Diese Bachelorarbeit beschäftigt sich insbesondere mit der Frage, ob und inwiefern sich die berufliche Tätigkeit von Lehrkräften an Regelschulen und an Förderschulen im Hinblick auf die verpflichtende Umsetzung von Inklusion verändert hat. Hierzu wird nachgeforscht, in welchem Maße sich der Beruf einer Lehrkraft als eine Profession verstehen lässt und welche Rollen professionelles Handeln und Professionalität dabei spielen. Der grundlegende Fokus wird auf die Umstrukturierung des LehrerInnenberufs gelegt. Außerdem ist es das Ziel der Arbeit, die Erfolge und Grenzen der Inklusion aufzuzeigen und einen Ausblick für die Zukunft der inklusiven Bildung zu geben. Dazu bedarf es, das Thema rückblickend, gegenwärtig und vorausschauend zu betrachten: Was wurde bereits erreicht? Wie ist der aktuelle Stand? Was muss noch getan werden?
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Theoretischer Zugang
2.1 Begriffsbestimmungen
2.1.1 Behinderung
2.1.2 Inklusion
2.1.3 Profession und Professionalität
2.2 Das deutsche Bildungssystem
2.2.1 Förderschwerpunkt Lernen
2.2.2 Inklusive Bildung
3. Einblicke zur Thematik aus Publikationen
3.1 Merkmale des LehrerInnenberufs und sein Verhältnis zur Professionalität
3.2 LehrerInnenberuf im Wandel durch die Umsetzung der Inklusion
3.3 Professionalität von Lehrkräften in der inklusiven Bildung
3.3.1 Kooperation zwischen Förder- und Regelschullehrkräften
3.3.2 LehrerInnenbildung in der inklusiven Bildung
4. Methodischer Zugang
4.1 ExpertInneninterview
4.2 Leitfaden
4.3 Auswertungsschritte
4.4 Hinweise zur Transkription
5. Einblicke zur Thematik aus der Empirie
5.1 Interviewpartnerin und Setting
5.2 Organisationale Strukturen der Schule
5.3 Ergebnisse des Interviews
5.4 Interpretationen hinsichtlich der Umsetzung der Inklusion
6. Fazit
7. Quellenverzeichnis
7.1 Buchquellen
7.2 Internetquellen
Anhang
1. Leitfaden
2. Transkript des Interviews
3. Paraphrasiertes Interview
Abkürzungsverzeichnis
bpb = Bundeszentrale für politische Bildung
BRK = Behindertenrechtskonvention
bzw. = beziehungsweise
ca. = circa
ebd. = ebenda
etc. = et cetera
e. V. = eingetragener Verein
f. = folgend
ff. = folgenden
FSJ = Freiwilliges Soziales Jahr
Hrsg. = Herausgeber
i. d. R. = in der Regel
KMK = Kultusministerkonferenz
NSchG = Niedersächsisches Schulgesetz
S. = Seite
SGB = Sozialgesetzbuch
u. a. = unter anderem
u. ä. = und ähnlich
UN = United Nations
UNESCO = United Nations Educational, Scientific
and Cultural Organization
usw. = und so weiter
vgl. = vergleiche
Z. = Zeile
z. B. = zum Beispiel
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Das deutsche Bildungssystem (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2016, S. XIV).
1. Einleitung
„Inklusion in der Schule umsetzen, wird noch auf Jahre hinaus ein Lern- und Entwicklungsprozess bleiben“ (mittendrin e. V. 2012, S. 10). Dieses Zitat gibt einen Einblick darauf, wie komplex das Thema Inklusion ist. Der Begriff der Inklusion hat in den letzten Jahren deutlich an Bedeutung gewonnen. Dies lässt sich auch daran festmachen, dass der Begriff 2001 noch nicht einmal als einer der Schlüsselbegriffe des Handlexikons der Behindertenpädagogik aufgeführt wurde, obgleich er heutzutage nicht mehr aus der Sonderpädagogik wegzudenken ist (vgl. Hänsel; Miller 2014, S. 91).
Inzwischen sind viele Lebensbereiche mit Inklusion konfrontiert: ob im Kindergarten, in der Hochschule, im Sport oder im Gesundheitswesen – Inklusion findet derzeit beinahe überall statt. Die Schule wird dabei oftmals als das primäre Handlungsfeld genannt. Seit dem Jahr 2009 wird die Inklusion als eine der zentralen gesellschaftlichen Aufgaben im deutschen Bildungswesen gesehen (vgl. Sulzer 2017, S. 12). Grund dafür ist die im März desselben Jahres durchgeführte Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (kurz UN-BRK), durch die sich Deutschland verpflichtet hat, ein inklusives Bildungssystem aufzubauen (vgl. Ziemen 2013, S. 8). Die deutschlandweite Umsetzung der Inklusion könnte die umfangreichste Reform im Schulwesen der letzten 100 Jahre sein (vgl. Grosche 2015, S. 18). In ihren Auswirkungen lässt sich die Inklusion mit der damaligen Koedukation vergleichen, welche seinerzeit Mädchen den Zugang zur Bildung ermöglichte. Damals stand das Thema Teilhabe ebenfalls im Fokus (vgl. Irle 2015, S. 8). Ähnlich wie die Koedukation soll die Inklusion das Bewusstsein der Menschen für die Vielfalt in der Gesellschaft stärken – insbesondere im deutschen Bildungssystem (vgl. Speck-Hamdan 2015, S. 13).
Auch wenn Inklusion in vielen Handlungsfeldern präsent ist, wird in dieser Arbeit der Fokus auf Grund der thematischen Ausrichtung und des begrenzten Umfangs der Arbeit auf die Umsetzung der Inklusion auf schulischer Ebene gelegt.
Hintergrund und Motivation der Arbeit:
Die Motivation, weshalb ich dieses Thema für meine Bachelorarbeit ausgewählt habe, ist, dass ich im August 2013 ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) an einer Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Lernen absolviert habe. Ein Jahr lang erhielt ich in der „Schule am Walde“ in Bad Fallingbostel spannende Einblicke in Strukturen und Arbeitstätigkeiten an einer Förderschule.
