Die erste Buchausgabe des Romans „Homo faber“ von Max Frisch erschien am 30. September 1957 und somit fast zeitgleich zum Start des ersten Weltraumsatelliten - dem Sputnik. Technischer Fortschritt prägte damals das Bewusstsein vieler Menschen. So kann man den Roman als Auseinandersetzung mit der durch den Sputnik-Schock ausgelösten Zweiten Industriellen, der Technologischen Revolution verstehen. Der Romantitel und damit der „sprechende“ Name des Ingenieurs Walter Faber (lat. Faber = Handwerker) wird vom Autor selbst als Macher-Mensch erläutert. Der Macher und Techniker ist der Mensch, der die Natur verwertet: Wasserfälle als Elektrizität, Wälder als Bauholz, Gebirge als Ressourcenquellen. Die Auseinandersetzung mit dem technischen Fortschritt spielt heutzutage eine umso wichtigere Rolle, weil wir wissen, dass Luft, Wasser und Energie nicht unbegrenzt vorhanden sind. Es kommt eher darauf an, die Natur zu bewahren als sie auszunutzen. Ein weiteres aktuelles Problem, das Frisch in Homo faber anspricht, betrifft den zwischenmenschlichen Bereich. Der Mensch des 20. Jahrhunderts lebt in einer Gesellschaft mit hochdifferenzierter Arbeitsteilung. Er ist im Arbeitsprozess selbst fremdbestimmt, seine Privatsphäre ist von deröffentlichkeit getrennt. Wertvorstellungen sind nicht mehr allgemein gültig, sondern je nach Gruppenzugehörigkeit verschieden. Der einzelne Mensch versucht, sich so zu verhalten, wie man es in unterschiedlichen Situationen von ihm erwartet. Für Frisch bedeutet dies, sich ein Bildnis, eine bestimmte Vorstellung, von einem Menschen zu machen und gewisse Ansprüche und Zumutungen an ihn zu richten. Das Verbot der Zehn Gebote, sich ein Bildnis von Gott zu schaffen, wendet Frisch auf den Menschen an. Für ihn ist es ein Zeichen der „Nicht-Liebe“, ein fertiges Bild von Mitmenschen zu besitzen. Dieser wird dadurch in eine Rolle hineingezwängt, die er zu spielen hat wodurch seine Persönlichkeit unterdrückt wird. Walter Faber will sich selbst als Techniker sehen und meint, dass auch seine Mitmenschen ihn als solchen wahrnehmen müssten. In der verinnerlichten Rolle als Techniker denkt er, das Leben sei planbar und so genannte Zufälle seien nur mithilfe der Statistik und Stochastik zu erklären. Des weiteren besitzt Faber ein sehr stark ausgeprägtes Bild gegenüber Männern und Frauen. Er lebt fast sein gesamtes Leben nach einem selbst- konstruierten Trugbild, was er jedoch als selbiges noch vor seinem Tod identifiziert und sich eingesteht, falsch geurteilt zu haben. Diese expliziten Männer- sowie Frauenbilder möchte ich im folgenden Teil näher behandeln und auf ihre Bedeutung im Roman hinweisen.
Walter Faber bezeichnet sich selbst als „Techniker und [ist somit] gewohnt, die Dinge zu sehen, wie sie sind“ (vgl. S.24). Er sieht die Dinge klar in einem rationalen Kontext und beurteilt oder erklärt selbige ohne Einfluss jeglicher Emotionen oder Gefühlseinflüsse, was beispielsweise an folgendem Textbeispiel deutlich wird: „Ich sehe den Mond (...) -] eine errechenbare Masse, die um unseren Planeten kreist, eine Sache der Gravitation, interessant, aber wieso ein Erlebnis?“ (S.24); er begreift nicht, „was die Leute eigentlich meinen, wenn sie von Erlebnis reden“ (S. 24). Faber betrachtet eine Sache nüchtern ohne eine Interpretation abzugeben oder einen Vergleich aus der Natur zu ziehen. Darüber hinaus hält er die „Wissenschaft für ein männliches Monopol (...), überhaupt den Geist“ (S.133). Diese arrogante und sehr sexistische Aussage lässt den Leser auf Fabers Attitüde gegenüber Frauen schließen, sowie dass Faber jegliche Form von Intelligenz dem männlichen Wesen zuschreibt. Die kühle gefühlslose Einstellung die Faber an den Tag legt kommt beispielsweise in Guatemala zur vollen Geltung: anstatt seine Trauer gegenüber eines verschiedenen Jugendfreundes auszudrücken, interessiert ihn vorerst nur, woher das im Hintergrund spielende Radio den nötigen Strom bezieht (S.55).
