Die vorliegende Arbeit geht am Beispiel des Pflegekonzeptes "Buurtzorg" der Frage nach, welche Motive die Mitarbeiter in Deutschland zu einem Wechsel in das selbstorganisierte Buurtzorg-Konzept bewegen, wie sich der Pflegealltag in selbstorganisierten Teams aus ihrer Sicht darstellt und inwiefern die Klienten vom Buurtzorg-Konzept profitieren.
Dazu wurden zunächst die einzelnen Komponenten des Buurtzorg-Konzeptes, sowie Unterschiede zum bestehenden, hierarchischen Modell herausgearbeitet. Im weiteren Verlauf wurde mit einigen Pflegefachkräften aus den Buurtzorg-Teams in Deutschland, anhand eines selbst konzipierten Leitfadens, ein halbstrukturiertes Interview geführt. Im Auswertungsprozess erfolgte eine Kategorisierung der Aussagen der Interviewteilnehmer in Ober- und Unterkategorien, aus deren Zuordnung sich Antworten zu den Forschungsfragen anschlossen.
Zeit zu Denken – Um-zu-denken. Die Existenz von hierarchisch strukturierten Organisationen gerät vor dem Hintergrund von Globalisierung, Digitalisierung sowie dem demografischen Wandel immer mehr infrage. Aufgrund des medizinisch-technischen Fortschritts steigen die Lebensqualität und damit auch die Lebenserwartung, was nach mehr Personal verlangt. Dies kann auch auf die allgemein sinkende Geburtenrate zurückgeführt werden. Die durch den demografischen Wandel entstehende Problematik betrifft demnach nicht nur die Klienten-, sondern auch die Beschäftigtenseite. Speziell der Pflegesektor ist von einem wachsenden Fachkräftemangel betroffen. Trotz seines besonders großen Aufschwungs in den letzten zwei Jahrzehnten stand der ambulante Pflegesektor bisher weniger im Fokus von Politik und Wissenschaft. Die Unternehmen sind dazu angehalten, auf die Wünsche, Ansprüche und (Wert-)Vorstellungen der nachrückenden Generationen zu reagieren. Um unter diesen Marktbedingungen zu bestehen und attraktiv für potenzielle Arbeitnehmer zu bleiben, ist es notwendig, Organisationskonzepte zu überdenken und Hierarchien zu transformieren. Insbesondere die Neugestaltung der Kommunikation an zahlreichen Schnittstellen der Arbeit birgt das Potenzial, den Informationsfluss zu sichern, Unsicherheiten und Stress zu verringern und die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter zu steigern.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Executive Summary
Hinweis
1 Einleitung
1.1 Ausgangslage und Relevanz der Arbeit
1.2 Zielsetzung der Arbeit
1.3 Struktur und Aufbau der Arbeit
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Definition von Agilität
2.2 Auslöser der Agilität
2.2.1 Globalisierung
2.2.2 Digitalisierung
2.2.3 Demographie und Wertewandel
2.3 Vergleich Hierarchie und Selbstorganisation
2.3.1 Hierarchische Organisation
2.3.2 Selbstorganisation
2.4 Selbstorganisation am Beispiel von Buurtzorg
2.4.1 Heutiger Paradigmenwechsel
2.4.2 Motivation und Grundzüge der Organisation
2.4.3 Autonomie und Kompetenz als Leitprinzipien
2.4.4 Kommunikation und Entscheidungsfindung
3 Forschungsstand und Forschungsfragen
4 Methode
4.1 Auswahl der Datenerhebungsmethode
4.2 Aufbau und Durchführung der Interviews
4.3 Interviewaufbereitung und Interviewauswertung
5 Darstellung der Ergebnisse I
5.1 Berufskarriere
5.2 Intrapersonelle Ressourcen
5.3 Wahrnehmung der Arbeit
5.4 Teamorganisation
5.5 Arbeitsstruktur
5.6 Kommunikations- und Konfliktmanagement
5.7 Work-Life-Balance
5.8 Prinzipielle Unternehmenskultur
5.9 Entwicklung von Buurtzorg
5.10 Inhalte Pflegestudium
6 Diskussion
6.1 Beantwortung der Forschungsfragen
6.2 Limitationen
7 Fazit und Ausblick
8 Literaturverzeichnis
9 Anhang
Vorwort
„Die Sicherheit, Stärke, aber vor allem auch Ruhe und Kraft, die wir uns wünschen, werden wir weder in der Zukunft noch in der ständig komplexer und verrückter werdenden Welt finden, sondern in uns!“ (Janssen & Grün, 2017, S.13)
Das hier geht an alle die, die etwas wagen wollen. An die, die sich und etwas bewegen wollen, auch wenn es auf den ersten Blick gar unmöglich scheint.
So danke ich meiner Familie für die stetige Rückendeckung, das Vertrauen in meine Arbeit und Person sowie den motivierenden Worten in den für mich persönlich stürmischen Zeiten. Ebenso möchte ich mich bei meinen Freunden für die stärkenden Worte und die ein oder andere thematische Auseinandersetzung bedanken, welche mir im Verlauf der Arbeit eine neue Sichtweise verschafft haben.
Ein besonderer Dank gilt auch meiner Professorin, welche während des Masterstudiums wichtige Impulse und Anregungen zum Weiter- und Umdenken gesetzt hat. Durch diese Anregungen konnte ich das Thema für meine Arbeit finden und interessante Persönlichkeiten treffen. Persönlichkeiten, welche angefangen haben, bei Buurtzorg Deutschland zu arbeiten und damit bereit sind etwas zu wagen, aus konventionell starren Strukturen auszubrechen und als Team gemeinsam neue Wege zu gehen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Organigramm hierarchische Struktur
Abbildung 2: Organigramm selbstorganisierte Organisation
Abbildung 3: Ziele und Struktur von Buurtzorg
Abbildung 4: Screenshot der Hauptkategorien aus MAXQDA 12
Abbildung 5: Wechselmotive in Pflegeunternehmen mit hierarchischer Struktur
Abbildung 6: Interviewperson 01
Abbildung 7: Interviewperson 2
Abbildung 8: Interviewperson 3
Abbildung 9: Interviewperson 4
Abbildung 10: Interviewperson 5
Abbildung 11: Interviewperson 6
Abbildung 12: Interviewperson 7
Abbildung 13: Interviewperson 8
Abbildung 14: Interaktionsmodell in der Bewerbungsphase
Executive Summary
Vor dem Hintergrund von Globalisierung, Digitalisierung und demographischem Wandel stehen vor allem Unternehmen im Pflegesektor zunehmend vor einer Herausforderung. Einer stetig wachsenden Anzahl an Pflegebedürftigen steht eine stagnierende Zahl an nachkommenden Pflegefachkräften gegenüber. Um das Berufsfeld attraktiver zu gestalten und Pflegefachkräften eine sinnerfüllende Arbeit zu ermöglichen, in der das Wohl der Klienten wieder im Vordergrund steht und nicht die Leistungs- und Gewinnorientierung, ist es unumgänglich, bestehende Organisationskonzepte und Hierarchievorstellungen zu überdenken.
