Den Kern der Arbeit bildet die Beschreibung und Analyse der Digitalisierungsvorgänge in mittelständischen deutschen Steuerberatungskanzleien und ihre Auswirkungen auf das Aufgabenspektrum und die Arbeitszufriedenheit der dort beschäftigten Personen. Zur Beschreibung der Digitalisierungsvorgänge und ihrer Umsetzungsmöglichkeiten wurde auf bestehende Umfragen und Publikationen aus dem Umfeld der Branche zugegriffen, um diese möglichst umfassend zu beschreiben. Namentlich hervorgehoben seien hier die Bundessteuerberaterkammer und die DATEV eG, die durch zahlreiche Umfragen, Analysen und Arbeitspapiere die Weiterentwicklung des Berufsstandes darstellen und voranbringen wollen.
Die empirische Forschung im Rahmen dieser Arbeit bestand in der Ausarbeitung qualitativer Leitfaden-Interviews sowie deren Durchführung und Auswertung mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring. Ziel der empirischen Bemühungen war eine Analyse der Auswirkungen von Digitalisierungsvorgängen am Arbeitsplatz auf die Arbeitszufriedenheit der beschäftigten Personen in Steuerberatungskanzleien. Die Befragung in Form von Leitfaden-Interviews wurde gewählt, da sie die Freiräume bietet, innerhalb der vorgegebenen Themen Schwerpunkte zu setzen und im Bedarfsfall bei den Interviewten nachzufragen. Leitfaden-Interviews ermöglichen es, in die gedankliche Logik des Gegenübers einzutauchen und seinem Rhythmus zu folgen.
Mit Hilfe der so gewonnenen Erkenntnisse und der Auswertung von bestehender Literatur sollen, unter anderem, folgende Forschungsfragen beantwortet werden: Was bedeutet Digitalisierung im Allgemeinen und bezogen auf die Steuerberatungsbranche? Welche Relevanz hat sie für den Erfolg und die Zukunftsfähigkeit der betrachteten Kanzleien?Welche Aufgaben werden durch das steuerliche Fachpersonal in Steuerkanzleien im täglichen Arbeitsablauf wahrgenommen?
Wie verändern sich diese Aufgaben durch die Digitalisierung? Welchen Einfluss hat die Digitalisierung der Arbeitsumgebung auf die Arbeitszufriedenheit der Angestellten in Steuerberatungskanzleien? Welchen Stellenwert hat der Faktor Digitalisierung bezogen auf die Arbeitszufriedenheit? Haben verschiedene Faktoren wie Alter, Berufserfahrung oder Dauer der Betriebszugehörigkeit Einfluss auf die Wahrnehmung und Bewertung der Veränderungen, die die Digitalisierung im Arbeitsalltag mit sich bringt?
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Die Digitalisierung in der Steuerberatungsbranche
1.1 Warum dieses Thema? - Einstieg und Problemstellung
1.2 Zielsetzung und empirische Methodik der Arbeit
1.2.1 Worum geht es? - Die Forschungsfragen
1.2.2 Geltungsbereich - Die Auswahl der Befragten
1.2.3 Methodik der Datenerhebung und Verarbeitung der Daten
1.2.4 Was wissen wir? - Der aktuelle Forschungsstand
1.3 Aufbau der Arbeit
2 Akteure, Rahmenbedingungen und Schlüsselbegriffe
2.1 Die Steuerberatungsbranche
2.1.1 Das Berufsbild des Steuerberaters
2.1.2 Typische Berufsbilder im Umfeld der Steuerberatungskanzlei
2.1.2.1 Steuerfachangestellte
2.1.2.2 Steuerfachwirte
2.1.2.3 Bilanzbuchhalter
2.1.2.4 Sonstige Berufsbilder im Kanzleiumfeld
2.1.3 Das klassische Aufgabenspektrum in Steuerberatungskanzleien
2.1.3.1 Beratung in Steuersachen
2.1.3.2 Deklarationsberatung
2.1.3.3 Gerichtliche und außergerichtliche Vertretung
2.1.3.4 Finanzbuchführung, Jahresabschluss, Erstellung von Bilanzen
2.1.3.5 Lohnbuchhaltung
2.2 Die Digitalisierung – Allgemein und branchenbezogen
2.2.1 Definitionsansätze
2.2.2 Branchenübergreifende Auswirkungen auf die Arbeitswelt
2.2.2.1 Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort
2.2.2.2 Substituierbarkeitspotenzial von Tätigkeiten
2.2.3 Die Relevanz der Digitalisierung für die Steuerberatungsbranche
2.3 Arbeitszufriedenheit
2.3.1 Arbeitszufriedenheit – Definitionsansätze verschiedener Modelle
2.3.1.1 Die Bedürfnispyramide nach Maslow
2.3.1.2 Herzbergs Zwei-Faktoren-Theorie
2.3.1.3 Bruggemanns komplexes Modell der Arbeitszufriedenheit
2.3.2 Bedeutung der Arbeitszufriedenheit für den Unternehmenserfolg
3 Zusammenhänge zwischen digitaler Transformation und Arbeitszufriedenheit im Kanzleiumfeld
3.1 Digitalisierung als Change Projekt
3.2 Analyse und Auswertung der Interviewergebnisse
3.3 Auswirkungen der Digitalisierung auf das Arbeitsumfeld und Aufgabenspektrum von steuerlichem Fachpersonal
3.4 Entwicklung von Handlungskompetenz
3.5 Gewichtung der Digitalisierung als Faktor der Arbeits-zufriedenheit
3.5.1 Stellenwert der Digitalisierung für die Befragten
3.5.2 Analyse der Zusammenhänge zwischen persönlichen Faktoren und der Einstellung zur Digitalisierung
3.6 Empfehlungen für den Umgang mit der Digitalisierung in der Praxis
3.6.1 Weiterbildungsangebot und konsequentes Weiterbildungsmanagement
3.6.2 Offene Kommunikation und Mitarbeitereinbeziehung
3.6.3 Moderne Arbeitsplatzgestaltung
3.7 Potentielle Folgen der Veränderungen in den Kanzleien
3.7.1 Tätigkeitsschwerpunkt
3.7.2 Personalgewinnung
3.7.3 Mandantschaft
4 Fazit – Kritische Würdigung der Erkenntnisse
4.1 Bearbeitungsstand der Forschungsfragen
4.2 Bewertung und Einordnung der Ergebnisse
4.3 Offene Punkte
4.4 Ausblick – Weiterführende Fragen
5 Abschließende Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Anhang
Danksagung
Eine wissenschaftliche Arbeit ist niemals das Ergebnis des Wirkens einer einzelnen Person. Zahlreiche Personen haben mich während meines Studiums und bei der Erstellung dieser Abschlussarbeit begleitet und unterstützt.
Zuerst gebührt mein Dank meiner Betreuerin bei der AKAD-University, Frau Prof. Gardenia Alonso, die mich bereits bei der Erstellung meines Projektberichts betreut hat und mir zahlreiche, wertvolle Hinweise bei der Festlegung des Themas und der anschließenden Ausarbeitung dieser Abschlussarbeit geben konnte. Für diese hilfreichen Anregungen möchte ich mich herzlich bedanken.
Die vorliegende Arbeit hätte nicht ohne die Mitarbeit meiner Interviewpartner und Interviewpartnerinnen entstehen können, die sich in diesen, für die Branche ausgesprochen turbulenten Zeiten aufgrund der Konjunkturmaßnahmen rund um die Corona-Pandemie, dennoch die Zeit genommen haben, meine Fragen zu beantworten und wertvolle Einblicke in ihren Arbeitsalltag zu gewähren. Ihnen gilt mein besonderer Dank.
Abschließend möchte ich mich auch bei meinem Partner und meiner Familie bedanken, die während des gesamten Studiums ein offenes Ohr für Fragen und Sorgen hatten und mich stets ermutigt und unterstützt haben.
Karin Sterz Weil der Stadt, 02.11.2020
Hinweis zum Einsatz genderneutraler Sprache in der vorliegenden Arbeit
Soweit möglich, wurden bei der Erstellung diese Bachelorarbeit genderneutrale Formulierungen verwendet. Wo dies nicht möglich war, ohne den Lesefluss erheblich einzuschränken, wurde aus Gründen der leichteren Lesbarkeit die gewohnte männliche Sprachform bei personenbezogenen Substantiven und Pronomen verwendet. Dies impliziert jedoch keine Benachteiligung des weiblichen Geschlechts, sondern soll im Sinne der sprachlichen Vereinfachung als geschlechtsneutral zu verstehen sein.
