Praktischer Ausgangspunkt und Basis der vorliegenden Thesis ist das Projekt, eine gesundheitsfördernde Unternehmenskultur auf Basis des Bielefelder Unternehmensmodells in einem Kleinunternehmen einzuführen. Denn sie sind wie alle Unternehmen von dem Wandel der Arbeitswelt betroffen und erkennen zunehmend, dass der Mitarbeiter und seine Gesundheit als Grundvoraussetzung für Leistungsfähigkeit zu einem entscheidenden Faktor aller Effizienzüberlegung werden muss.
Bereits bei der Beschäftigung im Rahmen der vorangegangenen Projektarbeit zeigte sich, wie komplex die Themen Unternehmenskultur und Gesundheit allein für sich genommen sind. Bei der vertieften Auseinandersetzung mit dem aktuellen theoretischen und empirischen Forschungsstand wird überdies deutlich, dass vielfach zwar einzelne Facetten beleuchtet werden, mit Ausnahme etwa des Bielefelder Unternehmensmodells jedoch wenig zu den grundlegenden Zusammenhängen ausgesagt wird. Doch selbst all diesen theoretischen Überlegungen fehlt es oftmals daran, aufzuzeigen, wie gerade die gesundheitsrelevanten Zusammenhänge in einer in erster Linie an betriebswirtschaftlichem Erfolg orientierten Praxis umgesetzt werden können.
Bedenkt man nun, dass die Einführung einer gesundheitsfördernden Unternehmenskultur zugleich einen Wandel der bisherigen Kultur in einem Unternehmen bedeutet, erhöht sich die Komplexität erneut, weil nunmehr drei vielschichtige Konstrukte – Unternehmenskultur, Gesundheit und Kulturwandel als Transformationsprozess – theoretisch plausibel und praktisch umsetzbar zusammengeführt werden müssen.
Inhaltsverzeichnis
Vorgehensweise bei der Aufbereitung der Daten
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Anlagenverzeichnis
1. Einleitung
2. Einführung einer gesundheitsfördernden Unternehmenskultur
2.1 Die Bedeutung von Unternehmenskultur
2.2 Begriff, Messbarkeit und Modelle von Unternehmenskultur
2.3 Das Bielefelder Unternehmensmodell
2.3.1 Der Begriff des Sozialkapitals in Wissenschaft und Wirtschaft
2.3.2 Wesentliche Dimensionen des Bielefelder Unternehmensmodells
2.3.3 Eignung des Bielefelder Unternehmensmodells für die Zielsetzung des Projekts .
2.4 Bedingungen einer gesundheitsfördernden Unternehmenskultur
2.4.1 Hohe qualitative Ausprägung der Treiber des Bielefelder Unternehmensmodells
2.4.2 Notwendigkeit einer salutogenen Sichtweise auf Gesundheit im betrieblichen Kontext
2.4.3 Typen gesundheitsfördernder Unternehmenskulturen
2.4.4 Der Reifegrad eines Unternehmens nach dem Graves-Value-Modell
2.4.4.1 Reifegrade von Unternehmen
2.4.4.2 Gesundheitsfördernde Unternehmenskultur in Abhängigkeit vom Reifegrad...
2.4.4.3 Folgerungen für die Rolle eines BGM
2.5 Der Wandel von Unternehmenskultur
2.5.1 Möglichkeit eines Kulturwandels
2.5.2 Modelle eines Kulturwandels
2.5.3 Kritische Punkte für ein gelingendes Transformationsmanagement
2.5.3.1 Dringlichkeit als Anlass
2.5.3.2 Aufbau einer Führungskoalition
2.5.3.3 Eine Vision entwickeln und kommunizieren
2.5.3.4 Mitarbeiter auf breiter Basis befähigen und Widerstände beseitigen
2.5.3.5 Schnelle Erfolge erzielen und konsolidieren
2.6 Zwischenfazit
3. Das Projekt „Einführung einer gesundheitsfördernden Unternehmenskultur in einem Kleinunternehmen"
3.1 Vorstellung des Gesamtprojekts
3.2 Beschreibung des Settings
3.3 Gesamtziel und Teilziele des Projekts
3.4 Projektstruktur und Teilprojekte
4. Methodik und Durchführung
4.1 Auswertung der Literatur
4.2 Organisationsdiagnose
4.3 Mitarbeiterbefragung
4.3.1 Beschreibung der Stichprobe
4.3.2 Mitarbeiterfragebogen
4.3.3 Auswertung der Befragung und Kommunikation der Ergebnisse
4.4 Experteninterviews
4.4.1 Vorüberlegungen
4.4.2 Erstellung des Leitfadens
4.4.3 Durchführung der Interviews
4.4.4 Auswertung der Interviews
4.4.4.1 Festlegung des Materials und Analyse der Entstehungssituation
4.4.4.2 Formale Charakteristika des Materials, Richtung der Analyse und theoretische Differenzierung der Fragestellung
4.4.4.3 Bestimmung von Ablaufmodell, Analysetechnik, Analyseeinheiten und Kategoriensystem
4.5 Weitere Durchführung und Steuerung des Projekts
5. Ergebnisse des Projekts
5.1 Ergebnisse der Mitarbeiterbefragung
5.1.1 Beschreibung der Stichprobe
5.1.2 Darstellung der Gesamtergebnisse
5.1.2.1 Netzwerkkapital
5.1.2.2 Führungskapital
5.1.2.3 Überzeugungs- und Wertekapital
5.1.2.4 Arbeitsbedingungen und Qualifikation
5.1.2.5 Organisationskultur
5.1.3 Vergleich zwischen Führungskräften und Mitarbeitern
5.1.4 Teilnahme am Betriebssport
5.1.4.1 Betriebssport und Treiber
5.1.4.2 Betriebssport und Früh- und Spätindikatoren
5.1.5 Auswertung der offenen Fragen
5.2 Ergebnisse der Experteninterviews
5.2.1 Werdegang und Aufgaben der Führungskräfte
5.2.2 Aussagen zu den Ergebnissen der Mitarbeiterbefragung
5.2.3 Verständnis gesundheitsfördernder Unternehmenskultur
5.2.4 Aussagen zu Gesundheit und Wohlbefinden
5.2.5 Aussagen zu Entwicklungsbedarf und dem beabsichtigten Kulturwandel
5.3 Vergleichende Zusammenfassung der quantitativen und qualitativen Ergebnisse
6. Diskussion der Ergebnisse
6.1 Geltung der Ergebnisse
6.2 Bedeutung von Unternehmenskultur
6.3 Die eigenen Ergebnisse im Kontext des Bielefelder Unternehmensmodells
6.3.1 Theoretische Plausibilität der Modellannahmen
6.3.2 Empirischer Kontext
6.4 Gesundheitsfördernde Unternehmensbedingungen
6.4.1 Hohe Ausprägungen der Treiber
6.4.2 Salutogene Ausrichtung
6.4.3 Organisatorische Rahmenbedingungen
6.4.4 Reifegrad
6.4.4.1 Reifegrad im Sinne des Graves-Value-Modells
6.4.4.2 Betriebliches Gesundheitsmanagement
6.5 Wandel von Unternehmenskultur
6.6 Zwischenfazit
7. Handlungsbedarf
7.1 Stand des Projekts
7.2 Unternehmensspezifischer Handlungsbedarf
7.3 Handlungsbedarf zur Etablierung einer gesundheitsfördernden Unternehmenskultur
7.3.1 Netzwerkkapital
7.3.2 Führungskapital
7.3.3 Überzeugungs- und Wertekapital
7.3.4 Arbeitsbedingungen und fachliche Qualifikation
7.3.5 Betriebssport- und Betreuungsangebot
7.4 Wandel im praktischen Kontext
7.4.1 Gefühl der Dringlichkeit
7.4.2 Aufbau und Erhalt einer Führungskoalition
7.4.3 Entwicklung, Kommunikation und Erhalt der Vision
7.4.4 Befähigung zum Wandel und Beseitigung von Widerständen
7.4.5 Ausblick auf den weiteren Transformationsprozess
7.5 Priorisierung des Handlungsbedarfs
8. Zusammenfassung und Ausblick
9. Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 2.3.2-1: Das Bielefelder Unternehmensmodell
Abbildung 2.3.2-2: Das Sozialkapital von Organisationen: Elemente und Indikatoren
Abbildung 2.3.3-1: Die empirische Fassung des Bielefelder Sozialkapitalmodells
Abbildung 2.5.2-1: Kultur-Assessment nach Sackmann
Abbildung 2.5.2-2: Das 8-Stufen-Modell nach Kotter
Abbildung 5.1.2-1: Netzwerkkapital im Abteilungsvergleich
Abbildung 5.1.2-2: Korrelationen zwischen dem Netzwerkkapital und den Frühindikatoren ...
Abbildung 5.1.2-3: Führungskapital im Abteilungsvergleich
Abbildung 5.1.2-4: Mittelwertvergleiche der einzelnen Skalen des Führungskapitals nach Abteilungen, Tabelle 1 von 2
Abbildung 5.1.2-5: Mittelwertvergleiche der einzelnen Skalen des Führungskapitals nach Abteilungen, Tabelle 2 von 2
Abbildung 5.1.2-6: Korrelationen zwischen dem Konstrukt Führungskapital und den Frühindikatoren
Abbildung 5.1.2-7: Mittelwertvergleiche des Überzeugungs- und Wertekapitals, Tabelle 1 von 2
Abbildung 5.1.2-8: Mittelwertvergleiche des Überzeugungs- und Wertekapitals, Tabelle 2 von 2
Abbildung 5.1.2-9: Korrelationen zwischen dem Überzeugungs- und Wertekapital und Frühindikatoren, Tabelle 1 von 2
Abbildung 5.1.2-10: Korrelationen zwischen dem Überzeugungs- und Wertekapital und Frühindikatoren, Tabelle 2 von 2
Abbildung 5.1.2-11: Korrelationen zwischen dem Überzeugungs- und Wertekapital und Spätindikatoren
Abbildung 5.1.2-12: Mittelwertvergleiche des Konstruktes Arbeitsbedingungen und fachliche Qualifikation, Tabelle 1 von 2
Abbildung 5.1.2-13: Mittelwertvergleiche des Konstruktes Arbeitsbedingungen und fachliche Qualifikation, Tabelle 2 von 2
Abbildung 5.1.2-14: Korrelationen zwischen Arbeitsbedingungen und Qualifikationen und den Frühindikatoren, Tabelle 1 von 2
Abbildung 5.1.2-15: Korrelationen zwischen Arbeitsbedingungen und Qualifikationen und den Frühindikatoren, Tabelle 2 von 2
Abbildung 5.1.2-16: Korrelation zwischen Organisationskultur (OK) und den Frühindikatoren des Bielefelder Unternehmensmodells, Tabelle 1 von 2
Abbildung 5.1.2-17: Korrelation zwischen Organisationskultur (OK) und den Frühindikatoren des Bielefelder Unternehmensmodells, Tabelle 2 von 2
Abbildung 5.1.2-18: Korrelation zwischen Organisationskultur und Spätindikatoren
Abbildung 5.1.3-1: Vergleich zwischen Führungskräften und Mitarbeitern in den Treibern
Abbildung 5.1.3-2: Vergleich zwischen Führungskräften und Mitarbeitern, Frühindikatoren, Tabelle 1 von 2
Abbildung 5.1.3-3: Vergleich zwischen Führungskräften und Mitarbeitern, Frühindikatoren, Tabelle 2 von 2
Abbildung 5.1.4-1: Mittelwertvergleiche der Treiber mit Blick auf die Teilnahme am Betriebssport
Abbildung 5.1.5-1: ausgefüllter MA-Fragebogen
Abbildung 5.1.5-2: Tabelle der MA-Antworten zu den Verbesserungsvorschlägen im Bereich „Netzwerkkapital"
Abbildung 5.1.5-3: Tabelle der MA-Antworten zu den Verbesserungsvorschlägen im Bereich „Führungskapital"
Abbildung 5.1.5-4: Tabelle der MA-Antworten zu den Verbesserungsvorschlägen im Bereich „Überzeugungs- und Wertekapital"
Abbildung 5.1.5-5: Tabelle der MA-Antworten zu den Verbesserungsvorschlägen im Bereich „Arbeitsbedingungen"
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Anlagenverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Sämtliche Anlagen befinden sich im gesondert beigefügten Anlageband.