Die vorliegende Arbeit geht am Beispiel des Pflegekonzeptes 'Buurtzorg' der Frage nach, welche Motive die Mitarbeiter in Deutschland zu einem Wechsel in das selbstorganisierte Buurtzorg-Konzept bewegen, wie sich der Pflegealltag in selbstorganisierten Teams aus ihrer Sicht darstellt und inwiefern die Klienten vom Buurtzorg-Konzept profitieren.
Dazu wurden zunächst die einzelnen Komponenten des Buurtzorg-Konzeptes, sowie Unterschiede zum bestehenden, hierarchischen Modell herausgearbeitet. Im weiteren Verlauf wurde mit einigen Pflegefachkräften aus den Buurtzorg-Teams in Deutschland, anhand eines selbstkonzipierten Leitfadens, ein halbstrukturiertes Interview geführt. Im Auswertungsprozess erfolgte eine Kategorisierung der Aussagen der Interviewteilnehmer in Ober- und Unterkategorien, aus deren Zuordnung sich Antworten zu den Forschungsfragen anschlossen.
Die Auswertung der Interviews ergab, dass sich die Mitarbeiter überwiegend aufgrund von Konflikten mit der hierarchischen Struktur, einer allgemeinen Arbeitsunzufriedenheit und/oder einem negativen Arbeitsklima für einen Arbeitsplatzwechsel entschieden haben. Die Aussicht auf eine höhere Entscheidungsfreiheit und Verantwortung innerhalb eines selbstorganisierten, autonomen Teams, überzeugte die Befragten von einem Wechsel in das Buurtzorg-Pflegemodell und bestätigte sich nach den Aussagen der Interviewteilnehmer.
Für den ambulanten Pflegesektor in Deutschland lässt sich daraus ableiten, dass die Arbeit in selbstorganisierter Form sowohl für die Mitarbeiter als auch die Klienten bzw. Patienten einen höheren Mehrwert hat. Die Fachkräfte werden in die Lage versetzt, die Klienten individuell in ihren geistigen und körperlichen Fähigkeiten zu stärken und somit zu deren Wiedererlangung der Selbstständigkeit beizutragen.
Hinweis
Im gesamten Dokument wird aus Gründen der Lesbarkeit auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personen- und Funktionsbezeichnungen gelten für Männer und Frauen in gleicher Weise. Dies impliziert keine Benachteiligung des weiblichen Geschlechts, sondern soll im Sinne der sprachlichen Vereinfachung als geschlechtsneutral zu verstehen sein.
1 Einleitung
1.1 Ausgangslage und Relevanz der Arbeit
„Bei den hiesigen Unternehmensstrukturen wurde anfangs die Persönlichkeit am Werkstor abgegeben, die Menschen waren angestellt, abends wurden sie wieder abgestellt, und zwischenzeitlich passte jemand auf, dass sie nichts anstellten. “ (Janssen & Grün, 2017, S.83.)
Zeit zu Denken - Um-zu-denken. Die Existenz von hierarchisch strukturierten Organisationen gerät vor dem Hintergrund von Globalisierung, Digitalisierung sowie dem demografischen Wandel immer mehr in Frage. Aufgrund des medizinisch-technischen Fortschritts steigen die Lebensqualität und damit auch die Lebenserwartung, was nach mehr Personal verlangt. Dies kann auch auf die allgemein sinkende Geburtenrate zurückgeführt werden. Die durch den demographischen Wandel entstehende Problematik betrifft demnach nicht nur die Klienten-, sondern auch die Beschäftigtenseite. Speziell der Pflegesektor ist von einem wachsenden Fachkräftemangel betroffen. (vgl. Freiling, 2011; Becke et al., 2013; Kliner et al., 2017). Trotz seines besonders großen Aufschwungs in den letzten zwei Jahrzehnten stand der ambulante Pflegesektor bisher weniger im Fokus von Politik und Wissenschaft (vgl. Becke et al., 2013, S.7). Die Unternehmen sind dazu angehalten, auf die Wünsche, Ansprüche und (Wert-)Vorstellungen der nachrückenden Generationen zu reagieren. Um unter diesen Marktbedingungen zu bestehen und attraktiv für potenzielle Arbeitnehmer zu bleiben, ist es notwendig, Organisationskonzepte zu überdenken und Hierarchien zu transformieren. Insbesondere die Neugestaltung der Kommunikation an zahlreichenden Schnittstellen der Arbeit (z.B. Tourenplanung, Übergabe) birgt das Potential, den Informationsfluss zu sichern, Unsicherheiten und Stress zu verringern und die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter zu steigern (vgl. Jeschke et al., 2015, S.175f.).
Im Verbundprojekt ZUKUNFT:PFLEGE kam es in Deutschland bereits zu einer ersten Zusammenarbeit zwischen Pflegeunternehmen und der Wissenschaft. In ihm wurde gemeinsam an Gestaltungslösungen für eine gute Arbeit und Zusammenarbeit in der ambulanten Pflege gearbeitet. Ergebnis war es, dass insbesondere die Sinnerfüllung der Mitarbeiter in ihrer Arbeit in der ambulanten Pflege eine wichtige Ressource darstellt. Diese gilt es aus Unternehmenssicht durch geeignete Maßnahmen, wie bspw. die Vergrößerung des Entscheidungs- und Handlungsspielraumes der Mitarbeiter, zu fördern (vgl. ebd., 2015, S.178f.).
Ein erstes strukturelles Umdenken, aber insbesondere auch Umsetzen im Bereich des ambulanten Pflegesektors erfolgte im Jahr 2006 in den Niederlanden mit der Gründung der gemeinnützigen Organisation 'Buurtzorg'. Die Pflege von alten und multimorbiden Menschen erfolgt hierbei ohne die klassische Management- und Führungsebene, sondern in Form von Selbstorganisation in Teams. Philosophie und Konzept ist es, den Pflegefachkräften die Entscheidungsfreiheit und Verantwortlichkeit zuzugestehen, die für eine adäquate Pflegeversorgung notwendig ist. Dazu gehört unter anderem auch, den Fokus weg von der Leistung und auf den Klienten zu legen, sich für ihn Zeit zu nehmen, auftretende Probleme und Schwierigkeiten aber auch Erfolge im Pflegeverlauf oder alltägliche Dinge neben "einer Tasse Kaffee" zu besprechen.
Das Konzept und die Idee dahinter, Pflege und die damit einhergehenden Arbeitsbedingungen neu zu strukturieren, wurde bereits länderübergreifend adaptiert. Speziell in Deutschland wurde nach dem niederländischen Vorbild ein Pilotprojekt mit bisher sechs selbstorganisierte Teams gestartet.