Im totalen Kontrast zu Walter Fabers Weltanschauung stehen Schicksal und Fügung. Faber selbst glaubt nicht daran, da er „als Techniker [gewohnt ist] mit den Formeln der Wahrscheinlichkeit zu rechnen“ (S.22). Hierbei handelt es sich aber nur um die gewünschte Rolle, was sich gleich im Nachsatz zeigt: „Wieso Fügung? Ich gebe zu: Ohne die Notlandung in Tamaulipas (26.III.) wäre alles anders gekommen; ich hätte vielleicht nie wieder von Hanna gehört.“ (S.23). Er ist selbst nicht komplett von seiner Weltanschauung überzeugt und glaubt teilweise nicht mehr an Stochastik, möchte sich dies selbst aber nicht eingestehen und versucht daraufhin immer alles zu überspielen und sich trotz alledem zurück in die Mathematik zu retten. Ein roter Faden, der sich durch den Bericht zieht und auf selbigen sich Faber immer wieder beruft, um gewisse Dinge zu klären sind seine Statistiken; so versucht er beispielsweise, als seine Tochter von der Schlage gebissen wird, sich selbst und Hanna damit zu trösten, „dass die Mortalität bei Schlangenbiss nur drei bis zehn Prozent beträgt (...).“ (S.135). Er versucht sich selbst mit diesem plumpen technischen Trost über seine innere Pein hinwegzuhelfen und seine Schuldgefühle zu unterdrücken. Faber benutzt die Mathematik nur, um seinen Inneren Frieden zu erhalten beziehungsweise wiederherzustellen, als er beispielsweise Sabeths Geburtstag genau so ausrechnet, dass sie rein theoretisch nicht seine Tochter sein könnte (S. 121). Hanna kennt die Komplexe Walters und weißt ihn darauf hin, dass sie ihr Alter nicht aufheben können, indem sie weiter addieren , indem sie ihre eigenen Kinder heiraten. Der Techniker versucht ihrer Meinung nach ohne den Tod zu leben (S.170).
Nach Fabers Assistenzzeit in Zürich hat er die Möglichkeit einen gutbezahlten Job in Bagdad zu bekommen. Nun kommt ihm Hannas Schwangerschaft sehr ungelegen und er erpresst sie nahezu, das gemeinsame Kind abzutreiben. Hier wird deutlich, dass Faber als typischer Techniker „wie jeder wirkliche Mann in (...) [seiner] Arbeit [lebt]“ (S.90) und alles wortwörtlich für selbige aufgibt. Faber versucht äußere Geschehnisse und Bindungen einfach zu verdrängen indem er im Namen seiner Firma sehr viel auf der Welt umherreist. Er versucht durch diesen Atavismus die angestauten Probleme welche sein stereotypisches Weltbild aufwirft, zu kompensieren. Des weiteren denkt Faber, dass es ein Idealbild darstellt, wenn man nach dem „American Way of Life“ lebt. Diese Lebensart definiert sich für Faber aus Leistungsdruck sowie Erfolgsbestreben. Der einzige Weg, zu persönlichem Glück im Leben zu finden stellt der Erfolg und die Aufopferung für die Arbeit dar.
„Im Gegenteil, ich will es nicht anders und schätze mich glücklich, allein zu wohnen, meines Erachtens der einzigmögliche Zustand für Männer (...) es ist der einzigmögliche Zustand für mich“ (S.91f) . Aus diesem Zitat geht Fabers Verachtung gegenüber Mitmenschen hervor. Schon zu Beginn des Romans wimmelt er eine ihm unbeliebte Personen „unhöflich“ (S.8) ab : „[Ich hatte] meinerseits keinerlei Bedürfnis nach Bekanntschaft.“ (S.8). Er hält nichts von Smalltalk und sonstigen Unterredungen da sie ihm als unnötig anspruchsvoll und unnütz erscheinen. Als Faber sagt „Gefühle am Morgen, das erträgt kein Mann“ (S.91) oder „länger als drei Wochen habe ich es nie ertragen (...) nach drei Wochen (spätestens) sehne ich mich nach Turbinen;“ (S.91) wird deutlich, dass Faber mit anderen Leuten nichts anfangen kann und einen klassischen Einzelgänger darstellt - Er ‚erträgt’ es, den minimal nötigen Kontakt zu halten, jedoch kann und will er sich auf längerfristige Bindungen nicht einlassen und sucht daraufhin sofort Trost und Geborgenheit in der Technik.
