Die Selbsthilfeorganisation der Anonymen Alkoholiker
1 Zur Arbeitsweise von Selbsthilfeorganisationen
Selbsthilfeorganisationen -besonders die aus dem sozialen Spektrum1 - sind vorwiegend zielgruppenspezifisch von den Betroffenen selbst initiiert und organisiert. Zu den allgemeinen Entstehungsbedingungen gehört u.a. die Kritik an bestehenden Handlungsstrukturen und Negativerscheinungen Sozialer Arbeit (z.B. Institutionalisierung, Bürokratisierung/ Bürokratie, Spezialisierung und Stigmatisierung) und auch die allgemeinen Einsparungen im Sozialen Bereich.
Zwei Typen werden unterschieden: Bei Typ 1 werden persönliche Dienstleistungen in gegenseitiger Hilfe erbracht, und sie bleiben überschaubare Kleingruppen, in denen unmittelbare Kommunikation noch möglich bleibt und die sich selbst genügen (siehe Anonyme Alkoholiker). Selbsthilfegruppen von Typ 2 stellen sich eher als politische Interessenverbände von Erkrankten dar, verdichten sich oft zu großen Organisationen und haben ein eher äußeres Selbsthilfekonzept (Beispiel: „Hilfe für Behinderte“).
Selbsthilfegruppen vom Typ 1 haben meist zwischen 6 und 12 Mitgliedern und treffen sich über einen längeren Zeitraum einmal wöchentlich für 2-3 Stunden in einem möglichst neutralen öffentlichen Raum. die wichtigsten Merkmale dieser Gruppenselbstbehandlung sind:
- selbstverantwortliche Entscheidung fürGruppenteilnahme (keine Überweisung vom Arzt)
- Gleichstellung aller Gruppenmitglieder, kein Leiter (demokratisches Arbeitsbündnis)
- Gruppe entscheidet eigenverantwortlich
- Gruppenteilnahme wegen eigener Schwierigkeiten (Selbsthilfeprinzip)
- nichts soll aus der Gruppe nach außen dringen (Gruppenschweigepflicht)
- Teilnahme ist kostenlos (abgesehen von z.B. Raummieten, die durch Spenden beglichen werden)
- Erfolg nur durch regelmäßige Teilnahme (Kontinuitätsprinzip)
Es gibt vier für Selbsthilfegruppen wichtige Grundwerte. Diese sind Selbstbestimmung, Echtheit bzw. Authentizität, Hoffnung und Solidarität.
Ziel der Selbsthilfegruppen ist, durch intensive Aussprache über persönliche Probleme, gleich welcher Art, und durch Auseinandersetzungen mit den aufkommenden Gefühlen sich selbst und damit anderen zu helfen. Das Arbeits- und Therapiekonzept bestimmen die Mitglieder einer Gruppe selbst. Darüber hinaus gibt es keine festgelegten Vorschriften, wie man sich in einer Selbsthilfegruppe zu verhalten hat. Es gibt drei Grundprinzipien des Arbeitskonzeptes der Selbsthifegruppen:
- Gruppenprinzip: Aufhebung der Isolation der Einzelnen, Entlastung durch Anwesenheit von Gleichbetroffenen und Möglichkeit der Problembewältigung durch therapeutische Arbeit in einer Kleingruppe.
- Kontinuitätsprinzip: wiederholte intensive Auseinandersetzung über einen längeren Zeitraum mit den Schwierigkeiten, die von den einzelnen Gruppenmitgliedern eingebracht werden. Es wird durch kontinuierliche Treffen berücksichtigt, daß therapeutische Arbeit Zeit braucht. Selbsthilfegruppen Arbeiten üblicherweise über Jahre.
- Selbsthilfeprinzip: Es findet nicht nur wechselseitige Fremdhilfe, sondern auch wechselseitige Selbsthilfe statt. Jeder hilft sich vor allem selbst und zeigt dadurch dem anderen, wie man sich selbst helfen kann (Lernen am Modell).
