiedlich behandelt werden.21
Daraus lässt sich schließen, dass das biologische Geschlecht nicht als Grundlage von Gender dient, sondern eher ein Teil dessen ist. Das bedeutet ebenfalls, dass die geschlechtliche Verkörperung von Frauen und Männern, die für sie als natürlich und normal gilt, stets von den Wertvorstellungen oder der Heteronormativität ausgeht.22
Durch die Relevanz von Geschlechterverhältnissen innerhalb der gesellschaftlichen Ordnung wird das Geschlecht auch als Strukturkategorie beschrieben, da das heteronormative Geschlecht ein wesentlicher Bestandteil der gesellschaftlichen und organisatorischen Struktur und in deren Struktur enthalten ist. In der traditionellen Sichtweise setzt sich die Geschlechterordnung sowohl aus Patriarchat als auch aus Androzentrismus zusammen. Das Erste bezieht sich auf die hierarchische Überlegenheit des Mannes und das Zweite auf die männliche Norm.23
Das Patriarchat bezeichnet eine soziale Ordnung, in der ein Patriarch entscheidungsbefugt ist; in engem Zusammenhang damit steht der Begriff des ,Paternalismus‘, in dem ein Vater (pater familias) zwar fürsorglich, aber doch allein für die Familie entscheidet. Mit Androzentrismus wird begrifflich gefasst, dass Denken, Fühlen und Handeln nicht geschlechtsneutral sind, sondern sich in unserer Kultur in erster Linie auf Männer beziehen und Lebenslagen und Erfahrungen von Frauen unberücksichtigt lassen. Anders gesagt: Das männliche Subjekt gilt paradigmatisch als der Mensch, was die englische Sprache mit dem Begriff ,mankind‘ für Menschheit und das deutsche ,man‘ verdeutlichen. Damit geht einher, dass Werte und Normen des Denkens und Handelns in Gesellschaft, Politik und Kultur implizit mit geschlechtsspezifischen Werten behaftet sind: Familie gilt als Ort des Weiblichen, Politik als Ort des Männlichen, fühlen gilt als weiblich und denken als männlich, Fürsorge als weiblich und Aggression als männlich usw.24
Das heißt, dass die Stereotypisierungen im öffentlichen und politischen Bereich, in der Kultur und den Denkmustern verankert sind.25
Zusammengefasst liest sich aus den vorliegenden Informationen, dass die Repräsentation die Lebensbedingungen und die Ressourcen beeinflusst, die mit Normen und Werten wie Stereotypisierungen zusammenhängen. Des Weiteren beinhaltet das Wort ,Gender‘ nicht nur eine Strukturkategorie, sondern ist zugleich ein analytisches Werkzeug, mit dem die Gesellschaft untersucht werden kann, auch Analysekategorie genannt. Dadurch können die unterschiedlichen Genderdimensionen wie Lebensbedingungen, Normen und Werte, Repräsentation und Ressourcen erkenntlich gemacht werden. Somit dient das Genderwissen als Grundlage der gleichstellungspolitischen Arbeit.26