1. Einleitung
Praktischer Ausgangspunkt und Basis der vorliegenden Thesis ist das Projekt, eine gesundheitsfördernde Unternehmenskultur auf Basis des Bielefelder Unternehmensmodells in einem Kleinunternehmen einzuführen. Denn sie sind wie alle Unternehmen von dem Wandel der Arbeitswelt betroffen und erkennen zunehmend, dass der Mitarbeiter und seine Gesundheit als Grundvoraussetzung für Leistungsfähigkeit zu einem entscheidenden Faktor aller Effizienzüberlegung werden muss (Stilijanow und Bock 2013, 162).
Bereits bei der Beschäftigung im Rahmen der vorangegangenen Projektarbeit (Anlage 1) zeigte sich, wie komplex die Themen Unternehmenskultur und Gesundheit allein für sich genommen sind. Bei der vertieften Auseinandersetzung mit dem aktuellen theoretischen und empirischen Forschungsstand wird überdies deutlich, dass vielfach zwar einzelne Facetten beleuchtet werden, mit Ausnahme etwa des Bielefelder Unternehmensmodells jedoch wenig zu den grundlegenden Zusammenhängen ausgesagt wird. Doch selbst all diesen theoretischen Überlegungen fehlt es oftmals daran, aufzuzeigen, wie gerade die gesundheitsrelevanten Zusammenhänge in einer in erster Linie an betriebswirtschaftlichem Erfolg orientierten Praxis umgesetzt werden können.
Bedenkt man nun, dass die Einführung einer gesundheitsfördernden Unternehmenskultur zugleich einen Wandel der bisherigen Kultur in einem Unternehmen bedeutet, erhöht sich die Komplexität erneut, weil nunmehr drei vielschichtige Konstrukte - Unternehmenskultur, Gesundheit und Kulturwandel als Transformationsprozess - theoretisch plausibel und praktisch umsetzbar zusammengeführt werden müssen.
Diese Ausgangslage verdeutlicht, dass die Einführung einer gesundheitsfördernden Unternehmenskultur nicht ohne Weiteres mit der bloßen Einführung eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) in einem Unternehmen gleichgesetzt werden kann. Denn dies allein wird der beschriebenen Komplexität nicht gerecht, solange nicht auch Zusammenhänge und Wirkungsketten zwischen Unternehmenskultur und Gesundheit gerade auch im Hinblick auf ihr Zusammenspiel im zeitlichen Ablauf eines Transformationsprozesses beachtet werden. Ausgehend von der ersten Forschungsfrage nach den Merkmalen einer gesundheitsfördernden Unternehmenskultur ist es deshalb zunächst Intention der vorliegenden Thesis aufzuzeigen, welche Zusammenhänge zwischen Unternehmenskultur und Gesundheit bestehen und welche konkreten Bedingungen einer gesundheitsfördernden Unternehmenskultur daraus abgeleitet werden können. Zur Beantwortung der zweiten und dritten Forschungsfrage, wie diese Merkmale auf Basis des Bielefelder Unternehmensmodells bei einer Organisationsdiagnose in einem Kleinunternehmen ausgeprägt sind und welche Potentiale sich hieraus für die Einführung einer gesundheitsfördernden Unternehmenskultur in dem konkreten Projektbetrieb ergeben, werden die theoretischen Vorüberlegungen sodann mit den Daten einer eigenen empirischen Erhebung in Verbindung gebracht. Es wird dabei erörtert, wie die zuvor erarbeiteten Bedingungen als praktisch handhabbare Merkmale bei einer Organisationsdiagnose in einem konkreten Unternehmen helfen, die tatsächliche Ausprägung einer gesundheitsfördernden Unternehmenskultur abzubilden, die noch möglichen Entwicklungspotentiale zu bestimmen und den daraus folgenden Handlungsbedarf abzuleiten. Auf dieser Basis vermag dann anhand eines konkreten Beispiels in einem Kleinunternehmen gezeigt zu werden, wie ein theoriegeleiteter Wandel praxisorientiert gestaltet werden kann.
Hierfür verarbeitet die vorliegende Thesis im Folgenden zunächst den aktuellen theoretischen und empirischen Forschungsstand zur Einführung einer gesundheitsfördernden Unternehmenskultur (Kap. 2), bevor nach einer Projektskizze (Kap. 3) und Darlegung der Methodik (Kap. 4) die Ergebnisse der eigenen empirischen Erhebungen vorgestellt werden, wie sie in einer Organisationsdiagnose aus Mitarbeiterbefragung und Experteninterviews gewonnen wurden (Kap. 5). Diese Ergebnisse werden im Anschluss im Kontext der aktuellen Forschung diskutiert (Kap. 6), bevor der sich hieraus ergebende Handlungsbedarf für das Unternehmen erörtert wird (Kap. 7). Zusammenfassung und Ausblick beschließend die Arbeit (Kap. 8).
2. Einführung einer gesundheitsfördernden Unternehmenskultur
Im Folgenden sollen nunmehr die wesentlichen Erkenntnisse zur Einführung einer gesundheitsfördernden Unternehmenskultur dargestellt werden, wie sie sich aus einer Auswertung der wissenschaftlichen Literatur und des aktuellen empirischen Forschungsstandes zum Zusammenhang zwischen Unternehmenskultur und Gesundheit ergeben (zur Methodik vgl. Kap. 4.1). Dabei geht es zunächst um die Bedeutung von Unternehmenskultur für den betriebswirtschaftlichen Erfolg und die Gesundheit der Mitarbeiter in einem Unternehmen (Kap. 2.1), bevor eine Annäherung an Begriff, Messbarkeit und Modelle von Unternehmenskultur erfolgt (Kap. 2.2). Weil dem Gesamtprojekt das Bielefelder Unternehmensmodell zugrunde liegt, werden dessen wesentliche Grundzüge vorgestellt (Kap. 2.3), bevor die vier grundlegenden Bedingungen einer gesundheitsfördernden Unternehmenskultur erarbeitet werden (Kap. 2.4). Abschließend geht es um die Frage, ob und unter welchen Bedingungen ein Wandel von Unternehmenskultur möglich ist (Kap. 2.5).
2.1 Die Bedeutung von Unternehmenskultur
Wenn der erfolgreiche deutsche Unternehmer Würth konstatiert: „Der Wettbewerb der Zukunft wird nicht mehr wie bisher über Produktqualität und Preise ausgefochten, sondern über den Kampf der Unternehmenskulturen." (zit. nach Hauser et al. 2008, 31) und der US-amerikanische Ökonom Drucker ähnlich kämpferisch formuliert: „Organisational Culture1 eats Strategy for Breakfast, Operational Excellence for Lunch and everything else for Dinner!" (zit. nach Münch 2015, 5), zeigen bereits diese beiden Zitate, dass der Unternehmenskultur in der Wirtschaft eine hohe Bedeutung zugemessen wird.
Für die große Bedeutung der Unternehmenskultur lassen sich neben diesen Zitaten auch empirische Studien anführen, die sowohl den Einfluss von Unternehmenskultur auf betriebswirtschaftlichen Erfolg wie auch ihre Auswirkung auf die Gesundheit von Mitarbeitern in Unternehmen belegen.
Geweckt wurde das Interesse an den Zusammenhängen zwischen Unternehmenskultur und betriebswirtschaftlichen Ergebnissen durch die japanischen Automobilhersteller, weil es ihnen gelang, mit weniger Belegschaft, Produktionsfläche, Forschungs- und Entwicklungszeit effektiver und flexibler zu produzieren, was auf tatsächlich gelebte Werte, Führung mit strengen ethischen Grundprinzipien, die auch die Mitarbeiter begeisterten, und Führungspersönlichkeiten, die Herausforderungen angemessen begegnen, zurückgeführt wurde (Wien und Franzke 2014, 53-55).
Weitere Studien an 43 amerikanischen Unternehmen aus sechs verschiedenen Industriezweigen weisen als Grundlage für wirtschaftlichen Erfolg Prinzipien wie aktives Handeln, Kundenorientierung, Förderung der Innovation durch Freiräume für Mitarbeiter, ein sichtbar gelebtes Wertesystem, Bindung an das angestammte Geschäft, einen einfachen flexiblen Aufbau mit klarer Orientierung durch Führung bei wenig Kontrolle sowie ein Verständnis von Mitarbeitern als Motor des Unternehmenserfolgs nach (Bauschke 2014, 18-19). Die ebenfalls mit 43.347 befragten Personen breit angelegte Studie Denisons belegt, dass Unternehmen mit überdurchschnittlicher Ausprägung von Entscheidungsprozessen und Arbeitsorganisation deutlich bessere Finanzkennzahlen aufweisen, so dass vermeintlich weiche Faktoren durchaus harte Ergebnisse liefern und er schließt daraus, dass eine bessere Partizipation zu höheren Umsätzen führe (Bauschke 2014, 20-22). Auch die Studie von Kotter und Heskett aus dem Jahr 1992 belegt, dass Unternehmen mit einer stärkeren Kultur ein deutlich höheres Umsatzwachstum (682 % vs. 166 %) und Gewinnzuwachs (756 % vs. 1 %) als solche mit einer schwachen Kultur aufweisen (Bauschke 2014, 2425). Christensen und Gordon können zudem bei 30 französischen Unternehmen zeigen, dass es eine positive Korrelation zwischen Mitarbeiterentwicklung als messbarem Teil einer Unternehmenskultur und Unternehmenserfolg bei Dienstleistungsunternehmen gibt; zudem belegen sie, dass es sich branchenübergreifend negativ auf das Umsatzwachstum auswirkt, wenn Verantwortung für die vom Management ambitioniert gesetzten Ziele auf die Mitarbeiter übertragen wird (Christensen und Gordon 1999, 412). Die Untersuchung von Hauser et al. weist den bedeutsamen und signifikanten Zusammenhang zwischen dem Mitarbeiterengagement und dem Unternehmenserfolg nach, indem sie zeigt, dass einzelne Aspekte der Unternehmenskultur kombiniert bis zu 31 Prozent des finanziellen Unternehmenserfolges erklären können (Hauser et al. 2008, 25; ebenso auch die Studie von Bosma et al., nach der Unternehmen mit engagierten Mitarbeitern 4,5-mal mehr Umsatz erreichen als Unternehmen mit wenig engagierten Mitarbeitern, vgl. Kühlmayer 2016, 74).).
Auch wenn hier nur wenige Studien berücksichtigt werden können und ihre Ansätze im Hinblick auf Definition und Messung von Unternehmenskultur und Erfolg teilweise divergieren, zeigt jedoch bereits dieser kurze Überblick, dass die Art und Weise, wie Unternehmenskultur in einem Unternehmen ausgeprägt ist, starken Einfluss auf Mitarbeiter und damit auch auf betriebliche Ergebnisse hat.2 Dies überrascht wenig, denn Unternehmenskultur hilft, Veränderungen im Organisationsumfeld wahrzunehmen, sich in die Gruppe zu integrieren, sich mit dieser und ihren Zielen zu identifizieren, sich von anderen Organisationen abzugrenzen, sich leichter im Unternehmen zu orientieren und dadurch den Arbeits- und Entscheidungsaufwand zu reduzieren, erleichtert die Steuerung des Unternehmens und hilft es zu stabilisieren (Bauschke 2014, 17-18). Weitere positive Auswirkungen können eine hohe Handlungsorientierung, effiziente Kommunikation, rasche Entscheidungsfindung und ein hohes Maß an Motivation und Teamgeist sein (Goldgruber 2008, 201), ferner die Bindung von Leistungsträgern an das Unternehmen, Motivation und Zugehörigkeit (Pittrof 2011, 30 f.; Badura und Ehresmann 2016, 81 f.). Der Einfluss einer Unternehmenskultur auf den betriebswissenschaftlichen Erfolg ist dabei auch bei der vorliegenden gesundheitswissenschaftlichen Arbeit nicht zu vernachlässigen, weil ein ganzheitliches BGM dazu beitragen soll, die Ziele des Unternehmens zu fördern und langfristig dessen Stabilität zu sichern; überdies können vermeintlich „harte Zahlen" betriebswissenschaftlicher Studien als hilfreiches Zusatzargument verwendet werden, die über die positiven gesundheitlichen Aspekte hinausreichen.
