Inhalt
1 Einleitung
2 Nation und Nationalismus
2.1 Entstehung der Nationen in Europa
3 Die Entstehung der Nation Indonesien
3.1 Dreihundert Jahre Fremdherrschaft - von den Portugiesen bis zu den Japanern
3.1.1 Die Japaner
3.2 Unabhängigkeit und Verfassungen
3.3 Indonesien als Staatsnation
3.4 Pancasila - Die fünf Säulen indonesischer Demokratie
3.5 Sukarno und Suharto- politische Identität für Indonesien
3.5.1 Die Alte Ordnung
3.5.2 Die Neue Ordnung
3.5.3 Golkar
3.6 Pembanjunan
3.7 Tradition und Ritualisierung der Politik
3.7.1 Indonesien - Konzeption als Dorf
3.8 Der Pancasila-Islam als politisches Instrument
3.9 Die chinesische Minderheit
4 Norm, Identität und Kultur in Indonesien
4.1 Indonesische Staatsidentität und Nationalität im Netz von Politik, Interessen und der Umwelt
5 Separatistische Revolution und gewaltsame Annexion
5.1 Ambon
5.2 Osttimor
6 Fazit
7 Literatur
1 Einleitung
Trotz Globalisierung, internationaler Handelsbündnisse sowie trans-, internationaler oder regionaler politischer Kooperationen, die das heutige Weltbild prägen, gilt die Nation immer noch als einer der „am universellsten legitimierte[n] Wert[e] im politischen Leben unserer Zeit“1 schließlich besitzt jeder eine Nationalität. Ein Ende des Zeitalters des Na- tionalismus scheint nicht in Sicht. Ganz im Gegenteil, der Blick auf die ehemalige UdSSR, auf den Balkan und auf die ehemals von den Blockparteien West und Ost ru- higgestellten Staaten der Dritten Welt belegen, daß seit dem Ende des Ost-West- Konfliktes Nationalismus und das Streben von Subnationen nach Unabhängigkeit ein wachsendes Phänomen ist. Dies belegt nicht zuletzt die Zahl der Mitglieder der Verein- ten Nationen, die von 1990 bis 1995 von 159 auf 185 Staaten angestiegen ist.2
Die folgende Arbeit setzt sich jedoch weniger mit der globalen Nationenbewegung aus- einander. Untersucht werden sollen vielmehr die Entstehung und Grundlagen der Nation und des Nationalismus in Indonesien. Im Blickfeld steht die historische Entwicklung des Nationalismus in Ostindien, später Indonesien, und die Wurzeln seiner Entstehung und seines Wandels unter den sich verändernden endogenen wie exogenen Umständen. Ne- ben den Faktoren, welche die Nation Indonesien konstituieren und perpetuieren, soll anhand der Regionen Ambon/Südmolukken und Osttimor ansatzweise verdeutlicht wer- den, warum das indonesische Nationalbewußtsein hier nicht übernommen wurde.
Osttimor bietet z.Zt. das aktuellste Beispiel für das Sreben einer Subnation nach Unab- hängigkeit. Seit der gewaltsamen Annexion der ehemals portugiesischen Kolonie durch Suhartos Militär 1975 gehört Osttimor zu Indonesien, am 30.08.99 entschieden sich die Osttimoresen in einem Referendum für eine Zukunft in einem unabhängigen Staat. Eine große Mehrheit der Timoresen hat deutlich gezeigt, daß sie sich nicht der indonesischen Nation zugehörig fühlt.
In Ambon hat in den fünfziger Jahren die einzige Revolte innerhalb Indonesiens stattge- funden, die wirklich von separatistischen Motivationen getragen wurde.
Vor dem Sprung nach Südostasien steht jedoch zunächst eine kurze theoretische Ausei- nandersetzung mit den Phänomenen „Nation“ und „Nationalismus“. Bekanntlich sind beide Kinder der europäischen Moderne. Zur Bestimmung der Besonderheiten des indonesischen Nationalismus ist eine Orientierung an und der Vergleich mit den europäi- schen Wurzeln des Phänomens hilfreich.
2 Nation und Nationalismus
Eine allgemeingültige Definition für den Begriff der Nation läßt sich in der Literatur kaum ausmachen. Vielerorts werden unter Nationen bewegliche Lebenszusammenhänge ver- standen, die auf einer langen geschichtlichen Entwicklung basieren. Sprache, Kultur, Religion und gemeinsame Abstammung wirken bei der Nationenbildung mit.3 Benedict Anderson definiert die Nation als„eine vorgestellte politische Gemeinschaft, vorge- stellt begrenzt und souverän“. Der Begriff des Vorgestellten bezieht sich hierbei auf die tatsächliche Anonymität, selbst innerhalb der kleinsten Nation. So existiert die natio- nale Gemeinschaft vorrangig und einzig in den Köpfen, den Vorstellungen der Men- schen.4 Die Grenzen dieser Gemeinschaften sind variabel aber bestimmt, der souveräne Staat5 ist in der Regel Ausdruck der Freiheit innerhalb der als Verbund von Gleichen verstandenen Gemeinschaft wie auch Vertreter der Nation nach außen.
Der Begriff des Nationalismus steht, z.B. bei Theo Stammen, für „eine Bewegung die auf Bildung einer Nation drängt, die Eigenart der Nation pflegt, sie gegen andere Nationen abgrenzt und schließlich nicht selten auf Rechte und Territorien anderer Staaten und Nationen über- greift.“6
Für Peter Alter bedeutet Nationalismus:
„gleichzeitig Ideologie und politische Bewegung [...] ein dynamisches Prinzip, das Hoffnungen, Emotionen und Handlungen auszulösen ver- mag. Er ist Instrument zur politischen Solidarisierung und Aktivierung von Menschen, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen.“7
Oft wird Nationalismus negativ als radikale Ideologie konnotiert, welche die Interessen der eigenen Nation rücksichtslos den Interessen anderer Nationen überordnet und bereit ist, letztere zu mißachten.
Anderson sieht Nationalität und Nationalismus als kulturelle Kunstprodukte, deren Grundlagen in zerfallenden religiösen Gemeinschaften8 und einstigen dynastischen Rei- chen zu suchen sind. Das Phänomen „Nation“ im modernen Sinne entstand in Europa im ausgehenden achtzehnten Jahrhundert aus einer komplexen Kreuzung verschiedener historischer Kräfte. Nationen definieren sich weiter durch drei Paradoxa: Erstens wider- spricht die objektive Neuheit der Nationen dem angeblichen Alter, das die jeweiligen Mitglieder ihr zuschreiben.9 Weiter stehen sich formale Universalität des Phänomens Nationalität individuellen Besonderheiten einzelner Nationen gegenüber. Abschließend ist Nationalität eine Erscheinung großer politischer Macht, gleichzeitig jedoch gekenn- zeichnet von philosophischer Armut.10
2.1 Entstehung der Nationen in Europa
Zu den Charakteristika der religiösen Gemeinschaften gehörten vor allem die jeweiligen, an eine überirdische Ordnung geknüpften und somit im Zentrum des Kosmos stehenden, heiligen (Schrift)Sprachen, im christlichen Europa manifestiert im Lateinischen als heiliger Sprache der katholischen Kirche.11 Wenn auch nur von den Gelehrten gesprochen, er- möglichten sie die Verständigung innerhalb der Reiche und bildeten gleichzeitig im onto- logischen Sinne ein einzigartiges System der Repräsentation kirchlicher Ordnung.12
Dynastien regierten Europa quasi von Gottes Gnaden und mit Unterstützung der Kirche. Die einzelnen Herrschaftsräume, definiert durch Kriege und Heiratspolitik, besaßen Zentren, um die sich die Macht im Staat zentripetal und hierarchisch erstreckte. Dynas- tien machten bis zu Beginn des ersten Weltkrieges die Mehrheit der Mitglieder des poli- tischen Weltsystems aus13 wichen aber spätestens dann nationalen Bewegungen, die, anstatt auf der Basis einer ungebildeten, leicht manipulierbarer und rechtlosen Bevölke- rung zu existieren, nach individuellen Freiheitsrechten und politischer Mitbestimmung aller und insbesondere des Dritten Standes riefen.14
Einen wesentlichen Grund für die zunehmende Popularität des Nationalismus, der im Verlauf der knapp 150 zurückliegenden Jahre zunehmend die Dynastien und alten religi- ösen Gemeinschaften ablöste, sieht Anderson im Kapitalismus, der durch den Buch- druck und die auf der Suche nach neuen Absatzmärkten sich ergebende schriftliche Förderung und Festlegung von Landessprachen enorme Anschübe erhielt.15 Die entste- henden Sprachgemeinschaften, denen plötzlich auch Bildung zugänglich war, bildeten den Beginn einer national vorgestellten Gemeinschaft. Sie schufen territoriale Vereinheit- lichungen und Abgrenzungen. In der Folge dienten Sprache und Buchdruck zum Er- schreiben dergemeinsamenIdentität, z.B. durch die Taten vergangener Helden - wie Hermann dem Großen -, Ereignisse und Mythen die jetzt zugemeinsamerVergangen- heit wurden16 und die Sprechenden schufen und reproduzierten auf diese Weise ihre nationale Identität.17
In neueren Staaten stößt man oft auf einen genuinen volksnationalistischen Enthusiasmus, der kombiniert ist mit der systematischen Durchsetzung einer Ideologie unter Zuhilfe- nahme von Massenmedien, Bildungssystems, Verwaltungsvorschriften etc. Diese Mi- schung von Volks- und offiziellem Nationalismus sieht Anderson als Produkt der Ano- malien des europäischen Imperialismus, bestimmt z.B. durch willkürliche Grenzziehungen und eine zweisprachige Intelligenz oberhalb unterschiedlichster einsprachiger Bevölke- rungsgruppen.18 Die Metamorphose der Kolonialstaaten zu Nationalstaaten ist zurück- zuführen auf die zunehmende Verbesserung der Infrastruktur/ Mobilität, räumliche Aus- dehnung („Russifizierung“) und die Ausweitung von Bildung im modernen Sinne, die auch der Kolonialbevölkerung„neuzeitliches Wissen“zukommen ließ.19 Hier zeigt sich eine gewisse Analogie zum europäischen Nationalismus.