Über die wöchentlichen Treffen der Selbsthilfegruppen hinaus besteht die Möglichkeit eines Gesamttreffens mehrerer Selbsthilfegruppen, z.B. einmal im Monat. Hier können Erfahrungen ausgetauscht werden, in Krisensituationen oder bei Problemen, die die einzelne Gruppe nicht zu bewältigen glaubt, wechselseitige Beratung geboten werden. Es kann in diesem erweiterten Rahmen auch versucht werden, gemeinsam sozialverändernde Ziele zu erreichen. Hierzu könnte mit der Presse zusammengearbeitet werden, um die Veränderungswünsche nach außen zu tragen. Die Gesamttreffen können auch Kontakt- und Informationstelle für Neue und Ort der Zusammenarbeit von Selbsthilfegruppen und Experten wie Ärzte oder Psychotherapeuten sein.
2 Die Anonymen Alkoholiker
Eine der ersten und eine der bekanntesten Selbsthilfeorganisation sind die Anonymen Alkoholiker. Die 12 Schritte und 12 Traditionen der AA wurden über das Problem des Alkoholismus hinaus paradigmatisch für eine Großteil der gesamten Selbsthilfebewegung, die aus der psychosozialen Versorgung der westlichen Industrienationen nicht mehr wegzudenken ist.
2.1 Geschichte der AA
Die Anonymen Alkoholiker (Alcoholics Anonymous) wurden am 10.6.1935 von dem Finanzmakler William Griffith Wilson und dem Chirurgen Dr. Robert Holbrook Smith in Akron, USA gegründet und basierte weitgehend auf die Oxford-Bewegung, einer überkonfessionellen, evangelikalen Gruppe. Hier wurde versucht, durch Techniken wie „surrender“, das Bekenntnis von Sünden, das Erzählen der Lebensgeschichten, Gebet, Suche von Gottes Führung sowie durch Wiedergutmachungen das Leben der einzelnen positiv zu verwandeln. Frank Buchmann der Begründer der Oxford-Bewegung wollte die Welt ändern, indem er den einzelnen verwandelt. William (Bill) Wilson hatte nach vergeblichen Versuchen das Trinken aufzugeben im Jahre 1934 während eines Alkoholentzugs ein intensives Bekehrungserlebnis -eine spirituelle Erfahrung-, wonach er für immer nüchtern blieb. Als er einmal auf einer Geschäftsreise den Wunsch verspürte, sich zu betrinken, suchte er einen anderen Alkoholiker -nämlich Robert (Bob) Smith- mit dem er reden wollte, um sich selbst nüchtern zu halten. Dies war das erste AA-Meeting. Die beiden versuchten fortan mit den Prinzipien der Oxford-Gruppe Alkoholikern zur Nüchternheit zu verhelfen.
Bill Wilson ging später nach New York, wo er eine weitere Gruppe startete, während Bob Smith in Akron blieb. Nach zwei Jahren waren es bereits 40 Angehörige bei den Selbsthilfegruppen. Eine Kettenreaktion wurde ausgelöst, 1944 gab es bereits 360 Gruppen mit 10000 Mitgliedern und es erschien neben einem Buch „Alcoholics Anonymous“ (in Deutschland als „Blaues Buch erschienen), die AA-Zeitung The „Grapevine“. In den fünfziger Jahren breiteten sich die AA-Gruppen international aus. In Deutschland fand die erste AA-Gruppe am 1.November 1953 in München, von Amerikanischen Soldaten initiiert, statt. Weltweit gab es 1991 mindestens 73000 Gruppen in 136 Ländern, in Deutschland allein 2413 AA-Gruppen. Die Anonymen Alkoholiker sind inzwischen wegen ihrer Erfolge, über die wegen der anonymen Struktur keine Zahlen bekannt sind, auch in Fachkreisen anerkannt und hochgeehrt. Sie bekamen 1978 den Hermann-Simon-Preis, der in Deutschland für besondere Leistungen auf dem Gebiet der Sozialpsychiatrie vergeben wird. Die AA sind in den USA einflußreicher als bei uns, wo es alternativ noch eine ganze Reihe von Gruppen neben den AA gibt (Kreuzbund, Blaues Kreuz,, Deutscher Guttempler Orden, AOK-Gruppen usw.).