Denn den Einfluss von Unternehmenskultur auf die Gesundheit von Mitarbeitern belegen aktuell Beckmann u. a., indem sie aufzeigen, dass Befragte, die eine positive Unternehmenskultur erleben, meist einen besseren psychischen und physischen Gesundheitszustand empfinden und auch ihr Umgang mit Krankheit achtsamer erfolgt. Ebenso gibt es weniger krankheitsbedingte Fehlzeiten und Anwesenheit im Betrieb entgegen ärztlichem Rat. Je schlechter hingegen die Beschäftigten ihre Unternehmenskultur einschätzen, desto öfter benennen sie körperliche und psychische Symptome und bringen diese auch in Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit (Beckmann et al. 2016, 56-57).
Auch die jüngste Studie von Badura und Ehresmann belegt, dass Organisationskultur nicht nur stark mit dem für den wirtschaftlichen Erfolg wichtigen Qualitätsbewusstsein, sondern auch mit Gesundheitsindikatoren korreliert. Je besser die Qualität der Organisationskultur ist, desto geringer sind das Ausmaß an Depressivität und Schmerzen und desto höher ist das Wohlbefinden der Mitarbeiter. Im Ergebnis zeigt sich gar, dass Organisationskultur und emotionale Bindung rund 30 Prozent der Varianz der Mitarbeitergesundheit erklären können (Badura und Ehresmann 2016, 81-82).
Bereits nach dieser kurzen Darstellung ihrer hohen Bedeutung sollte man meinen, dass Unternehmen sich intensiv mit ihrer Unternehmenskultur beschäftigen und sie zu ihrem Vorteil zu gestalten zu suchen. Dies ist indes nicht so, wie etwa der aktuelle Fehlzeiten-Report 2016 belegt (Badura et al. 2016, 1).
Grund hierfür ist zum einen, dass Unternehmen sich dann eindringlich mit der eigenen Identität, dem eigenen Handeln, Denken und den allem zugrundeliegenden Werten beschäftigen müssen, was zunächst Ressourcen bindet und Investitionen erfordert. Zum anderen ist ein Erfolg keineswegs garantiert, denn ein zu forsches, schnelles oder unachtsames Vorgehen birgt durchaus auch die Gefahr des Scheiterns (Reisyan 2013, 52).
All dies vermag jedoch nicht zu überzeugen, denn alle sozialen Systeme sind von einer Kultur durchdrungen. Insoweit gilt im Hinblick auf Kultur - ähnlich dem bekannten Satz aus der Kommunikationspsychologie, dass man nicht nicht kommunizieren kann, dass Unternehmen nicht das „ob" ihres Vorhandenseins steuern können, sondern nur das „wie" ihrer Ausprägung. Schein fasst dies prägnant mit dem Satz zusammen: „ Wenn Sie Kultur nicht steuern, steuert die Kultur Sie, ohne dass Sie sich dessen bewusst sind." (Schein und Hölscher 2010, 173). Als negative Auswirkungen einer ungesteuerten oder vernachlässigten Unternehmenskultur werden folglich beispielsweise eine Tendenz zur Abschottung, die Blockade neuer Orientierungen und Implementierungen, die Fixierung auf traditionelle Erfolgsmotive, kollektive Vermeidungshaltungen sowie ein Mangel an Flexibilität genannt (Steinmann et al. 2005, 730-731; Goldgruber 2008, 201).
All dies veranlasst, sich einem weiteren erheblichen Hindernis in der Befassung mit Unternehmenskultur zu widmen, nämlich ihrer Komplexität. Diese rührt einerseits aus dem Umstand, dass in sozialen Systemen Menschen miteinander agieren und hierbei oftmals informelle soziale Prozesse entscheidender sind als formaler Abläufe (Kühlmayer 2016, 73). Andererseits aber besteht - wie bereits die obigen Studien belegen - weder in Wirtschaft noch Wissenschaft Einigkeit darüber, was genau unter Unternehmenskultur zu verstehen ist, wie sie ggf. zu messen ist und wie sie konkret funktioniert und wirkt.
2.2 Begriff, Messbarkeit und Modelle von Unternehmenskultur
Deshalb soll im folgenden Abschnitt dargestellt werden, welche Probleme der schillernde Begriff der Unternehmenskultur aufwirft, wenn man versucht, ihn über Definitionen, messbare Parameter oder Modelle zu erfassen.
Bereits dem Versuch einer Definition tritt etwa Baecker entgegen, wenn er konstatiert: „Wenn es ein bestimmtes Merkmal des Begriffs der Kultur gibt, dann die verbreitete Auffassung, dass dieser Begriff nicht zu definieren ist. Wer es trotzdem versucht, zeigt damit, dass er dem Begriff nicht gewachsen ist."(Baecker 2000, 33). Dagegen gibt es bildhafte Beschreibungen, die Unternehmenskultur etwa definieren als: „Die Kultur beschreibt, wie die Arbeit getan wird, ohne dass die Beteiligten sich immer dessen bewusst sind. Die Kultur liegt sozusagen in der Luft; Besucher spüren sie, wenn sie die Räume einer Organisation betreten. Oft können wir die Kultur nicht in präzise Worte fassen, aber alles ist in gewissem Maße ein Ausdruck dieser Kultur - zum Beispiel wie die Büros dekoriert sind, worüber die Menschen an der Kaffeemaschine sprechen, die Witze, die sie sich erzählen, wie die Mitarbeiter aus verschiedenen Ebenen miteinander interagieren, wie die Leute mit guten und schlechten Nachrichten umgehen." (Laloux 2015, 225). Kürzer und dennoch treffend definiert Hofstede Unternehmenskultur als „The collective programming of the mind that distinguishes the members of one organization from another." (Hofstede und Hofstede 2005, 283).
Diese beiden Zitate vermögen wesentliche Aspekte einer Unternehmenskultur zu beschreiben, zeigen jedoch zugleich, dass es eine Definition dieses Begriffes nicht vermag, sämtliche Dimensionen in ihrer Komplexität abzubilden, Wirkungsketten zu beschreiben und operationalisier- bare und damit messbare Parameter von Unternehmenskultur bereitzustellen.
Nähert man sich hingegen von der anderen Seite und fragt im Hinblick auf größtmögliche Konkretisierung, ob und inwieweit Unternehmenskultur messbar ist, wird diese Frage nicht weniger streitig behandelt. Teile der Wissenschaft wenden sich gegen eine quantitative Erfassung und sprechen sich für rein qualitative Methoden aus (Schein und Hölscher 2010, 69, 91 und 175; Pettigrew 1979, 574). Hingegen finden sich durchaus Vertreter, die befürworten, dass man relevante Elemente von Unternehmenskultur auch quantitativ erfassen könne (Badura und Ehres- mann 2016, 86; Baetge et. al 2007, 185) und es gibt z. B. die „KUK - Kurzskala zur Erfassung der Unternehmenskultur", den „FEO - Fragebogen zur Erfassung des Organisationsklimas" u. a. (Eberhardt 2013). Für eine quantitative Messbarkeit sprechen auch die Ergebnisse, wenn etwa Sackmann 12 Dimensionen zur Erfassung von Kulturaspekten, darunter Leistungs- und Mitarbeiterorientierung, Führung, zwischenmenschliche Beziehungen, Innovation, Offenheit, Team- und Kundenorientierung, Kommunikation und Werteorientierung belegt ( 2006, 6), die sich mit den Untersuchungen Baetges im Wesentlichen decken, der als die bedeutenden Kulturaspekte Identifikation, Integration, Koordination, Motivation, Zufriedenheit, Innovation und Kundenzufriedenheit benennt (Baetge et. al. 2007, 207 und 187).
Während also angesichts dieser Ergebnisse davon ausgegangen wird, dass wesentliche Aspekte einer Unternehmenskultur operationalisiert und gemessen werden können, vermag auch dieser Ansatz nicht darüber hinweg zu täuschen, dass eine Beschränkung auf messbare Anteile der Komplexität einer Unternehmenskultur ebenfalls nicht gerecht wird. Denn selbst bei einer Erweiterung durch qualitative Verfahren - z. B. bei Ergänzung von Mitarbeiterbefragungen durch Expertengespräche (Baetge et al. 2007, 212) - fehlt es weiterhin daran, Wirkungsketten darzustellen. Dies indes vermögen nur Modelle zu leisten.
Deshalb wird in der vorliegenden Arbeit davon ausgegangen, dass Unternehmenskultur weder durch eine Definition noch durch eine Beschränkung auf messbare Parameter hinreichend abgebildet wird, sondern dass es hierzu beschreibender Modelle bedarf, die auch Kausalitäten darzustellen vermögen. Solche Modelle zum besseren Verständnis von Unternehmenskultur sind z. +B. das drei-Ebenen-Modell nach Schein (Schein 2010, 31-36), das Denison-Organisations- strukturmodell (Eberhardt 2013), das Organizational Culture Inventory (Eberhardt 2013) u. a., auf die an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden kann.3 Zielführend mit Blick auf den empirischen Teil der Arbeit und das Gesamtziel des Projekts, eine gesundheitsfördernde Unternehmenskultur in einem Kleinunternehmen einzuführen, hat sich der Verfasser vorliegend aus der Vielzahl möglicher Modelle für das Bielefelder Unternehmensmodell entschieden, denn es vermag als Modell Wirkungsketten zu beschreiben, ist empirisch-evidenzbasiert und damit wissenschaftlich fundiert, enthält operationalisier- und damit messbare Parameter und ergänzt die in vielen Modellen auf betriebswirtschaftliche Aspekte begrenzte Sichtweise um eine gesundheitswissenschaftliche Perspektive.
2.3 Das Bielefelder Unternehmensmodell
Wesentliche Annahme des Bielefelder Unternehmensmodells ist es, dass Sozialkapital einen immateriellen Vermögenswert darstellt, der gemeinsam mit weiteren Faktoren Einfluss auf die Gesundheit der Organisationsmitglieder und die betriebswirtschaftlichen Ergebnisse eines Unternehmens nimmt. Ausgehend vom zentralen Begriff des Sozialkapitals soll zunächst dessen Bedeutung im wissenschaftlichen und ökonomischen Kontext dargestellt werden (Kap. 2.3.1), bevor das Modell in seinen Grundzügen erläutert (Kap. 2.3.2) und seine Eignung für die Zielsetzung des vorliegenden Projekts begründet wird (Kap. 2.3.3).
2.3.1 Der Begriff des Sozialkapitals in Wissenschaft und Wirtschaft
Bei dem Begriff des Sozialkapitals handelt es sich um einen bedeutenden Begriff in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen, aber auch im wirtschaftlichen Kontext. Allgemein beschreiben ihn etwa Cohen und Prusak als Vorrat der aktiven sozialen Kontakte zwischen einzelnen Akteuren, die durch Vertrauen, gemeinsame Werte und ihre Handlungen miteinander verbunden sind (2001, 3). Dies zeigt bereits die systemische Bedeutung des Begriffs, denn gemeint sind die Beziehungen zwischen allen Akteuren in einem sozialen System, und folglich gibt es weder ein Unternehmen noch eine Gesellschaft ohne Sozialkapital, denn stets existieren soziale Kontakte und Interaktionen - fraglich ist allein die Stärke ihrer Ausprägung und ihre Qualität.
Historisch erlangte das Konstrukt Sozialkapital u. a. durch das 1897 erschienene Werk „Der Selbstmord" von Emile Durkheim Aufmerksamkeit, denn er stellte am Phänomen Selbstmord die Bedeutung des sozialen Umfeldes für individuelles Handeln dar. Durkheim beschreibt dabei u. a. die zunehmende Orientierungslosigkeit des Individuums bei aufkommendem Wohlstand in einer Gesellschaft, das fehlende Korrektiv der Gesellschaft in Hochphasen und auch die sog. „Autorität des Kollektivs" (1973, 285). In seinem Werk wird dabei zugleich als Grundidee deutlich, dass es in sozialen Systemen gemeinsame Normen und Werte gibt; diese Basis findet sich auch in späteren Beschreibungen von Sozialkapital etwa bei Ostrom (2001, 176-179) und Fukuyama (2000, 99-111).
