Diese Vorwissenschaftliche Arbeit wird dem Geisteswissenschaftlichen Bereich zugeordnet und versucht, zu beantworten, welche Rolle das Nibelungenlied im Zweiten Weltkrieg spielte, wieso genau dieses Epos so bedeutsam war und auch welche Assoziationen das Werk auch heute noch bei der Zivilbevölkerung weckt.
Von den historischen Hintergründen der Geschichte bis hin zum heutigen Tag wird beschrieben, wie diese missbräuchliche Deutung des Werkes aussah und Hitlers spezifische Rolle dabei. Ebenso wird der Einfluss des Werkes auf deutsche Kunst und Kultur erläutert und der Versuch gemacht, die teils extremen Unterschiede in verschiedenen Verarbeitungen des Stoffes aufzuzeigen. Dies wurde anhand intensiver Literaturrecherche erarbeitet.
Es stellte sich heraus, dass der nationalsozialistische Missbrauch des Werkes und seiner Elemente weitaus tiefer ging als heute allgemein bekannt ist. Das Nibelungenlied wurde verbal für Hitlers Zwecke verwendet, es floss jedoch auch auf komplexe Weise in die strategische Herangehensweise bezüglich der Rassenideologie ein und beeinflusste Hitlers Beziehung zur deutschen Bevölkerung und seine Machtübernahme. Ebenso offenbarte sich ein tieferer Einblick in die Hintergründe Hitlers Nibelungen-Obsession und zeigte seine fanatische Faszination für Wagner und seine Oper auf, welche eine sehr große Rolle spielte.
Inhaltsverzeichnis
ABSTRACT
1. EINLEITUNG
2. INHALTLICHE EINFÜHRUNG IN DAS NIBELUNGENLIED
3. HISTORISCHE HINTERGRÜNDE
3.1. Einordnung der Handlung in geschichtlichen Kontext
3.2. Interpretation des Werkes im Ersten Weltkrieg
3.2.1. Von der triuwe zur Nibelungentreue
3.2.2. Die Siegfriedstellung
3.2.3. Die Dolchstoßlegende
4. DAS NIBELUNGENLIED ALS DEUTSCHES NATIONALEPOS
4.1. Verwendung und Missbrauch des Werkes im Nationalsozialismus
4.1.1. Ehre und Treue im Nationalsozialismus sowie der Bezug zur arischen Rassentheorie
4.1.2. Die Dolchstoßlegende in Hitlers ,Mein Kampf'
4.1.3. Der glorifizierte Heldentod in der Schlacht um Stalingrad
4.2. Auswirkungen des Werkes auf Kunst und Kultur
4.2.1. Verfilmungen
4.2.2. Künstlerische Verarbeitungen
4.2.3. Das Nibelungenlied in der Musik
4.2.4. Das Nibelungenlied in der Theater- und Opernwelt
4.2.5. Nibelungenbauten als Zeugnis des deutschen Nibelungenkultes
5. REZEPTION DES WERKES HEUTE
6. SCHLUSS
7. QUELLENVERZEICHNIS
a. Literaturverzeichnis
b. Internetverzeichnis
c. Abbildungsverzeichnis
Abstract
Diese Vorwissenschaftliche Arbeit wird dem Geisteswissenschaftlichen Bereich zugeordnet und versucht zu beantworten, welche Rolle das Nibelungenlied im Zweiten Weltkrieg spielte, wieso genau dieses Epos so bedeutsam war und auch welche Assoziationen das Werk auch heute noch bei der Zivilbevölkerung weckt.
Von den historischen Hintergründen der Geschichte bis hin zum heutigen Tag wird beschrieben, wie diese missbräuchliche Deutung des Werkes aussah und Hitlers spezifische Rolle dabei. Ebenso wird der Einfluss des Werkes auf deutsche Kunst und Kultur erläutert und der Versuch gemacht, die teils extremen Unterschiede in verschiedenen Verarbeitungen des Stoffes aufzuzeigen. Dies wurde anhand intensiver Literaturrecherche erarbeitet.