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Zulassungsvoraussetzungen zur Steuerberaterprüfung
Abbildung 2: Meinung und Vorbereitungsgrad der befragten Steuerberater hinsichtlich der Zunahme elektronisch abgewickelter Geschäftsprozesse (in %)
Abbildung 3: Chancen der Digitalisierung von Geschäftsprozessen (Anteile in %)
Abbildung 4: Die Bedürfnispyramide nach Maslow
Abbildung 5: Die Zwei-Faktoren-Theorie nach Herzberg
Abbildung 6: Das Züricher Modell der Arbeitszufriedenheit nach Bruggemann
Abbildung 7: Das 3 Phasen Modell nach Kurt Lewin
Abbildung 8: Gesprächsmethode Leitfaden Interview
Abbildung 9: Analyse der Interviewaussagen hinsichtlich der Einstellung zur Digitalisierung
Abbildung 10: Vorteile eines papierlosen Büros
Abbildung 11: Verteilung der Gewichtung einzelner Faktoren zur Erlangung von Arbeitszufriedenheit innerhalb der Probandengruppe
Abkürzungsverzeichnis
BOStB: Satzung über die Rechte und Pflichten bei der Ausübung der Berufe der Steuerberater und der Steuerbevollmächtigten – Berufsordnung
BStBK: Bundessteuerberaterkammer
bzw. : beziehungsweise
d.h.: das heißt
DATEV: Date n v erarbeitungsorganisation der Steuerbevollmächtigten für die Angehörigen des steuerberatenden Berufes in der Bundesrepublik Deutschland
DIVA: Digitaler Verwaltungsakt
DStV: Deutscher Steuerberaterverband
IAB: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
NACHDIGAL: Nachreichen digitaler Belege
QM: Qualitäts-Management
RABE: Referenzierung auf Belege
STAX: Statistisches Berichtssystem für Steuerberater
StBerG: Steuerberatungsgesetz
u.a.: unter anderem
u.U.: unter Umständen
z.B.: zum Beispiel
ZUGFeRD: Zentraler User Guide des Forums elektronische Rechnung Deutschland
1 Die Digitalisierung in der Steuerberatungsbranche
1.1 Warum dieses Thema? - Einstieg und Problemstellung
Welchen Einfluss hat die Digitalisierung auf die tägliche Arbeit der Beschäftigten in Steuerberatungskanzleien? Wie verändert sie Aufgabenspektren, Prozessabläufe und bestehende Arbeitsweisen? Und wie wirken sich diese Veränderungen auf die Arbeitszufriedenheit der Beschäftigten aus? Wie soll mit der, durch die Digitalisierung stetig steigenden, Informationsfülle umgegangen werden; mit Informationen, die in immer kürzeren Intervallen überholt sind und laufend aktualisiert werden müssen?
Diese Fragen beschäftigen die Führungsebene und Mitarbeitende seit Jahren in zunehmendem Maße. Die Digitalisierung ist ein weitgefasster und schwer zu definierender Begriff, dennoch hat sie Einfluss auf beinahe jeden Bereich unseres gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens.
Vor dem Hintergrund, dass die „Ressource Mensch“ in den vergangenen Jahren immer weiter in den Fokus moderner Personalarbeit gerückt ist, wird deutlich, dass tiefgreifende Veränderungen in der täglichen Arbeit und im Arbeitsumfeld Herausforderungen für die einzelnen Mitarbeitenden und das Personalmanagement darstellen, die wahrgenommen und gemeistert werden müssen. Es liegt in der Natur des Menschen, auf Veränderungen zunächst mit Zurückhaltung und gegebenenfalls sogar mit Ablehnung zu reagieren. Die fortschreitende Digitalisierung macht es jedoch unumgänglich, dass Unternehmen sich verändern und ihre Arbeitsprozesse an die sich verändernden Gegebenheiten anpassen. Daher ist es für den Unternehmenserfolg von entscheidender Bedeutung, die Angestellten im Digitalisierungsprozess mitzunehmen und sicherzustellen, dass sich das Personal nicht durch ein Gefühl des Unwissens oder der Überforderung gegen die Digitalisierungsmaßnahmen stellt, angestoßene Veränderungsprozesse blockiert und den Absichten des Managements zuwider handelt.
Dass gut ausgebildete und motivierte Angestellte das wertvollste Kapital eines Unternehmens sind, hat sich in Management-Kreisen inzwischen durchgesetzt; auch wenn nach wie vor Tendenzen auszumachen sind, das Personal vor allem als Kostenfaktor zu betrachten und diese Kosten möglichst gering halten zu wollen. Dabei ist es der Mensch, der im Zentrum der Wertentstehung und Nachhaltigkeit von Unternehmungen steht (vgl. Burger & Maichel, 2018). Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, diese Ressource wertschätzend und nachhaltig zu entwickeln.
Einer der Schlüssel dazu liegt darin, eine klare Digitalisierungsstrategie zu entwickeln, damit die Mitarbeitenden sich mit den entstehenden Veränderungen nicht alleine gelassen fühlen und das Rüstzeug an die Hand bekommen, diese Herausforderungen zu meistern.
Die Digitalisierung ist die aktuelle Welle, die unsere Arbeitswelt tiefgreifend verändert. Auch der Berufsverband der in dieser Arbeit genauer betrachteten Branche, die Bundessteuerberaterkammer, arbeitet mit Nachdruck daran, dem Berufsstand die Notwendigkeit der digitalen Transformation in den Kanzleien vor Augen zu führen und die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit ihren Mitgliedern dieser Wandel gelingt.
Doch warum ist es unabdinglich, dass sich die Branche der Steuerberater verändert; dass traditionelle Arbeitsweisen überdacht und neue, digital ausgerichtete Geschäftsmodelle entwickelt werden?
Diese Fragen sollen im Lauf der Arbeit beantwortet werden, beginnend mit einer kurzen Betrachtung der umwälzenden Ereignisse, die in der Vergangenheit die Arbeitswelt mehrfach verändert und damit zu dem gemacht haben, was wir heute als „modernes Berufsleben“ kennen.
Im historischen Kontext ließen sich im Vorfeld der Digitalisierung bisher drei Revolutionen abgrenzen, die die Arbeitswelt und die Gesellschaft jeweils nachhaltig verändert haben(vgl. Deppe, 2019): Industrie 1.0 – Die Dampfmaschine
Mit der Dampfmaschine startete Ende des 18. Jahrhunderts die erste industrielle Revolution. Sie ging von Großbritannien aus und erfasste später ganz Europa. Maschinen ersetzten zunehmend die menschliche Arbeit (vgl. Deppe, 2019). Weitreichende gesellschaftliche Veränderungen waren die Folge, z.B. die Landflucht in urbane Ballungszentren, wo sich große Fabriken ansiedelten und die zunehmende Bedeutung des Bergbaus, da zum Betrieb der Anlagen große Mengen an Kohle benötigt wurden.
Industrie 2.0 – Von der Manufaktur zur Fließbandarbeit
Anfang des 20. Jahrhunderts begann mithilfe elektrischer Energie die arbeitsteilige Massenproduktion. Arbeiter waren nunmehr nicht mehr für alle Fertigungsschritte eines Produktes verantwortlich, sondern nur für einzelne, spezialisierte Arbeitsschritte. Die erste Umsetzung in der Industrie startete 1913 Henry Ford mit der Fließbandfertigung von Automobilen. Zu Beginn wurde noch von Hand montiert, später wurden aus Kostengründen immer mehr Prozesse automatisiert (vgl. Deppe, 2019).
Die Auswirkungen, die die monotone Ausführung immer gleicher Arbeitsschritte auf die Psyche der Arbeiterschaft haben kann, spielten zu dieser Zeit noch keine Rolle im Bewusstsein der Allgemeinheit. Die Epoche stand ganz im Zeichen des Wirtschaftswachstums.
Industrie 3.0 – Elektronische Datenverarbeitung
Ende der 1970er Jahre revolutionierte der Computer die Arbeitswelt. Erfunden hatte ihn Konrad Zuse schon 1938, doch zunächst war er als teures Spielzeug verlacht worden. Nun begann der Siegeszug der Elektronischen Datenverarbeitung, kurz EDV (vgl. Deppe, 2019).