Neben dem französischen Soziologen Bourdieu, der sich mit Sozialkapital im Kontext von sozialen Klassen und sozialer Ungleichheit befasste, beschäftigte sich etwa der US-amerikanische Soziologe Coleman mit dem Zusammenhang zwischen sozialem Status und schulischem Erfolg. Coleman beschrieb dabei, dass sozialkapitalreiche Netzwerke ihre Mitglieder nicht nur in die Lage versetzen, auf den Bestand an Ressourcen anderer Mitglieder zuzugreifen, sondern sie erweitern durch die Nutzung dieser Ressourcen auch ihre eigenen Fähigkeiten, um diese Ressourcen zu nutzen, die z. B. in einer Familie, in einem Verein oder einer Unternehmung zur Verfügung stehen. Somit vergrößern die gemeinsamen Ressourcen und ein möglicher Zugang dazu die Handlungsoptionen von Menschen. Sozialkapital wird dabei nach Coleman über bestimmte (auch kulturelle) Verpflichtungen und Erwartungen (Vertrauen) hergestellt (1994, 30). Vertrauen ist ein Schlüsselbegriff für jeden Sozialkapitalansatz; Fukuyama bezeichnet es etwa als „Schmiermittel", das jede Organisation effizienter funktionieren lässt (Fukuyama 2000, 98). Daher korrespondiert ein hoher Vorrat von Sozialkapital meist auch mit einem hohen Ausmaß an Vertrauen innerhalb einer Organisation, wenngleich Ursache und Wirkung dabei unklar sind (Migheli 2009, 3).
Mit einer weniger soziologischen und stärker ökonomischen Sichtweise beschreibt Putnam Sozialkapital als ein Zusammenspiel von Merkmalen wie Vertrauen, Normen und Netzwerken, die die Zusammenarbeit in einer Gesellschaft verbessern. Die Wirkung von Sozialkapital erklärt er damit, dass kollektive Handlungen effizienter, d. h. mit geringeren Transaktionskosten durchgeführt werden können (Putnam 1993, 173).
Im Unternehmen kann Sozialkapital deshalb im Sinne des Kapitalbegriffs als Ressource verstanden werden, deren Einsatz ertragreich ist. Neben Boden- und Sachkapital, die sich als materielle Unternehmenswerte leicht abschätzen und beeinflussen lassen und heutzutage kaum noch Fragen aufwerfen, gibt es das Humankapital, d. h. Bildung, Qualifikation und Fähigkeiten der Mitarbeiter in einem Unternehmen, und das Sozialkapital als Vernetzung der Organisationsmitglieder, ihre gemeinsamen Überzeugungen und Werte. Im Hinblick auf diese letztgenannten beiden immateriellen Unternehmenswerte stellt sich für viele Organisationen die Frage, wie man diese identifizieren, abschätzen und beeinflussen kann (Badura et al. 2013, 32-33). Sozialkapital in Unternehmen ist dabei noch ein relativ junger Forschungsgegenstand und obwohl viele Untersuchungen sich der Wirkung von Sozialkapital im Unternehmen widmen, lassen sie jedoch offen, welche Faktoren in sozialen Gruppen wie Unternehmen die Entstehung und Nutzung von Sozialkapital bestimmen (Fuchs 2010, 23).
Im strikt ökonomischen Sinn wären die Kosten für die Herstellung und Aufrechterhaltung sozialer Bindungen dem Ertrag bzw. der Rendite der sozialen Beziehungen gegenüberzustellen. Sozialkapital wäre hier folglich der ökonomische Wert, den aktive Beziehungen für die einzelnen Akteure stiften (Fuchs 2010, 24). Im Gegensatz zu diesem rein ökonomischen Verständnis vertritt Ostrom (2001, 173) hingegen die These, dass Sozialkapital bei Nichtbenutzung verloren gehe und bei Benutzung wachse, so dass Sozialkapital aktiv gefördert werden müsse. Insoweit kann vorhandenes Sozialkapital durchaus auch als produktiv verstanden werden in dem Sinn, dass Personen durch Handlungen Gutschriften erwerben, die zu einem späteren Zeitpunkt eingesetzt werden können (Coleman 1991, 397). Entscheidend dafür sind wiederum die Bindungen zwischen den einzelnen Akteuren, die je nach Zeitaufwand, Intensität und Intimität der Beziehung als „strong ties" oder „weak ties" beschrieben werden können. Starke Bindungen können sozialen Rückhalt bieten, während schwache Bindungen den Zugang zu neuen Informationen und brückenbildende Beziehungen zu anderen Gruppen ermöglichen (Granovetter 1978, 1364). Ausgehend von diesen „strong ties" und „weak ties" differenzieren viele Autoren heute nach bindendem und brückenbildendem Kapital. Basierend auf gemeinsamen Normen und Werten können beide Arten von Bindungen entstehen, wobei bindendes Sozialkapital zwischen ähnlichen Personen entsteht und sich durch vertrauensvolle und kooperative Beziehungen ausdrückt, wohingegen brückenbildendes Sozialkapital zwischen unterschiedlichen Personen entsteht und durch Prinzipien wie Gegenseitigkeit und Respekt gestaltet wird. Weil das brückenbildende Sozialkapital dabei durch ein generalisiertes und nicht durch ein persönliches Vertrauen charakterisiert ist, gewinnt es bei steigender Komplexität von Netzwerken an Bedeutung. Über diese Charakterisierung von Sozialkapital als bindender („bonding") oder brückenbildender („bridging") Ressource auf einer horizontalen Ebene hinaus wird Sozialkapital auch auf einer vertikalen Ebene als „linking", d. h. als koppelnde Ressource, beschrieben (Kockert 2014, 78-79). In dieser Form ermöglicht es ebenfalls Interaktionen zwischen Personen bzw. Gruppen, bezieht sich allerdings auf Hierarchien. Im Unternehmen wäre dies z. B. das Sozialkapital zwischen Mitarbeiter und Führungskraft.
2.3.2 Wesentliche Dimensionen des Bielefelder Unternehmensmodells
Viele der soeben genannten Ausprägungen und Dimensionen von Sozialkapital finden sich auch im Bielefelder Unternehmensmodell. Sozialkapital als immaterieller Vermögenswert nimmt dabei gemeinsam mit weiteren Faktoren - sog. Treiber (unabhängige Variablen) - Einfluss auf die Gesundheit der Organisationsmitglieder und betriebswirtschaftlichen Ergebnisse eines Unternehmens (abhängige Variablen).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2.3.2-1: Das Bielefelder Unternehmensmodell, Darstellung von Badura et. al., 2013, 50
Die wesentlichen Treiber des Modells sind dabei die unter dem Oberbegriff Sozialkapital zusammengefassten drei Komponenten Netzwerkkapital, Führungskapital und Überzeugungs- und Wertekapital (Badura et al. 2013, 51).
Netzwerkkapital meint dabei die Beschaffenheit sozialer Beziehungen, wie sie sich u. a. in Umfang, Reichweite, Stabilität und Qualität der Beziehungen darstellt. Hierzu gehören etwa das Ausmaß des Zusammenhalts der jeweiligen Gruppenmitglieder, die Güte der Kommunikation unter ihnen, der sog. „soziale Fit" als Maß, inwieweit Mitarbeiter menschlich miteinander har monieren, das Ausmaß der gegenseitigen Hilfeleistung und des Vertrauens. Neben seiner sa- lutogenen Wirkung für die Mitglieder hilft das Netzwerkkapital Prozesse zu ermöglichen, zu verbessern und zu beschleunigen und damit die Produktivität des Unternehmens zu steigern (Badura et al. 2013, 51 f.).
Das Führungskapital meint hingegen die vertikalen Beziehungen zwischen Beschäftigten und ihren direkten Vorgesetzten. Sie werden wesentlich dadurch geprägt, inwieweit sich eine Führungskraft für die Belange ihrer Mitarbeiter einsetzt, die Güte der Kommunikation zwischen Vorgesetztem und Mitarbeitern sowie Fairness, Gerechtigkeit und Vertrauen im Umgang mit den Mitarbeitern. Hierzu gehört aber auch, inwieweit der Vorgesetzte in dieser Rolle akzeptiert wird und wie es um seine Machtorientierung steht. Je nach Qualität kann sich Führung salutogen oder pathogen auf Mitarbeiter auswirken, und zwar zum einen durch Einflussnahme auf Ziele, Strukturen und Prozesse und zum anderen durch das tägliche Entscheidungs- und Kommunikationsverhalten des Führungspersonals (Badura et al. 2013, 52 f.).
Das Überzeugungs- und Wertekapital umfasst zunächst die gemeinsamen Werte, Überzeugungen und Regeln in einem Unternehmen. Als Kernstück der Unternehmenskultur spiegeln sie sich im Konsens von Organisationsmitgliedern unterschiedlichen Ranges und unterschiedlicher Einheiten wider und dienen der Orientierung im Arbeitsalltag. Sie steuern das Verhalten einzelner Akteure, aber auch das Gesamtverhalten einer Organisation und machen es so besser vorhersehbar und berechenbar, wodurch der Aufwand an Koordination, Kontrolle und Aushandlung durch Verpflichtung auf gemeinsame Ziele und verbindliche Verhaltensstandards reduziert wird und soziale Konflikte, Unsicherheit und Ungewissheit verringert werden können. Zum Überzeugungs- und Wertekapital gehören darüber hinaus auch die gelebte Kultur, die Konfliktkultur und der Zusammenhalt im Betrieb sowie insgesamt das Ausmaß an Gerechtigkeit, Wertschätzung und Vertrauen. Insgesamt kommt es dabei weniger darauf an, ob gemeinsame Normen und Werte etwa in einem Leitbild festgeschrieben sind, sondern entscheidend ist ihre Umsetzung als tatsächliche gelebte Werte. Zeichen einer guten Umsetzung ist dabei ein hoher Konsens über Ziele und Grundsätze zwischen Geschäftsführung und Belegschaft (Badura et al. 2013, 53 f.).
Zusammengefasst lassen sich die drei soeben beschriebenen Komponenten des Sozialkapitals im Bielefelder Unternehmensmodell wie folgt abbilden:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2.3.2-2: Das Sozialkapital von Organisationen: Elemente und Indikatoren, Darstellung von Badura et. al., 2013, 51
Über diese drei Formen des Sozialkapitals hinaus finden sich im Modell zwei weitere Treiber. Dies sind zum einen die immateriellen Arbeitsbedingungen und zum anderen die fachliche Qualifikation der Mitarbeiter. Zu den immateriellen Arbeitsbedingungen gehören z. B. die Sinnhaf- tigkeit der Arbeit, die Verstehbarkeit des Arbeits- und Organisationsgeschehens, die Partizipationsmöglichkeiten, der Handlungsspielraum der Beschäftigten im Hinblick auf die Möglichkeit der zeitlichen Planung und Einteilung der eigenen Arbeit und das Ausmaß inhaltlicher Entscheidungskompetenz, sowie die Qualität der Arbeitsbeziehungen zu Kollegen und Vorgesetzten (Badura et al. 2013, 55). Eine angemessene fachliche Qualifikation schließlich, die auf schulischer und beruflicher Ausbildung sowie Fort- und Weiterbildungen beruht und als Symbiose von Wissen und Erfahrung verstanden werden kann, ist nicht nur für die Wettbewerbsfähigkeit und den Unternehmenserfolg ausschlaggebend, sondern trägt auch dazu bei, dass Belastungen und Risiken z. B. durch Überforderung vermieden werden können bzw. gesundheitsförderlicher damit umgegangen werden kann(Badura et al. 2013, 56).