1.2 Zielsetzung der Arbeit
Die vorliegende Arbeit soll mit Hilfe einer empirischen Untersuchung die Arbeits- und Funktionsweise von selbstorganisierter Organisation am Beispiel von Buurtzorg Deutschland analysieren. Dafür soll der Frage nachgegangen werden, welche Motive die Mitarbeiter in Deutschland zu einem Wechsel in das selbstorganisierte Buurtzorg- Konzept bewogen haben, wie sich der Pflegealltag in selbstorganisierten Teams aus ihrer Sicht darstellt, inwiefern die Klienten vom Buurtzorg-Konzept profitieren und welche Erkenntnisse sich aus den Ergebnissen für den ambulanten Pflegesektor in Deutschland ergeben.
1.3 Struktur und Aufbau der Arbeit
Zunächst wird in Kapitel 2 'Theoretischen Grundlagen' der Begriff „Selbstorganisation" definiert. In diesem Kontext werden die Charakteristika und der Aufbau von Selbstorganisation näher beschrieben und vor dem Hintergrund des Forschungsschwerpunktes der Arbeit eingegrenzt. Den Fokus dieses Kapitels bildet der Zusammenhang zwischen Führung, Agilität und Selbstorganisation. Explizit dargestellt werden dabei der Aufbau, die Struktur sowie die Funktionsweise von selbstorganisierten Arbeiten am Beispiel des ambulanten Pflegedienstmodells von „Buurtzorg". Auf der Grundlage der Theorie werden im Anschluss in Kapitel 3 die daraus resultierenden Forschungsschwerpunkte formuliert. Diesem schließt sich im vierten Kapitel 'Methodik' der empirische Teil der Arbeit an. In diesem Abschnitt werden Auswahl der Datenerhebungsmethode, Aufbau, Durchführung sowie Aufbereitung und Auswertung der Interviews erläutert. Die Ergebnisse der Interviews werden im fünften Kapitel dargestellt und interpretiert. In Kapitel 6 schließt sich daran die Diskussion und Reflektion der Ergebnisse im Kontext der aufgestellten Forschungsfragen an. Die Zusammenfassung der Arbeit und Eröffnung von Forschungsdesideraten bilden im Kapitel ' Fazit' den Abschluss der Arbeit.
2 Theoretische Grundlagen
Basis der vorliegenden Arbeit ist ein theoretisches Fundament, welches eine präzise und valide Einführung und Darstellung des selbstorganisierten Pflegekonzepts 'Buurtzorg' erlaubt. Zunächst gilt es daher, ein Verständnis von Agilität und deren Auslöser vor dem Hintergrund der sich verändernden Organisationsformen zu entwickeln. Hieran schließt sich die Beschreibung der Selbstorganisation als agile Organisationsform an, die einer hierarchisch aufgebauten Organisationsstruktur gegenübergestellt wird.
2.1 Definition von Agilität
Laut Duden stammt der Begriff 'agil' vom lateinischen Wort agilis ab, was so viel wie regsam, beweglich oder eifrig bedeutet. Um den Begriff der Agilität ist derzeit ein regelrechter Hype entstanden (vgl. Obmann, 2017, S.50). Im Managementbereich wird Agilität oft mit dem Abbau von Führung assoziiert und damit verwechselt. In diesem Zusammenhang geht es nicht um weniger Führung, sondern um weniger Hierarchien. (vgl. Hofert, 2016, S.1)
Hofert definiert Agilität wie folgt: „[...] ist die Fähigkeit von Teams und Individuen Organisationen, in einem unsicheren, sich veränderndem und dynamischen Umfeld flexibel, anpassungsfähig und schnell zu agieren." (Hofert, 2016)
2.2 Auslöser der Agilität
Die Arbeitswelt unterliegt seit einigen Jahren einem strukturellen Wandel. Die Marktbedingungen werden durch Globalisierung, Digitalisierung, Konnektivität sowie durch den demographischen Wandel beeinflusst und verändert. Unternehmen sind dadurch einem permanenten und stetig zunehmenden Druck ausgesetzt und müssen lernen, mit Komplexität, Dynamik und Unbeständigkeit umzugehen, um auf die Veränderungen optimal zu reagieren können (vgl. Malik, 2013, S.44).
2.2.1 Globalisierung
Ein Auslöser, welcher den Wandel der Arbeitswelt beeinflusst, ist die Globalisierung. Die Wirtschaftslandschaft auf nationaler und internationaler Ebene wird zunehmend vernetzter und heterogener. Dadurch entstehen wechselseitige und übergreifende Strukturen und das Wirtschaftssystem wird zunehmend komplexer (vgl. Arpe, 2012, S.1). Mit der Globalisierung gehen Vor- und Nachteile einher. So sind Unternehmen nur noch wenigen Beschränkungen ausgesetzt und können ihre Produktion in ausländische Standorte verlagern. Dies hat meist positive Auswirkungen sowohl auf die Liquidität als auch auf die Rentabilität eines Unternehmens. Demgegenüber steht eine mögliche Einschränkung an Flexibilität und damit auch ein weiterer Abbau an Arbeitsplätzen (vgl. Franken, 2016, S.17). Weiterhin sorgt eine günstigere und schnellere Produktion durch Konkurrenzunternehmen für Innovationsdruck, Verschärfung der Konkurrenzsituation und eine vermehrte Investition in Wissensmanagement. Das dadurch entstehende komplexe Konstrukt wird mit einer klassisch-hierarchisch Organisationsform nicht mehr zu bewältigen sein. Unternehmen stehen zukünftig vor der Herausforderung, die bestehenden Strukturen zu überdenken und anzupassen, um ein optimales Arbeitsumfeld in hierarchieflachen Strukturen zu ermöglichen (vgl. Gebhardt et al., 2015, S.19 ff.).
2.2.2 Digitalisierung
Ein weiterer großer Treiber, welcher maßgeblich zur Veränderung der Arbeitswelt beiträgt ist die Digitalisierung. Mit der Entwicklung von neuen Technologien verfolgen Unternehmen einerseits das Ziel den Prozess der Leistungserstellung zu verkürzen, um dadurch wettbewerbsfähig zu bleiben. Andererseits gehen mit Digitalisierung strukturelle Veränderungen einher welche das gesamte Unternehmen betreffen (vgl. Armutat et al., 2016, S.8). Die Vernetzung der gesamten Lebenswelt wird durch den Prozess der Digitalisierung noch beschleunigt. Es ist erkennbar, dass Digitalisierung und Globalisierung einander bedingen. Der Einsatz von neuen und schnelleren Kommunikationsinstrumenten beeinflusst das Nachfrageverhalten von Kunden. Unternehmen sind dadurch angehalten schneller und flexibler zu interagieren, da das Verhalten der Kunden schwieriger vorherzusagen ist (vgl. ebd., 2016, S.9).
