Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Überblick
1.1 Definition der Familie
1.2 Familienformen
1.3 Funktionen der Familie
1.3.1 Reproduktionsfunktion
1.3.2 Sozialisationsfunktion
1.3.3 Haushaltsfunktion
1.3.4 Plazierungsfunktion
1.3.5 Regenerationsfunktion
1.3.6 Weitere Funktionen
1.4 Geschichtlicher Wandel
1.4.1.1 Die vorindustrielle Familie
1.4.1.2 Die industrielle Familie
1.4.1 Vergleich BR - DDR
2. Gründe des Bedeutungswandels der Familie
2.1 Bedeutungsverlust der Ehe
2.2 Individualisierung
2.3 Emanzipation
2.4 Wandel in Moral und Religion
2.5 Folgen:
2.5.1 Geburtenrückgang
2.5.1.1 Faktoren
2.5.1.2 Probleme
2.5.2 Scheidung
2.5.2.1 Scheidungsrate
2.5.2.2 Gründe & Risiken
2.5.2.3 Folgen für Kinder
3. Lebensformen heute
3.1 Monopolverlust der Familie
3.1.1 Nichteheliche Lebensgemeinschaften
3.1.2 Kinderlose Ehepaare
3.1.3 Alleinerziehende
3.1.4 Singles
3.1 Funktionswandel
3.2 Strukturwandel
3.3.1 Wandel der Frauen- und Mutterrolle / Arbeitsteilung
3.3.2 Familiengröße
3.3.3 Autoritätsstruktur
3.3.4 Ziele der Struktur
4. Bilanz & Zukunftsperspektiven
Einleitung
Die vorliegende Seminararbeit befasst sich mit dem Thema Strukturwandel der Familie und Familienformen im Wandel. Dabei interessiert mich besonders, ob es zu einer Abkehr von der Familie kommt und/oder welche Alternativen es gibt bzw. sich ergeben werden. Ich konzentriere mich hier vor allem auf die Familie der Gegenwart und auf die Gründe für diese Entwicklung.
Zunächst soll dafür die Familie an sich näher analysiert werden - was eigentlich mit Familie gemeint ist, ihre Funktionen und Formen sowie ihre historische Entwicklung. Danach werde ich auf die beiden großen Bereiche der Gründe für den Bedeutungswandel der Familie und die heutige Vielzahl an Lebensformen eingehen.
Zum Schluss versuche ich eine Bilanz zu ziehen und einen Ausblick zu erstellen.
1. Überblick
1.1 Definition der Familie
Der Versuch eine einzige Definition der Familie zu finden, steht vor einer Vielzahl an Problemen. Zum einen gibt es kulturelle Unterschiede, zum anderen aber auch viele unterschiedliche Meinungen, wer zu einer Familie gehört bzw. welche Voraussetzungen eine Familie erfüllen muss. Der Begriff der Familie stammt aus dem lateinischen ,,familia" als Kollektivbildung aus dem Wort ,,famulus" (der Diener).
Zur Zeit der römischen Herrschaftsstruktur z.B. gehörten zu einer Familie auch Freie, Sklaven, Personen und Sachen (damals fehlte es weitgehend an einer gefühlsmäßigen Bedeutung unseres heutigen Sprachgebrauchs).
Heute jedoch ist der Kreis der Familie auf einige spezielle Personen eingegrenzt. So ist Friedhelm Neidhardt der Meinung, dass eine Familie aus einem verheirateten Paar und mindestens einem Kind bestehen müsste.1 Nach Neidhardt sind die Generationen- und Geschlechterdifferenz in der Familie konstituiv.
Auch Peuckert schließt sich dieser Meinung sinngemäß an. Er definiert die Familie als eine ,,sozio- biologische Einheit, die durch enge Verwandtschaftsbeziehungen - vorwiegend das Eltern-Kind-Verhältnis - gekennzeichnet ist."2
Weiterhin schreibt er der ,,Normalfamilie" folgende Merkmale zu: Verheiratet, mit Kind/Kindern, zwei leibliche Eltern im Haushalt, lebenslange Ehe, Monogamie, Heterosexualität, Mann als Haupternährer. Mit einem solch engen Familienbegriff jedoch wird die Vielzahl der heutigen Familienformen ausgegrenzt. Thomas Meyer definiert deshalb die Familie als eine Kleingruppe mit einem spezifischen Kooperations- und wechselseitigem Solidaritätsverhältnis, deren Hauptaufgabe in der biologischen und sozialen Reproduktion der Gesellschaftsmit-glieder besteht.3 Ferner zählen im Mikrozensus als ,,Familien" eng umgrenzte Personengemeinschaften innerhalb eines Privathaushaltes, die durch Ehe oder Abstammung bzw. das Sorgerecht miteinander verbunden sind. Im Einzelnen handelt es sich um zusammenlebende Ehepaare mit oder ohne ledige Kinder im Haushalt sowie alleinstehende Mütter und Väter, die mit ihren ledigen Kindern im gleichen Haushalt zusammenleben.4
Aus diesem Grunde werde auch ich diese ,,alternativen" Familienformen in meine Überlegungen miteinbeziehen.
1.2 Familienformen
Die Geschichte der Familie zeigt eine Vielzahl an Formen des Zusammenlebens. Hier sollen jedoch nur einige aufgelistet werden und eine grobe Übersicht verschaffen. Dabei ist zwischen einzelnen Betrachtungsaspekten zu unterscheiden.
a) Entscheidend ist die Anzahl der Ehepartner: Monogamie bezeichnet eine Familienform, in der nur ein Ehepartner erlaubt ist. In der Polygamie sind dagegen auch mehrere Ehepartner erlaubt. (Polygynie, wenn ein Mann mehrere Ehefrauen hat; Polyandrie, wenn eine Frau mehrere Ehemänner hat.)
b) Entscheidend ist die Familiengröße:
Mit Klein- oder Kernfamilie meint man die Begrenzung der Mitglieder auf ein Minimum (Ehepaar mit Kind). Im Gegensatz dazu umfasst die erweiterte Großfamilie auch die Verwandtschaft und das Hauspersonal.
c) Entscheidend ist die Herrschaftsperson:
In der patriarchalischen Familie ist der Mann Autoritätsperson und verinnerlicht die absolute Macht über alle Familienmitglieder. Im Gegensatz dazu bestimmt in der matriarchalischen Familie die Frau. Vielfach kommt in der heutigen Industriegesellschaft die halbpatriarchalische Familie vor. Hier liegt eine erhebliche Schwächung der Dominanz des Mannes vor.
d) Entscheidend ist die Art der Familie:
Man unterscheidet zwischen Herkunfts- und Fortpflanzungsfamilie. Herkunftsfamilie ist die Familie, in die ein Mensch hinein geboren wird. Dagegen ist die Fortpflanzungsfamilie (auch Zeugungsfamilie) die Familie, die man sich selbst aufbaut, bzw. die man selbst gründet.
e) Weitere Familienformen:
Die institutionelle Familie ist die in die Gesellschaft integrierte traditionelle Familie.
Als matrifokale Familie bezeichnet man die Familienform in der Mutter und Kind auf Dauer allein zusammenleben, mit wechselnden und/oder nicht in der Familie lebenden Partnern der Mutter.
Die bürgerliche Familie wird näher in 1.4.1.1 erläutert.
In sogenannten ,,primitiven" Gesellschaften existiert die Blutsverwandtschafts- Familie.
Diese meint, dass der einzelne Partner nach der Zeugung eines Kindes weiterhin in seiner Herkunftsfamilie bleibt. Die Familienzugehörigkeit bestimmt sich demnach nicht nach Heirat.
Diese einzelnen Formen können auch nebeneinander bestehen. Es ist also z.B. möglich, dass eine patriarchalische Familie sowohl monogam als auch polygam sein kann. Vor allem die industrielle Revolution führte zu einem enormen Änderungsprozess der Gesellschaft und somit auch zu einer veränderten Form der Familie. Diese neuentstandenen Familienformen werden jedoch erst in 3.1 näher behandelt.5
1.3 Funktionen der Familie
Die Funktionen der Familie sind sehr vielfältig. Im Folgenden sollen die wichtigsten nun kurz erklärt und ihre Verbindung aufgezeigt werden.
1.3.1 Reproduktionsfunktion
Vereinfacht meint diese, dass die Familie neue Mitglieder der Gesellschaft schafft und so deren Fortbestand sichert. Eine Aufgabe die sich aus dieser Funktion ergibt ist die, dass Verantwortung für die Kinder übernommen werden muss. Einmal auf der materiellen (z.B. Ernährung, Kleidung) und zum anderen auf der sozialen Seite (z.B. Liebe, Zuneigung). Aus dieser Aufgabe heraus sind weitere Funktionen der Familien entstanden:
1.3.2 Sozialisationsfunktion
Sozialisation ist die Prägung des Einzelnen durch die Gesellschaft, durch die der Mensch in das soziale System der Gesellschaft integriert wird.6
Diese ist zu unterscheiden in ,,Soziabilisierung" und ,,Enkulturation".