Nach dem Bielefelder Unternehmensmodell sind diese fünf genannten Treiber direkt beeinflussbar und wirken sich auf die Ergebnisse aus (Badura et al. 2013, 49). Sie gliedern sich in Früh- und Spätindikatoren. Frühindikatoren weisen darauf hin, ob sich Prozesse in die gewünschte Richtung entwickeln oder das Eintreten unerwünschter Ergebnisse wahrscheinlich wird und sie geben einen Hinweis darauf, ob und wo im Unternehmen Interventionsbedarf besteht. Als Frühindikatoren gelten das psychische und physische Befinden, die Bindung an die Organisation (Commitment), Organisationspathologien und Work-Life-Balance (Badura et al. 2013, 56 f.). Spätindikatoren sind die Betriebsergebnisse, die angestrebt werden oder vermieden werden sollen. So bilden eine hohe Qualität der Arbeitsergebnisse und hohe Produktivität in jedem Unternehmen ein erstrebenswertes Ergebnis, während Fehlzeiten, Arbeitsunfälle und Fluktuation aus humanitären Gründen und den damit verbundenen Kosten vermieden werden sollen (Badura et al. 2013, 58 f.).
2.3.3 Eignung des Bielefelder Unternehmensmodells für die Zielsetzung des Projekts
Das soeben in seinen wesentlichen Grundzügen dargestellte Bielefelder Unternehmensmodell eignet sich als Grundlage für die Zielsetzung des der Thesis zugrundeliegenden Projekts, in einem Kleinunternehmen eine gesundheitsfördernde Unternehmenskultur einzuführen.
Zum ersten eröffnet das Bielefelder Unternehmensmodell mit der Fragestellung, wie sich Arbeit und Organisation auf die physische und psychische Leistungsfähigkeit von arbeitenden Menschen auswirken, eine noch neue gesundheitswissenschaftliche Perspektive, wohingegen bislang Unternehmen in anderen Modellen zur Unternehmenskultur rein aus betriebswirtschaftlicher, technischer, psychologischer oder soziologischer Sicht betrachtet wurden (Badura et al. 2013, 49).
Zum zweiten bilden die genannten Treiber wichtige Indikatoren für die Ausprägung einer Unternehmenskultur ab, die überdies transparent messbar operationalisiert werden. Wenn es darum geht, die Ausprägung des Sozialkapitals in einem einzelnen Unternehmen zu messen, sind Messungen auf der individuellen, Mikro-, Meso- und Makro- sowie auf der externen Ebene denkbar (Ueberle 2013, 68). Mit dem ProSOB-Fragebogen4 können dabei zur Erhebung der Ausprägung des Sozialkapitals im Sinne des Bielefelder Unternehmensmodells sowie auch - bei einer späteren zweiten Messung - die Auswirkungen möglicher Interventionen auf der individuellen Ebene des Mitarbeiters erhoben und je nach Größe der Stichprobe für einzelne Abteilungen, Betriebe oder gar ganze Unternehmen zusammengefasst und ausgewertet werden. Dies ist in der Praxis wichtig, um mit Zahlen die Ausprägung und die Wirksamkeit von Interventionen - und damit auch von Investitionen - zu belegen.
Zum dritten basiert das Bielefelder Unternehmensmodell auf empirischer Forschung und ist in seinen wesentlichen Ergebnissen durch weiterführende Forschungsarbeiten zusätzlich empirisch abgesichert und insoweit evidenzbasiert. Grundlage des Modells ist eine Befragung von 4049 Mitarbeitern in neun verschiedenen Unternehmen (Badura et al. 2013, 122 ff.), die bei variierenden Ergebnissen zwischen den Abteilungen und Unternehmen belegt, dass je besser das Sozialkapital ausgeprägt ist, desto besser sind die Gesundheit, das Wohlbefinden und die betriebswirtschaftlichen Ergebnisse (Badura et al. 2013, 142). Das Netzwerkkapital beeinflusst die Qualität der Arbeitsleistungen stark und wirkt selbst auch unmittelbar auf personenbezogene Variablen, u. a. Krankenstand, Fluktuation und Unfallgeschehen (Badura et al. 2013, 136). Eine hohe Bedeutung hat überdies das Wertekapital, das sich als maßgeblicher Prädiktor für eine hohe Gesundheit und gute Einschätzung der Qualität herausstellt (Badura et al. 2013, 143).
Die Ergebnisse Baduras werden - insbesondere im Hinblick auf die Bedeutung des Netzwerkkapitals und des Wertekapitals - bestätigt durch eine Studie von Ueberle, die zeigt, dass sich das Wertekapital auch auf personennahe Prozesse auswirkt und einen unmittelbaren Einfluss auf das Erreichen der Ziele im Unternehmen hat (Ueberle 2013, 195 ff.).
Die Richtigkeit der theoretischen Grundannahmen und die Praxistauglichkeit des Modells werden überdies belegt durch eine Forschungsarbeit von Baumanns und Münch, die mit zwei Mitarbeiterbefragungen auf Basis des Bielefelder Unternehmensmodells im August 2006 und April 2008 belegen, dass Interventionen zur Erhöhung des Sozialkapitals auf Grundlage der Ergebnisse der (ersten) Mitarbeiterbefragung und Experteninterviews erfolgreich sind. Zum einen konnten alle Faktoren, die in der ersten Mitarbeiterbefragung Handlungsbedarf aufgewiesen hatten, verbessert werden, und alle Faktoren, die durch einzelne Gruppen eine ausgeprägt negative Bewertung erfahren haben, wurden sogar überproportional verbessert. Zum anderen konnte in dem Betrieb, in welchem Interventionen durchgeführt werden, die Produktivität im Vergleich zu einem Kontrollunternehmen ohne Interventionen gesteigert werden, so dass ein Return on Invest (ROI) von 1:10 erreicht werden konnte, ohne dass Bonuszahlungen der Krankenkassen berücksichtigt wurden oder die Absentismusquote reduziert werden konnte (Baumanns und Münch 2010, 165-180).
Über diese empirischen Belege für Zusammenhang zwischen Treibern und betriebswirtschaftlichen Ergebnissen hinaus bestätigen weitere Studien auch ihren Einfluss auf die Gesundheit. So führt ein hohes Sozialkapital sowohl bei Führungskräften als auch Mitarbeitern zu einem besseren Selbstwertgefühl, besserem allgemeinen körperlichen Gesundheitszustand, höherem Wohlbefinden bei gleichzeitig weniger depressiven Verstimmungen und psychosomatischen Beschwerdetagen (Krampitz 2016, 181-182; Rixgens und Badura 2012, 202). Zu beachten gilt es dabei allerdings, dass Führungskräfte das Sozialkapital, die Frühindikatoren und die Arbeitsbedingungen oftmals signifikant besser einschätzen, als dies deren Mitarbeiter tun (Krampitz 2016, 170; Badura et al. 2013, 99; Rixgens & Badura, B. 2011, 61 f.; Kockert 2014, 159). Dies ist wichtig, weil diese unterschiedliche Wahrnehmung dazu führen kann, dass wichtige Investitionen in Gesundheit durch Führungskräfte in Entscheidungspositionen unterlassen werden, wenn das eigene Befinden wesentlich besser ist bzw. eingeschätzt wird als das der Mitarbeiter.
Zum vierten kann das Bielefelder Unternehmensmodell - wie im Kap. 2.2 beschrieben - als Modell Wirkungsketten abbilden, die zugleich Anhaltspunkte für praktischen Handlungsbedarf und mögliche Interventionen liefern. Für die in der Praxis relevante Frage, welche Treiber am stärksten wirken, hat Rixgens das theoretische Konzept des Bielefelder Unternehmensmodells durch Faktorenanalysen überprüft und die Güte der Index-Bildung schließlich durch Alpha-Reliabilitätsanalysen ermittelt. Mithilfe von linearen Strukturgleichungsmodellen bzw. Kovarianzstrukturanalysen lässt sich nun die entscheidende Frage beantworten, welches konkrete Modell aus einer Reihe von denkbaren Bedingungskonstellationen zum Zusammenhang von Sozialkapital und Gesundheit am ehesten mit der betrieblichen Realität übereinstimmt (Rixgens 2010, 33-34).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2.3.3-1: Die empirische Fassung des Bielefelder Sozialkapitalmodells nach Badura, Quelle: Rixgens im Fehlzeitenreport 2008, S. 36
Im Ergebnis zeigt sich zunächst, dass eine hohe Arbeitsqualität davon abhängt, ob es einen hinreichenden Zusammenhalt in Arbeitsteams gibt, wie gut die immateriellen Arbeitsbedingungen sind und ob es eine ausgeprägte Unternehmenskultur mit starkem Orientierungscharakter gibt. Der Teilaspekt, der die Arbeitsleistung am unmittelbarsten beeinflusst, ist das Netzwerkkapital, d. h. je besser die sozialen Beziehungen der Mitarbeiter in den abteilungsspezifischen Arbeitsteams sind, desto besser sind die Arbeitsleistungen im Unternehmen. Auch das Führungskapital beeinflusst auf signifikante Weise die Arbeitsleistung, wenngleich dieser qualitätsfördernde Effekt nur indirekt über die Gestaltung der immateriellen Arbeitsbedingungen sowie über die bewusste Förderung des Teamzusammenhaltes zustande kommt.
Wesentlichstes Ergebnis des Modells ist jedoch, dass sich letztendlich eine Bedingungsstruktur abbildet, die dem betrieblichen Wertekapital als einziger exogener Variable einen ganz besonderen Stellenwert zuweist, da es sowohl die Qualität der Arbeit als auch die Gesundheit der Beschäftigten direkt und nicht nur indirekt über die drei intervenierenden Variablen Führungskapital, immaterielle Arbeitsbedingungen und Netzwerkkapital beeinflusst. Dabei ist der qualitätsfördernde Aspekt von gemeinsamen Überzeugungen in Wirklichkeit aber noch sehr viel stärker, als es der direkte Effekt zum Ausdruck bringt. Denn das Wertekapital beeinflusst nämlich nach der Datenlage erheblich das Verhalten der Führungskräfte, die ihrerseits wesentlich zur Verbesserung der immateriellen Arbeitsbedingungen und zur Stabilisierung und Förderung des Netzwerkkapitals beitragen können, was dann wiederum positive Folgen auf die Arbeitsqualität hat. Somit wirkt sich das Wertekapital in direkter und indirekter Weise auf die Arbeitsleistung aus und ist deshalb im Hinblick auf seine gesamte Einflusswirkung der weitaus stärkste Teilaspekt des Sozialkapitals.
Darüber hinaus kommt dem Wertekapital auch im Hinblick auf die Gesundheit der Mitarbeiter ein starker Einfluss zu, denn mit steigendem Wertekapital und dem positiven Empfinden der immateriellen Arbeitsbedingungen steigt die Gesundheit der Beschäftigten an. Zudem steht auch die Qualität der eigenen Arbeitsleistungen mit dem gesundheitlichen Wohlbefinden in Zusammenhang. Dieser Befund zeigt eindrucksvoll, dass ein starkes betriebliches Wertekapital das individuelle Bewusstsein der Mitarbeiter auf das Erreichen der kollektiven Ziele fokussiert und ein gesundheitliches Unwohlsein erzeugt, wenn die Leistungen subjektiv nicht den anvisierten Zielen entsprechen. Der Einfluss des Netzwerk- und Führungskapitals auf das gesundheitliche Wohlbefinden der Mitarbeiter ist hingegen eher indirekter Natur. "Gute" Führungskräfte tragen im Betrieb zu adäquaten Rahmen- bzw. Arbeitsbedingungen bei und haben die Aufgabe, Arbeitsteams sozial zu stabilisieren, was auf dem Weg über verbesserte Leistungen wiederum dazu beiträgt, die Gesundheit der Beschäftigten zu fördern.
Im Ergebnis erweist sich nach alldem, dass die Vielschichtigkeit einer Unternehmenskultur in den Treibern des Bielefelder Unternehmensmodells sehr gut abgebildet und zugleich ihre hohe Bedeutung für betriebswirtschaftlichen Erfolg und Gesundheit der Mitarbeiter berücksichtigt wird. Weil eine Erhebung von Treibern und Ergebnissen des Modells direkte und indirekte Rückschlüsse auf die Unternehmenskultur und die Frage zulässt, inwieweit sie bereits als gesundheitsfördernd ausgeprägt ist und an welchen Stellen sich Handlungsbedarf ergibt, wurde das Bielefelder Unternehmensmodell der empirischen Untersuchung für das konkrete Betriebsprojekt der vorliegenden Arbeit zugrunde gelegt.
