Die Eisenbahn galt als die umwälzendste technische Neuerung des 19. Jahrhunderts und hat dessen Gesicht entscheidend geprägt und verändert. Zwar war die Mechanisierung des Transports die Folge einer vorausgegangenen industriellen Entwicklung der Baumwoll- und Kohleindustrie, und der Bau der ersten Eisenbahnlinie war auf das erhöhte Verkehrsbedürfnis zwischen den industriellen Zentren zurückzuführen, aber danach ermöglichte die Eisenbahn eine industrielle Entwicklung in einer dahin unbekannten Größenordnung. Die Eisenbahn verband Länder miteinander und eröffnete dem Menschen bis dahin unberührte Wirtschafts- und Zivilisationsräume.
Die Entwicklung der Eisenbahn beruhte auf drei geschichtlichen Voraussetzungen, der Entwicklung des Rades, der Schienen und der Dampfmaschine.
Bekannt sind spurgebundene Systeme seit der Antike. Römer, Griechen und Ägypter benutzten Spurrillen zur Führung von meist einachsigen Karren. Diese Rillen in Fels oder fester Erde bildeten keine generelle Bindung von Transportmittel und Transportweg. Ein Verlassen der vorgegebenen Spur war in vielen Fällen möglich. Doch schon damals erkannte man, dass diese Spurrillen durch ihren glatten Untergrund die Führung der Räder enorm vereinfachten.
Spurbahnen entstanden allerdings erst im mittelalterlichen Mitteleuropa. Auf diesen Schienenwegen, die zuerst aus Holz und später aus Eisen bestanden, wurden hauptsächlich von Pferden gezogene Grubenbahnen zur Erzbeförderung eingesetzt.
1784 gelang es dem englischen Erfinder JAMES WATT, die erste voll benutzbare Dampfmaschine zu bauen. Sie war allerdings nicht beweglich und wurde als Antrieb für Wasserpumpen in englischen Bergwerken eingesetzt.
Aufbauend auf dieser Erfindung gelang RICHARD TREVITHICK 1803 die Konstruktion der ersten Dampflok der Welt.
Nun konnte die Lokomotivproduktion richtig beginnen.
Einer der legendärsten Lokkonstrukteure der Welt war GEORGE STEPHENSON.
Er betrieb den Eisenbahnbau systematisch und gründlich, indem er nicht nur gute Lokomotiven konstruierte, sondern auch die Qualität von Gleisen in seine Planung mit einbezog.
Schließlich realisierte er trotz anfänglichen Protesten seinen Plan, die Eisenbahn als öffentliches Verkehrsmittel einzusetzen:
Am 27. September 1826 zog Stephensons Maschine “Lokomotion“ zum ersten Mal einen Zug, auf dem nicht nur Güter, sondern auch Personen in umgebauten Postkutschen befördert wurden.
Stephenson war der erste, der die Eisenbahn aus dem Grubenbereich löste und sie zum öffentlichen Verkehrsmittel machte.
Einer seiner Lokomotiven, die “Rocket“, gewann 1829 das Rennen von Rainhill.
Dieser Lokomotivtest bewies, dass das Rad-Schienen-System in Verknüpfung mit der Dampfkraft seine Bewährungsprobe bestanden hatte.
Der Wettstreit von Rainhill war ein Ausgangspunkt für den Fortschritt im Eisenbahnwesen.
Am 7. Dezember 1835 fuhr die erste deutsche Eisenbahn von Nürnberg nach Fürth.
Die Bahn sollte noch zu dem bis dahin größten Massenverkehrsmittel werden und für das ganze 19. Jahrhundert weltweit ein Transportmonopol besitzen.
Mit der Eisenbahn begann eine völlig neue Ära des Reisens:
Dem Postkutschenzeitalter wurde ein Ende gesetzt. So mussten die Menschen damals noch mit Kutschen auf Wegen fahren, auf denen man bei Schnee und Regen knietief im Morast versank. Die Wege waren zudem mit Schlaglöchern übersät, die stellenweise so tief waren, dass darin steckengebliebene Postkutschen nur mit fremder Hilfe wieder herauskamen.