Indonesien20 erweist sich als hervorragendes Beispiel für das edukierte Nationalbewußt- sein. Eine riesige und regional zersplitterte Bevölkerung unterschiedlicher Religionen und verschiedenster Sprachen sieht sich als Indonesier, ungeachtet der Tatsache, daß einige Volksgruppen aus ethnohistorischer Perspektive weit mehr Gemeinsamkeiten mit territorialen Nachbarn anliegender Staaten als mit Indonesiern aus entfernten Gebieten des Landes teilen.21
Indonesien ist eine ethnisch pluralistische Gesellschaft, der es zunehmend gelungen ist, eine Form des Nationalismus über und jenseits ethnischer Solidarität zu entwickeln. Der moderne Nationalismus hat, so Hefner, keine spezifisch prämodernde ethnische Grund- lage, auch wenn insbesondere Suharto durch Mythifizierung und politische Ritualisierung der prämodernen hindu-javanischen Kultur versucht hat, der Nation einen kulturge- schichtlichen Hintergrund zu konstruieren. Die moderne Nation Indonesien fußt auf mo- dernen Wirtschafts- und Herrschaftssystemen, die eine Elite mit einheitlichen Fertigkei- ten hervorgebracht hat und die das Land losgelöst von prämodernen Vorstellungen führt.Bahasa indonesia, die Landessprache, wird von der Jugend im gesamten Staat verstanden und macht Erklärungen der Regierungen über Kultur und Identität zugäng- lich. Durch Märkte und Konsumgüter sind neue Lebensweisen und nationale Trends entstanden. Eine nationale Kultur nimmt Gestalt an. Sie dringt bis in die entlegenen Ge- biete vor und nimmt dort einheimische Elemente in sich auf, ohne allerdings - auch durch die Allgegenwärtigkeit der Golkar - zu einem Derivat vorher bestehender ethnischer Traditionen zu werden. Die Regierungspolitik und das Militär nehmen auf die Gestaltung der Nation wesentlichen Einfluß, kontrollieren sie aber nicht vollkommen. Die National- kultur Indonesiens und das politische Gefühl, von dem sie getragen ist, sind moderne, ethnisch übergreifende Schöpfungen.22
3 Die Entstehung der Nation Indonesien
Indonesien ist ein Archipel aus 17508 Inseln, von denen gerade einmal 6000 bewohnt sind, allen voran die Hauptinsel Java. Das Ballungsgebiet und industrielle Zentrum be- herbergt rund 60% der Bevölkerung auf knapp einem Zehntel der Landesfläche. Mit rund 204 Millionen EinwohnerInnen ist Indonesien das viertbevölkerungsreichste Land der Erde.23
Indonesien hat keine präkoloniale nationale Tradition. Es entstand zu Beginn des zwan- zigsten Jahrhunderts aus dem aufkeimenden Nationalbewußtsein einer jungen, vornehm- lich niederländisch erzogenen Elite.
3.1 Dreihundert Jahre Fremdherrschaft - von den Portugiesen bis zu den Japanern
Jahrhundertelang hatten anfangs die Portugiesen, dann die Holländer die Küstenregionen der Inseln des heutigen Indonesiens unter Kontrolle und nutzten sie für ihren Handel. Ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gelang es den Niederländern, ihren Einfluß auch im Inneren der Inseln geltend zu machen. Entfernte Regionen, wie z.B. das Binnenland Zentraltimors, blieben gar bis in die zehner Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts von nie- derländischer Kolonialverwaltung verschont.
Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts entwickelte sich das Konzept der „ethischen Politik“ der Niederländer. Die Niederländer drangen in die Dörfer vor und initiierten dort sogenannte Entwicklungsprogramme, um die Einheimischen an höherer Kultur teil- haben zu lassen24. Der zunehmende Verwaltungsaufwand in der Kolonie erforderte ei- nen Ausbau des Bildungssystems, um die Arbeitskraft der Einheimischen nutzen zu kön- nen.25 Da den Javanern und anderen Inselbewohnern allerdings die oberen Stufen der administrativen Hierarchie verwehrt blieben, machte sich gerade durch die Bildung zu- nehmend Unzufriedenheit breit.26
In der Folge entwickelten sich erste nationalistische Bewegungen. Anfang des zwanzigs- ten Jahrhunderts gründeten sich auf Java islamisch reformistische Bewegungen, wie 1912 dieSarekat Islam(Islamische Union,) undMuhammadiyah(Gefolgsleute Mo- hammed).27 Gemeinsam war diesen ersten Massenbewegungen die Opposition gegen die Kolonialherren. Auf Druck einiger Niederländer wurde 1916 einVolksraadge- gründet, der den Indonesiern erstmals ein Forum für Kritik an der Kolonialregierung schaffte und den Gedanken der indonesischen Einheit stärkte. Die außerparlamentari- sche Opposition unterlag allerdings zunehmend Strafbestimmungen.28 Nationale Bewe- gungen wurden also kanalisiert. Wachsende Auseinandersetzungen zwischen Islamisten und Kommunisten wirkten sich darüber hinaus positiv für die Niederländer aus.
1927 gründete eine Gruppe niederländisch ausgebildeter, indonesischer Nationalisten, angeführt von Sukarno, die Indonesische Nationalistische Partei,Partai Nasional In- donesia(PNI), die politisches Instrument sein wollte, um die Unabhängigkeit Indone- siens zu erreichen.29 Die PNI sah sich selbst als neue politische Identität jenseits ethni- scher Grenzen. Sie förderte die Adaption der Handelssprache Malaiisch zur National- sprachebahasa indonesiaund schuf nationale Symbole wie Nationalflagge und Natio- nalhymne, die 1928 auf einem Kongreß von Jugendorganisationen auf Java Premiere feierten.30 Die Niederländer unterdrückten nun zunehmend den Nationalismus und ver- suchten sich ihrer Rädelsführer zu entledigen. So wurde z.B. Sukarno 1933 ohne Pro- zeß ins Exil geschickt.31
Die Nationalisten der zwanziger Jahre verband nicht mehr vornehmlich Geburt, Ab- stammung oder Zugehörigkeit zu einem Fürstenhof oder gar eine alle verbindende Reli- gion, sondern die niederländische Erziehung und eine Art Zeitgeist, ni nerhalb dessen Gefühle, Aversionen und Frustrationen zum politischen Programm gemacht wurden. Die Idee eines Indonesien, die sich so schnell verbreitete, beanspruchte die Kreation einer neuen Identität jenseits traditioneller Kulturen und auf der Basis einer Auseinanderset- zung mit Niederländisch Indien. Die niederländischen Schulen brachten eine Elite hervor, die durch neue Berufe, neues Wissen und neue Erfahrungen in den modernen Städten, eine ganz neue gemeinsame Identität entwickelte. Die Entstehung einer neuen politischen Identität und das Gefühl eines neuen nationalen Bewußtseins gingen so einher.32 Aller- dings gelang es den Nationalisten vor dem Zweiten Weltkrieg weder durch Reformauf- rufe noch durch Gewalt, wesentlichen Einfluß auf die Kolonialmacht auszuüben.33 Festzustellen ist im Zuge dieser Bewegungen, daß wie in Europa auch in Indonesien kapitalistische Bewegungen den nationalistischen Bewegungen vorausgingen, bzw. diese vorantrieben. Die europäische Handelsmacht war es, die moderne Vorstellungen mit sich brachte und Niederländisch Indien erschien seit dem Ende des neunzehnten Jahr- hunderts bereits und somit zuerst als Wirtschaftseinheit auf dem Weltmarkt.34 Außerdem war es das moderne, kapitalistische System, das den Indonesiern als Vorbild vorgesetzt wurde und zu gesellschaftlichen, nationalen Massenbewegungen führte, da sie sich von ihm benachteiligt fühlten.