2.4 Bedingungen einer gesundheitsfördernden Unternehmenskultur
Im vorangegangenen Kapitel wurde gezeigt, dass das Bielefelder Unternehmensmodell erklären und empirisch belegen kann, dass seine Treiber neben ihrem Einfluss auf wirtschaftliche Ergebnisse auch auf die Gesundheit der Mitarbeiter in einem Unternehmen wirken. Ausgehend hiervon wird als erste Bedingung für eine gesundheitsfördernde Unternehmenskultur abgeleitet, dass eine hohe Ausprägung der Treiber des Bielefelder Unternehmensmodells notwendig ist (2.4.1), bevor als je weitere Bedingung dargestellt wird, dass es auch einer salutogenen Sichtweise auf Gesundheit im betrieblichen Kontext bedarf (2.4.2), dass es - abgeleitet aus einem Typenmodell gesundheitsfördernder Unternehmenskulturen - bestimmte organisatorische Rahmenbedingungen geben (2.4.3) und schließlich das Unternehmen selbst einen bestimmten Reifegrad aufweisen muss (2.4.4).
2.4.1 Hohe qualitative Ausprägung der Treiber des Bielefelder Unternehmensmodells
Wie im vorangegangenen Kapitel dargestellt, vermag das Bielefelder Unternehmensmodell zahlreiche Dimensionen und Ausprägungen einer Unternehmenskultur in seinen fünf Treibern - Netzwerk-, Führungs- und Wertekapital sowie immaterielle Arbeitsbedingungen und fachliche Qualifikation - und Wirkungszusammenhänge zwischen den Treibern einerseits und den Früh- und Spätindikatoren andererseits abzubilden. Ausgehend von der Grundthese, dass eine starke - im Sinne einer qualitativ hochwertigen - Ausprägung der Treiber einen umso besseren Einfluss u. a. auf die Gesundheit hat, kann dies zugleich als erste wesentliche Bedingung einer gesundheitsfördernden Unternehmenskultur abgeleitet werden.
Hierfür sprechen zum einen die theoretischen Überlegungen zu den Wirkungszusammenhängen des Bielefelder Unternehmensmodells, wie sie bereits zuvor dargestellt wurden (Kap. 2.3.2). Sie werden überdies bestätigt durch die Forschungen von Rixgens (Kap. 2.3.3), die den Treibern eine zwar unterschiedlich hohe Wirkkraft bescheinigt, im Ergebnis aber hierdurch zugleich die These untermauert, dass die Wirkung auf die Gesundheit der Mitarbeiter umso größer ist, je stärker die Ausprägung der Treiber in einem Unternehmen ist.
Zum anderen sprechen hierfür jedoch insbesondere die empirischen Belege zum Zusammenhang zwischen Unternehmenskultur und Gesundheit. In Gänze wird die These bestätigt durch die jüngste Studie von Badura und Ehresmann, die belegt, dass je höher die Qualität der Organisationskultur, desto besser ist der Gesundheitszustand der Mitarbeiter. In den Berechnungen zeigt sich gar, dass Organisationskultur und emotionale Bindung rund 30 Prozent der Varianz der Mitarbeitergesundheit zu erklären vermögen (Badura und Ehresmann 2016, 81-82).
Darüber hinaus finden sich zahlreiche empirische Untersuchungen, die einzelne Aspekte von Unternehmenskultur mit verbesserter Gesundheit in Verbindung bringen. So zeigen etwa Eichhorst et. al., dass Beschäftigte mit mehr Handlungs- und Entscheidungsspielraum, gutem Management, guter Mitarbeiterführung und ausgewogenem Betriebsklima zwischen den Beschäftigten und im Verhältnis zu den Vorgesetzten sowie hoher Arbeitsplatzsicherheit deutlich zufriedener mit ihrer Arbeit und mit ihrer Work-Life-Balance sind; dann wirken sich die sozialen Beziehungen im Betrieb sowie das Führungsverhalten der Vorgesetzten positiv auf die allgemeine Gesundheit und entsprechend negativ auf die Anzahl der Fehltage aus (Eichhorst et al. 2016, 18). Auch Beckmann et al. (2016, 43) betonen die Wichtigkeit der Gestaltung unterstützender Beziehungen am Arbeitsplatz, eines angenehmen Arbeitsklimas und förderlicher Arbeitsbedingungen als Kernelemente einer gesundheitsfördernden Unternehmenskultur. Ergänzend weisen Stötzer et. al (2014, 193-194) darauf hin, dass die aktive Beschäftigung mit Partizipation, Kommunikation, Führungskultur, Persönlichkeitsentwicklung, Strategien und gemeinsamen Werten zu mehr Gesundheit und weniger Fehlzeiten führte.
Nach alldem bleibt festzuhalten, dass eine qualitativ-hohe Ausprägung der Treiber des Bielefelder Unternehmensmodells die erste wesentliche Bedingung für eine gesundheitsfördernde Unternehmenskultur ist.
2.4.2 Notwendigkeit einer salutogenen Sichtweise auf Gesundheit im betrieblichen Kontext
Zweite Bedingung ist eine salutogene Sichtweise auf Gesundheit im betrieblichen Kontext.
Gesundheit ist ein komplexer Begriff, der häufig unterschiedlich verstanden und definiert wird.5 Folgt man der Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO), so ist Gesundheit „(...) ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen" (Schweizerische Bundeskanzlei (KAV) 2014, 1). Diese Definition lenkt den Blick zutreffend darauf, dass Gesundheit oft erst dann wahrgenommen wird, wenn sie eingeschränkt oder abhandengekommen ist, so dass sie oftmals keine Beachtung erfährt, solange sie in einem Mindestmaß vorhanden ist. Dies erklärt zugleich, weshalb sich auch Unternehmen oftmals keine Gedanken um die Gesundheit ihrer Mitarbeiter machen, wenn die vorhandene Gesundheit zur Leistungserbringung ausreicht oder genügend Menschen auf dem Arbeitsmarkt verfügbar sind. Die Definition verweist insoweit zutreffend darauf, dass Gesundheit nicht vollständig mit einer nur pathogenen Sichtweise erfasst wird, sondern es auch der salutogenen Betrachtung bedarf.
Dies greift auch Gadamer (1993, 143 f.) auf und er führt aus, dass Gesundheit trotz aller Verborgenheit in einer Art Wohlgefühl zutage trete, das dazu führe, dass Menschen unternehmungsfreudig, erkenntnisoffen und selbstvergessen seien und selbst Strapazen und Anstrengungen kaum spürten. Diese Definition spielt im betrieblichen Kontext insoweit eine Rolle, als es natürlich nicht um Gesundheit als Haupt- oder Selbstzweck, sondern um Gesundheit als Beitrag zur Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter geht. Für sich genommen greift sie jedoch insoweit zu kurz, weil etwa z. B. der alleinige Blick auf Fehlzeiten im Kontext eines betrieblichen Gesundheitsmanagements keine Aussagen über das Engagement und die Leistungsfähigkeit der Anwesenden zulässt.
Es ist daher angezeigt, für den vorliegenden Kontext einer auch gesundheitswissenschaftlichen Fragestellung die obigen Definitionen durch die Beschreibung Hurrelmanns zu ergänzen (Hurrelmann und Richter 2013, 139-146), wonach Gesundheit ein nicht selbstverständliches Gleichgewichtsstadium zwischen Risiko- und Schutzfaktoren ist, das einerseits dazu führt, dass sich Sinn und Freude, eigene Kompetenzen und Leistungspotentiale entfalten und die Bereitschaft steigt, sich gesellschaftlich zu integrieren und zu engagieren, wobei andererseits dieses Gleichgewicht zu jedem lebensgeschichtlichen Zeitpunkt immer erneut in Frage gestellt wird. Mit dieser Definition wird Gesundheit als ein dynamisches Geschehen verstanden. Zugleich stellt sich damit dem modernen Verständnis eines betrieblichen Gesundheitsmanagements die Aufgabe, auf Veränderungen und ihre gesundheitlichen Auswirkungen zu reagieren und immer wieder bestehende Zustände in Frage zu stellen und sie zum Wohle der Beschäftigten und der Organisation weiterzuentwickeln.
Aus allen Definitionen ergibt sich damit als zweite wesentliche Bedingung für eine gesundheitsfördernde Unternehmenskultur, dass Gesundheit im betrieblichen Kontext salutogen betrachtet werden muss. Eine rein pathogene Sichtweise, die sich wie etwa der traditionelle Arbeitsschutz und die Medizin hauptsächlich mit Gefahren und Belastungen beschäftigt, die negative Folgen für die Gesundheit von Mitarbeitern haben, greift zu kurz. Eine pathogene Sichtweise hat auch in einer gesundheitsfördernden Unternehmenskultur ihre Berechtigung, weil selbstredend auch sie Belastungen abbauen oder zumindest reduzieren sollte. Hierzu gehören neben quantitativen Anforderungen vor allem die Arbeitsintensität (Zeitdruck, Fristen, Geschwindigkeit), physische und psychosoziale Anforderungen (Eichhorst et al. 2016, 17-18.; Lohmann-Haislah 2012, 107108). Eine allein pathogene Sichtweise ist jedoch nicht ausreichend, denn sie ist vergangenheitsorientiert und beantwortet in erster Linie die Frage, was zu vermeiden ist und verhindert, dass salutogene Potenziale ausgeschöpft werden.
Eine gesundheitsfördernde Unternehmenskultur ist deshalb salutogen ausgerichtet und geht weit über rein pathogen-vermeidende Einstellungen und Maßnahmen hinaus. Sie versteht Gesundheit als dynamisches Prozessgeschehen und will salutogene Potenziale erschließen.
2.4.3 Typen gesundheitsfördernder Unternehmenskulturen
Die dritte Bedingung für die Existenz einer gesundheitsfördernden Unternehmenskultur betrifft die in der Praxis wichtige Frage, welche Aspekte bei organisatorischen Rahmenbedingungen berücksichtigt werden müssen, die über die vom Treiber „immaterielle Arbeitsbedingungen" erfassten gerade in gesundheitlicher Hinsicht hinausgehen.
Ausgangsüberlegung ist dabei, dass es in Unternehmen verschiedene Haltungen zum Thema Gesundheit und zu dem Verständnis von einer gesundheitsfördernden Unternehmenskultur gibt. So zeigen Hinding et. al diese Unterschiede in Untersuchungen auf und beschreiben drei Typen gesundheitsfördernder Unternehmenskulturen (2010, 272-275).
Hiernach ist der erste Typus dadurch gekennzeichnet, dass vorwiegend die körperliche Gesunderhaltung das Ziel ist, um die Arbeitsfähigkeit der Mitarbeiter zu erhalten. Es werden Gesundheitsangebote vermittelt, die aber meist vom Arbeitnehmer selbst finanziert werden müssen und im Leistungsumfang dem Portfolio der Krankenkassen entsprechen. Die Konzentration richtet sich hier auf die Vermeidung der klassischen Gefährdungen im Sinne des Arbeits- und Gesundheitsschutzes.
Der zweite Typus sieht die Arbeit bereits ganzheitlicher und hat zum Ziel, dass Mitarbeiter nicht nur gesund sein, sondern sich auch wohlfühlen sollen; das Zusammenspiel körperlicher und psychischer Faktoren wird hierbei schon stärker betont. Reine Kassenleistungen werden hier bereits oft durch aufwendige Zusatzmaßnahmen ergänzt, Mitarbeiter und ihre Ideen werden eingebunden, Angebote finden meist während der Arbeitszeit statt und sind kostenneutral.
Der dritte Typus verfügt über eine sehr werte- und mitarbeiterorientierte Unternehmenskultur mit einem eigenen Gesundheitsmanagement. Die Beschäftigten sollen hier nicht nur gesund sein und sich wohlfühlen, sondern sie sollen darüber hinaus auch direkte Fürsorge durch den Arbeitgeber erfahren. Sicherheit und Gesundheit werden über die gesetzlichen Bestimmungen hinaus als ein hoher Wert im Unternehmen anerkannt und es werden entsprechende Strukturen und Förderinstrumente geschaffen. Der Betrieb sieht sich deutlich in der Verantwortung für die Gesundheit der Mitarbeiter und das Angebot geht über körperliche Maßnahmen hinaus. Dabei haben alle Mitarbeiter Zugriff auf die gleichen Leistungen, wobei die Maßnahmen für die Mitarbeiter oft kosten- und zeitneutral sind (Hinding et al. 2010, 272, 274).