Unter ,,Soziabilisierung" versteht man die Zuwendung und Wärme an den menschlichen Nachwuchs, der ihn erst ,,menschlich" macht. Der Vollzug von einem unvollkommenen sozialen Individuum zu einer sozialen Persönlichkeit.
Danach folgt die ,,Enkulturation". Darunter versteht man die Vermittlung der Eigenheiten der betreffenden Kultur.
Man kann diese Funktion auch als Erziehungsfunktion bezeichnen.
1.3.3 Haushaltsfunktion
Hier wird die Familie als Wirtschaftseinheit betrachtet. Das Ziel ist die materielle Versorgung (z.B. Nahrung, Kleidung, Wohnung) aller Mitglieder. In der vorindustriellen Familie (s.
1.4.1.1) stand die Produktionsfunktion im Vordergrund, da weitgehendst noch die
Subsistenzwirtschaft verbreitet war. Heute jedoch in der modernen Familie (s. 3.2) hat die Konsumfunktion sehr an Bedeutung gewonnen.
Gleichgeblieben ist dabei der meistens vorkommende innere soziale Zusammenhalt - die Solidarität zwischen den einzelnen Familienangehörigen.
1.3.4 Plazierungsfunktion
Darunter versteht man, jedem Mitglied der Familie einen bestimmten Platz zuzuweisen. Man unterscheidet sie in statische und dynamische. Unter der statischen versteht man die
Bestimmung der Verwandtschaftslinien, also z.B. Vater-Sohn, Onkel-Nichte, Großmutter- Enkelin. Diese bleiben für immer. Der Aspekt der dynamischen Plazierungsfunktion bezieht sich auf die gesellschaftliche Stellung des Kindes und dessen Entwicklung. Hier kommt es also besonders darauf an, in welches Milieu das Kind geboren wird. Heutzutage ist diese Startsituation nicht mehr zwingend. Es ist möglich durch eigene Leistungen aufzusteigen.
1.3.5 Regenerationsfunktion
Dazu gehören alle Aktivitäten der Familie, die der physischen und psychischen Erholung dienen (,,Familie als Zufluchtsort"7 ). Die Familie soll einen Ausgleich schaffen, besonders zum Beruf bzw. Schule, da dort das Gefühl und die persönliche Anerkennung keine bedeutende Rolle spielt. Innerhalb der Familie kann der Mensch so sein, wie er wirklich ist. Bestimmte Rituale fördern die Erhaltung und Stärkung des Wir-Gefühls (z.B. Familienfeste, Weihnachtstradition).
Jedoch kann die Familie auch Konfliktquelle darstellen.
1.3.6 Weitere Funktionen
In der vorindustriellen Zeit (s. 1.4.1.1) nahm die Familie weitere Funktionen wahr, die nach und nach verloren gingen, bzw. vom Staat übernommen wurden.
Ein Beispiel ist die Funktion der Alters- und Krankenversorgung.
Früher waren alte Menschen auf ihre Familie angewiesen. Heute dagegen gibt es spezielle staatliche Institutionen, die für die Versorgung im Alter bzw. in der Zeit der Krankheit zuständig sind (z.B. Rentenversicherungsträger, Krankenhäuser). Eine weitere Funktion, die heute vom Staat getragen wird, ist die der Schutzfunktion. Diese wird heute fast ausschließlich durch Polizei und ähnliche Einrichtungen wahrgenommen.
1.4 Geschichtlicher Wandel
An dieser Stelle ist festzustellen, dass es zu keiner Zeit die Familie gegeben hat, sondern dass schon immer ein Nebeneinander von mehreren Familienformen bestand. Im nachfolgenden sollen nun die Hauptformen von der vorindustriellen bis zur modernen Familie dargestellt werden. Auch können im Rahmen dieser Seminararbeit die Unterschiede zwischen den einzelnen Schichten und zwischen der Land- und der Stadtbevölkerung nicht herausgearbeitet werden, da dies sonst zu umfassend würde.
1.4.1.1 Die vorindustrielle Familie
Bis ins 18., teilweise bis ins 19. Jahrhundert hinein bestand für mehr als 90% der Bevölkerung die Welt aus kleinen Dörfern, Markgenossenschaften und Gutshöfen. Diese waren geprägt durch relativ einfache Formen landwirtschaftlicher und handwerklicher Wirtschaftsweisen. Die Familie stellte eine soziale, rechtliche, politische und wirtschaftliche Einheit dar. Die vorherrschende Familienform war die der erweiterten Großfamilie Dieser gehörten in der Regel drei Generationen an (Großeltern, Eltern, Kinder). Weiterhin aber auch die Mägde und Knechte (bei den Bauern), Gesellen und Lehrlinge (bei den Handwerkern) und Dienstboten und Dienstmädchen (beim Adel).
Zusammengefasst stellten sie die Produktionsgemeinschaft dar. Zwischen ihnen bestand aber keine tiefere emotional - affektive Beziehung, da die harte Arbeit dies nicht zuließ. Die Familie galt als Idealtypus sozialer Beziehungen und war patriarchalisch aufgebaut, d.h. der Hausherr hatte alle Rechte.
Geprägt wurde diese Form auch durch die räumliche und soziale Einheit der Wohn- und Arbeitsstätte sowie durch die geringen Mobilitätschancen.
Voraussetzung für die Entstehung dieser Struktur waren allerdings die ,,ökonomischen Bedingungen".8 Nur in bessergestellten Gesellschaftsschichen konnte demnach eine solche Familienform entstehen. Es kam zu einem Verzicht auf Familie bzw. zu einer Einbindung in eine Großfamilie überall dort, wo die Heirat rechtlich verboten war (z.B. bei Knechten und Mägden) oder wo es die wirtschaftlichen Verhältnisse nicht zuließen.
Gegensätzlich dazu bestand die bürgerliche Familie im Dienstleistungsbereich, die auch heute noch Leitbildfunktion innehat. Hier kam es schon vor der industriellen Revolution zu einer Trennung von Arbeitsstätte und Wohnung. Diese führte zu einer schärferen Abgrenzung zwischen der Rolle des Mannes und der Rolle der Frau. Der Mann spezialisierte sich auf die außerfamiliale Arbeitswelt und die Politik (instrumentaler Führer), während die Frau nun fast ausschließlich die Aufgaben im Haushalt und der Erziehung wahrnahm (emotionaler Führer).9
1.4.1.2 Die industrielle Familie
In der Zeit der industriellen Revolution fanden starke Veränderungen in Struktur und Form der Familie statt.
So kam es im Rahmen der Industrialisierung zu einer Verstädterung. Die Familien zogen in die Stadt, um dort in einer Fabrik zu arbeiten. Sie erhofften sich die wirtschaftliche Unabhängigkeit. So entstand die Industriearbeiterfamilie, die der bürgerlichen Familie ähnlich ist, da eine Trennung von Arbeitsstätte und Wohnung stattfand. Jedoch musste, um die Familie ernähren zu können, nicht nur der Mann arbeiten gehen, sondern vielfach auch die Frau und sogar die Kinder. Das Familienleben trat in den Hintergrund.
Auch die Familiengröße nahm aufgrund der schlechten materiellen Lage der meisten Familien ab (z.B. Ausgliederung der Verwandtschaft, hohe Kindersterblichkeit). Erst im Zuge der fortschreitenden technischen Entwicklung verbesserte sich die wirtschaftliche Situation dieser Familien. Es bildete sich die Form der modernen Familie. Auf diese werde ich noch genauer in 3. LEBENSFORMEN HEUTE eingehen.
1.4.2 Vergleich BRD - DDR
Im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung der alten und neuen Bundesländer entstanden auch aus deren zwei unterschiedlichen Gesellschaften eine neue.
Im folgenden sollen nun die Unterschiede und Gemeinsamkeiten dargestellt werden.
Die ehem. DDR förderte die Erwerbstätigkeit der Frau wesentlich stärker als die BRD. So gewährte sie weit höheres Kindergeld, Familiengründungsdarlehen, Arbeitswochen- verkürzung und andere Hilfsmittel für Mütter. Weiterhin konnten Frauen schneller wieder in ihren Beruf einsteigen als das in den alten Bundesländern möglich war. Es gab Kinderkrippen, Kindergruppen und Schulhorte, die die Kinder spätestens ab dem zweiten Lebensjahr aufnahmen und auch ganztags betreuten. Demnach war es nichts ungewöhnliches, wenn Frauen nach nur kurzem Mutterschaftsurlaub direkt wieder voll erwerbstätig waren. Der Staat unterstütze eine frühe Eheschließung und Familienbildung und wollte so möglichst hohe Gewinne erzielen.