Die Kutschen waren eng, finster, ungefedert, ständig kurz vor dem Auseinanderfallen und sie boten vor der Kälte im Winter nicht den geringsten Schutz. Die Poststationen, an denen die Reisende oft Tage auf ihre Anschlusskutsche warten mussten, waren oft mit Räuberhöhlen oder einem Stall zu vergleichen.
Mit Beginn des Eisenbahnzeitalters änderte sich vieles schlagartig.
Kam eine Postkutsche kaum über 15 km/h heraus, erreichte beispielsweise eine amerikanische Lokomotive die Geschwindigkeit von 122km/h. Die erhöhte Reisegeschwindigkeit und der Komfort veränderte menschliche Lebensformen, so führte die Eisenbahn zur Entstehung der ersten Vorstädte: Jetzt konnten die Menschen an verschiedenen Orten wohnen und arbeiten. Bauern brachten ihre Ware zum Markt, Arbeitsuchende reisten in die Städte und Dorfbewohner fuhren zum Einkauf in die Stadt. Das neue Verkehrsmittel ließ die Menschen eine nie gekannte Mobilität erfahren.
Die Eisenbahn entwickelte eine faszinierende Vielfalt von Erscheinungsformen: Vom Güterzug bis zu den rollenden Schlössern, den sogenannten Hofwagen, vom Vorortszug bis zu den Kontinenten durchfahrenden Luxuszug. Neue und tiefgreifende Eindrücke, die Künstler und Dichter beschäftigten, wurden von der Eisenbahn vermittelt. Fast jeder Schriftsteller, voran Mark Twain, hat einmal eine kleine Eisenbahngeschichte geschrieben.
Zahlreiche malerische Darstellungen hatten die Bahn zum Gegenstand.
Doch es gab auch viele Menschen, die erst lernen mussten, sich mit dem neuen Verkehrsmittel anzufreunden.
Die Pfarrer wetterten von der Kanzel gegen die teuflische Erfindung, Lärm und Gestank galten schlicht als unchristlich. Fuhrunternehmer, die durch die Eisenbahn ihre Einnahmen bedroht sahen, brachten allerlei finstere Visionen im Umlauf: Die Rauchwolken aus den Schloten der Lokomotive würden das Vieh töten, die Vögel würden tot zu Boden fallen. Die Luft würde verpestet und die Kühe in der Nähe der Bahn würden keine Milch mehr geben.
Auch sahen viele Personen die Qualität des Reisens bedroht.
So war die Fahrt mit der Postkutsche zwar beschwerlich, doch der Passagier empfing viele landschaftliche Eindrücke. Das Reisen war noch spannend und unterhaltsam.
Die Eisenbahn setzte dem ein abruptes Ende.
Die Landschaft vor dem Auge des Reisenden flog unerkennbar vorbei. Die
Geschwindigkeit schränkte die Wahrnehmung ein. Heinrich Heine hatte dies klar erkannt als er 1843 anlässlich der Eröffnung der Bahn von Paris nach Orleans schrieb:
„( ) Sogar die Elementarbegriffe von Raum und Zeit sind schwankend geworden. Durch die Eisenbahn wird der Raum getötet, und es bleibt uns nur noch die Zeit übrig. ( )“
Ein anderer Zeitgenosse beschrieb die Reisenden als „menschliche Pakete, die sich selbst mit der Eisenbahn verschicken, ohne noch einen Blick für die durchreiste Landschaft zu besitzen“.
So waren noch die Kutschfahrten ein sehr unterhaltendes und kontaktfreudiges Ereignis gewesen, da die Reisenden wussten, sie würden Stunden oder sogar Tage verbringen. Doch bei den Zugfahrten wechselten durch die Verminderung der Reisedauer die Gesichter der ständigen Zu- und Aussteigenden dermaßen schnell ab, dass man oft ohne ein Wort zu sagen an sein Ziel ankam. Da die Passagiere zudem durch die schnelle Geschwindigkeit die Landschaft nicht richtig wahrnehmen konnten, machte sich Langeweile breit, und die Menschen konnten kaum das Ende der Reise erwarten.