Neben der Industrie, wo gefährliche Arbeiten zunehmend von Robotern übernommen wurden, gewann vor allem der tertiäre Dienstleistungssektor hierdurch deutlich an Bedeutung. Die Datenverarbeitung bildete die Grundlage unserer modernen Wissensgesellschaft. Auch in der Steuerberatungsbranche ist das Thema Digitalisierung an sich nicht neu. Die Einführung der elektronischen Daten-verarbeitung gab aufgrund einer wachsenden Nachfrage der Mandanten bei den Steuerberatern bereits in den achtziger Jahren für die DATEV eG den Impuls für die Entwicklung neuer Dienstleistungsangebote, z. B. Planungs- und Analyseprogramme für den Bereich der betriebswirtschaftlichen Beratung (vgl. Kumpf, 1999, p. 420 f.).
Derzeit befindet sich unsere Gesellschaft in der vierten Revolution der Industrie und der Arbeitswelt. Dabei ist zu beobachten, dass sich die Zyklen der tiefgreifenden Veränderungen kontinuierlich verkürzt haben und zusätzlich häufiger auftreten. Dementsprechend muss sich die heutige Gesellschaft in immer höherem Tempo tiefgreifenden Veränderungen stellen und anpassen, sowie neue Wege finden, mit künftigen technischen Entwicklungen umzugehen. Die aktuelle Revolution unserer Arbeitswelt, die als Megatrend bereits einige Jahre anhält und das Potential hat, die Gesellschaft nachhaltig zu verändern, ist die:
Arbeit 4.0 – Digitalisierung und Automatisierung
Die Digitalisierung verändert unsere Arbeitsumgebung in einem bisher nicht da gewesenen Tempo. Grundlage und Treiber dieser Entwicklung ist der technologische Fortschritt. Die moderne Informationstechnik ist zum Katalysator der technologischen Entwicklung auf fast allen Gebieten geworden (vgl. Erpenbeck & Sauter, 2013, p. V). Die Information wird zur wichtigsten Ressource der modernen Arbeitswelt. Die Entwicklungsgeschwindigkeiten von Technologie, Industrie, Kultur und Politik sind mit klassischem Vorratslernen nicht mehr zu beherrschen (vgl. Erpenbeck & Sauter, 2013, p. V). Die Bewältigung der täglichen Aufgaben muss daher mit einer Bereitschaft verbunden sein, sich stets über aktuelle Veränderungen auf dem Laufenden zu halten, gewohnte Arbeitsweisen zu überdenken und an die sich ändernden Anforderungen anzupassen.
An dieser Stelle setzt die vorliegende Arbeit an, indem die durch die Digitalisierung begründeten Veränderungen in der täglichen Arbeit für eine ausgewählte Branche herausgearbeitet werden. Die Beschränkung auf eine bestimmte Branche ist notwendig, um vergleichbare Aussagen zu den sich ergebenden Fragestellungen zu erhalten und auf Zusammenhänge zwischen den Veränderungen des Aufgabenspektrums aufgrund der digitalen Transformation und der Mitarbeiterzufriedenheit schließen zu können. Gewählt wurden die Branche der Steuerberater und die Betrachtung der im Kanzleiumfeld angesiedelten Berufsbilder.
1.2 Zielsetzung und empirische Methodik der Arbeit
1.2.1 Worum geht es? - Die Forschungsfragen
Den Kern der Arbeit bildet die Beschreibung und Analyse der Digitalisierungs-vorgänge in mittelständischen deutschen Steuerberatungskanzleien und ihre Auswirkungen auf das Aufgabenspektrum und die Arbeitszufriedenheit der dort beschäftigten Personen. Zur Beschreibung der Digitalisierungsvorgänge und ihrer Umsetzungsmöglichkeiten wurde auf bestehende Umfragen und Publikationen aus dem Umfeld der Branche zugegriffen, um diese möglichst umfassend zu beschreiben. Namentlich hervorgehoben seien hier die Bundessteuerberater-kammer und die DATEV eG, die durch zahlreiche Umfragen, Analysen und Arbeitspapiere die Weiterentwicklung des Berufsstandes darstellen und voranbringen wollen.
Die empirische Forschung im Rahmen dieser Arbeit bestand in der Ausarbeitung qualitativer Leitfaden-Interviews sowie deren Durchführung und Auswertung mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring. Ziel der empirischen Bemühungen war eine Analyse der Auswirkungen von Digitalisierungsvorgängen am Arbeitsplatz auf die Arbeitszufriedenheit der beschäftigten Personen in Steuerberatungskanzleien. Die Befragung in Form von Leitfaden-Interviews wurde gewählt, da sie die Freiräume bietet, innerhalb der vorgegebenen Themen Schwerpunkte zu setzen und im Bedarfsfall bei den Interviewten nachzufragen. Leitfaden-Interviews ermöglichen es, in die gedankliche Logik des Gegenübers einzutauchen und seinem Rhythmus zu folgen (vgl. Grüninger, 2014, p. 31). Mit Hilfe der so gewonnenen Erkenntnisse und der Auswertung von bestehender Literatur sollen, unter anderem, folgende Forschungsfragen beantwortet werden:
- Was bedeutet Digitalisierung im Allgemeinen und bezogen auf die Steuerberatungsbranche?
- Welche Relevanz hat sie für den Erfolg und die Zukunftsfähigkeit der betrachteten Kanzleien?
- Welche Aufgaben werden durch das steuerliche Fachpersonal in Steuerkanzleien im täglichen Arbeitsablauf wahrgenommen?
- Wie verändern sich diese Aufgaben durch die Digitalisierung?
- Welchen Einfluss hat die Digitalisierung der Arbeitsumgebung auf die Arbeitszufriedenheit der Angestellten in Steuerberatungskanzleien?
- Welchen Stellenwert hat der Faktor Digitalisierung bezogen auf die Arbeitszufriedenheit?
- Haben verschiedene Faktoren wie Alter, Berufserfahrung oder Dauer der Betriebszugehörigkeit Einfluss auf die Wahrnehmung und Bewertung der Veränderungen, die die Digitalisierung im Arbeitsalltag mit sich bringt?
1.2.2 Geltungsbereich - Die Auswahl der Befragten
Die Komplexität des gewählten Themas machte es notwendig, die Untersuchungen anhand verschiedener Kriterien zu beschränken.
Die im Praxisteil gewonnenen Erkenntnisse stammen aus der Befragung von steuerlich ausgebildetem Personal aus mittelständischen Steuerberatungskanzleien in Baden-Württemberg. Befragt wurden weibliche und männliche Angehörige der Berufszweige Steuerfachangestellter, Steuerfachwirt und Bilanzbuchhalter. Die befragten Personen haben unterschiedliche Tätigkeitsschwerpunkte innerhalb ihrer Arbeitsaufgaben, bringen unterschiedliche Vorbildungen in ihre jeweilige Tätigkeit ein und wurden hinsichtlich Alter und Betriebszugehörigkeit möglichst heterogen ausgewählt, um die größtmögliche Breite des Aufgabenspektrums innerhalb der Branche darzustellen. Aufgrund der beschränkten Anzahl an Befragungen sind die gewonnenen Erkenntnisse nicht als repräsentativ für die gesamte Branche anzusehen, sondern dienen vorrangig dazu, erste Einblicke in die Zusammenhänge zwischen Digitalisierung und Arbeitszufriedenheit zu erlangen.
Auf die Befragung von als Berufsträger anerkannten Personen, z.B. Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern und Rechtanwälten, wurde verzichtet. Deren Aufgabenspektrum umfasst neben den „klassischen“ Aufgaben in der Steuerkanzlei (mehr dazu im zweiten Kapitel) zu zahlreiche organisatorische, kommunikative und leitende Aufgaben, als dass im Rahmen dieser Abschlussarbeit eine zufriedenstellende Analyse der Zusammenhänge erreicht werden könnte.