Der Nachteil dieser Politik war, dass diese eigentliche ,,familienergänzenden" Einrichtungen immer mehr zu ,,familienersetzenden" wurden.
Auf Grund der massiven staatlichen Einengung der individuellen Freiheiten wurde die
Familie zunehmend zu einer privaten Nische, in der eigene Bedürfnisse und Erwartungen ausgelebt werden konnten.
Allgemein lässt sich feststellen, dass trotz unterschiedlicher Bevölkerungspolitik die Trends der Familienentwicklung in beiden Ländern relativ gleich war.
So sanken Geburtenrate, Heiratsneigung und die Wiederverheiratungsbereitschaft stark ab. Während Heiratsalter, Erstgeburtenalter und Scheidungszahl ( diese jedoch viel stärker als in der BRD) wesentlich anstiegen. In der ehem. DDR setzte sich das Ideal der ,,Zwei-Kind- Familie" durch. Auch die Anzahl der ,,nichtehelichen Lebensgemein-schaften" vergrößerte sich (sozusagen eine ,,Ehe auf Probe").
Dennoch ist festzustellen, dass in den neuen Bundesländern eine Abkehr von der Familie
nicht stattgefunden hat. Diese wird immer noch höher bewertet als das in den alten Bundesländern der Fall ist.
2. GRÜNDE DES BEDEUTUNGSWANDELS DER FAMILIE
Im folgenden wird nun auf die einzelnen Indikatoren eingegangen, die zum Wandel der
Familienbedeutung führten. Diese stehen jedoch in engem Wechselverhältnis zueinander und können eigentlich nicht getrennt betrachtet werden. Im nachstehenden werden sie trotzdem abgegrenzt dargestellt, um ihre Problematik zu verdeutlichen.
2.1 Bedeutungsverlust der Ehe
Heiratsneigung
Der Gesetzgeber hat die Institution der Ehe schon in Art. 6 GG unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung gestellt. Jedoch hat sich die Ehe an sich seit Bestehen des Grundgesetzes stark verändert.
So nahm die Heiratsneigung (darunter versteht man, dass mindestens einmal im Leben geheiratet wird) im Vergleich von 1970 und 1994 bei Männern von 90 auf 53% und bei Frauen von 97 auf 60% ab.
Dieser Trend besteht erst seit ca. 1960. Vorher im ,,golden age of marriage" lag eine wesentlich höhere Prozentzahl vor.
Ebenfalls abgenommen hat die Neigung Geschiedener oder Verwitweter nochmals zu heiraten. Heute liegt sie insgesamt nur noch bei ca. 30%.10
Diese Entwicklung hat wiederum gravierenden Einfluss auf die Struktur der modernen Familie (s.3.3).
Wie ist diese Entwicklung zu erklären?
Die deutsche Nachkriegszeit war durch die Zerstörung von Wohnraum, den Verlust von
Familienmitgliedern und die unsichere Wirtschaftslage gekennzeichnet. Darum legte man viel Wert auf die Familie (u.a. wegen der langen Trennung zwischen einzelnen Familienmitgliedern, Angst- und Notsituationen).
Viele sahen in der Alternative des ,,Unverheiratet-Sein" keinen Anreiz mehr, da man sich nach festen Werten sehnte und diese am besten durch die Familie vermittelt werden konnten. Darüber hinaus war die Eheschließung mit einer besseren Ressourcen-verteilung durch den
Staat verbunden, z.B. Zuteilung von Wohnraum. Seit dem Ende der 60er Jahre jedoch rückte die Emanzipation (s. 2.3) immer mehr in den Vordergrund. Diese und die Entwicklung besserer Verhütungsmethoden hatten große Auswirkungen auf das familiale System mit der Folge, dass emotionelle sexuelle Beziehungen nicht länger legitimiert werden mussten. Die inzwischen veränderten materiellen und wohnungsmäßigen Bedingungen ermöglichen besonders heute eine außereheliche Beziehung.
Nichteheliche Lebensgemeinschaften
Da die Ehe an zwingender Notwendigkeit zur Erfüllung bestimmter Bedürfnisse verloren hat und somit keinen ,,Gewinn" mehr darstellt, haben die nichtehelichen Lebensgemeinschaften einen enormen Zuwachs erfahren. (s. 3.1)
Einen weiteren Grund für diesen Zuwachs stellt das veränderte Verhalten der Partnerwahl dar. Früher wurde vor allem aus Tradition und Wirtschaftlichkeit geheiratet. Heute dagegen steht die Liebesheirat im Vordergrund. Da diese Basis labil ist, wird die Beziehung erst einmal ,,getestet". Man könnte sagen, eine Ehe auf Probe.
Heiratsalter
Einen weiteren Grund des Bedeutungsverlust der Ehe ist in dem gestiegenen Heiratsalter zu sehen.
Diese resultiert u.a. aus der oben bereits genannten ,,Ehe auf Probe", der Verlängerung der
Ausbildungsdauer, der Unabhängigkeit der Frau (s. 2.3), der Legitimation unehelicher Kinder (- keine Zwangsehe mehr) und aus dem Selbstverwirklichungs-wunsch (s. 2.2). So ist das Heiratsalter von 1960 bis 1994 bei Männern von 25,9 auf 29,3 Jahre gestiegen. Vergleichbar nahm auch das Heiratsalter bei den Frauen zu. Von 23,7 auf 26,9 Jahre im o.g. Zeitraum (_Abb. 1).
Jedoch kann nicht von einem Verlust an Partnerschaft gesprochen werden. ,,Es mehren sich die Hinweise, dass mit fortschreitender Modernisierung der Wunsch nach Zweisamkeit und Geborgenheit noch an Bedeutung gewonnen hat."11 Auch sogenannte ,,Singles" leben häufig in einer Beziehung, z.B. in einer ohne gemeinsamen Haushalt. Das ist die Form des ,,living apart together". Weitere modernen Lebensformen sind unter 3.1 aufgeführt. Die nichteheliche Lebensgemeinschaft übernimmt heute überwiegend die Funktionen der früheren ,,normalen" Familie, ist aber für die meisten nur eine ,,Durchgangsphase".
Die Eheschließung ist meist eine bewusste Entscheidung zum Kind. Deshalb lebten 1995 auch
86% aller Minderjährigen zusammen mit beiden leiblichen Eltern.12
2.2 Individualisierung
Unter der heutigen Individualisierung versteht man die Loslösung aus vorgegebenen Lebensläufen. Somit hat jeder die Aufgabe, seine eigene Biographie zu erstellen. Ihren Ursprung hat die Individualisierung in der Industrialisierung. Die Menschen trennten sich von ihren Familien, um in die Stadt zu gehen und dort in Fabriken zu arbeiten. Die Einkommensverbesserungen, die Emanzipation (s. 2.3) sowie die Bildungsexpansion seit den 60er Jahren führten zu einem Individualisierungsschub.
Traditionelle Werte wie Familie und Kirche verloren ihre gesellschaftliche Position. Dafür gewannen Selbstverwirklichung und Selbstentfaltung an Wert. Der Mensch ist nun in der Lage, sich seinen eigenen Weg zu suchen. Dies betrifft nicht nur die Berufswahl, sondern auch die Familien- und Freizeitgestaltung.
Es kam zu einem Gewinn an Handlungsspielräumen und Wahlmöglichkeiten. Jedoch hat die Individualisierung nicht nur Vorteile. Gleichzeitig tritt nämlich auch ein Verlust an Verlässlichkeiten und Sicherheiten ein, z.B. existiert die traditionelle Sicherheit der Familie nicht mehr. Ferner vermehren sich die Ansprüche, die an den einzelnen von außen gestellt werden. So erwartet die Arbeitswelt heute eine weitaus größere Mobilität als vor noch
20 Jahren. Weitere Beispiele können in der Bildungs- und Konsumabhängigkeit gesehen werden.
Auch wird der Mensch heute nicht mehr von der Familie aufgefangen, sondern von anderen Institutionen wie Krankenkasse oder Rentenversicherungsträger.
Die Familie ist nun nicht mehr Ausgangspunkt des gesellschaftlichen Lebens.
Folglich hat die Individualisierung auch große Veränderungen in Struktur und Funktionen der Familie mit sich gebracht.
Auf diese wird noch eingehend in 3.2 und 3.3 eingegangen.