3.1.1 Die Japaner
Im März 1942 beendeten die japanischen Besatzungstruppen mit ihrem Einfall auf Java die niederländische Kolonialherrschaft in Indonesien. Auch sie regierten das Land durch die einheimische administrative Elite, wenngleich ihr Stil - totalitär und aufrührerisch - wenig Parallelen zur konservativen und ruhigen Herrschaft der Europäer zeigte. Indone- sien wurde ausgebeutet zur Kriegsführung. Symbole des Nationalismus, Flagge und Nationalhymne, wurden verboten.
3.2 Unabhängigkeit und Verfassungen
Zwei Tage nach dem Ende der japanischen Herrschaft, am 17. August 1945, verkünde- ten der zukünftige Präsident Sukarno und sein Vize Hatto35, die Unabhängigkeit der Republik Indonesien. Am 2. November 1949 wurde diese Unabhängigkeit imHaager Agreementvon den Niederländern offiziell anerkannt36 und die provisorische präsidiale Verfassung von Sukarno und Hatta wurde ersetzt durch eine föderale, auf deren Ausar- beitung die Niederländer maßgeblichen Einfluß genommen hatten. Die Föderative Re- publik der Vereinigten Staaten Indonesiens bestand jedoch nur kurze Zeit, da Sukarno 1950 die Verfassung erneut - unabhängig von fremden Einfluß - ändern ließ. Da die dritte Verfassung detaillierte Garantien für individuelle Freiheiten beinhaltete und ein par- lamentarisches System vorschrieb, innerhalb dessen der Präsident eine vorrangig zere- monielle Rolle spielen sollte, verfügte Sukarno 1959 im Zeichen der politischen Instabili- tät Indonesiens die Wiederannahme der Verfassung von 1945, die ihm durch ihre vage Formulierung und ein die Betonung einer mächtigen Präsidentschaft seine politische Macht sicherte.37
3.3 Indonesien als Staatsnation
Schulze unterscheidet in Anlehnung u.a. an Ernest Renan38 Kulturnationen und Staatsna- tionen. Während in der ethnisch heterogenen Staatsnation die Institutionen der politisch handelnden Stände die Gesamtheit der Nation bilden, stützt sich die Kulturnation vor- rangig auf die Kultur- und Sprachgemeinschaft der ethnisch homogenen Bevölkerung. Sie ist weniger an territoriale Grenzen und zentrale Orte der Machtentfaltung gebunden. Diese beiden idealen Nationentypen, die mit Vorliebe an Deutschland und Frankreich exemplifiziert werden, bilden lediglich die äußeren Pole einer breiten Skala von Misch- typen. Gemeinsam scheint Nationen jedoch immer, daß sie zur Identifizierung ihrer je- weiligen Besonderheit eine Abgrenzung nach außen beinhalten.39
Indonesien trägt wie die meisten ehemaligen Kolonialstaaten die Charakteristika einer Staatsnation. Die Grenzen der Republik Indonesiens basieren auf der am Reißbrett ge- zogenen Grenzen des niederländischen Kolonialreiches Ostindien. Eine gemeinsame Kultur hat es in diesem territorial wie kulturell gestreuten Archipel nie gegeben. Dutzen- de verschiedener Sprachen und Religionen, eine von außen eingeführte Amtssprache, sowie unterschiedliche Fremdeinflüsse durch europäische Christen40, arabische Muslime und chinesische Händler ließen vor dem Eindringen niederländischer Kolonialverwaltung als gemeinsamen Gegner kaum Gefühle von Zusammengehörigkeit entstehen. Ein Groß- teil der postkolonialen Elite entstammt Schichten, die erst durch die Niederländer ge- schaffen wurden. Vor allem alte Politiker sind durch die niederländischen Schulen ge- prägt worden und der nationale Anspruch der Indonesier basiert auf der von einer euro- päischen Militärmacht geschaffenen Einheit. Java ist eindeutiges Machtzentrum, landes- weit repräsentiert durch lokale Führer.
Wie in europäischen Nationen waren auch in Indonesien die jungen Eliten Anführer der nationalen Bewegungen. Und wie in Europa, wenn auch in geringerem Ausmaß trug die Verbreitung von Zeitungen und anderen Medien das nationale Bewußtsein ins Land.
Die Nation Indonesien entstand erst durch die Einführung der staatlichen Instrumente - Parlament, Präsident, Militär u.a.. Doch im Gegensatz zu europäischen Nationen schien es in Indonesien weitaus schwieriger, die vom fremden Kontinent Europa abgeschauten Prinzipien zum Aufbau von Staat und Demokratie durchzusetzen. Die Verfassungsände- rungen, eine sich entwickelnde Abgrenzung von europäischen Vorstellungen über die Demokratie sowie revolutionistische Bewegungen im Kampf um politische Macht oder Sezession zeugen von diesen Schwierigkeiten. Der Glaube an und das Vertrauen in die staatlichen Institutionen, wie sie in Frankreich und England scheinbar natürlich gewach- sen waren, mußte in Indonesien erst einmal gezüchtet werden - und dies möglichst schnell.
Gerade in den Anfangsjahren der Republik war die nationale politische Identität unent- schlossen und unterschiedlichste Strömungen noch in Bewegung. Um mögliche Spaltun- gen zu verhindern und Bewegungen zu kanalisieren, griff Suharto zu einem folgenreichen wie erfolgreichen Konzept - derPancasila.
3.4 Pancasila - Die fünf Säulen indonesischer Demokratie
Ein ethnisch und kulturell heterogener Staat wie Indonesien verlangte eine integralistische und totalitäre Idee von Nation. Die Gesellschaft sollte und mußte ein Verständnis dafür entwickeln, daß sie eine Art Familie darstellte, ein zusammenhängendes Gebilde, in dem alle und alles voneinander abhingen. Souveränität wird vom Volk getragen, Individualis- mus ist die Quelle für Konflikte, so die Parolen. In traditionellen Religionen zeigten sich Parallelen diesem Prozeß desnation-building.41 Die totalitäre Idee einer integrierten Gesellschaft entsprach den kosmologischen Vorstellungen vieler indigener Völker.42
Um dem Gedanken einer integrierten Gesellschaft Rechnung zu tragen und Ruhe zwi- schen die nach einem islamischen Gottesstaat strebenden Islamisten und die nach Parti- zipation des Volkes und Schutz individueller Rechte strebenden Konstitutionalisten zu bringen, verkündete Sukarno am 1. Juni 1945 die folgenden Prinzipien der künftigen Nation. Diese wurden bekannt als die fünf Säulen -Panca sila(im folgenden ein Wort) bilden bis heute die Grundlage Indonesiens:
1. Basis des Nationalismus ist die von Gott geschaffene Einheit Indone- siens.
2.Humanitätim Sinne eines humanitären Internationalismus in den zwischenstaatlichen Beziehungen. In Anlehnung an die Gleichset- zung von Humanität und Nationalismus im Sinne Gandhis wird „öst- licher“ Nationalismus und Panasiatismus dem Westen entgegenge- stellt.
3.Demokratie, die dem traditionellen Konsensverfahren entspricht. Repräsentation und Übereinstimmung aller gesellschaftlicher Grup- pen
4.Soziale Gerechtigkeit und Gleichheitfür das indonesische Volk als letztes Ziel aller staatlichen Bemühungen durch das autochthone in- donesische System der allseitigen Übereinstimmung.