Im Ergebnis bestätigt auch diese Typisierung zunächst bereits die zuvor (Kap. 2.4.2.) genannte Bedingung, dass sich eine gesundheitsfördernde Unternehmenskultur der salutogenen und nicht nur rein pathogenen Sichtweise von Gesundheit bedienen sollte. Darüber hinaus ergeben sich aus diesen Beschreibungen wesentliche organisatorische Rahmenbedingungen. Eine gesundheitsfördernde Unternehmenskultur erweist sich nach alldem als umso stärker, je mehr sich das Unternehmen in der Verantwortung für die Gesundheit seiner Mitarbeiter sieht und dies etwa darin zum Ausdruck kommt, dass angebotene Maßnahmen vom Betrieb organisiert werden und für Mitarbeiter kosten- und zeitneutral sind, d. h. in aller Regel ohne eigene Kosten in der Arbeitszeit wahrgenommen werden können. Inhaltlich ist es gesundheitsförderlich, wenn die angebotenen Maßnahmen über das Minimalprogramm der Krankenkassen hinausgehen, sowohl die physische als auch die psychische Gesundheit ansprechen und explizit auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter des Unternehmens ausgerichtet sind, um deren konkrete salutogene Potenziale zu fördern.
2.4.4 Der Reifegrad eines Unternehmens nach dem Graves-Value-Mo- dell
Alle bisher genannten Bedingungen zeigen zugleich auf, dass Unternehmen im Hinblick auf die Ausprägung ihrer gesundheitsfördernden Unternehmenskultur Entwicklungspotenziale haben: Sie können mit gezielten Maßnahmen die Ausprägung ihrer Treiber qualitativ verbessern (Kap. 2.4.1), sie können ihre pathogene Sichtweise zu einer salutogenen verändern (Kap. 2.4.2) und auch ihre organisatorischen Rahmenbedingungen gesundheitsförderlicher gestalten (Kap. 2.4.3). Aus all dem ergibt sich schließlich als vierte und letzte Bedingung, dass Unternehmen einen bestimmten Reifegrad in ihrer Entwicklung aufweisen müssen, welcher sie erst für eine bestimmte Ausprägung einer gesundheitsfördernden Unternehmenskultur qualifiziert. Grundlegend für eine derartige Zuschreibung eines Reifegrades ist das sog. Graves-Value-Modell, das im Folgenden zunächst dargestellt wird (2.4.4.1), bevor es mit den verschiedenen Ausprägungen einer gesundheitsfördernden Unternehmenskultur in Verbindung gebracht (2.4.4.2) und schließlich die Rolle eines betrieblichen Gesundheitsmanagements beleuchtet wird (2.4.4.3).
2.4.4.1 Reifegrade von Unternehmen
Das Graves-Value-Modell basiert auf den Forschungen des US-amerikanischen Psychologen Clare W. Graves, der die Entwicklung von Werten in sozialen Systemen im Kontext zur Umwelt untersuchte und feststellte, dass es Zusammenhänge zwischen den gelebten Werten und der Entwicklungsfähigkeit eines sozialen Systems gibt, wobei alle soziale Systeme den gleichen Veränderungspfaden folgen und keine Stufe übersprungen werden kann (Bär et al. 2015, 32).
Die Autoren Bär et. al (2015) passen die Reifegrade aus dem Modell von Graves auf Unternehmen an und formen so ein Modell, dass Unternehmenskultur verstehbar macht und beschreibt, welche Merkmale eine bestimmte Kulturstufe bzw. ein bestimmter Reifegrad aufweist und welche Entwicklungen unter welchen Bedingungen möglich sind.
Nach diesem Modell kommt es bei der stufenförmigen Entwicklung (den sog. Reifegraden) zu einem Wechsel zwischen individual- und gruppenbezogenen Phasen. Die Stufen bauen aufeinander auf und werden jeweils durch erworbene Fähigkeiten sowie durch Denk- und Verhaltensweisen (Werte) repräsentiert (Bär et al. 2015, 24). Wegen der zum Teil erheblichen Unterschiede zwischen den Stufen wird deutlich, welch erhebliche Leistung eine Werteentwicklung darstellt und dass ein Wandel insoweit für viele Unternehmen eine grundlegende Veränderung bedeutet.
In der ersten Stufe ist zentrales Thema das Überleben. Im organisationalen Kontext finden sich hier z. B. Tagelöhner ohne soziales Sicherungssystem. Auf der zweiten Stufe arbeiten sog. „Stammesmenschen" in Gruppen und schaffen Rituale. Als essentielle Werte dieser Stufe gelten Schutz und Zugehörigkeit. In der dritten Stufe, einer individualbezogenen Ebene, zeichnen sich Organisationen durch Verleihung von Trophäen und Ad-Hoc Belohnungen aus, nutzen Machtinstrumente, haben Parallelorganisationen und hierarchische Ordnungen mit sehr breiten Führungsspannen. Wesentliche Werte sind hier Marktmacht, Unabhängigkeit, Gewinn um jeden Preis, Bewunderung, Respekt und der eigene Vorteil bei der Führungskraft; die Machtkonzentration bei der Führungskraft bedingt auf der Mitarbeiterebene den „Kampf ums Überleben" und die Vermeidung von Schande. Auf der vierten Stufe, einer gruppenbezogenen Ebene, sind die zentral gelebten Werte Ordnung, Sicherheit, Gerechtigkeit, Rang, Schuld und Unschuld. In Organisationen der vierten Stufe gibt es feste Zuständigkeiten, funktionale Gliederungen, Ränge und Titel, feste Regeln und es wird über Recht und Unrecht geurteilt. Aus einer hohen Bedeutung von Loyalität als Wert folgt die Intention, Mitarbeiter möglichst langjährig zu binden. In der fünften Stufe, die wiederum individualbezogen ist, spielen sowohl der persönliche als auch der Gesamterfolg eine entscheidende Rolle und es geht um die Werte Freiheit, Akzeptanz und Verantwortung. In Unternehmen dieser Stufe finden sich variable Gehaltssysteme, Prozessoptimierung, Key-Performance-Indicators (KPIs), Balanced Score Cards (BSC) und neue Rollen. Die sechste, erneut gruppenbezogene Stufe ist gekennzeichnet durch die Werte Toleranz, Gemeinsamkeit, Verantwortung für andere und Konsens. Im organisationalen Kontext geht es um gelebte Vielfältigkeit im Sinne von Integration an Stelle von Assimilation, Anreizsysteme für gemeinsamen Erfolg, geteilte Verantwortung und Abschaffung von Titeln. Die siebte Stufe ist wieder individualbezogen und die dort gelebten Werte sind Wissen, Unabhängigkeit, Individualität und Freiheit. Im organisationalen Kontext gibt es eine Governance für die zielgerichtete Arbeit in Netzwerken. Zudem werden Kompetenzen herausgestellt, gewürdigt und unterschiedliche Strukturen zielgerichtet eingesetzt. In der achten und letzten (gruppenbezogenen) Stufe sind die gelebten Werte gesellschaftlicher und ökologischer Sinn im Gesamtzusammenhang. Im organisationalen Rahmen bedeutet dies eine übergreifende Planung, die über die Unternehmensgrenzen hinausgeht und nachhaltig das soziale Gleichgewicht schützt (Bär et al. 2015, 28).
2.4.4.2 Gesundheitsfördernde Unternehmenskultur in Abhängigkeit vom Reifegrad
Blickt man nun ausgehend von den oben dargestellten wesentlichen Bedingungen einer gesundheitsfördernden Unternehmenskultur auf dieses Modell und bringt es zugleich mit dem zuvor ebenfalls dargestellten Typenmodell Hindings in Verbindung (Kap. 2.4.3) zeigt sich, dass ein Unternehmen zunächst mindestens den Reifegrad der vierten Stufe im Graves-Value-Modell erreicht haben muss, bevor eine gesundheitsfördernde Unternehmenskultur überhaupt auch nur eine reelle Entwicklungschance hat. Denn wie gezeigt geht es bei Unternehmen, die sich auf den ersten drei Stufen des Modells befinden, um basale menschliche Grundwerte wie Überleben, Schutz und Zugehörigkeit sowie - ab der Stufe 3 - um Macht, Unabhängigkeit, „Gewinnen und Verlieren". Bis zu dieser Stufe werden Mitarbeiter begriffen als ein Heer von austauschbaren Arbeitern (Bär et al. 2015, 80). Hieraus folgt, dass die Bindung von Mitarbeitern, ihre Gesunderhaltung und ihr Wohlergehen noch überhaupt nicht im Fokus des Unternehmens stehen und deshalb keinen Anlass für diesbezügliche Investitionen darstellen Erst ab der vierten Stufe sind Ansatzpunkte für eine gesundheitsfördernde Unternehmenskultur denkbar, die sich - in etwa dem ersten Typus im Modell Hindings entsprechend, der sich zentral auf eine in erster Linie pathogen ausgerichtete Vermeidung von Belastungen und Gefahren konzentriert - dem Erhalt der Arbeitsfähigkeit widmet. Dies erklärt sich damit, dass zentrale Werte dieser Stufe wie Ordnung und Sicherheit, sowie Schuld und Unschuld dazu führen, dass Sicherheit hergestellt und Fehler vermieden werden sollen. Dies eröffnet Raum für gesundheitsfördernde Maßnahmen, die Arbeitsfähigkeit sichern und Mitarbeiter möglichst langjährig binden sollen, weil dies dem existentiellen Überleben des Unternehmens dient.
Befindet sich ein Unternehmen auf dem fünften Reifegrad des Graves-Value-Modell bestehen aus gesundheitlicher Sicht die Gefahr von Selbstausbeutung und Organisationspathologien wie Burnout, weil Leistung im Vordergrund steht, für die eine materielle Belohnung erwartet und gewährt wird, und ein hoher individueller und unternehmerischer Erfolgsdruck herrscht. Zudem ist Zielorientierung ein wesentliches Prinzip und es geht um höhere Geschwindigkeiten und bessere Ergebnisse. Die Bindekraft von Unternehmen auf dieser Ebene schwindet, weil Mitarbeiter zwar stolz sind, für ein gutes Unternehmen zu arbeiten, jedoch wechseln, wenn andere Unternehmen größeren Erfolg oder ein höheres Einkommen bieten.
Weil Leistungssteigerung und Erfolg so wichtige Ziele dieses Reifegrades sind, reicht es nicht mehr allein aus, auf eine pathogen ausgerichtete Gesundheitsfürsorge im Unternehmen zu setzen, sondern es werden salutogene Angebote benötigt, damit die Mitarbeiter die von ihnen selbst gewünschte und vom Unternehmen erwartete Leistung erbringen können. Zwar handelt es sich insoweit um eine leistungsorientierte Mitarbeiter- und Gesundheitsförderung, aber es werden Angebote möglich und unterbreitet, die denen der Gesundheitskultur des Typus 2 im Modell von Hinding et al. entsprechen, d. h. es geht darum, dass Angebote über Mindeststandards hinausgehen, bereits auch das psychische Wohlbefinden umfassen und zumindest ansatzweise zeit- und kostenneutral für die Mitarbeiter sind. Zugleich können Unternehmen damit die schwindende Kraft, ihre Mitarbeiter an sich zu binden, teilweise kompensieren.
Erst jedoch in einem Unternehmen des sechsten Reifegrades können die Bedingungen einer gesundheitsfördernden Unternehmenskultur nachhaltig installiert und umgesetzt werden. Auf dieser Stufe arbeiten die Mitarbeiter eines Unternehmens als Team zusammen und die geschäftliche Orientierung ändert sich hin zu einer langfristigen und nachhaltigen Betrachtungsweise. Erst hier werden hierarchische Strukturen zunehmend aufgelöst und die Zusammenarbeit wird geprägt durch stärkere Flexibilisierung, Wertschätzung der anderen und ein hohes Maß an Integration. Neben dem nach wie vor wichtigen Erfolg kommen die Werte Toleranz, Gemeinsamkeit und Verantwortung für andere hinzu. Zudem wird der Mitarbeiter auf dieser Stufe - erstmals im Modell - als Kernressource gesehen, der Erfolgs- und nicht nur Kostenfaktor ist (Bär et al. 2015, 88).
