Diese Arbeit befasst sich mit der Außenpolitik Bismarcks zwischen 1871 und 1875. Am Gegenstand der Mission Radowitz und der darauffolgenden "Krieg-in-Sicht"-Krise wird diese Außenpolitik betrachtet. Zu Beginn dieser Arbeit erfolgt eine Einordnung des jungen Deutschen Kaiserreiches in das europäische Staatensystem von 1871. Dieses Mächtekonzert bildet den Rahmen für die politischen Handlungen der Akteure im Betrachtungszeitraum. Im Folgenden wird Bismarcks Bündnispolitik mit Österreich-Ungarn und Russland im Zeitraum von 1872 bis 1875 betrachtet.
Diese Betrachtung der deutschen Position im Mächtekonzert und der Bismarckschen Außen- und Bündnispolitik bildet die Grundlage für den Schwerpunkt der Arbeit. In diesem Schwerpunkt befindet sich die Betrachtung der Mission Radowitz und die daraus resultierende "Krieg-in-Sicht"-Krise. Anhand dieser Ereignisse soll die Außenpolitik Bismarcks analysiert werden, um anschließend die Frage beantworten zu können, welche Lektionen Bismarck aus den Jahren 1871 bis 1875 und besonders aus der "Krieg-in-Sicht"-Krise für seine zukünftige Außenpolitik zog.
Der Zeitungsartikel der Berliner Post vom 9. April 1875 mit dem Titel "Ist der Krieg in Sicht?" leitete die Krise ein, welche der Forschung einige Rätsel aufgegeben hat. Das Ende der Krise trat zwar schon nach wenigen Wochen ein, bescherte es Bismarck jedoch eine herbe diplomatische Niederlage. Dieses Kapitel ist damit insofern bedeutend, als es nicht dem gängigen Bild der Bismarckschen Politik entspricht, als die dominierende politische Persönlichkeit der Zeit, sondern den Reichskanzler mit dem Rücken zur Wand zeigt.
Sein Deutsches Reich war für den Augenblick außenpolitisch isoliert und stand erneut einem wiedererstarkten Frankreich gegenüber, welches England und Russland auf seiner Seite wägte. Bismarcks "cauchemar des coalitions" war für den Moment eingetreten. Es blieb ihm keine andere Wahl, als seine politische Niederlage anzuerkennen und solche Katastrophen künftig zu verhindern. Dass in diesem Moment auch schon die Kriegskoalitionen von 1914 aufblitzten, blieb eine Randerscheinung der Krise.
Inhalt
1 Einleitung
2 Das Deutsche Kaiserreich im europäischen Staatensystem 1871
3 Bündnispolitik mit Österreich und Russland zwischen 1872-75
4 Die Mission Radowitz
5 „Krieg-in-Sicht“-Krise
6 Folgen
7 Schlussbetrachtung
8 Quellenverzeichnis
9 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Die vorliegende Hausarbeit befasst sich mit der Außenpolitik Bismarcks zwischen 1871 und 1875. Am Gegenstand der Mission Radowitz und der darauffolgenden „Krieg-in-Sicht“-Krise wird diese Außenpolitik betrachtet. Der Zeitungsartikel der Berliner Post vom 9. April 1875 mit dem Titel „Ist der Krieg in Sicht?“ leitete die Krise ein, welche der Forschung einige Rätsel aufgegeben hat. Das Ende der Krise trat zwar schon nach wenigen Wochen ein, bescherte es Bismarck jedoch eine herbe diplomatische Niederlage. Das Kapitel der „Krieg-in-Sicht“-Krise ist damit insofern bedeutend, dass es nicht dem gängigen Bild der Bismarckschen Politik entspricht, als die dominierende politische Persönlichkeit der Zeit, sondern den Reichskanzler mit dem Rücken zur Wand zeigt. Sein Deutsches Reich war für den Augenblick außenpolitisch isoliert und stand erneut einem wiedererstarkten Frankreich gegenüber, welches England und Russland auf seiner Seite wägte. Bismarcks „cauchemar des coalitions“ war für den Moment eingetreten. Es blieb ihm keine andere Wahl als seine politische Niederlage anzuerkennen und solche Katastrophen künftig zu verhindern. Das in diesem Moment auch schon die Kriegskoalitionen von 1914 aufblitzten, bleib eine Randerscheinung der Krise.
