In dieser Arbeit wird ein Versuch der Definition vorgenommen und die Entwicklung der beiden Begriffe Integration und Inklusion zu beleuchtet. Zudem wird die Frage, warum es wichtig ist, Menschen nicht in ein bereits vorhandenes System zu zwängen, sondern sie von Beginn an in ein gemeinsames System aufzunehmen, in dem es keine Ausgrenzung und Stigmatisierung gibt, kritisch betrachtet.
Behinderung und Migration
Inklusion und Integration, zwei Begriffe, zwei Programme, ein ähnliches Ziel: Gleichstellung und soziale Teilhabe von allen Menschen. Durch die Ereignisse in den letzten Jahren, wie die Flüchtlingskrise ab dem Jahre 2015 und das Inkrafttreten der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen im Jahre 2009, gewannen diese beiden Begriffe vehement an Aufmerksamkeit. Die Auseinandersetzung mit den Themen Migration und Behinderung stieg und war in den Jahren nach 2015 beherrschendes Thema.
Im Folgenden sollen die Begriffe Integration und Inklusion erklärt werden. Es soll nicht nur ein Versuch der Definition vorgenommen, sondern auch die Entwicklung diese beiden Begriffe beleuchtet werden. Zudem soll die Frage, warum es wichtig ist, Menschen nicht in ein bereits vorhandenes System zu zwängen, sondern sie von Beginn an in ein gemeinsames System aufzunehmen, in dem es keine Ausgrenzung und Stigmatisierung gibt, kritisch betrachtet werden.
Antidiskriminierung und Gleichstellung finden ihre rechtliche Grundlage im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. Somit ist „Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, Religion oder Weltanschauung, eine Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen“ (§1 AGG). Das Gleichbehandlungsgesetz ist aus dem Art. 3 (3) GG abgeleitet, welcher besagt, dass niemand wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden darf und dass niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf. Es soll Chancengleichheit hergestellt, Diskriminierung und Ausgrenzung vermieden werden und gleichberechtigte Teilhabe für alle Menschen in allen Lebensbereichen verwirklicht werden (vgl. Wansing & Westphal 2014: 17).
Inklusion und Integration sind zwei Programme, die grundsätzlich ein ähnliches Ziel haben, die Gleichstellung aller Menschen, jedoch fokussieren sie sich dabei auf unterschiedliche Zielgruppen. Im Kontext von Behinderung gilt „Inklusion“ als Schlüsselbegriff und im Zusammenhang mit Migration, findet man immer wieder den Begriff „Integration“, der hier als Schlüsselbegriff dient. Was genau diese beiden Begriffe bedeuten, wird im folgenden Abschnitt definiert und erläutert (vgl. Wansing & Westphal 2014: 18).
„Inklusion heißt, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen wirksam und umfassend am politischen und gesellschaftlichen Leben teilhaben können“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales – BMAS 2011, S.17), so wurde es im Nationalen Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention formuliert. Der Kern des politischen Inklusionsgedankens ist ein gewandeltes Verständnis von Behinderung. Es geht vielmehr um die Benachteiligung, die Menschen mit Beeinträchtigung erfahren, weil sie durch einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft gehindert werden (vlg. Wansing & Westphal 2014: 19, zitiert aus BRK, Präambel, e). Seit 2009 ist Inklusion für Deutschland in allen Bereichen durch die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen verbindlich. Deshalb hat sich die Behinderungspolitik von einer Versorgung und Fürsorge für eine als behindert bezeichnete Personengruppe hin zu einer gesellschaftlichen Querschnittsaufgabe der Inklusion verändert. Diese hat das Ziel, Barrieren und Diskriminierung in allen Gesellschaftsbereichen zu vermeiden und abzubauen, die beeinträchtigte Menschen in ihren Teilhabemöglichkeiten behindern.
Doch trotz der starken politischen Präsenz, der Begriff Inklusion ist nach wie vor nicht eindeutig bestimmt bzw. definiert. Die Inklusion hat in allen Lebensbereichen und Lebensphasen Gültigkeit, in Deutschland dominiert aktuell jedoch die bildungspolitische Auseinandersetzung mit diesem Thema. Diskurse zu dem Thema Inklusive Schulen sind in den letzten Jahren sehr laut geworden. Dabei geht es um die Anerkennung der Unterschiedlichkeiten aller Kinder und Jugendlichen und die damit verbundene entsprechende Anpassung pädagogischer Kontexte (vgl. Wansing & Westphal 2014: 18ff). Noch bleibt die Frage aber offen, ab wann ein Mensch als behindert bzw. beeinträchtigt gilt. Menschen gelten dann als behindert, „wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist“ (SGB IX). Zusammenfassend ist über Behinderung zu sagen, dass diese nicht als Merkmal einer Person betrachtet wird, es wird sich final an der Beeinträchtigung der sozialen Teilhabe orientiert (vgl. Wansing & Westphal 2014: 24).
