Der Mauerbau in seinem politischen Kontext
Mit der Genfer Außenministerkonferenz (11.5. bis 5.8.1959) ließ sich eine Wende in den internationalen Beziehungen erkennen. Der russische Monolog der Drohung war zu einem Dialog geworden, der während des Besuchs des Außenministers Chruschtschow in den USA vom 15. bis 28 . September 1959 fortgesetzt wurde. Zwischen Chruschtschow und dem amerikanischen Präsident Eisenhower wurde eine Übereinkunft über die zeitlich unbefristete Wiederaufnahme der Gespräche über die Berliner Frage getroffen. Außerdem stimmte Eisenhower im Vertrauen auf den schließlichen Sieg des guten Willens der sogenannten Pariser Gipfelkonferenz im Mai 1960 zu, auf der endgültig über Berlin und Deutschland entschieden werden sollte. Diese sehr optimistische Grundhaltung des Präsidenten weckte in Adenauer Bedenken, daß die allgemeine Entspannungspolitik zu einem für Deutschland negativen Nachgeben in der Deutschland- bzw. Berlinfrage führen könnte.
Die Gipfelkonferenz scheiterte jedoch an einem russischen Angriff auf ein amerikanisches Erkundungsflugzeug über sowjetischem Boden. Die daraus resultierende Verschlechterung der internationalen Lage führte bei den Deutschen zu der Angst, daß Rußland nunmehr einseitige Handlungen durchführen würde. Überraschenderweise lenkte Chruschtschow auf einer Versammlung in Ostberlin ein. Er glaube fest an den Frieden und sei der Meinung, daß in 6 bis 8 Monaten eine Gipfelkonferenz stattfinden könne. In dieser Zeit sei es den vier Siegermächten durch gemeinsame Anstrengung sicher möglich, eine geeignete Lösung für Deutschland zu finden. Außerdem sollte die bestehende Lage eingehalten und bis zur Konferenz von keiner Seite einseitige Schritte zugelassen werden. Diese defensive Haltung war ganz entgegen den Vorstellungen der DDR, die in Konsequenz des Ausganges der Pariser Konferenz energische Schritte zu ihren Gunsten erwartet hatten.
Erst am 3./4. Juni gab es wieder ein Treffen, diesmal Chruschtschow und dem neu gewählten Präsidenten J.F.Kennedy in Wien. Das der USA überreichte russische Memorandum zur Deutschlandfrage machte deutlich, daß sich die Vorstellungen des Krems nicht verändert hatten. Die SU hielt immer noch an der Errichtung einer „Freien Stadt“ fest, in der zur Sicherheit Truppen von allen vier Siegermächten stationiert werden sollten. Sie währe auch mit einer Stationierung von Truppen neutraler Länder einverstanden. Neu war allerdings, daß bezogen auf einen Friedensvertrag eine größere Flexibilität herrschen sollte. Nicht alle Staaten bräuchten sofort die DDR anzuerkennen, man könne sogar einen „östlichen“ und einen „westlichen“ Vertrag mit einem oder beiden deutschen Staaten abschließen. Gleichzeitig wurden wieder Fristen gesetzt, ohne das diese den Charakter eines Ultimatums hatten. Die Folgen eines solchen Friedensvertrages für Westberlin wäre die Aufhebung des Besatzungsregimes gewesen. Die Benutzung der Verbindungswege, die über das Territorium der DDR führten, hätten laut dem Memorandum mit der DDR verhandelt werden müssen, da die Wahrnehmung der Kontrolle über solche Verbindungswege das Recht eines jeden souveränen Staates sei.
Die Unterzeichnung dieses Vertrages hätte für die Westmächte die Anerkennung der DDR und eine weitgehende Einschränkung der westlichen Macht in Westberlin bedeutet. Dies waren genau die Ziele, die Ulbricht mit dem Friedensvertrag zwischen DDR und SU zu erreichen hoffte. Ursache dafür war der sprunghafte Anstieg der Flüchtlingszahlen aus der Ostzone und dem sowjetischen Sektor nach Westberlin. Dieses „Offene Loch“ verzögerte eine politische Stabilisierung des Regimes und verursachte im Vergleich zur dynamischen Entwicklung Westdeutschlands eine Stagnation z.B. im Bereich der Wirtschaft.