Zu Beginn dieser Arbeit erfolgt eine Einordnung des jungen Deutschen Kaiserreiches in das europäische Staatensystem von 1871. Dieses „Mächtekonzert“ bildet den Rahmen für die politische Handlungen der Akteure im Betrachtungszeitraum. Im Folgenden wird Bismarcks Bündnispolitik mit Österreich-Ungarn und Russland im Zeitraum von 1872-75 betrachtet. Diese Betrachtung der deutschen Position im Mächtekonzert und der Bismarckschen Außen- und Bündnispolitik bildet die Grundlage für den Schwerpunkt der Arbeit. In diesem Schwerpunkt befindet sich, wie bereits angesprochen, die Betrachtung Mission Radowitz und die daraus resultierende „Krieg-in-Sicht“-Krise. Anhand dieser Ereignisse soll die Außenpolitik Bismarcks analysiert werden, um anschließend die Frage beantworten zu können, welche Lektionen Bismarck aus den Jahren 1871-75 und besonders aus der „Krieg-in-Sicht“-Krise für seine zukünftige Außenpolitik zog.
2 Das Deutsche Kaiserreich im europäischen Staatensystem 1871
Die Gründung des Deutschen Kaiserreiches, die mit der Kaiserproklamation am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal von Versailles einherging, läutete ein neues Kapitel der europäischen Geschichte ein.1 Unter der Führung von Reichskanzler Otto von Bismarck war es dem Königreich Preußen gelungen seine alleinige Vorherrschaft über den größten Teil Deutschlands zu erringen. Preußen, einst das schwächste Glied der europäischen Großmächte, erkämpfte sich in drei kurzen Kriegen diesen Erfolg und erschuf dadurch ein neues politische „Gravitationszentrum“2 in der Mitte Europas.3 Die Gründung eines neuen Nationalstaates in der Mitte von Europa veränderte das politische Klima in Europa. Die Brisanz in dieser Sache liegt in der Tatsache, dass das Deutsche Kaiserreich den Raum ausfüllte, welcher vorher seit Jahrhunderten nur durch ein loses Staatengebilde getragen wurde. Ein neuer Nationalstaat, welcher obendrein durch Kriege und unter der Führung einer europäischen Großmacht entstanden war, regte Misstrauen bei den anderen europäischen Großmächten. Nach der Gründung musste Reichskanzler Bismarck daher den politischen Kurs des Kaiserreiches im Mächtekonzert festlegen und das Kaiserreich sichern.
Dem europäischen Mächtekonzert musste bewiesen werden, dass das Deutsche Reich die Stabilität des kontinentalen Gleichgewichtes nicht gefährde, denn aufgrund seiner neuen Größe, der wirtschaftlichen Kraft und der militärischen Stärke, die man auf den Schlachtfeldern in Frankreich gezeigt hatte, besaß das Deutsche Reich auf dem europäischen Kontinent nun eine halbhegemonielle Stellung. Vor allem die Annexion Elsaß-Lothringens weckte den Argwohn im europäischen Mächtekonzert.4 Daher konnte man nicht annehmen, dass diese preußische Dynamik von Bismarck unter Kontrolle gehalten werden konnte. Bismarck hingegen erklärte das Deutsche Reich als „saturiert“ und versprach keine weiteren territoriale Erweiterungen des Deutschen Reiches vornehmen zu wollen. Im Gegenteil, er versprach das Deutsche Reich werden ein ehrlicher Makler des europäischen Friedens sein. Den Versprechungen des Reichskanzlers mussten jedoch noch Taten folgen.5 Bismarcks Außenpolitik zu Beginn der 1870er Jahre war keinesfalls direkt friedenswahrend ausgelegt. Sie war vielmehr geprägt von Unberechenbarkeiten und wirkte zum einen auftrumpfend zum anderen aber auch wieder beschwichtigend, denn auch der Bismarck musste erst in seine Rolle als Friedenswahrer hineinwachsen.6 Zum Leitmotiv seiner Außenpolitik wurde daher der Erhalt des Deutschen Kaiserreiches in der Mitte der europäischen Mächte und Europa allmählich mit dessen Existenz zu versöhnen.7 Dem Reichskanzler boten sich für seine Ziele grundsätzlich drei Konzepte an um das Deutsche Kaiserreich abzusichern: 1. Es musste ihm gelingen die europäischen Spannungen auf andere Schauplätze verlagern, an denen sich das Deutsche Reich neutral verhalten konnte. 2. Der Generalsstab um General stab schef Moltke favorisierte präventive Militärschläge gegen potentielle Gefahren für das Deutsche Reich. 3. Eine Neugestaltung des Kräftegleichgewichts auf dem Kontinent durch Kompensationsleistungen an Frankreich und Russland.