2.2. Selbstverständnis, Programm und Organisation der Anonymen Alkoholiker
Die AA können die einzige Therapie sein, kann aber auch zusätzlich zu stationären Therapien besucht werden oder die Nachsorge betreffen. Die Stärke der Wirksamkeit liegt mehr in der langfristigen Nachsorge als in der primären therapeutischen Behandlung. Die Abstinenzzahlen von Alkoholikern, die zu den AA gehen, liegen wesentlich über denen, die nicht zu den AA gehen (Murken 1994). Im Transformationsmodell der AA ist der Wandel der Werthaltung und damit auch die Stärkung des Selbstwertgefühls vorgesehen.
Sie riefen das Krankheitskonzept von Alkoholismus2 -entgegen der herrschenden medizinischen Auffassung- ins Leben, was von Prof. Jellinek von der WHO aufgenommen und wissenschaftlich unterstützt wurde. Die Zugehörigkeit zu den AA wurde auch schon als Ersatzabhängigkeit zum Alkoholismus dargestellt (Brandsma in Murken 1994).
2.2.1 Selbstverständnis (Präambel)
Die Präambel der AA lautet:
Anonyme Alkoholiker sind eine Gemeinschaft von M ä nnern und Frauen, die miteinander ihre Erfahrung, Kraft und Hoffnung teilen, um ihr gemeinsames Problem zu l ö sen und anderen zur Genesung vom Alkoholismus zu verhelfen. Die einzige Voraussetzung f ü r die Zugeh ö rigkeit ist der Wunsch mit dem Trinken aufzuh ö ren.
Die Gemeinschaft kennt keine Mitgliedsbeitr ä ge oder Geb ü hren; sie erh ä lt sich durch eigene Spenden.
Die Gemeinschaft AA ist mit keiner Sekte, Konfession, Partei, Organisation oder Institution verbunden; sie will sich weder an ö ffentlichen Debatten beteiligen noch zu irgendwelchen Streitfragen Stellung nehmen.
Unser Hauptzweck ist, n ü chtern zu bleiben und anderen Alkoholikern zur N ü chternheit zu verhelfen.
Das Ziel ist, sich selbst und anderen zu helfen. Dabei bleibt es ganz den Gruppen überlassen, wie sie vor dem Hintergrund der „Zwölf Schritte“ und der „Zwölf Traditionen“ diese Aufgaben lösen.
In der Praxis sind es vor allem 2 Elemente, die zur Nüchternheit führen sollen: die regelmäßige Teilnahme an den wöchentlich stattfindenden Treffen und die individuelle Durcharbeitung des Programmes.
Das Konzept der AA ist seit 1939 in dem Buch Alcoholics Anonymous programmatisch dargelegt. Es hat 11 theoretische Kapitel und einen Anhang aus Lebensgeschichten betroffener Alkoholiker, die durch die AA zur Genesung gelangten. Anfang der 70er Jahre wurde das Buch unverändert ins Deutsche übersetzt, allerdings ergänzt durch einige Lebensgeschichten deutscher AAs,
2.2.2 Die zwölf Schritte
Zunächst wurden die „Zwölf Schritte“ als Programm der AA aufgestellt. Sie sind das therapeutische Konzept und damit der Kernpunkt des Programms der AA. Für die Genesung der AA wird es für unerläßlich befunden, daß der einzelne diese beständig durcharbeitet.
1. Wir gaben zu, da ß wir dem Alkohol gegen ü ber machtlos sind - und unser Leben nicht mehr meistern konnten.
2. Wir kamen zu dem Glauben, da ß eine Macht, gr öß er als wir selbst, uns unsere geistige Gesundheit wiedergeben kann.
3. Wir fa ß ten den Entschlu ß , unseren Willen und unser Leben der Sorge Gottes - wie wir ihn verstehen - anzuvertrauen.