„Zukunftsaufgabe der Integrationspolitik ist es, das Ziel der gleichberechtigten Teilhabe zu verwirklichen“ (Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration – BfMFI 2011a, S. 21). Gesellschaftliche Vielfalt gibt es durch Migration und diese bedingt eine sprachliche und kulturelle Heterogenität. Was bisher als vorübergehende Sonderaufgabe gesehen wurde, stellt mittlerweile eine strukturelle und nachhaltige Daueraufgabe Deutschlands dar – Integration. Somit liegt die Verantwortung für die Integration nicht mehr nur allein bei den Zugewanderten, sondern ebenso zunehmend bei der Aufnahmegesellschaft. Lange hatte Deutschland keine richtige politische und rechtliche Grundlage für Migration, Einwanderung und Eingliederung. Im Jahre 2005 wurde Integration mit dem Zuwanderungsgesetz institutionalisiert. Es war das erste Gesetz, welches einen Rechtsrahmen für Migration, Einwanderung und Eingliederung geschaffen hat. Ab diesem Zeitpunkt wurde das Gesetz stetig weiterentwickelt, wie z.B. der Besuch eines Sprachkurses, welcher als Verpflichtung aufgenommen wurde (vgl. Wansing & Westphal 2014: 20f).
Ebenso wie bei der Inklusion, verbergen sich hinter dem Begriff Integration viele Perspektiven, Positionen und Erfahrungen. Als sozialwissenschaftlich analytische Kategorie beschreibt Integration den Eingliederungsprozess von Zugewanderten in eine bestehende Sozialstruktur in differenzierter Weise, z.B. als strukturelle, kulturelle, soziale und identifikative Integration (vgl. Wansing & Westphal 2014: 22, zitiert nach Heckmann 2005). Die alltägliche, meist vertretene Position sieht in dem Integrationsbegriff vor allem die Anpassung der Zugewanderten an Werte und Verhalten der Aufnahmekultur (vgl. Wansing & Westphal 2014: 22, zitiert nach Schmid 2010).
Zur Entwicklung von Integration und Inklusion ist anzumerken, dass weder das eine, noch das andere als politischer Leitbegriff inhaltlich eindeutig ist, trotz umfassender politischen Diskurse über viele Jahre. Im Gegensatz, sie beinhalten sogar eher unterschiedliche, teils widersprüchliche Bedeutungen (vgl. Wansing & Westphal 2014: 23). Es hat lange gedauert, bis der Inklusionsbegriff den Integrationsbegriff in Bezug auf Menschen mit Behinderungen abgelöst hat. Umso wichtiger ist es jetzt, das Konzept der Inklusion auszuweiten und dieses auch auf Menschen mit Migrationshintergrund zu beziehen, begründet mit der Gleichbehandlung aller Menschen. Denn eigentlich ist die Inklusion nur eine konsequente Weiterführung der Integration (vgl. Wertfein & Lehmann 2010). Und somit steht Inklusion für weitaus, mehr als nur gegen die Exklusion und Diskriminierung von behinderten Menschen zu kämpfen.
Dem Inklusionsbegriff liegt ein erweitertes Verständnis von Diversität zugrunde. Es werden alle Heterogenitätsdimensionen, wie z.B. kulturelle Pluralität mit ethnischer Herkunft, Sprache und Religion, in den Fokus genommen (vgl. Amirpur 2012: 18). Doch leider findet sich der Inklusionsbegriff vorrangig in der Bildungspolitik wieder. Und dort auch nur bezogen auf den inklusiven Schulunterricht von Kindern mit und ohne Behinderung. Für die Kinder mit Migrationshintergrund wird immer noch an dem Konzept der Integration festgehalten. Ein Grund dafür ist die Annahme, dass sich mit Migranten und Behinderten eindeutig abgrenzbare soziale Gruppen beschreiben lassen. Behinderung und Migration erscheinen als individuelle Merkmale, gleichzeitig wird von der Gesellschaft und der Politik eine gewisse Homogenität in den jeweiligen Gruppen unterstellt. Es gilt jedoch die Ausbildung einer höchst verschiedenen Zugehörigkeit, Identität und Lebenslagen beider Gruppen (vgl. Wansing & Westphal 2014: 37). Deshalb werden die beiden Konzepte immer noch getrennt in der Bildungspolitik betrachtet. Doch warum ist es so wichtig, Menschen nicht in ein bereits vorhandenes System zwängen zu wollen, sondern sie von Beginn an in ein gemeinsames System aufzunehmen, in dem es keine Ausgrenzung und Stigmatisierung gibt? Diese Frage wird im Folgenden kritisch betrachtet.