Alle drei Konzepte dienten Bismarck dazu, mögliche Gegenkoalitionen gegen die deutsche Handlungsfreiheit zu verhindern.8 Bismarck entschied sich jedoch zunächst für keine der Konzepte und versuchte zunächst eine eigene Koalition aus den vier anderen europäischen Großmächten zusammenzustellen.9 Frankreich schied für eine Koalition mit dem Deutschen Reich grundsätzlich aus. Die Niederlage Frankreichs im Krieg von 1871 war für die Franzosen ein schwerer Schlag gewesen und wurde durch die Annexion von Elsaß-Lothringen umso unerträglicher. Der Keim des französischen Revanchegedanken war schon zu Beginn der deutschen Außenpolitik eine schwere Hypothek. Bismarck musste davon ausgehen, dass jede französische Regierung die Revanche gegen das Deutsche Kaiserreich in den Mittelpunkt der französischen Außenpolitik stellen würde. Um diese unmittelbare Gefahr zu bannen, musste Bismarck dafür sorgen, dass Frankreich machtpolitisch geschwächt wurde und bündnispolitisch isoliert blieb.10 Großbritannien schied als Partner ebenfalls aus. In London hatte man zwar die Reichsgründung toleriert, beschränkte sich aber auf eine neutrale Politik gegenüber dem Kaiserreich. Diese Distanz zu kontinentaleuropäischen Angelegenheiten währte bis zum Regierungswechsel 1874.11 Für Bismarck verblieben daher nur Österreich-Ungarn und Russland als Partner für eine Koalition. Die Beziehungen zu Russland fingen nach 1871 an schwieriger zu werden. Denn Russland hatte durch seine Neutralität im deutsch-französischen Krieg von 1871 die Reichsgründung stark begünstigt und forderte nun Gegenleistungen ein.
Wilhelm I. erklärte schließlich in einem Telegramm an den russischen Zaren die deutsche Dankesschuld und erklärte, dass es Deutschland dem russischen Zarenreich niemals vergessen würde. Auch Bismarck wollte guten Beziehungen zu Russland erhalten. Im Gegenteil zu seinem Monarchen Wilhelm I. lehnte er allerdings eine zu enge und einseitige Bindung an Russland ab und wollte sich ebenfalls an Österreich-Ungarn binden.12 Bismarck suchte daher seit November 1870 den Ausgleich mit Österreich-Ungarn, dem ehemaligen Besiegten von 1866. Die Gespräche mit dem Nachbarn wurden für Bismarck erleichtert, da mit dem ungarischen Grafen Andrassy verständigungsbereiter Politiker in Wien saß. Andrassy wurde in den 1870er Jahren zu einem der wichtigsten Partner Bismarcks, wenn auch unter dem Vorbehalt, dass die deutschrussischen Beziehungen nicht mit den deutsch-österreichischen korrelieren sollte.13 Gute Beziehungen mit Russland und Österreich-Ungarn zu führen, wurde zum außenpolitischen Konzept Bismarcks in den 1870er Jahren. Jedoch wollte er sich vorbehalten weder für die eine noch für die andere Seite Partei ergreifen zu müssen, im Zweifel jedoch eine starke Koalition gegenüber Frankreich oder Großbritannien zu bilden.14 Bismarcks Konzept war daher einfach, wie er dem russischen Diplomaten Saburov rückwirkend erläuterte: „Wofünf sind, versuch'zu dritt zu seid"15. Gemeint sind die fünf europäischen Großmächte, von denen er mindestens zwei auf seiner Seite wägen wollte.
