Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Johann Moritz Schwagers ‘Bemerkungen’
2.1 Schwagers Menschenbild
2.2 Das Justizwesen
2.3 Schwagers Verhältnis zur Obrigkeit
2.4 Kirche, Religion und Fortschritt
2.5 Theologie, Rationalismus und Aufklärung
2.6 Industrialisierung und Technikbegeisterung
3. Schlußbetrachtung
3.1 Johann Moritz Schwager- Ein Vertreter der Aufklärung?
3.2 Ausblick
4 Literaturangaben
4.1 Quellen
4.2 Sekundärliteratur
Pascal Lagemann
1 Einleitung
Johann Moritz Schwager wurde am 24. September 1738 auf dem Gut Kalkkuhl bei Gimborn geboren. Er wuchs in einem strengen, lutherischen Elternhaus auf, das geprägt war von Ablehnung des Pietismus und Papismus1. Von klein auf war Schwager vielseitig interessiert und ruinierte, in dem Drang sich zu bilden, während seiner Schullaufbahn in der Schule des Ortsgeistlichen, der Trivialschule in Lennep und dem Archigymnasium in Dortmund und später während des Studiums fast seine Gesundheit2. Sein Studium der Theologie absolvierte er mit einem Zwischensemester in Jena an der Universität in Halle. Auf der Suche nach einer adäquaten Stelle hatte Schwager nach seinem Examen mehrere Anstellungen als Hauslehrer im bergischen Land und dem Rheinland. Auch in Holland gelang es ihm nicht eine ihm genehme Pfarrstelle zu bekommen. In Bremen schließlich bot ihm ein englischer General eine Stelle in Charleston, South-Carolina, an. Auf dem Weg zum Einschiffen lernte Schwager in Osnabrück seine Frau Helene Gösling kennen, blieb dort und erhielt nach einigen Wirren eine Landpfarrei in Jöllenbeck, in der er am 23. Oktober 1768 ordiniert und eingeführt wurde.
Die wenig herzliche Aufnahme seiner Gemeinde ließ ihn anfangs an seiner Eignung als Landpastor zweifeln, weit weg vom “Umgang mit gebildeten, aufgeklärten Menschen” 3. Später entdeckte er aber die schönen Seiten des Landlebens und begann die “philosophische Ruhe” zu schätzen4. Er eignete sich die Feinheiten der Landhaushaltung an, besonders des Gartenbaus, führte im Kirchspiel Jöllenbeck konsequent die Pockenschutzimpfung ein und half mit einer Versicherung der Kühe das mögliche Unglück eines Viehverlustes in seiner Gemeinde zu verringern5.
Zwei Jahre vor seinem Tod am 29. April 1804 unternahm Schwager noch einmal eine letzte große Reise in seine alte Heimat, das Bergischen. Zu dieser verfasste er im Anschluß eine humorvolle und gut lesbare Schilderung. Überhaupt hat Schwager zahlreiches geschrieben und herausgegeben, insgesamt 24 Bücher, Broschüren und Predigten zu verschiedenen Themen. Auch über sein eigenes Leben sind wir durch eine Biographie,
die er aus Gründen der Richtigkeit lieber selbst geschrieben hat, informiert.
Johann Moritz Schwager war ein wichtiger Vertreter der kirchlichen Aufklärung im westfälischen Raum zum Ende des 18. Jahrhunderts. Durch seine Verbindungen zu anderen führenden Köpfen seiner Zeit, wie Jerusalem, Friedrich Nicolai, Büsching, Semler und Justus Möser ging sein Wirkungskreis weit über die eigenen Pfarrgrenzen hinaus6.
In dieser Arbeit werde ich mich mit Schwagers Reiseschilderung beschäftigen. Dieses oben erwähnte Werk, das sich in eine ganze Reihe von solchen Reisebeschreibungen einfügt, die sich mit der “Provinz” und dem historischen Übergang zur Moderne im Nahbereich beschäftigen7, bietet ein kultur- und geistesgeschichtlich interessantes Bild der durchreisten Regionen, insbesondere des Herzogtums Berg.
Diese Arbeit will einige Aspekte des Reiseberichts näher untersuchen. Von besonderem Interesse sind dabei das Menschenbild Schwagers, seine Haltung zur Obrigkeit, Vorstel- lungen über obrigkeitliches Handeln und das Justizwesen und besonders seine Gedanken zu Religion und Kirche. Weitere Schwerpunkte sollen der Rationalismus und der Zusammenhang zwischen Konfession, Industrialisierung und wirtschaftlichem Fortschritt bilden.
Im folgenden Kapitel werde ich Aussagen aus den ‘Bemerkungen’ unter den oben genannten Fragestellungen zusammenstellen und versuchen sie jeweils in Zusammenhang zu bringen. In der Schlußbetrachtung sollen diese Einzelergebnisse in einen Gesamt- zusammenhang gebracht werden, der besonders auf Schwagers Verhältnis zur Aufklärung eingeht.