4. Wir machten eine gr ü ndliche und furchtlose Inventur in unserem Inneren.
5. Wir gaben Gott, uns selbst und einem anderen Menschen gegen ü ber unverh ü llt unsere Fehler zu.
6. Wir waren v ö llig bereit, all diese Charakterfehler von Gott beseitigen zu lassen
7. .Dem ü tig baten wir ihn, unsere M ä ngel von uns zu nehmen.
8. Wir machten eine Liste aller Personen, denen wir Schaden zugef ü gt hatten und wurden willig, ihn bei allen wiedergutzumachen.
9. Wir machten bei diesen Menschen alles wieder gut - wo immer es m ö glich war -, es sei denn, wir h ä tten dadurch sie oder andere verletzt.
10.Wir setzten die Inventur bei uns fort, und wenn wir unrecht hatten, gaben wir es sofort zu.
11.Wir suchten durch Gebet und Besinnung die bewu ß te Verbindung zu Gott - wie wir ihn verstanden - zu verbessern. Wir baten ihn nur, seinen Willen f ü r uns zu erkennen zu lassen und um die Kraft, ihn auszuf ü hren.
12.Nachdem wir durch diese Schritte ein geistiges Erwachen erlebt hatten, versuchten wir, diese Botschaft an Alkoholiker weiterzugeben und unser t ä gliches Leben nach diesen Grunds ä tzen auszurichten.
Das Programm der „Zwölf Schritte enthält keine Regeln nur Empfehlungen, gegründet auf die Erfahrungen der ersten AAs. Inhaltlich und sprachlich sind sie gefärbt durch die Prägung der AA-Gründer in der Oxford-Bewegung, von deren autoritären Gottesvorstellungen und öffentlichen Bekenntnissen William Wilson und Robert Smith sich wegen des Zwanges schon abgestoßen fühlten, als sie das Programm formulierten.
2.2.3 Das spirituelle Selbstverständnis der AA
Die spirituelle Philosophie der AA ist integraler Bestandteil des Therapiekonzeptes. Der AA-Gründer Bill Wilson berief sich außer auf die Oxford-Bewegung auf den Schweizer Psychoanalytiker Carl Gustav Jung als geistigen Anreger ihres Programms. Im Selbstverständnis der Anonymen Alkoholiker ist ihr Programm ein „spirituelles Programm“3, und das spirituelle Erwachen wird als wesentlich für die Genesung vom Alkoholismus angesehen. Die Genesung vom Alkoholismus wird als Nebenprodukt eines gewandelten Lebens bzw. als Bestandteil des Bekehrungsprozesses verstanden. Die Egoreduktion hin zu einer demütigeren Haltung ist ein wesentliches Element dieser Bekehrung.
Jedes AA- Mitglied soll seine eigene Machtlosigkeit (in Form von Kapitulation) und eine höhere Macht -einen liebenden Gott- anerkennen, in deren Hand er sein eigenes Leben zur Genesung überantwortet. Die Hoffnung (auf Gottes Hilfe zugunsten eines neuen alkoholfreien Lebens) ist dabei zentrales therapeutisches Element. Die „höhere Macht“ hat aber nicht die Autotität den Alkoholkranken zu bestrafen oder zu belohnen. Sie kann nur ihre Kraft entfalten und dem einzelnen zur Genesung dienen unter der Voraussetzung solidarischen Handelns. Eine mit Sanktionsgewalt ausgestattete Macht paßt nicht in das Vorstellungssystem der AA. Sie haben die Vorstellung einer demokratischen höheren Macht, die dem einzelnen unfehlbaren Schutz bieten kann und allen die Kraft zum gemeinsamen Wohl gibt.