5.Anerkennung und Glauben an den All-Einen-Gott.Jede religiöse Rich- tung [...] soll Gott in der ihr gemäßen Form dienen. Im Staat soll Tole- ranz durch gegenseitige Respektierung gewährleistet werden.43
Sowohl Islamisten als auch säkulare Nationalisten erhielten durch dieses Prinzip die Möglichkeit zur Identifikation, da weder ein theokratischer noch ein rein säkularer Staat zum Existieren kam. Spannungen zwischen Kommunisten und Muslimen bestimmten dennoch die politische Realität.44. Durch diePancasilasollten Klassengegensätze in Indonesien aufgehoben werden.45 Die Ursprünge derPancasilaliegen klar in westlichen demokratischen Ideen. Gleichzeitig stellen sie, in Bezug auf indigene Werte von Harmo- nie und Kompromiß, eine Kritik an westlichen Praktiken dar.46
DiePancasila, flexibel und langlebig, wurde zur bindenden Kraft für die indonesische Nation. Für Suharto wurde sie Essenz und ideologische Rechtfertigung seiner autoritären Herrschaft und so zu einem mächtigen Instrument für die Unterdrückung der Bevölke- rung. Loyalität gegenüberPancasilahat bis heute oberste Priorität für den Indonesier und wird von klein auf in Schule, Medien und Alltag indoktriniert.47 Alle Institutionen, Verbände u.a. Gruppen müssen seit 1984 die Leitsätze derPancasilain ihr Programm aufnehmen.48
3.5 Sukarno und Suharto- politische Identität für Indonesien
Sukarno gab Indonesien eine politische Identität.Pancasilaund eine zunehmend starke Regierung formten die Nation. Zivilgesellschaft und Individualität wurden demgegenüber zunehmend geschwächt, wie die Entwicklungen der Alten und Neuen Ordnung zeigen. Beide waren geprägt durch die zunehmende Macht des Militärs in Gesellschaft und Re- gierung, den Glauben an eine starke Präsidentschaft, nationales Bewußtsein, ein domi- nierendes Java, eine gespaltene muslimische Gemeinde, die Ablehnung der chinesischen Geschäftsklasse, ein schwaches legales System und eine große Tradition von Korrupti- on, Nepotismus, Schmuggel und Patronage.49
3.5.1 Die Alte Ordnung
Sukarnos Ära, die Alte Ordnung, währte von 1945 bis 1965. Sukarnos Macht stützte sich vor allem auf die Kommunisten, das Militär in kleinerem Umfang auf die Muslime.50 1959 wurde im Zuge zunehmender politischer Instabilitäten und im Kampf um die ideo- logische Basis und die Einheit des indonesischen Staates die parlamentarische Demo- kratie durch eine gelenkte Demokratie abgelöst. Sukarno verlor seine Machtbasis spä- testens 1965, als angeblich von ihm geschickte linke Offiziere („Bewegung des 30. Sep- tember“) sechs Generäle und einen Leutnant entführten und töteten, um einen angeblich geplanten Coup gegen Sukarno zu verhindern. Sukarno überließ nach seiner Flucht vor studentischen Demonstranten am 11. März 1965 Suharto die politische Bühne.51
3.5.2 Die Neue Ordnung
Suharto wurde im März 1967 zum Präsidenten ernannt. Er strebte nach politischer Sta- bilität und wirtschaftlichem Fortschritt. Dazu stärkte er die Regierung, ernannte zukünftig selbst 1/3 des Kabinetts, ermöglichte dem Militär durch die sogenannte Politik desDwi fungsij52 langfristig großen Einfluß und führte die Golkar als militärisch- parlamentarisches Vehikel in die Politik ein. 1973 verbot Suharto, nach dem Motto „Warum neun Autors für eine Straße?“, die existierenden neun politischen Parteien und ersetzte sie durch zwei neue, in denen sich die alten vereinigen sollten. Das parteipoliti- sche Spektrum reduzierte sich somit auf zwei Parteien plus die allgegenwärtige Golkar. Die Bevölkerung wurde zu einer „flutenden Masse“: Weitestgehend der politischen Mit- sprache entbunden, reduziert sich seitdem ihre Partizipation auf die alle fünf Jahre statt- findenden Wahlen.53
3.5.3 Golkar
Golkar (eigentlichGolongan Karya= funktionelle Gruppen54) wurde 1967 gegründet und stellt einen militärischen Zusammenschluß antikommunistischer Gruppen mit mehre- ren hundert Untergruppen dar.55 Diese Institution, unterstützt von Militär und Regierung, vertritt die Ideen von Konsens und Familie, obwohl sie sich mehr durch professionelle Funktion als durch politische Ideologie auszeichnet. Ihre einzige Ideologie ist, daß die gesamte Nation auf kommunaler Harmonie basiert. Kollektive Gefühle innerhalb der
Gemeinschaft anstelle von spaltenden Ideologien [z.B. Religionen] lautet die Botschaft, mittels derer Hingabe zur Nation undPancasilagepredigt wird. Golkar ist somit im westlichen Sinne eher Antipartei als Partei.56 Alle Regierungsbeamten, vom Dorfvor- stand bis hin zur Kabinettsebene müssen Mitglieder der Golkar sein. Nationalpolitische Partizipation außerhalb dieses Apparates ist somit unmöglich.57
3.6 Pembanjunan
Pembanjunanist das ökonomische Äquivalent zuPancasila. Modernität und Entwick- lung bilden ein zweites Charakteristikum des indonesischen Nationalismus. Mit ländli- chem Kapitalismus und Modernisierung sollen alte divergierende Strukturen aufgebro- chen werden.58 Opposition gegenPembanjunanwird ebenso bestraft wie die Ableh- nung derPancasila59. Ländliche Entwicklung verfolgt allerdings nicht die Unterstützung Machtloser und die Abschaffung ungleicher Verteilung von Ressourcen. Im Gegenteil, sie fördert lokale Eliten und unterstützt Ungleichheiten, da traditionelle Tributsysteme und eine faire Verteilung von Ressourcen durch den traditionelle Dorfvorsteher auf- gebrochen werden.60
Auch hier wieder zeigt sich das kapitalistische Element nationaler Ideologien, in Indone- sien allerdings wieder im Zwangskorsett, da kapitalistische Strukturen nicht, wie in Eu- ropa, von allein entstanden sind, sondern von außen - in diesem Fall von der Regierung und dem Zentrum Java - in die Peripherie getragen werden. Damit sie sich etablieren, müssen gleichzeitig alte Strukturen aufgelöst werden.
3.7 Tradition und Ritualisierung der Politik
Die nationalistische Bewegung in Indonesien knüpft analog zu europäischen Vorgängern bei ihrer Suche nach Bausteinen für das Konstrukt der Nation und deren historische Kontinuität an historische Gegebenheiten an. Besonders das einstige javanische Reich Majapahit, dessen Grenzen angeblich (aber auch nur angeblich!) mit den territorialen Grenzen Niederländisch Indiens und jetzt Indonesiens übereinstimmen, dient dem ge- meinsamen Spurenlegen in eine gemeinsame nationale Vergangenheit.61 Traditionelle Rituale werden in diesem Kontext für die aktuelle Politik instrumentalisiert.
Das Rituale sind ein Instrument der Macht für den, der sie innehat. Sie bestehen aus Symbolen, die in ein Symbolsystem eingeordnet sind und in festgelegter, ritueller Hand- lung standardisiert, repetiert und in der Gesellschaft konsolidiert werden. Die Bedeutun- gen von Symbolen verweisen auf symbolisierte Gehalte außerhalb des Rituals und kön- nen in ihrer Instrumentalisierung ergänzt oder gar verändert werden. Symbole sind auf diese Weise konstruierbar und instruierbar.62
Rituale stellen einen wichtigen Faktor für die Etablierung traditioneller Eliten dar und werden zur Kanalisierung staatlicher Interessen genutzt. In Indonesien werden Rituale so, angereichert mit neuen Symbolen oder Symbolbedeutungen, die auf die Ideologien desPancasilaund der nationalen Einheit verweisen, zur politischen und sozialen Strate- gie, die durch Repetition in den Köpfen der Indonesier verankert wird.
Pancasilaals Symbol für das indonesisch-javanisch-Sein, dasProgram Pengangunanals Symbol für den Fortschritt und derIslam-Pancasilaals typisch indonesischer Islam sind die drei wichtigsten Symbole mit denen und durch die indonesische Politik ope- riert.63
3.7.1 Indonesien - Konzeption als Dorf
Das javanische Dorf des neunzehnten Jahrhunderts stellt die Leitutopie des indonesi- schen Nationalstaates dar, denn ein Großteil der Indonesier fühlt sich von der Mitspra- che auf dem Dorf viel eher betroffen als von der nationalen Politik64, auch wenn in den Köpfen der Nationalisten orientalisierte Bilder niederländischer Maler und nicht wirklich erlebte Dörfer herumspuken.
1979 synchronisiert der indonesische Staat deshalb die Verwaltung und paßt sie den Interessen der Regierung an.Headmen65werden zu direkten Repräsentanten der Re- gierung und zur Hingabe anPancasilaverpflichtet.66 Alle Offiziellen haben dasPancasila-Förderungsprogramm durchlaufen und werden Mitglieder der Golkar.
sila-Förderungsprogramm durchlaufen und werden Mitglieder der Golkar. Harmonie, Respekt und Konsens durch Familiengeist sind anerkannte Werte in indonesischen Ge- meinschaften. Von den Headmen werden sie in gewohnter Regelmäßigkeit in politischen Reden verwendet, um Gemeinsamkeiten von Tradition und modernem Staat herzustel- len. Erworbene Fortschritte durchPembanjunanwerden in Dankesreden der Politik der neuen Ordnung zugeschrieben und der Bevölkerung wird verdeutlicht, daß sie diese Schuld, in der sie sich durch die Großzügigkeit der Regierung befinden durch ihre Unter- stützung von Golkar, z.B. bei den Wahlen, zurückzahlen müssen. Die Bevölkerung wird so in eine moralische Verantwortung gegenüber der Nation genommen.67
Auf diese Weise wird nationales Bewußtsein kreiert und erneuert. Aber es scheint, zu- mindest aus der Distanz, als hätten die Instrumente für diese Operation beinah mehr Gemeinsamkeiten mit den Taktiken des europäischen Mittlealters, als Religion und Dy- nastien das ungebildete Volk für ihre Zwecke manipulierten, denn mit der aufgeklärten Moderne.