Es stellte sich heraus, dass der nationalsozialistische Missbrauch des Werkes und seiner Elemente weitaus tiefer ging als heute allgemein bekannt ist. Das Nibelungenlied wurde verbal für Hitlers Zwecke verwendet, es floss jedoch auch auf komplexe Weise in die strategische Herangehensweise bezüglich der Rassenideologie ein und beeinflusste Hitlers Beziehung zur deutschen Bevölkerung und seine Machtübernahme. Ebenso offenbarte sich ein tieferer Einblick in die Hintergründe Hitlers Nibelungen-Obsession und zeigte seine fanatische Faszination für Wagner und seine Oper auf, welche eine sehr große Rolle spielte.
Vorwort
Obgleich sich die meisten Jugendlichen meines Alters eher für modernere Dinge interessieren, hatte ich schon immer eine große Leidenschaft für das Lesen und „große" Geschichten. In der dritten Klasse lasen wir im Deutsch-Unterricht „Das Nibelungenlied" von Auguste Lechner, eine gewissermaßen für junge Menschen vereinfachte Version. Bereits damals begeisterte die Geschichte mich sehr, ebenso wie Lechners „Die Abenteuer des Odysseus".
Jedoch geriet das Buch bei mir in Vergessenheit, bis wir in der fünften Klasse von Mag. Ruth Mairvongrasspeinten einen Arbeitsauftrag erhielten, der (natürlich stark verkürzt) das Nibelungenlied in Kombination mit dem Nationalsozialismus behandelte - eine Verbindung, von der ich dort zum ersten Mal hörte, die meine Faszination aber nur erhöhte, da ich ein ebenso großes Interesse an Geschichte und besonders dem Zweiten Weltkrieg habe. Das Erarbeiten dieses Auftrags machte mir so viel Spaß, dass ich mich ein Jahr später bei der Suche meines Themas für die Vorwissenschaftliche Arbeit, obwohl ich eigentlich bereits andere Ideen im Kopf hatte, zufällig daran erinnerte und mich nach einer kurzen Büchersuche in der Landesbibliothek Vorarlberg dafür entschied.
Bedanken möchte ich mich in erster Linie bei meiner Betreuungslehrerin Mag. Petra Könighofer, welche meine Vorwissenschaftliche Arbeit aufgrund des spannenden Themas noch annahm, obwohl sie schon „gebucht" war. Ihre Betreuung war mir eine sehr große Hilfe, es wurde jede offene Frage beantwortet und jedes Detail besprochen.
Des Weiteren gilt mein Dank meinem Großvater Hannes Burger, der sich, seit ich denken kann, als Schriftsteller und Journalist mit bayrischer Geschichte beschäftigte und mir durch seine Nähe zu Passau und beruflichen Beziehungen, die auch Jahre später immer wieder von großem Wert sind, eine detaillierte Aufarbeitung zu vielen hier bearbeiteten Themen lieferte.
[Einige Abbildungen wurden von der Redaktion entfernt.]