Bereits zu Beginn der Tätigkeit war auffällig, dass keine erste Klasse an der Schule unterrichtet wurde. Stattdessen gab es eine Klasse, die aus den Klassenstufen zwei und drei zusammengelegt wurde, bis aufsteigend zu zwei neunten Klassen. Durch diese Klassenstrukturen war es offensichtlich, dass die Schule bereits mitten in der Inklusion steckte und nach und nach aufgelöst werden sollte, weshalb keine erste Klasse mehr entstanden war. Des Weiteren waren die Lehrkräfte nicht mehr ausschließlich an der Förderschule tätig, sondern wurden regelmäßig an bestimmten Regelschulen (Grund-, Ober- und Gesamtschulen sowie Gymnasien) eingesetzt. Dort sollten sie die Lehrkräfte unterstützen, weil an diesen Schulen bereits förderbedürftige SchülerInnen unterrichtet wurden. Diese und weitere Prozesse, die ich während meines FSJs beobachtete, begleiten mich seitdem auch durch mein Bachelorstudium. Beispielsweise ließ ich mir das FSJ als mein Praktikum anrechnen und konnte mich in einem Kolloquium damit noch einmal wissenschaftlicher auseinandersetzen.
Inzwischen sind ein paar Jahre seit dem FSJ vergangen und das gab mir den Anlass, nachzuforschen, was sich im deutschen Bildungssystem seitdem verändert hat und wie erfolgreich die Inklusion umgesetzt worden ist. Aus diesem Grund habe ich mich dazu entschieden, in meiner Bachelorarbeit das Thema der Umsetzung von Inklusion an Regelschulen mit Hilfe einer kleinen Forschung genauer zu betrachten und zu analysieren.
Im nachfolgenden Abschnitt wird an mein persönliches Interesse zu diesem Thema angeknüpft und es werden sowohl die Forschungsfrage als auch die Ziele dieser Bachelorarbeit erläutert.
Forschungsfrage und Ziele der Arbeit:
Diese Bachelorarbeit beschäftigt sich insbesondere mit der Frage, ob und inwiefern sich die berufliche Tätigkeit von Lehrkräften an Regelschulen und an Förderschulen im Hinblick auf die verpflichtende Umsetzung von Inklusion verändert hat. Hierzu wird nachgeforscht, in welchem Maße sich der Beruf einer Lehrkraft als eine Profession verstehen lässt und welche Rollen professionelles Handeln und Professionalität dabei spielen. Der grundlegende Fokus wird auf die Umstrukturierung des LehrerInnenberufs gelegt. Außerdem ist es das Ziel der Arbeit, die Erfolge und Grenzen der Inklusion aufzuzeigen und einen Ausblick für die Zukunft der inklusiven Bildung zu geben. Dazu bedarf es, das Thema rückblickend, gegenwärtig und vorausschauend zu betrachten: Was wurde bereits erreicht? Wie ist der aktuelle Stand? Was muss noch getan werden?
Um diese Fragen beantworten zu können, wurde neben diversen literarischen Quellen eine studierte Förderschullehrerin in einem qualitativen ExpertInneninterview befragt, um Informationen aus erster Hand zu erhalten. Somit wird das Thema Inklusion aus verschiedenen Perspektiven betrachtet.
Auf Grund der Tatsache, dass die größte Veränderung durch Inklusion im Bildungssystem bei den Förderschulen mit dem Schwerpunkt Lernen auftritt, wird sich in dieser Arbeit lediglich auf diesen Bereich beschränkt. Ein weiterer Punkt, der nicht außer Acht gelassen werden darf, ist die Kulturhoheit der Länder: Diese besagt, dass die primäre Gesetzgebungszuständigkeit des Schulwesens bei den Ländern selbst liegt (vgl. bpb 2017). Dies hat zur Folge, dass sich das Schulwesen – und somit auch die Umsetzung der Inklusion – in den deutschen Bundesländern unterscheidet. Der Schwerpunkt dieser Bachelorarbeit liegt auf dem Bildungssystem in Niedersachsen, weil die Betrachtung aller Bundesländer zu komplex wäre und die im Interview befragte Lehrerin in Niedersachsen beruflich tätig ist.
Aufbau der Arbeit:
Nach den ersten einleitenden Worten zur Thematik und zu den Zielen ist die Arbeit in einen theoretischen und einen empirischen Teil gegliedert. Zunächst werden im zweiten Kapitel, der theoretischen Fundierung, wichtige Begriffe definiert. Die Begriffe setzen sich aus Behinderung, Inklusion (im Zusammenhang mit Integration und Exklusion) und einer abgrenzenden Definition von Profession und Professionalität, zusammen. Anschließend wird das deutsche Bildungssystem, mit Fokus auf Niedersachsen, vorgestellt. Primär geht es darum, wie das Bildungssystem durch inklusive Bildung neu strukturiert wird und welche Position der Förderschwerpunkt Lernen dabei hat. Einen großen Anteil im theoretischen Teil hat die Darstellung der Rolle der Lehrkräfte bei der Umsetzung der Inklusion. Zunächst werden dafür die Aufgaben und Handlungsfelder der Lehrkräfte dargestellt. Danach werden separat die Kooperation zwischen Förder- und RegelschullehrerInnen sowie die LehrerInnenbildung betrachtet, weil diese zentrale Bedeutungen in der inklusiven Bildung haben. Während des theoretischen Teils wird zudem überprüft, ob bzw. wie sich das Professionalitätsverständnis von Lehrkräften auf Grund der Inklusion verändert.
Im darauffolgenden empirischen Teil werden die Erhebungsmethode des ExpertInneninterviews und der dabei angewandte Leitfaden vorgestellt. Zudem wird aufgezeigt, welche Regeln bei der Transkription des Interwies angewandt wurden und wie die Auswertung erfolgt ist. Der darauffolgende Abschnitt beleuchtet relevante Passagen aus dem Interview, um die Forschungsfrage beantworten zu können. Ein Fazit mit den wichtigsten Erkenntnissen aus Theorie und Empirie im Hinblick auf das Forschungsthema rundet die Forschungsarbeit ab.
2. Theoretischer Zugang
Der theoretische Zugang verschafft die Grundlage der Ausarbeitung. Dadurch soll gewährleistet werden, dass alle zum Verständnis nötigen Informationen vorab vermittelt werden.
2.1 Begriffsbestimmungen
Die wichtigsten Grundbegriffe der Arbeit werden in diesem Kapitel definiert. Primär handelt es sich dabei um Behinderung (2.1.1), Inklusion (2.1.2) und Profession und Professionalität (2.1.3).
2.1.1 Behinderung
Für den Begriff Behinderung gibt es viele Definitionen. Oftmals wird unterschieden zwischen dem medizinischen und sozialen Modell.