2.2.3 Demographie und Wertewandel
Als zusätzlicher Treiber der Agilität gelten die Veränderung der Demographie und die damit einhergehenden Veränderungen der Wertevorstellung. Die Auswirkungen des demographischen Wandels sind allgegenwärtig. Zum einen sind dabei in Deutschland die Prozesse der demographischen Alterung und Schrumpfung zu beachten. Bei dieser nimmt die Anzahl der jüngeren Menschen ab, wo hingegen die Anzahl der älteren Menschen steigt. Laut Statistischen Bundesamt soll der Anteil an 60 bis 80-Jährigen in Deutschland von 2013 bis 2030 von 27% auf 35% ansteigen. Bei den über 80-Jährigen soll die Zahl von 4,4 Millionen im Jahr 2013 bis auf 6,5 Millionen im Jahr 2030 steigen. Das entspricht einem Anstieg von 48% (vgl. RKI, 2015, S.435). Andererseits führt der demografische Wandel neben der Veränderung der Altersstruktur auch zu neuen Ansprüchen und Vorstellungen der Berufstätigten (vgl. Klaffke, 2014, S.5). Der Anteil der Berufstätigen der Generationen Y und Z wächst stetig. Grundsätzlich sind diese beiden Generationen durch das Streben nach Autonomie, Freiheit und Individualität gekennzeichnet. Damit decken sich diese Vorstellungen mit den vorherrschenden agilen Werten (vgl. Rutz, 2016, S.27). Zudem gewinnt die Sinnhaftigkeit der beruflichen Tätigkeit an Bedeutung (vgl. Badura 2018). Diese veränderten Wertevorstellungen der potenziellen Arbeitnehmer stellen die Unternehmen vor eine große Herausforderung. Um diesen Erwartungen und Wünsche nachkommen zu können, ist es notwendig, die hierarchischen Strukturen abzuflachen (vgl. Picot, 2003, S.9). Gloger und Rösner (vgl. 2014, S.13) sind der Meinung, dass sich agile Arbeitsorganisationen erst einstellen werden, wenn die derzeit bestehenden Management- und Führungsgenerationen aus den Unternehmen ausscheiden.
„Statt die Zukunft aus der Vergangenheit zu extrapolieren, müssen Unternehmen zukünftig gesellschaftliche Wertveränderungen frühzeitig antizipieren, um hieraus immer wieder neue Geschäftsmodelle zu kreieren.“ (Fox, 2017, S.21)
Ältere Führungskräfte sollten demnach die unterschiedlichen Wünsche und Vorstellungen der zukünftig werktätigen Generationen nicht nur akzeptieren, sondern auch aktiv fördern.
Die Globalisierung, Digitalisierung und die demographischen Veränderungen hängen wie oben erläutert miteinander zusammen und erzeugen eine Mischung aus Komplexität und Dynamik (vgl. Armutat et al., 2018, S.4). Hierfür wurde bisher in der Unternehmenslandschaft stringent der Plan verfolgt, möglichst schnell und isoliert zu reagieren und damit eine akzeptable Lösung auf die Auswirkungen zu finden (vgl. Brommer et. al., 2019, S.119f.). Im Ergebnis zeigt sich, dass die von den Unternehmen entwickelten Methoden und eingesetzten Personal- und Teamentwicklungsmaßnahmen nicht mehr funktionieren und die Umweltanforderungen so nicht zu bewältigen sind.
Um in Zukunft als Unternehmen unter diesen Voraussetzungen bestehen zu können sein, ist ein Paradigmenwechsel von isolierter Unternehmensforschung hin zu kollaborativen Agieren mit den Klienten bzw. Kunden nötig. Deren Bedürfnisse müssen ins Zentrum der Unternehmensstrategie rücken. Dies erfordert Sozial- und Methodenkompetenz, um die Vorstellungen von Unternehmen und Kundschaft zusammen zu führen (vgl. ebd.).
In einer kollaborativen Arbeit entstehen Wertschöpfungsnetzwerke, welche zum Kommunikationsaustausch dienen. Hierbei tauschen die Mitglieder ihre Erfahrungen aus und schildern Ideen. Die Mitglieder können sich aufeinander verlassen, um die auftretenden Probleme zu verstehen und zu lösen (vgl. Akhilesh, 2017, S.19).
Ein kollaboratives Netzwerk stellt das selbstorganisierte Pflegemodell Buurtzorg dar. Dieses wird nachfolgend näher beschrieben.
2.3 Vergleich Hierarchie und Selbstorganisation
2.3.1 Hierarchische Organisation
Unter Berücksichtigung des Themenschwerpunktes dieser Arbeit wird im Folgenden die hierarchische Struktur eines ambulanten Pflegeunternehmens beschrieben. Grundlegend gliedert sich ein klassisch-hierarchischer Pflegedienst in drei verschiedene Ebenen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Organigramm hierarchische Struktur (eig. Darstellung nach Bach et. al 2017, S.277)
An erster und oberster Stelle steht die Führungsebene, welche von der Geschäftsleitung besetzt ist. Die zweite Ebene ist die mittlere Managementebene, welche der Geschäftsleitung untergeordnet ist. Diese Position wird in einem Pflegedienst durch die Pflegedienstleitung ausgefüllt. Die Pflegedienstleitung ist für alle anfallenden administrativen Tätigkeiten zuständig. Unter dem mittleren Management stehen die Pflege(-fach)kräfte, welche reine Behandlungs- und Pflegetätigkeiten ausüben. Die Geschäftsleitung kann allen Ebenen Weisungen erteilen. Die mittlere Managementebene ist hingegen befugt, den Pflegekräften Aufgaben zu zuordnen. Die Strukturen und Verantwortungsbereiche sind in einer hierarchischen Organisation klar voneinander abgegrenzt und somit auch eingeschränkt. Sie ermöglichen eine schnelle Entscheidungsfindung. Die Mitarbeiter sind in ihrer Entscheidungs- und Verantwortungskompetenz klar begrenzt. (vgl. Vermeer & Wenting, 2018,13f., Happel, 2017, S. 210ff.)
2.3.2 Selbstorganisation
In einer selbstorganisierten Struktur sind die Mitarbeiter keiner direkten Führungsebene untergestellt, weder einer Geschäftsleitung noch einer mittleren Managementebene. Die Teammitglieder unterstehen jedoch einer Direktive, diese hat allerdings nur eine Kontrollfunktion. Sie vereinbart mit den Teams in bestimmten Zeitintervallen die zu erreichenden Ziele und muss sich auf die Loyalität, das vorhandene Wissen und die Fähigkeiten der Mitarbeiter verlassen können. In diesem Punkt zeigt sich, dass Transparenz und Vertrauen die grundlegenden Variablen sind, ohne die der Aufbau einer förderlichen Kommunikationskultur nicht möglich wäre (vgl. Korn 2014., S.17ff.).