3.8 Der Pancasila-Islam als politisches Instrument
Etwa 87% der indonesischen Bevölkerung sind Muslime.68 Während die niederländi- sche Kolonialregierung die islamischen BewohnerInnen Ostindiens ignorierte69, fordert die islamische Mittelklasse seit Entstehung des unabhängigen Indonesien zunehmend Beteiligung an kulturellen, ökonomischen und politischen Sektoren des Landes. Die Re- gierung Indonesiens hat unlängst erkannt, daß der Medien- und Ausbildungssektor In- donesiens von den Christen kontrolliert wird, während die Islamisten, die immerhin eine überragende Mehrheit in der Bevölkerung darstellen, sich ökonomisch marginalisiert fühlten. Um möglichen fundamentalistischen Entwicklungen aus dieser Benachteiligung entgegenzuwirken, wurde die muslimische Majorität zunehmend unterstützt und in die Politik integriert. Ein deutliches Zeichen hierfür ist die Gründung derIkatan Cendekia- wan Muslim se- Indonesia, Verein der indonesischen intellektuellen Moslems (ICMI) im Dezember 1990, deren Vorsitz Habibie übernehmen sollte. Motiv dieser Gründung wie war weniger die Religion selbst - Habibie war nie ein religiöser Anführer und wurde von einigen Muslimen für diese Amtsübernahme heftig kritisiert - als das Bestreben der Regierung, die islamische Opposition und weitere Teile des Volkes zu gewinnen.70
Moderne Muslime in Indonesiens sind pro-westlich orientiert und streben nach Fort- schritt. So eignet sich der Islam als Instrument der Modernisierung und wird zu einer politischen Strategie, die von der Regierung direkt genehmigt und geleitet wird.71
3.9 Die chinesische Minderheit
Neben dem Westen, dem Kommunismus und dem fundamentalistischem Islam bilden chinesischstämmige Indonesier eine Art Feindbild innerhalb der indonesischen Gesell- schaft. Als Nachfahren von Einwanderern gelten sie als Fremde, die herausfallen aus dem Rahmen des Nationalismus, der seine Wurzeln in dem Gebiet des heutigen Staates verhaftet sieht. Weiter unterscheiden sich die Chinesen durch Kultur, Religion und ihre ökonomische Festlegung auf den Handel. Sie sind die einzige Minderheit mit einem gro- ßen wirtschaftlichen Einfluß. Zu guter Letzt ist China immer noch eine der letzten Hoch- burgen des Kommunismus. Auch dies macht die Chinesen vielen Indonesiern wenig sympathisch.72
Diese Festschreibung von negativen Stereotypen gegen Chinesen begannen bereits in der Kolonialzeit und haben sich im Laufe der Zeit zu einem„kollektiven antisiniti- schen Bewußtsein“73herausgebildet, das in nationalen Krisen und Höhen immer wieder Auftrieb erhielt.74
Die ökonomische Macht führte in regelmäßigen Abständen zu Ausschreitungen der sich benachteiligt fühlenden indonesischen Bevölkerung. Erstaunlicherweise legte der indone- sische Staat jedoch keinen Wert darauf, sich ökonomisch von den Chinesen u.a. unab- hängig zu machen oder diese zu vertreiben. Statt dessen nutzte er das Bedürfnis der Chinesen nach staatlichem Schutz für seine Interessen, indem er die Idee des „Anderen“ zur Identifikation der Indonesier mit dem eigenen „Selbst“ gebrauchte und immer wieder erneuerte.75 Der Islam bildete in diesem Kontext eine Grundlage der Gruppenbildungs- prozesse.76
In populären Mythen werden den Chinesen bis heute negative Eigenschaften nachge- sagt, die sie indonesisch inkompatibel machen, vom fehlenden Patriotismus und Egois- mus bis zur Asozialität. Die chinesische Sprache und Schrift wurde verboten, Heiraten mit IndonesierInnen, die Übernahme des islamischen Glaubens und andere Assimilatio- nen wurden dagegen begrüßt. Gefördert wurde die Übernahme indonesischer Perso- nennamen, allerdings wurde damit die Diskriminierung nicht beendet. Indochinesen muß- ten immer noch ihre chinesische Herkunft nachweisen können und der indonesische Staat wählte je nach Bedarf zwischen „indonesischen Helden“ und „chinesischen Schur- ken.“77
Heryanto kommt zu dem Schluß, daß das chinesische „Problem“ in der Realität und insbesondere in nationalistischer Hinsicht gar kein „Problem“, sondern im Gegenteil ein sehr willkommenes Phänomen war und als solches bewußt immer wieder rekonstruiert und instrumentalisiert wurde78, um durch den antisinitischen Rassismus die indonesische Identität, zu stärken.
Seit Anfang der neunziger Jahre verändern sich diese Umstände nach Heryanto zuguns- ten der Chinesen. Indonesien hat nach dreiundzwanzig Jahren erbitterter Feindschaft die diplomatischen Beziehungen mit China wieder aufgenommen79 und der chinesischen Kultur wird mehr Raum in der Öffentlichkeit zugestanden, z.B. in Form chinesischen Printmedien. Dieser Wandel läßt sich mit ökonomischen und politischen Faktoren allein nicht ausreichend erklären, denn es gab weder herausragende Assimilationsprogramme, noch eine starke Regierung oder einen energischen Kapitalismus.80 Das Verhältnis von chinesischer Ethnizität im indonesischen Kontext als solches hat sich verändert, ist stär- ker in das Interesse der Öffentlichkeit gerückt und wird kritischer reflektiert. Im Rahmen kritischer Reflexionen wurde deutlich, daß Stimmungen gegen Chinesen bewußt ge- schürt wurden. Heryanto führt in diesem Zusammenhang u.a. einen Arbeiteraufstand 1994 in Nordsumatra an, der in den Massenmedien in Indonesien und Übersee zunächst als anti-chinesischer Aufstand interpretiert wurde, bis sich herausstellte, daß die Arbeiter gar nicht, weder in Plakaten noch in Gewaltakten o.a., rassistisch kontrachinesisch ein- gestellt, sondern generell gegen die verdienende Klasse auf die Barrikaden gegangen waren.81
Allerdings sind Autoren in Bezug auf den abnehmenden Antisinismus ebenso unter- schiedlicher Ansicht wie diverse Stimmen in Indonesien selbst. Buchholt verweist z.B. darauf, daß es im Rahmen der erwähnten gewerkschaftlich organisierten Aufstände sehr wohl antichinesische Bewegungen gab und daß nur die Gewerkschaft selbst sich davon distanzierte und die indonesische Regierung einen rassistischen Hintergrund gänzlich bestritt.82 Das heißt, das Problem des Antisinismus ist durchaus noch existent. Es ist bis zur Gegenwart nicht wesentlich kleiner geworden und dient immer noch der Erzeugung nationaler Verbundenheit unter den Indonesiern.83
4 Norm, Identität und Kultur in Indonesien
Jepperson, Wendt und Katzenstein messen dem Sicherheitsumfeld eines Staates einen bedeutenden kulturellen und institutionellen Charakter zu. Sie gehen davon aus, daß das kulturelle Umfeld nicht nur Anreiz zur Gründung eines Staates gibt, sondern auch zu verschiedenen Arten von Staatsverhalten führt. Das kulturelle Umfeld, ist so ein elemen- tarer Bestandteil von Staat und Staatsidentität.84 Zu dem kulturellen Umfeld eines Staa- tes zählen erstens formale Institutionen, wie z.B. die ASEAN; zweitens die weltpoliti- sche Kultur, zu der Souveränität und internationales Recht gehören und drittens das internationale Muster von Freund und Feind in Bezug auf materielle Macht (z.B. Indone- sien<->Japan, Indonesien<->USA). Das kulturelle Umfeld eines Staates beeinflußt den Staat in mehrfacher Hinsicht. Erstens muß der Staat generell wettbewerbsfähig sein, um auf dem internationalen Parkett zu bestehen. Zweitens wird der Charakter eines Staates innerhalb des internationalen Systems durch das Umfeld beeinflußt und mitgeprägt und drittens hat das kulturelle Umfeld Einfluß auf den Charakter des Staates in der nationa- len Politik. Zur vollständigen Analyse von Staatsidentität, -interessen und Staatspolitiken ist es unabdingbar, diese Faktoren zu beachten.85 Die gleichen Faktoren werden im folgenden als relevant auch für das nationale Bewußtsein und die Nation vorausgesetzt und sollen Anlaß bieten, Indonesien zusammenfassend unter diesen Aspekten zu be- trachten.