Aus medizinischer Sicht handelt es sich bei einer Behinderung vorrangig um ein statisches Merkmal der Person (vgl. Katzenbach 2016, S. 20). Laut dem Niedersächsischen Kultusministerium haben Menschen mit Behinderung „langfristige körperliche, seelische, geistige Beeinträchtigungen oder Sinnesbeeinträchtigungen“ (Niedersächsisches Kultusministerium 2012, S. 4). Nach § 2 SGB IX gelten Menschen als behindert, wenn der Zustand der Abweichungen vom typischen Zustand des Lebensalters für länger als sechs Monate zu erwarten ist.
Die soziale Sicht verbindet mit Behinderung keine – wie oft in der Gesellschaft dargestellt – negativbehafteten Merkmale von Personen (vgl. Felkendorff; Luder 2014, S. 23). Als Behinderung werden die eingeschränkten Rechte von Menschen mit Behinderung durch die Gesellschaft bezeichnet (vgl. Aichele 2011, S. 13). Behinderungen sind demnach alle Barrieren und Situationen, die zu Ausschluss und reduzierter Teilhabe führen (vgl. Felkendorff; Luder 2014, S. 23). Diese Barrieren werden oftmals erst in spezifischen Situationen sichtbar, wenn betroffene Personen bestimmte Anforderungen nicht bewältigen können (vgl. Hollenweger 2014, S. 32). Es handelt sich dementsprechend immer um eine Wechselwirkung zwischen Personen und deren Umwelt und nicht allein um individuelle Merkmale der Menschen mit Behinderung (vgl. Katzenbach 2016, S. 21).
Auf das Handlungsfeld Schule bezogen können Menschen mit einer Behinderung auf sonderpädagogische Förderung angewiesen sein, sofern sie auf Grund ihrer Behinderung nicht die angestrebten Bildungsziele erreichen können (vgl. Niedersächsisches Kultusministerium 2012, S. 4). Sonderpädagogische Förderung definiert sich als die spezielle Unterstützung von individuellen Förderbedürfnissen (vgl. Niedersächsisches Kultusministerium 2005, S. 50). Die Sonderpädagogik auf schulischer Ebene zielt dabei auf besondere Lehr- und Lernsituationen ab (vgl. Kunz; Luder; Müller Bosch 2011, S. 14). Zuständig für die Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs ist die Schulbehörde (vgl. Niedersächsisches Kultusministerium 2012, S. 4).
2.1.2 Inklusion
Der Duden definiert den Begriff Inklusion als die Einbeziehung bzw. den Einschluss von behinderten Menschen in die Gesellschaft (vgl. Duden 2017, S. 580). Doch Inklusion bedeutet viel mehr als diese kurze Definition vermuten lässt, wie im Folgenden aufgezeigt wird.
Inklusion kommt vom Lateinischen inclusio und bedeutet so viel wie Einschließung (vgl. Ziemen 2013, S. 47). Es ist ein Konzept, in dem alle Menschen uneingeschränkte Teilhabe in der Gesellschaft erlangen, fernab von Vorurteilen und Etikettierungen (vgl. Siedenbiedel; Theurer 2015, S. 5). Die Heterogenität in der menschlichen Gesellschaft wird somit als Normalzustand dargestellt (vgl. Frühauf 2010, S. 21). Im Bildungsbereich bedeutet dies, dass alle Menschen dieselben Möglichkeiten haben, „an qualitativ hochwertiger Bildung teilzuhaben und ihre Potentiale zu entwickeln, unabhängig von besonderen Lernbedürfnissen, Geschlecht, sozialen und ökonomischen Voraussetzungen“ (Deutsche UNESCO-Kommission e. V. 2014, S. 9).
Nach der UNESCO ist eine Inklusion gelungen, wenn vier Bedingungen erfüllt sind:
- „PRESENCE: Alle Kinder sollen die Möglichkeit haben, den Unterricht gemeinsam mit ihren Mitschülerinnen und Mitschülern in einer Regelschule zu besuchen.
- ACCEPTANCE: Alle Kinder sollen mit ihrem unterschiedlichen, jeweils individuellen Eigenschaften in der Gemeinschaft in gleicher Weise akzeptiert und angenommen werden.
- PARTICIPATION: Alle Kinder sollen an gemeinsamen Aktivitäten und am gemeinsamen Unterricht mitmachen und teilhaben können.
- ACHIEVEMENT: Alle Kinder sollen im Rahmen ihrer individuellen Möglichkeiten anspruchsvolle Lernziele erreichen, Leistungen erbringen und Fortschritte machen können“ (Kunz; Luder; Müller Bösch 2014, S. 10).
Die notwendige angemessene Unterstützung im entsprechenden Bildungsbereich muss dazu gewährleistet sein (vgl. Niedersächsisches Kultusministerium 2012, S. 3). Nicht SchülerInnen, die inkludiert werden, müssen sich der Struktur der Schule anpassen, sondern die Schule muss sich auf die individuellen Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen einstellen und sie ressourcenorientiert unterstützen (vgl. Robeck 2012, S. 8).
Die Begriffe Inklusion und Integration werden oft synonym verwendet (vgl. Frühauf 2010, S. 11). Die oben genannten Aspekte der UNESCO vermitteln die Akzeptanz aller Menschen in der Gesellschaft, wodurch die Abgrenzung zum Begriff der Integration geschaffen wird. Für Integration ist eine Aussonderung Voraussetzung. Das bedeutet, dass erst integriert werden kann, wenn die Gesellschaft Mitmenschen aussondert. Wenn eine Aussonderung weder thematisiert wird, noch vorhanden ist, kann von Inklusion gesprochen werden. So ist es dann beispielsweise in der Schule selbstverständlich, dass alle Kinder zusammen lernen (vgl. Schöler 2014, S. 31). Die Kinder müssen sich demnach nicht bemühen, sich anzupassen um integriert zu werden. Das bedeutet allerdings nicht, dass sie sich selbst überlassen sind. Fürsorge ist beim Einbeziehen aller Menschen mit und ohne Behinderung (siehe 2.1.1) weiterhin gegeben (vgl. Niedersächsisches Kultusministerium 2012, S. 3).
Werden Menschen z. B. auf Grund ihrer Behinderung direkt von der Gesellschaft ausgeschlossen und erhalten somit keine gleichwertige Teilhabe, wird von Exklusion gesprochen (vgl. Robeck 2012, S 3 f.). Exklusion kann demnach als „Kontrahent zur Inklusion verstanden werden“ (ebd., S. 3).
Toleranz und Respekt müssen dafür aber als Voraussetzung gegeben sein (vgl. Reich 2012, S. 7).