Bei auftretenden teaminternen Schwierigkeiten können die Teams einen Teamcoach zu Rate ziehen. Dieser unterstützt bei der Bewältigung von Konflikten und trägt zur gezielteren Entscheidungsfindung bei. Des Weiteren können sich die Teams bei auftretenden verwaltungstechnischen, administrativen und rechtlichen Fragen (Arbeitsgesetzgebung, Personalfragen, juristische Fragen, Gehalts- und Kundenadministration, Qualitätsentwicklung, Logistik oder Deklarationssysteme) beraten lassen. Die Mitglieder des jeweiligen Teams verantworten die ausgeübte Tätigkeit gegenüber dem gesamten Team (vgl. Vermeer & Wenting 2018, S. 15ff.).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Organigramm selbstorganisierte Organisation, eig. Darstellung nach Vermeer & Wenting 2018, S.16
Den einzelnen Teammitgliedern kommt in der selbstorganisierten Struktur eine tragende Rolle zu. Sie werden in ihrer Unabhängigkeit und Selbstständigkeit gefördert und gefordert. Das soll einerseits eine motivierende und erfüllende Arbeitshaltung bewirken, andererseits aber auch im Sinne des Unternehmens zu einer höheren Effizienz und Flexibilität führen (vgl. Bea & Göbel, 2010, S. 399f). Selbstorganisiertes Arbeiten soll den Umgang mit der erhöhten Komplexität und Dynamik der Arbeitswelt vereinfachen. (vgl. Guretzky, 2010, S. 18) Durch direkte Kommunikation im Team sollen störungsfrei und schnell, adäquate Entscheidungen getroffen werden können (vgl. Moser, 2017, S. 33).
2.4 Selbstorganisation am Beispiel von Buurtzorg
2.4.1 Heutiger Paradigmenwechsel
Frederic Laloux geht in seinem Buch ,Reinventing Organizations‘ auf den sich über viele Jahre vollziehenden Wandel von Organisationsformen und besonders auf die Erfahrungen mit Buurtzorg ein.
Er beschreibt die Grundstrukturen von Unternehmen und macht deutlich, welcher Paradigmenwechsel derzeit vollzogen wird. Grundlegend waren und sind Unternehmen überwiegend hierarchisch aufgebaut. Die Existenz von starrer Hierarchie geht, wie in 2.3.1 beschrieben, oft mit einer ungleichen Verteilung von Macht einher. Laloux kommt zu dem Schluss, dass die derzeit bestehenden Organisationsstrukturen grundlegend transformiert werden müssen:
„Was wäre, wenn in Organisationen Strukturen ermöglicht würden, in denen kein Empowerment notwendig ist, weil sie so gestaltet sind, dass alle Macht haben und niemand machtlos ist?“ (Laloux 2015, S.60)
Derartig angelegte Organisationen könnten dadurch viel mächtiger werden ohne, dass jemand machtlos ist. Nachfolgend werden die einzelnen Charakteristika, der von Jos de Blok im Jahr 2006 gegründeten niederländische Organisation Buurtzorg, dargestellt.
2.4.2 Motivation und Grundzüge der Organisation
Jos de Blok ist der Begründer der gemeinnützigen Organisation 'Buurtzorg'. Er war selbst über Jahre als Pflegefachkraft im konventionellen Bereich tätig und fiel in dieser Zeit in drei Depressionen (vgl. Buhl, 2017). Für ihn gab es den Moment, in dem er sich ein Weiterarbeiten in Pflege mit den gegebenen hierarchischen, konventionellen Strukturen nicht mehr vorstellen konnte. Eine Struktur, in der die Kompetenzen der Pflegekräfte und die reale Organisation von Pflegedienstleistungen nicht aufeinander abgestimmt sind, es an Kommunikation und Zusammenarbeit fehlt und die individuelle Bedarfslage eines Klienten keine Berücksichtigung findet (vgl. Leichsenring, 2015, S.22). Es geht vielmehr um Leistung und Effizienz, um das Einsparen von Kosten und darum, deutlich mehr Menschen versorgen zu können. Aus diesem Paradigma stieg de Blok aus und gründete im Jahr 2006 die gemeinnützige Organisation 'Buurtzorg', was mit Nachbarschaftshilfe übersetzt werden kann (vgl. Bartonitz, 2018, S.237). Buurtzorg ist demnach darauf ausgerichtet, alte und multimorbide Menschen zu versorgen. Dahinter steckt die Grundidee, den Menschen möglichst schnell zu einem autonomen Leben zu verhelfen. Dafür wird sich Zeit genommen, neben einer Tasse Kaffee, die Anamnese durchzuführen und zu besprechen, mit welchen Behandlungsmethoden, die Fähigkeiten des Klienten reaktiviert werden können. Durch diese Vorgehensweise entstehen tiefe und fruchtbare Beziehungen. Durch diesen individuellen und persönlichen Beziehungsaufbau benötigen die Klienten nur noch zu 40% einer ärztlichen Versorgung und senken ihren Kostenaufwand für die Krankenkasse (vgl. ebd.). Die Beziehungsgestaltung und Interaktion zwischen der Pflegefachkraft und Klient wird im Kapital 2.4.4 näher beschrieben.
Das Buurtzorg-Modell basiert in der Grundstruktur auf der Idee, dass ein selbstorganisiertes Team von fünf bis maximal 12 Krankenschwestern für die Pflege von 50 bis 60 Klienten verantwortlich ist. Die Teams arbeiten mit den Klienten, deren Angehörigen, Erstversorgern sowie anderen Leistungserbringern des Gesundheitswesens zusammen. Der Verantwortungsbereich der Krankenschwestern umfasst das gesamte Aufgabenspektrum. Zu den Aufgaben zählen die Beurteilung der Klienten, Erstellung und Umsetzung von Dienstplänen, Planung von Kranken- oder Arztbesuchen oder anderen Dienstleistungen sowie die zeitnahe, kontinuierliche Patientendokumentation, um Prozesse zu erleichtern (vgl. Laloux, 2015, S.63-64). Damit sind die Entscheidungen also nicht wie in einem rationalisierten Pflegedienstunternehmen (siehe 2.3.2) an eine hierarchische Kompetenzzuordnung gebunden, sondern werden eigenständig von den Mitarbeitern eines jeden Teams festgelegt.
Die nachfolgende Darstellung soll den Zusammenhang zwischen den Strukturen und den damit verbundenen Zielen bzw. dem daraus erwachsenden Potential für die Klienten verdeutlichen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Ziele und Struktur von Buurtzorg, eigene Darstellung nach Monsen & de Blok (2013)
Der weitgehende Kompetenz- und Verantwortungsrahmen der einzelnen Pflegekräfte macht eigenverantwortliche, direkte und klientenbezogene Entscheidungen möglich. Diese sollen schlussendlich zur Förderung bzw. Wiederherstellung der Selbständigkeit der Klienten führen. Diesem Ziel folgt auch die Schulung der Mitarbeiter in beratenden Aufgaben. Diese soll sie dazu befähige, die Klienten und ihre Angehörigen dahingehend zu schulen, dass in Zukunft ein selbstständigeres Leben ohne bzw. mit nur geringer professioneller Pflegeunterstützung möglich wird.
