Im Rahmen dieses Essays möchte ich näher auf die beiden Konzepte "Denkstil" und "Denkkollektiv" eingehen und anhand von Beispielen Überlegungen anstellen, auf welche alltäglichen Strukturen sich diese Konzepte übertragen lassen könnten.
Ludwik Fleck war ein polnischer Mediziner und Soziologie, der am 11. Juli 1896 geboren wurde. Im Jahre 1914 nahm Fleck sein Medizinstudium auf, innerhalb dessen er seine Faszination für die Mikrobiologie entdeckte. Aus einer jüdischen Familie stammend befand sich Fleck mitsamt seiner Forschungstätigkeiten lange im Schatten des NS-Regimes. In den 1960er Jahren schließlich erfuhren Ludwik Flecks Tätigkeiten eine schlagartig rege Rezeption, insbesondere Flecks philosophisch orientiertes Werk zur Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache und gilt heute sogar als "Schlüsselwerk" in der Wissenschaftsforschung.
Ludwik Fleck war ein polnischer Mediziner und Soziologie, der am 11. Juli 1896 im zu dieser Zeit noch polnischen Lemberg geboren wurde.1 Nach dem erfolgreichen Abschließen des Gymnasiums im Jahre 1914 nahm Fleck noch im selben Jahr sein Medizinstudium auf, innerhalb dessen er seine Faszination für die Mikrobiologie entdeckte.2
Neben dem Studium der Medizin belegte Fleck auch Kurse der Philosophie und beschäftigte sich zudem privat mit der Lektüre philosophischer, soziologischer und wissenschaftsgeschichtlicher Werke.3
Aus einer jüdischen Familie stammend befand sich Fleck mitsamt seiner Forschungstätigkeiten lange im Schatten des NS-Regimes.4 So wurde er anfangs gemeinsam mit seiner Frau und seinem Sohn ins Lemberger Ghetto, 1943 nach Auschwitz und 1944 schließlich zusammen mit seinem Sohn nach Buchenwald deportiert, bevor er im April des Jahres 1945 die Befreiung des Konzentrationslagers miterlebte.5
In den 1960er Jahren schließlich erfuhren Ludwik Flecks Tätigkeiten eine schlagartig rege Rezeption, nachdem der amerikanische Physiker, Wissenschaftshistoriker und -philosoph Thomas S. Kuhn sich 1962 in seinem Werk zum Konzept des Paradigmas auf die Gedanken Flecks stützte.6 Insbesondere Flecks philosophisch orientiertes Werk zur Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv erhielt hierdurch eine enorme Aufmerksamkeit und gilt heute sogar als „Schlüsselwerk“ in der Wissenschaftsforschung.7
In dem erwähnten Werk, das bereits in den 1930er Jahren entstand, beschäftigt sich Ludwik Fleck insbesondere mit erkenntnistheoretischen Ansätzen und erläutert die in der heutigen Forschung von ihm geprägten Begriffe des „Denkstil[s]“ und des „Denkkollektiv[s]“.8
Im Rahmen dieses Essays möchte ich näher auf diese beiden Konzepte eingehen. Nach einer kurzen Erläuterung der Begriffe möchte ich weitergehend anhand von Beispielen Überlegungen anstellen, auf welche alltäglichen Strukturen sich diese Konzepte übertragen lassen könnten. Als Grundlage dieser Überlegungen soll Flecks Werk Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv dienen.
In seiner Monographie erläutert Fleck zunächst einmal allgemeiner, dass er die „soziale Bedingtheit jedes Erkennens“ hervorzuheben versucht.9 Eine Erkenntnis muss, so Fleck, immer in Kontext mit dem Wissensbestand der erkennenden Person gesetzt werden.10 Er beschreibt es auch als eine „Wechselwirkung zwischen Erkanntem und dem Erkennen“.11 Nur, wenn das Erkennen auf diese Weise kontextualisiert wird, ließe sich nachvollziehen, wie die erkennende Person zu jener Erkenntnis kommen konnte.12
Vor diesem Hintergrund beschreibt Fleck nun mit Hilfe des Begriffs des Denkkollektivs konkreter eine Gruppe von Personen, „die im Gedankenaustausch oder in gedanklicher Wechselwirkung stehen“ und damit ein sich im Wesentlichen überschneidendes Kontingent an Wissen besitzen.13 Jenes Wissen ist vor allem durch soziologische Aspekte sowie von den Überzeugungen geprägt, die die Gruppenmitglieder teilen und die sie daher verbinden.14
Fleck fasst diese „soziologischen Strukturen“ in Verbindung mit den gemeinsamen Überzeugungen unter dem Begriff des Denkstils zusammen.15 Der Denkstil eines Denkkollektivs bildet damit das Fundament, auf dem ein Denkkollektiv, beispielsweise durch Untersuchungen, sein „Wissensgebäude“ aufbauen kann und er beeinflusst als Fundament sämtliche Erkenntnisse im Rahmen dieses sogenannten „Wissensgebäude[s]“.16
Fleck versucht anhand eines einschlägigen Beispiels darzustellen, von welch elementarer Bedeutung der Denkstil für Erkenntnisse ist. So erläutert er, dass zwischen dem Erkannten und dem erkennenden Subjekt immer ein drittes Glied mit zu erwähnen ist.17 So sei der Satz „dieses Buch ist größer“ nicht vollständig.18 Es fehle das dritte Glied, das in diesem Falle etwa die Ergänzung „als jenes Buch“ sein könnte.19 Dieser Faktor, der sich aus dem Denkstil der Person ergibt, erläutert, aus welchem Grund das erkennende Subjekt das erwähnte Buch als „größer“ beschreibt.20 Dieser Kontext sei bei jeder Erkenntnis von unverkennbarer Bedeutung.