1. Einleitung
Sei es auf den Buchlisten der größten deutschen Klassiker, im Kino, auf Reisen oder im Unterricht, im deutschsprachigen Raum sind wohl jedem schon einmal die Nibelungen ins Auge gestochen. Die altgermanische Heldensage über Siegfried und die Nibelungen reicht bis ins Zeitalter der Völkerwanderung zurück, in dieser Arbeit wird jedoch grundsätzlich die bekannteste Version behandelt, nämlich das mittelhochdeutsche Nibelungenlied, verfasst um 1200 im bayrischen Passau. Insgesamt ist das Epos in 37 Handschriften erhalten, Karl Lachmann benannte die drei ältesten vollständigen mit Buchstaben: Handschrift A, B und C.1
Spätestens seit seiner Wiederentdeckung im Vorarlberger Hohenems im Jahr 1755 erfährt das Nibelungenlied eine scheinbar nie endende Begeisterung von allen Seiten. Auf dem Weg zur heutigen Rezeption übte es einerseits große Faszination aus und erfuhr über Deutschlands Grenzen hinaus unzählige Preisungen, es wurde gemalt, gesungen und gespielt. Andererseits ist das Nibelungenlied auch Opfer eines jahrelangen Missbrauches der nationalsozialistischen Bewegung, dessen Auswirkungen heute noch sichtbar sind. Die Charaktere der Geschichte wurden allerdings nicht erst im Nationalsozialismus als deutsch verherrlicht, idolisiert und als „prototypische Träger spezifisch deutscher Nationaltugenden" gesehen. In seinem Vorwort einer Bearbeitung aus 1807 beschreibt Friedrich Heinrich von der Hagen, Professor an der Berliner Universität, das Werk als eines der „größten und wunderwürdigsten Werke aller Zeiten und Völker":2
„Kein anderes Lied mag ein vaterländisches Herz so rühren und ergreifen, so ergötzen und stärken, als dieses, worin die wunderbaren Mährchen der Kindheit wiederkommen und ihre dunkelen Erinnerungen und Ahnungen nachklingen, worin dem Jünglinge die Schönheit und Anmuth jugendlicher Heldengestalten, kühner, ritterlicher Schmerz, Übermuth, Stolz und Trutz, männliche und minnigliche Jungfrauen in des Frühlings und des Schmuckes Pracht, holde Zucht, einfache, fromme und freundliche Sitte, zarte Scheu und Schaam, und liebliches, wonniges Minnespiel, und über alles eine unvergeßliche, ewige Liebe sich darstellen [...]"31 2 3
Vielmals wurde das Nibelungenlied nicht nur mit Homers Ilias gleichgestellt, sondern sogar als legendärer, besser, deutscher beschrieben. Die Geschichte fasziniert nach wie vor durch seine komplexen Charaktere, die Tugenden wie Treue, Ehre oder Stolz repräsentieren, und die folgenreichen, psychologischen Konflikte.4 Zahlreiche historisch relevante Personen fanden Inspiration darin - von Heinrich Heine und Goethe bis hin zu J.R.R. Tolkien in seinem Herr der Ringe oder Adolf Hitler.
Das Ziel dieser Arbeit ist es, mithilfe intensiver Literaturrecherche und -analyse darzulegen, wie kurz der Weg zwischen reiner Faszination und einer missbräuchlichen Interpretation des Werkes ist, und wie sich die Rezeption des Nibelungenliedes über die vielen Jahre vom Beginn des Ersten Weltkrieges bis heute verändert hat, mit besonderem Fokus auf den Nationalsozialismus und die Rolle des Epos' im Zweiten Weltkrieg.
2. Inhaltliche Einführung in das Nibelungenlied
Während die Nibelungensage im Laufe der Zeit in Form zahlreicher verschiedener Fassungen niedergeschrieben wurde, ist das Nibelungenlied, das etwa um 1200 im Raum Passau in Bayern verfasst worden ist, die bekannteste Fassung. Es ist heute in etwa 37 Versionen erhalten, die drei wichtigsten und bekanntesten davon sind von Karl Lachmann in Handschrift A, B und C unterteilt und alle drei 2009 in das UNESCO Weltdokumentenerbe aufgenommen worden.