Die Dimensionen der Geschlechterthematik und die Reflexionen, die mit ,Genderkompetenz‘ in Verbindung gebracht werden, haben eine entscheidende Rolle in der Sozialen Arbeit. Das heißt, dass Genderkompetenz zu den Kernkompetenzen der Ausbildung von sozialen Dienstleistungsberufen gehören und in der beruflichen Praxis sichtbarer werden sollte.27 Die Handlungs- und Arbeitsfelder der Sozialen Arbeit sind komplex und divers. Dies kann für die Fachkräfte bedeuten, mit Menschen zu arbeiten, die äußerlich ein Mann oder eine Frau sind, aber sich als Frau oder Mann fühlen und daher Angebote für Frauen oder Männer beanspruchen. Daraus stellt sich für Sozialarbeitende die Frage nach dem Umgang mit diesen Personen, wenn die Geschlechtszugehörigkeit wie in dem o. g. Beispiel aus der Opposition ausgeschlossen ist. Das bedeutet, es muss nach der eigenen Aufnahme sowie nach dem bestehenden Wissen über sexuelle und geschlechtliche Vielfalt wie auch die Repräsentationspraktiken von Queer* gefragt werden.28 Durch eine Betonung der Heterogenität wird die Diversität unterstützt.29
2.1.2 Gendergap
,Gendergap‘ bezeichnet eine Gender- bzw. Geschlechterlücke oder Geschlechterkluft. Das Wort ist ein Anglizismus; beide Begriffe, aus denen es besteht, sind englisch und wurden in die deutsche Sprache übernommen. Hierbei steht ,Gender‘ für das soziale Geschlecht und ,Gap‘ für Lücke, Kluft oder Abstand. Diese Begriffe werden in der Soziologie und Gesellschaftspolitik für die Unterschiede in der Gleichstellung zwischen Frauen und Männern verwendet. Die Einkommenslücke zwischen den Geschlechtern wird in der Volkswirtschaft als ,Gender-Pay-Gap‘ beschrieben, die Rentenlücke in der Altersvorsorge als ,Gender-Pension- Gap‘ und die Datenlücke in der geschlechtlichen Datenerhebung als ,Gender-Data-Gap‘.30
Der Global Gender Gap Report ist eine wissenschaftliche Berichterstattung zum Thema Gendergap, in dem die Gleichstellung der Geschlechter in 153 Ländern untersucht wird. Dieser Report vom Weltwirtschaftsforum (World Economic Forum) wird seit 2006 jährlich herausgebracht und ist in die vier Gebiete Bildung, Gesundheit, Politik und Wirtschaft eingeordnet. In diesem werden die Nationen nach Rang eingeteilt. Der Global-Gender-Gap analysiert und bewertet die Lücken innerhalb eines Landes, z. B. die Entlohnungslücke (Gender-Pay-Gap) und die Partizipation der Frauen in Spitzenpositionen (Gender-Advancement-Gap). Im Jahr 2020 wurde im Global Gender Gap Report zum Jahr 2019 festgestellt, dass der weltweite Gendergap zur Gleichstellung der Frau 31,4 % im Vergleich zur Stellung des Mannes beinhaltet.31 Das heißt, nach der Berechnung des Global Gender Gap Index (GGGI) wird es 99,5 Jahre bis zur Gleichstellung in Politik, Wirtschaft, Gesundheit und Bildung andauern. Laut Global Gender Gap Report 2020 dauert die wirtschaftliche Geschlechterparität bei der derzeitigen Geschwindigkeit noch 257 Jahre im Vergleich zu 202 Jahren im Bericht 2019. Island liegt seit elf Jahren in Folge beim Gleichstellungsindex weltweit auf dem ersten Platz. Das heißt, dass in diesem Land die Geschlechterlücke zu fast 88 % geschlossen ist. Die skandinavischen Länder folgen ihm mit dem zweiten, dritten und vierten Rang. Gefolgt von Ruanda belegt Deutschland den 10. Rang und hat die Lücke zu fast 79 Prozent geschlossen.32
Im kommenden Kapitel ist es vorerst relevant zu wissen, inwiefern Diskriminierung und Intersektionalität definiert wird, um die Zusammenhänge zwischen Diskriminierungserfahrungen und intersektionalen Aspekten von Frauen mit und ohne Hörbehinderung besser nachvollzuziehen zu können. Daraufhin wird die Thematik Gender-Pay-Gap vorgestellt.