2.3 Emanzipation
Auch die Emanzipation beruht wie die Individualisation auf der Industrialisierung. Vorher hatte die Frau keine Möglichkeit, ihr Leben außerhalb von Ehe und Familie zu gestalten. Sie existierte vor dem Gesetz ohne ihren Mann überhaupt nicht. Die wichtigsten Bestandteile der Frauenbewegung sind folgende:
- Rückgang der Hausarbeit durch moderne Technik und die damit verbundene mangelnde Anerkennung als Hausfrau.
- Zunahme der Lebensmöglichkeiten durch Beruf, Kindererziehung wird zur Lebensabschnittsarbeit.
- Rollenverteilung hat an Bedeutung verloren, Männer müssen sich heute auch um die Hausarbeit kümmern.
- Frauen sorgen selbstständig für ihren Lebensunterhalt.
- Durch bessere Möglichkeiten der Empfängnisverhütung nehmen sie ihr Leben selbst in die Hand.
- Immer größere Chancengleichheit in Ausbildung, Bildung und Beruf.
Daher wird deutlich, dass Familie heute keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Die Familie steht in Konkurrenz zum Beruf. Viele Frauen wollen ihre schwer erkämpfte (Sie müssen auch heute noch viel mehr berufliches Engagement zeigen, um Karriere zu machen.) Selbstständigkeit nicht einfach aufgeben. Dadurch können zahlreiche Prob-leme in Struktur und Aufbau der Familie bzw. Partnerschaft entstehen. (s. 3.2 & 3.3)
2.4 Wandel in Moral und Religion
Dieser Wandel bezieht sich hauptsächlich auf das Zusammenwirken von Sexualität und Ehe bzw. Familie. Es fand ein Verlust an Sexualnormen statt. Vor der ,,sexuellen Revolution" war der sexuelle Kontakt ohne Trauschein fast nicht denkbar. Die Kirche kontrollierte durch religiöse Regeln und Sanktionen. Diese Macht hat sie heute weitgehendst verloren. Viele Jugendliche blieben zwar religiös, wandten sich aber von der Kirche ab. Die neuen Techniken zur Empfängnisverhütung trugen hierzu einen entscheidenden Beitrag. Es gab allerdings auch schon vorher Geschlechtsverkehr vor der Ehe. Jedoch war hier die Angst vor einer ungewollten Schwangerschaft meist vorherrschend.
Die Ehe war somit Grundlage für eine Beziehung.
Auch heute ist die Ehe ein bedeutender Ausgangspunkt für Liebe und Sexualität, aber nicht mehr zwingend. Die Trennung dieser zwei Aspekte ist inzwischen fast selbstverständlich und allgemein akzeptiert.
2.5 Folgen:
2.5.1 Geburtenrückgang
Der Geburtenrückgang ist die meist diskutierte und wichtigste Entwicklung der Familie seit der Mitte der 60er Jahre (_ Abb. 2). Er zeichnet sich vor allem in der Verringerung der Mehrkinderfamilie und in der steigenden Anzahl an kinderlosen Ehen aus. Die Masse der Familien mit nur einem Kind blieb relativ konstant.
So nahm der Anteil der Ehen ohne Kinder zwischen 1972 und 1990 von 34 auf 38% zu.13 Zudem bleiben voraussichtlich über ein Fünftel der Frauen, die von 1953 bis 1957 geboren wurden kinderlos. Im Vergleich dazu waren es bei den Geburtsjahrgängen 1931 bis 1935 nur jede zehnte.
Als Kernelement ist nach Geißler auch der Wandel der Verknüpfung Kinder und Ehe zu sehen. Diese beiden Aspekte waren untrennbar verbunden. Heute dagegen sind 77% der Bevölkerung der Meinung, dass es Leute ohne Kinder besser hätten als solche mit.14
2.5.1.1 Faktoren
Im Folgenden sollen nun die einzelnen Faktoren, die zum Geburtenrückgang führten betrachtet werden. Jedoch sind diese niemals einzeln, sondern immer in Verbindung mit den anderen zu sehen, da zwischen ihnen ein gegenseitiges Wechselverhältnis besteht. Ein wichtiger Bereich ist die materielle Seite der Kindergeburt.
Darunter ist zum einen zu verstehen, dass durch ein Kind die regionale und zeitliche Mobilität sehr stark eingeschränkt ist, diese jedoch immer mehr gefragt wird.
Zum anderen ist das Kind heute kein ,,Wirtschaftsgut" mehr. Früher war die Geburt für Frauen nur mit einem kurzen Arbeitsausfall verbunden und Kinder konnten bald positiv zur Familienwirtschaft beitragen. Dagegen ist der Arbeitsausfall heute viel größer (3 Jahre Mutterschaftsurlaub), die Ausgaben sind beträchtlich gestiegen (z.B. Schulbücher, Ausbildung u.s.w.) und durch die Trennung von Arbeitsplatz und Wohnung kann das Kind auch nichts von alledem ausgleichen.
Deshalb wollen sich viele Paare erst mal finanziell absichern und verschieben die Erstgeburt um einige Jahre (_ Abb.3).
Ferner spielt die Emanzipation (s. 2.3) eine bedeutende Rolle.
Vor nicht allzu langer Zeit waren Kinder noch selbstverständlich. Die Frau war fast immer auch Mutter. Dies hat sich vor allem wegen dem erhöhten Bildungsniveau der Frau geändert. Statistisch gesehen steht die Kinderlosigkeit in engen Zusammenhang mit dem Schulabschluss der Frau. So haben 40% der 35- bis 39jährigen mit Hochschulabschluss keine
Kinder, dagegen nur 21% derer mit Hauptschulabschluss.15
Das ist in den meisten Fällen so zu erklären, dass Hochschulabsolventinnen einen längeren und teureren Ausbildungsweg wählen und deshalb einige Zeit berufstätig sein wollen. Infolgedessen kommt eine Verlagerung der Erstgeburt in spätere Jahre zustande (auch das gestiegene Heiratsalter (s.2.1) spielt hier eine Rolle). Teilweise gerät der Kinderwunsch dadurch in Vergessenheit oder man gewöhnt sich an die Vorstellung, kinderlos zu bleiben. So entstehen trotz Kinderwunsch kinderlose Ehen.
Wird dennoch ein Kind geboren, kann es zu einer Doppelbelastung der Frau kommen. Diese beruht auf der Belastung des Berufs einerseits und auf dem familiären Stress andererseits. Seltenst gibt der Mann seinen Beruf auf. Dies wird auch heute noch von der Frau erwartet. So überlegen sich viele Frauen vorher, ob sie wirklich ein Kind wollen oder nicht. Erst durch die verbesserten Methoden zur Empfängnisverhütung und deren gesellschaftlicher Akzeptanz sind diese Überlegungen möglich geworden.
Weiterhin haben sich die Anforderungen, die an Erziehung gestellt werden, erhöht. Es kann heute nur ein minimaler Teil von der Verwandtschaft übernommen werden, da sie meistens keinen Einfluss mehr auf die Kernfamilie hat.
Hier ist wieder in zwei Bereiche zu unterscheiden.
Auf der einen Seite ist unsere Gesellschaft eine kinderfeindliche. Das wird im Mangel an Kindergärtenplätzen, Ganztagsbetreuungen, hoher Straßenverkehr, u.s.w. ersichtlich. Auf der anderen Seite will man seinen Kindern aber all das geben, was man in seiner eigenen Jugend entbehren musste, sie optimal fördern. Um seinen Kindern "etwas bieten" zu können, muss man jedoch erst die finanziellen Mittel haben ( z.B. ist dadurch die bessere Wohnung möglich). Wenn diese von einem Partner allein nicht ausreichen, hat es zur Folge, dass entweder die Erstgeburt verzögert wird oder beide Elternteile erwerbstätig werden. Ist die Erwerbstätigkeit auf Grund der Betreuungsstätten möglich, resultiert hieraus dann wieder die Doppelbelastung. Auch wird die Zeit der Kindererziehung deutlich reduziert. Als letzter Aspekt ist die Selbstverwirklichung (s. 2.2) zu betrachten. Einige Paare sehen in der Geburt eines Kindes eine Bedrohung ihres Lebensstandarts bzw. eine Senkung ihrer Lebensqualität. Gerade jüngere Menschen wollen ihr eigenes Leben erst mal leben, bevor sie an Nachwuchs denken. Hier steht das egoistische Denken und Streben im Vordergrund. Genauso können sie aber auch durch Beruf und Karriere genügend ausgelastet sein und deshalb keine Kinder wollen.