Im Jahr 2016 waren bei Buurtzorg circa 10.000 Mitarbeiter in insgesamt 850 Teams beschäftigt. Diese betreuen ungefähr 70.000 Klienten pro Jahr. Damit deckt die Organisation zwei Drittel des niederländen Bedarfs an ambulanten Hilfen und ist somit mittlerweile die größte Non-Profit Organisation in diesem Land (vgl. de Blok, 2016, S.2).
Im Vergleich zu den anderen ambulanten Organisationen weist Buurtzorg die höchste Patientenzufriedenheit auf (9,1 auf einer Skala von 1 - 10). Die Arbeitszufriedenheit soll ungefähr doppelt so hoch sein wie bei Konkurrenzunternehmen (vgl. Lüthi 2015, S. 1732).
2.4.3 Autonomie und Kompetenz als Leitprinzipien
Die privilegierten Durchsetzungsmöglichkeiten innerhalb eines hierarchisch strukturierten Unternehmens können innovative und erneuernde Prozesse verhindern und damit die Zukunftsfähigkeit einschränken. Im Buurtzorg-Konzept gibt es anders als in einer hierarchischen Organisation keine festgeschriebenen Rollen. Das veränderte Rollenverständnis bedeutet allerdings nicht, dass es keine Rollenfunktionen in der selbstorganisierten Struktur gibt. Jeder Mitarbeiter kann eine Rolle übernehmen, nur ist er mit jeder Rolle, die er einnimmt, nicht nur einem, sondern vielen “Vorgesetzten“, nämlich dem restlichen Team gegenüber, Rechenschaft schuldig. Weiterhin ist es möglich, die Rollen im Team zu tauschen, um Abwechslung und Flexibilität in den Arbeitsalltag zu bringen oder auf spontane Veränderungen, wie beispielsweise einen aktuell pflegeintensiveren Klienten, zu reagieren. Das schafft eine neue Flexibilität und Anpassungsfähigkeit des Teams (vgl. Laloux 2015, S.91ff.).
Macht ist bei Buurtzorg kein knappes Gut mehr, dass es zu erkämpfen gilt. Alle Teammitglieder erhalten Macht. Damit sinkt auch die Attraktivität eines egoistischen Machtstrebens. Die Mitarbeiter haben vielmehr in ihrem Arbeitsbereich die Möglichkeit, autonom, ohne Standardisierungen und Normierungen, ihre Kompetenzen adäquat zu nutzen und weiter zu entwickeln (vgl. Hennessey, 2015, S.7).
Kompetenz ist ein weiterer entscheidender Faktor für die Arbeit in selbstorganisierter Form. Autonomie und Kompetenz stehen dabei, wie bereits im Absatz ,Autonomie‘ erwähnt, im Zusammenhang. Demnach kann ohne Kompetenz keine Autonomie wahrgenommen werden. In Bezug auf Buurtzorg gilt, dass die Aufgaben unter einander gleichermaßen verteilt sollen, um so das ungewollte Entstehen hierarchischer Strukturen zu vermeiden (vgl. Laloux 2015, S. 69). Dies erfordert allerdings ein hohes Maß an Kompetenz und Vertrauen zu den Teammitgliedern. Dafür verfügen 70% der Pflegekräfte von Buurtzorg in den Niederlanden über ein Diplom (vgl. Hennessey, 2015, S.8). Ein weiterer Beleg für eine kompetente Arbeitsweise, kann in der jährlichen Überprüfung der eigenen Kompetenzmodelle gesehen werden und die Tatsache, dass die Klienten nur halb so lang durch das Pflegekonzept von Buurtzorg in Anspruch nehmen müssen (vgl. ebd.). Eine zusätzliche Kompetenz erreicht das Team durch die Vernetzung der Klienten mit ihrem sozialen Umfeld, wodurch sie auch Wertschöpfungsnetzwerke aufbaut. Dadurch „schließen sie die Kluft zwischen Ärzten, Pflege, Sozialdiensten, Freiwilligen und Angehörigen der Patienten zugunsten einer gemeinsamen Sorgepflicht“ (Greuter 2016, S.4).
2.4.4 Kommunikation und Entscheidungsfindung
Komplizierte, zeitintensive Umwege bei der Kommunikation sollen in diesem selbstorganisierten Konzept vermieden werden, indem es zu einem direkten, transparenten und informationsadäquaten Austausch zwischen den Mitarbeitern kommt. Die Einflechtung digitaler Medien, wie beispielsweise von Tablets, soll den Austausch innerhalb des Teams verbessern und jedem zu jeder Zeit den Abruf aller relevanten Daten und Informationen des Unternehmens ermöglichen (vgl. Bartonitz 2018).
Die Lösungsorientierte Interaktionsmethode (LIM) steht exemplarisch für die offene und direkte Kommunikationsstrategie, die darauf ausgerichtet ist, dass Entscheidungen im Kollektiv abgewogen und getroffen werden müssen (vgl. Vermeer & Wenting, 2018, S.58f.; Häusling et al., 2014, S.18). Das Konzept „Buurtzorg" bietet im Entscheidungsprozess keinen Raum für egoistische Durchsetzungsversuche, sondern koppelt diesen an einen Beratungs- und Überzeugungsprozess im Team. Im Gegensatz zu konsensualen Entscheidungen ist die Verantwortlichkeit geklärt, da es immer der Initiator der Entscheidung bzw. einer Initiative ist, der gegenüber den ihm zustimmenden Teammitgliedern das Vertrauen rechtfertigen und kritischen Stimmen aus dem Team das Gegenteil beweisen muss. Somit steckt ein persönlich-motivationaler Antrieb in der Umsetzung und Findung von Entscheidungen, die deren Effektivität erhöht (vgl. Laloux, 2015, S.99-108).
Teambesprechung: Innerhalb eines selbstorganisierten Teams dient die Teambesprechung als regelmäßig stattfindende Sitzung der Beratung und Entscheidung über die teampolitische Ausrichtung und Qualitätsüberwachung. Ihr kommt eine tragende Funktion im hierarchielosen Konzept zu, da nur in ihr, alle Teammitglieder gemeinsam Beschlüsse erörtern und fassen können. Die Entscheidung im Kollektiv ermöglicht es, dass jedes Teammitglied miteinbezogen ist und somit Verantwortung für die Teamabläufe trägt (vgl. Vermeer & Wenting, 2018, S.95f.). Schlussendlich ist die Teambesprechung auch der Ort, an dem die Kollegen ihre Beziehung zueinander pflegen können (vgl. Nandram, 2015, S.95).
Kohärente (Team-)Arbeit: Kohärenz wird nach Badura (2018) als „die Vereinbarkeit von Person und beruflicher Rolle im Hinblick auf Kompetenzen, Persönlichkeit, Interessen und Werte" definiert.