Das Nibelungenlied handelt prinzipiell von Siegfried aus Xanten, Sohn von König Siegmund und dessen Frau Sieglinde. Dieser hatte in einem Kampf gegen zwölf Riesen und den Zwerg Alberich den Hort des Königs Nibelung gewonnen, ebenso wie dessen Schwert „Balmung" und die Tarnkappe, einen unsichtbar-machenden Mantel, der dem Tragenden zudem die zusätzliche Kraft zwölf Männer gibt. Außerdem erschlug Siegfried einen Drachen und erhielt dadurch durch sein anschließendes Baden im Drachenblut eine unverletzliche Haut. Es bleibt allerdings ein kleiner Fleck auf seiner Schulter vom Blut unbedeckt, was später von großer Bedeutung ist. Mit dem Schatz besucht Siegfried König Gunther und die Burgunden5, um um dessen Schwester Kriemhildes Hand zu bitten. König Gunther genehmigt die Heirat unter der Bedingung, dass Siegfried anstatt ihm die Königin Brunhilde von Isenland im Kampf besiegt, was diesem dank seiner neu erworbenen Tarnkappe auch gelingt und somit wird eine Doppelhochzeit für Siegfried und Kriemhilde sowie König Gunther und Brunhilde geplant. Nicht viel später erfährt Brunhilde allerdings in einem Streit von Kriemhilde, dass und wie sie von Siegfried besiegt worden war. Daraufhin ist sie so wutentbrannt, dass sie mit Hagen von Tronje, Gunthers engstem Berater und Verwandten, Siegfrieds Mord zu planen beginnt. Hagen bringt durch Kriemhilde in Erfahrung, wo sich seine wunde Stelle befindet, indem er ihr vorgaukelt, dass er ihn bestmöglich beschützen wolle, und tötet ihn am nächsten Tag bei einer Jagd. Zudem stiehlt er später Siegfrieds Nibelungenhort von Kriemhilde und versenkt ihn im Rhein, was deren Wut weiter schürt. Nach einigen Jahren wird sie allerdings vom Hunnenkönig Etzel umworben, die Könige von Worms stimmen dieser Verlobung trotz Hagens Warnungen zu. Botschafter Rüdiger von Bechelaren, ein Markgraf und Vasall in Etzels Diensten, kann Kriemhilds von der Heirat überzeugen, indem er ihr verspricht, jegliche ihr zugefügte Leiden zu rächen. Dementsprechend zieht Kriemhild mit ihm ins Hunnenland und heiratet Etzel, welchen sie daraufhin überredet, ihre Brüder und alle Burgunden auf die Etzelsburg einzuladen, allerdings mit dem Hintergedanken, ihren ermordeten Gatten zu rächen. Auf dem Weg dorthin werden die Burgunden aber von ihrem Freund Dietrich von Bern gewarnt, der ihnen rät, auf die Einladung nicht einzugehen, da Kriemhilde noch stark um Siegfried trauert. Trotz der Warnung lassen sich die Burgunden auf der Etzelsburg empfangen und Kriemhilde erfährt von Dietrichs Verrat. Kriemhilde gelingt es, einen Kampf zwischen Hunnen und Burgunden auszulösen und legt schlussendlich ein großes Feuer in der Speisehalle, wo die Burgunden die stürmenden Hunnen niedermetzeln und aufgrund des Feuers ihren Durst mit dem Blut der Toten löschen müssen. Kriemhilde und Etzel flehen Rüdiger an, für sie in den Kampf zu ziehen. Er, der beiden Seiten unterschiedlich verpflichtet ist, wird an seinen Eid bei der Werbung um Kriemhilde erinnert und zieht widerwillig gegen die Burgunden in die Halle, wo er und Gunthers Bruder Gernot sich gegenseitig töten. Daraufhin zieht Dietrich von Bern mit seinen Leuten in die Schlacht, bei der alle umkommen, bis nur noch Gunther und Hagen am Leben sind und Dietrich diese als Gefangene zu Kriemhilde bringt, mit der Bitte, sie dennoch am Leben zu lassen. Kriemhilde fordert den Standort des Nibelungenhorts, doch Hagen weigert sich, diesen preiszugeben, solange einer seiner Herren noch lebt, sodass sie ihrem eigenen Bruder enthauptet. Das allerdings macht Hagen zur einzigen Person, die weiß, wo sich der Hort befindet, was er Kriemhild triumphierend unter die Nase reibt, bevor sie ihn eigenhändig köpft und anschließend selbst von dem alten Waffenmeister Hildebrand erschlagen wird, um dem Ganzen ein Ende zu bereiten.6