Die spirituelle Seite des „Zwölf Schritte-Programmes“ wird jedoch auch kritisiert und abgelehnt. Nicht nur Außenstehende sonder auch Teilnehmer haben zum Teil erhebliche Schwierigkeiten damit. Um Agnostiker und Atheisten nicht auszuschließen einigten sich die AA auf die Formel „Gott, wie wir ihn verstehen“. Das läßt jedem die Chance sich auf die - ohnehin unausweichliche- Erkenntnis zu beschränken, daß er selbst nicht der Größte ist in seinem Leben und nicht alles in der Hand hat, wie er in seinem Alkoholwahn geglaubt hat. Für viele bleibt auch die Gemeinschaft AA insgesamt oder die heimische Gruppe die „höhere Macht“. Die Solidarität und die Freundschaft der Gruppe ist die Grundlage dafür, daß sich der höhere Geist ausbreiten kann.
2.2.4 Die „Zwölf Traditionen“
Die AA machten bereits wenige Jahre nach den ersten Gruppengründungen die Erfahrung, daß es ganz ohne eine Art Satzung nicht gehen kann. Die Erfahrungen der bis dahin gut zehn Jahre alten Gemeinschaft - vor allem die Risiken für die Einigkeit der AA - sind in diese „Zwölf Traditionen“ - sechs Jahre nach den programmatischen „Zwölf Schritten“ als Lehren eingeflossen. Hier werden die Prinzipien der Anonymität und der organisatorischen Unabhängigkeit festgelegt:
1. Unser gemeinsames Wohlergehen sollte an erster Stelle stehen; die Genesung des Einzelnen beruht auf der Einigkeit der Anonymen Alkoholiker.
2. F ü r den Sinn und Zweck unserer Gruppe gibt es nur eine h ö chste Autorit ä t - einen liebenden Gott, wie Er sich in dem Gewissen unserer Gruppe zu erkennen gibt. Unsere Vertrauensleute sind nur betraute Diener sie herrschen nicht.
3. Die einzige Voraussetzung f ü r die AA-Zugeh ö rigkeit ist der Wunsch mit dem Trinken aufzuh ö ren.
4. Jede Gruppe sollte selbst ä ndig sein, au ß er in Dingen, die andere Gruppen oder die Gemeinschaft der AA als Ganzes angehen.
5. Die Hauptaufgabe jeder Gruppe ist, unsere AA-Botschaft zu Alkoholikern zu bringen, die noch leiden.
6. Eine AA-Gruppe sollte niemals irgendein au ß enstehendes Unternehmen unterst ü tzen, finanzieren oder mit dem AA-Namen decken, damit uns nicht Geld-, Besitz- und Prestigeprobleme von unserem eigentlichen Zweck ablenken.
7. Eine AA-Gruppe sollte sich selbst erhalten und von au ß en kommende Unterst ü tzung ablehnen.
8. Die T ä tigkeit bei den Anonymen Alkoholikern sollte immer ehrenamtlich bleiben, jedoch d ü rfen unsere zentralen Dienststellen Angestellte besch ä ftigen.
9. Anonyme Alkoholiker sollten niemals organisiert werden. Jedoch d ü rfen wir Dienst-Aussch ü sse und -Kommitees bilden, die denjenigen verantwortlich sind, welchen sie dienen.
10.Anonyme Alkoholiker nehmen niemals Stellung zu Fragen au ß erhalb ihrer Gemeinschaft, deshalb sollte auch nie der AA-Name in ö ffentliche Streitfragen verwickelt werden.
11.Unsere Beziehungen zur Ö ffentlichkeit st ü tzen sich mehr auf Anziehung als auf Werbung. Deshalb sollten wir auch gegen ü ber Presse, Rundfunk, Film und Fernsehen stets unsere pers ö nliche Anonymit ä t wahren.
12.Anonymit ä t ist die spirituelle Grundlage aller unserer Traditionen, die uns immer daran erinnern soll, Prinzipien ü ber Personen zu stellen.