3 Bündnispolitik mit Österreich und Russland zwischen 1872-75
Bismarcks Gleichgewichtspolitik zur Sicherung des Deutschen Kaiserreiches benötigte Bündnispartner. Der große Nachbar Russland bot sich weiterhin als Partner an, pflegte man doch schon lange gute Beziehungen zueinander. Diese guten Beziehungen und die alte Position Preußens als „Juniorpartner“16 des Zarenreichs, welcher nun zum gleichwertigen Partner als Preußen-Deutschland aufstieg, lieferte jedoch Pulver für künftige Spannungen. In St. Petersburg wollte man nicht wirklich sehen, dass der einst kleine Nachbar nun auf einem ebenbürtigen Niveau stand. Ebenfalls vertrat man die Ansicht, dass das Deutsche Kaiserreich Russland etwas schuldig sei, dafür das es in den Einigungskriegen Neutralität gewahrt hatte und somit die Reichsgründung ermöglicht hatte. Für Bismarck bot sich dadurch die Chance mit Russland einen starken Partner zu gewinnen, musste er allerdings immer darauf achten nicht in Abhängigkeit von St. Petersburg zu gelangen. Dieses Dilemma war das Grundproblem Bismarcks, auf dem die deutsch-russischen Beziehungen der frühen siebziger Jahre beruhten. Auf der einen Seite das deutsche Sicherheitsinteresse und auf der anderen Seite der Ausgleich mit Russland, den man in Kompensationsansprüchen suchte.17 Um nun nicht in russische Abhängigkeit zu geraten, kam Bismarck die Kehrtwende der österreichisch-ungarischen Außenpolitik sehr gelegen. Als neuer Minister in Wien führte Graf Andrassy die Politik seines Vorgängers Beust weiter und ermöglichte dadurch die deutsche-österreichische Verständigung. Bismarck hatte einen neuen Partner gewonnen und konnte zusätzlich Frankreich weiter außenpolitisch isoliert halten. Jedoch sollte er durch die neue Partnerschaft zu ÖsterreichUngarn und Russland vor weitere Probleme gestellt werden. Zum schwierigsten, bzw. wichtigsten Problem seiner außenpolitischen Marschroute wurde es den österreichischrussischen Gegensatz im Einklang zu halten. Dieser Gegensatz beruhte noch aus der Zeit des Krimkrieges und spiegelte sich wiederholt an konkurrierenden Interessen auf dem Balkan wider. Bismarck sah sich daher künftig in der Rolle des Vermittlers zwischen seinen beiden Partnern, um für die Sicherung des europäischen Gleichgewichts zu sorgen und den Bestand des Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn als europäische Großmacht zu gewährleisten.18 Es kam schließlich zu einem Treffen zwischen den beiden Monarchen aus Berlin und Wien, auf Initiative Andrassys, welches die deutsch-österreichische Versöhnung symbolisierte.19 Wie nach der Reichsgründung versprochen, trat Bismarck öffentlich als Makler des europäischen Friedens auf. Die neue deutsch-österreichische Freundschaft verstand er nicht als antirussische Politik, sondern als Position der Stärke, um Russland künftig in sein System einzubinden, welches er allerdings kontrollieren wollte. Sein System sah Bismarck als wichtig an, um auch künftig das europäische Gleichgewicht zu wahren und österreichisch-russischen Gegensatz zu entschärfen. Außerdem bot es ihm die Möglichkeit Frankreich weiter isoliert zu halten und Deutschland selbst abzusichern.
In St. Petersburg beäugte man die neue deutsch-österreichische Freundschaft zunächst kritisch. Zar Alexander II. ließ allerdings keine Zweifel an der Freundschaft zum Deutschen Kaiserreich, bzw. zu Wilhelm I. aufkommen und zeigte Interesse an einer Zusammenarbeit der drei Kaiser aus Berlin, Wien und St. Petersburg. Da Russland drohte durch aufkommende Spannungen mit England selbst isoliert zu werden, war die Annäherung an Deutschland und Österreich-Ungarn ein gutes Mittel, um die russische Außenpolitik zu stabilisieren.20 Bismarck, der nie ein „Exklusivbündnis“21 mit Österreich-Ungarn angestrebt hatte, konnte nun seine Dreikaiserpolitik in die Wege leiten und war seinem Ziel, den österreichisch-russischen Gegensatz zu entschärfen und durch ein Bündnis mit den beiden Ostmächten Deutschland abzusichern, einen Schritt nähergekommen.