2.1.3 Profession und Professionalität
Ursprünglich bedeutet Profession Beruf bzw. Gewerbe (vgl. Reinisch 2009, S. 33). Explizit bezeichnet die Profession eine „spezielle Ausprägung beruflicher Tätigkeit, die mit einem besonders hohen Ansehen verbunden ist“ (Galuske; Müller 2012, S. 122). Anhand diverser Analysen können zentrale Merkmale genannt werden, die eine Profession kennzeichnet: Das primäre Merkmal einer Profession ist das Fachwissen, mit welchem die Ausführenden glaubhaft exklusive Kompetenzen vermitteln. Bestärkt wird eine Profession sowohl durch die Identität mit eigenen Berufsverbänden u. ä., wie auch durch das öffentliche Image, dass die Dienstleistung an das Gemeinwohl orientiert ist. Ein weiteres Merkmal ist die rechtliche Privilegierung durch beispielsweise Titelschutz und Lizensierung (vgl. Lundgreen 2011, S. 9). Des Weiteren erhalten Professionen, die auf einer akademischen Basis aufbauen, i. d. R. eine bessere Bezahlung und mehr Entscheidungsfreiheiten in der Ausführung der Arbeit (vgl. Heiner 2004, S. 15).
Als klassische Professionen werden auch heutzutage noch die Berufe der ÄrztInnen, JuristInnen und Geistlichen aufgeführt (vgl. Motzke 2014, S. 73). Berufe, die nicht all diese genannten Kriterien erfüllen, werden als Semiprofessionen bezeichnet. Dazu wird überwiegend auch der Beruf der LehrerInnen gezählt (vgl. Terhart 2015, S. 14).
Mit Professionalität ist die „Kompetenz bei Erledigung wichtiger Aufgaben“ (Heiner 2004, S. 16) gemeint. Es handelt sich dabei explizit um die sachgemäße Ausführung einer beruflichen Tätigkeit (vgl. Abs; Huppert 2013, S. 65). Sie ist nicht an die Norm der Profession gebunden, sondern „beschreibt die besondere Qualität einer personenbezogenen Dienstleistung auch über den institutionellen Komplex der anerkannten Professionen hinaus“ (Nittel 2011, S. 48). Professionalität stellt das Ziel einer Ausbildung dar, in der Fähigkeiten und Fertigkeiten erworben werden sollen, die professionelle Kompetenzen in der Berufsausführung repräsentieren (vgl. Cramer 2012, S. 22). Professionelles Handeln rechtfertigt jedoch nicht die Zuschreibung eines Berufs zum Status einer Profession (vgl. Heiner 2004, S. 16).
Das Hineinwachsen in den Status einer professionellen, berufstätigen Person wird als Professionalisierung bezeichnet (vgl. Terhart 2011, S. 203).
2.2 Das deutsche Bildungssystem
Ab einem Alter von i. d. R. sechs Jahren beginnt in Deutschland die Schulpflicht (vgl. Kiper 2013, S. 86). Wie bereits in der Einleitung erwähnt gibt es in Deutschland jedoch kein einheitliches Bildungssystem. Die Landesregierungen der einzelnen Bundesländer sind für die Ausgestaltung ihres Bildungssystems verantwortlich (vgl. Edelstein 2013). In Niedersachsen gibt es ein mehrgliedriges Schulsystem. Nach der Grundschule ist der Sekundarbereich I aufgeteilt in Hauptschulen, Realschulen, Gymnasien, Gesamtschulen, Oberschulen (mit mehreren Bildungsgängen) und Förderschulen mit verschiedenen Förderschwerpunkten. Zum Sekundarbereich I gehören die Schuljahrgänge von der fünften bis zur zehnten Klasse der allgemeinbildenden Schule (vgl. Kiper 2013, S. 86 f.).
Nach dem Ablauf der neunten (Förder- und Hauptschule) bzw. zehnten Klasse (alle weiteren Schulen) kann ein allgemeinbildender Schulabschluss erworben werden (vgl. Edelstein 2013). „Dieser bescheinigt die in der Schule erworbenen Fähigkeiten und Fertigkeiten in einem Zertifikat und berechtigt – je nach Abschluss – zum Besuch unterschiedlicher weiterführender Bildungseinrichtungen in Sekundarbereich II“ (ebd.). Zum Sekundarbereich II gehören die gymnasialen Oberstufen und Gesamt- und Oberschulen, die eine Oberstufe führen. Außerdem gehören noch die berufsbildenden Schulen und Weiterbildungsschulen (Kollegs und Abendgymnasien) zum Sekundarbereich II (vgl. Kiper, S. 87 ff.).
Der Tertiärbereich umfasst auf der einen Seite Universitäten, Fachhochschulen und Hochschulen, die zum Erlangen eines akademischen Abschlusses führen, und ab einem festgelegten Notenschnitt zur Promotion berechtigen und auf der anderen Seite Bildungseinrichtungen mit beruflichen Bildungsangeboten und bzw. oder berufsqualifizierenden Studiengängen (vgl. Edelstein 2013).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Das deutsche Bildungssystem (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2016, S. XIV).
Das Thema Inklusion hat in Deutschland für die Schulentwicklung und die Ausgestaltung des Bildungssystems eine sehr hohe Bedeutsamkeit (vgl. Amrhein 2015, S. 139). Demnach wird bereits seit der Ratifizierung der UN-BRK von 2009 das Bildungssystem nachhaltig verändert und auch in den kommenden Jahren wird „ein umfassender Reformprozess nötig sein, um die Zielsetzung Inklusion flächendeckend in allen Bundesländern zu erreichen“ (ebd.).
Im Folgenden wird der Förderschwerpunkt Lernen als ein Bereich des deutschen Bildungssystems vorgestellt, in dem auf Grund der Inklusion ein rapider Wandel vollzogen wurde. Daran anschließend wird das Konzept der inklusiven Bildung erläutert, welches dem deutschen Bildungssystem zu einem inklusiven Bildungssystem verhelfen soll.