3. Historische Hintergründe
3.1 Einordnung der Handlung in geschichtlichen Kontext
Wie bereits erwähnt, ist das Nibelungenlied nur eine vieler unterschiedlicher Fassungen der Nibelungensage, doch eine wichtige Gemeinsamkeit dieser sind die geschichtlichen Hintergründe der Heldensage. Generell lassen sich sehr viele bunt gemischte, historische Parallelen finden - manche davon klarer, manche weniger - fixe Schlüsse zu ziehen ist aber kaum möglich, einerseits aufgrund der natürlichen Lückenhaftigkeit vieler Quellen, andererseits, weil die Sage viel mehr eine Art Verschmelzung zahlreicher teils alles andere als zeitgleicher Geschehnisse ist und diese zudem noch gezielt versucht, umzuerzählen. Wohl eine der größten historischen Parallelen ist dennoch der Burgunderuntergang, der auf die Zeit der Völkerwanderung im vierten und fünften Jahrhundert zurückgeht.7
Die Völkerwanderung, eine große, folgenreiche Migrationsbewegung Richtung Westen von germanischen Völkern, versetzte ganz Europa in Aufruhr und war Mitgrund für den Untergang des Römischen Reiches. Auslöser der Bewegung war, neben anderen Faktoren wie Klimaveränderungen, Hungersnöten und Kälte, der Angriff der Hunnen, einem Reitervolk aus Zentralasien, die immer weiter gen Westen vorstießen und zahlreiche fliehende Völker vor sich herjagten. Sie drangen aus dem Nichts in Osteuropa ein, wo sie das Reich der Ostgoten in der heutigen Ukraine zerstörten, während die westgotischen Stämme zu fliehen begannen und Richtung Römisches Reich wanderten. In Absprache mit dem damaligen Kaiser Valens erhielten sie das Recht, sich auf römischem Grund in Sicherheit zu bringen, allerdings gerieten die Migrationsströme und die Integration der Westgoten immer mehr außer Kontrolle und bereiteten Probleme mit Rom. Dies führte dazu, dass das Römische Reich das Vorstoßen weiterer Stämme zwei Jahre lang verweigerte, bis die Westgoten 378 nach Christus unter dem König Alarich einfach mit Gewalt vorstießen und 410 Rom plünderten und belagerten. Während also das Römische Reich dem Untergang näher kam, gewannen die Germanen an Macht und es bildeten sich Völker wie beispielsweise Thüringer, Sachsen, Vandalen, Franken oder eben Burgunder.8
Eine wichtige Rolle spielte auch der römische Heeresführer Aetius, der 443 mit Hilfe der Hunnen unter Attila erfolgreich gegen die in Worms und Mainz niedergelassenen Burgunder vorging. Fast alle Burgunder, inklusive König Gundaharius, auf welchem der Gunther der Nibelungensage basieren soll, wurden niedergemetzelt. Diese waren nämlich 436 in die römische Provinz Belgica vorgerückt, um ihren Machtbereich zu vergrößern, was in Rom als Aufstand aufgefasst wurde und dementsprechend niedergeschlagen wurde. Die wenigen Überlebenden siedelte Aetius an der Rhone an. Aus diesen Ereignissen - einer einzigen Schlacht, bei der fast alle Burgunder unter anderem durch die Hand der Hunnen den Tod fanden - soll die Sage vom Untergang der Burgunden entstanden sein.9
Wenige Jahre später versuchte Attila Gallien zu erobern, wurde aber von Aetius und dessen germanischen Verbündeten 451 in der Schlacht auf den katalaunischen Feldern geschlagen. Nichtsdestotrotz waren die Migrationsströme der Germanen nicht mehr aufzuhalten und sie rissen immer mehr die Macht an sich, bis schlussendlich der Germane Odoaker 476 den letzten römischen Kaiser Romulus absetzte und sich zum Nachfolger machte, was endgültig den Zerfall des Römischen Reiches kennzeichnete. Odoaker wiederum wurde vom ostgotischen König Theoderich umgebracht, was diesen somit zum Herrscher über Italien machte.10.