2 Johann Moritz Schwagers ‘Bemerkungen’
2.1 Schwagers Menschenbild
Johann Moritz Schwager wollte auf seiner Reise Menschen treffen, so beschreibt er das Ziel seiner Reise in der Einleitung8. Er benutzt den Begriff Mensch in einer bewusst umfassenden Bedeutung. Es liegt ihm viel daran, den wahren Menschen “ohne Hülle und Maske” zu treffen, um den Heuchler vom guten Menschen zu unterscheiden9. Eine darüber hinausgehende Unterscheidung, die nicht auf inneren Werten beruht, möchte Schwager nicht treffen. Er sucht die “reine Menschheit”, die nicht durch Etikette oder den “Schlag- baum des Ceremonienwesens” verdeckt sein sollte10. Eine Begegnung, die nach seiner Aussage diesem Wunsch entspricht, ist ein Besuch beim Landrat Senft von Pilsach, den er als völlig zwanglos beschreibt, wo statt Ständen nur Menschen beieinander gewesen seien und nichts den Edelmann vom Bürgerlichen getrennt habe11. Schwager durchbricht aber selbst selten die “Standesgrenzen”. Die Menschen, mit denen er in Berührung kommt, sind wie er Teil der geistigen Elite seiner Zeit: Pastoren, Industrielle, Ratsherren usw.12. Im Umgang mit einfacheren Leuten wird zum Teil eine intellektuelle Schranke erkennbar. Schwager scheint sich auf einem höheren Niveau zu fühlen, von dem aus er seine Bewertungen trifft. So betrachtet er zum Beispiel einen Posthalter in Langenfeld, der zwei Pferde vorzuspannen für unsinnig hielt, als ein Studienobjekt, dessen religiöse “Physio- gnomie” er gerne bei ausreichend Zeit untersucht hätte13. Recht deutlich wird diese Einstellung Schwagers auch bei Begegnungen mit arbeitsunwilligen Katholiken14. Eine Beschreibung einer Begegnung mit einem Kanonikus, der außer Müßiggang nichts gelernt habe, offenbart seine Verachtung für eine derartige Lebenshaltung15. Schwager sieht im Müßiggang eine Quelle menschlicher Verkommenheit. Aus ihm entstehe beim einfachen Volk das Bettelwesen und schlimmstenfalls sogar kriminelle Energie16. In jeden Fall folge
dem Müßiggang der Sittenverfall, der für die schlimmen Zustände in Städten wie zum Beispiel Elberfeld verantwortlich sei17. Dem könne nur begegnet werden mit einem konsequenten Ausbau von Armenschulen und einer Schulpflicht18. Er geht sogar so weit zu fordern, den großen Freiheitsdrang des bergischen “Pöbels” und den “ziemlich freien Willen” durch Arbeitsentzug zu bändigen, um so gewissenlose und nachlässige Eltern zur Ordnung zu rufen19.
Aber auch für bürgerliche Kreise, die sich einen “Leseluxus” leisten und “manche unmoralische Sudelei in Romanenform” lesen, sei es besser, sie seien beschäftigt, “denn würden alle Müßiggänger und Müßiggängerinnen gezwungen, sich das Brod zu verdienen das sie essen, so würden wir manche Klage nicht kennen”20. Als Beispiel lobt er die Liberalität der Wipperfürther, die auf sinnvoller Lektüre und dem Umgang mit aufgeklärten Menschen beruhe. Dass dies aber nicht ins Extreme schlage, liege an der maßvollen Freizeit, die zu Ausschweifungen keinen Raum biete21. Der Sinn menschlichen Seins liegt für Schwager also in erster Linie im Tätigsein. Erst durch Arbeit erreiche der Mensch ein gutes Gleichgewicht zwischen Denken und Handeln.
Die Früchte solchen Denkens rufen bei Schwager Ehrfurcht vor dem Menschen als schaffendem Wesen hervor. Angesichts der mächtigen Dampfmaschine der Grube Königsborn findet dies in den Worten Ausdruck: “...in solchen Augenblicken wird mir der Mensch heilig, und ich steige auf ihm als einer Leiter zum Allerheiligsten empor, und verhülle mein Angesicht”22. Auch das neue Christliche Gesangbuch von Pastor Reche für die lutherischen Gemeinden im Herzogtum Berg flößt ihm Respekt ein vor dem mutigen und vor allem fähigen Mann, der es allein wagte dieses Werk anzugehen und auch zu vollenden23. Im Zuge dieser Ehrfurcht vor dem Lebenswerk eines Menschen versieht Schwager diesen häufig in seiner Vorstellung aber auch mit anderen guten Attributen24. So zum Beispiel bei einer reichen Witwe, die es mit großem Kapitaleinsatz geschafft hatte, eine englischer Konkurrenz gewachsene Tongutfabrik aufzubauen, kommt ihm gar nichts anderes in den
Sinn, als dass sie diese Anstrengung nur zum Wohle Westfalens unternommen habe, und lobt sie für ihren Gemeinsinn, den sonst nur wenige hätten25.