Eine Person, welche in ihrer Arbeit für sich selbst und andere einen Nutzen sieht, kann als sinnerfüllt bezeichnet werden. Diese Erfüllung geht mit einem hohen Engagement, einer hohen intrinsischen Motivation und der Übernahme von Verantwortung einher (vgl. Schnell, 2018, S.11). Dies macht sich in der Vitalität und Leistungs- sowie Anpassungsfähigkeit des Einzelnen bemerkbar. Sinnerfüllte Mitarbeiter bauen eine stärkere emotionale Bindung zu ihrem Arbeitsumfeld auf. Sie fühlen sich als Individuum wahrgenommen und wertgeschätzt und sich dem Team und der Organisation zugehörig. Dadurch sind sie weniger ambitioniert, den Job zu wechseln (vgl. ebd., S.18).
„ Wenn eine Organisation wirklich für ihren Sinn lebt, dann gibt es keine Konkurrenz. Jeder, der dabei helfen kann, diesen Sinn in größerem Ausmaß zu verwirklichen, ist ein Freund oder Verbündeter und kein Konkurrent(Laloux, 2015, S. 195)
Da die Teammitglieder in ständigem Kontakt und Austausch stehen, ist es wichtig, dass die Arbeit kooperierend verläuft und aufeinander abgestimmt wird. Die interprofessionelle Zusammenarbeit und eine gute Beziehung zu den Teamkollegen können als stärkende Ressourcen angesehen werden. Ein Gefühl von Gemeinschaft, Engagement und Innovation fördert einerseits die Motivation, andererseits trägt dies zur Inspiration bei (vgl. Rautert & Meißner, 2019, S.9). Die gemeinsame Bewältigung von Problemen und Schwierigkeiten lassen die interpersonellen Beziehungen wachsen und fördern die Resilienz jedes einzelnen Mitarbeiters und des Teams insgesamt (vgl. Hennessey, 2015, S.9).
Pflegekraft-Klient-Beziehung: Eine gute Beziehung zwischen Pflegepersonal und Klient hat nachweislich einen positiven Effekt auf die Adhärenz. Adhärenz steht dabei für die Einhaltung der vom Klienten und der Pflegefachkraft gemeinsam gesetzten Behandlungsoder Therapieziele. Der Therapieerfolg liegt somit in der gemeinsamen Verantwortung. Hierfür sollten beide in gleichberechtigter Form zusammenarbeiten, um das gemeinsam gesetzte Ziel zu erreichen (vgl. Luthe, 2013, S.123). Ein "ideal" adhärenter Patient hält sich an die vereinbarten Behandlungs- und Therapieinhalte. Ein Beispiel hierfür ist die verschriebene Medikation. Demnach wird ein Patient als adhärent und entsprechend als "ideal" bezeichnet, wenn er ordnungsgemäß die vereinbarte Dosis und die Einnahmezeitpunkte der verschriebenen Medikation einhält (vgl. Schäfer, 2017, S.18).
Wie bereits oben in 2.4.1 beschrieben, baut die Pflegefachkraft durch direkte Unterstützung und Beratung des Klienten eine intensive Beziehung auf. Dadurch verhelfen sie dem Klienten, das Selbstvertrauen in seine Fähigkeiten zurück zu gewinnen und zu stärken (vgl. Greuter, 2016, S.156). Diese Vorgehensweise schafft die Voraussetzung für einen positiven und damit adhärenten Pflege- und Behandlungsablauf und generiert im Ergebnis die Unabhängigkeit des Klienten.
Buurtzorg-Web: Buurtzorg-Web ist das Intranet von Buurtzorg. Die Pflegefachkräfte können dort alle für sie notwendigen Informationen finden und Patientendaten sowie Zeitaufwendungen registrieren. Neben dieser Funktion als Verwaltungsplattform ist sie gleichzeitig auch Community für alle Buurtzorg-Teams. Diese können sich dort über Ideen, Innovationen oder Problemlösungsstrategien austauschen (vgl. de Blok, 2011, S.85). Die Nutzung dieser IT-Plattform spart schätzungsweise 20% der Administrationskosten ein (vgl. Greuter, 2016, S. 155).
Coaching: Der Coach unterstützt und berät mehrere Buurtzorg-Teams. Er hilft neugebildeten Teams bspw. beim Umgang mit Buurtzorg-Web oder bei der Akquise neuer Kollegen. Der Coach gibt Hilfestellung bei der Rollenfindung innerhalb des Teams und dem Aufbau eines teamübergreifenden Netzwerks (vgl.: de Blok, 2011, S.85).
Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten: Die Teams können selbst über ihre Fortbildungsaktivitäten entscheiden, wenn z.B. festgestellt wird, dass ein Klient zunehmend mehr Palliativpflege benötigt oder Teammitglieder der Meinung sind, dass sie im Umgang mit demenziell erkrankten Klienten Weiterbildungsbedarf haben (vgl. Leichsenring, 2015, S. 21). Spezielle Buurtzorg-bezogene Weiterbildungsangebote existieren aber bisher nicht, wie später in Kapitel 5.3 noch aufgezeigt wird.
3 Forschungsstand und Forschungsfragen
Die Studie von Ernst & Young legte 2009 erstmals die Erfolge und Wirkungsweise des Buurtzorg-Konzeptes dar. Sie legte offen, dass Klienten des Buurtzorg-Konzeptes lediglich 40% der verschriebenen Pflegeleistungen benötigten, wohingegen andere ambulante Pflegedienste 70% der angeordneten Pflegeleistungen benötigten. Weiterhin erhob die Studie, dass die von Buurtzorg versorgten Klienten weniger Zeit benötigten, um wieder Autonomie zu erlangen und insgesamt seltener einer stationären Aufnahme oder Akuteinlieferung in Krankenhäusern bedurften. Darüber hinaus zeigte sich, dass die Gemeinkosten1 von Buurtzorg lediglich 8% des Gesamtumsatzes betragen. Dem gegenüber stehen in anderen ambulanten Pflegedienstunternehmen Gemeinkosten in Höhe von 25% des Gesamtumsatzes. Die Studie legt demnach nahe, dass die Pflege im Buurtzorg-Konzept kostensparender und klienten-adäquater geschieht als in anderen ambulanten Pflegedienstunternehmen (vgl. Monsen & de Blok, 2013 ; Gray, 2015).