2.2.1 Förderschwerpunkt Lernen
Die Kultusministerkonferenz (KMK) unterscheidet an der Förderschule neun Schwerpunkte in der sonderpädagogischen Förderung:
- „Förderschwerpunkt Sehen vom 20. März 1996
- Förderschwerpunkt Hören vom 10. Mai 1996
- Förderschwerpunkt Körperliche und Motorische Entwicklung vom 20. März 1998
- Förderschwerpunkt Unterricht kranker Schülerinnen und Schüler vom 20. März 1998
- Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung vom 20. Juni 1998
- Förderschwerpunkt Sprache vom 26. Juni 1998
- Förderschwerpunkt Lernen vom 01. Oktober 1999
- Förderschwerpunkt Emotionale und Soziale Entwicklung vom 10. März 2000
- Erziehung und Unterricht von Kindern mit autistischem Verhalten vom 16. Juni 2000“ (KMK 2011, S. 23).
Mit ca. 40 Prozent gingen im Jahr 2012 die meisten SchülerInnen mit Förderbedarf auf eine Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen (vgl. Malecki 2014, S. 598). Laut dem Niedersächsischen Kultusministerium erhalten Kinder und Jugendliche den Förderbedarf Schwerpunkt Lernen, wenn „deren Lern- und Leistungsentwicklung so erheblich eingeschränkt ist, dass sie auch mit zusätzlichen Hilfen der allgemeinen Schulen nicht ihren Möglichkeiten, Fähigkeiten und Begabungen entsprechend gefördert werden können“ (Niedersächsisches Kultusministerium 2005, S. 65 f.). Diese SchülerInnengruppe weist verschiedene Defizite auf, wodurch sie eine Gruppe mit individuellem Unterstützungsbedarf darstellen. Mögliche Defizite sind u. a. die Speicherung von Informationen, Konzentrationsschwäche, Entwicklung von Problemlösungen und die Erkennung von Übereinstimmungen im Lernstoff (vgl. Krüger; Mähler 2015, S. 14).
Auf Grund der UN-BRK sind die Bundesländer verpflichtet, ihre Landesschulgesetzgebung anzupassen (vgl. Kroworsch 2014, S. 31). Diesbezüglich wurde in Niedersachsen der Schwerpunkt Lernen bereits in § 14 Absatz 1 NSchG aus dem Landeschulgesetz ersatzlos gestrichen. Alle anderen Förderschulen bleiben weiterhin bestehen (vgl. Niedersächsisches Kultusministerium 2017, S. 12). SchülerInnen, die seit dem 31.07.2012 die Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen besuchen, können dort weiterhin bis zum Abschluss unterrichtet werden (vgl. Niedersächsisches Kultusministerium 2012, S. 7). Seit dem Schuljahr 2013/2014 müssen inklusive Schulen beginnend mit dem ersten Schuljahrgang vorhanden sein, wodurch gleichzeitig die Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen ausläuft (vgl. ebd., S. 6).
2.2.2 Inklusive Bildung
Durch die Abschaffung der Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen ist einer der ersten Schritte in Richtung der inklusiven Bildung getan. In den letzten Jahren hat die Zahl inkludierter SchülerInnen in Deutschland zugenommen. Während 2009 rund 18 Prozent der SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf eine allgemeine Regelschule besuchten, waren es im Jahr 2015 bereits 31 Prozent (vgl. Neuß; Tures 2017, S. 9). Inklusive Bildung steuert auf eine Schule für alle hin (vgl. Beck 2014, S. 101). Eine sogenannte inklusive Schule steht somit allen Kindern und Jugendlichen offen (vgl. Hollenbach; Kober 2012, S. 7). Sie verfolgt die Ziele, den bestmöglichen Bildungserfolg für alle SchülerInnen zu ermöglichen sowie soziale Teilhabe und Zugehörigkeit zu fördern. Dabei sollen Diskriminierungen und Vorurteile abgeschafft werden (vgl. KMK 2015, S. 2). Die UNESCO definiert die inklusive Bildung als einen Prozess, der
„die Kompetenzen im Bildungssystem stärkt, die notwendig sind, um alle Lernenden zu erreichen. Inklusive Bildung geht auf die verschiedenen Bedürfnisse von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen ein. Erreicht wird dies durch verstärkte Partizipation an Lernprozessen, Kultur und Gemeinwesen, sowie durch eine konsequente Reduktion von Exklusion in der Bildung“ (Deutsche UNESCO-Kommission e. V. 2014, S. 9).
Bildung gehört zu den Menschenrechten und demnach hat auch jeder Mensch das Recht auf inklusive Bildung. Für die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und des Selbstwertgefühls ist Bildung ein unverzichtbares Mittel. Dementsprechend stellt die Bildung für jeden Einzelnen eine zentrale Rolle innerhalb der Gesellschaft dar (vgl. Aichele 2010, S. 16). Auf Grund der UN-BRK haben auch Kinder und Jugendliche mit einer Behinderung das Recht, auf eine allgemeinbildende Schule zu gehen (vgl. ebd., S. 17). Dafür benötigt es den Aufbau eines inklusiven Bildungssystems, denn „das Recht auf inklusive Bildung kann nur in einem inklusiven System verwirklicht werden“ (Mißling; Ükert 2014, S. 3). Alle Beteiligten in diesem System müssen davon überzeugt sein, dass die SchülerInnen angemessen unterrichtet werden können (vgl. Deutsche UNESCO-Kommission e. V. 2014, S. 9).
Die grundlegende Forderung der Wertschätzung der Vielfalt ist die primäre Voraussetzung, damit eine Schule als inklusiv angesehen werden kann (vgl. Lindmeier; Schomaker 2014, S. 114). Dazu bedarf es, „Barrieren zu identifizieren, die sich vielen Menschen beim Zugang zu Lernmöglichkeiten stellen, und Ressourcen bereitzustellen, um diese Barrieren zu überwinden“ (Deutsche UNESCO-Kommission e. V. 2014, S. 9).
Schulen mit dem Ziel einer inklusiven Bildung benötigen entsprechende, professionelle Angebote der sonderpädagogischen Unterstützung und Förderung (vgl. Kunz; Luder; Müller Bösch 2014, S. 15). Betroffene Ansätze, Strukturen und Inhalte im Bildungswesen müssen angepasst und verändert werden (vgl. Deutsche UNESCO-Kommission e. V. 2014, S. 9). Die Schule als eine Institution mit ihren Lehrkräften wird dementsprechend vor viele neue Herausforderungen gestellt (vgl. Behrensen; Kiso; Solzbacher 2015, S. 180).
Im folgenden Kapitel wird die Rolle von LehrerInnen mit und ohne sonderpädagogischen Hintergrund im inklusiven Bildungssystem dargestellt und was speziell sie zu einer erfolgreichen Umsetzung der Inklusion beitragen können. Es wird aufgezeigt, welche (neuen) Aufgaben sich für sie ergeben und inwiefern sie dabei professionell handeln.