4.1 Indonesische Staatsidentität und Nationalität im Netz von Politik, In- teressen und der Umwelt
Die Umwelt beeinflußt Interessen und Politik eines Staates und damit auch die Staats- identität, die wiederum Einwirkung auf Interessen und Politik nimmt. Die Identität eines Staates übt darüber hinaus wieder Einfluß auf seine staatliche und kulturelle Umwelt aus. An Indonesien lassen sich diese Thesen gut nachvollziehen, denn die Nation Indonesien wurde eindeutig geprägt und konnte erst entstehen durch die Einflüsse seiner kulturellen Umwelt, primär durch die Niederländer. Sie haben Modernität, Kapitalismus und be- dingt Demokratie vorgelebt (oder zumindest den indonesischen Studenten in den Nie- derlanden vermittelt) und so die Basis für die indonesische Nation und die Pancasila mitgeliefert.
Der Einfluß von außen führte im Rahmen der Nationenbildung jedoch auch zu einem Bedürfnis nach eigener Abgrenzung, nach Formung einer eigenen Identität. Es entstan- den aus westlichen und traditionellen Einflüssen ein indonesischer Nationalismus mit in- donesischer Demokratie, Sprache und Ideologie, der wiederum nach außen drang und die Niederländer zur Unterschreibung desHaager Agreementsbrachte. Indonesien demonstriert sich selbst als eigenständigen Staat.
Neben Pancasila wurde der wirtschaftliche Fortschritt zu einem ideologisch untermalten Pfeiler der indonesischen Nation. Moderne, kapitalistische Konzepte wurden ebenfalls durch das kulturelle Umfeld vorgelebt und beeinflußten die Nation. Nur durch Fort- schritt konnte sich ein Staat entwickeln und auf dem Weltmarkt behaupten. Durch die Interessen des Staates/ der Regierung, sich zu behaupten wurden die Fortschrittspro- gramme gestartet, die Identität und Nationalbewußtsein der Indonesier beeinflußt haben. Das Ergebnis, ein schnell wachsender Industriestaates nahm als Konkurrent auf dem Weltmarkt wieder Einfluß auf seine Umwelt.
Innerhalb des internationalen Systems wird Indonesien u.a. auch durch die ASEAN und - im Augenblick sehr aktuell - durch die Vereinten Nationen geprägt. Letztere haben unlängst Indonesiens Präsidenten Habibie von der Notwendigkeit der Entsendung von UN-Friedenstruppen nach Osttimor überzeugen können.
Die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen mit China führte zu mehr Toleranz gegenüber der chinesischen Minderheit, auch hier wirken Interessen von außen, wäh- rend die zunehmende Unzufriedenheit der Muslime im Staat zu erweiterter Anerkennung des Islam im Rahmen der nationalen Identität führen.
5 Separatistische Revolution und gewaltsame Annexion
In den fünfziger Jahren gab es mehrere Aufstände in Indonesien. Während aber die meisten revolutionistischen Bewegungen sich zwar gegen die javanische Dominanz in der Regierung richteten, selbst aber den Ideen des islamischen Modernismus verpflichtet waren und somit innerhalb der Nation nach stärkerer Machtbeteiligung und stärkeren islamischen Grundsätzen strebten86, fanden in den Südmolukken die einzigen revolutio- nären Ausschreitungen (mit Ausnahme evtl. von Irian Jaya) mit separatistischen Bestre- bungen seit der Unabhängigkeit Indonesiens statt. Am 25.04.1950 riefen die Ambone- sen unilateral dieRepublik Maluku Selatan, die Unabhängige Republik der Südmoluk- ken aus. Doch was bestimmte diesen Separatismus?
5.1 Ambon
Tausende Südmolukken hatten in der niederländischen Kolonialarmee (KNIL) gegen das indonesische Militär und die Unabhängigkeit Indonesiens gekämpft. Als kalvinisti- sche Christen87, die sich in vergangenen Zeiten stark mit den Niederländern und deren Kultur identifiziert hatten und für dieses Verhalten von anderen ethnischen Gruppen In- donesiens alsBelanda hitam(Schwarze Niederländer) beschimpft worden waren, fehl- te ihnen die Verbindung zu ihren Landsleuten. Ihr Stolz war dagegen der Aufbau des Empire Ostindien an der Seite der Niederländer. Aus Angst vor negativen Spätfolgen der Kollaboration mit den Niederländern riefen Ambonesen am 25. April.1950 die aus den Inseln der Zentral- und Südmolukken bestehende Unabhängige Republik der Süd- molukken aus Präsident Sukarno bewertete die Ereignisse auf Ambon als Rebellion. Er verursachte durch wirtschaftliche Blockade Ambons eine Hungersnot auf der Insel und besiegte fünf Monate später die RMS mit seinen Truppen. Viele Ambonesen flüchteten in die Nieder- lande.88
Auf den Zentralmolukken erstarkte vor wie nach der Revolte eine neue ambonesische Identität. In Anbetracht der Tatsache, daß neben Christen viele Muslime die molukki- schen Inseln bewohnten, die von den Niederländern jedoch sorgsam ignoriert worden waren und somit auch nicht in der Armee gekämpft hatten, scheint es erstaunlich, daß es überhaupt eine einheitliche Bewegung von Ambonesen gegen die Indonesier gegeben hat. Bartels beschreibt die Kultur der Zentralmolukken gar als„a jigsaw puzle scatte- red helter-skelter over a table“.89Er ist dem Phänomen der ambonesischen Bewe- gung nachgegangen und fand heraus, daß abgesehen von der gemeinsamen Abneigung gegenüber den Javanern ein traditionelles, aufAdat90basierendes, exogames Netz von rituellen Blutsbrüderschaften zwischen Dörfern, die Ambonesen jenseits religiöser Gren- zen vereint. Dieses Netz vonPela91, das zwischendurch bereits ein wenig an Bedeutung verloren hatte, gewann im Kampf um die Unabhängigkeit neue Bedeutung.Pela wurde wiederbelebt und zum entscheidenden Identifikationsfaktor auch nach der Revolution. Bartels bezweifelt Ende der Siebziger noch, daßPelasich zukünftig mit demPancasilaIndonesiens synkretisieren läßt.92
5.2 Osttimor
Eine weitere Gruppe von Menschen, die sich nicht in das nationale Konzept Indonesiens integrieren läßt, bilden die Osttimoresen, die 1975 gewaltsam dem indonesischen Staat einverleibt wurden. Nach Anderson sehen weder die Osttimoresen selbst sich, noch die Indonesier sie als Indonesier.93 Die Beziehungen zwischen beiden gleichen denen von Kolonisierer und Kolonisierten, da die Indonesier würden mit den Osttimoresen genau so verfahren, wie die Niederländer zuvor mit ihnen umgegangen waren. Er stellt sich die Frage, warum zum einen die Integration nicht funktioniert hat und warum andererseits der Nationalismus auf Osttimor so rapide gewachsen ist.
Auf Osttimor hat es vor der Annexion 1975 nur wenig Kapitalismus gegeben. Analpha- betismus war weit verbreitet und die Bevölkerung eine sehr heterogene Zusammenstel- lung mit unterschiedlichsten Sprachen Der indonesische Nationalismus basiert zwar selbst auf der Inkorporation unterschiedlichster ethnischer Kulturen und Religionen - doch sind die Grenzen präzise gesteckt durch die ehemaligen Kolonialherren. Gemein- sam sind den Indonesiern einzig historische Erfahrungen der Kolonialzeit und die Mytho- logie.
Die Mythen um einstige Reiche wie Majapahit bilden die zweite Grundlage des indone- sischen Nationalismus. Auch wenn die Grenzen von Majapahit kaum zu definieren sind, wird das Reich mit den Javanesen identifiziert. So fehlt die Basis, um Osttimoresen zu integrieren, denn alle anderen Ansätze - die Ähnlichkeit der Sprachen, ähnliche oder gar identische Kulturen in der Vergangenheit - würden schnell zu Konflikten mit Malaysia und den Philippinen führen.
Durch die NATO-Zugehörigkeit der Portugiesen verfügten die Bewohner Osttimors in den Kämpfen um die Unabhängigkeit über weit modernere militärische Ausrüstung, die manchen indonesischen General die seine Karriere kostete. In der Konsequenz für die Unneinnehmbarkeit wurde Osttimor schlicht aus den Medien verbannt und quasi von der Welt abgeschlossen.
Durch die portugiesische Kolonialgeschichte ist ein Großteil der Osttimoresen katho- lisch. Die katholische Kirche führte sogartetunanstelle desbahasa indonesiaals Kir- chensprache ein und so konnte diese Sprache zur Sprache einer osttimorischen Religion und Identität werden.
Das nationalistische Projekt der Integration einer Region in einen Staat ist im Falle Ost- timors umgeschlagen in ein kolonialistisches Projekt und ein freier Weg für Osttimor ist zur Zeit trotz der Wahlen nicht abzusehen. Das indonesische Militär zeigt sich nach Ost- timors Votum für die Unabhängigkeit unfähig und unwillig, proindonesische Rebellen zu bändigen und Osttimor friedlich in die Unabhängigkeit zu entlassen. Nachdem bereits in den letzten Jahrzehnten Osttimor aus den indonesischen Medien verbannt wurde, sind jetzt auch sämtliche Telefonverbindungen abgeschnitten, alle Journalisten von der Halb- insel vertrieben. Es scheint, als fürchte der Inselstaat, daß sich nach dem eindeutigen Votum auf Osttimor auch andere Regionen Indonesiens oder anderer südostasiatischer Staaten, wie Malaysia oder der Philippinen, zu erneuten separatistischen Bewegungen entschließen könnten.