1.2.3 Methodik der Datenerhebung und Verarbeitung der Daten
Die Relevanz der Auswirkungen der fortschreitenden Digitalisierung auf die Arbeitszufriedenheit der Angestellten in der Steuerberatungsbranche ließ sich durch Sekundärforschung nicht hinreichend bestimmen. Daher wurden zunächst Erkenntnisse aus vorhandener Fachliteratur genutzt, um allgemeine Definitionen und Hintergründe der für diese Arbeit relevanten Begriffe zu erarbeiten. Zum Erkenntnisgewinn wurden qualitative Interviews mit den im vorigen Abschnitt beschriebenen Berufsgruppen geführt, um zu vergleichbaren Aussagen hinsichtlich der Wahrnehmung der Digitalisierung und deren Auswirkung auf die persönliche Arbeitszufriedenheit zu gelangen. Im Fokus standen hierbei die Themenkomplexe Digitalisierung, Verständnis der Befragten hinsichtlich digitaler Entwicklungen, persönliches Arbeitsumfeld, persönliche Arbeitszufriedenheit und Auswirkungen der Digitalisierung auf Arbeitsumfeld und -zufriedenheit.
Aus dem dazu entwickelten Fragenkatalog und den Antworten der Befragten wurden im folgenden Arbeitsschritt verschiedene auf die Digitalisierung bezogene Aussagen abgeleitet und danach ausgewertet, wie viele Interviewte der Aussage jeweils zustimmen oder diese ablehnen. Die Ergebnisse dieser Auswertung werden im Lauf der Arbeit in Tabellenform vorgestellt und analysiert.
In Anbetracht der zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Arbeit vorherrschenden Sicherheits-und Hygienemaßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie (SARS-CoV-2), wurden die Interviews vorwiegend telefonisch oder per Videokonferenz geführt. Durch Videokonferenzen wurde es ermöglicht, den befragten Personen die Interviewfragen schriftlich vorzulegen und diese im direkten Austausch zu bearbeiten. Die Interviewfragen wurden den Befragten im Vorfeld der Interviews in elektronischer Form zur Verfügung gestellt.
Der Anhang dieser Arbeit enthält die transkribierten Interviews. Es wurde darauf geachtet, die Anonymität der befragten Personen zu wahren. Erkenntnisse wurden im Verlauf der Arbeit nur in der Form wiedergegeben, dass keine Rückschlüsse auf einzelne Personen oder Kanzleien möglich sind. Wurden Aussagen der interviewten Personen direkt übernommen, wurde dies im Text kenntlich gemacht.
Von den interviewten Personen wurde das schriftliche Einverständnis eingeholt, die getroffenen Aussagen im Rahmen dieser Abschlussarbeit zu verwenden und auszuwerten. Die unterschriebenen Einverständniserklärungen und Audiodateien zu den geführten Interviews liegen der Autorin vor und werden unter Wahrung geltender Datenschutzbestimmungen archiviert und nach Bewertung der Abschlussarbeit datenschutzkonform vernichtet.
Zur Auswirkung der Digitalisierung auf das Aufgabenspektrum der Beschäftigten in der Steuerberatungsbranche liegen bereits zahlreiche Veröffentlichungen vor, die im Rahmen dieser Arbeit herangezogen und ausgewertet wurden. Zusätzlich wurden diese Erkenntnisse um die Erfahrungen der Befragten aus ihrem Arbeitsalltag erweitert und ergänzt.
1.2.4 Was wissen wir? - Der aktuelle Forschungsstand
Wie in der Einleitung bereits beschrieben, befinden wir uns in einer anhaltenden Revolution der Gesellschaft und der Arbeitswelt. Wie folgend näher ausgeführt wird, verändert die Digitalisierung beinahe alle Bereiche unserer modernen Gesellschaft nachhaltig. Sie bringt weitreichende Veränderungen in den für diese Arbeit relevanten Betrachtungsbereichen mit sich. Dies sind unter anderem das Aufgabenspektrum im Umfeld steuerberatender Berufe, die technischen Möglichkeiten der Datenverarbeitung, der Umgang der Beschäftigten mit moderner Technologie und der Aufbau und Umgang mit Wissen in den Kanzleien.
Die Auswirkungen der Digitalisierung auf Branchen-und Kanzleiebene werden durch Forschungsaufträge und Befragungen des Berufsverbandes seit Jahren kontinuierlich betrachtet und ausgewertet. Welche Zusammenhänge zwischen diesen Veränderungen und der Arbeitszufriedenheit der Beschäftigten in den Kanzleien bestehen wurde bislang nicht näher erforscht. Diese Fragestellung bildet den empirischen Schwerpunkt dieser Arbeit.
1.3 Aufbau der Arbeit
Das erste Kapitel dient dazu, das Thema vorzustellen, die Themenauswahl zu begründen und die Relevanz dieser Arbeit im Kontext der Forschung rund um die Digitalisierung im Steuerberatermarkt deutlich zu machen. Die Forschungsfragen werden herausgearbeitet und die Lesenden mit der Methodik der Bearbeitung dieser Forschungsfragen vertraut gemacht.
Im zweiten Kapitel werden die theoretischen Grundlagen für das Verständnis der weiteren Ausführungen gelegt. Insbesondere verschafft es dem Lesenden einen Überblick über die Rahmenbedingungen, unter denen die digitalen Transformationsprozesse in Steuerberatungskanzleien angegangen werden. Es werden Definitionen der zentralen Schlüsselbegriffe erarbeitet, die im Verlauf der Arbeit genutzt werden, um die Zusammenhänge zwischen Digitalisierung, sich verändernden Aufgabenspektren und Arbeitszufriedenheit aufzuzeigen. Das Kapitel schließt mit einem Überblick über den derzeitigen Stand der Erkenntnisse hinsichtlich der Digitalisierung im Steuerberatermarkt.
Das dritte Kapitel dient dazu, die aus den Befragungen gewonnenen Erkenntnisse und die Ausführungen zu den Maßnahmen digitaler Transformation in den Kanzleien in einen Bezug zu setzen. Es bildet den empirischen Schwerpunkt der Ausführungen und verschafft dem Lesenden einen Eindruck von den komplexen Zusammenhängen, die zwischen den Veränderungen im Aufgabenspektrum, der Informationspolitik in den Kanzleien und der Arbeitszufriedenheit bestehen können und von den komplexen Anforderungen, die diese Zusammenhänge an die Kanzleileitung stellen.
Ziel digitaler Transformation ist es, die Arbeitsprozesse in den Kanzleien und in der Zusammenarbeit mit Mandanten zukunftsweisend zu gestalten und die Vorteile zu nutzen, die die Digitalisierung hinsichtlich gesteigerter Effizienz durch automatisierte Prozesse und einer Neugestaltung klassischer Aufgabenverteilung mit sich bringt. Unter Berücksichtigung der gewonnenen Erkenntnisse aus den Befragungen werden erste Handlungsempfehlungen erarbeitet, die der Erreichung dieser Ziele zuträglich sind.
Das vierte Kapitel dient als Fazit dazu, die Beantwortung der Forschungsfragen zu überprüfen und kritisch zu hinterfragen, ob und ggf. welche Punkte offen geblieben sind, weiterer Forschung bedürfen oder mit den gewählten Methoden nicht zu beantworten waren. Es ordnet die gewonnen Erkenntnisse hinsichtlich ihrer Aussagekraft und Relevanz für die Branche ein und setzt sie in einen Kontext zur bestehenden Forschung.
Den Abschluss bildet das fünfte Kapitel mit einer Zusammenfassung der erarbeiteten Informationen und gewonnenen Einblicke.
2 Akteure, Rahmenbedingungen und Schlüsselbegriffe
Die folgenden Ausführungen behandeln zentrale Begriffe des bearbeiteten Themas. Der facettenreichen Themenstellung der Arbeit ist es geschuldet, dass allgemeingültige Definitionen schwer zu erarbeiten sind und dass die im Verlauf der Arbeit genutzten Definitionsansätze dazu dienen, die komplexen Zusammenhänge zwischen Digitalisierung im Arbeitsalltag und Mitarbeiterzufriedenheit unter einer zufriedenstellenden Anzahl von Aspekten zu betrachten. Beispielsweise wird daher die Digitalisierung vor allem unter dem Aspekt ihrer Auswirkungen auf Unternehmen, namentlich mittelständische Steuerberatungskanzleien, betrachtet, anstatt unter technischen oder gesellschaftlichen Gesichtspunkten. Dies stellt keine Wertung der Relevanz anderer Definitionsaspekte im Allgemeinen dar, sondern lediglich in Bezug auf das bearbeitete Thema.