Neben der Parallelen bezüglich des Burgunder-Untergangs gibt es aber auch konkrete Personen, auf denen Charaktere basieren sollen: der Hunnenkönig Attila beispielsweise soll als Inspiration für den Hunnenkönig Etzel im Nibelungenlied gedient haben, obwohl Etzel als positiver, milder Herrscher dargestellt wird und Attila als grausam und gefürchtet galt. Das, sowie die Tatsache, dass z.B. König Gundaharius 436 starb und Attila erst von 441 bis 453 regierte, zeigt wieder, dass die Sage lediglich an historische Ereignisse angelehnt, aber keinesfalls gänzlich faktengetreu ist. Weiters soll Dietrich von Bern auf dem Ostgotenkönig Theoderich dem Großen beruhen.
Was die Figur des Helden und Drachentöters Siegfried angeht, scheint der Ursprung der historischen Parallelen etwa aus dem sechsten/siebten Jahrhundert im fränkischen Reich zu liegen.11 Anders als beim Burgunderuntergang, lässt sich hier allerdings kein einzelner konkreter Anhaltspunkt oder Ursprung finden, viel mehr vereint Siegfried kleine Elemente zahlreicher historischer Personen. Parallelen weisen sich zum Beispiel bei dem fränkischen König Chlodwig I. auf, welcher von 466 bis 511 regierte. Dieser heiratete 501 Chrothechildis, die Nichte des Burgunderkönigs Gundobad, welcher von 480 bis 516 regierte - ein ähnliches Verhältnis wie das von Siegfried zu Burgundenkönig Gunther und Kriemhilde.
Chlodwig besiegte auch 507 in der Schlacht von Poitiers den Westgotenführer Alarich II., dessen Name stark an den des Zwergenkönigs und ursprünglichen Hüters des Nibelungenhortes Alberich erinnert, den Siegfried im Beginn des Werkes besiegt. Auch Chlodwigs Enkel Sigibert wird mit Siegfried in Verbindung gebracht, ebenso wie der von 516 bis 524 regierende Burgunderkönig Sigismund und der über Teile des Rheinlands herrschende Sigibert aus Franken. Im frühen 19. Jahrhundert wurden auch Parallelen zu dem Cheruskerfürsten Arminius gemacht, besonders im Bezug auf Siegfrieds Sieg über den Drachen, was mit der Vernichtung dreier römischer Legionen 9 nach Christus durch Arminius und sein germanisches Heer verglichen wird.12
3.2. Interpretation des Werkes im Ersten Weltkrieg
3.2.1 Von der triuwe zur Nibelungentreue
Eine wichtige Rolle in Verbindung mit dem Ersten Weltkrieg spielt zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Begriff der Nibelungentreue, der auch im Zweiten Weltkrieg noch symbolisch verwendet werden wird. Geprägt von Reichskanzler Bernhard Fürst von Bülow in einer Rede vom 29. März 1909, rechtfertigte er somit das Bündnis Deutschlands zu Österreich-Ungarn in der Bosnienkrise.13 Im Zuge einiger Revolutionen und Proteste von Türken gegen den absolutistischen Sultan Abdülhamid II. wollte Österreich-Ungarn die Verwundbarkeit des Osmanischen Reiches nutzen, um Bosnien-Herzegowina Teil der Monarchie zu machen, und verhandelte mit den Russen im September 1908 auf Schloss Buchlau in Böhmen. Es kam zu einer Einigung, dass Österreich-Ungarn die Herrschaft über Bosnien-Herzegowina erhielt und Russland dafür freien Durchzug durch den Bosporus und die Dardanellen. Die Annexion BosnienHerzegowinas endete jedoch fatal und führte beinahe einen Krieg herbei. Russland erhielt aufgrund eines britischen Einspruchs doch keine freie Durchfahrt und fühlte sich von ÖsterreichUngarn betrogen, infolgedessen kam es zu Protesten in Serbien, Russland und im Osmanischen Reich, wo sogar ein Handelsboykott gegen österreichische Produkte ausgerufen wurde. Aufgrund Russlands Verlusten gegen Japan nur drei Jahre zuvor und des erneut bekräftigten Zusammenhalts von Österreich-Ungarn und Deutschland wurde aber ein Krieg abgewendet und auch Österreich-Ungarns interner Streit, welche Monarchiehälfte das neue Gebiet verwalten durfte, wurde mit einer gemeinsamen Verwaltung gelöst.14
„Meine Herren, ich habe irgendwo ein höhnisches Wort gelesen über eine Vasallenschaft gegenüber Österreich-Ungarn. Das Wort ist einfältig. Es gibt hier keinen Streit um den Vortritt wie zwischen den beiden Königinnen im Nibelungenlied; aber die Nibelungentreue wollen wir aus unserem Verhältnis zu Österreich-Ungarn nicht ausschalten; [...] damit aber ängstlichen Gemütern nicht Bilder blutigen kampfes emporsteigen, beeile ich mich, hinzuzufügen, daß ich gerade in unserem festen Zusammenstehen mit Österreich-Ungarn eine eminente Friedenssicherung erblicke!"15
Mit diesen Worten erklärte der Reichskanzler Fürst von Bülow, warum sich Deutschland als einziger europäischer Staat klar hinter Österreich-Ungarn gestellt hat.