In beiden Fällen steht die persönliche und individuelle Zukunft im Vordergrund. Allein die besseren Verhütungsmittel bewirkten diese Wahlmöglichkeit. Aus diesem Grund verurteilt die Gesellschaft Paare, die verantwortungslos handeln und Kinder in die Welt setzen, obwohl die finanziellen Mittel nicht vorhanden sind. Ferner kann das Kind als Konkurrenz zum Partner angesehen werden. Vorher bestand die Beziehung aus zwei Personen. Ein Kind kann diese Intimität stören. Hier spricht man unter anderem von einem ,,Erst-Kind-Schock". Durch die ökonomischen und psychischen Belastungen des ersten wollen viele Eltern erst mal kein weiteres Kind. Inzwischen wollen sogar ca. ein Drittel der Frauen in der BRD keine Kinder haben .16
2.5.1.2 Probleme
Aus dieser gesamten Systematik ergeben sich u.a. folgende Probleme:
- Dadurch, dass nur wenige Kinder geboren werden, trifft der Verlust dieser die Eltern sehr viel nachhaltiger, als bei mehreren Kindern. Die Eltern fixieren sich auf das eine Kind und übertragen auf es ihre eigenen Vorstellungen und Erwartungen. Es kann zu einer Überforderung des Kindes kommen.
- Unser heutiges Renten-/Pflegesystem gerät durch den Geburtenrückgang ins
Wanken. Es gibt zu wenig Nachkommen, die für die Rentenempfänger aufkommen. Kinderreiche Familien bezahlen dagegen mehrfach in dieses System.
2.5.2 Scheidung
2.5.2.1 Scheidungsrate
Die Scheidungsquote hat sich seit ca. 1960 besorgniserregend erhöht. Sie wuchs, abgesehen von einigen Schwankungen, die auf ökonomische und politische Veränderungen zurückzuführen sind, fast kontinuierlich an. Im Jahre 1994 wurden schon über 166.000 Ehen getrennt (_ Abb.4). Allerdings ist hierbei zu beachten, dass sich auch die Dauer der Ehe von ungefähr 20 auf 40 bis 50 Jahre vergrößert hat. Erklärbar wird dies durch die gestiegene Lebenserwartung.
Die meisten Ehen werden schon nach 4 bis 5 Jahren wieder geschieden. Jedoch hat auch der Anteil der Spätscheidungen, also nach dem 20. Ehejahr einen enormen Zuwachs erhalten. 1992 waren es von allen Scheidungen über 20%.17
Es ist festzustellen, dass dies das ,,...Resultat der Entwicklung, dass die Familie ihre früheren Fundamente als Institution aufgegeben hat und neue sucht, die auf persönlicher Befriedigung basieren."18 ist.
2.5.2.2 Gründe & Risiken
Für die Scheidung gibt es eine Anzahl von Gründen, die im weiteren dargestellt werden sollen.
Der erste ist deren Allgegenwärtigkeit. Heute reichen schon kleine Handlungen aus, die früher, als die Möglichkeit der Scheidung noch nicht so verbreitet war, einfach übergangen worden wären. Es werden viel höhere Ansprüche an eine Beziehung gestellt. Dadurch kann sich der Partner überfordert bzw. überlastet sehen.
Ein weiterer Faktor ist die Labilität der heutigen Ehe. Es wird aus Liebe geheiratet. Da Gefühle sich jedoch ändern können, ist diese Basis nicht stabil. Früher wurde im Gegensatz dazu aus Gründen der Wirtschaftlichkeit oder Tradition geheiratet.
Aber auch die gesellschaftliche Akzeptanz der Scheidung spielt eine große Rolle. Die Gesellschaft übt sowieso nur noch eine sehr schwache soziale Kontrolle aus und verschwindend geringe Sanktionen. Auch kann die Verwandtschaft diese Funktion nicht mehr übernehmen, da sie zur Kernfamilie im allgemeinen nicht mehr dazugehört. Der Partnerwechsel normalisiert sich zunehmend. Man kann die Scheidung auch als eine ,,...legitime Form ehelicher Konfliktlösung.."19 ansehen.
Zu diesem Punkt gehört auch die Loslösung aus der Abhängigkeit einer Ehe. Hier werden meistens Frauen im Wege der Emanzipation angesprochen. Wenn heute eine Frau in ihrer Beziehung keine Erfüllung mehr sieht, ist die Möglichkeit der Trennung schnell herangezogen. Dies liegt vor allem darin, dass viele Frauen über eine gute Ausbildung verfügen und somit vom Mann wirtschaftlich unabhängig sind (aber auch durch staatliche Leistungen).
Weiterhin begründen das zu frühe Heiraten, die hohe Mobilität der jungen Bevölkerung und natürlich die Einfachheit der Scheidung die gestiegene Scheidungszahl. Helmut Grau ist außerdem der Meinung, dass die Trennungsbereitschaft bei Protestanten und nicht gläubigen Menschen höher ist, als die der Katholiken. Jedoch ist dessen Buch bereits 1974 herausgegeben worden, und deshalb mit Skepsis zu betrachten.20
Zusätzlich gibt es auch einige Eherisiken.
So ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Ehe geschieden wird in den ersten 4 bis 5 Jahren am höchsten. Ebenso ist die Bereitschaft sich zu trennen in der Stadt höher als auf dem Land. Die Bildung der Frau und deren Erwerbstätigkeit stellt einen weiteren Risikofaktor dar. Je besser die Bildung und das Einkommen, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit. Zudem wurde festgestellt, dass Ehen mit Kleinkindern (bis ca. 5 Jahre) seltener geschieden werden.21 (_ Abb.
5) Begründet wird dies damit, dass Eltern häufig warten wollen, bis das Kind in der Schule ist. Danach ist das Risiko also höher.
2.5.2.3 Folgen für Kinder
Das Kind erleidet fast immer einen Schock in Bezug auf das Sicherheitsgefühl. Es zweifelt nun, ob der andere Elternteil wirklich bei ihm bleibt, oder auch geht.
Ferner treten die Eltern in eine Art ,,Konkurrenzkampf". Sie versuchen meistens die Liebe des Kindes nun ganz an sich zu binden. Dies kann durch materielle Dinge geschehen (z.B. viele Süßigkeiten, Kleider, u.s.w.), durch Weglassen von Bestrafungen und/oder mit Hilfe von besonderen Einfällen (z.B. viele Ausflüge). Das Kind steht erfahrungsgemäß zwischen den Fronten.
Dadurch das nun ein Elternteil fehlt, fällt auch dessen Sozialisationsinstanz weg. Das gleiche gilt für den Großteil der Verwandten des ausgezogenen Elternteils. Geht ein Elternteil verbittert aus der Scheidung hervor, kann dies zusätzlich bewirken, dass das Verständnis des Kindes zu diesem Geschlecht gestört wird.
Hierbei sind die finanziellen Schwierigkeiten alleinerziehender Frauen besonders zu berücksichtigen. Trotz Unterhaltszahlungen müssen viele solcher Mütter nebenbei noch arbeiten gehen. Es kommt zu einer Doppelbelastung (s. 2.5).
Die Scheidung führt folglich zu einer Benachteiligung im Sozialisationsprozess, in manchen Fällen sogar zu einem irreparablen sozialen Schaden. Dies lässt sich häufig in der Schulleistung dieser Kinder ausmachen.
Jedoch muss beachtet werden, dass all diese Folgen teilweise das kleinere Übel darstellen.
Beispielsweise, wenn der Mann die Frau schlägt oder man sich einfach überhaupt nicht mehr versteht und nur streitet.
Auffällig ist die hohe Zahl der Scheidungen, die von Frauen beantragt werden ( über 65%).22 Deshalb betitelt es R. König auch als ,,Einrichtung des Frauenschutzes".23 Heute sind ,,Zweit- und Drittfamilien" nichts ungewöhnliches mehr. Man spricht auch in diesem Zusammenhang von einer sich selbst tragenden ,,Scheidungsspirale".24 Darunter ist zu verstehen, dass Scheidungskinder auch häufiger selbst geschieden werden, als solche die keine Trennung der Eltern erlebten.
3. LEBENSFORMEN HEUTE
3.1 Monopolverlust der Familie
Als erstes ist hier zu erwähnen, dass die Klein- bzw. Kernfamilie immer noch die vorherrschende Familienform ist. Darunter versteht man ein Elternpaar mit seinem Nachwuchs. Jedoch weicht diese immer mehr zugunsten der ,,neuen" Lebensformen. Man kann aber nicht allgemein von einer Pluralisierung der Lebensformen in den letzten 30 Jahren sprechen. Von einer Vervielfältigung kann man erst dann ausgehen, wenn eine Form deutlich an Gewichtung verloren hat, und eine andere nicht im gleichen Verhältnis gewonnen hat. Die Zahl der Kleinfamilien hat zwar deutlich abgenommen, gleichzeitig stieg allerdings die Anzahl der nichtehelichen Lebensgemeinschaften (NELG) und Einpersonenhaushalte proportional an. So lebten 1972 noch 39,3% in einer Kleinfamilie und 26,4% in Einpersonenhaushalten. Dagegen hat sich dieses Bild fast genau umgedreht: 1996 wohnten 36,8% allein und nur noch 27,2% in einer Kleinfamilie.25
Im weiteren werden nun die heute am häufigsten vorkommenden Lebensformen genauer betrachtet.