2.1 Die Steuerberatungsbranche
2.1.1 Das Berufsbild des Steuerberaters
Der Beruf des Steuerberaters gehört zu den „Freien Berufen“(vgl. § 32, Abs. 2 StBerG, 2020). Steuerberater stellen ein unabhängiges Organ der Steuerrechts-pflege dar(vgl. § 1 BOStB, 2020). Ihr Beruf ist unabhängig, eigenverantwortlich, gewissenhaft und verschwiegen auszuüben. Dementsprechend müssen Steuerberater in beruflichen Entscheidungen unbeeinflusst von wirtschaftlichen oder privaten Verbindungen sein(vgl. § 2 BOStB, 2020).
Die Einstiegshürden in den Berufsstand sind hoch. Als Steuerberater kann nur tätig werden, wer nach einer erfolgreich abgelegten Steuerberaterprüfung (oder einer erfolgreichen Eignungsprüfung) von den Steuerberaterkammern zum Steuerberater bestellt worden ist.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Zulassungsvoraussetzungen zur Steuerberaterprüfung (entnommen aus www.beruf-steuerberater.de, 2020).
Viele der im Umfeld einer Steuerberatungskanzlei angesiedelten Berufsbilder bieten die Möglichkeit, nach einer adäquaten Praxisphase die Steuerberaterprüfung abzulegen. Der gängigste Weg ist jedoch nach wie vor die Qualifikation über ein Bachelor- und Masterstudium. Auf die Berufsbilder mit steuerlichem Schwerpunkt wird im nächsten Abschnitt vertiefend eingegangen, da die interviewten Personen Angehörige dieser Berufe sind.
Für die folgenden Ausführungen zur Digitalisierung ist von Bedeutung, dass Steuerberater nach § 4 BOStB verpflichtet sind, im Rahmen einer gewissenhaften Berufsausübung über die notwendigen personellen, fachlichen und organisatorischen Voraussetzungen zu verfügen. Demnach muss der gesamte Berufsstand im Rahmen der Modernisierung des Besteuerungsverfahrens die notwendigen Maßnahmen zur Digitalisierung der Kanzleiprozesse umsetzen (vgl. Egner, 2018, p. 6). Dies bedeutet in vielen Fällen eine Abkehr von den bisherigen Vorgehensweisen und stellt die Kanzleien vor komplexe und umfassende Change-Projekte.
Auch wird dadurch deutlich, dass aufgrund dieser hohen Ansprüche an den Berufsstand die Digitalisierung kein optionales Thema ist, sondern dass sich zwingend alle Angehörige des Berufsstandes mit der Erstellung einer Digitalstrategie für die eigene Kanzlei beschäftigen müssen, um den geltenden Verpflichtung zur konsequenten Weiterbildungsbereitschaft und beruflichen Sorgfalt nachzukommen. An die Mitarbeitenden in den Kanzleien stellt dies hohe Anforderungen hinsichtlich ihrer Qualifikation und Weiterbildungsbereitschaft.
Der Digitalisierung im Allgemeinen und ihren Auswirkungen auf die Tätigkeiten der Beschäftigten in der Steuerberatungsbranche im Speziellen ist der zweite Teil dieses Kapitels gewidmet.
2.1.2 Typische Berufsbilder im Umfeld der Steuerberatungskanzlei
Der Markt für Fachpersonal mit steuerlichen Kenntnissen ist hart umkämpft. Ein Aspekt der angespannten Personalsituation der Steuerkanzleien ist, dass die Eintrittsbarrieren für Quereinsteiger relativ hoch sind, da zur produktiven Mitarbeit tiefgreifende steuerrechtliche Kenntnisse erforderlich sind (vgl. Vossel, 2016).
Daher finden sich klassischerweise Berufsbilder im Umfeld einer Steuerberatungskanzlei, die bereits in der Ausbildung einen steuerlichen und/oder buchhalterischen Schwerpunkt setzen und im Folgenden kurz vorgestellt werden. Die Informationen zu den Berufsbildern stammen vorwiegend von den Internetauftritten der BStBK oder lokaler Steuerberatungskammern.
2.1.2.1 Steuerfachangestellte
Hierbei handelt es sich um die typische Einstiegsqualifizierung für eine Tätigkeit innerhalb einer Steuerkanzlei.
Zum Beruf des Steuerfachangestellten führt eine qualifizierte, in der Regel dreijährige Ausbildung bei einem Angehörigen des steuerberatenden Berufes (Steuerberater, Steuerbevollmächtigter, Steuerberatungsgesellschaft) oder einem Angehörigen des wirtschaftsprüfenden Berufes (Wirtschaftsprüfer, vereidigter Buchprüfer, Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Buchprüfungsgesellschaft).Die praktische Ausbildung wird durch den theoretischen Unterricht in den kaufmännischen Berufsschulen mit Steuerfachklassen ergänzt (vgl. Steuerberaterkammer Stuttgart, 2020).
Die typischen Aufgaben von Steuerfachangestellten umfassen:
- Die Vorbereitung und Erstellung von Jahresabschlüssen
- Die Ausarbeitung von Steuererklärungen
- Die Mandanten-Buchhaltung
Auf dieser Tätigkeitsebene werden die Aufgaben größtenteils bis zur Unterschriftsreife durchgeführt und abschließend durch einen Berufsträger oder Steuerfachwirt geprüft und freigegeben.
2.1.2.2 Steuerfachwirte
In der Fortbildungsprüfung zum Steuerfachwirt wird erwartet, dass die im Rahmen der Ausbildung zum/zur Steuerfachangestellten erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten durch berufliche Tätigkeit und Fortbildung eine wesentliche Ausweitung und Vertiefung erfahren haben. Die Anforderungen der Fortbildungsprüfung sind somit deutlich höher und breiter angelegt als bei der Abschlussprüfung des Ausbildungsberufs(vgl. Anforderungskatalog-Steuerfachwirt, 2011).
Als Voraussetzung für die Zulassung zur Weiterbildungsprüfung zum Steuerfachwirt ist in der Regel die bestandene Abschlussprüfung als Steuerfachangestellter und danach eine dreijährige einschlägige Berufspraxis nötig. Anerkannt werden aber auch eine bestandene Abschlussprüfung in einem anderen Ausbildungsberuf (z.B. Rechtsanwaltsfachangestellte, Bankkaufleute, Industriekaufleute, Groß- und Außenhandelskaufleute) und danach eine fünfjährige einschlägige Berufspraxis oder eine mindestens achtjährige einschlägige Berufspraxis.
Die Berufsbezeichnung Steuerfachwirt ist in Deutschland geschützt. Zu den typischen Aufgaben eines Steuerfachwirts gehören:
- Die Buchhaltung für gewerbliche Mandanten
- Die Erstellung der Lohn- und Gehaltsabrechnung für Arbeitgeber
- Die Erstellung von Jahresabschlüssen
- Das Führen von Mandantengesprächen zur Besprechung verschiedener Geschäftsvorgänge
- Die Erstellung von Steuererklärungen im unternehmerischen und privaten Bereich
- Die Vorbereitung und Mitgestaltung von Beratungsleistungen
Dazu können verschiedene verantwortungsvolle, interne Aufgaben kommen wie z.B. die Führung der Steuerfachangestellten, die Vertretung des Berufsträgers in Abwesenheit, die Büro- bzw. Kanzleileitung und die Kontaktpflege zu Finanzämtern und Mandanten.
2.1.2.3 Bilanzbuchhalter
Bilanzbuchhalter sind weit weniger an bestimmte Branchen gebunden als beispielsweise Steuerfachwirte. Die Zulassungsvoraussetzungen zur Bilanzbuchhalterprüfung erfordern eine erfolgreich abgelegte Abschlussprüfung in einem anerkannten kaufmännischen oder verwaltenden Ausbildungsberuf mit einer Berufsausbildungsdauer von drei Jahren und einer auf die Berufsausbildung folgenden, mindestens dreijährigen, Berufspraxis. Alternativ können auch sechs Jahre Berufserfahrung, überwiegend im betrieblichen Finanz- und Rechnungswesen, oder der Nachweis der Prüfung zum Fachwirt mit anschließenden zwei Jahren einschlägiger Berufspraxis zur Teilnahme an der IHK-Prüfung berechtigen (vgl. Steuerfachschule Dr. Endriss, 2020).