Die ungeheure Langeweile erzwingt ein Verhalten des Reisenden, dass uns heute noch sehr vertraut ist: Er beginnt zu lesen.
Mit den ersten Bahnhöfen entstand ein organisierter Bahnhofsbuchhandel. Das Lesen und das Fahren mit der Eisenbahn gehörten von Anbeginn zusammen.
Doch auch hier taten sich viele Menschen schwer, das Lesen im Zug zu akzeptieren.
Medizinische Arbeiten behaupteten, das Lesen sei eine zusätzliche Anstrengung für das durch die am Abteilfenster vorüberfliegende Landschaft ohnehin schon belastete Auge.
Irrsinn hätte dies zur Folge.
Es sollte noch einige Zeit dauern, bis die Menschen ihren Aberglauben abgelegt hatten und sich an die Eisenbahn gewöhnt hatten.
Die Einführung der Eisenbahn führte zu einer von vielen durch aus gehasste Erneuerung des Stadtbildes. Jeder Flecken, der an einer Bahnlinie lag, bekam seinen Bahnhof. Sie waren meist so scheußlich, das an eine Integration ins Stadtbild nicht zu denken war. Das um den Bahnhof entstandene industrielle Viertel, die Bahnhofsgegend, wurde bald zu einem verrufenen Stadtbezirk. Die Bahnhöfe der Anfangszeit glichen mehr Kolossalburgen, Kasernen oder verkitschten gotischen Kirchen als auf menschliche Bedürfnisse zugeschnittenen Bauten.
Kein Wunder, dass diese Art der Architektur auf künstlerisch sensible Gemüter einen abgrundtief abstoßenden Eindruck machte.
Die Bahnhöfe fungierten zudem als psychologische Umsteighilfe.
Das heißt, dass der Reisende, der aus der Stadt kam, erst das palastähnliche Empfangsgebäude betrat, das die Bahnhofshalle verdeckte. Mit dem Betreten der Bahnhofshalle, verließ der Reisende die Stadt und wurde auf den technischen Vorgang der Eisenbahnreise vorbereitet.
Er durfte allerdings diese Halle nicht frei betreten, sondern musste erst in entsprechenden Wartesälen auf Einlass kurz vor der Ankunft des Zuges warten. Die Menschen hatten zu diesem Zeitpunkt noch Angst, dem Reisenden würde die ganze Technologie überwältigen und er unfähig wäre mit ihr selbstständig umzugehen.
Im umgekehrten Fall sollte der mit dem Zug ankommende Reisende allmählich auf den Lebensraum der Stadt vorbereitet werden.
Erst zu Beginn des vorherigen Jahrhunderts , als sich auch das Stadtbild der fortschreitenden Industrialisierung nicht mehr verschließen konnte, zeugten die dann entstandenen Bahnhöfe aus Glas und Stahl vom erwachten industriellen Selbstbewusstsein. Optische und qualitative Verbesserungen in der Architektur der Bahnhöfe schritten voran.
Doch auch die Züge wurden komfortabler konstruiert.
1893 begann mit der Jungfernfahrt des legendären Orientexpress von Paris nach Konstantinopel die glanzvollste Epoche der Luxuszüge.
Diese Blütezeit in der Eisenbahngeschichte sollte fast genau zwanzig Jahre dauern, bis zum Beginn des ersten Weltkrieges. Ab diesem Zeitpunkt unterblieben Instandsetzung und technische Weiterentwicklung, wohingegen Auto und Flugzeug technische Weiterentwicklung erfuhren.
Damit wurde dem goldenen Zeitalter der Bahn ein Ende gesetzt.
Literaturhinweise:
- Internet: www.dbmuseum.de/home_d.htm
- CD-ROM: Microsoft Encarta `99 Enzyklopädie, Stichwort: “Eisenbahnen“
- Buch: “Vom Zauber alter Eisenbahnen“, Autor: Edward Dolby
- Citation du texte
- Verena Maus (Auteur), 1999, Die Geschichte der Eisenbahn, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/101197
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