3.1.1 Nichteheliche Lebensgemeinschaften
Als eine nichteheliche Lebensgemeinschaft bezeichnet man das Zusammenleben eines Paares ohne Trauschein. Zurückzuführen ist diese vor allem auf den Wandel in Moral und Religion (s. 2.4) und die erhöhte Scheidungszahl (s.2.6).
In Westdeutschland erhöhte sich deren absolute Zahl (mit gemeinsamen Haushalt) von 1972 mit 137.000 auf 1.220.000 im Jahr 1996.
Es ist dabei ferner zwischen den vorehelichen und den nachehelichen NELG zu unterscheiden. Die vorehelichen bestehen meist aus den Paaren, die ihre Partnerschaft vor einer Heirat erst mal eine Weile testen wollen. Während dies 1970 nur 10% taten, gehörte es beim Heiratsjahrgang 1980 schon zur Normalität (85%).
Bei den nachehelichen NELG war mindestens ein Partner schon einmal verheiratet. Auch diese stellt häufig nur eine ,,Übergangsphase" zu einer erneuten Heirat dar. In manchen Fällen jedoch ist sie eine bewusste Abkehr von der Ehe. Einen kleinen Prozentsatz machen auch die NELG aus, in denen die Heirat z.B. aus rechtlichen Gründen ( noch Heiratsverbot von Homosexuellen - Ausnahme: Hamburg) oder die generell gegen die Institution der Ehe sind.
Beachtlich ist auch der Anstieg der Kinder in einer solchen Verbindung. 1990 waren es erst 11% und bereits 1993 schon fast 20%.
Kennzeichnend für die NELG ist die kürzere Dauer als die der Ehe und eine wesentlich höhere Anzahl an Beziehungswechsel in einem Leben. Da der Aufwand eine NELG zu beendigen wesentlich geringer ist, als die eheliche Scheidung, wirkt sich dies begünstigend auf die Trennungsbereitschaft der Paare aus. Sie wird zu einem modernen Werkzeug der Konfliktlösung.
Positiv für die NELG wirkte sich ist die gesellschaftliche Akzeptanz aus. Wer heute seine Beziehung vorher nicht auf die Probe stellt, wird schnell für unverantwortlich und leichtsinnig gehalten.26
3.1.2 Kinderlose Ehepaare
Heute leben 24,2% in dieser Form zusammen.27 Während früher meistens ein medizinisches Problem Ursache dafür war, stellt sie immer mehr eine freiwillig gewählte Lebensform dar. Es muss nicht unweigerlich zum Nachwuchs kommen; Kinder sind nicht mehr das wichtigste in einer Beziehung
Die Zunahme der Ehen ohne Kinder wurde jedoch schon als ein wichtiger Grund für den Geburtenrückgang in 2.5.1 behandelt.
3.1.3 Alleinerziehende
Diese Form der ,,Familie" wurde lange Zeit als Gegensatz zur Kleinfamilie gesehen. Vor allem in der Nachkriegszeit waren alleinerziehende Mütter oft der sozialen Diskriminierung ausgesetzt. Heute jedoch gewinnt diese Lebensform mehr und mehr an Bedeutung. Zur Verdeutlichung: 1976 machten sie erst 9% aller Familien aus, 1992 jedoch schon 14%. Weiterhin ist ein deutliches Wachstum, bei der Anzahl der alleinerziehenden Vätern zu verzeichnen. 1972 waren es grade 87.000, 1992 kam man auf eine Ziffer von 137.000. Hier wird wieder die Emanzipation deutlich. Heute ist es nicht mehr selbstverständlich, dass die Mutter das Kind nach der Scheidung behält.
Es bleibt jedoch festzustellen, dass alleinerziehende Mütter oft zur unteren Einkommensgruppe zählen. Häufig erhalten sie Sozialhilfe.
Diese Steigerung der ,,Einelternfamilie" begründet sich vor allem durch die höhere Scheidungszahl, die Zahl der ledigen Mütter und die Anzahl der verwitweten Elternteile. Einerseits stellt sie auch eine individuelle Lebensart dar, aber für die Masse immer noch eine zeitliche Übergangsphase. Auch hier ist wieder auf die NELG zu verweisen, denn 15-20% aller Alleinerziehenden leben dennoch in einer Partnerschaft.28
3.1.4 Singles
Vor allem nach 1945 stieg die Anzahl der alleinlebenden Personen rasch an. So waren 1957 von allen Haushalten erst 18% Singlehaushalte; 1994 dagegen bereits 35%. Diese Lebensform hat einen großen Legalitätsgewinn zu verzeichnen. Früher war die Meinung verbreitet, dass Singles entweder keine/n ,,abbekommen" hätten oder nicht ,,normal" seien. Heute hat sich das Verständnis größtenteils geändert. Das Leben als Single ist gesellschaftlich akzeptiert und wird als Ausdruck individueller Lebensart angesehen.
Sie resultiert zum einen aus dem erhöhten Lebensalter und der gesellschaftlichen Altersstruktur. Damit spricht man besonders die älteren Generationen unserer Bevölkerung an. Dies ist so zu verstehen, als dass durch die immer älter werdenden Menschen die Wahrscheinlichkeit auch steigt, dass eine Trennung vom Partner erfolgt. So waren 1992 mehr als 50% der Alleinstehenden über 55 Jahre.
Weitere Gründe sind in relativ langen Ausbildungszeiten und der gesunkenen Heiratsneigung zu sehen. Auch resultieren die jüngeren Singles wie auch die Alleinerziehenden aus Scheidung, Verwitwung und der wachsenden Zahl der ledigen Personen. Die meisten Singles sind jedoch zu einer Beziehung bereit.
So stellt eine Unterform der Alleinlebenden die Form der ,,living apart together" dar.
Ungefähr 25% der 18-55jährigen leben mittlerweile in einer solchen Beziehung. Hier ist eine Partnerschaft ohne gemeinsamen Haushalt gemeint.
Darum sollte die Lebensform des Singles nicht als eine Abkehr von Familie und Beziehung überbewertet werden. Auch sie bezeichnet meist nur eine Übergangsphase.29
Es muss jedoch erwähnt werden, dass die persönliche Lebensform nicht immer gewählt wird. So entsteht z.B. aus einer Kleinfamilie durch Tod eines Elternteils eine Einelternfamilie, oder eine alleinerziehende Mutter wird durch Auszug ihres Kindes zu einer Alleinlebenden. Trotz des wandelnden Bilds der Familie wachsen auch heute noch ca. 88% der 10- bis 20jährigen in einer ,,vollständigen" Familie auf. (_ vgl. Abb.1 - Hans Bertram ,, Die Familie in Westdeutschland" S.406) Dabei ist noch zu bemerken, dass Kinder sehr häufig in sozialen Unterschichten aufwachsen. Die kinderlosen Lebensformen dagegen zeichnen sich durch eine bessere Bildung aus.
3.2 Funktionswandel
Vielfach wird von einem Funktionsverlust der Familie gesprochen. Damit meint man die Abgabe familialer Aufgaben an andere Institutionen. Ob die Familie nun einem
Funktionswandel oder einem Funktionsverlust unterliegt, hängt ganz allein davon ab, wie man Familie definiert. Da ich die ,,alternativen" Familienformen in meine Überlegungen einbezog, kann man lediglich von einem Wandel der Familienfunktionen sprechen. Die Abgabe bestimmter Funktionsteile war jedoch notwendige Voraussetzung einiger neuer Aufgaben, die sich durch die gewandelten Gesellschaftsbedingungen ergeben haben. Speziell durch die räumliche Trennung von Arbeitsplatz und Wohnung.
Heute übernehmen Kindergarten, Schule und Medien u.a. einen Teil der Elternaufgaben. Allerdings führten sowohl die gesteigerten Anforderungen in der frühkindlichen Phase als auch die gewandelten Erziehungsziele - Kinder sollen autonom und selbstverantwortlich handeln - dazu, dass die Erziehung trotzdem immer mehr als eine schwierige Aufgabe angesehen wird. Somit gewann sie enorm an Bedeutung. Die neuen Erziehungsstile führten zu einer Kindzentrierung. Darunter versteht man, dass das Kind Mitspracherecht erhält, sich nun aber auch für sein Verhalten verantwortlich zeigen muss. Dies kann zu einer Überforderung des Kindes führen.