Bilanzbuchhalter nehmen umfassende Aufgaben im Unternehmen wahr, dazu zählen unter anderem folgende:
- Erstellen von Jahresabschlüssen nach deutschem Handelsrecht oder nach internationalen Rechnungswesen-Standards, Überleitung in Bilanzen nach Steuerrecht
- Steuererklärungen für Umsatzsteuern, Lohnsteuer, Einkommens- und Körperschaftssteuer
- Zusammenarbeit mit dem Wirtschaftsprüfer
- Organisation aller Vorgänge im Rechnungswesen einschließlich Personalführung
- Entwicklung von Buchungsrichtlinien im Unternehmen, Schulung von Mitarbeitern anderer Abteilungen
- Mitarbeit bei Kalkulationen, Budgetplanungen, Kostenstellenrechnungen
- Begleitung von Betriebsprüfungen der Finanzbehörden
- Erstellen von Erfolgsrechnungen und strategischen Planungen
- Vorbereiten von Investitionsentscheidungen durch Finanzierungsvergleiche (vgl. Michelsen, 2020)
2.1.2.4 Sonstige Berufsbilder im Kanzleiumfeld
Die vorgestellten Berufsbilder bieten keinen vollumfänglichen, jedoch adäquaten Überblick über die steuerlichen Fachberufe in deutschen Steuerberatungskanzleien. Da sich die vorliegende Arbeit mit den Zusammenhängen zwischen Digitalisierung und Arbeitszufriedenheit bei steuerlichem Fachpersonal beschäftigt, wird an dieser Stelle nicht vertiefend auf weitere Tätigkeitsbereiche im Umfeld einer Kanzlei wie Sekretariat, IT-Technik, Netz-und Systemadministration, Raumpflege u.a. eingegangen, da dies an dieser Stelle zu weit führen würde. Dies bedeutet keine Wertung der Relevanz der obigen Berufsgruppen für den Erfolg einer Steuerberatungskanzlei.
Auch auf die steuerlich qualifizierten Berufe der Fachassistenten Lohn und Gehalt und der Fachassistenten Rechnungswesen und Controlling wird hier nicht vertiefend eingegangen. Diese stellen eine Zwischenstufe zwischen Steuerfachangestellten und Steuerfachwirten dar. Es wurden keine Interviews mit Angehörigen dieser Berufsgruppen geführt.
2.1.3 Das klassische Aufgabenspektrum in Steuerberatungskanzleien
Grundsätzlich ist die Tätigkeit eines Steuerberaters als „geschäftsmäßige Hilfeleistung in Steuersachen “ definiert (vgl. RMS Konzepte UG, 2020). Unter diese Bezeichnung fallen die sogenannten Vorbehaltsaufgaben, die laut Gesetz den Angehörigen eines bestimmten Berufsstandes vorbehalten sind. Als zentrale normative Aussage über die Vorbehaltsaufgaben steuerberatender Berufe fungieren einerseits § 33 StBerG9, welcher den sachlich vorbehaltenen Aufgabenbereich umschreibt, und andererseits § 3 StBerG, welcher den zur (unbeschränkten) Hilfeleistung in Steuersachen berechtigten Personenkreis bestimmt(vgl. Mann, 2019, p. 15). Dieser Schutzmechanismus, der auch als Monopol der steuerberatenden Berufe auf bestimmte Tätigkeiten angesehen werden kann, wird von der EU kritisch gesehen. Im Juli 2018 hat die Europäische Kommission die Bundesregierung in einem Aufforderungsschreiben darauf hingewiesen, dass die Vorbehaltsaufgaben des deutschen Steuerberatungsgesetzes nicht mit EU-Recht vereinbar seien(Binias, 2019).
Den Informationen des DStV nach kritisiert die EU-Kommission, dass das Steuerberatungsgesetz zu hohe Anforderungen für den Berufszugang formuliere, auf der anderen Seite aber zahlreiche Ausnahmen zu den so genannten beschränkten Hilfeleistungen regele. Für die Kommission stehe daher fest, dass die Vorbehaltsaufgaben der Steuerberater in Deutschland nicht derart komplex seien, als dass sie nur von Berufsangehörigen erledigt werden könnten. Durch die hohe Anzahl an Ausnahmen seien die deutschen Regelungen insgesamt unschlüssig und unverhältnismäßig und verstießen damit gegen EU-Recht(vgl. Trommer, 2018).
Wie dieses Verfahren ausgeht, lässt sich derzeit noch nicht sagen. Das zuständige Bundesministerium für Wirtschaft verweist darauf, dass während eines laufenden Verfahrens keine Auskunft über inhaltliche Fragen erteilt werden könne(vgl. Binias, 2019). Sollten durch den Wegfall der Vorbehaltsaufgaben die Beschränkungen des freien Dienstleitungsverkehrs und des freien Wettbewerbs in Deutschland fallen, sähe sich die Branche zunehmender Konkurrenz, z.B. durch selbstständige Bilanzbuchhalter, ausgesetzt.
Vor diesem Hintergrund zeigt sich die Notwendigkeit, bestehende Geschäftsmodelle hinsichtlich ihrer Automatisierbarkeit zu überprüfen, sich effizienzsteigernde Möglichkeiten durch Digitalisierung zu Nutze zu machen und neue Geschäftsmodelle zu erschließen, was ebenfalls Hand in Hand mit der Digitalisierung von Geschäftsprozessen geht.
Als klassische Geschäftsmodelle der Kanzleien können die folgenden Tätigkeiten angesehen werden (vgl. RMS Konzepte UG, 2020):
2.1.3.1 Beratung in Steuersachen
Die Beratung in Steuersachen stellt zum größten Teil das Alltagsgeschäft des Steuerberaters dar. Darunter versteht man u.a.
- die so genannte Gestaltungsberatung, d.h. Beratung bei der Rechtsformwahl (unter Beachtung von steuerlichen Aspekten)
- Fragen der Steueroptimierung und -planung
- Informationen und Auskünfte rund um das Thema Steuerrecht
- Beratungen im Rahmen von Betriebsprüfungen.
2.1.3.2 Deklarationsberatung
Unter Deklarationsberatung versteht man die Erstellung von Steuererklärungen, sowohl für Privatpersonen als auch Unternehmen jeder Art und Rechtsform. Dies betrifft zum einen jährlich wiederkehrende Steuererklärungen, beispielhaft die Einkommens-, Körperschaft-, und Gewerbesteuererklärung, sowie aperiodische Erklärungen so z.B. Erbschafts- und Schenkungssteuererklärung. Damit im Zusammenhang stehen die anschließende Prüfung von Steuerbescheiden und gegebenenfalls die weitere Korrespondenz mit den Finanzämtern.
Weiterhin umfasst die Deklarationsberatung die Erstellung von so genannten Steueranmeldungen. Diese sind insbesondere Lohnsteuer-, Umsatz-, und Kapitalertragssteueranmeldungen.
2.1.3.3 Gerichtliche und außergerichtliche Vertretung
Dieser Bereich umfasst insbesondere die Vertretung des Mandanten gegenüber den Finanzbehörden, so z.B. im Rahmen eines Einspruchsverfahrens, aber auch die Wahrnehmung seiner Interessen vor den Finanzgerichten im Rahmen eines Klageverfahrens. Hierzu gehören weiterhin die Übernahme der Antragstellung gegenüber den Finanzämtern in Form von Fristverlängerungen, Stundungs- oder Erlassanträgen oder Anträgen auf Anpassung der Vorauszahlungen für diverse Steuerarten.
2.1.3.4 Finanzbuchführung, Jahresabschluss, Erstellung von Bilanzen
Wird der Steuerberater mit der Buchführung des Mandanten beauftragt, so kann er zum einen die komplette Buchführung des Mandanten übernehmen, zum anderen gehört hierzu aber ebenso die Erstellung der Steuererklärung oder einer Einnahme-Überschuss-Rechnung. Die Erstellung der Jahresabschlüsse erfolgt grundsätzlich nach den Grundsätzen des deutschen Handelsgesetzbuches. Je nach Größe des Unternehmens können auch internationale Rechnungslegungsvorschriften (IAS, US-GAAP) einschlägig sein. Im Einzelnen kann der Steuerberater ferner die Erstellung einer Eröffnungsbilanz (bei Gründung eines Unternehmens) oder einer Liquidationsbilanz (im Falle einer Insolvenz) übernehmen.