2.2.5 Zur Mitgliedschaft und den Gruppen der AA
Die einzige Voraussetzung für die Mitgliedschaft bei den AA ist der Wunsch mit dem Trinken aufzuhören aber auch die Ehrlichkeit mit sich selbst und anderen. Es gibt keine Aufnahme - Formalitäten wie Überweisungen von Ärzten. Die AA-Gruppen verzichten auf jede rechtliche Institutionalisierung. Die Teilnahme ist kostenlos. Jede Gruppe trägt sich aus freiwilligen Spenden. Zuschüsse von dritter Seite werden abgelehnt. Nach dem Selbstverständnis der AA arbeitet jede Gruppe unterschiedlich, doch richtet sie sich dabei nach den Grundsätzen des AA-Programms. In den Meetings, dies ist eine der Grundregeln, spricht jeder nur über sich selbst. Es werden keine Ratschläge erteilt oder Dialoge geführt; allenfalls kann die eigene Geschichte indirekt Antwort auf die Probleme des anderen sein. Neben den Gruppen, zu denen nur Alkoholkranke gehören, gibt es auch eigene Gruppen für die nichtalkoholkranken Partner (Al-Anon) und die Kinder von Alkoholikern (Al- Ateen). Aus dem Konzept der Anonymen Alkoholikern sind auch Gruppen für Drogenabhängige (Narcotics Anonymous), Spieler (Gamblers Anonymous) und Menschen mit psychischen Störungen/ Erkrankungen (Emotions Anonymous) hervorgegangen, die sich an den 12 Schritten und Traditionen in entsprechender Abwandlung orientieren.
Darüber hinaus beeinflußten die Prinzipien der AA seit den 40er Jahren in den USA (und später auch in anderen -vor allem den westlichen- Ländern) neben der Selbsthilfebewegung auch die stationären Behandlungskonzepte des Alkoholismus.
Hauptzielgruppe der AA sind (in den USA weiße) Männer des Mittelstandes mit relativ stabilen sozialen Hintergrund. Das Geschlechterverhältnis von Männern zu Frauen beträgt im allgemeinen 2:1. Im Schnitt bleibt ein AA-Mitglied 7,8 Jahre in der Gruppe. Von denen, die die AA-Gruppen besuchen, bleiben nach Emrick 1987 (zit. in Murken 1994, 22) die Hälfte länger als ein Halbes Jahr dabei und von diesen bleiben 60-70 % abstinent. Diejenigen Alkoholiker, die vor ihrer Abstinenz an höherem Kontrollverlust und negativen Folgen des Alkoholismus litten, sind stärker in die AA involviert als jene mit geringerem Schweregrad des Alkoholismus (Murken 1994).
Die AA haben verschiedene Arten von Meetings, in denen sich aus Gründen der Anonymität nur beim Vornamen genannt wird.
2.2.5.1 Das „geschlossene Meeting“
Die Grundform der Zusammen künfte und auch die wichtigsten sind die „ geschlossenen Meetings “ , an denen nur Alkoholiker teilnehmen dürfen. Es wird sich mindestens einmal wöchentlich, teilweise auch häufiger zusammengefunden4. Die Termine sind in jeder Stadt unter der Rufnummer der AA, die im Telefonbuch steht, zu erfahren. Die Gruppe ist das Forum, auf dem die Auseinandersetzung mit dem AA-Programm erfolgt. Die Gruppenstärke ist von Gruppe zu Gruppe verschieden, im Allgemeinen zwischen 10 und 20 Teilnehmer. Aber es können schon zwei Teilnehmer eine AA-Gruppe ausmachen. Thematisch werden hauptsächlich Probleme, die mit Alkohol in Zusammenhang stehen, besprochen. Beim „geschlossenen Meeting“ liegt normalerweise Literatur aus, wie Broschüren und Buchveröffentlichungen der AA. Für die Teilnehmer stehen nichtalkoholische Getränke zur Verfügung. Die Treffen sind im hohen Maße ritualisiert. Das Meeting kann mit dem Vorlesen der Präambel sowie verschiedener anderer Texte (aus der AA-Literatur) beginnen. Es wird auf die Anonymität hingewiesen und nach aktuellen Problemen gefragt. In einem Rundgespräch berichtet jeder Teilnehmer, wie es ihm während der letzten Woche erging. Die Teilnehmer stellen sich jedesmal wieder mit seinem Vornamen und dem Bekenntnis Alkoholiker zu sein, vor. Die Diskussion verläuft geordnet nach einer Rednerliste. Die Themen resultieren aus aktuellen Problemen oder können vom Leiter des Meeting vorbereitet werden. Am Ende des Meeting können die Worte des Tages aus der AA-Literatur vorgelesen werden. Geschlossen wird z.B. mit dem „Gelassenheitsspruch“5 oder einer „Sammlung“. Danach treffen sich Interessenten zum „Nachmeeting“, wo im kleineren Kreis noch etwas vertiefter auf die persönlichen Probleme eingegangen werden kann.