3. Einblicke zur Thematik aus Publikationen
Dieses Kapitel behandelt die Umsetzung der Inklusion in der Regelschule. Dabei wird die Perspektive überwiegend auf das Handlungsfeld der Lehrkräfte gelegt. In vorherigen Kapiteln wurden bereits wesentliche Begriffe wie Profession und Professionalität definiert. Nachfolgend werden diese auf den LehrerInnenberuf bezogen. Dazu wird der LehrerInnenberuf zunächst mit seinen Merkmalen und Aufgaben vorgestellt. Darauffolgend kommt es zur Verknüpfung mit der Inklusion und der Frage, wie sich der LehrerInnenberuf durch Inklusion verändert und wie Professionalität bei LehrerInnen in der inklusiven Bildung gegeben ist. Dabei wird insbesondere auf die Kooperation zwischen Lehrkräften sowie die LehrerInnenbildung eingegangen, weil diese grundlegende Voraussetzungen sind.
3.1 Merkmale des LehrerInnenberufs und sein Verhältnis zur Professionalität
Der LehrerInnenberuf ist auf Grund der eigenen Schulerfahrung jedem bekannt (vgl. Cramer 2012, S. 14). Während Lehrkräfte früher noch oft als „Halbtagsjobber mit vollem Gehalt“ (Kaltwasser 2013, S. 8) betitelt wurden, wird ihr Beruf laut Kaltwasser heutzutage von der Gesellschaft angemessen ernst genommen. Es handelt sich um eine anspruchsvolle und wichtige Arbeitstätigkeit. Beispielsweise unterrichten Lehrkräfte in ihrem Berufsleben im Schnitt ca. 3500 unterschiedliche SchülerInnen. Diese Zahl verdeutlicht, welchen großen Einfluss LehrerInnen auf die Gesellschaft haben (vgl. Baumann 2017, S. 11). Mögliche gesundheitliche Risiken auf Grund hoher Anforderungen sowie psychischer und physischer Belastungen sind der Gesellschaft in letzter Zeit zudem bewusster geworden (vgl. Kaltwasser 2013, S. 8). Diese Belastungen gehen insbesondere aus den durchgehend geforderten Kompetenzen von LehrerInnen hervor, die mit einer Vielfalt unterschiedlicher Aufgaben geprägt sind. (vgl. Kiper 2013, S. 69). Die Kernaufgabe von Lehrkräften ist nach der KMK
„die nach wissenschaftlichen Erkenntnissen gestaltete und gezielte Organisation, Planung und Reflexion von Lehr- und Lernprozessen sowie ihre individuelle Bewertung und systemische Evaluation und mündet in der Feststellung, dass die berufliche Qualifikation von Lehrkräften sich in der Qualität ihres Unterrichts entscheidet“ (Mays 2016, S. 12).
Dazu gehört die tägliche diagnostische Auseinandersetzung mit vielen Informationen, um am Ende eines Schuljahres Aussagen über die Leistungsfähigkeit von SchülerInnen treffen zu können. Dabei sind LehrerInnen verpflichtet, die Lernenden permanent zu fördern, damit diese beispielsweise Defizite ausgleichen können (vgl. Jäger 2009, S. 105). LehrerInnen müssen nicht nur unterrichten sondern auch beraten, dokumentieren, informieren und erziehen. Dabei werden sie neben dem Unterricht an vielen Prozessen in der Schule (z. B. Konferenzen, Projekte, Elternsprechtage etc.) beteiligt (vgl. Kiper 2013, S. 69). Zu dieser konsequenten Präsenz der Lehrkräfte kommt die kaum mögliche Abgrenzung von Berufsalltag und Privatraum hinzu. Schließlich findet die Vor- und Nachbereitungsarbeit hauptsächlich nach der Schule zuhause statt. Dementsprechend werden Lehrkräfte auch nach dem eigentlichen Arbeitstag weiterhin gefordert (vgl. Schaarschmidt 2009, S. 605). Dieser Teil der Arbeit wird zudem häufig auf das Wochenende verlegt, wodurch der Erholungsfaktor der eigentlich arbeitsfreien Tage eingeschränkt ist (vgl. Kiper 2013, S. 69). Anhand dieser Ausführungen wird deutlich, dass der Beruf von LehrerInnen befriedigend und erfüllend sein kann, dafür allerdings viel Zeit und Kraft sowie persönliches Engagement gefordert wird (vgl. Kaltwasser 2013, S. 11).
Bei Erfüllung gewisser Voraussetzungen erhalten Lehrkräfte in der Bundesrepublik den Beamtenstatus und gehören dem öffentlichen Dienst an (vgl. Bargen 2014, S. 53). Dabei bilden sie im öffentlichen Dienst die größte Berufsgruppe in Deutschland (vgl. Cramer 2012, S. 14).
LehrerInnen erlangen mit der Ausbildung erste professionelle Kompetenzen, welche sie in ihrer beruflichen Laufbahn durch Erfahrungen und Reflexionen immer weiter entwickeln (vgl. Schönknecht 2005, S. 1). Es gibt mehrere Modelle, die diverse Eignungen und Fähigkeiten aufführen um die Professionalität von Lehrkräften widerzuspiegeln. Kreis greift das Modell von Shulman aus dem Jahr 1987 auf. Dazu gehört zum einen das pädagogische Wissen. Damit ist gemeint, dass die Lehrkräfte genügend Kenntnisse über die lernenden SchülerInnen und die dazugehörige Durchführung von Lernprozessen besitzen. Dazu kommt das allgemeine nötige Fachwissen über die zu vermittelnden Inhalte im Unterricht. Mit dem fachdidaktischen Wissen soll dieses Fachwissen so inszeniert werden, dass es für die SchülerInnen im Lernprozess verständlich ist (vgl. Kreis 2015, S. 27). Demzufolge handelt es sich bei der Professionalität im LehrerInnenberuf um zielgerichtete „Handlungsmöglichkeiten auf einer Wissensbasis, die pädagogische, fachdidaktische und fachwissenschaftliche Komponente aufweist“ (Abs; Huppert 2013, S. 69). Das alleinige Wissen ist jedoch nicht ausreichend um die umfassenden Anforderungen des LehrerInnenberufs zu bewältigen (vgl. Hericks; Keller-Schneider 2016, S. 144). Neben diesen Wissensgebieten sind Motivation, selbstregulative Fähigkeiten und Überzeugungen bzw. Werthaltungen bedeutsame Eigenschaften um die Professionalität von Lehrkräften zu gewährleisten (vgl. Cramer 2012, S. 41).