6 Fazit
Zentrale Kraft für die Einheit des indonesischen Nationalismus waren die Modernität und der Kapitalismus, vorgeführt durch die europäischen Kolonialherren.94
Der indonesische Nationalismus ist eine Mischung aus europäischem Vorbild und natio- nalen, meist javanischen Mythen und Traditionen, die wiederum Abgrenzung vom euro- päischen Vorbild und Ausgrenzung von Minderheiten bedeuten. Die Entstehung der Entwicklung dieser Nation zeugen davon, daß die Identität Indonesiens mitgeprägt wur- de durch das äußere Umfeld - Araber, Chinesen, Europäer.
Der Nationalismus in Indonesiens ist eine kollektive Vorstellung, die in erster Linie ge- tragen wird von der intellektuellen Elite des Landes. Der breiten Bevölkerung wird sie von klein auf indoktriniert und im Zweifelsfall gewaltsam eingebleut.
Die Tatsache, daß die politische Landschaft in Indonesien nach der Unabhängigkeit zunehmend eingeengt und beschränkt worden ist, zeugt von der Künstlichkeit und der Instabilität der Nation Indonesien und von der Angst der politischen Elite vor separatisti- schen Bewegungen. Aktuelle Ereignisse auf Osttimor und der Umgang mit diesen zeugen von dieser Angst.
Ob Hefners Einschätzung, daß es Indonesien zunehmdend gelungen ist, eine Form des Nationalismus über und jenseits ethnischer Solidarität geschaffen zu haben, langfristig zutrifft, ist aus der Ferne schwer zu beurteilen. Fest steht, daß neben den Faktoren, wie die Sprache, die gemeinsame Geschichte und die Abgrenzung gegenüber Chinesen und anderen Gruppen, durch die eine gemeinsame Identität kreiert wurde, auch einige As- pekte darauf verweisen, daß der indonesische Nationalismus auf Zwängen und Manipu- lation beruht, die sich zukünftig negativ auswirken könnten.
Es läßt sich darüber hinaus abschließend vielleicht die These aufstellen, daß Indonesien bei seiner ethnischen und kulturellen Vielfalt und trotz politischer Instabilitäten und Unzu- friedenheiten Bestand hat, gerade weil es ein Inselstaat ist, deren Provinzen zum Großteil auf das Leben in der eigenen Region fixiert sind und die Regierung in Java als direkte übergeordnete Instanz sehen, vor Ort vertreten durch den jeweiligenHeadmanoder Vorsteher. Um die Hauptstadt herum erstreckt sich der politische Einfluß immer noch hierarchisch und in konzentrischen Kreisen.95 Die Provinzen sind im Alltag dezentral organisiert und relativ unabhängig vom Zentrum. Dadurch, daß dieHeadmenwie einst Vertreter der herrschenden Dynastien als Diener des Volkes angesehen werden, die mit diesem eine quasi symbiotische Beziehung eingehen, fällt es wiederum leichter, politische Strukturen und nationales Bewußtsein zu formen, fördern und zu erhalten.
Nur durch diese Konfiguration ist es möglich, eine Einheit in der Vielfalt zu bewahren, weil durch die territoriale Beschränktheit der einzelnen Regionen wenig Konkurrenz untereinander entsteht und weil, gefördert durch die Ritualisierung der Politik, die Hauptstadt wie auch deren Repräsentanten auf lokaler Ebene als rechtmäßige politische Zentren wie einst die politischen und rituellen Zentren der Fürstentümer angesehen wer- den (sollen), in denen rechtmäßige Führer die Staatsgeschicke leiten (sollen).
7 Literatur
Anderson, Benedict 1988:Die Erfindung der Nation; Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts, Frankfurt a.M./ New York: Campus.
Antlöv, Hans 1995:Exemplary Centre, Administrative Periphery; Rural Leadership and the New Order in Java, Richmond: Orizon Press.
Bartels, Dieter 1978:Guarding the invisible Mountain: Intervillage Alliances, Religious Syncretism and Ethnic Identity among Ambonese Christians and Moslems in the Moluccas, Cornell University.
Becker, Dieter 1996:Die Kirchen und der Pancasila-Staat; Indonesische Christen zwischen Konsens und Konflikt, Erlangen (=MWF Neue Folge Band I).
Braun, Bärbel 1995:Nationalstaat als politische Fiktion und als Realität; Antikoloniale Nationalbewegung, koloniale und postkoloniale Staatsformation in Indone- sien, Frankfurt a.M.: IKO (=Umbrüche der Moderne 4).
Buchholt, Helmut 1998:Zwischen Macht und Ohnmacht; Die chinesische Minderheit in Südostasien, München: Lit (=Kultur, Gesellschaft, Umwelt - Schriften zur Südasien- und Südostasien-Forschung; Bd. 2).
Gallizia, Michele 1995:Aufstieg und Fall der Pasirah; Zentralstaatliche Vereinnah- mung und lokale Machtstrategien, Berlin: Renner.
Hefner, Robert W. 1991:Staat, Nation und Ethnizität im modernen Indonesien, in: Erika Fröschl u.a.: Staat und Nation in multi-ethnischen Gesellschaften, Wien: Passagen, S. 197-225.
Heryanto, Ariel 1998:Ethnic Identities and Erasure: Chinese Indonesians in Public Culture, in: Southeast Asian identities: culture and the politics of representa- tion in Indonesia, Malaysia, Singapore and Thailand, ed. by Joel S. Kahn, Singapore: Institute of Southeast Asian Studies.
Lev, Daniel S. und Ruth Mc Vey (Hg.) 1996:Making Indonesia; Essays on modern Indonesia in Honor of George Mc T. Kahin, Cornell University, Ithaca, New York.
Mackerras, Colin (Hg.) 1995:East and Southeast Asia : a multidisciplinary survey, Boulder, Colorado.
Mickel, Wolfgang W. (Hg.) 1986:Handlexikon zur Politikwissenschaft, München/ Bonn.
Schulze, Hagen 1994:Staat und Nation in der europäischen Geschichte, München.
Stammen, Theo und Paul Noack (Hg.) 1976:Grundbegriffe der politikwissenschaft- lichen Fachsprache, München: Ehrenwirth.
Steinberg, David J. (Hg.) 1987²:In Search of Southeast Asia; a modern history, re- vised edition. Honululu: University of Hawaii Press.
Weidinger, Dorothea 1998:Nation - Nationalismus - Nationale Identität, Bonn (= ReiheKontrovers, hg. von der Bundeszentrale für politische Bildung).
Woyke, Wichard 1995 6: Handwörterbuch Internationale Politik, Opladen: Les-
ke+Budrich.
- http://www.raduga.com/ir/Politik/pol.htm, 26.06.1999.
- ftp://english.hss.cmu.edu/english server/cultural.theory/Anderson-Imagining% 20East%20Timor, 02.07.1999.
[...]
1 Anderson 1988:12f.
2 Woyke 19956:192.
3 z.B. Mickel 1986:306.
4 Anderson 1988:15.
5 Ausnahmen bilden staatenlose Nationen wie Basken, Bretonen, Kurden, Roma usw...
6 Stammen (Hg.) 1976:204.
7 Nationalismus nach Peter Alter, in: ders. 1994, Nationalismus, München, Zürich, S. 17-20, zit. nach Weidinger 1998:27.
8 Anderson 1988:20.
9 Schulze 1994:108. Kaiser Wilhelm z.B. machte bei der Denkmalsenthüllung in Detmold 1875 aus Arminius dem Cherusker „Hermann de[n] Deutsche[n]“, die „erste große Gestalt der germa- nisch-deutschen Geschichte“ und schrieb so die Historie der deutschen Nation zurück bis zu den Römern.
10 Anderson 1988:14.
11 Anderson 1988:21.
12 ... im Gegensatz zu modernen semiotischen Theorien (de Saussure), die auf rein arbiträre und auf Konventionen beruhende Zuordnungen von Sprach- und Schriftzeichen verweisen postmoder- nen Ansätzen, die darüber hinaus eindeutige und endgültige Festlegungen von Schriftzeichen für unmöglich erklären (Derrida).
13 Anderson 1988:27ff.
14 Weidinger 1998:25.
15 Anderson 1988:44-47. Reformation, Konkurrenz auf dem Absatzmarkt und die Durchsetzung unterschiedlicher Landessprachen in verschiedenen Regionen, die wiederum für die Instrumen- talisierung der Verwaltungen genutzt wurden, sind hier als Stichworte zu nennen.