Es kam schließlich am 11. September 1872 in Berlin zum Dreikaisertreffen, wo man allgemeine Fragen zur Friedenserhaltung in Europa besprach, sich jedoch darauf einigte in der aktuellen Situation keine offiziellen Bündniserklärungen abzugeben. Bismarck wies in seinen Unterredungen mit Andrassy und Gorcakov darauf hin, dass eine gemeinsame Triple-Entente keine Konsistenz haben würde.22 Der Ertrag dieses Treffens war also überschaubar, kam es Bismarck trotzdem gelegen, da er sich nicht fest binden musste. Allerdings bekam man bei diesem Treffen die Schwäche der „Dreikaiserpolitik“ zu sehen: Gorcakov demonstrierte offen seine Enttäuschung über die Ergebnisse dieses Treffens und bemängelte, dass Frankreich nicht mit eingebunden wurde. Sein Pendant aus Wien hingegen sah die Chance, dass durch die Annäherung seines Landes zu Russland sich auch die britisch-russischen Beziehungen wieder normalisieren würden, welche seit dem Krimkrieg und der Pontus-Klausel angespannt waren. Bismarck konnte das Berliner Treffen allerdings wieder als Teilerfolg für seine Politik verbuchen, musste nun aber die offenkundige Sympathien Russlands gegenüber Frankreich bremsen und den Engländern verständlich machen, dass man keinesfalls eine antibritische Politik einschlagen wollte.23
Die Zusammenarbeit der drei Monarchien wurde im Jahr 1873 konkreter. Die am 06. Mai 1873 geschlossenen Militärkonvention zwischen Deutschland und Russland enthielt konkrete Absprachen im Falle eines Angriffes einer dritten Macht auf den jeweiligen Partner. Man wollte sich im Verteidigungsfall mit einer Armee von 200.000 Mann unterstützen. Bismarck wollte diese Konvention allerdings nur als gültig betrachten wenn auch Wien mit einbezogen wurde. Daher trafen sich ein paar Wochen später der Zar und Kaiser Franz Joseph I. in Schloss Schönbrunnen in Wien, um dort ebenfalls eine gemeinsame Militärkonvention zu unterzeichnen. Diesem Abkommen trat Wilhelm I. am 22. Oktober 1873 ebenfalls bei. Dadurch entstand das Dreikaiserabkommen, welches politisch jedoch weniger Aussagekraft besaß als noch die deutsch-russische Militärkonvention. Man verpflichtete sich lediglich dazu den status qou in Europa zu erhalten und in allgemeinen außenpolitischen Angelegenheiten zusammenzustehen.24 Aus Bismarcks Perspektive kann man für die Verhandlungen mit Russland und Österreich-Ungarn 1873 durchaus von einem Erfolg versprechen. Jedoch erscheint es zunächst merkwürdig aus welchem Grund er die aussagekräftige deutsch-russische Militärkonvention gegen das wiederum „schwammigere“ Dreikaiserabkommen tauschte. Bismarck schien den Russen, bzw. Gorcakov, der wiederholt freundschaftliche Andeutungen gegenüber Frankreich gemacht hatte, nicht vollständig zu vertrauen, um für sie alles auf eine Karte zu setzen und dadurch womöglich Österreich-Ungarn zu verärgern und direkt in eine Koalition mit Frankreich oder Großbritannien zu treiben. Er blieb stattdessen auf seiner politischen Marschroute und hielt daran fest vordergründig Deutschland abzusichern, in dem er sich zwei potentielle Partner bereithielt und diese dadurch gleichzeitig von Frankreich fernhielt, um dieses isoliert zu halten. Außerdem konnte er so den österreichisch-russischen Gegensatz kontrollieren und hatte wiederum den Russen eine Kompensationsleistung für 1870 erbracht.25 Wie sich die Dreikaiserpolitik in Zukunft entwickeln sollte, stand zwar in den Sternen, doch zeichnete sich bereits zu Beginn ab, dass das Dreikaiserabkommen nur ein loses Versprechen der drei Vertragspartner war. Alle drei Mächte versuchten nämlich ihre eigenen Vorteile aus der Zusammenarbeit zu ziehen, die gegensätzlicher nicht sein konnte. Gorcakov sah in der Zusammenarbeit die Möglichkeit vor allem Konflikte auf dem Balkan künftig auf der diplomatischen Ebene zu lösen und dabei vor allem starke Partner gegenüber England auf seiner Seite zu haben. Außerdem gedachte er Bismarck so unter Kontrolle zu halten und eine