2.2.5.2 Weitere Meetings
Es gibt zusätzlich auch „ offene Meetings “, die einmal im Monat stattfinden können. Hierzu können alle Angehörigen und Interessenten kommen. Es werden auch Einladungen an Pfarrer,Gemeindevertreter, Stadträte, Therapeuten, Ärzte und Fachleute verschickt. Die Termine werden zumeist in der Zeitung veröffentlicht. Diese Meetings haben neben Alkoholikern und deren Angehörigen, die aus Gründen der Einhaltung der Anonymität meist aus anderen Orten stammen, auch Experten als Redner.
Weiterhin gibt es je nach Bedarf vereinbarte „ Arbeitsmeetings “ . Hier organisieren die Gruppenmitglieder Aktivitäten, bestimmen über die Verwendung von Spendengelder oder teilen anfallende Arbeiten auf. Ein Mitglied, welches für einen bestimmten Zeitraum für eine Arbeit verantwortlich ist, wird „betrauter Diener“ genannt.
2.2.6 Aufgabengebiete in der AA-Organisation
Die „betrauten Diener“ werden von den Gruppenmitgliedern gewählt und wechseln in regelmäßigen Zeiträumen, so daß sich keine „blutenden Diakone“ festsetzen, die meinen, daß die Gruppe ohne sie hilflos wäre. Jeder AA soll lernen, Verantwortung zu übernehmen. Dadurch soll dem Gefühl vorgebeugt werden, am Rande der Gruppe zu stehen oder Mitläufer zu sein.
Neben den „betrauten Dienern“ gibt es noch die Aufgabe des Gruppensprechers und des Kassierers. Beide sollen mindestens ein Jahr ununterbrochen trocken sein. Der Gruppensprecher ist, je nach Vereinbarung, die Kontaktperson der Gruppe zur Öffentlichkeit. Er vertritt die Gruppe auf überörtlicher Ebene und leitet die Meetings: Er eröffnet das Meeting, liest die Präambel vor, führt die Rednerlisten und sorgt für einen störungsfreien Ablauf. Der Kassierer verwaltet gespendetes Geld. Dabei führt er über Einnahmen und Ausgaben Buch. Die Eintragungen werden von einem anderen AA gegengezeichnet. Er überweist die von der Gruppe beschlossenen Spenden und bezahlt die Raummiete.