Wie lassen sich jene Begriffe nun – weg von der Wissenschaft – auf alltägliche Strukturen übertragen? Sind beispielsweise ein familiärer Zusammenschluss oder eine Freundesgruppe als Denkkollektiv anzusehen?
Möglicherweise – beachtet man die Voraussetzung der ähnlichen Überzeugungen, die Mitglieder eines Denkkollektives laut Fleck teilen – ist eine Freundesgruppe ein immerhin angemessenerer Vergleich als ein familiärer Zusammenschluss, der in der Regel weniger auf gleichen Ansichten und mehr auf Verwandtschaft basiert.
Hierbei wäre die Frage, ob sich eine Gruppe, wie etwa eine Familie, auch zu einem späteren Zeitpunkt noch zu einem Denkkollektiv entwickeln kann, was möglich erscheint, insofern ab irgendeinem Zeitpunkt die gleichen Überzeugungen geteilt werden – aber auch erst ab jenem Zeitpunkt wäre dann von einem Denkkollektiv zu sprechen. Aber zurück zur Beispielfindung.
Auch in Bezug auf eine Freundesgruppe muss im Vergleich zu einem wissenschaftlichen Denkkollektiv bedacht werden, dass hier Faktoren wie Sympathie oder Vertrauen eine weitaus größere Rolle spielen dürften als ähnliche Überzeugungen, wenngleich Überzeugungen durchaus von Wichtigkeit für eine Freundschaft sind.
Fleck selbst äußert sich im 4. und damit letzten Kapitel seines Werkes dazu, auf welche Strukturen oder Personengruppen sein Konzept des Denkkollektivs übertragbar ist. So führt er etwa verschiedene Berufsgruppen, Sport-, Religions- oder Politikgemeinschaften als potenzielle „Denkgemeinschaften“ an und hält insbesondere die „Denkgemeinschaft der Modewelt“ für ein besonders passendes Beispiel.21
Ein passenderes Beispiel als eine Familie oder ein Freundeskreis müsste also im besten Fall ein Zusammenschluss von Personen sein, der weder auf persönlicher Zuneigung noch auf Verwandtschaft basiert. Vielmehr müsste es sich bereits bei den Gründen, aus denen heraus sich ein Zusammenschluss von Personen bildet, um gleiche Interessen und Überzeugungen handeln – eben ähnlich zu einer Gruppe von Wissenschaftlern. Geeignete Beispiele hierfür könnten im Hobbybereich zu finden sein. Etwa eine Sport- oder Theatergruppe, ein Buchclub oder derartiges, ferner auch eine Gemeinde oder eine Gruppe von Politikern, wie etwa innerhalb einer Partei. Ferner, da ich die Teilnahme an einer Glaubensgemeinschaft oder einer Partei nicht mehr dem Hobbybereich zuordne.
Im Folgenden sollen nun die Strukturen einer solchen Gruppe skizziert werden, wofür ich das Beispiel der Sportgruppe anführen möchte. Die Begründung meiner Wahl ist, dass es sich hierbei um eine Art von Personenverband handelt, dessen Strukturen ich aus eigener Erfahrung kenne, da ich selbst Mitglied einer Volleyballmannschaft im Rahmen eines Vereins war. Zudem gehe ich davon aus, dass es sich hierbei um Strukturen handelt, die für viele leicht nachvollziehbar sind.