Wie bereits in Kapitel 2.1.3 erwähnt gehört der LehrerInnenberuf (noch) nicht zu den Professionen. Vielmehr gehört er zu den sogenannten Semiprofessionen, weil es ein Beruf mit hoher Anerkennung ist, jedoch nicht alle Merkmale der klassischen Definition einer Profession erfüllt. Diese Aspekte schließen jedoch nicht die vorhandene Professionalität von LehrerInnen aus. Professionelles Handeln zeichnet sich bei Lehrkräften durch ein „Zusammenspiel von Wissen, Handlungsroutine und Berufsethos aus“ (Zumwald 2015, S. 46). LehrerInnen wird ein Expertenwissen anhand ihrer Professionalität zugeschrieben. Sie können demnach als SpezialistInnen für das auf Bildung ausgerichtete Lehren und Lernen bezeichnet werden (vgl. Jaumann-Graumann; Köhnlein 2001, S. 13).
3.2 LehrerInnenberuf im Wandel durch die Umsetzung der Inklusion
Schulentwicklungen wie die Inklusion verändern nachhaltig den Beruf von Lehrkräften (vgl. Altrichter; Heinrich 2008, S. 218). Inklusiver Unterricht mit starren Vorgaben sowie begrenzten personellen und materiellen Ressourcen stellen für Förder- und RegelschullehrerInnen eine große Herausforderung dar (vgl. Greiten 2014, S. 107). Die Gesamtheit der LehrerInnen sind die HauptakteurInnen, durch die schulische Inklusion erfolgreich umgesetzt werden kann (vgl. Hollenbach-Biele; Richter; Ziegler 2016, S. 67). Es ist ihre Aufgabe, gemeinsames Lernen zu ermöglichen und alle SchülerInnen in inklusiven Settings individuell zu fördern (vgl. Greiten 2014, S. 107).
Nachfolgend wird separat aufgezeigt, inwiefern sich der Beruf der RegelschullehrerInnen und der FörderschullehrerInnen durch die Umsetzung der Inklusion verändert.
Blick auf die RegelschullehrerInnen:
Bedingt durch die verpflichtende Inklusion haben alle Kinder das Recht auf eine Regelschule zu gehen. Dadurch wird die Heterogenität in den Regelschulklassen auf Grund des inklusiven Bildungssystems erhöht. Hollenach-Biele, Richter und Ziegler schreiben den LehrerInnen allgemeinbildender Schulen in diesem Prozess wichtige Funktionen zu:
„Sie müssen mit der erweiterten Heterogenität in den Klassenzimmern umgehen, mit Engagement und Überzeugung das didaktische Prinzip der individuellen Förderung umsetzen und gemeinsam mit anderen Lehrkräften […] im Team an der Umgestaltung der Schule arbeiten“ (Hollenbach-Biele; Richter; Ziegler 2016, S. 67).
Dementsprechend ist die Beschulung von SchülerInnen mit erhöhtem Förderbedarf für LehrerInnen der Regelschulen eine große Herausforderung (vgl. Zumwald 2015, S. 44). Ohne eine spezifische sonderpädagogische Ausbildung sind Lehrkräfte oftmals beim Umgang mit SchülerInnen mit Behinderung überfordert. Das liegt vorwiegend daran, dass das allgemeine pädagogische Wissen meistens nicht mehr ausreichend ist (vgl. Peyrl; Prinz 2016, S. 137). Dennoch dürfen die allgemeinen pädagogischen Kompetenzen von RegelschullehrerInnen deswegen nicht geschmälert werden. Schließlich gibt es keine Belege dafür, dass es sich bei der Sonderpädagogik um eine „bessere“ Pädagogik handelt. Stattdessen fordern Hänsel und Miller (2015), dass die Regelschullehrkräfte die Förderung von behinderten SchülerInnen entsprechend ihrer allgemeinpädagogischen Sichtweisen neu gestalten. Natürlich benötigt es für individuelle Fälle bestimmtes Fachwissen wie beispielsweise Gebärdensprache. Soweit es aber möglich ist, sollen die RegelschullehrerInnen ihre Kompetenzen auch bei inklusiven SchülerInnen ausüben (vgl. Saalfrank; Zierer 2017, S. 150 f.).
Vielmehr müssen RegelschullehrerInnen Konzepte entwickeln, welche alle Lernenden in der heterogenen Klasse erreichen und individuell fördern. Dazu wurden diverse didaktische Konzepte entwickelt. Das kooperative Lernen hat sich als ein bewährtes Modell in der inklusiven Bildung etabliert. Dabei handelt es sich um mehr als eine schlichte Gruppenarbeit. Die SchülerInnen bilden bewusst heterogene Gruppen und erhalten daraufhin Arbeitsaufträge, die alle Mitglieder einbeziehen und deren individuellen Fähigkeiten benötigen. Nur so können gemeinsam Lösungen entwickelt werden (vgl. Löser; Werning 2012, S. 69).
Grundsätzlich ist anzumerken, dass sich die RegelschullererInnen nicht als „EinzelkämpferInnen“ in der inklusiven Bildung verstehen müssen. Sie erhalten gezielt kompetente Unterstützung in Form von z. B. Kooperation mit Förderschulkräften und spezifischen Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen (vgl. ebd., S. 68 f.).