2.2 Bedeutung von Diskriminierung und Intersektionalität
Laut dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) bedeutet Diskriminierung Unrecht.33 Diskriminierungserfahrungen und alle berichteten Diskriminierungsformen sind ein relevanter Indikator für gesellschaftliche Schieflagen und strukturelle Diskriminierung: „Wenn Menschen gesellschaftliche Strukturen als diskriminierend wahrnehmen, weist dies auf gesellschaftliche Konfliktlinien und letztlich auch Schwächen im gesellschaftlichen Zusammenhalt hin."34
In der Sozialpsychologie wird Diskriminierung durch ein Verhalten von Personen oder Gruppen ausgelöst, das andere Personen oder Volksgemeinschaften benachteiligt. Diskriminierung als mögliches Verhalten ergibt sich aus dem dreistufigen Prozess von Kategorisierung, Stereotypisierung und Bildung eines Vorurteils. Diese Stufen verlaufen zunächst durch die Unterteilung von Gruppen und durch die Konstruktion sozialer Gruppen in einer Eigengruppe und einer Fremdgruppe, entlang bestimmter Merkmale (Kategorisierungen). Diese Merkmale schreiben den Gruppen im zweiten Schritt bestimmte Eigenschaften zu (Stereotypisierung), wodurch in der dritten Abfolge Vorurteile entstehen.35
Darüber hinaus wird in den Sozialwissenschaften der eingeschränkte oder verwehrte Zugang zu Ressourcen und sozialer Partizipation als zentrales Kriterium von Diskriminierung aufgefasst.36 Die sechs Kategorien Alter, Behinderung, ethnische Herkunft oder Rasse, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung und sexuelle Identität sind im AGG als würdig und Schutz verdienend definiert.37
Da der Mensch in einer komplexen Welt lebt, sind Kategorisierungen wesentlich, um handlungsfähig zu bleiben, besonders im Hinblick auf die Konstruktion sozialer Gruppen, denen Personen zugeordnet werden. In der Sozialpsychologie wird die Kategorisierung als grundlegender und universeller Prozess des menschlichen Denkens angesehen. Jedoch lassen sich externe Kategorisierungsprozesse in allen Formen als Ausgangspunkt von Diskriminierung betrachten.38
Angesichts der sozialen Kategorisierungsprozesse lässt sich Diskriminierung auf zwei Ebenen skizzieren. Zum Einem sind Diskriminierungsmerkmale im AGG geschützt. Dies umfasst die Strukturierung der Gesellschaft anhand bestimmter sozialer Merkmale wie Behinderung und Geschlecht. Dies führt zur zweiten Ebene sozialer Kategorisierungsprozesse, in der Personen durch die Zuordnung zu sozialen Gruppen wie Frauen, Männer, Trans* und Inter* aufgrund einer bestehenden hierarchischen Ordnung der Kategorisierungen diskriminiert oder benachteiligt werden.39
Laut UN-Konvention können Kategorien wie Behinderung, Ethnizität, Geschlecht, Klasse, Rasse und Sexualität nicht voneinander getrennt betrachtet werden, stattdessen zeigt sich eher eine Interdependenz* der signifikanten Diskriminierungsmerkmale. Das bedeutet, dass eine Person z. B. nicht nur als Frau oder als Behinderte oder als Erwerbslose diskriminiert wird oder diese Diskriminierungsmerkmale addierbar sind, sondern dass diese Diskriminierungsmerkmale an unterschiedlichen Orten und Situationen in Wechselbeziehung stehen und nicht differenzierbar sind.40 In diesem Zusammenhang leitet sich das Wort Intersektionalität ab und wird nun erläutert.
In der vorliegenden Untersuchung geht es um hörbehinderte Frauen als Menschen mit Behinderung und Frauen an einer Schnittstelle mehrfacher Diskriminierungen. Zudem sind sie von Ableismus, Audismus, Klassismus und weiteren Diskriminierungsformen betroffen, die in den nächsten Abschnitten zu erkennen sind.41 Dies wird als Intersektionalität bezeichnet. Crenshaw hat diese anhand der Metapher einer Straßenkreuzung mit vier Richtungen passend dargelegt:42
Discrimination, like traffic through an intersection, may flow in one direction, and it may flow in another. If an accident happens in an intersection, it can be caused by cars traveling from any number of directions and, sometimes, from all of them. Similarly, if a Black woman is harmed because she is in the intersection, her injury could result from sex discrimination or race discrimination.43