Mitglied einer Sportmannschaft kann zunächst einmal jeder werden, der Interesse an der Sportart – in diesem Beispiel Volleyball – hat. Hiermit wäre das zuvor formulierte Kriterium erfüllt, dass die Gründe eines Personenzusammenschlusses bestenfalls bereits bestehende gemeinsame Interessen sind. Je nach Mannschaft – etwa eine Amateurmannschaft im Gegensatz zu der 1. Mannschaft eines Vereins – kann es mehr oder weniger von Bedeutung für eine Mitgliedschaft sein, ob man als Anfänger gilt, die Grundlagen der Sportart beherrscht oder sogar bereits als Profi einzustufen ist.
Verglichen mit Flecks Erläuterungen zu Denkkollektiven stellt sich an dieser Stelle die Frage, ob der Teilnahme an einem Denkkollektiv beispielsweise ein wissenschaftliches Studium oder andere Qualifikationen vorausgehen müssen oder ob es sich bei den Mitgliedern auch um interessierte Laien handeln kann. Bezogen auf Flecks im 4. Kapitel angeführten Beispiele sollte ein laienhaftes, wenn auch ernsthaftes Interesse genügen. Trotzdem passe ich meinen Vergleich mit der Sportgruppe dahingehend an, dass es sich bei dem Beispiel um die 1. Mannschaft eines Vereins handelt, dessen Mitglieder – ähnlich der von Fleck angeführten Gruppe von Mikrobiologen – bestimmte Qualifikationen vorweisen können müssen.22
In Bezug auf eine Vereinsmannschaft ist darüber hinaus anzumerken, dass Spieler bzw. Spielerinnen dem Verein beitreten müssen. Im Falle des Vereins, innerhalb dessen ich Teil des Volleyballteams war, beträgt der jährliche Beitrag der Mitgliedschaft ab einem Alter von 18 Jahren 124 Euro.23 An dieser Stelle hinkt zumindest der Vergleich zu Flecks Gruppe von Mikrobiologen ein wenig, insofern das wissenschaftliche Denkkollektiv aus Berufswissenschaftlern besteht.
Von der Tatsache abgesehen, dass je nach erreichter Liga jedoch auch Mitglieder der 1. Vereinsmannschaft eine Entlohnung erhalten, dürfte dieser Aspekt für den Vergleich nicht von Relevanz sein. Eine Entlohnung und auch ein Mitgliedsbeitrag verändern nicht die notwendige Bedingung, dass ein gemeinsamer Denkstil geteilt werden muss.
[...]
1 Vgl. Sabisch, Katja: Die Denkstilanalyse nach Ludwik Fleck als Methode der qualitativen Sozialforschung – Theorie und Anwendung, in: Forum Qualitative Sozialforschung 18 (2017), Art. 5 und vgl. Schnelle, Thomas: Ludwik Fleck – Leben und Denken. Zur Entstehung und Entwicklung des soziologischen Denkstils in der Wissenschaftsphilosophie, Köln 1982, S. 42 sowie Fleck, Ludwik: Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv, 9. Aufl., Frankfurt am Main 2012, S. X.
2 Vgl. Schnelle: Ludwik Fleck – Leben und Denken, S. 42-43 und Fleck: Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, S. X.
3 Vgl. ebd., S. XVII.
4 Vgl. Fleck: Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, S. IX.
5 Vgl. Schnelle: Ludwik Fleck – Leben und Denken, S. 50 und 54-55 und 63 sowie Ludwik Fleck Zentrum: Ludwik Fleck, https://www.fleckzentrum.ethz.ch/ueber-uns/ludwik-fleck/.
6 Vgl. Fleck: Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, S. IX.
7 Sabisch: Die Denkstilanalyse nach Ludwik Fleck als Methode der qualitativen, Art. 5 und vgl. Fleck: Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache.
8 Fleck: Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, S. VIII.
9 Fleck: Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, S. 53.
10 Vgl. ebd., S. 54.
11 ebd., S. 54.
12 Vgl. ebd., S. 54.
13 ebd., S. 54-55.
14 Vgl. ebd., S. XXV.
15 ebd., S. XXV und S. 55.
16 ebd., S. XXV.
17 Vgl. ebd., S. 54.
18 ebd., S. 54.
19 ebd., S. 54.
20 Fleck: Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, S. 54.
21 ebd., S. 140-141.
22 Vgl. Fleck: Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, S. 3.
23 Vgl. ASV Wuppertal: ASV-Aufnahmeantrag, http://www.asv-wtal.de/images/asv/ASV-Wuppertal-Aufnahmeantrag.pdf.
- Arbeit zitieren
- Anonym,, 2021, Ludwik Flecks Konzepte des "Denkstils" und des "Denkkollektivs", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1006496
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