weitere Schwächung Frankreichs zu verhindern. Andrassy hingegen wollte so vor allem den russischen Einfluss auf dem Balkan eindämmen, während Bismarck seine bekannten Ziele verfolgte.26 Schon nach kurzer Zeit zeigte sich, wie brüchig die Dreikaiserpolitik war und wie wenig sie vor allem Bismarck half, den Erzfeind Frankreich isoliert zu halten. Frankreich erholte sich überraschend schnell von der Niederlage von 1870/71 und konnte seine Kriegskontributionen an das Deutsche Reich bereits im Herbst 1873 komplett begleichen. Dadurch mussten die deutschen Truppen Frankreich räumen, die zuletzt noch die östlichen Departements besetzt gehalten hatten. Frankreich kehrte damit wieder als ernstzunehmende Macht ins europäische Mächtekonzert zurück.27 Durch den Abzug der deutschen Truppen stiegen bereits im Winter 1873/74 die Spannungen zwischen Deutschland und Frankreich. Dem nun wieder vollständig souveränen Frankreich näherte sich vor allem Russland an, was man in Berlin kritisch beäugte. Die Spannungen stiegen als die französischen Bischöfe in Bismarcks innenpolitischen Kulturkampf eingriffen und die katholische Kirche unterstützten. Sie gingen sogar soweit, dass sie öffentlich für die Wiedervereinigung Elsaß-Lothringens mit Frankreich beteten. Durch diese neuen Ereignisse war Bismarck alarmiert und vermutete französische Pläne für einen Krieg gegen Deutschland unter dem Deckmantel der Religion und Revanche.28 Neben der neuen Gefahr im Westen schritt die Entfremdung zwischen Deutschland und Russland zu Beginn des Jahres 1874 schleichend voran. In St. Petersburg schlug mehr und mehr einen antideutschen Kurs ein und stritt sich mit Berlin immer öfter über zum Teil auch niedere Angelegenheiten in der internationalen Politik. Dabei ging es vor allem darum, dass Bismarck die russische Vormachtstellung in Europa nicht anerkennen wollte. Außerdem stritt man sich über Handelsverträge in Rumänien oder über Rangverhältnisse in Belgrader Konsularcorps. Auch im Dreikaiserabkommen wollte Russland die Führung übernehmen, die Bismarck allerdings von Beginn für Deutschland vorgesehen hatte.29
[...]
1 Vgl. Hiledebrand, Klaus: Das vergangene Reich, Deutsche Außenpolitik von Bismarck bis Hitler, München, 2008, S. 13.
2 Vgl. Hillgruber, Andreas: Bismarcks Außenpolitik, Freiburg, 1981, S. 129.
3 Vgl. Lappenküper, Ulrich, Die Mission Radowitz, Untersuchungen zur Rußlandpolitik Otto von Bismarcks (1871-1875), Göttingen, 1990, S. 29.
4 Vgl. Ullrich, Volker, Die nervöse Grossmacht 1871-1918, Aufstieg und Untergang des deutschen Kaiserreichs, 2. Aufl., Frankfurt a. Main, 2014, S. 74.
5 Vgl. Hildebrand, Klaus, Deutsche Außenpolitik, 1871-1918, 3. überarbeitete Aufl., München, 2008, S. 1. / Vgl. Ulrich, Grossmacht, S. 74.
6 Vgl. Ullrich, Grossmacht, S. 75.
7 ebd. S. 75.
8 Vgl. Dülffer, Jost/Kröger, Martin/Wippich, Rolf-Harald: Vermiedene Kriege, Deeskalation von Konflikten der Großmächte zwischen Krimkrieg und Erstem Weltkrieg 1865-1914, München, 1997, S. 208.
9 ebd. S. 208.
10 Vgl. Ullrich, Grossmacht, S. 75f.
11 Vgl. Hildebrand, Außenpolitik, S. 2.
12 Vgl. Ulrich, Grossmacht, S. 76.
13 ebd. S. 76.
14 ebd. S 76.
15 Bismarck im Gespräch mit Saburov 19.1.1880: Petr Aleksandrovic Saburov, The Saburov Memoirs or Bismarck and Russia. Ed. by J.Y. Simpson. Cambridge 1929, S. 111.
16 Vgl. Hildebrand, Das vergangene Reich, S. 19.
17 Vgl. Ullrich, Grossmacht, S. 77.
18 Vgl. Lappenküper, Radowitz, S. 43.
19 ebd. S. 43.
20 Vgl. Lappenküper, Radowitz, S. 44f.
21 ebd. S 45.
22 ebd. S. 46.
23 ebd. S. 46.
24 Vgl. Hildebrand, Außenpolitik, S. 3.
25 Vgl. Lappenküper, Radowitz, S. 48.
26 ebd. S. 49.
27 Vgl. Ullrich, Grossmacht, S. 77.
28 Vgl. Hildebrand, Das vergangene Reich, S. 27f.
29 ebd. S. 28.
- Arbeit zitieren
- Anonym,, Bismarcks Außenpolitik zwischen 1871 und 1875. Die "Krieg-in-Sicht"-Krise, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1008419
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