Das niederländische Ministerium für Soziales, Sport und Volksgesundheit beauftragte das Beratungsunternehmen KPMG, aufgrund der steigenden Bedeutung und Kritik an der Nachbarschaftshilfe Daten zu erheben. Sie verglichen die Leistung von Buurtzorg mit der, anderer ambulanter Pflegeunternehmen in den Jahren 2010 und 2015. In Bezug auf die erbrachten Leistungen pro Patient wendete Buurtzorg 2010 im Schnitt lediglich 50% der Stundenzahl anderer ambulanter Pflegedienste auf. 2015 waren es immer noch durchschnittlich 108 Stunden gegenüber durchschnittlich 164 Stunden in anderen ambulanten Pflegediensten. Das zeigt, dass sich die erbrachten Pflegeleistungen in Stunden über fünf Jahre zwar erhöht haben, der Pflegeaufwand im Buurtzorg-Konzept aber weiterhin unter dem der anderen ambulanten Pflegedienste liegt. Des Weiteren wurde die Pflegelänge untersucht. Diese betrug im Jahr 2010 bei 50% der Klienten von Buurtzorg lediglich 3 Monate. Im Vergleich zu 2015 stieg die Pflegelänge auf durchschnittlich 5,5 Monate, lag aber weiterhin unter der durchschnittlichen Pflegedauer von 7,5 Monaten konventioneller Pflegedienste. In Bezug auf die von Patienten gemeldeten Erfahrungen zählt Buurtzorg zu den besten Agenturen für häusliche Pflege im Land (vgl. KPMG, 2016).
Klientenzufriedenheit
Hinsichtlich der Klientenzufriedenheit kamen Monsen & de Blok 2013 im Rahmen einer Längsschnittstudie der University of Groningen zu dem Ergebnis, dass die Klientenzufriedenheit sich in der Zeit von 2008 bis 2010 von 9,1 Punkten auf 10 Punkte erhöht hat (vgl. Monsen & de Blok, 2013 ; European Comission, 2014, S.362). Bereits 2009 erhob das national institute for health services research in the netherlands (NIVEL), dass Buurtzorg von 308 untersuchten ambulanten Pflegedienstunternehmen in den Niederlanden die höchste Kundenzufriedenheitsrate hat (vgl. NIVEL, 2009).
Mitarbeiterzufriedenheit
Zur Mitarbeiterzufriedenheit gibt es lediglich Umfragedaten. Diese sind allerdings sehr positiv: Bereits fünf Mal (2009, 2010, 2011, 2014 und 2015) wurde Buurtzorg mit dem EffectoryAward als 'Arbeitgeber des Jahres in der Kategorie Unternehmern mit über 1000 Mitarbeitern' ausgezeichnet (vgl. Effectory, 2014 ; European Comission, 2014, S.361). Das Effectory-Institut ist ein unabhängiges Marktforschungsinstitut, welches Mitarbeiterumfragen durchführt und auswertet. Die Auswertung des Mitarbeiterfeedbacks geschieht dabei mittels eines Scoring-Systems. Die Scores erfolgen zu verschiedenen Kategorien und können maximal einen Wert von 10 erreichen. 2011, im Jahr des Award- Gewinns, erreichte die Gesamtzufriedenheit der Mitarbeiter bei Buurtzorg einen Score von 8,7, einen Score von 9,5 für die Mitarbeiterteilhabe im Unternehmen und einen Score von 9,1 für eine niedrige Mitarbeiterfluktuation (vgl. Nandram, 2015).
Ein Zusammenhang kann auch zwischen Mitarbeiterzufriedenheit und Mitarbeitergesundheit hergestellt werden. Die Krankheitsrate der Mitarbeiter von Buurtzorg Nederland betrug 2014 laut Europäischer Kommission 2%. Buurtzorg-Gründer Jos de Blok gibt für 2013 eine Krankheitsrate von 3-4% an. Im Vergleich dazu lag die Rate des krankheitsbedingten Ausfalls von Mitarbeitern in der Industrie 2013 bei 6-7% (vgl. de Blok, 2013).
Buurtzorg in Deutschland
In Deutschland gibt es sich derzeitig sechs Buurtzorg Teams. Die Teams befinden sind überwiegend im Münsterland. Ein Team wurde Anfang 2019 in Leipzig gegründet und ist damit das aktuell jüngste Team.
Bisher wurden lediglich die Geschäftsführer von Buurtzorg Deutschland interviewt. Dementsprechend existieren laut aktuellen Wissensstand, bis auf die qualitative Datenerhebung durch die Befragung des Geschäftsführers von Buurtzorg Deutschland weder unternehmerische noch mitarbeiterbezogene empirische Daten. Auf Grundlage des vorherrschenden sowie aufkommenden Pflegefachkräftemangels sowie der theoretischen Darstellung von konventionell strukturierten Systemen ergeben sich folgende Forschungsfragen:
1. Welche Motive sind für das Arbeiten in selbstorganisierter Form im „Buurtzorg"-Modell ausschlaggebend?
2. Wie stellt sich das Pflegemodell „Buurtzorg" aus Sicht der Mitarbeiter dar?
3. Welche Erkenntnisse lassen sich aus der selbstorganisierten Arbeit für den ambulanten Pflegesektor in Deutschland ableiten?
4 Methode
4.1 Auswahl der Datenerhebungsmethode
In der vorliegenden Arbeit werden die Daten in Form von halbstrukturierten, leitfadengestützten Interviews erhoben. Ein halbstrukturiertes leitfadengestütztes Interview kombiniert vor dem Hintergrund des Untersuchungsgegenstandes festgelegte Inhalte mit einer variablen Anwendung und Formulierung der Fragen. Ergänzend dazu besteht jederzeit die Möglichkeit spontaner Nachfragen des Befragten (vgl. Hussy et al. 2013, S.225). Das Leitfadeninterview ist demnach ein systematisches und ein flexibles Instrument der Datenerhebung. Die qualitativ orientierte Erhebungsmethode wurde zudem vor dem Hintergrund des Forschungsgegenstands der Arbeit gewählt, da diese im Vergleich zur quantitativ orientierten Erhebungsmethode die Daten ausführlicher einholt und exploriert (vgl. Mruck & Mey 2010, S.431).
Die gewählte Forschungsmethode weist wie auch andere Methoden Vor- und Nachteile auf. Als nachteilig kann ein relativ hoher Kosten- und Zeitaufwand bei der Durchführung der Interviews angesehen werden. Zudem besteht bei „face-to-face" Interviews die Gefahr einer Verzerrung durch ungewolltes Beeinflussen des Befragten (vgl. Hussy et. al. 2013 S.75). Ein entscheidender Vorteil der Methode ist jedoch, dass auf entstehende Unklarheiten und Missverständnisse eingegangen werden kann. Des Weiteren kann der Interviewende das Gespräch nach eigenem Ermessen kontrollieren und kann dementsprechend in Bezug auf die Fragengestaltung während des Gesprächsverlaufs flexibler agieren (vgl. Kornmeier 2007, S.167).
[...]
1 Gemeinkosten sind Kosten, die einem Kostenträger (z.B. Produkt) oder einer Kostenstelle nicht direkt zugeordnet werden können. Beispiele für Gemeinkosten sind Miete oder Abschreibungen. https://welt-der- bwl.de/Gemeinkosten [Stand: 05.03.2020]
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