Integration bedeutet für die betroffenen Kinder, eine Anpassungsleistung erbringen zu müssen. Sie müssen sich in ein bestehendes, unbeugsames System einzufügen. Für Kinder mit Migrationshintergrund bedeutet das eine zusätzliche, sogar eine grundlegende Diskriminierung. Sie stehen vor einer größeren Lernherausforderung als Kinder ohne Migrationshintergrund. Zum einen können die Lernziele des Bildungsplans andere sein, als diese in ihren Herkunftsländern und sie müssen deshalb viel aufholen, zum anderen kommt der Spracherwerb der deutschen Sprache hinzu. Es wird in diesem Diskurszusammenhang der Fokus auf eine Umgestaltung des Bildungssystems gelegt und daher sind hier interkulturelle Kernkompetenzen gefordert. Leider gibt es nach wie vor nicht viele Lehrkräfte, die eine Ausbildung oder Weiterbildung im Bereich interkulturelle und inklusiven Pädagogik vorweisen können (vgl. Amirpur 2012: 19). Ein Grund dafür ist zum Beispiel, dass dieses Konzept nicht von Anfang an in den Schulen gefahren wird, sondern erst dann, wenn es akut ist. Das bedeutet also, erst wenn ein häufiges Vorkommen von Menschen mit Migrationshintergrund oder wenn ein Kind als behindert identifiziert wird, wird zu dem Konzept der interkulturellen oder inklusiven Pädagogik übergegangen. Die Betonung liegt hier leider auch auf ‚oder‘, denn eine Verknüpfung der beiden Konzepte ist in Deutschland noch nicht der Fall. Somit stellt die notwenige Etikettierung der Kinder als Voraussetzung zur Bereitstellung zusätzlicher Ressourcen und Zugangsmöglichkeiten zur Weiterbildung das größte Problem dar (vgl. Wansing & Westphal 2014: 36f). Nicht nur, dass diese notwendige Etikettierung der Kinder ein Faktor ist, der die Umsetzung und das Funktionieren des Konzepts der interkulturellen oder inklusiven Pädagogik hemmt, auch der Faktor Dauer der Ausbildung gerät dabei gänzlich in Vergessenheit. Die Ausbildung einer Lehrkraft im Bereich Sonderpädagogik dauert fünf Jahre exklusive dem Referendariat, welches Voraussetzung für den Abschluss ist. Auch Weiterbildungen brauchen seine Zeit. Das bedeutet, selbst wenn der Fall akut wird, braucht es noch Jahre, bis das richtig geschulte Personal zur Verfügung steht und sich dieser Aufgabe annehmen kann.
Wie oben schon einmal beschrieben, findet sich der Inklusionsbegriff bisher vorrangig in der Bildungspolitik wieder und hier liegt der Fokus auf eine „Schule für alle“, aber eben nur für einen gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung (vgl. Amirpur 2012: 18). Kinder mit Migrationshintergrund finden hier so gut wie keine Berücksichtigung. Das zeigt, dass interkulturelle Aspekte und spezifische Kategorien wie ethnische Herkunft, Sprache und Religion bis heute keinen Einzug in die Inklusionspädagogik finden (vgl. Amirpur 2012: 19). Durch das Konzept der Inklusion müssen sich nicht mehr die Schüler*innen anpassen, sondern es ist die Aufgabe der Schulen, dafür Sorge zu tragen, dass alle Schüler*innen mit ihren jeweiligen Talenten und Fähigkeiten am Unterricht teilnehmen können (vgl. Schöb 2013). Hier wird auf die Vielfalt aller Schüler*innen eingegangen und versucht, dieser gerecht zu werden. Ein weiterer sehr positiver Aspekt des Konzepts Inklusion. Es sollte Abstand genommen werden von einer Unterscheidung in „normale, integrierte und nicht behinderte“ Kinder und „anormale, zu integrierende und behinderte“ Kinder. Inklusionspädagogik erklärt die Heterogenität zur Normalität und öffnet das System, sodass es sich anpasst und nicht die Kinder an das System (vgl. Amirpur 2012: 17). Doch das deutsche Bildungssystem ist ein bisher noch selektierendes und ausgrenzendes Bildungssystem. Weshalb der Anspruch auf ein inklusives Bildungssystem eine große Herausforderung für Deutschland darstellt. Damit dieser Anspruch erfüllt werden kann und aus Integration Inklusion wird, sind ein gesellschaftlicher und bildungspolitischer Perspektivenwechsel und die entsprechenden schrittweisen Veränderungsprozesse in der Haltung der Gesellschaft sowie im Förderungssystem unabdingbar. Dieser Weg kann nur langfristig und schrittweise erfolgen (vgl. Wertfein & Lehmann 2010).
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- Citation du texte
- Naomy Neider (Auteur), 2019, Integration und Inklusion. Begriffsdefinition und historische Entwicklung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1003243
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