Somit wurde aus der mitteralterlichen triuwe zwischen Lehensherr und Vasall die Nibelungentreue als moralischer Begriff. Auch Franz von Liszt, ein Straf- und Völkerrechtler aus Berlin, sprach von der Nibelungentreue in seiner Vortragsreihe „Deutsche Reden in schwerer Zeit" vom 18. November 1914:
„[...] diese Treue zu halten, dem Freunde Freund zu sein bis zum äußersten, dem Feinde Feind zu sein bis zum äußersten: das ist deutsche Art, das ist Nibelungentreue. "16
Er erwähnte auch Hagen und prägte gewissermaßen eine zeitweise Verherrlichung dessen als deutscher Held, als Mann der Treue und totalen Hingabe, während seine negativen Charakterzüge und sein hinterhältiger Mord an Siegfried vollends ausgeblendet wurden.
3.2.2 Die Siegfriedstellung
Im Laufe des Ersten Weltkrieges gewann aber auch die Figur Siegfrieds an Bedeutung und gab einer strategischen Defensivstellung ihren Namen.17
Die sogenannte Siegfriedstellung erstreckte sich in Nordfrankreich von Arras über St. Quentin bis Soissons und wurde vom März 1917 bis Oktober 1918 aufrechterhalten, bis sie schlussendlich von britischen Divisionen durchbrochen wurde. Generalquartiermeister Erich Ludendorff verlangte daraufhin die Einleitung von Waffenstillstandsverhandlungen, da ein endgültiger Zusammenbruch der deutschen Westfront drohte.18
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Lage der Siegfriedstellung und Westfrontlinien 1914, 1917 und 1918
Sie wurde von den Briten auch als Hindenburglinie bezeichnet, nach Paul von Hindenburg, oder ab dem Zweiten Weltkrieg „Westwall" genannt. Das Ganze bestand aus Gräben und Stützpunkten sowie Stacheldraht oder MG-Stellungen und bot im Sommer 1918 den deutschen Truppen, die von den Alliierten stark geschädigt waren, nötigen Rückzug. Obgleich viele Befehlshaber der Alliierten große Verluste fürchteten, fiel unter Feldmarschall Foch dennoch der Befehl, zeitgleich an mehreren Standpunkten entlang der Linie anzugreifen: „Tout le monde a la bataille" („Jedermann ins Gefecht"). Die Alliierten waren den Deutschen um einiges überlegen: während die Deutschen nur wenige Motorfahrzeuge besaßen, verfügten die Alliierten über Tausende Panzer und Lastwagen und beherrschten den Himmel. Am 29. September griff die britische 4. Armee am Canal de Saint-Quentin im Süden an, dieser schützte die Deutschen mit steilen Abhängen, die zu tiefem Wasser und Schlamm führten, Stacheldraht sowie Maschinengewehr-Stellungen. Den Angriff ermöglichte aber ein etwa fünf km langes Stück, das durch den Tunnel floss - die Deutschen waren sich dieses Schwachpunktes bewusst und bewachten es mit maximaler Feuerkraft. Die Lage wurde letzten Endes durch die britische North Midland Division gerettet, die einen Ablenkungsangriff weiter südlich des Kanals durchführten. Die deutsche Verteidigung wurde zerbrochen und die britische Infanterie nahm 4000 Soldaten gefangen.