16 Anderson 1988:51. Ernest Gellner spricht vonerfundenenNationen (Gellner 1964:169).
17 Anderson 1988:75. Identität wird in dieser Arbeit, in Anlehnung an Jepperson, Wendt und Kat- zenstein verstanden als Selbstsein einer kollektiven Identität, das Resultat ist von Beziehungen dieses Selbst mit signifikant anderen (JWK:59).
18 Anderson 1988:116.
19 Anderson 1988:117f.
20 Der Name „Indonesien“ selbst ist eine Kreation europäischer Anthropologen und kein kultur- geschichtliches Produkt.
21 Anderson 1988:122.
22 Hefner 1991:212.
23 http://www.raduga.com/ir/Politik/pol.htm, 26.06.1999.
24 Steinberg:1987:293.
25 1928 arbeiteten bereits mehr als eine Viertelmillionen Menschen im niederländisch-indischen Verwaltungsapparat.
26 Mackerras 1995:244; Anderson 1988:140.
27 Die allererste Vereinigung der nationalen Unabhängigkeitsbewegung war jedoch die 1908 ge- gründete Budo Utomo (=edles Streben). Sie vertrat erstmals die Kernforderungen der nationalen Unabhängigkeitsbewegung,„dem in Not geratenen Volk zu helfen und das Einheitsgefühl un- ter den Studierenden des Archipels zu verbreiten“. Becker 1996:47f.
28 Becker 1996:51.
29 Sarekat Islam spaltete sich 1920 in zwei Lager, da ein Teil seiner Mitglieder zunehmend sozialistischeIdeen verfolgte. Dieser wurde zukünftig von der Partai Komunis Indonesia geführt. Innerhalb des Islam mußte unterschieden werden zwischen politischem Islam, Reformislam und traditionellem Islam. Becker 1996:48ff. und 51.
30 Steinberg 1991:307.
31 Schwarz 1995²:4.
32 Steinberg 1991:308f.
33 Becker 1996:52.
34 Mackerras 1995:242f.
35 Becker 1996:74.
36 Schwarz 1995²:5.
37 Schwarz 1995²:7f.
38 Renan, Ernest 1882: Qu’est-ce qu’un nation, Paris.
39 Schulze 1996:127-149.
40 Interessant ist, daß der aufkommende Nationalismus nicht durch die christlichen Kirchen ver- stärkt wurde, sondern gerade dort eine Gegenbewegung erfuhr. Die indonesischen Christen verstanden sich in erster Linie als Mitglieder ihrer jeweiligen Volksgruppe und der entsprechen- den Volkskirsche, die sich aus Tradition und missionarischem Einfluß entwickelt hatte. Vgl. Be- cker 1996:66.
41 Vgl. hierzu Kap. 3.7.1
42 Schwarz 1995:8f.
43 In die Verfassung wurde das hier an fünfter Stelle stehende Prinzip als erstes Prinzip aufgenom- men, um seinen Charakter als leitendes Prinzip auch für die vier anderen Grundsätze zu verdeut- lichen, Becker 1996:167.
44 Becker 1996:76f.
45 Antlöv 1995:41.
46 McVey:1996:18.
47 Antlöv 1995:40f.
48 Schwarz 1995:37.
49 Schwarz 1995:3.
50 Schwarz 1995:6.
51 Schwarz 1995:24.
52 Zur Politik der Dwi fungsi siehe u.a.: Mc Vey: 1995:21 und Antlöv 1995:38:Dwi fungsi, die Mit- arbeit des Militär an nationaler Sicherheit und an gesellschaftlicher Entwicklung, basiert angeb- lich auf der traditionellen indonesischen Kultur. Vom Militär werden dementsprechend kulturelle Symbole und Werte aktiviert und es beruft sich auf das traditionelle hindu-javanische Konzept vonsatria,dem noblen Krieger.
53 Schwarz 1995:33.
54 Antlöv 1995:39.
55 Schwarz 1995:31.
56 Antlöv 1995:39.
57 Hefner 1991:208.
58 Antlöv 1995:40f.
59 Fortschritt und Entwicklung werden derPancasila zugeschrieben.
60 Antlöv 1995:43.
61 Braun 1995:67.
62 Probojo 1998:259ff.
63 Zu den nationalen Symbolen gehörten auch die vielen Prachtbauten, die Sukarno errichten ließ, auch wenn das Geld an anderen Stellen wesentlich dringender gebraucht wurde. Vgl. Mackerras 1995:359.
64 Galizia 1995:12.
65 Traditionelle Vorsteher eines Dorfes mit ursprünglich vor allem rituellen Funktionen.
66 Antlöv 1995:43f.
67 Antlöv 1995:58ff.
68 Mackerras 1995:514.
69 Einige Quellen, wie z.B. Galizia:208f. stellen allerdings für einzelne Regionen das Gegenteil fest: Die Niederländer verstanden wenig von den einheimischen Glaubenssystemen und konnten mit dem monotheistischen, hierarchischen islamischen Glauben eher etwas anfangen. So setzten sie mancherorts vornehmlich muslimische Leute ein und förderten so die Bedeutung des Islam.
70 Probojo 1998:275ff.
71 Probojo 1998:265f.
72 Heryanto 1998:97f.
73 Buchholt 216.
74 Vgl. z.B. Buchholt 1998:222ff.
75 Heryanto 1998103f.
76 Buchholt 1998:218.
77 Heryanto 1998:102.
78 Heryanto 1998:101.
79 Buchholt 1998:211.
80 Heryanto 1998:197.
81 Heryanto 1998:109.
82 Buchholt 1998:214.
83 Buchholt 1998:215.
84 Jepperson, Wendt, Katzenstein 1996:33 (im folgenden zitiert als JWK).
85 JWK 1996:35ff.
86 Hefner 1991:214.
87 Hier geht es um die Christen, nicht zu vergessen sei jedoch, daß bereits zur Zeit der Portugiesen ein Teil der Ambonesen muslimisch war, z.T. eingewandert aus Java. Allerdings wurden die Muslime von den Portugiesen wie auch von den Holländern weitestgehend ignoriert (Bartels 199:11).
88 Bartels 1978:6. Ein Großteil der Bevölkerung der Zentral- und Südmolukken bezeichnet sich selbst als ambonesisch. Vor allem die BewohnerInnen der Inseln Ambon, Haruku, Saparua und Nusalaut, sowie der Küstendörfer West- und Zentralserams sind den Ambonesen zuzurechnen.
89 Bartels 1978:28.
90 Kulturelle Normen und Traditionen sind in den Gesellschaften Indonesiens alsAdatverankert. Übersetzt bedeutet der Begriff soviel wie Sitte oder Brauchtum. Rechtsstrukturen und Religion waren in den einstigen Stammesgesellschaften verschmolzen. Der aus dem Arabischen stam- mende BegriffAdatbezeichnet einerseits das regelmäßig Wiederkehrende im Sinne von dem Gewohnten wie andererseits die von Alters her überlieferte Rechtsordnung und insofern Gesetz und Recht, das nicht gebrochen werden darf.Adatist ein unkodifiziertes Gewohnheitsrecht, welches das Zusammenleben der Gemeinschaft in nahezu allen Bereichen regelt. Es verleiht In- dividuen wie Gruppen Sicherheit und gibt dem Leben Ordnung und einen rituellen Gang (Becker 1995:18). Dahinter steht der Gedanke, daß das Leben auf der Erde von supernatürlichen Kräften beeinflußt wird. Inneres (menschliche Erfahrungen, Gefühle) und Äußeres (Reich des menschli- chen Verhaltens) müssen ein Gleichgewicht im Kosmos ergeben. Vulgarität und Grausamkeit ziehen übernatürliche Strafen mit sich. Die Ritualisierung des öffentlichen Verhaltens erhält das Gleichgewicht zwischen Mensch und Kosmos (Antlöv 1995:93).
91 Bartels 1978:328. Pela ist ein System dauernder und unzerstörbarer Bruderschaft, zwischen jeweils zwei Dörfern. Es beinhaltet u.a. Unterstützung in Krisen, Hilfe bei Dorfprojekten, alle Mitglieder der Dörfer in einerPela-Beziehung gelten als Brüder. Heiraten wären Inzest. Ve rstöße gegenPela-Regeln werden von den Ahnen gestraft (Bartels 1978:29). Jedes Dorf besitzt min- destens einen, meist aber mehrerePela-Partner, so daß ein dichtes Netz entsteht.
92 Leider fehlen hier aktuelle Informationen.
93 Anderson:1993; ftp://english.hss.cmu.edu/english server/cultural.theory/Anderson- Imagining%20East%20Timor, 02.07.1999.
94 Mc Vey 1995:12.
95 Denn „Randbezirke“ wie z.B. Westtimor sind in ihrer politischen Organisation weniger be- einflußt von Jakarta als zentraler gelegene Gebiete.
- Arbeit zitieren
- Dagmar Mehrtens (Autor:in), 1999, Nationalismus in Indonesien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/100374
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