Die Familie hat auch heute noch die Monopolstellung der Erziehung im Kleinkindalter. Dass diese besonders wichtig ist kann man darin erkennen, dass nur, wenn die Familie vorteilhaft sozialisiert hat, auch die nachfolgenden Sozialisationsträger Erfolg haben können. Die Plazierungsfunktion (s. 1.3.4) hat ebenfalls heute noch Bedeutung. Ein Merkmal der vorindustriellen Familie war die geringe Chance der Mobilität innerhalb des Berufes und des Standes. Dagegen ist die Gesellschaft heute vielmehr leistungsorientiert. ,,Der Geburtsschein wurde vom Zeugnis/Diplom verdrängt."30 Jedoch sind Reste immer noch vorhanden. Dies resultiert daraus, dass Familien in unterschiedlichen Schichten auch unterschiedliche Möglichkeiten haben, ihre Kinder auf das Berufsleben vorzubereiten (z.B. teure Nachhilfestunden, Schulmaterial, Ausbildungsplätze, die Geld kosten). Eine weitere finanzielle Belastung der Familie stellen die gesteigerten Vorstellungen der Kinder und Eltern dar (z.B. Musikstunden, Turnverein u.s.w.), die durch äußere Einflüsse (z.B. Medien, Autoritäten) vorgegeben werden. Jedoch kann dieser soziale Rahmen für die Entwicklung des Kindes bedeutend sein, entscheidend für die Plazierung und für spätere berufliche Chancen.
Die Familie wird immer wichtiger, da sie als Emotionsinstrument und Schutzinstanz nach außen fungiert. Je stärker der Druck der Wirtschaft auf die einzelnen Familienmitglieder wirkt, desto größer wird auch die Bedeutung der Familie als emotionaler Ausgleich. Sie wird zum Zufluchtsort, um Anspannungen aus den sonstigen Teilen der Gesellschaft abzubauen.
Der Mensch wird so wie er ist, vor allem in der Familie akzeptiert. Die Familie ist Ort der Selbstdarstellung und Selbstentfaltung.
Allerdings besteht auch in der Familie selbst eine Konfliktquelle. Dies kann u.a. der Fall sein, wenn man sich in Berufstätigkeit und Erziehungsarbeit überfordert sieht. Dadurch kann das eheliche bzw. partnerschaftliche Zusammenleben in den Hintergrund gerückt werden, woraus dann Streit und Uneinigkeit resultieren können.
In den Zeiten steigender wirtschaftlicher Unsicherheit wird das Bedürfnis nach sozialer Sicherheit immer größer. Somit wird die Familie (hierzu gehören auch die ,,alternativen" Familien!) zur unerlässlichen Ressource und zum verlässlichsten Auffangnetz. Der entscheidende Funktionsverlust betrifft also nicht die Kernfamilie. Diese hat eher noch einen Zuwachs an familialen Aufgaben erfahren.
Jedoch haben die Verwandtschaftsgruppen eine Vielzahl von ihren ehemaligen Funktionen verloren. Wo früher beispielsweise in einer Hausgemeinschaft zusammen gelebt wurde, übernahmen die Verwandtschaft auch meistens einen Teil der Erziehung. Heute allerdings ist dies auf ein Minimum reduziert. Häufig tritt die Erziehungsfunktion der Verwandtschaft nur noch in Notfällen auf (z.B. Tod der Eltern, schwere Krankheit).
3.3 Strukturwandel
Auch innerhalb der Familie hat sich einiges in den letzten Jahrzehnten verändert. Diese sind nicht das Ergebnis eines Entwicklungsgangs, sondern wieder sind viele einzelne Prozesse daran beteiligt. Wie schon die ,,Gründe des Bedeutungswandel der Familie" (s. 2.), so dürfen auch die einzelnen Strukturwandlungen eigentlich nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Die Gründe (aus 2.) stehen ferner in engem Zusammenhang mit der Familienstruktur und verursachen diese.
3.3.1 Wandel der Frauen- und Mutterrolle / Arbeitsteilung
Heutzutage ist es für die meisten Hausfrauen eine Verlegenheit auf die Frage nach ihrer Beschäftigung zu antworten. Häufig wird erwidert (so oder ähnlich): ,,Ach, ich bin nur Hausfrau.". Das hängt mit dem enormen Ansehensverlust der Hausfrauenrolle zusammen. Nun kann man aber auch gleichzeitig eine Vermehrung der Frauenerwerbstätigkeit feststellen. Hierzu zählen Voll- und Teilzeitbeschäftigungen. Während 1972 erst 37% aller Ehefrauen unter 35 mit Kindern eine Beschäftigung ausübten, waren es 1992 bereits 54%.31 Als Grund für die Rollenveränderung ist hier vorrangig die Emanzipation (s. 2.3) zu nennen.
Ebenfalls geändert hat sich die Männer- bzw. Väterrolle. Sie sollen vermehrt in die Kindererziehung und Hausarbeit einbezogen werden. Doch genau dies kann zum Auslöser für Probleme in der Partnerschaft werden.
Da viele junge Frauen mit den Vorstellungen der Emanzipation groß werden, ist es nur allzu verständlich, dass sie, wenn sie eine eigene Familie/Partnerschaft gründen, frustriert sind, wenn der Ehemann/Partner nicht nach ihren Vorstellungen im Haushalt oder der Erziehung mithilft. Sie erwarten Gleichheit in der Partnerschaft, finden diese allerdings nicht vor. Die familiale Arbeitsteilung ist heute ein Streitpunkt in vielen Beziehungen. Meist sind aber die Grundzüge der geschlechtsspezifischen Rollenverteilung noch vorhanden.
3.3.2 Familiengröße
Auch hat sich wie bereits schon angesprochen die Anzahl der Familienmitglieder deutlich verringert. Dies liegt hauptsächlich zum einen in der Ausgliederung der Verwandtschaft und zum anderen im Rückgang der Geburtenrate (s.2.5.1).
Die Familie besteht heute nur noch aus einem Minimum an Personen.
Jedoch wurde festgestellt, dass in den unteren und oberen Schichten immer noch mehr Kinder geboren werden, als in der Mittelschicht. Genauso verhält es sich mit bäuerlichen Familien und Familien in kleineren Orten. Hier ist die Kinderzahl größer, als in städtischen Familien und Familien in Ballungszentren.
3.3.3 Autoritätsstruktur
Die Frage der Macht über Herrschaft und Entscheidungen betrifft nicht nur die soziale Stellung der einzelnen Familienmitglieder, sondern auch vor allem den Erziehungs-einfluss der Eltern. Bis vor kurzem war weitverbreitet die Autorität des Vaters unumstritten. Jedoch bewirkten die Emanzipationsbestreben auch in diesem Bereich einen Wandel. Vor allem in der psychischen Bedeutung der Partnerschaft. Werte wie Liebe und Treue gewannen erheblich an Bedeutung und die Erwartungen, die an eine Beziehung gestellt werden wuchsen. (Problem: labil s. 2.3)
Heute ist die Autoritätsverteilung häufig demokratischer Natur. Bedenklich ist nur, dass es manchmal zu Autoritätsverwirrungen kommen kann. Besonders in Bezug auf die Kindererziehung. Kinder begreifen sehr schnell, welcher Elternteil mehr fordert oder schneller nachgibt. Daher ist es am besten, direkt mit dem Partner bestimmte ,,Streitfälle" im voraus abzuklären.
3.3.4 Ziele der Struktur
Die Struktur soll vor allem die Autoritäts- und Besitzrechte, sowie die einzelnen Pflichten eindeutig klären und festlegen.
In der modernen Familie ist dies jedoch nicht immer einfach. Beispielsweise sind die Rechten und Pflichten in einer Kernfamilie noch recht einfach. Dagegen wird es ziemlich schwierig, diese in einer sogenannten ,,Drittfamilie" in Bezug auf die ersten beiden Familien festzulegen.32
4. Bilanz & Zukunftsperspektiven
Das sich die Familie im Wandel befindet, bezweifelt heute niemand mehr. Aber im Wandel steckt sie nicht nur in jüngster Vergangenheit. Die Familie bildete sich schon immer wieder neu. Ihre Form wechselte von der vorindustriellen zur bürgerlichen, und von dieser in die moderne. Verantwortlich dafür ist die Gesellschaft, denn Familie und Gesellschaft stehen in einem engen Wechselverhältnis.
Demnach ist Wandel nicht gleich Untergang.
Die Familie ist und war schon immer eine Grundeinrichtung der menschlichen Gesellschaft. Es gibt sie überall in verschiedenen Ausprägungen auf der Welt.