Intersektionalität kennzeichnet ebenfalls als Verwobenheit von verschiedenen Benachteiligungsformen auf der Ebene von Gesetzen, institutionelle Werte und Praktiken und Politiken gekennzeichnet, indem bestimmte Menschen oder Gruppen als Benachteiligte oder als ,Andere‘ stigmatisiert werden.44
Die Intersektionalität bietet als Analyseansatz eine Möglichkeit, die Komplexität interdependenter Gewaltachsen näher zu betrachten, jedoch basiert dieser Ansatz nicht auf Vollständigkeit. In den deutschsprachigen Disability- Studies bestehen kaum intersektionale Ansätze. In den Genderstudies hingegen wurde die Intersektionalität vermehrt erfasst.45 In den wissenschaftlichen Diskursen der Disability- und Genderstudies wurde in den letzten Jahren expliziert, dass bei Behinderung und Geschlecht eine gesellschaftliche Konstruktion besteht, wodurch der Körper nicht mehr als naturgegeben betrachtet wird.46 Die beiden Diskriminierungsmerkmale Geschlecht und Behinderung werden im Alltag im Austausch mit Institutionen und Menschen kontinuierlich erzeugt. Folglich befassen sich Gender- und Disability-Studies mit denselben Thematiken wie Identität, Körper, Sexualität und Ungleichheit.47
Gleichfalls wird in der Intersektionalitätsforschung, d.h. der Analyse der Verwobenheit sozialer Unterschiede, und im allgemeinen Diskurs deutlich, dass die Kategorie Behinderung eine marginale Rolle hat. Das heißt, dass die Kategorie Behinderung auch zu erforschen ist, aber im Verhältnis zu anderen Unterscheidungen meistens unter dem Merkmal ,etc‘ unterliegt.48
Die UN-BRK betont im Hinblick auf die vielfältigen verwobenen Benachteiligungen die Notwendigkeit verstärkter Forschung und Debatten, um die UN- BRK umzusetzen, Diskriminierungen abzuschaffen und Verbesserungen für alle behinderten Menschen zu erreichen.49
Im nächsten Abschnitt werden der Begriff ,Gender-Pay-Gap‘ und die damit zusammenhängenden Themenschwerpunkte wie Gender-Care- und Gender-Pension-Gap vorgestellt. Kurz gefasst geht es um die geschlechtsspezifischen Unterschiede zwischen Frauen und Männern in der Alltagsbewältigung.
2.3 Gender-Pay-Gap
Der Gender-Pay-Gap gibt einen Überblick über die geschlechtsbezogene Entgeltungleichheit. Die Differenz zwischen Frauen und Männern wird mit den prozentualen Angaben im durchschnittlichen Bruttostundenverdienst berechnet.
Laut dem Statistischen Bundesamt waren im Jahr 2018 in allen Branchen und Berufen 1,9 Millionen sozialversicherte Erwerbstätige registriert. Der errechnete Bruttostundenlohn betrug bei Frauen 17,09 Euro und bei Männern 21,60 Euro. Das bedeutet einen Unterschied von 21 Prozent, der in den Vorjahren fast gleich war. Dies wird als unbereinigter Gender-Pay- Gap beschrieben.57
Mit dem bereinigten Gender-Pay-Gap werden die strukturellen und arbeitsmarktrelevanten Merkmale untersucht und berechnet, die zu unterschiedlichen Einkommen führen, weil Frauen und Männer in verschieden bezahlten Branchen und Berufen beschäftigt sind. Hier bestehen nur 7 Prozent Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern mit gleichen Arbeitsbiografien, Qualifikationen und Tätigkeiten. Jedoch werden nicht alle Ursachen wie Arbeitsunterbrechungen oder Verhandlungsstärke beachtet.58 „Wann immer man vom bereinigten Pay Gap spricht gilt: Nur weil sich Unterschiede erklären lassen, wird die Bezahlung nicht automatisch fair. Nur der unbereinigte Pay Gap weist auf alle strukturellen Merkmale hin, die die Lohnlücke bedingen.“50 51 52 53
Um näher auf dieses Zitat einzugehen, stellt das Gesamtergebnis klar, dass die Beseitigung der strukturellen Merkmale nicht ausreicht, um die Lohnunterschiede zu beseitigen oder die Gleichstellung zu realisieren, da nicht alle Ursachen berücksichtigt werden.