Dabei war Ulbricht offiziell gegen die Errichtung einer Mauer; er wollte vielmehr die Beziehungen zwischen der DDR und Westberlin vertraglich regeln. Chruschtschow dagegen war für den Bau einer Mauer, die kurzfristig das Problem der Massenflucht lösen würde. Außerdem war aus übereinstimmenden Antworten der Westmächte auf das Wiener Memorandum ersichtlich geworden, daß der Westen im Falle einer Verletzung des Protokolls vom 12.9.1944 auch zu militärischem Handeln entschlossen war. In diesem Protokoll war der Viermächtestatus der Stadt Berlin festgelegt worden.
Aufgrund dieser indirekten Drohungen entschied sich Chruschtschow für den Bau der Mauer, welcher schließlich Anfang August bei einer Zusammenkunft der Warschauer-Pakt-Staaten beschlossen und dem DDR-Regime zur Ausführung auferlegt wurde.
Am 10.8.1961 lud der Befehlshaber der russischen Streitkräfte der DDR die drei westlichen Stadtkommandanten in sein Hauptquartier. Er gab ihnen die Versicherung, daß keine Handlungen der SU und der DDR die Rechte der Westmächte verletzen würden.
In den frühen Morgenstunden des 13.8.1961 riegeln schließlich Volksarmee und Volkspolizei die Sektorengrenzen innerhalb der Stadt und die Zonengrenze nach Westberlin mit Stacheldraht und Steinwällen hermetisch ab. Später wurden diese durch die zwei Meter hohe Mauer ersetzt; Fenster und Türen angrenzender Gebäude wurden zugemauert und ihre Bewohner zwangsweise ausgesiedelt. Der S-und U-Bahnverkehr wurde unterbrochen. Der Vollzug dieser Maßnahmen lößte bei der gesamten deutschen Bevölkerung Erschütterung und Empörung aus.
Westberlinern war es bis zum 22.8. noch erlaubt, Ostberlin zu besuchen. Einwohner der übrigen Bundesrepublik dagegen konnten weiterhin nach Ostberlin fahren, sofern sie eine Aufenthaltsgenehmigung hatten. Die 50.000 „Grenzgänger“, die täglich aus Ostberlin und den berliner Randgebieten strömten, fielen für die Westberliner Wirtschaft aus. Vor allem auch auf sozialer Ebene hatte die Mauer weitreichende negative Folgen.
Die sich aufdrängende Frage, ob ein sofortiges militärisches Eingreifen der drei Schutzmächte den Mauerbau verhindert bzw. beseitigt hätte, ist spekulativ. Sicher ist, daß nach ihrer Meinung keine entscheidenen Rechte des Westens, der immer nur die Freiheit der Westberliner garantiert hatte, verletzt worden waren. Zwar lag eine ganz erhebliche Verletzung des o.g. protokolls von 1944 vor, aber die Westmächte wollten und konnten diesen Prozeß - angesichts einer Situation, die einem Pulverfass glich - nicht rückgängig machen. Vielmehr hatte es den Anschein, daß den Westmächten die Mauer, deren inhumane Auswirkungen sie verurteilten und bedauerten, unter dem Aspekt der temporären Friedenssicherung eine relativ günstige Lösung bedeutete.
Als beherrschendes Fazit der Mauer blieb und bleibt: Sie ist das sichtbare Eingeständniss eies weitgehenden Versagens des Kommunismus inder DDR, der es während der Zeit seiner Herrschaft nicht geschafft hat, sein System für die unter seiner Herrschaft lebenden Bewohner attraktiv zu machen.
Es ist außerdem ein Zeichen des Versagens der westlichen Berlinpolitik, die nicht entschlossen genug und ohne die nötige Aufmerksamkeit von den Westmächten angewendet wurde.
Quelle:“Edition Zeitgeschehen“; Herbert Liege: „Deutschland 1945-1963“
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Nov. 58 Drei Staaten Theorie
11.5.-5.8.59 Genfer Außenministerkonferenz
15.-28.9.59 Cruschtschows Besuch in den USA
Mai 1960 Pariser Gipfelkonferenz/ Scheitern
20.5.60 Einlenken Chruschtschows bei Rede in Ostberlin
Bis Juni 61 „Atempause“
3./4.6.61 Kennedy/Chruschtschow in Wien: sowjet. Memorandum zur Deutschlandfrage
Sommer 61 Rede von Friedensvertrag DDR/SU
15.6. Ulbrichts Pressekonferenz: „keine Mauer“
Anfang August Zusammenkunft Warschauer Pakt Staaten: Beschluss über Mauerbau
13.8.61 Mauerbau
18.8. Besuch Vizepräsident Johnson/General Clay