Die Reiseschilderung zeigt ein etwas undifferenziertes Menschenbild auf. So hart Schwager mit dem Müßiggang und dem “Pöbel” ins Gericht geht, so gutgläubig tritt er honorigen Persönlichkeiten entgegen. Er scheint in einigen Urteilen über die vorgefunde- nen Zustände eine vorgefasste Meinung bestätigt zu sehen, wobei sein Urteil zum Teil in sich widersprüchlich ist: Zwar wünscht er sich ein Aufbrechen des Ständedenkens, hält aber selbst an einer Trennung zwischen Bürgertum und Adel auf der einen Seite und dem einfachen Volk auf der anderen Seite fest.
2.2 Das Justizwesen
Angesichts einer Hinrichtung in Düsseldorf geht Schwager auf das Justizwesen im Herzogtum Berg ein. Es zeichnet sich seiner Ansicht nach durch eine “falsche Humanität” aus, da von der als notwendig und unentbehrlich bewiesenen Todesstrafe26 zu lange nicht mehr Gebrauch gemacht sei 27. Ständige Ausbrüche und das Fortfahren im kriminellen Tun seien Beweis genug, “daß Kerker- und Gefängnisstrafen nicht bessern. Die grausamsten Inquisitions- und Strafmittel, die unsere juristischen Püppchen an unsern Vorfahren tadeln, machten die Räuber nicht so grausam, als die spätere Gelindigkeit”28. Diese “Gelindigkeit” habe bisher ihren theoretischen Anspruch, den Menschen zu bessern, noch nicht einmal im Ansatz erfüllt. Dagegen sei die Todesstrafe vielmehr geeignet, die Welt von einigen Bedrohungen zu befreien, und eine wirkungsvolle Abschreckung zu betreiben. Eine lebenslange Festungshaft könne diese Abschreckung nicht leisten, da die vielfachen Ausbrüche die Mangelhaftigkeit des Systems deutlich gemacht hätten. Auch eine Verbannung nach Sibirien verlöre angesichts der unzureichenden Geographiekenntnisse der potentiellen Klientel an Schrecken. Einzig “am Galgen hangen, in Ketten gehangen seyn oder auf dem Rade zum Anschauen (sic!) liegen” könne den Einzelnen in der Furcht vor dem Tod und einer Hinrichtung ohne geistlichen Beistand daran hindern, Verbrechen zu begehen 29.
[...]
1 Vgl. Schwager Selbstbiographie 1801, S. 39
2 Vgl. Schwager Selbstbiographie 1801, S. 42ff
3 Vgl. Schwager Selbstbiographie 1801, S. 71
4 Vgl. Schwager Selbstbiographie 1801, S. 72
5 Vgl. Schwager Selbstbiographie 1801, S. 72f
6 Vgl. Rothert 1929, S. 47f
7 Vgl. Eimer, S. 409
8 Vgl. Schwager Bemerkungen, S. XII
9 Vgl. Schwager Bemerkungen, S. XIVf
10 Vgl. Schwager Bemerkungen, S. XII
11 Vgl. Schwager Bemerkungen, S. 42
12 Vgl. Schwager Bemerkungen, z.B. S. 43ff, S. 60, S. 72 oder S.80
13 Vgl. Schwager Bemerkungen, S. 105
14 Vgl. Schwager Bemerkungen, S. 367f
15 Vgl. Schwager Bemerkungen, S. 149f
16 Vgl. Schwager Bemerkungen, S. 276f
17 Vgl. Schwager Bemerkungen, ebenda und S. 302f
18 Vgl. Schwager Bemerkungen, S. 278
19 Vgl. Schwager Bemerkungen, S. 280f
20 Vgl. Schwager Bemerkungen, S. 214f
21 Vgl. Schwager Bemerkungen, S. 213f
22 Schwager Bemerkungen, S. 45
23 Vgl. Schwager Bemerkungen, S. 106f und S. 126ff
24 Ob diese gerechtfertigt sind oder nicht, kann ich mangels Vergleichsquellen in dieser Arbeit nicht beurteilen. Vgl. dazu auch Schwagers Verhältnis zur Obrigkeit.
25 Vgl. Schwager Bemerkungen, S. 292ff
26 Vgl. Schwager Bemerkungen, S. 87f
27 Vgl. Schwager Bemerkun
28 Vgl. Schwager Bemerkungen, S. 88
29 Vgl. Schwager Bemerkungen, S. 91f
- Citation du texte
- Pascal Lagemann (Auteur), 2000, Johann Moritz Schwager - Ein westfälischer Pfarrer der Aufklärungszeit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/100554
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