Laut Berechnung des Weltwirtschaftsforums verdienen Frauen weltweit lediglich 63 Prozent des Lohns von Männern. Die globale Erwerbstätigenquote beträgt bei Frauen im Alter zwischen 25 und 54 Jahren 63 Prozent und bei Männern 94 Prozent.60 Deutschland schneidet im Bezug zum Gender-Pay-Gap mit 21 Prozent im EU-Vergleich am unteren Ende der Skala ab. Jedoch ist dieser in Ländern wie Estland mit 25,6 Prozent und Tschechien mit 21,1 Prozent noch größer als in Deutschland. Dagegen beträgt er in Italien 5 Prozent und in Luxemburg und Rumänien jeweils 3,5 Prozent.54
Der Gender-Pay-Gap ist in Ost- und Westdeutschland ebenfalls über viele Jahre hinweg unterschiedlich. In den neuen Bundesländern* liegt er bei 9 Prozent und in den alten Bundesländern inklusive Berlin bei 23 Prozent. Der niedrigste Verdienstunterschied von 5 Prozent ist in den Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen zu finden und der höchste von 26 Prozent in Baden-Württemberg. Dies hängt mit den verschiedenen Lohnniveaus in den alten und neuen Bundesländern zusammen. Aufgrund der traditionell hohen Frauenerwerbstätigkeit und die damit einhergehende niedrigen Lohneinkommen ist das Einkommen der Frauen in den neuen Bundesländern höher als das von Männern.55
Nach Susan Pinker sind in Bezug auf die Art von Tätigkeiten die größten Unterschiede zwischen Männern und Frauen in reichen Ländern wie Kanada, Großbritannien, Deutschland, Schweiz, Norwegen, den USA und Japan zu beobachten. Dies betrifft die Berufswahl und die Dauer der Arbeitszeit:56 „Je reicher das Land, desto eher entscheiden sich Männer und Frauen für unterschiedliche Arten von Arbeit.“57
[...]
1 Vgl. Hövermann / Küpper / Zick 2011, S. 18.
2 Rana 2020, S. 13.
3 Vgl. Mogge-Grotjahn 2004, S. 8.
4 Becker-Schmidt / Knapp 2000, zit. n. Smykalla 2006, S. 1.
5 Vgl. Smykalla 2006, S. 2.
6 Vgl. ebd., S. 3.
7 Ebd., S. 4.
8 Vgl. Mogge-Grotjahn 2004, S. 8.
9 Vgl. Smykalla 2006, S. 5.
10 Vgl. Bereswill 2006, zit. n. Bereswill & Stecklina 2010, S. 47.
11 Ebd.
12 Vgl. Mogge-Grotjahn 2004, S. 93.
13 Vgl. ebd., S. 96.
14 Vgl. ebd., S. 9.
15 Vgl. Bereswill & Stecklina 2010, S. 46.
16 Vgl. Smykalla 2006, S. 1.
17 Vgl. Diversity Arts Culture, o. J.-a, o. S.
18 Mogge-Grotjahn 2004, S. 19.
19 Vgl. Pinker 2008, S. 13.
20 Vgl. Cyba 2000, S. 14.
21 Pinker 2008, S. 164.
22 Vgl. Smykalla 2006, S. 3.
23 Vgl. ebd., S. 5.
24 Ebd., S. 6.
25 Vgl. ebd.
26 Vgl. Smykalla 2006, S. 6.
27 Vgl. Mogge-Grotjahn 2004, S. 12.
28 Vgl. Formanek 2016, S. 25.
29 Vgl. ebd.
30 Vgl. Weltwirtschaftsforum 2019, o.S.
31 Vgl. Weltwirtschaftsforum 2019, S. 5.
32 Vgl. ebd., S. 6.
33 Vgl. Beigang u.a. 2017, S. 9.
34 Beigang u.a. 2017, S. 10.
35 Vgl. ebd., S. 12.
36 Vgl. ebd., S. 13.
37 Vgl. ebd., S. 14.
38 Vgl. ebd., S. 15.
39 Vgl. Beigang u.a. 2017, S. 16.
40 Vgl. Jacob / Köbsell / Wollrad 2010, S. 7.
41 Vgl. ebd., S. 37.
42 Vgl. Beigang u.a. 2017, S. 17.
43 Crenshaw 1989, zit. n. Beigang u.a. 2017, S. 18.
44 Vgl. Klinger / Knapp 2008, S. 257.
45 Vgl. Jacob / Köbsell / Wollrad 2010, S. 7.
46 Vgl. ebd., S. 18.
47 Vgl. ebd., S. 21.
48 Vgl. ebd., S. 37.
49 Vgl. Hermes 2015, S. 264.
50 Vgl. Business and Professional Women Germany e.V., o. J., S. 1.
51 Vgl. ebd.
52 Ebd.
53 Vgl. UN Women Deutschland 2020, o. S.
54 Vgl. Business and Professional Women Germany e.V., o. J., S. 2.
55 Vgl. ebd., S. 1.
56 Vgl. Pinker 2008, S. 100.
57 Ebd.
- Citar trabajo
- Lisa Ehrlich (Autor), 2021, Gender Gap der hörbehinderten Frauen, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1012773
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