2.1.3.5 Lohnbuchhaltung
Der Bereich der Lohnbuchhaltung ist ein komplexes Feld, da neben den steuerlichen Aspekten auch sozialversicherungsrechtliche Besonderheiten zu beachten sind. Die Leistungen im Zusammenhang mit der Lohnbuchhaltung können in der Übernahme bzw. Führung der kompletten Lohnbuchhaltung liegen (dies umfasst z.B. die Erstellung der monatlichen Gehaltsabrechnungen, sowie die Vorbereitung des Zahlungsverkehrs) oder aber in der Einrichtung der Lohnbuchhaltung, d.h. Eingabe und Pflege der Arbeitnehmer- bzw. Mandantenstammdaten.
Neben den bisher beschriebenen Aufgaben können Steuerberater weitere Leistungen erbringen. Einzige Voraussetzung ist, gemäß dem Wortlaut des Steuerberatungsgesetzes, dass diese Tätigkeiten „mit dem Beruf des Steuerberaters vereinbar“ sind. Eine Auflistung ergibt sich nicht aus dem Gesetz, dieses erwähnt lediglich, dass es sich um keine gewerbliche oder eine Tätigkeit im Angestelltenverhältnis handeln darf. Die operative Ausführung zahlreicher Aufgaben liegt in der Verantwortung des steuerlichen Fachpersonals in den Kanzleien.
2.2 Die Digitalisierung – Allgemein und branchenbezogen
2.2.1 Definitionsansätze
Der Begriff „Digitalisierung“ lässt sich grundsätzlich unterschiedlich definieren. Das Spektrum der Definitionen beginnt mit rein technischen Betrachtungen und berücksichtigt zunehmend auch ökonomische Aspekte. Bislang konnte sich in der betriebswirtschaftlichen Literatur jedoch kein einheitliches Begriffsverständnis nachhaltig etablieren(vgl. Becker, 2019, p. 7).
Aus technischer Sicht bedeutet Digitalisierung im engeren Sinne die Erstellung digitaler Repräsentationen von physischen Objekten, von Ereignissen oder analogen Medien (www.gruenderszene.de, kein Datum). Für diese Umwandlung werden neue und leistungsfähige digitale Technologien verwendet(vgl. Schawel & Billing, 2018, p. 105), die durch die darauf aufbauende Anwendungssysteme Veränderungen hervorrufen(vgl. Bengler & Schmauder, 02/2016, pp. 75-76). Diese digitalen Technologien werden in der Digitalisierung umfassend und konsequent zur Arbeitserleichterung, zur Automatisierung oder zur Schaffung neuer Produkte und Geschäftsmodelle genutzt(vgl.Wolf & Göbel, 2018, p. 228). Die Autoren des STAX-Reports 2018 sprechen von der Digitalisierung recht allgemein als Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien zur Optimierung von Produktionsprozessen(vgl. Schröder & Nielen, 2019, p. 25). Diese vergleichsweise einfache Definition ist dennoch gut geeignet, die Digitalisierungsprozesse in der Steuerberaterbranche zu beschreiben, wobei im Lauf der Arbeit noch vertiefend auf verschiedene Möglichkeiten ihrer Umsetzung eingegangen wird.
Der Digitalisierung wird das Potenzial zugesprochen, eine ähnliche Veränderung der Weltwirtschaft herbeizuführen wie die industrielle Revolution in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts(vgl.Egner, 2018, p. 1). Dabei ist zu beachten, dass die Zeitspanne der aktuellen Entwicklungen dabei um ein vielfaches kürzer sein wird. Die Verbreitungsgeschwindigkeit neuer Technologien hat rasant zugenommen und die zu durchlaufenden Anpassungszyklen werden immer kürzer. Durch die weite Verbreitung moderner Technologien wird sich das Arbeitsbild vieler Menschen nachhaltig dahingehend wandeln, so dass der Mensch künftig verstärkt die automatisch erstellten Ergebnisse von Maschinen kontrollieren wird, anstatt Daten manuell zu erfassen.
Die rasante Entwicklung bei der Verbreitung neuer Technologien macht deutlich, warum die Digitalisierung mit ihren vielfältigen Änderungen und der geringen Halbwertszeit von Wissen viele Menschen verunsichert. Die Notwendigkeit, sich permanent über neue Techniken und Arbeitsweisen auf dem Laufenden zu halten und in der Folge die eigenen Arbeitsprozesse kontinuierlich auf den Prüfstand stellen zu müssen, wird von vielen Berufstätigen und Unternehmern als Belastung empfunden, was auch durch die Befragten in den Interviews geschildert wurde.
2.2.2 Branchenübergreifende Auswirkungen auf die Arbeitswelt
Die Digitalisierung hat selbstverständlich nicht nur Auswirkungen auf die Berufe und die Beschäftigten der Steuerberatungsbranche. Daher werden an dieser Stelle zunächst die übergeordneten Auswirkungen betrachtet, die die Digitalisierung, wenn auch in unterschiedlich starker Ausprägung, auf sämtliche Branchen in Deutschland haben kann. Da in dieser Arbeit eine Dienstleistungsbranche exemplarisch für ähnliche Entwicklungen in verwandten Branchen betrachtet wurde, wurden detaillierte Betrachtungen der produzierenden Branchen außer Acht gelassen und es wurden die für den Dienstleistungssektor besonders relevanten Aspekte der Flexibilisierung und des Substituierbarkeitspotenzials betrachtet.
2.2.2.1 Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort
Die Bandbreite der Datenübertragung hat sich vervielfacht. Mobile Geräte wie Tablets oder Smartphones machen es möglich, jederzeit und überall auf Informationen zuzugreifen. Daraus ergeben sich für Arbeitnehmer umfangreiche Veränderungen, die sowohl positive als auch negative Folgen haben können.
Zum einen schaffen mobile Endgeräte eine bisher nicht dagewesene räumliche Unabhängigkeit vom Arbeitsplatz. Das Arbeiten außerhalb der Betriebsstätte lässt sich in vielen Branchen relativ problemlos umsetzen. Damit einhergehen z.B. eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder weniger zeitintensive Arbeitswege. Zum anderen wird es durch die ständige Möglichkeit, sich mit beruflichen Belangen zu beschäftigen, schwieriger, Berufs-und Privatleben klar zu trennen. Experten sehen in dieser Entwicklung einen Trend zur „raum-zeitlichen Dekontextualisierung“. Die Folgewirkungen sind höhere Anforderungen an das Selbstmanagement mit Potenzialen erhöhter Autonomie/Selbstbestimmung und erhöhter Belastung/Burnout (vgl. Amstutz & Schwehr, 2015, p. 21). Diese beispielhaften Vor-und Nachteile machen deutlich, dass die Veränderungen in der Arbeitswelt Augenmaß bei der Gestaltung der Arbeitsumgebung und viel Disziplin auf Seite der Beschäftigten und der Kanzleileitung erfordern.
2.2.2.2 Substituierbarkeitspotenzial von Tätigkeiten
Für diese Arbeit ebenfalls von großer Relevanz ist die Frage, wie sich die Digitalisierung direkt auf die oben beschriebenen Berufe und deren Tätigkeiten auswirkt. Zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten haben sich bereits mit den Substituierbarkeitspotenzialen von Berufen beschäftigt, u.a. die IAB-Studie „Folgen der Digitalisierung für die Arbeitswelt“. Mit dem Substituierbarkeitspotenzial wird ausgedrückt, welcher Anteil der Tätigkeiten schon heutzutage durch Computer ersetzt werden könnte(vgl. Dengler & Matthes, 2015, p. 4). Als Berufe mit sehr hohem Substituierbarkeitspotenzial gelten solche, bei denen bereits mehr als 70% der Tätigkeiten durch Computer ersetzt werden könnten (vgl. ebenda). Entgegen bisherigen Studien, die Berufe meistens nach ihrer zukünftigen Automatisierungswahrscheinlichkeit unterschieden haben(vgl. Frey & Osborne, 2013), folgen Dengler und Matthes in ihrem Bericht der Ansicht, dass nicht ganze Berufe durch Computer oder computergesteuerte Maschinen ersetzt werden können, sondern lediglich einzelne Tätigkeiten.
2.2.3 Die Relevanz der Digitalisierung für die Steuerberatungsbranche
„Wer nicht einmal für Teile seines Unternehmens eine Digitalstrategie aufgestellt hat, muss sich schon fragen lassen, ob er seine Existenz mutwillig aufs Spiel setzen will.“ Achim Berg, Bitkom-Präsident (vgl. Bünte, 2020)
Dieses Zitat macht deutlich, welche Bedeutung Berufsverbände und branchenübergreifende Institutionen der Digitalisierung beimessen.