Bei diesen Ausgangsbedingungen wird es möglich, dass Unternehmen eine gesundheitsfördernde Unternehmenskultur installieren, die der Beschreibung des Typus 3 im Modell von Hin- ding et al. entspricht. Denn erst, wenn der Mensch als Erfolgs- und nicht nur Kostenfaktor wertgeschätzt wird, eine werteorientierte Mitarbeiterförderung existiert und die Zielorientierung nicht auf kurzfristigen Gewinn, sondern nachhaltig und langfristig ausgerichtet ist, wird ein Unternehmen bereit sein, in Maßnahmen zu investieren, die weit über gesetzliche Mindeststandards und Kassenleistungen hinausgehen, das physische und psychische Wohlergehen ihrer Mitarbeiter im Blick haben, langfristig salutogene Potenziale erschließen sollen und für die Mitarbeiter kosten- und zeitneutral sind. Hierdurch wird zugleich erreicht, dass individuelles Wachstum der Mitarbeiter mit dem organisationalen Wachstum des Unternehmens im Einklang steht.
2.4.4.3 Folgerungen für die Rolle eines BGM
Aus den soeben dargestellten Überlegungen folgt für die Rolle eines betrieblichen Gesundheitsmanagements, das auf dem Sozialkapitalansatz beruht, dass es wohl erst ab der sechsten Stufe eine Chance hat, seine volle Wirkung zu erzielen.
Dies ergibt sich daraus, dass, wie soeben gezeigt, die Notwendigkeit von Ressourcen, Investitionen und Spezialisierung auf eine Gesundheitsförderung in dem Maße steigt, wie Unternehmen reifen und je mehr sie eine gesundheitsfördernde Unternehmenskultur ausbauen wollen. Anders gesagt: Für eine rein pathogene Belastungsvermeidung in einem Unternehmen des vierten Reifegrades wäre ein hochqualifiziertes BGM „überbesetzt", auf der anderen Seite wird das Vorhaben, in einem Unternehmen des sechsten Reifegrades eine nachhaltige, salutogene Ausrichtung einer gesundheitsfördernden Unternehmenskultur auf breiter Basis zu installieren, nur mit entsprechend qualifizierten und im BGM erfahrenen Experten zu leisten sein.
Ausgehend von der Überlegung jedoch, dass der Wandel eines Unternehmens gerade vom fünften hin zum sechsten Reifegrad kein selbstverständlich-ungesteuerter autopoietischer Entwicklungsschritt ist, sondern - wie das anschließende Kap. 2.5 zeigen wird - eines systematisch begleiteten Kulturwandels bedarf, erscheint es sinnvoll, ein qualifiziertes BGM bereits in Unternehmen der fünften Stufe zu installieren, damit es zuständige Experten gibt, die diesen Transformationsprozess steuernd begleiten. Hinzu kommt, dass dieser Entwicklungsschritt das reine Gewinnstreben der fünften Stufe begrenzt, so dass es auch systemisch gedacht im Unternehmen Akteure geben muss, die diese für eine nachhaltige Entwicklung hin zur nächsten Stufe notwendige Position vertreten, stärken und mit Maßnahmen fühlbar umsetzen.
Dies kann gelingen, wenn ein BGM sich zum Ziel setzt, eine Kultur der vertrauensvollen Kooperation aufzubauen und zur kontinuierlichen Verbesserung der kulturellen und sonstigen Rahmenbedingungen, des Wohlbefindens der Mitarbeiter, der Führungskultur und des Arbeitsklimas beizutragen. Badura und Ehresmann schlagen dazu vor, spezifische, brückenbildende Werte und einfache Spielregeln zu formulieren, Transparenz, Beteiligung und Selbstorganisation durch flache Hierarchien, Dezentralisierung und Delegation von Verantwortung zu fördern, Führungskräfte dementsprechend auszuwählen und zu qualifizieren und die Sozial- und Gesundheitskompetenz bei allen Beschäftigten kontinuierlich zu entwickeln. Methodisch tragen dazu etwa regelmäßige Organisationsdiagnosen (z. B. durch Fehlzeitenstatistiken, BEM-Statistiken, Mitarbeiter- befragungen, u. a.) sowie die Entwicklung von Kennzahlen zum Controlling der Unternehmenskultur und der Gesundheit der Führungskräfte und Mitarbeiter bei (Badura und Ehresmann 2016, 92).
Doch selbst in Unternehmen, die sich noch im vierten oder im unteren Bereich des fünften Reifegrades befinden, ist zu beachten, dass Maßnahmen der BGF, die weder den Nachhaltigkeits- noch den Komplexitätsanspruch eines BGM haben müssen, erste sinnvolle Entwicklungsschritte hin auf dem Weg zu einer gesundheitsfördernden Unternehmenskultur begleiten können. Sie können insoweit die Funktion eines „Türöffners" auf dem Weg hin zu einem BGM haben. Dies setzt jedoch voraus, dass sie Erfolge nachweisen können, weil Unternehmen der vierten und fünften Stufe mit der ihnen je eigenen Sicherheits- und Erfolgsorientierung einen deutlichen ROI benötigen - sei es z. B. in Unfallzahlen, Fehlzeiten oder ersparten Kosten -, um Investitionen in eine BGF bzw. ein BGM weiterhin zu rechtfertigen.
Aus alldem folgt, dass der Ansicht Goldgrubers, dass die Etablierung einer gesundheitsfördernden Unternehmenskultur als ein erstrebenswertes, jedoch schwierig zu bewerkstelligendes und damit gleichsam sozialromantisches Unterfangen begriffen werden müsse (Goldgruber 2008, 295), entgegengetreten werden muss. Denn die obigen Ausführungen zeigen deutlich, dass die Entwicklung einer gesundheitsfördernden Unternehmenskultur reale Erfolge ermöglichen kann, die sich sowohl auf betriebswirtschaftliche Ergebnisse als auch die Gesundheit der Mitarbeiter beziehen und die in ihren Wirkungen auch sowohl theoretisch erklärbar als auch empirisch belegbar sind. Allein der Umstand, dass es schwierig zu bewerkstelligen sein mag, macht es nicht zu einem sozialromantischen Unterfangen, sondern fordert lediglich dazu auf, sich auch den Weg hin zu einer gesundheitsfördernden Unternehmenskultur - mithin den Weg des Wandels - genauer anzusehen.
2.5 Der Wandel von Unternehmenskultur
Wenn, wie im vorangegangenen Kapitel gezeigt, ein bestimmter Reifegrad eines Unternehmens Voraussetzung für eine gesundheitsfördernde Unternehmenskultur ist, stellt sich in der praktischen Arbeit zunächst die Aufgabe in Erfahrung zu bringen, welchen Reifegrad ein Unternehmen hat und welcher Typus einer gesundheitsfördernden Unternehmenskultur auf Basis dieses Reifegrades möglich ist. Perspektivisch kommt sodann die Frage hinzu, ob eine Weiterentwicklung hin zu einem höheren Typus bzw. Reifegrad möglich ist. Insoweit geht es um die Voraussetzungen eines Wandels von Unternehmenskultur, der im folgenden Abschnitt dargestellt wird, indem zunächst die Frage der Möglichkeit eines Kulturwandels diskutiert wird (Kap. 2.5.1), bevor modellhafte Abläufe eines Kulturwandels vorgestellt (Kap. 2.5.2) und kritische Punkte, die für ein gelingendes Transformationsmanagement zu beachten sind, dargestellt werden (Kap. 2.5.3).
2.5 Der Wandel von Unternehmenskultur
2.5.1 Möglichkeit eines Kulturwandels
Zwar gibt es in der Literatur Stimmen, die davon ausgehen, dass der systematische und zielgerichtete Wandel einer Unternehmenskultur nicht möglich sei, weil sie als nicht formbar und gegeben verstanden werden müsse (Davies et al. 2000) und Kultur ein Phänomen sei, dass sich unweigerlich ändere (Reisyan 2013, 112).
Dagegen spricht jedoch, dass bereits der Begriff Kultur seinem ursprünglichen lateinischen Wortsinn nach einen gezielten Eingriff des Menschen in eine vormals unberührte, sich selbst überlassene Natur bedeutet (Badura und Ehresmann 2016, 83). Auch das im vorangegangenen Kapitel vorgestellte Graves-Value-Modell geht von der Möglichkeit eines systematischen Kultur- und Wertewandels aus. Zudem zeigt etwa die empirische Untersuchung von Baumanns & Münch, dass mittels gezielter Interventionen eine Erhöhung des Sozialkapitals möglich ist (Baumanns und Münch 2010, 165-180, vgl. auch Kap. 2.3.3), was zumindest in Ansätzen auch eine Veränderung der Unternehmenskultur beinhaltet haben dürfte.
Insoweit Macharzina und Wolf die Auffassung vertreten, dass Kultur zwar beeinflussbar sei, derartige Eingriffe jedoch unethisch und darüber hinaus dysfunktional sein könnten (Macharzina und Wolf 2008, 243), muss dem kritisch entgegengehalten werden, dass ein Wandel mit einer wie oben ausgeführt salutogenen Zielsetzung nicht nur durchaus ethisch vertretbar ist und gerade einen Abbau dysfunktionaler Anteile in einer Unternehmenskultur anstrebt. Überdies ist es vielmehr so, dass ein systematischer Kulturwandel sogar ethisch geboten sein kann angesichts des Umstandes, dass bei bestehenden Problemen ein nur reaktives Herangehen oder Unterlassen eines notwendigen Wandels der Unternehmenskultur für Unternehmen und Mitarbeiter verheerende Folgen haben kann (Schein und Hölscher 2010, 80).
All dies spricht dafür, dass ein Wandel möglich und u. U. ethisch geboten ist. Darüber hinaus erscheint er angesichts der aktuellen Entwicklung der Wirtschafts- und Umweltbedingungen auch notwendig. Denn gerade in Unternehmen, die hoch innovative und komplexe Produkte oder Dienstleistungen anbieten, wird es wegen des zunehmenden Mangels an hinreichend qualifizierten Fachkräften mehr und mehr darum gehen, in die strategischen Ziele neben der Steigerung von Umsatz, Erfolg und Kostensenkung auch die Bindung der Mitarbeiter einzubeziehen (Bär et al. 2015, 86). Unabhängig von äußeren Bedingungen kann sich das Bedürfnis nach einem Kulturwandel darüber hinaus auch aus dem inneren Bestreben einer Organisation heraus ergeben, Sozialkapital zu erhalten oder zu fördern (Kockert 2014, 197).
[...]
1 Die Begriffe Unternehmenskultur und Organisationskultur beschreiben in der Literatur das gleiche Phänomen. Sie werden deshalb in der vorliegenden Arbeit synonym verwendet. Zur genauen Begriffsklärung vgl. Kap. 2.2.
2 Eine Forschungsübersicht dazu findet sich bei Sackmann2006 und bei Baetge 2007.
3 Eine Übersicht zu einer Vielzahl weiterer Modelle findet sich bei Wien und Franzke 2014.
4 ProSoB ist ein Akronym für Produktivität von Sozialkapital in Betrieben.
5 In der vorliegenden Arbeit ist stets der subjektive Gesundheitszustand gemeint; er beruht nicht auf einer gesonderten objektiven Diagnostik. Dies stellt jedoch deshalb kein Problem dar, weil aktuelle Studien belegen, dass die subjektive Einschätzung des eigenen Gesundheitszustandes sogar hinsichtlich der Mortalität eine höhere Vorhersagewahrscheinlichkeit besitzt als objektive Kriterien wie Diagnosen und Befunde (Wurm et al. 2010, 79-80).
- Arbeit zitieren
- Volker Kleinert (Autor:in), 2017, Einführung einer gesundheitsfördernden Unternehmenskultur auf Basis des Bielefelder Unternehmensmodells in einem Kleinunternehmen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1009837
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