Wichtige Personen für den therapeutischen Erfolg sind die „Sponsoren“. Diese sind trockene bzw. nüchterne Alkoholiker, die anderen noch süchtigen „nassen“ Alkoholikern helfen, trocken zu werden. Ein trockener AA erklärt sich bereit, eine Sponsorschaft für ein neues Mitglied zu übernehmen, d.h. dem AA „beizustehen“ (to sponsor). Die Sponsorschaft ist ein wichtiges Element, um den neuankommenden Alkoholiker zu unterstützen und an die Gemeinschaft zu binden. Der Sponsor gibt diesem persönliche Zuwendung, vermittelt eine Entziehungskur und gibt Rat bei Entlassung aus der Betreffenden Anstalt. Er führt den Neuen in die AA-Geminschaft ein und besucht ihn zu Hause. Wenn diesen Mutlosigkeit, Angstzustände, Verlangen nach Alkohol oder andere Beschwerden quälen, ist er da. Die Begegnung mit dem Sponsor finden vorwiegend außerhalb der Meetings statt. Es werden gleichgeschlechtliche Partnerschaften empfohlen, um das Entstehen von Romanzen zu verhindern, die zu Komplikationen und zum Ende der Beziehung führen können. Außerdem sollten gleiche soziale Herkunft und ähnliche Interessen da sein. Das Vorhandensein mehrerer Sponsoren wird als vorteilhaft angesehen, da jeder weitere Betreuer zusätzliche Erfahrungen vermitteln und bei Unabkömmlichkeit des anderen einspringen kann. Die AA betonen nachdrücklich, daß der Sponsor von der Beziehung ebenso profitiere, wie der Gesponsorte, da nur das Sprechen mit anderen Alkoholikern auf die Dauer nüchtern halten könne. Diejenigen AA, die einen Sponsor haben werden signifikant seltener rückfällig als jene ohne Sponsor (Murken 1994) Auf überregionaler Ebene werden auf einer einmal jährlich stattfindenden Dienstkonferenz, einer Art Aufsichtsrat, die verantwortlichen Vertreter von den Gruppen gewählt. Sie Haben keine Weisungsbefugnis. Die Anleitungen, die keine Anordnungen sein können, versuchen eine Balance zu finden zwischen dem größtmöglichen Freiheitsspielraum für jeden einzelnen und jede einzelne Gruppe sowie einem Höchstmaß an Einigkeit untereinander und im Umgang mit der Außenwelt. Auf diese Weise ist kein Verband entstanden, sondern ein Netz von lokalen, autonomen Gruppen ohne statuarisch abgesicherte Rechte und Pflichten, ohne Beitragsverpflichtungen und ohne Karteien. Die Zentrale in New York, das General Service Office, vermittelt ein weltweites Netz von Kontakten.
Literatur:
MOELLER, Michael Lukas: Selbsthilfegruppen. Anleitungen und Hintergründe. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1996.
MURKEN, Sebastian: Religiosität, Kontrollüberzeugung und seelische Gesundheit bei Anonymen Alkoholikern. Europäische Hochschulschriften, Reihe VI Psychologie Bd./ Vol. 475. Peter Lang, Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt/M., Berlin, Bern, Paris, Wien 1994.
NEUENDORFF, Steffen/ SCHIEL, Jürgen:Die Anonymen Alkoholiker - Portrait einer Selbsthilfeorganisation. Beltz, Weinheim und Basel 1982.
ROBERTSON, Nan: Die Anonymen Alkoholiker. Der erfolgreiche Weg aus der Sucht. Ein Insiderbericht.Knaur, München 1991.
ZOCKER, Horst: betrifft: Anonyme Alkoholiker-Selbsthilfe gegen die Sucht. Beck’sche Reihe, 2. akt. Auflage.München 1991.
[...]
1 Es gibt auch noch Selbsthilfe aus dem sozial-ökonomischen und ökonomischen Spektrum, die aber in diesem Zusammenhang nicht von Interesse sind.
2 Primäres Merkmal von Alkoholismus als Krankheit ist die Unfähigkeit, kontrlliert trinken zu können.
3 „Spiritualität“ ist bei den AA nicht gleichbedeutend mit der christlichen Religion.
4 Verschiedene Kasseler AA Gruppen treffen sich täglich, teilweise sogar mehrere Gruppen an einem Tag.
5 Gelassenheitsspruch ist folgendes Gebet: „Gott, gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut , Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“
- Citation du texte
- Hans-Jürgen Lötzerich (Auteur), 1999, Die Selbsthilfegruppe der anonymen Alkoholiker, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/100800
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