Die nach den ‚Männergesetzen geordnete Gesellschaft’, wie es Simone de Beauvoirs definierte, welche Frischs Roman zum Teil maßgeblich beeinflusst hat, wird vom ‚überlegenen Mann’ regiert, der dadurch das ‚Subjekt’ darstellt. Walter Faber begreift sich selbst als „das“ Subjekt und leitet daraus den Anspruch ab, über andere bestimmen zu können. So verändert er beispielsweise bei der Bekanntschaft mit seiner Tochter Elisabeth ihren Namen, da ihm dieser missfällt (S. 74). Faber bezeichnet sich selbst als ‚Herrenmensch’ , was während des Guatemala-Aufenthalts deutlich wird, da er ständig die Inkas in einem sehr herablassenden Ton behandelt (S.38f). Da er die Frauen am Beispiel Hanna (S. 132) mit den Inkas vergleicht, die in seinen Augen ein „kindisches“ und „unterentwickeltes“ (S.38,S.10) Volk darstellt und für die er „technische Hilfe“ (S.10) leistet, nimmt er sich heraus zu denken, über den Frauen genauso zu stehen und richten zu können.
Etwas erleben empfindet W. Faber als „weibisch" (S.24). „Warum soll ich erleben was gar nicht ist ?“ (S.25). Hier wird Fabers Hang zur Rationalität sowie seiner Unfähigkeit zu erleben deutlich. Von der Kunst, die Faber „kitschig“ (S.107) findet, ist Sabeth vollkommen „begeistert“. Ihr Kunstbedürfnis drängt (S.107) sie alles anzuschauen, während Faber mit Museen nichts anfangen [kann]" (S.108). Da Hanna noch dazu als Archäologin in einem Museum arbeitet, wird das anvisierte Lebensziel bei Frauen von Faber mit Natur und Kunst gedeutet. Das träumerische in Fabers Augen realitätsferne Wesen der Frau wird ihm bei seiner Tochter bewusst, mit der er den letzten Tag vor ihrem Tod in Griechenland verbringt. Sabeth findet, dass „die weißen Hütten von Korinth“ aussehen, „wie wenn man eine Dose mit Würfelzucker ausgeleert hat“ (S.151) . Des Weiteren sucht sie einen Vergleich mit einer „schwarze[n] Zypresse“ - „Wie ein Ausrufezeichen!“ (S.151) . Faber, der mit diesem Vergleich (noch) überhaupt nichts anfangen kann meint, dass „Ausrufezeichen [ihre] Spitze (...) nicht oben haben“ (S. 151) und zeigt mit dieser abweisenden Aussage, dass er künstlerische Vergleiche einer Frau missachtet. Die Gleichgültigkeit der Frauen gegenüber dem Beruf steht in totalem Kontrast zu Fabers Berufauffassung. Sowohl seine New Yorker Freundin Ivy als auch seine Tochter und Geliebte Sabeth verlieren kein Wort über ihren Job, was auf Faber den Eindruck macht, dass sie sich nicht genügend um wichtige Dinge kümmern. Da Frauen seiner Meinung nach ihr Leben nicht in die Hand nehmen deutet er die Grundeinstellung der Frau als bedenklich und viel zu sehr glücksorientiert.
,,Je rationaler der Mensch handelt, desto schwerer trifft ihn der Zufall" - anhand von Frischs Roman „Homo faber“ wird einmal mehr deutlich, dass dieses Sprichwort nicht nur so dahingesagt ist. Faber soll uns meiner Meinung nach eine Art Warnung darstellen: er ist eine Person, die von Rationalität und Technikverherrlichung nahezu aufgefressen ist und die ihr ganzes Leben in einem Wahn gelebt hat. Heutzutage haben Menschen zum Glück ein eher gespaltenes Verhältnis zur Technik. Neben vielen positiven Aspekten wie beispielsweise der Fortschritt in Medizin oder Raumfahrt trügen Flugzeugabstürze, Tankerunglücke oder Autounfälle das uneingeschränkte Vertrauen zur Technik und rütteln wach - man darf den Faktor Natur niemals vernachlässigen. Max Frisch, der selbst Techniker war, hat erkannt, wie gefährlich es ist, alles nur in Formeln und Phrasen zu sehen und dabei die Menschlichkeit und das Individuum zu verachten. Der Fortschritt bewegt sich immer weiter von Natur und Mensch weg; in manchen Fällen arbeitet er sogar gegen das Wohl der Menschheit z. B. die Erfindung der Atombombe. Die Menschen verlieren nach und nach ihren Respekt untereinander sowie vor der Natur und darum ist der Bericht „Homo faber" noch längst nicht veraltet - im Gegenteil : er spricht das brisanteste zeitloseste Problem unserer Welt an : Die Menschheit selbst.
- Arbeit zitieren
- Marcus Augustine (Autor:in), 2001, Frisch, Max - Homo Faber - Männer- und Frauenbilder, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/100862
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