Blick auf die FörderschullehrerInnen:
Spätestens seit dem Jahr 2009, als die inklusiven Strukturreformen abgeordnet wurden, werden immer mehr FörderschullehrerInnen teilweise oder ganz an Regelschulen eingesetzt (vgl. Mays 2016, S. 36). Sonderpädagogische Lehrkräfte müssen sich zunächst an einen neuen Arbeitsort gewöhnen, weil sie nicht mehr an ihrer gewohnten Förderschule unterrichten. Sie müssen sich, wie auch die allgemeinbildenden LehrerInnen, mit der erhöhten Heterogenität der SchülerInnen befassen. Dazu gehören andere Behinderungsformen, die nicht Teil ihres Arbeitsfeldes an der vorherigen Schule waren, oder auch beispielsweise die Förderung von hochbegabten SchülerInnen. Des Weiteren wird an die Förderschullehrkräfte oftmals der Anspruch gestellt, in allen möglichen Unterrichtsfächern eingesetzt werden zu können, um SchülerInnen spezifisch zu fördern. Dabei ist es problematisch, diesem Anspruch gerecht zu werden, weil die LehrerInnen meistens nur ein oder zwei Unterrichtsfächer studiert haben und vor allem in den höheren Jahrgängen Schwierigkeiten bei der Vermittlung von Unterrichtsinhalten haben können (vgl. Greiten 2015, S. 233 f.). Insgesamt versuchen die SonderpädagogInnen bestmöglich ihre fachspezifischen Kompetenzen in die Regelschulen einzubringen (vgl. Heimlich; Kahlert 2014, S. 161). Erschwert wird dieses Vorhaben durch konfuse Rahmenbedingungen und vielmals unzureichende Ressourcen und Mangel an Personal (vgl. Hollenbach-Biele; Richter; Ziegler 2016, S. 67). Den LehrerInnen fehlt ein aussagekräftiger Leitfaden, der ihnen Handlungsempfehlungen gibt und ihre Berufstätigkeit mit den entsprechenden Aufgaben und Zuständigkeiten in der inklusiven Schule beschreibt (vgl. Erbring 2016, S. 9). Außerdem wird gefordert, dass den allgemeinbildenden Schulen ausreichend sonderpädagogische Lehrkräfte zur Verfügung gestellt werden, allerdings ist das auf Grund von Personalmangel nicht immer möglich (vgl. Hagen; Hillenbrand; Melzer 2013, S. 1).
Es ist offensichtlich, dass sich der Beruf der Lehrkräfte allgemeinbildender und sonderpädagogischer Schulen durch die Inklusion verändert. Das ist insbesondere in der Veränderung der Klassenstruktur von einer homogenen zu einer heterogenen SchülerInnengruppe begründet. Nachfolgend wird die Professionalität der LehrerInnen in der inklusiven Schule eingehend beleuchtet.
3.3 Professionalität von Lehrkräften in der inklusiven Bildung
Professionalität im LehrerInnenberuf versteht sich als die durchgehende Bereitschaft der Lehrkräfte, für Veränderungen und neue Lernprozesse offen zu sein. Dieser Aspekt wird durch die inklusive Bildung, die viele Änderungen mit sich bringt, bekräftigt. Die LehrerInnen müssen vor allem die Vielfalt akzeptieren und die Verschiedenheit als Herausforderung und Bereicherung im Schulleben verstehen (vgl. KMK 2011, S. 19). Um weiterhin Professionalität zu wahren, müssen alle LehrerInnen mit den neuen Entwicklungen in ihrem Beruf umgehen und sich darauf einlassen können (vgl. Wittek 2016, S. 117). Die LehrerInnen sollen in der Lage sein, einen Unterricht zu gestalten, an welchem alle SchülerInnen sich beteiligen können. Gleichzeitig muss aber auch auf die individuellen Leistungsfähigkeiten der SchülerInnen eingegangen werden und differenzierte Bildungsangebote gegeben werden (vgl. Klauß 2011, S. 290 f.). Professionalität umfasst demnach das wissens- und bedürfnisorientierte Handeln von LehrerInnen für SchülerInnen, welches auf einem Konstrukt von Bildungsprozessen basiert (vgl. Schmidt-Hertha; Tippelt 2013, S. 218 f.). Dazu bedarf es die eigenen Handlungen wiederholend zu analysieren und zu evaluieren sowie bei Bedarf zu verändern (vgl. de Boer 2014, S. 140).
Lassen sich gewünschte Erfolge nicht erzielen, zweifeln die Lehrkräfte oftmals an ihren Handlungsfähigkeiten. Konflikte auf Grund von Krisen und möglichen Rückschritten der SchülerInnen sind dann selten vermeidbar. Der professionelle Anspruch der Lehrkräfte muss deswegen allerdings nicht unmittelbar aufgegeben werden (vgl. Maschke 2014, S. 89). Die Lösung schwieriger und komplexer Aufgaben benötigt eine Wissensgrundlage und entsprechende Fertigkeiten. Lehrkräfte wirken umso professioneller, je kompetenter sie die Herausforderungen im Beruf bewältigen. Diese Aufgaben verändern sich durch Prozesse wie die Inklusion immer schneller. Deswegen ist die Bereitschaft zu Maßnahmen wie der Kooperation mit LehrkollegInnen und LehrerInnenbildung ein wichtiges und entscheidendes Kriterium für das Verständnis von Professionalität (vgl. Terhart 2011, S. 215), wie nachfolgend thematisiert wird.
3.3.1 Kooperation zwischen Förder- und Regelschullehrkräften
Für eine erfolgreiche inklusive Bildung hat sich eine effektive Kooperation zwischen Förder- und RegelschullehrerInnen als wichtige Voraussetzung herausgestellt. Die Leitlinien der UNESCO zur Bildungspolitik sollen gewährleisten, dass „die professionelle Kompetenz von Lehrpersonen mit einer sonderpädagogischen Qualifikation dem Regelschulsystem zur Verfügung gestellt werden“ (Speck-Hamdan 2015, S. 13). Damit soll die individuelle Unterstützung aller SchülerInnen garantiert werden (vgl. Speck-Hamdan 2015, S. 13). Dabei handelt es sich um eine der wesentlichen Herausforderungen der Inklusion. Die professionelle Zusammenarbeit von Lehrkräften allgemeinbildender und sonderpädagogischer Schulen ist die zentrale Bedingung dafür, dass inklusive Schulen gelingen können (vgl. Dorgerloh 2014, S. 3).
Arndt und Haas nennen sechs Formen der Zusammenarbeit von RegelschullehrerInnen und sonderpädagogischen LehrerInnen:
One teach – one observe:
Während eine Lehrkraft unterrichtet, beobachtet die andere den Unterricht und sammelt relevante Informationen über die SchülerInnen.
Station teaching:
Die Klasse wird in drei Gruppen eingeteilt und an drei Stationen unterrichtet. An zwei Stationen geben Lehrkräfte Handlungshinweise und Hilfestellungen.
Parallel teaching:
Zwei Lehrkräfte vermitteln jeweils der Hälfte der Klasse mit einer differenzierten Instruktion dasselbe Unterrichtsmaterial.
Alternative teaching:
Die Schulklasse wird in eine Groß- und Kleingruppe eingeteilt und von jeweils einer Lehrkraft unterrichtet.
Teaming:
Beide Lehrkräfte leiten die Klasse gemeinsam an und bringen dabei unterschiedliche Perspektiven auf die Lerninhalte ein.
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- Arbeit zitieren
- Anonym,, 2018, Die Umsetzung der Inklusion an der Regelschule, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1010263
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