Zu den wichtigsten Wandlungsprozessen gehört insbesondere der Monopolverlust der Normalfamilie. Hier sind speziell der Bedeutungsverlust der Mehrkinderfamilie und der Anstieg kinderloser Ehen auffällig. Auch der gesunkene Trend zur Heirat und das gestiegene Erstheiratsalter bedingen den Monopolverlust. Aber vor allem natürlich die weitgehende gesellschaftliche Akzeptanz der alternativen Lebensformen.
Ferner hat sich die Anzahl der Scheidungen wesentlich erhöht und mit ihr die Partnerfluktuation, dies trotz der gestiegen Bedeutung der Partnerschaft. Man weicht ab, nur noch einem Partner lebenslang treu zu sein und wechselt öfter. Deshalb kommt es auch zu sogenannten ,,Zweit- und Drittfamilien".
Als vorletzte Entwicklung ist der Rückgang der Geburten zu nennen. Obwohl Beziehung an Wert gewann, verloren Kinder weitgehendst ihre Geltung. Dies liegt hauptsächlich darin, dass traute Zweisamkeit und Selbstverwirklichung enorm an Wert errungen haben. Zusätzlich ist der Single der ideale Arbeitnehmer. Er ist mobil, jederzeit abrufbar und ungebunden. Aber auch die gesteigerten Erziehungsansprüche spielen hier eine große Rolle.
Jedoch wurde festgestellt, dass nichtsdestotrotz das Modell der Kleinfamilie für eine Mehrheit der Menschen Vorbildfunktion besitzt und angestrebt wird. Die alternativen Lebensformen stellen meist nur Durchgangsphasen zur Normalfamilie dar.
Genaue Zukunftsprognosen sind allerdings sehr problematisch, da soziale, ökonomische, politische, technische u.a. Faktoren nicht vorhersagbar sind.
Es wird aber nicht die Familie der Zukunft geben, sondern eine große Variationsbreite familialer und außerfamilialer Formen des Zusammenlebens, die nebeneinander bestehen. Wahrscheinlich mit einer Abfolge von mehreren in einem Leben, da die monogame Ehe heute vielfach als eine Art ,,Zwangsjacke" gesehen wird. Sie ist einfach nicht mehr zeitgemäß, besonders weil die Ehedauer von 10-15 Jahre auf ca. 30-50 Jahre zugenommen hat. Ehe wird gleichgesetzt mit Monotonie.
Ein häufig besprochener Gedanke, ist der der ,,konsekutiven Polygamie"33 bzw. der ,,sequentielle Monogamie"34. Darunter versteht man eine Partnerform, in der die Partner einander treu sind, diesen aber wenn die Erwartungen nicht mehr erfüllt werden, ,,einfach" wechseln können.
Jedoch muss eingeräumt werden, dass Glaubensgebote, Rechtvorschriften, vorsätzliche Maßnahmen und damit die Planung für Ehe und Familie zukunftssteuernde Kraft besitzen können. So könnte z.B. die Geburtenrate wieder ansteigen, wenn die Regierung Familien mehr Unterstützung anbieten würde, z. B. in Form von höherem Kindergeld, sicheren Kinder- garten- bzw. Betreuungsplätzen, mehr Teilzeitarbeitsstellen u.s.w.. Dadurch wäre eine bessere Vereinbarung von Kind und Arbeit möglich und so könnte die Normalfamilie wieder eine größere Bedeutung in unserer heutigen Gesellschaft erhalten.
Literaturverzeichnis
- Barley Delbert, ,,Grundzüge und Probleme der Soziologie", 8.Auflage, Luchterhand 1977
- Beck-Gernsheim Elisabeth, ,,Was kommt nach der Familie?", München 1998
- Bertram Hans ,,Die Familie in Westdeutschland - Stabilität und Wandel familialer Lebensformen", Leske + Budrich, Opladen 1991
- Bolz ,,Einführung in die Soziologie", 3.Auflage, Handwerk und Technik · Burkart Günter ,,Zum Strukturwandel der Familie - Mythen und Fakten"
- Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.) 10. Kinderund Jugendbericht -Bericht über die Lebenssituation von Kindern und die Leistungen der Kinderhilfe in Deutschland, Bonn 1998
- ,,Eigenes Leben", Verlag C. H. Beck, 1995 · Geißler Rainer, Westdeutscher Verlag, 1996
- Glatzer Wolfgang, Noll Heinz-Herbert ,,Lebensverhältnisse in Deutschland: Ungleichheit und Ausgleichung - Soziale Indikatoren", Campus Verlag 1992
- Grau Helmut ,,Einführung in die Soziologie", Verlag Dr. Max Gehlen, 1974 · Hettlage Robert, Familienreport, München 1992
- Lexikon zur Soziologie, Westdeutscher Verlag
- Meyer Thomas ,,Die Sozialstruktur Deutschlands", 1996
- Nave-Herz Rosemarie ,,Wandel und Kontinuität der Familie in der Bundesrepublik Deutschland", Stuttgart, 1988
- Neidhardt Friedhelm ,,Die Familie in Deutschland"
- Peuckert Rüdiger ,,Familienformen im sozialen Wandel", Opladen 1996
- Susteck Herbert ,,Das gesellschaftliche Verständnis der Familie in der
Bundesrepublik Deutschland
- Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaften, 25. Jahrgang, 1/2000 Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung beim Statistischen Bundesamt
ABBILDUNG 1
Geburten je 100 Frauen (zusammengefasste Geburtenziffer 15-45 Jahre)
Quelle: Statistisches Jahrbuch; Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
ABBILDUNG 2
Durchschnittliches Alter der Frauen bei der Geburt des ersten ehelichen Kindes
Quelle: Statistisches Bundesamt - Geborenenstatistik; Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3
Zusammengefasste Scheidungsziffern
Quelle: Rainer Geißler, S.314 f.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4
Familienlösungsereignisse und Alter der Kinder
Partnerschaftsende Tod Trennung Scheidung
Alter
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Fußnotenverzeichnis
[...]
1 ) Vgl. Friedhelm Neidhardt ,,Die Familie in Deutschland", 1975, S. 9
2 ) Peuckert ,,Familienformen im sozialen Wandel, Opladen 1996, S.29
3 ) Vgl. Thomas Meyer ,,Die Sozialstruktur Deutschlands", 1996, S. 309
4 ) Der Mikrozensus ist eine im allgemeinen jedes Frühjahr stattfindende amtliche Haushaltsbefragung, an der ca. 350.000 haushalte (ca. 1% aller Privathaushalte) teilnehmen. _Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 1998a, S.177
5 ) Vgl. Delbert Barley ,,Grundzüge und Probleme der Soziologie", 8.Auflage, Luchterhand, 1977, S 130ff. & Helmut Grau ,,Einführung in die Sozialisation", Verlag Dr. Max Gehlen, 1974, S. & Lexikon zur Soziologie, Westdeutscher Verlag, S.222-225
6 ) Bolz ,,Einführung in die Soziologie", 3.Auflage, Handwerk und Technik, S.43
7 ) Delbert Barley, a.a.O., S.129
8 ) Rainer Geißler, Westdeutscher Verlag, 1996, S.41
9 ) Vgl. Bolz, a.a.O., S.39
10 ) Rainer Geißler, a.a.O., S.313
11 ) Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1998a, S.187
12 ) Delbert Barley, a.a.O., S.144
13 ) "Eigenes Leben", Verlag C. H. Beck, 1995, S.78
14 ) Rainer Geißler, a.a.O., S.322
15 ) Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 1998a
16 ) Rainer Geißler, a.a.O., S.321
17 ) Vgl. Rainer Geißler, a.a.O., S.314-315
18 ) Delbert Barley, a.a.O., S.146
19 ) Rainer Geißler, a.a.O., S.317
20 ) Helmut Grau, a.a.O., S.7
21 ) Hans Bertram ,,Die Familie in Westdeutschland - Stabilität und Wandel familialer Lebensformen", Leske + Budrich, Opladen 1991, S.405
22 ) Rainer Geißler, a.a.O., S.315
23 ) Bolz, a.a.O., S.46
24 ) Rainer Geißler, a.a.O., S.317
25 ) Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaften, 25. Jahrgang , 1/2000; Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung beim Statistischen Bundesamt
26 ) Rainer Geißler, a.a.O., S.318 ff.
27 ) siehe 24)
28 ) Vgl. Rainer Geißler, a.a.O., S.322 f.
29 ) Rainer Geißler, a.a.O., S.324 ff.
30 ) Helmut Grau, a.a.O., S.76
31 ) Rainer Geißler, a.a.O., S.326
32 ) Vgl. Delbert Barley, a.a.O., S.133
33 ) Delbert Barley, a.a.O., S.147
34 ) Rainer Geißler, a.a.O., S.319
- Quote paper
- Nikoletta Hirschel (Author), 2001, Strukturwandel der Familie und Familienformen im Wandel, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/100415
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