Die Digitalisierung verändert das Beziehungsdreieck zwischen Steuerberater, Mandant und Finanzverwaltung inhaltlich sowie in der Kommunikation untereinander. Der Gesetzgeber hat im Rahmen der Modernisierung des Besteuerungsverfahrens die Steuerdeklaration digitalisiert, die Mandanten erfassen und verarbeiten ihre Daten IT-basiert. Steuerberater müssen sich dieser Entwicklung anpassen und werden vermehrt zur digitalen Informationsdrehscheibe.(vgl. Egner, 2018, p. 13)
Um zu verstehen, warum die Digitalisierung für die Steuerberatungsbranche eine derart große Bedeutung hat, sollen hier nochmals die Kernprozesse in der Steuerberatung vor Augen geführt werden:
Mandanten liefern dem Steuerberater Informationen in Form von Belegen, die in der Kanzlei für die verschiedensten Dienstleistungen (Steuererklärungen, Finanzbuchhaltung, Lohnbuchhaltung u.a.) verarbeitet werden. Dabei fallen große Mengen von Daten an, auf die idealerweise sowohl Kanzlei als auch Mandant jederzeit zugreifen können sollten.
Über viele Jahre war der „Pendelordner“ die gängigste Form des Austausches von Informationen zwischen Mandant und Kanzlei. Der Name kommt nicht von ungefähr – der Ordner pendelte regelmäßig zwischen Kanzlei und Unternehmen, um die benötigten Dokumente auszutauschen.
Dies ist heute ohne großen Aufwand auf digitale Art und Weise möglich, was zahlreiche Vorteile mit sich bringt:
- Zeitersparnis, da Wegezeiten für den Transport wegfallen.
- Größere Aktualität der Daten und Auswertungen, durch Austausch und Bearbeitung in wesentlich kürzeren Intervallen.
- Stärkung der Kollaboration zwischen Kanzlei und Mandant durch jederzeit gleichzeitig möglichen Datenzugriff über Cloud-Anwendungen.
- Die Vermeidung von Arbeitsspitzen in den Kanzleien zu bestimmten Terminen (z.B. Umsatzsteuervoranmeldung, Lohnabrechnung), da Dokumente und Belege gleichmäßig, und nicht gehäuft, in die Kanzlei kommen.
Wichtige Erkenntnisse zum Stand der Digitalisierung in der Steuerberatungsbranche liefert die regelmäßige STAX-Erhebung der BStBK. Dieses „Statistische Berichtssystem für Steuerberater“ wird alle drei Jahre von der BStBK durchgeführt und liefert wichtige Informationen über die Zukunftserwartungen, die Personalstrukturen, Tätigkeitsfelder, digitale Ausrichtung und Zufriedenheit der teilnehmenden Kanzleien.
Inzwischen hat sich in der Branche die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Digitalisierung weitreichende Veränderungen mit sich bringen wird. Die überwiegende Mehrheit der befragten Steuerberater – 93 Prozent in Einzelkanzleien und 97 Prozent in Sozietäten und Steuerberatungsgesellschaften – stimmt der Aussage zu, dass die derzeitige Entwicklung hin zu mehr digitalisierten Geschäftsprozessen eine deutlich aktivere Auseinandersetzung der Steuerberater mit der Digitalisierung erfordert(vgl. Riedlinger (Hrsg.), 2019, p. 2). Dennoch ist zu beobachten, dass eine gewisse Diskrepanz besteht zwischen dem Verständnis für Digitalisierungsmaßnahmen und der Bereitschaft zur Umsetzung. Dies macht die folgende Grafik deutlich, die dem STAX-Report 2015 entnommen wurde:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Meinung und Vorbereitungsgrad der befragten Steuerberater hinsichtlich der Zunahme elektronisch abgewickelter Geschäftsprozesse (in %)
Es wird deutlich, dass die Stimmen der Berater, die die Digitalisierung nicht als Themenfeld begreifen, das aktiv gestaltet werden muss, seit 2012 weiter abgenommen haben. Dennoch schlägt sich die breite Zustimmung für diese Erkenntnis nicht zwangsweise in der guten Vorbereitung der Kanzleien auf die digitalen Veränderungsprozesse nieder. Die Befragung zeigt, dass viele Kanzleien, die sich 2012 „bestens vorbereitet“ sahen, dies 2015 kritischer betrachteten. Dennoch leiten die Berater zahlreiche Vorteile aus der Digitalisierung ab:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Chancen der Digitalisierung von Geschäftsprozessen (Anteile in %) (entnommen aus Schröder & Nielen, 2019)
Es ist zu beobachten, dass der durchschnittliche Digitalisierungsgrad mit der Größe der Kanzlei steigt. Diese Aussage wurde auch im STAX-Report 2018 erneut getroffen und untermauert (vgl. Schröder & Nielen, 2019, p. 26). Gesellschaften und Sozietäten sind in der digitalen Transformation weiter vorangeschritten als Einzelkanzleien und sehen oftmals auch größere Chancen in der Digitalisierung, was die obige Grafik verdeutlicht. Der umfassende technologische Fortschritt darf bei dieser Betrachtung nicht außer Acht gelassen werden. Die Investition in neue, leistungsstarke Hardware ist kostspielig und stellt kleine Kanzleien oftmals vor größere Herausforderungen, als dies bei größeren Kanzleien der Fall ist.
Es ist zu erwarten, dass sich die Haupttätigkeit von steuerlichen Sachbearbeitern von der manuellen Erfassung von Geschäftsvorfällen zu komplexerer Beratungstätigkeit verlagern wird. Die Anforderungen an das steuerliche Fachpersonal hinsichtlich der Fähigkeit, komplexe Sachverhalte zu erfassen und zu erklären, werden demnach steigen. Näher Ausführungen hierzu folgen im dritten Kapitel.
2.3 Arbeitszufriedenheit
Arbeitszufriedenheit wird allgemein definiert als positive (bei Arbeitsunzufriedenheit negative) Einstellung, die aus subjektiven Bewertungen der jeweiligen allgemeinen und spezifischen Arbeitssituationen und der Erfahrung mit diesen resultiert(vgl. Nissen, 2020). Wie Menschen zu diesem Grundlagengerüst kommen und anhand welcher Faktoren sie bestimmen, ob sie mit ihrer Arbeit zufrieden sind, ist wiederum oftmals in ihrer Motivation verwurzelt. Es geht letztendlich darum, inwieweit die Arbeit zur Befriedigung subjektiver Ziele und Vorstellungen dient. Weitgehend Einigkeit herrscht darüber, dass Arbeitszufriedenheit die Einstellung der Mitarbeitenden gegenüber ihrer Arbeit insgesamt oder gegenüber einzelnen Facetten der Arbeit erfasst (vgl. Fischer, 2006, p. 39). Zu den Facetten zählen u.a. die Arbeitsaufgabe, Kollegen, Vorgesetzte, Führungsstil und Arbeitsbedingungen, wozu auch die Möglichkeit zur regelmäßigen Weiterbildung gehört(vgl. Fischer, 2006, p. 39). Die Vielzahl unterschiedlicher Definitionen ist dabei von verschiedenen Blickwinkeln und Bezugsrahmen geprägt. Jede Definition ist abhängig von dem favorisierten Konzept der zugrunde liegenden Theorie (vgl. Fischer, 2006, p. 39). Daraus ergibt sich eine Vielzahl von Ansätzen bei der Definition von Arbeitszufriedenheit. Zu einer allgemeingültigen Definition der Arbeitszufriedenheit zu kommen, ist aufgrund der Vielzahl möglicher Betrachtungsweisen kaum möglich und wird zusätzlich erschwert durch den variablen Gebrauch von Umschreibungen und Synonymen wie z.B. Arbeitsmoral, Berufszufriedenheit, Valenz u.a. Darüber hinaus werden Betriebsklima und Arbeitszufriedenheit in Alltagssituationen eng miteinander in Verbindung gebracht und oftmals gleichbedeutend verwendet (vgl. Mertel, 2006, p. 8).
[...]
- Citar trabajo
- Karin Sterz (Autor), 2020, Die Auswirkungen der Digitalisierung auf das Aufgabenspektrum und die Arbeitszufriedenheit des steuerlichen Fachpersonals mittelständischer deutscher Steuerberatungskanzleien, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1006011
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