Als Ergebnis mussten sich die deutschen Truppen zurückziehen und den Kanal aufgeben - es schien, als wäre das deutsche Heer kurz vor dem Zusammenbruch, weshalb die Oberste Heerleitung Ende September an die Regierung um einen dringenden Waffenstillstand appellierte. Kurz vor Ende des Krieges kamen die deutschen Truppen allerdings doch wieder auf die Beine, bevorteiligt durch die Probleme der Alliierten, ihre Panzer oder Munition durch den aufgeweichten Boden vorwärts zu bringen. Trotzdem nahmen die Alliierten unter Albert I., dem König von Belgien, im Zuge der Offensive vom 14. Oktober Lille und die belgischen Seehäfen von Ostende bis Zeebrügge wieder ein. Obwohl bereits von einem Waffenstillstand gesprochen und verhandelt wurde, fuhren die Alliierten 1919 mit ihren Planungen für weitere Operationen und Offensiven fort.19
Im Zuge des Zweiten Weltkrieges wurde die Siegfriedlinie unter Hitler wieder aufgegriffen: nun unter dem Namen „Westwall", obgleich die Alliierten es nach wie vor eher als Siegfriedlinie bezeichneten. Der deutsche Westwall war eines der umfangreichsten, größten Bauvorhaben des Dritten Reiches. Er verlief ganze 630km von der niederländischen bis zur schweizerischen Grenze und bestand aus mehr als 18 000 Panzersperren, -gräben, Höckerlinien, Bunkern und Stollen. Hitler begann die Planungen bereits in 1936, der Bau selbst begann 1938 und galt als höchste Priorität, sodass auch die Bauarbeiten der Reichsautobahnen oder des Ostwalls vernachlässigt wurden, weil alle möglichen Ressourcen in den Westwall gesteckt wurden, der letzten Endes ganze 3,5 Milliarden Reichsmark kosten würde. Um ein Vordringen der Gegner zu verhindern, errichtete die Wehrmacht besonders viele Höckerlinie und Panzergräben, von denen bis heute noch manche erhalten sind. Der Bau zog sich sehr lange und wies einige Probleme auf: nicht nur kam es zu vielen Unfällen oder gar Todesfällen, es wurden die Gesamtarbeiten immens unterschätzt, sodass nur Teile des Westwalls realisiert werden konnten. Nach dem Krieg wurden zwar sehr viele Anlagen gesprengt und zerstört, auf deutschem Grund gibt es aber bis heute noch einige Westwallbunker sowie zahlreiche Museen.20
[...]
1 Vgl. Heinzle, 2005, S.10
2 Vgl. Heinzle, 2005, S.115f
3 Heinzle, 2005, S.116
4 Vgl. Roth, 2009
5 Es sollte hier angemerkt werden, dass sowohl „Burgunder" als auch „Burgunden" gebräuchlich ist, vielmals und somit auch in dieser Arbeit wird jedoch das Volk in der Sage als „Burgunden" und das historische Volk als „Burgunder" bezeichnet.
6 Vgl. Heinzle, 2005, S.10ff
7 Vgl. Heinzle, 2005, S. 27
8 Vgl. Delvaux de Fenffe, o.J.
9 Vgl. Heinzle, 2005, S. 27f
10 Vgl. Delvaux de Fenffe, o.J.
11 Vgl. Heinzle, 2005, S.29
12 Vgl. Thomann, o.J.
13 Vgl. Rapp, 2013, S. 6ff
14 Vg. Kolb, o.J
15 Kolb, o.J.
16 Rapp, 2013, S.6
17 Vgl. Rapp, 2013, S. 6ff
18 Vgl. Lenzen, 2020
19 Vgl. Grant, 2014, S. 312f
20 Vgl. Kosch, Klink, o.J.
- Arbeit zitieren
- Anonym,, 2021, Das Nibelungenlied und dessen missbräuchliche Deutung im Nationalsozialismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1004140
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